Rede Dr. August Neander's vom 18.02.1846
Rede Dr. August Neander's
gehalten bei der akademischen Feier des 300 jährigen Todestages Luther's am 18ten Februar 1846.
Herausgegeben von dem Neanderschen Verein zur Unterstützung armer kranker Theologie-Studirender in Berlin.
Berlin, 1846. In Commission bei Justus Albert Wohlgemuth, Neu-Cöln a. W. No. 19.
Vorwort.
Durch die Güte unseres hochverehrten Stifters und Ober-Vorstehers, Herrn Professor Neander, haben wir, auf unsere Bitte, diese Rede, bereichert durch einige Zusätze, die nur wegen Mangel an Zeit bei dem Vortrage selbst wegfielen, zum Druck erhalten. Wir hoffen durch denselben einen doppelten Zweck zu erreichen, nämlich einmal, daß die Rede auch in weiteren Kreisen bekannt werde und Segen stifte, und dann, daß unser Verein, der gerade jetzt durch so viele, wegen einiger langwieriger Krankheitsfälle nothwendig gewordene Ausgaben, der außerordentlichen Unterstützung von Außen sehr bedürftig ist, nächst dem Vortheil, den ihm der zu hoffende Rein-Ertrag von diesem Schriftchen bringt, sich auch noch durch dasselbe in weitern Kreisen neue Freunde und Wohlthäter erwerbe. Sollte
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Letzteres der Fall sein, so bittet der Unterzeichnete in allem Weiteren sich an ihn wenden zu wollen.
Des Herrn Segen begleite denn auch dieses Büchlein in die Welt hinaus.
Berlin, den 21. Februar 1846.
Im Namen des Vorstandes des Neanderschen Vereins zur Unterstützung armer kranker Theologie-Studirender in Berlin.
Der Direktor des Vereins,
Gotthelf Huyssen, Stud. theol.,
Werderschen Markt No. 3.
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Meine theuern und verehrten Herren Collegen,
Meine innig geliebten Herren Commilitonen!
Den Eindruck, welchen die Nachricht von dem Tode Luthers vor 300 Jahren auf die evangelische Kirche machte, schildern uns am besten die Worte, durch welche Luthers Kampfgenosse, der große praeceptor Germaniae, Philipp Melanthon, an dem darauf folgenden Tage die Wittenberger Studenten von diesem so eben vernommenen traurigen Ereignisse benachrichtigte. Als sie um 9 Uhr Morgens zusammengekommen waren, um seine Vorlesungen über den Römerbrief zu hören, sprach er zu ihnen: „Ihr wißt, das wir die Erklärung des Briefs an die Römer übernommen haben, in welchem die wahre Lehre vom Sohne Gottes enthalten ist, welche Gott durch seine besondere Gnade in dieser Zeit durch unsern ehrwürdigsten Vater und unsern theuersten Lehrer, den Dr. Martin Luther uns offenbart hat.” Und nachdem er die wahren Umstände von dem Tode Luthers ihnen berichtet hat, schließt er mit den Worten: „Ach! hinweggenommen ist der Wagen Israels und dessen Lenker, der, welcher die Kirche in diesem letzten Alter der Welt regiert hat. Denn nicht durch menschlichen Scharfsinn ist die Lehre von der Sündenvergebung und von dem Vertraun auf den Sohn Gottes erkannt, sondern von Gott durch diesen Mann offenbart worden, wie wir auch erkennen, daß er dazu von Gott erweckt worden. Laßt uns also das Andenken dieses Mannes und die von ihm überlieferte Lehre lieben und demüthiger sein, und — setzt er hinzu, indem er mit seinem historischen Blicke in die Zukunft schaute — laßt uns an die großen Unglücksfälle und Veränderungen denken, welche auf diesen Fall folgen werden!”
Was Melanthon hier von der Art sagt, wie das Andenken des aus seinem irdischen Wirkungskreise abgerufenen Glaubenshelden gefeiert werden solle, geht ja wohl alle Jahrhunderte an, in welchen dieser Tag wiederkehrt, geht auch uns an, um desto mehr, je mehr wir unter den Bewegungen unsrer Zeit, die oft den Namen Luthers im Munde führt, fern von dem, was ihn beseelte und was er wollte, und was er dem wesentlichen Grunde nach auch im neunzehnten Jahrhundert nicht anders wollen würde, wo viele, indem sie sich auf Luther berufen, nur einen Reformator, nicht, wie er war, sondern wie sie ihn gern haben wollten, darunter meinen, je mehr wir in solcher Zeit daran gemahnt werden müssen, die evangelische Wahrheit treu festzuhalten, die wieder ans Licht zu bringen und von der zu zeugen Luthers
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göttlicher Beruf war. Aber bildet denn Luthers Tod einen solchen Epochemachenden Abschnitt in der Entwickelung des von ihm ausgegangenen Werkes, daß wir dadurch aufgefordert würden, demselben eine besondere Erinnerungsfeier zu widmen? Ist ein solches Ereigniß wohl in eine Klasse zu setzen mit den Momenten der Reformation, deren Andenken dieses Jahrhundert bisher gefeiert hat, die von Luther bekannt gemachten Thesen, die Augsburgische Confession? Allerdings wird kein solcher Entwicklungsknoten der Reformation dadurch bezeichnet, wenn auch ein neues Stadium in dem Entwicklungs-Processe der Reformation dadurch bedingt ist, daß Luthers überlegene Persönlichkeit die mannichfachen streitenden Elemente, nicht mehr zusammenhalten konnte. Sollte nicht vielmehr der Geburtstag des großen Reformators eine Feier verdienen, als der zunächst nur verneinend und auflösend wirkende Todestag? Aber es ist dem alten christlichen Gebrauche zuwider, den Geburtstag der Glaubenshelden zu feiern. Gegenstand der Feier waren unter den alten Christen nur die Todestage, welche man als die natalitia der aus den Kämpfen des irdischen Lebens zu dem verklärten jenseitigen Dasein