Horovitz 1923: Die islamische Kultur des zehnten Jahrhunderts
97 Februar/März DEUTSCHE LITERATURZEITUNG 1923 Nr. 3/6 98
Die islamische Kultur des zehnten Jahrhunderts
Von Josef Horovitz, Frankfurt a. M.
In seiner ältesten, aus dem Koran erkennbaren Gestalt stellt sich der Islam als die Form dar, in welcher die auf biblischer Grundlage ruhenden Offenbarungsreligionen in Arabien Eingang gefunden haben. Die Gewißheit, daß Allah unter allen Völkern nicht den Arabern allein die rechte Leitung vorenthalten könne, deren sie bei der drohenden Nähe der Stunde des Gerichts weniger als je entraten konnten, hatte Muhammad das Amt eines prophetischen Warners aufgezwungen. Aber zugleich fühlte er sich als Sendbote Allahs an die Menschheit überhaupt, und früh regte sich im Schoße seiner Gemeinde das Streben, die neue Lehre auch den anderen Völkern zu verkünden. Zwar ist die große Völkerwanderung, welche die Araber zu Herren der Kulturländer des vorderen Orients machte, keineswegs als Auswirkung solchen Bekehrungseifers aufzufassen; die Lehre des Propheten lieferte nur der vorher zersplitterten Expansionsbewegung der arabischen Stämme den sie zum erstenmal zu gemeinsamer Tat einenden Schlachtruf. Nachdem aber die arabische Herrschaft in den weiten Gebieten von der indischen Grenze bis zum atlantischen Ozean begründet war, begann die neue Lehre, die als Religion der Herrenkaste ins Land gekommen war, ihre Anziehungskraft auf die den Eroberern zunächst stehenden Klassen wie auf die Massen der Bevölkerung auszuüben, bis schließlich die Zahl der neubekehrten Nichtaraber die der Gläubigen arabischer Herkunft weit überwog und deren ausschlaggebender Stellung innerhalb der islamischen Gemeinschaft bedrohlich wurde. Das „arabische Reich“ der Omaijaden erreicht 750 sein Ende, und der gesteigerte Einfluß der unterworfenen Völker macht sich allenthalben geltend. Die islamische Lehre, wie sie uns im „Hadith“ entgegentritt, den angeblichen, in Wirklichkeit aber von späteren Generationen ihm in den Mund gelegten, Aussprüchen Muhammads, ist denn auch von der koranischen Urform schon sehr verschieden; viele der älteren Zeit fremde Anschauungen und Einrichtungen, so manche Reminiszenzen aus der zarathustrischen, jüdischen oder christlichen Vergangenheit der Neubekehrten, begehren Einlaß oder haben ihn bereits gefunden. Und das gilt nicht nur von dem weiträumigen Gebäude der religiösen Lehre und Übung, deren Säulen immerhin auf dem Unterbau der koranischen Grundlage ruhen. Außer der Religion hatten die Araber an geistigem Gut nur noch ihre Sprache hinzugebracht, die allmählich im ganzen Westen ihres Herrschaftsbereichs die vorher gesprochenen Volkssprachen aufsog und an ihre Stelle trat, überall aber, im Westen wie im Osten, die Sprache der Verwaltung, der Wissenschaft und der Dichtung wurde. Indes nur die Sprache der Verwaltung wurde arabisch, ihre Technik mußten sie mangels eigner Tradition von ihren Vorgängern in der Herrschaft, den Byzantinern und Persern, übernehmen. Und nicht anders war es in den Wissenschaften; durch Vermittlung der syrischen Christen wurde ihnen das Erbe der hellenistischen Vergangenheit zugänglich, das dann die Gelehrten des islamischen Kulturkreises getreulich verwaltet und erheblich gemehrt haben.
