Der Vierungsturmfries des Kaiserdoms in Königslutter (Teil 1)

 

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Das berühmteste Bildwerk des Kaiserdomes von Königslutter, die hirsauische Predigt in Stein an der Außenapsis, erhielt 300 Jahre später ein Pendant am Mauerabschluß des Vierungsturms. Mit den Bildern des Jagdfrieses, des ersten figürlich gefüllten Bogenfrieses auf deutschem Boden, fordern die Reformer des 12. Jahrhunderts den sinnsuchenden Betrachter auf, von der gottgegebenen Willensfreiheit jeweils den rechten Gebrauch zu machen. Im Vierturmungsfries stellten die Vollender des Baues als krönenden Abschluß die wichtigsten der darin zu verehrenden Personen in Halbfigur dar. Die Künstler beider Bildfolgen sind uns nicht bekannt. Wir wissen nur, daß der Schöpfer der Außenapsisornamentik in der großen Aufbau- und Erneuerungszeit Norditaliens nach dem Erdbeben von 1117 geschult worden war und antike Gestaltsvorbilder gut zur Veranschaulichung aktuellen Gedankenguts zu nutzen wußte. Den Meister des Vierungsturmfrieses müssen wir unter den Steinmetzen suchen, die in der Mitte des 15.Jahrhunderts die unvollendet gebliebenen Gotteshäuser der reichen Stadt Braunschweig vollendeten und schmückten. In beiden Fällen war es der Fernhandel, der den Städten den Reichtum für die blühende Baukunst gab.


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Durch die vierzigjährige gute Verwaltung des Landes Braunschweig - Wolfenbüttel unter Heinrich dem Friedfertigen war auch dieses zu hoher Blüte gelangt . So konnte auch in Königslutter die Klosterkirche endlich vollendet werden.

Wie die Suche nach einem Pendant zum brüllenden Löwen nach 1 Petr 5.8 im Kapitell der törichten Jungfrauen zur Schaffung der einzigen lächelnden Löwen der Romanik im südlichen Chorkapitell führte, so ließ das Vorhandensein des Jagdfrieses als weitere Besonderheit dieses Münsters den Figurenfries an der Mauerkrone entstehen. Die hohe Qualität der ursprünglichen Baukonzeption wurde zwar nach dem Tode Kaiser Lothars und der Kaiserin Richenza nicht eingehalten , aber sie verpflichtete doch zu annähernd gediegener Fortsetzung, Beendigung und Erhaltung des Baues.
Dieser Verpflichtung, diesem Stilgefühl, haben wir also die majestätische Mauerkrone als Abschluß der Grabeskirche Kaiser Lothars zu verdanken. Die Komposition zeugt von einem historischen Denken weit vor der Zeit des Historismus.


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Die Qualität der Ausführung wurde wiederholt bemängelt. Ich sehe keinen Grund dafür. Die typischen Feinstrukturen der Kunst dieser Zeit, der Spätgotik, wären bei den 32 Figuren in 42 Metern Höhe nicht erkennbar gewesen. Also verzichteten die Steinmetze darauf, solche herauszuarbeiten. Aus gleichem Grunde verzichteten sie auch auf Gestaltung der Körperhaltung in der damals beliebten S-Form, wie sie das Epitaph des Abtes Bertoldus Keghel (1393 - 1431) im Kreuzgang zeigt, indem sie Halbfigurenreliefs schufen. Diese sind auf jeder der acht Seiten des Turmes symmetrisch im Wechsel mit Ornamenten angeordnet.


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Gemäß dem Bibelwort in Habakuk 3.3 finden wir auf der Südseite Christus und Maria. Sie werden von lautespielenden Engeln flankiert. Das ist eine Variante der im 13. Jahrhundert, in der Zeit des Minnesangs, entstandenen Darstellung der Marienkrönung . Sie ist eine Weiterentwicklung der Bildprogramme des Todes und der Himmelfahrt Mariens, die nach der Zeit des Bilderverbots (726 - 843) auf der Grundlage apokrypher Schriften entstanden. In der Bibel sind weder der Tod Mariens noch ihre Himmelfahrt und Krönung erwähnt.