Abgerufenen betrachtete. Eine Ausnahme machte man ja nur mit dem Heiland, dessen Geburt das Heil der Welt gründete, und nachher mit Johannes dem Täufer wegen der Beziehung, in der seine Geburt zu der Geburt Christi stand. Freilich wenn man die Todestage der Märtyrer feiert, so hatte ein solcher Tod ja besondere, eine positive geschichtliche Bedeutung. Indessen derselbe Gebrauch fand auch in Beziehung auf andre theure Verstorbene statt, und dann kommt es ja nicht darauf an, ob Einer durch einen gewaltsamen Tod zeugt von dem, was die Seele seines Lebens war, oder ob er davon zeugt unter den oft nicht minder schweren Kämpfen, welche dem natürlichen Tode vorangehen. Und ein solches Zeugniß hat eben Luther abgelegt. Wenn Solon einst sagte, daß Keiner glücklich zu preisen sei vor seinem Tode wegen der Unsicherheit der menschlichen Schicksale, so können wir von einem christlichen Standpunkte aus dieses anwenden auf das, was dem Leben seine wahre Bedeutung giebt. Nur wer, die Aufgabe seines Lebens erfüllend, ausharrt im Kampf bis zu Ende, ist von uns selig zu preisen, kann als glorreiches Beispiel der Nachahmung uns erscheinen. Auf das Ausharren bis zu Ende legt ja überall die heilige Schrift so großes Gewicht. Die Tugend der Beharrlichkeit, welche der alten Kardinaltugend der fortitudo entspricht, wird nicht ohne Grund so von ihr gepriesen. Dieses gilt ja besonders von so bewegten Zeiten wie das Zeitalter der Reformation war und das unsrige ist, daß Alles darauf ankommt, ob Einer, festgegründet auf dem Felsen, der unerschütterlich besteht unter allen Meereswogen und
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Stürmen, mit dem triplex circa pectus aes des Glaubens ausharrt unter allen Kämpfen bis zu Ende. Und diese große Bedeutung hat für uns das Hinscheiden dieses Mannes, im Zusammenhang mit den begleitenden Umständen betrachtet. Wenn uns seine in den Thesen, zu Worms, zu Koburg, während des Augsburger Reichstages abgelegten Glaubenszeugnisse so wichtig sind, so gehört dazu auch insbesondere das letzte Zeugniß, das er in der Todesstunde ablegte, wodurch er unter den letzten Todeskämpfen das Siegel auf das Reformationswerk drückte; denn es bezieht sich ja auf das, was der unwandelbare Grund der Reformation ist. Auch das größte menschliche Leben ist nicht frei von den Gebrechen, die allem Menschlichen ankleben, wenn wir das Eine Leben ausnehmen, welches allein als Urbild und Vorbild für die ganze Menschheit dasteht. Gewaltige Naturen, dazu bestimmt große Rüstzeuge in der Hand Gottes zu bilden, haben auch desto mehr mit sich zu kämpfen. So geschieht es denn, daß dem göttlichen Werk, dem sie zu Organen dienten, eigenthümliche Trübungen sich beimischen. Es entstehen daraus Dissonanzen im Leben und es ist nun desto größere Freude, wenn mitten unter diesen Dissonanzen eine himmlische Harmonie das letzte, stille Ausscheiden bezeichnet. So war es bei Luther. Lassen Sie uns die betrübenden Umstände, welche seinem Tode vorangingen, und den Samen späterer Zerwürfnisse enthielten, wichtig auch für unsre Zeit, näher ins Auge fassen, um dann durch den Hinblick zu dem, eines solchen Lebens würdigen Tode uns zu erquicken und zu erheben.
Hier ist erstlich zu erwähnen der beginnende Wiederausbruch der Abendmahlsstreitigkeiten. Daß in der Reformation verschiedene eigenthümliche Richtungen des christlichen Geistes hervortraten, wollen wir nicht für ein Uebel halten. Es entspricht dieses dem nothwendigen Gesetze aller menschlichen Entwicklung, welchem auch das Christenthum folgt, daß, nachdem zuerst das Bewußtsein der höheren Gemeinschaft und Einheit die eigenthümlichen Verschiedenheiten übersehen ließ, nachher diese ihr Recht geltend machen. Wo Leben ist, ist frische eigenthümliche Entwicklung; Einförmigkeit ist der Tod. Die durch das Joch einer veräußerlichten Kirche unterdrückten oder gehemmten Eigenthümlichkeiten mußten durch den Lebenshauch der Reformation neu befruchtet werden, mußten in dem Elemente der gegebenen Freiheit sich von Neuem frei entwickeln. Aber das war vom Argen, daß man über den untergeordneten Differenzen die höhere Einheit in dem Principe der Reformation, in dem Grundwesen der ans Licht gebrachten evangelischen Wahrheit vergaß. Dieses war der Keim neuer dogmatischer Einseitigkeit, eines neuen
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dogmatischen Despotismus und Buchstabendienstes. Luther wurde hier dem Principe untreu, das er in den ersten Jahren bis nach seiner Rückkehr von der Wartburg in so manchen herrlichen Worten ausgesprochen hatte. Wir wollen nicht verkennen, daß auch hier bei dem großen Manne ein tiefes christliches Interesse, und ein für diese Entwicklungszeit der Reformation wichtiges Interesse zu Grunde lag, daß er beseelt war von einem prophetischen Gefühle der Gefahr, welche der evangelischen Kirche und dem Christenthum von einem gewissen einseitigen, subjektiven und idealistischen Elemente drohte, wie dieses leicht schon früher um sich gegriffen haben würde, wenn es nicht in Luthers kernhafter christlicher Persönlichkeit ein so mächtiges Gegengewicht gefunden hätte. Er selbst weissagt von denen, die mit eitel Geisterei umgehen, sie würden Christus zu einem bloßen Propheten machen, und es dahin bringen, daß man diese hohe Person und Historie verlieren werde.