Die politische Einheit des islamischen Weltreiches vermochte die neue Dynastie der Abbasiden nicht aufrecht zu erhalten; Spanien hatte von Anfang an die Anerkennung ihrer Oberherrschaft verweigert, und im Laufe des 9. Jahrh.s machten sich andere Gebiete im Osten wie im Westen von der Zentralregierung unabhängig. Aber in religiöser und kultureller Hinsicht bildete das Reich des Islam auch weiterhin eine Einheit unbeschadet der Unterscheidungslehren der Sekten und provinzieller Eigenart. Im 9. und besonders im 10. Jahrh. vollenden die unter der islamischen Hülle fortlebenden Kräfte der vorislamischen Vergangenheit ihr Werk der Umgestaltung, und das Gesicht, das dieser Prozeß ihm aufgeprägt hat, hat der Islam bis auf den heutigen Tag behalten.
Mit diesem letzten Satz ist bereits eine der Thesen, richtiger die Hauptthese des Werkes wiedergegeben, welchem diese
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Zeilen gelten 1). Seinem erst aus seinem Nachlaß von H. Reckendorf veröffentlichten Lebenswerke hat A. Mez, nicht ohne Bedenken, wie uns der Herausgeber mitteilt, den Titel gegeben: „Die Renaissance des Islams“. Was Mez damit meint, wird dem Leser, der den oben gewählten Umweg nicht gescheut hat, nunmehr klar sein: das Wiederauferstehen der Glaubenslehren, Denk- und Lebensformen des vorislamischen Orients, deren Umrisse überall durch die islamische Decke hindurchschimmern. Von diesem Wiederaufstehen ist bei Mez in den meisten Kapiteln irgendwo die Rede. Freilich immer nur in kurzen Hinweisen, nirgends in zusammenhängender Darstellung, wie er sie vermutlich seinem Werke vorausgeschickt hätte, ware es ihm vergönnt gewesen, allerletzte Hand an es zu legen. Aber auch eine solche Darstellung hätte die Bedenken gegen den Titel kaum vollends zu verscheuchen vermocht, denn die „Renaissance des Islam“ in dem oben dargelegten Sinn klingt zwar als Leitmotiv immer wieder durch, umschreibt aber den Inhalt des Buches nur sehr unvollkommen. Was Mez tatsächlich bietet, ist eine Darstellung der geistigen und materiellen Kultur des islamischen Orients im 10. Jahrh., unter besonderer Betonung der Bedeutung dieser Periode, als der jenen Prozeß des Wiederauflebens älterer Formen vielfach zum Abschluß bringenden. Es versteht sich dabei von selbst, daß Mez sich nicht eng an die Grenzen des 10. Jahrh.s hält, das neunte wird sehr ausgiebig mitberücksichtigt und auch Ausblicke auf die spätere Zeit sind nicht selten. Im ganzen aber läßt sich sagen, daß Mez’ Schilderung dort einsetzt, wo sie Alfred von Kremer in seiner „Kulturgeschichte des Orients unter den Chalifen“ (Wien 1875—77) abgebrochen hatte. Denn wenn auch Kremer das 10. Jahrh. vielfach mit einbezieht, so richtet er doch sein Augenmerk in erster Linie auf die Zeit der Omaijaden und der älteren Abbasiden. Daß ein Vergleich von Mez’ Werke mit dem von Kremers diesem Unrecht tun würde, bedarf kaum der Hervorhebung; denn wenn es heute in vielem überholt ist, so ist das mit von Kremers eigenes Verdienst, dessen Fragestellung die Forschung der folgenden Jahrzehnte stark angeregt hat; man denke nur an Goldzihers Muhammedanische Studien. Im übrigen ist die Art beider Werke völlig verschieden; bei Mez ist alles Anschauung, theoretischen Spekulationen, wie sie bei von Kremer einen breiten Raum einnehmen, ist er abhold, und das Allgemeine formuliert er mit knappster Prägnanz. Und in einem ist Mez von vorne herein im Vorteil, daß er fast ausschließlich chronologisch genau fixierbare zeitgenössische Zeugnisse als Quellen seiner Darstellung zu Grunde legen kann. Die kurzen Quellenangaben, auf die sich die Anmerkungen meist, aber keineswegs ausschließlich, beschränken, berücksichtigen alle Gebiete des reichhaltigen Schrifttums jener Zeit, die in jedem nur erreichbaren Umfang heranzuziehen Mez keine Mühe scheute; auch handschriftliche Quellen beutet er vielfach aus.