Das Fest Mariä Himmelfahrt (15. August) , im Osten schon im 6. Jahrhundert gefeiert, wird in Rom Ende des 8. Jahrhunderts festgelegt. Im Leben Kaiser Lothars hatte es eine besondere Bedeutung. Alle seine großen Unternehmungen begann er nach der Feier dieses Festes. Er stellte sie also unter den Schutz der Gottesmutter. Unsere katholische Kirche ist ihr ebenfalls geweiht.


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Die Marienkrönung im rechten Tympanon des südlichen Querschiffportals im Straßburger Münster (um 1230) ist eine der schönsten. Im Gegensatz zu unserer sind die vier Figuren nicht frontal dargestellt, sondern einander zugeneigt. Christus sitzt da links auf dem Thron mit Maria, krönt sie mit der Linken und segnet sie mit der Rechten. Die Engel halten Räucherfässer.
Bei uns sitzt Christus rechts und daneben ist die Sonne als sein Symbol. Bei Maria ist es der Mond. Neben den Engeln ist es jeweils ein Stern.
 
Die im östlichen Giebel der Südseite von St. Katharinen in Braunschweig auf Säulen dargestellten Figuren der Marienkrönung könnten vom gleichen Meister gemeißelt worden sein wie unsere Halbfiguren.


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An der Stützmauer vor dem Eingang des NLK-Neubaus befinden sich Abgüsse von 16 dieser Figuren. Gleich die erste zeigt die gekrönte Jungfrau in der für spätere Darstellungen typischen frontalen Gebetshaltung (s. Foto).

Fortsetzung folgt.
Otto Kruggel
27.07.1996


Veröffentlicht in:
Das Jahreszeiten Magazin der Lutteraner Druckfabrik
Hrsg. Ralph Lüders Königslutter Kultur im Spätsommer '96
  S. 3-5

 

 

 


Der Vierungsturmfries des Kaiserdoms in Königslutter (Teil 2)

Auf der SW-Seite des Vierungsturmfrieses unseres Kaiserdomes sind die vier Evangelisten dargestellt. Als Halbfiguren am gekröpften Lesepult mit Buch und Redegestus stehen sie als Verkünder der frohen Botschaft der Mitte zugewandt. Haltung und Kleidung sind an das antike Redner- und Philosophenbildnis angelehnt. Die frühesten Darstellungen befinden sich in den römischen Katakomben. Seit dem 6. Jahrhundert gibt es sie in der Buchmalerei. Während sie in der Hofschule Karls des Großen meist jugendlich-bartlos erscheinen, sehen wir sie hier in der spätmittelalterlichen Version, in der allein Johannes jung und bartlos ist. Im Evangeliar Heinrichs des Löwen gibt es beide Arten der Johannes-Darstellung. Im Krönungsbild ist er jung und bartlos, im Autorenbild alt mit langem weißen Haar und Bart.

Die Reihenfolge von Christus, also von der Südseite her, ist die der Itala-Bibel nach dem Rang: Matthäus, Johannes, Lukas, Markus. Die Apostel Matthäus und Johannes als Augenzeugen rangieren vor den Apostelgefährten und Ohrenzeugen Lukas und Markus.
Für die Ornamente Lilie, Blattrosette, Stern und Blüte in den Zwischenfeldern sind keine Bezüge zu den Evangelisten belegbar.

Im Kircheninnern haben diese ihrer Bedeutung als Zeugen des Leben Jesu und Autoren der kanonisierten Evangelien gemäß ihren Platz in der Majestas Domini in der Apsiskalotte. Dargestellt sind sie durch ihre Symbole und gekennzeichnet durch Namensbänder. Sie umgeben im kosmischen Viereck den in der Mandorla thronenden Weltenrichter: S. MATTHÄUS als Mensch links oben, und gegen den Uhrzeigersinn folgen S. MARKUS als Löwe, S. LUKAS als Stier und  S. JOHANNES als Adler. (s. Foto)

Die Darstellung der Evangelistensymbole lehnt sich an die Visionsberichte in Ez 1, 6-11 und besonders Apk 4, 1-11 an, folgt ihnen aber fast nie wörtlich. Da sie meist mit Flügeln und Nimbus dargestellt wurden, erscheint die Menschengestalt als Engel.
Der erste Gesamtdarsteller der christlichen Lehre, der heilige Irenäus (um 150 - 202), sah in diesen vier Lebewesen Symbolisierungen der vier Hauptereignisse im Leben Jesu: Mensch = Menschwerdung, Stier = Opfertod, Löwe = Auferstehung, Adler = Himmelfahrt.
Die mittelalterliche Typologie kompiliert diese Symbole oft mit anderen Viererreihen. Auf dem berühmten Bronzetaufbecken im Hildesheimer Dom sind unter den anthropomorphen Evangelistensymbolen die vier großen Propheten, die vier Kardinaltugenden und die vier Paradiesflüsse zu sehen. Auch die vier Elemente werden ihnen zuweilen zugeordnet.
In unserem Turmfries folgen ihnen die vier Patrone der Kirche und die vier lateinischen Kirchenväter.