Aber wir dürfen auch den Antheil nicht vergessen, den die Fehler des großen Mannes daran haben. Es ist leichter, solchen Fehlern nachzufolgen, als die großen Tugenden, ohne welche die evangelische Kirche nicht zum Dasein würde gekommen sein, nachzubilden. Luther selbst war ja am meisten davon fern, sich zum Heiligen machen zu wollen, wie er auf dem Reichstage zu Worms, indem er seine Person Preis gab, so herrlich darüber sich aussprach. Und dies gehört zu dem Schönsten an dem Manne, dessen Demuth Kraft, und dessen Kraft Demuth war. Als ihm im Jahre 1521 seine Heftigkeit und Schroffheit in der Polemik zum Vorwurf gemacht worden, antwortete er dem, welcher dies an ihm gerügt hatte: „Mit Recht mahnst du mich an Mäßigung. Auch ich selbst fühle es, aber ich bin meiner nicht mächtig; ich weiß nicht, von welchem Geist ich fortgerissen werde, da ich mir doch bewußt bin, gegen Keinen übel zu wollen. Aber jene Leute dringen mit so großer Wuth auf mich an, daß ich gegen den Satan nicht genug auf meiner Acht sein kann. Daher bete für mich zu dem Herrn, daß er mir gebe, so gesinnt zu sein, so zu reden und zu schreiben, nicht wie es ihrer, meiner Widersacher, sondern wie es seiner und meiner würdig ist.” Gewiß gehört viel dazu, daß ein solcher Geist unter so großen Erfolgen und so gewaltigen Bewegungen so sich selbst kennen und richten konnte. Jene unglückselige Spaltung, an der auch Luther sein Theil Schuld mit hatte, schien durch die Wittenberger Concordie vom Jahre 1536 endlich beigelegt zu sein. Luther selbst schrieb ja im Jahre 1537 den Schweizern, „daß er die Concordia von Herzen gern sehe, und, Gott gelobt, des Fechtens und Schreiens sei bisher genug gewesen, wo es hätte sollen etwas ausrichten. Die
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Zwietracht habe weder ihm, noch Jemandem geholfen, sondern vielen Schaden gethan. Gott verleihe uns zu beiden seinen heiligen Geist, der unsre Herzen zusammenschmelze in christlicher Liebe, allen Schaum und Rost menschlicher und teuflischer Bosheit und allen Verdacht ausfege, zu Lob und Ehr seinem heiligen Namen, zuwider dem Teufel und Papst und allen seinen Anhängern.” Doch die Zeit war noch nicht reif für eine solche höhere Einigung. Eine unirte Kirche, als das Werk Gottes zur Bezeichnung einer neuen höheren Entwicklungsstufe, welche, allem Individuellen sein Recht lassend, den gemeinsamen Grund der Einheit in Christo festhält, sollte der Zukunft vorbehalten bleiben. Luther, der bei seinem Tode erst über das 63ste Jahr hinaus war, war durch seine vielen Arbeiten, die mannichfachen Bekümmernisse, die auf ihn einstürmten, und Krankheiten früh gealtert. Diejenigen, welche so leicht in der Umgebung großer Männer sich bilden, die vielmehr dem Buchstaben von dem, was diese wollen, dienen, als dem Geist, ihren Fehlern und Schwächen vielmehr huldigen, als ihren Tugenden, solche Leute hatten sich in jener letzten Zeit Luther angeschlossen, und von diesen ging die Aussaat manchen Unheils aus. So auch benutzten sie Luthers Schwächen, um den Abendmahlsstreit von Neuem anzuregen. –
Als das Zweite unter dem Trübenden jener letzten Jahre, als etwas noch Betrübteres, betrachten wir die beginnende Spannung zwischen den beiden großen Männern, die von dem Herrn erkoren waren, um mit gemeinsamen Kräften das Werk der Reformation fortzuführen, einander hier gegenseitig zu ergänzen. Zweierlei mußte zusammenkommen, um das Werk der Reformation vorzubereiten, Zweierlei, um sie einzuführen, und Zweierlei, wie wir ein Zeichen der Zukunft daraus nehmen können, gehört dazu, um das, was sie uns verliehen hat, zu erhalten und fortzubilden, das religiöse Element, was aus der Tiefe des Gemüths hervorgeht, und das wissenschaftliche Element, welches der Beseelung durch das religiöse sich hingiebt, eine intellektuelle Entwicklung, welche das in sich aufgenommen hat und von dem beseelt wird, was der Geist Gottes nur in der stillen, heiligen Werkstätte des in sich gesammelten Gemüthes zum Leben fördern kann. Was nun das Letzte betrifft, so war die Vorbereitung der Reformation in dem tiefen christlichen Gemüthsleben des deutschen Volkes, das sein eigenthümliches Wesen einbüßen, das entdeutscht werden muß, wenn es einer einseitigen Verstandesaufklärung sich hingiebt. Das, was man, im Gegensatz gegen den dürren Dogmatismus der späteren Scholastik, mit dem Namen der mystischen Theologie zu bezeichnen pflegt, war die Geburtsstätte der Reformation, wie das religiöse Leben Luthers selbst
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davon ausgegangen war, und wie er eine, daher entstandene Theologie im Jahre 1516 mit dem Namen einer deutschen und wittenbergischen Theologie bezeichnete. In Beziehung auf das Zweite sagt Luther selbst, daß keine bedeutende Offenbarung des göttlichen Wortes je erfolgt sei, ohne daß vorangegangen wären, wie ein Johannes der Täufer, als Vorbereitung dafür, die wiederauflebenden Wissenschaften und Sprachen. So mußte nun auch in der Reformation selbst zusammenwirken Luthers hinreißende Macht der Begeisterung, das Urkräftige, wahrhaft Prophetische in diesem Manne, was bei keinem der andern Reformatoren etwas Aehnliches findet, womit nichts nach den Aposteln zu vergleichen ist, und die klassische Bildung, die wissenschaftliche Besonnenheit und Klarheit Melanthons. Er war der προφητης zu jenem μαντις. Nie würde Melanthon das geworden sein, was er wurde, ohne den schöpferischen, belebenden Hauch, der von Luthers Begeisterung auf den Jüngling überging, ohne jene heilige Flamme, von der er sich miterwärmt fühlte, wie er sich selbst darüber ausdrückt. Was hätte aus Luthers Paradoxien hervorgehen können ohne die mildernde Besonnenheit Melanthons! Wozu hätte aber auch Melanthons weichere Gemüthsart, seine die Zukunft berechnende Besorgniß sich fortreißen lassen können, wie es bei den Unterhandlungen auf dem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1530 sich zeigt, wenn Luthers sicherer, prophetischer Takt und seine durchgreifende Heldenkraft, seine unerschütterliche Glaubenszuversicht ihm nicht zur Seite gestanden hätte! Wir können nun in Melanthons Verhältniß zu Luther drei Stadien unterscheiden: zuerst wie er als Jüngling von Luthers Begeisterung ganz hingerissen wird, mit kindlicher Liebe und Verehrung ihm anhängt; in der Zeit als Melanthon schrieb: „Ehe möchte ich sterben, als von diesem Manne mich trennen,” als er erklärte, den Geist dieses Mannes, der von der Vorsehung zu diesem Werke bestimmt scheine, nicht meistern zu können, und als Luther mitten in der größten Gefahr von Augsburg dem ein und zwanzigjährigen Jüngling schrieb: „zeige dich als Mann, wie du es auch thust und lehre die Jugend das Rechte, ich gehe hin, für sie und für euch mich zu opfern, wenn es Gott gefällt;” sodann die Zeit, in welcher die individuelle, selbstständige Entwicklung Melanthons hervortritt, ein Gegensatz lutherischer und melanthonischer Theologie sich schon unterscheiden läßt, aber doch die Geistesgemeinschaft und Freundschaft zwischen beiden dadurch nicht getrübt werden kann; und jene erwähnten letzten Jahre im Leben Luthers, da es schon denen, welche dem Schatten des großen Mannes huldigten, zu gelingen begann, einen Zwiespalt zwischen den beiden großen Männern anzuregen, obgleich Melanthons
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weise Geduld und Selbstverläugnung viel trug, um dieses zu hindern, und das große Herz Luthers über seine Schwächen immer wieder siegte.