„Das Reich“, dem das 1. Kap. gewidmet ist, begreift in der Darstellung von Mez auch das Herrschaftsgebiet der fatimidischen Gegenkalifen von Kairo ein, das ganze Gebiet, innerhalb dessen der Muslim ungehindert reisen kann, und das im 10. Jahrh. die Einbuße der an die Byzantiner verlorenen nördlichen Provinzen durch neue Eroberungen in Zentralasien und in Afrika wettmacht. „Die Chalifen“ (S. 7—13) von Bagdad sind damals zur Machtlosigkeit verurteilt, was aber ihrem Ansehen als Quelle aller legitimen Macht keinen Eintrag tut; als solche erkennt sie auch der große Eroberer des Ostens, Mahmud von Ghazna an. Durch kurze biographische Skizzen bringt uns Mez ihre Persönlichkeiten nahe, wie auch die ihrer fatimidischen Gegner. Die tatsächlichen Inhaber der Macht sind „die Reichsfürsten“ (S. 13—28), Männer arabischer, iranischer und türkischer Herkunft, deren Art durch bezeichnende Züge aus ihrem Leben illustriert wird. Die ,,Etikette des Hofes“ (S. 130—46) führte damals neue Titel ein, neue Anredeformen kommen auf, wie auch der Handkuß, ja sogar das Küssen des Bodens, auf dem der Herrscher steht. An der Spitze der Verwaltung des Reiches wie der Territorien steht „der Wesier“ (S. 79—101), der im 10. Jahrh. seinen Feudalbesitz verliert und festes Gehalt bezieht. Der Wesier ist der
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1) Adam Mez [weil. ord. Prof. f. Islamistik an der Univ. Basel], Die Renaissance des Islams. Heidelberg, Carl Winter, 1922. IV u. 492 S. 8°.
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oberste der Schreiber, die damals die Allmacht wiedererlangen, die sie im alten Orient innegehabt, in den Zeiten des Feudalismus aber eingebüßt hatten. „Die Verwaltung‘ (S. 68—79) liegt in den Händen dieses, im Gegensatz zum frühmittelalterlichen Europa, rein weltlichen Beamtentums (des adib oder Kâtib, nicht des faqih; S. 75 lies „Kleriker“ für „Klassiker“). „Die Finanzen“ (S. 101 bis 130) gestatten keine völlig einheitliche Behandlung, hier machen sich die provinziellen Verschiedenheiten stark bemerkbar. Für die Steuerverwaltung, jedenfalls soweit sie mit der Ernte zu rechnen hatte, war das islamische Mondjahr nicht brauchbar, der koptische oder syrische Kalender ging im Westen, der persische im Osten neben dem religiösen des Islam her.