MATTHÄUS (= Gabe des Herrn) wurde der Zöllner Levi aus Kapernaum nach seiner Berufung durch Jesus genannt. Die oft widersprüchlichen Angaben über sein Leben und Sterben sind legendär. Als gewiß gilt, daß er das erste Evangelium, die Lebensgeschichte und Worte Jesu, 20 - 30 Jahre nach dessen Tod in Aramäisch, der Umgangssprache der Isrealiten, niederschrieb. Sein Leib wird in der Krypta von San Matteo in Salerno aufbewahrt, wo er Stadt- und Bistumspatron ist. Außerdem wird er als Patron der Zöllner, Finanzbeamten, Buchhalter, Wechler und Trinker genannt. Sein Festtag ist der 21. September.

JOHANNES (= der Herr ist gnädig), Sohn des Zebedäus und Solomes, der Schwester Mariens, war Fischer wie sein Vater und wurde zusammen mit seinem älteren Bruder Jakobus von Jesus, ihrem Vetter, zum Apostel berufen. Er gehörte mit seinem Bruder und Petrus zum engeren Jüngerkreis und bezeichnete sich wiederholt als den Jünger, den Jesus liebte. Während des letzten Abendmahls lehnte er an der Brust des Herrn, mit Maria stand er allein unter dem Kreuz und seiner Obhut empfahl der Gekreuzigte seine Mutter. Unter Domitian wurde er nach Patmos verbannt. Dort soll er das Johannes-Evangelium und die Apokalypse geschrieben haben. In seinen späten Lebensjahren leitete er die von Paulus gegründete Gemeinde in Ephesus, wo er 70 Jahre nach Christi Tod starb und sich selbst bestattete. Über seinem Grab wurde unter Justinian I. (527 - 565) die sechskuppelige, säulenreiche Johanneskirche gebaut.
Er ist u.a. der Patron der Bildhauer, Buchhändler, Schreiber, Glaser und Theologen. Seine Festtage sind der 6. Mai und der 27. Dezember.

LUKAS, ein Arzt aus Antiochien, soll von 21 v. - 63 gelebt haben und Paulus auf seinen Missionsreisen begleitet haben. Das Evangelium und die Apostelgeschichte schrieb er für einen gewissen Theophilus nach Berichten über die Vorgeschichte und das öffentliche Wirken Jesu und seiner Apostel. Von den Legenden um ihn erreichte die des Madonnenmalers die breiteste Tradition und Darstellung. Aus ihr entwickelten sich die mittelalterlichen Malergenossenschaften der Lukasbrüder. Er ist der Schutzpatron der Maler, Bildhauer, Buchbinder, Metzger und Goldarbeiter. Sein Festtag ist der 18. Oktober.

MARKUS soll ein Neffe des Erzmärtyrers Stephanus, Begleiter von Petrus und erster Bischof von Alexandrien gewesen sein und dort im Jahr 67 das Martyrium erlitten haben. Sein Leichnam wurde 829 mit List von Bucoles nach Venedig gebracht, und 830 erhielt Mittelzell auf der Reichenau angeblich Markusreliquien. Im "Wittenberger Heiltumsbuch" des Lukas Cranach von 1509 ist ein silbernes Markusreliquiar aus dem Reliquienschatz Friedrichs des Weisen in Wittenberg abgebildet. Das Markusfest wurde am 25. April gefeiert und oft mit Bitten um gute Ernte verbunden. Außerdem wendeten sich besonders Notare, Glasmacher, Korb- und Mattenflechter, Bauarbeiter und Laternenmacher mit Bitten an ihn.

Kaiser Lothar soll seinem Hauskloster mit vielen anderen Reliquien auch Zähne der Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas gestiftet haben.