In einer Zeit nun, da solche Zerwürfnisse das Leben Luthers verbitterten, da er dem Ausbruche des Krieges in Deutschland entgegen sah und den Wunsch aussprach, früher abzuscheiden, ehe das Unglück angehe über Deutschland, da erfolgt jener schöne Tod, ein eines solchen christlichen Lebens würdiges Ende. Es waren seine letzten Worte das Bekenntniß von dem, wofür er seit dem Thesenstreite gekämpfet hatte, wie es sich in diesem Gebet ausspricht: „Mein himmlischer Vater, ewiger barmherziger Gott! Du hast wir deinen lieben Sohn, unsern Herrn Jesum Christum, offenbart; den habe ich gelehrt, den habe ich bekannt, den liebe ich und den ehre ich für meinen Heiland und Erlöser.” Und zuletzt: „In deine Hände empfehle ich meinen Geist; du hast mich erlöset, Gott der Wahrheit. Ja, also hat Gott die Welt geliebt!” Hier haben wir in den letzten Worten, die der große Glaubenszeuge aussprach, im Begriff von der Welt zu scheiden, das Princip der Reformation, von dem Alles, was sie für alle Zweige menschlicher Entwicklung Großes gewirkt hat, ausgegangen ist und allein ausgehen kann, das Princip, welches kein anderes ist, als Christus, der Grund, auf welchem das ganze Leben der Kirche und aller ihrer einzelnen Glieder ruht.
Aber wir hören ja auch von so vielem Andern reden, was von der Reformation ausgegangen sein soll und worin ihr Wesen gesetzt wird, die Befreiung von dem Papstthum, der Hierarchie und jeder äußerlichen Kirchenautorität, die Emancipation des Geistes, die freie Entwicklung der Wissenschaften. Sollen wir denn läugnen, daß alles Dieses mit dem Wesen der Reformation zusammenhängt, oder sollen wir alles Dieses auf jenes eine Grundprincip zurückführen? In der That muß es fern von uns bleiben, auch in allem Diesen den, von der Reformation ausgegangenen ungeheuren Umschwung zu verkennen; aber nur macht alles Dieses noch nicht das Wesen der Reformation aus. Alles Dieses ist noch nicht, was Luther ursprünglich wollte; es sind nur Resultate, welche von dem Principe der Reformation, wie es in seinem innersten Leben sich entwickelte, sobald dieses einmal in die Geschichte eintrat, ausgehen müssen und ausgegangen sind, aber ohne einen von Luther dazu gemachten Plan. Das, was ihn ursprünglich erfüllte, war etwas Anderes und von höherer Art, die Wurzel im göttlichen Leben, aus welcher alle jene schönen Früchte, anziehend auch für Diejenigen, welche die in der Tiefe verborgene Wurzel nicht zu erkennen vermögen,
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hervorgegangen sind. Luther war ja ursprünglich fern davon, von dem Papstthum und der Autorität der Kirche abfallen zu wollen; ihm war es nur um den Einen Christus zu thun, in welchem er unter seinen schweren Kämpfen im Kloster zu Erfurt Ruhe und Frieden gefunden hatte, wie Luther selbst unter den Streitigkeiten mit Eck, als er zuerst genöthigt wurde, gegen den Papst aufzutreten im Jahr 1519, an den chursächsischen Hofprediger Spalatin schrieb: „Nie ist es mir in den Sinn gekommen, von dem römischen Stuhle abzufallen. Ich bin zufrieden, daß er Aller Herr genannt werde, auch sei. Was geht das mich an, da ich weiß, daß auch die Gewalt des Türken geehrt und getragen werden muß. Aber das thue ich nach meinem Glauben an Christus, es nicht zu dulden, daß sie sein Wort willkürlich hin und her drehen und schänden. Mögen mir die römischen Gebote das Evangelium rein lassen und alles Andre nehmen: es soll mich wenig kümmern!” Aber eben dieser, von ihm verkündete Christus machte ihn selbst und Andre frei von dem Papstthum und stürzte es durch ihn, was keine andre Macht hätte zu wirken vermocht. Es kann auch ohne diesen Christus nichts helfen; denn wer den römischen Papst nicht hat, wird einen andern sich machen, wenn Christus nicht im Innern wohnt und die wahre Freiheit dem Geiste verliehn. Davon zeugt Luther selbst, denn im Jahre 1522, als man während seiner Abwesenheit zu Wittenberg angefangen hatte auf jene negative und zerstörende Weise zu reformiren, viel Lärm und Geschrei zu machen, alles darin zu setzen, daß man auf den Papst und das Papstthum schimpfte, gegen Götzendienst eiferte, Bilder zerstörte, in den Fasten Fleisch aß, da fühlte er sich gedrungen, trotz aller drohenden Gefahr unter der bethörten Menge zu erscheinen, und er sprach, indem er seine Art zu reformiren der ihrigen entgegensetzte: „Ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst habe ich nichts gethan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich Wittenbergisch Bier mit meinem Philippo und Arnsdorf getrunken habe, also viel gethan, daß das Papstthum also schwach worden ist, daß ihm noch nie kein Fürst oder Kaiser so viel abgebrochen hat. Ich habe nichts gethan, das Wort hat es alles gehandelt und ausgerichtet. Wenn ich hätte wollen mit Gewalt darein fahren, ich wollte Deutschland in großes Blutvergießen gebracht haben, aber was Narrenspiel wäre es gewesen. Was meint ihr wohl, was der Teufel gedenkt, wenn man das Ding will mit Rumor ausrichten? Er sitzt hinter der Hölle und gedenkt: O wie sollen nun die Narren so ein feines Spiel haben; aber dann so geschieht ihm Leid, wenn wir das Wort allein treiben und es allein wirken lassen. Das ist allmächtig und nimmt gefangen die