Die Verhältnisse des gleichzeitigen Europa verliert Mez nicht aus dem Auge und den Hauptunterschied findet er in der ungeheuren Menge der Andersgläubigen innerhalb der islamischen Umgebung. „Es sind die Schutzreligionen, die von Anfang an die muslimischen Völker verhindert haben, einheitliche politische Gebilde zu schaffen. Kirche und Synagoge blieben immer fremde Staaten, die auf Verträge und Rechte pochend sich nicht verschmelzen ließen. Sie haben dafür gesorgt, daß das ‚Haus des Islam‘ stets roh gezimmert blieb, daß der Gläubige sich immer als Sieger, nicht als Bürger fühlte, ... sie haben aber anderseits auch wieder ganz moderne Aufgaben gestellt. Die Verpflichtung miteinander auszukommen, schuf vor allem eine gewisse, dem europäischen Mittelalter unbekannte Duldsamkeit. Diese fand auch darin ihren Ausdruck, daß im Islam die vergleichende Religionswissenschaft erfunden und eifrig betrieben wurde“ (S. 29). Diese Duldung umfaßte nicht nur „Christen und Juden“ (S. 28—55), sie kam auch den Zarathustriern und den Sabiern von Harran zugute, die um das Jahr 1000 verschwinden. Sie alle genossen freie Religionsübung, waren in allen Ständen und Berufen zu finden, und auch die obersten Staffeln des Beamtentums waren ihnen erreichbar, was freilich der Menge manchmal mißfiel. Als Schutzgenossen haben sie eine besondere Kopfsteuer zu entrichten, die Kleiderordnungen aber und die Bestimmungen über die Errichtung und die Höhe ihrer Gotteshäuser bleiben damals unbeachtet. Auch in dem Feiern der „Feste“ (S. 405 bis 431) treten die religiösen Unterschiede zurück; die muhammedanische Bevölkerung feiert die landesüblichen Feste mit, ohne ihren Ursprung oder Namen zu verdecken, die christlichen Feiertage wie das Neujahr und die Wintersonnenwende der Perser.
Im Mittelpunkt der Interessen der „Theologie“ (S. 180—202) steht damals die Frage der Attribute Gottes, die Komromisse des Aschari dringen durch und die orthodoxe Glaubenslehre findet ihre abschließende Formulierung; Mez teilt das Glaubensbekenntnis des Kalifen Kahir mit, das „in jedem Worte Narben jahrhundertelangen Streites“ erkennen läßt. Auch die vier „Rechtsschulen“ (S. 202 bis 206) stellen ihren Besitzstand fest, wie er mit Ausnahme der schiitisch gewordenen Länder noch heute gilt.
Am ausführlichsten verweilt Mez bei der „Religion“ (S. 268—332). „Auch das innerste religiöse Wesen des Islams fühlt mit dem 9. Jahrhundert neue Bedürfnisse. Ihnen bieten sich sofort die stets unter der Oberfläche lauernden alten Religionen an, vor allem das Christentum, d. h. die christlich übertünchte hellenistische Welt. Die ganze Bewegung, die in diesen beiden Jahrhunderten den Islam umgestaltet, ist nichts anderes als das Einfluten christlicher Gedankenströme in die Religion Muhammads“ (S. 268). Auch die sufischen Gemeinschaften traten zuerst in Ägypten auf, der Wiege des christlichen Mönchtums, die Askese blüht dann vor allem in Basra, die Mystik in Bagdad, von wo sie sich über das Reich verbreitet. Die Sufis haben dem Islam den Fatalismus aufgeprägt, den sie aber zum amor fati vertieften. Dieser amor fati, die Heiligenverehrung und die Liebe zum Propheten sind seit damals von der islamischen Religion unzertrennlich. Bei den Ketzern, bei Hallādsch nicht minder als bei den Karmaten, wirkt überall das christlich-gnostische Erbe nach. Im Gottesdienst gewinnt die Predigt ihre neue Form und Bedeutung, als die Berufsprediger sie dem Kalifen abnehmen. Auch in der Reimprosa der Predigten des Ibn Nubāta, von denen Mez mehrere mitteilt, und seiner Vorgänger wirkt der Einfluß
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der ebenfalls in Reimprosa gesprochenen christlichen Predigt des ausgehenden Altertums nach. Dem mächtig gesteigerten religiösen Triebe des Jahrhunderts steht die Verachtung alles Kirchlichen gegenüber, wie sie sich am schärfsten bei Abu’l-Ala äußert. Die Schia (S. 55—68), die hauptsächlich alte gemeinorientalische Vorstellungen mit sich führt, beginnt im 10. Jahrh. auf Kosten des orthodoxen Islam vorzudringen. Ihre Hauptsitze sind damals noch Kufa und Basra, das Ostjordanland Chuzistan und die Küste der Persis, während der Osten Persiens noch sunnitisch ist.