Fortsetzung folgt
Otto Kruggel
29.03.1997

 

 

Adolf Lüders "Die Neuvermalung des Querhauses"

"2. Die Kreuzarme.

An den beiden Pfeilerflächen des Triumphbogens finden sich die Bilder Moses und Johannes. Moses mit den Gesetzestafeln zeigt die Randschrift: Lex.moysi.data.est (Das Gesetz ist durch Moses gegeben) und Johannes mit dem Lamm Gottes die Inschrift: Gracia. venit. per. Christum (Gnade kommt durch Christum). Gegenüber an den beiden östlichen Vierungspfeilern haben die Bilder des Kaisers Lothar und seiner Gemahlin Richenza ihren Platz gefunden. Im Querhause selber sind an den 6 oberen Wandflächen je sieben auf Wolken schwebende Engel dargestellt, von denen die beiden Chöre an der Nord- und Südwand mit Musikinstrumenten versehen sind, während die anderen vier Chöre an den Ost- und Westseiten Spruchbänder in den Händen halten. Der musizierende Chor an der nördlichen Giebelwand hat die Unterschrift: Gloria . in .excelsis . Deo . in .terra . pax. hominibus.bonae.voluntatis (Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen). Der zweite musizierende Engelchor an der südlichen Giebelseite trägt die Unterschrift: Attollite .portas .principes. vestras . et .elevamini .portae . acternales .et . introibit .rex .gloriae (Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe). An der Westseite des nördlichen Kreuzarmes singt der 1. Chor: Salus .et .laus. et . gloria .et .virtus .Domino (Heil und Preis, Ehre und Kraft sei Gott, unserm Herrn). --Quia . vera. et .iusta .indicia .sunt .eius (Denn wahrhaftig und recht sind seine Gerichte). -- Et.fumus .eius .ascendit. in .secula .seculorum (Und der Rauch gehet auf ewiglich). --- Auf dem 3., 5. und 7. Spruchbande befindet sich das Halleluja. Auf der gegenüberliegenden Ostwand singt der 2. Chor: Laudem .dicite .Deo . nostro .omnes .servi .eius (Lobet unsern Gott alle seine Knechte). Alleluja!  quoniam .regnavit .Dominus. Deus .omnipotens (Halleluja! denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen). -- Gaudeamus . et .exaltemus. et . demus .gloriam .ei (Lasset uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben). Auch hier dreimal das Halleluja! Die beiden Seitenwände des südlichen Kreuzflügels zeigen ebenfalls zwei singende Engelchöre und zwar die Westseite mit folgenden Inschriften: Coeli .enarrant .gloriam .Dei (Die Himmel erzählen die Ehre Gottes). -- Magnus .Dominus. et .laudabilis (Groß ist der Herr und hochberühmt). -- Dominus .regnavit .decorem .indutus .est (Der Herr ist König und herrlich geschmückt). -- Omnes .gentes .plaudite .manibus (Frohlocket mit den Händen alle Völker). Außerdem abwechselnd dreimal: Sanctus, sanctus, sanctus (Heilig, heilig,heilig ist Gott der Herr Zebaoth!). Die Spruchbänder des Engelchores auf der Ostseitezeigen folgende Inschriften: Laudate. Dominum .in .sanctis .eius (Lobet den Herrn in seineın Heiligtume).  Laudate .cum  .in .virtutibus . eius (Lobet ihn in seinen Taten). --Laudate .eum .in .sono , tubae (Lobet ihn mit Posaunen). --Omnis .spiritus . laudet .Dominum .alleluja! (Alles, was Odem hat, lobe den Herrn, halleluja!). -- Hier wiederum abwechselnd: Sanctus, sanctus, sanctus."



Auszug aus:
Der Kaiserdom zu Stift Königslutter.
Zugleich ein Führer durch diesen.
Unter geschichtlicher und architektonischer Berücksichtigung
beschrieben von Adolf Lüders.
Mit mehreren Abbildungen im Texte
im Anhange:
Die farbige Ausstattung des Domes durch Wand- und Glasmalerei in ihren Einzelteilen.
Einige Klostersagen und ein Verzeichnis der Aebte des Stiftes und der Pastoren an der Stiftskirche.

Königslutter. Druck und Verlag von Heinrich Lüders 1904  S. 51-52