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Herzen, und wenn die gefangen sind, so muß das Werk nachher von ihm selbst zerfallen.” – So ist denn auch die wahre Emancipation des Geistes, aber im Zusammenhange mit jenem positiven Princip der Reformation, von der wahren Freiheit des Geistes ausgegangen. Das, was Paulus in dem Galaterbriefe als das Eigenthümliche des jüdischen Standpunktes bezeichnet, daß der Geist sich befand unter einer Vormundschaft, dieses war ja wiedergekehrt in der äußerlichen Kirchenautorität, dem Priesterthum und Papstthum. Indem Luther Christus als den alleinigen Grund des Heils und den einzigen Meister in das Bewußtsein der Völker wiedereinführte, befreite er dadurch den Geist von aller solcher Vormundschaft, aber nicht um ihn frei zu machen Gott und Christus gegenüber, um ihn zur Selbstvergötterung hinzuführen, sondern damit er in der demüthigen Hingabe an Gott in Christo die wahre Freiheit und Selbstständigkeit finden sollte. So war auch alle Entwicklung der Menschheit in Wissenschaft und Staat jener Vormundschaft unterworfen. Indem Christus, dessen Reich nicht ist von dieser Welt, als der einzige König der Geister wieder dargestellt wurde durch Luther, da war es die Folge davon, obgleich dieses späterhin mit der Trübung des Princips auch wieder zurücktrat, daß alle jene Güter der Menschheit zu der freien Entwicklung gelangen mußten, die ihnen erst Christus erworben hat, welche auch dem Alterthum fremd war, da hier der Staat, als die einzige Form für die Verwirklichung des höchsten Gutes, alles Andre sich unterordnete und in Abhängigkeit von sich erhielt. Aber wie auch hier Alles von dem Einen Princip der Reformation ausgeht, so kann es, wie es dieses Princip verlangt, nur verwirklicht werden, wenn Alles, frei nach seinem eigenthümlichen Wesen und Gesetz sich entwickelnd, von Innen heraus durch den das Leben beherrschenden Geist Christi beseelt und bestimmt wird. Nur das ist die wahre Bildung im Sinne des Mannes, dessen Gedächtniß wir heute feiern!
Lassen Sie uns hier noch zuletzt die, zum Verständniß dessen, was Wurzel und Frucht von Luthers Leben und die Bedeutung der von ihm ausgegangenen Reformation war, nicht unwichtigen, merkwürdigen Worte, die er zwei Tage vor seinem Tode niederschrieb, in's Auge fassen. „Den Virgil in den Bukolika kann Keiner recht verstehen, wer nicht fünf Jahre Hirt war, den Virgil in den Georgika kann Keiner recht verstehen, der nicht fünf Jahre Landmann war, den Cicero in seinen Briefen versteht Keiner auf die rechte Weise, wer nicht zwanzig Jahre in einem bedeutenden Staate den Staatsdienst verwaltet hat. So meine Keiner, daß er die heilige Schrift genug erforscht habe, wenn er nicht hundert Jahre mit den Propheten, Johannes dem
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Täufer, Christus und den Aposteln die Kirchen regiert hat. Wage dich nicht an diese göttliche Aeneis, sondern dich niederwerfend bete an die Fußstapfen Gottes; wir sind Bettler; hoc est verum!” Wir erkennen hier die Theologie der Reformation, welche nicht in dogmatische Formeln gebannt, nur die göttliche Weisheit in der Leitung des Reiches Gottes, in der heiligen Schrift zu erforschen strebte, welche von einer todten Schriftgelehrsamkeit auf den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Leben hinwies. Aus der Geschichte soll erst das lebendige Verständniß der heiligen Schrift hervorgehen, wie die heilige Schrift den Schlüssel giebt zum rechten Verständniß der Geschichte; Alles nicht todter, abstrakter Begriff, sondern Leben und Erfahrung. Lassen Sie uns damit vergleichen die Art, wie Luther, in der im Frühling des Iahres 1518 zu Heidelberg gehaltenen Disputation, die theologia crucis, welche den in Christo dem Gekreuzigten geoffenbarten Gott zum Gegenstande hat, vergleicht mit der theologia gloriae, welche zu der Majestät des verborgenen Gottes durch die Offenbarung seines unsichtbaren Wesens in der Schöpfung sich zu erheben sucht, wenn er sagt: „Als Philippus vom Standpunkt der theologia gloriae sprach Joh. 14, 8.: zeige uns den Vater, da zog Christus alsdann seine flüchtigen Gedanken, die Gott anderswo suchen wollten, zurück, und er führte sie zu sich selbst hin, indem er sprach: „Wer mich sieht, sieht den Vater;” also in Christo dem Gekreuzigten ist die wahre Theologie und Gotteserkenntniß.” Die heilige Schrift und Christus der Mittelpunkt der heiligen Schrift, davon geht die Theologie der Reformation aus. Eine andere Theologie als diese würde auch ein, in der Bildungsform des neunzehnten Jahrhunderts verjüngter Luther nicht als die seine anerkennen, aber auch Wohl alle probehaltigen Bildungselemente dieses Jahrhunderts damit in Einklang zu bringen wissen, wie er fern davon war, die Schätze der Wissenschaft, welche ein Melanthon, der alle ächte Bildung seiner Zeit in sich concentrirte, besaß, zu verschmähen.
Und Der, welcher mehr als irgend Einer mit Christus die Kirche geleitet hat, schließt sein reiches Leben, im Angesicht der hohen Aufgabe, die hier zu lösen ist, mit dem Bekenntniß: „Wir sind Bettler; hoc est verum!” Merkwürdig, wie damit zusammenstimmt, was Melanthon kurz vor seinem Tode auf einen Zettel niederschrieb, indem er, unter den Trostgründen und Hoffnungen bei dem Abschiede aus dem irdischen Dasein, auch dieses besonders hervorhob, daß er werde zur Anschauung Gottes gelangen und ihm gegeben werden die klare Erkenntniß derjenigen Probleme, welche die Dogmatik schon gelöst zu haben meint. So erkennen wir in den Aussprüchen, mit welchen die beiden Reformatoren
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ihr Leben beschließen, die Demuth in dem Bewußtsein der Unzulänglichkeit alles Menschlichen, welche von dem Wesen der Reformation unzertrennlich ist, die Demuth des Handelns, entgegengesetzt dem Vertrauen auf eigene Kraft und eigene Werke, die Demuth des Wissens, entgegengesetzt dem Alles bestimmen wollenden Dünkel scholastischer Dogmatik. Daran gemahnt zu werden, thut auch uns in unsrer Zeit, um vor ihren blendenden Täuschungen verwahrt zu bleiben, besonders Noth. So wollen wir alle, die wir am Ende, in der Mitte oder in der ersten Blüthe des Lebens stehen mit Luther, dem großen Streiter für das Reich Gottes und seine Wahrheit, in den Kämpfen mit deren alten und neuen Feindin, die das Wort müssen lassen stehn und keinen Dank dafür haben, vertrauen, nicht auf uns selbst, sondern auf den Gott Luthers, der Reformation, den Gott unsers Herrn Jesus Christus, der uns sei eine feste Burg, damit wir fest beharren bis ans Ende, wie Luther, wozu uns Gott seine Gnade verleihen wolle!