Die Wissenschaften beginnen sich aus den „belles lettres“ (adab) herauszuschälen, die „Gelehrten“ (S. 162—180) werden Spezialisten, das bunte Vielerlei der Alleswisser weicht sachlicher Anordnung. Nicht nur die Moscheen haben ihre Bibliotheken, auch die großen Herren sammeln Bücher, und die Bibliophilie blüht. Im Lehrbetrieb tritt das Diktieren zurück (außer bei den Theologen), Erklärung und daran sich anschließende Disputationen nehmen seine Stelle ein, und der höhere Unterricht wird in die Madrasa verlegt, die zuerst in Nisabur aufkommt. Von den Wissenschaften widmet Mez nur der Philologie und der Geographie je einen kurzen Abschnitt (S. 225—27; 264—68). Vielleicht hielt ihn die Scheu, Bekanntes zu wiederholen, davon ab, auf die griechischen Grundlagen der ‚„arabischen“ Philosophie, Medizin und Naturwissenschaften näher einzugehen. Doch aber ist diese Lücke bedauerlich, denn für den Islam der noch nicht europäisierten Gebiete ist das zähe Festhalten an dem wissenschaftlichen Erbe des Griechentums einer der bezeichnendsten Züge geblieben; selbst in Lucknow und Delhi bestehen heute noch Schulen der „griechischen Medizin“ (tibb jūnāni).
An das Kap. „Literatur“ (S. 227—64) tritt der Leser, der sich noch Mez’ Einleitung zu seiner Ausgabe des „Abulkarim“ (Heidelberg, 1902) erinnert, mit besonderen Erwartungen, die nicht enttäuscht werden. Dschahiz, „der Vater der neuen Prosa“, der Briefstil, die Makame, all das wird feinsinnig charakterisiert, nicht minder die Sucht nach dem Originellen (badī) in der Poesie. Wiederum legt Mez dar, wie der Poesie gleichzeitig die Rolle der bildenden Kunst zufiel und erläutert es ausführlich an dem Beispiel des Sanaubari und des Kuschadschim, die bisher kaum Beachtung gefunden haben. Aber auch der Realist Ibn al Hadschdschadsch, der Akademiker Mutanabbi, der zwischen beiden stehende Scharif ar Rida werden gewürdigt, „jeder in seinem Gebiete ein Gipfel, der hoch über all kommenden Jahrhunderte der arabischen Literatur hinwegsieht“. Wohlgemerkt der arabischen. Denn nur von dieser spricht Mez; die persische Poesie und auch die sich im 10. Jahrh. zuerst regende persische Prosa berücksichtigt er nicht, die beide in der Folge für den ganzen Osten der islamischen Welt von so ausschlaggebender Bedeutung geworden sind.
Der altarabische Stolz auf edle Herkunft mußte einer Zeit verloren gehen, in der die Kalifen selbst Nachkommen fremder Sklavinnen waren. Der einzige „Adel“ (S. 144—52) der Geburt, der Anerkennung fand, war der der Nachkommen des Propheten, der Aliden. Ihre Stellung erhöht sich überall und ihr Einfluß steigt auch in Mekka selber. Die „Sklaven“ (S. 52—62) wurden von außerhalb der Reichsgrenzen eingeführt und im allgemeinen gut behandelt; die Waffensklaven brachten es oft zu hohen Stellungen. Um 800 hören wir zuerst von Eunuchen, von der Knabenliebe schon etwas früher; den Arabern war beides von Haus aus fremd. Hier wie in der Freude am Schmutz und an Zoten wirkte das Erbe des alten Orients verheerend auf die „Sittlichkeit‘ (S. 332—358). Auch von der Stellung der Frau, von Krankenhäusern und Ärzten, von Wohltätigkeit und Grausamkeit ist in diesem Kap. die Rede, wie das folgende, „die Lebenshaltung“ (S. 358—387), von den Häusern und ihrer Einrichtung, von Kleidung und Nahrung, von Tanz und Spiel berichtet. (Die S. 359 unten beschriebene Kühlvorrichtung lebt als Tatty noch heute in Indien weiter, die „wie Segel an der Decke hängenden Tücher“ (S. 360) in der Punkah; dagegen bleiben die Schattenspiele aus dem Anfang des 9. Jahrh.s unsicher, denn nur vom chajāl nicht vom chajāl az-zill ist an der bei Mez angeführten Stelle S. 386 Anm. 7. die Rede.)
Dem Abschnitt vom „Städtewesen“ (S. 387—394), den Mez bereits gesondert
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in der Festschrift für Goldziher veröffentlicht hatte, folgt die ausfiihrliche Behandlung der „Warenerzeugung‘“ (S. 405 bis 431), der „Industrie“ (S. 431—441), des „Handels“ (S. 455—461), der „Fluß- und Seeschiffahrt“ und des „Landverkehrs“ (S. 461—483). Auf sie kann hier im Einzelnen nicht mehr eingegangen werden, nur ein Satz sei herausgehoben, der die für die Beantwortung der neuerdings erörterten Frage nach der Zugehörigkeit des Islam zum europäischen oder zum asiatischen Kulturkreis von Bedeutung ist: „Die Bürger des muhammedanischen Reiches waren fast alle Brotesser im Gegensatz zu den sich von Reis nährenden Hindus und Ostasiaten. Von den letzteren besonders unterscheiden sie sich dadurch, daß sie alle Milch trinken. Diese beiden Hauptgrundlagen aller Wirtschaft waren also dieselben wie in Europa, nur hat im Orient das Brot die Gestalt dünner rundlicher Kuchen beibehalten, wie es auch von den europäischen Pfahlbauern geformt war. Und endlich bilden die Getreidearten des muhammedanischen Gebietes eine Einheit mit den europäischen.“
Der nichtfachmännische Leser, dem Mez’ „Renaissance des Islams“ die Kultur des Orients lebensvoll und farbenfroh erstehen läßt, sieht es dem fertigen Gemälde kaum an, daß es das Ergebnis unermüdlicher, sich über Jahrzehnte erstreckender Arbeit im Kleinen ist. Mez hat ein gewaltiges, bisher zum großen Teil unbekanntes oder wenigstens unverwertetes Material zusammengebracht und es zu einer wohlgegliederten, lebendig und anregend geschriebenen und von einem Grundgedanken beherrschten Darstellung gestaltet. Nicht jede seiner Aufstellungen wird der Nachprüfung Stand halten, aber kaum eine Frage hat er angeschnitten, deren Lösung er nicht auch gefördert hätte. Für die Wissenschaft vom Orient ist das Erscheinen seines Werkes, durch dessen Herausgabe sich H. Reckendorf ein neues Verdienst erworben hat, ein Ereignis.
Quelle: Josef Horovitz: Die islamische Kultur des 10. Jahrhunderts. Rezension zum Buch von Adam Mez „Die Renaissance des Islams“ Heidelberg 1922 Carl Winters Universitätsbuchhandlung in Deutsche Literaturzeitung 1923 Nr. 3/6 S. 97-106.
Hinweis: Dieses Buch des Autors Adam Mez kann online über mirador der Universitäts und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Halle unter folgendem Link eingesehen werden:
https://opendata.uni-halle.de/handle/1981185920/100894
urn:nbn:de:gbv:3:5-33017 Kennung: http://dx.doi.org/10.25673/98938