Und Ihr, jüngern Streiter des Herrn, Ihr vielgeliebten Commilitonen, die Ihr erst im Anfang des Kampfes steht, laßt Euch nicht schrecken durch die Versuchungen, die Ihr schon jetzt erfahren habt und die Euch noch bevorstehen, um den festen Glauben, der Euch ein sicherer Anker werde unter den Wogen und Stürmen dieser vielbewegten Zeit, zu erringen. Schaut hin auf diesen tapferen Vorkämpfer, welcher unter seinen schweren Versuchungen den Glauben gewann, von dem das Werk der Reformation ausgegangen ist. Wenige sind so viel versucht worden, denn bis in sein spätes Alter folgten dem Mann, der mit der Welt von Außen so viel zu kämpfen hatte, auch diese inneren Kämpfe nach, und vermöge solcher Erfahrungen konnte er Andere so herrlich trösten mit dem Troste, mit dem er getröstet worden. Hört, Ihr Theuren, was er Einem, der solche Kämpfe zu bestehen hatte, schreibt: „Glaube mir, du bist nicht der Einzige, den solche Pfeile treffen, blicke Christus an, der in Allem versucht worden, wie wir, so daß er gewiß auch diese deine Versuchung gefühlt hat. Er ist aber in Allem versucht worden, wie wir, damit wir wissen und vertrauen sollen, daß uns durch ihn alle Versuchungen überwunden worden sind, wie er sagt: „Vertrauet auf mich: Ich habe die Welt überwunden.” Gott selbst, der Sieger über alle Traurigkeit, Tod und Hölle tröste und bewahre dein Herz durch seinen heiligen Geist. Amen. Bete für mich, der ich auch versucht werde, wie ich für dich Versuchten bete.” Zwar sind manche dieser Zeit eigenthümliche Versuchungen, in denen jetzt das Gold des Glaubens geläutert und bewährt wird, von anderer Art, als diejenigen, mit denen man in Luthers Zeit besonders
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zu kämpfen hatte. Aber es sind dieselben finsteren Mächte, die nur in anderer Gestalt den Kämpfern jener Zeit entgegentraten, dieselben Engel der Finsterniß, die sich verkleideten als Engel des Lichts. Es lebt auch noch derselbe Gott, der seinem Luther war eine feste Burg und der ihn durch alle inneren und äußeren Kämpfe hindurchgeführt zu seinem glorreichen Ende. Und um uns zu ermuntern, daß wir ihm treu nachfolgen unter diesen Kämpfen, dazu wollen wir mit ihm singen seinen geistlichen, glaubensvollen Schlachtgesang:
Ein feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Noth,
Die uns itzt hat betroffen.
Der alte böse Feind
Mit Ernst ers itzt meint.
Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist,
Auf Erd ist nicht seins Gleichen.
Mit unser Macht ist nichts gethan,
Wir sind gar bald verloren:
Es streit für uns der rechte Mann,
Den Gott selbst hat erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ.
Der Herr Zebaoth,
Und ist kein ander Gott,
Das Feld muß er behalten.
Und wenn die Welt voll Teufel wär
Und wollt uns gar verschlingen.
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
Wie saur er sich stellt,
Thut er uns doch nicht,
Das macht: er ist gericht,
Ein Wörtlein kann ihn fällen.
Das Wort sie sollen lassen stahn
Und keinen Dank dazu haben,
Er ist bei uns wohl auf dem Plan
Mit seinem Geist und Gaben.
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib,
Laß fahren dahin,
Sie habens kein Gewinn,
Das Reich muß uns doch bleiben.
Dr. M. Luther
während des Augsburgschen Reichstages 1530.
Druck von Carl Jahncke, Klosterstraße No. 49.
Quelle:
Rede Dr. August Neander's gehalten bei der akademischen Feier des 300 jährigen Todestages Luther's am 18ten Februar 1846.
Hrsg.: Neanderscher Verein zur Unterstützung armer kranker Theologie-Studirender in Berlin.
Berlin, 1846. In Commission bei Justus Albert Wohlgemuth, Neu-Cöln a. W. No. 19.
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Autor / Hrsg.: Neander, Aug. ; Neander, Aug.
Verlagsort: Berlin | Erscheinungsjahr: 1846 | Verlag: Wohlgemuth
Signatur: Biogr. 1279,2
Reihe: Rede Dr. August Neander's gehalten bei der akademischen Feier des 300jährigen Todestages Luther's am 18ten Februar 1846
Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb1006828
Bestmann 1884: Die Anfänge des katholischen Christentums und des Islams
DIE ANFÄNGE DES KATHOLISCHEN CHRISTENTUMS UND DES ISLAMS.
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DIE ANFÄNGE DES KATHOLISCHEN CHRISTENTUMS UND DES ISLAMS.
EINE RELIGIONSGESCHICHTLICHE UNTERSUCHUNG
VON H. J. BESTMANN.
NÖRDLINGEN. VERLAG DER C. H. BECK'SCHEN BUCHHANDLUNG. 1884.
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DRUCK VON C. H. BECK in NÖRDLINGEN.
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DEN HERREN
Dr. M. ZUCKER,
BIBLIOTHEKAR DER K. UNIVERSITÄTS-BIBLIOTHEK IN ERLANGEN,
Dr. R. PÖHLMANN,
DOCENT DER GESCHICHTE IN ERLANGEN,
GEWIDMET.
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Vorrede.
Mit der vorliegenden Arbeit betrete ich das Gebiet der allgemeinen Religionsgeschichte: unter diesem Gesichtspunkte bitte ich deshalb auch die erste Abhandlung zu lesen.
Die Anfangsgeschichte der katholischen Kirche ist ein Paradigma für eine Reihe von anderen religiösen Gemeinschaften. Sobald durch eine grosse religiöse Persönlichkeit eine Wendung in der Denk- und Willensrichtung eines Volkes herbeigeführt ist, pflegt sich das augenblickliche Bedürfnis des Staats oder der Gesellschaft geltend zu machen. Da ist es dann nicht um die feinen Regungen und Stimmungen des Herzens zu thun, sondern es werden bestimmte praktische Leistungen von den betreffenden Gemeinschaften gefordert. Dies Zurücktreten des spezifisch religiösen Elements hinter den praktischen Leistungen ist allemal eine Abschwächung der ersten Grundgedanken der Religionen -- nach einer anderen Seite hin angesehen kann man jedoch sagen, es vollzieht sich darin eine Art Verpuppung.
Dass dieses Verpuppungs- oder Inkubationsstadium bei der katholischen Kirche über 1400 Jahre gedauert hat, hängt damit zusammen, dass das Christentum denselben Prozess zweimal hat durchmachen müssen: bei den absterbenden Gräcoromanen und bei den erst erwachsenden Germanen. In der Reformation ist dann der Schmetterling flügge geworden.
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VIII Vorrede
Meine erste Untersuchung verfolgt nun die beginnende Einspinnung des Christentums: ich habe früher bereits versucht, die judaisierende Tendenz der ältesten Zeit, diesen Intermaxillarknochen des Katholizismus, aus einem ursprünglichen Zusammenhang mit der judenchristlichen Periode des Christentums zu begreifen. Hier folgt nun der Nachweis im Einzelnen, dass die katholische Kirche schon in ihren Anfängen auf einer durch den Ebionitismus veranlassten Nationalisierung des Christentums beruht -- ein Gedanke so einfach und selbstverständlich, dass ich nur schwer begreife, warum er nicht schon lange zuvor ausgesprochen ist.
Die Untersuchung über die Genesis des Islams gab mir dann ungewollt eine willkommene Probe für meine Auffassung von der katholischen Kirche. Mein unvollkommener sprachlicher Apparat hat mich von der Bearbeitung des Themas nicht abschrecken können. Denn grade die Beziehungen des Islams zum Christentum pflegen seit der Arbeit SPRENGERS mit einer sehr bedenklichen Willkürlichkeit behandelt zu werden. SPRENGER hat auch selbst von seiner unzulänglichen Kenntnis der christlichen Litteratur der ältesten Zeit kein Hehl. Konnte ich hier mit einem Xeniton kommen, so werden die Orientalisten hoffentlich gestatten, dass ich auch ungeladen an ihrer reich besetzten Tafel Platz genommen habe.
Halle a/S. am 12. Dezember 1883.
Bestmann.
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Inhalt.
I. Die Anfänge des katholischen Christentums.
§ 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums . . . 1
§ 2. Das gnostische Christentum . . . 17
§ 3. Anfänge des katholischen Dogmas . . . 40
§ 4. Die Heiligen des Montanismus . . . 47
§ 5. Die allgemeine Kirche des gräco-romanischen Weltreichs . . . 52
II. Genesis des Islams.
§ 1. Die Aufgabe . . . 61
§ 2. Das Christentum des Orients . . . 62
§ 3. Die Araber und das Christentum . . . 80
§ 4. Mohammed und das Christentum . . . 94
§ 5. Der Koran und das Christentum . . . 107
Anmerkungen . . . 125
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I. DIE ANFÄNGE DES KATHOLISCHEN CHRISTENTUMS.
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§ 1. ENTSTEHUNG UND CHARAKTER DES JÜDISCHEN CHRISTENTUMS. 1)
Es ist die naive Ansicht von der Geschichte der christlichen Kirche, welche die katholische Form derselben unbesehends mit der ursprünglichen Form des Christentums gleichsetzt. Die wirklich historische Betrachtung kann erst da beginnen, wo die Differenz zwischen beiden erkannt wird. Insofern die Reformation durch Hervorziehung der Urkunden des Christentums die Vergleichung derselben ermöglichte, ist die Stellung in resp. hinter ihr die notwendige Bedingung für das Verständnis der katholischen Entwicklungsphase des Christentums. Indem sodann in der Reformation auch der nationale Geist sich seiner selbst bewusst wird, ist damit die Erkenntnis ermöglicht, dass das katholische Christentum das Produkt aus genuin-christlichen und gräco-romanischen Ideen ist.
Das Christentum hat das Unglück gehabt, bald nachdem es als universelles Prinzip in die Welt getreten war, nationalisiert zu werden. In dem Masse, als es gelingt, diese Retouchen zu entfernen, wird auch die Forderung an die Forschung herantreten, die orientalischen Verpuppungen des ursprünglichen Christentums mit den occidentalischen zu vergleichen. Es dürfte sich dann nachweisen lassen, dass die Metamorphose, welche in Ephesus, Alexandrien und Rom nach und nach mit den christlichen Ideen vorgenommen wurde, nicht durchaus von der Wandlung derselben verschieden ist, die Mani ihnen in Ktesiphon und Mohammed in Medina hat zuteil werden lassen.
Bestmann, Die Anfänge des kath. Christentums und des Islams
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2 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
Um diese Behauptung auch nur wahrscheinlich zu machen, ist es notwendig, die gemeinsame Wurzel bloszulegen, aus der das abendländische und das morgenländische Christentum hervorgegangen ist. Das blosse Vergleichen, Aufzeigen von Ähnlichkeiten ist Sache des spielenden Witzes: die faktischen Zusammenhänge allein interessieren die unbestochene Forschung.
Um es gleich zu sagen: dieser gemeinsame Grund ist das Judenchristentum, so wie es sich nach dem Jahre 70 gestaltet hat. Wie ein mächtiger Bergrücken ragt die kleine ebionitische Gemeinde in der religiösen Entwicklung der gräco-romanischen und semitischen Völkerwelt empor; sie ist wie eine religiöse Wasserscheide: nach Ost und West ergiessen sich von da aus die Ströme des religiösen Lebens.
Es ist ja freilich so gewesen, dass die Griechen wie die Syrer und Araber von diesen Juden ebenso sehr gelernt, als von ihnen sich abgestossen gefühlt haben. Aber auch im letzteren Falle, auch wenn die religiösen Genossenschaften negativ-polemisch sich an dem Judenchristentum orientiert haben, wird man den Einfluss des Ebionitismus nicht gering anschlagen dürfen: im Streit vollzieht sich derselbe Wesensaustausch wie in der Liebe.
Das ursprüngliche ungebrochene Christentum hängt wesentlich an zwei praktischen Ideen: an der Idee des Gottesreiches und an der Idee der Gotteskindschaft. Die βασιλεία τοῦ δεοῦ, wofür es bei Matthäus in gleicher Bedeutung βασιλεία τῶν οἰρανῶν heisst, bezeichnet einen Zustand der Dinge, wo Gott in den Herzen seiner Gläubigen mit Ausscheidung aller Ungläubigen allein herrscht. Aber diese seine Herrschaft ist, wie Jesus besonders Matth. 13 gezeigt hat, eine nur allmählich durchdringende: das Gottesreich gleicht einem Sauerteig, einem Senfkorn u. s. w. Der Gegensatz zwischen einem αἴων οὗτος, in welchem die Frommen der Erlösung harren, und einem αἴων μέλλων, in welchem Gott ihnen Recht schafft und die Ungläubigen ins Unrecht setzt, d. h. richtet, ist in dem echten Christentum gänzlich und prinzipiell überwunden: die Gläubigen sind erlöst; auf dem Wege sittlicher Arbeit, deren unausbleibliche Unzulänglichkeit durch die zweite Erscheinung, die Wiederkunft Christi, gehoben werden wird, sollen sie mit diesem ihnen geliehenen Pfund in der Menschheit wuchern und werben.
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3 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
Es liegt am Tage, wie sehr hier alles auf die bleibende Bedeutung der Person Jesu Christi, durch welche hindurch Gott die Erlösung beschafft hat, ankommt: von einer Ergänzung seines Werkes durch jemand anders als durch ihn kann nicht die Rede sein.
Dem entspricht nun die Ausprägung, welche die Idee der υἱϑεσία, der Gotteskindschaft, gewonnen hat, durchaus. Diese subjektive Moralität, die das Christentum dem Einzelnen bringt, nennt Paulus, der in seiner Nomenklatur mehr durch alttestamentliche Gedankengänge beeinflusst ist, Gerechtigkeit, διϰαιοσύνη ἐϰ ϑεοῦ oder διϰαιοσύνη πίστεως. In ihr löst sich die Spannung zwischen dem Bewusstsein der Verdammlichkeit, der Sünde, und dem des drohenden Gerichts. Durch den Tod Christi ist die Sünde abgethan und die ϰρίσις vollzogen: der an Christum gläubige Mensch ist διϰαιωϑείς, gerechtfertigt, und so διϰαιος, gerecht.
Die durch das Verhältnis zu Christo und Gott vermittelte Moralität ist also auch bei dem Einzelnen prinzipiell voll und ganz vorhanden. Es erübrigt noch die sittliche Arbeit an sich selbst, d. h. die Bändigung der Sinnlichkeit, der σάρξ, durch den von Christo ausgehenden sittlichen Lebensgeist, das πνεῦμα, das um deswillen schlechthin ἅγιον heisst.
Das ist der Kern der in dem N. T. enthaltenen praktischen Ideen, deren Verständnis erst die Reformatoren des 16. Jahrhunderts uns erschlossen haben. Es liegt am Tage, dass hier das Verhältnis zu Gott sich auf das genaueste und auf jedem Punkte deckt mit dem Verhältnis zu Christo. Eben das sagt die Lehre von der Gottessohnschaft Christi: ϑεὸς ἐφανερώϑη ἐν σαρϰί 2. Tim. 3, 16. Weit entfernt das Produkt metaphysischer Spekulation zu sein, ist sie der kürzeste Ausdruck der durch das Christentum in die Welt eingeführten praktischen Religiosität.
Dazu kommen noch zwei symbolisch-rituelle Handlungen, die Taufe und das Abendmahl. In beiden vergewissert sich die Gemeinde des Besitzes des Lebenswerkes Christi und des h. Geistes als eines unmittelbar gegenwärtigen. Einen Kreis selbständigen religiösen Handelns, das mithin nicht auf den festgezogenen Kreis der sittlichen Pflichten bezogen werden könnte, konstituieren dieselben nicht.
Diese praktische Weltanschauung lässt sich leicht auf die
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4 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentumns.
vier Gesetze reduzieren, die alles wahrhaft sittliche Leben beherrschen, resp. beherrschen sollen:
a. Das Gesetz der Autonomie enthält die Forderung, dass jede einzelne Handlung als gewolltes Produkt der einzelnen Persönlichkeit sich darstelle. Der Gegensatz dazu ist die Heteronomie.
b. Das Gesetz der Kontinuität sagt, dass jedes ethische Produkt auch wieder ethische Kausalität haben, d. h. Bestandteil einer kontinuierlich abfliessenden Reihe von Handlungen sein soll.
c. Nach dem Gegsetz der Subordination ist jede sittliche Energie das Produkt von (logisch) früheren sittlichen Gemeinschaften, denen der Handelnde daher pietätsvoll gegenüberstehen soll. 2)
d. Infolge davon muss -- Gesetz der Komplexion -- in jedem sittlichen Entschluss die Förderung des betreffenden Gemeinschaftslebens mitgesetzt sein.
So angesehen gewährt die Betrachtung der christlichen Religion das entzückendste Schauspiel, das sich denken lässt. Sie ist ein klar durchgeführtes System von Hebeln und Kräften, welche alle auf den einen Effekt, die sittliche Persönlichkeit, eingerichtet sind. Man kann wohl hier ein Rad zur Ruhe bringen, dort ein Gewicht verändern, -- immer wird das Getriebe, wenn nur das eigentliche Triebrad im Schwunge bleibt, seinen Haupteffekt erzielen, die Sinnlichkeit wird durchgeistet, das πάϑος wird zum ἦϑος, an Stelle des dunklen Triebes der Natur setzt sich der frei und bewusst wirkende Wille.
Es ist zwecklos, sich auszumalen, wie diese praktischen Ideen des Christentums sich hätten gradlinig entwickeln können. Die katholische Kirche hat die Voraussetzung, dass das geschehen sei, nur machen können, indem Sie die Erinnerung an ihren Ursprung völlig verlor.
In Wahrheit ist das Christentum wie jede andere Erscheinung dem unerbittlichen Geschick verfallen, das der Dichter mit den Worten andeutet:
„Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an.“
Das Christentum ist, indem es mit den realen Verhältnissen,
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5 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
wie sie durch die gräco-romanische Kultur, durch die Eigenart der semitisch orientalischen Rasse gegeben waren, Fühlung bekam, eine Reihe von Verbindungen eingegangen, die wesentliche Organe desselben zerstört haben. Es gewann freilich dadurch zugleich etwas: indem es sich an das Leben und die Sitte der Nationen anschmiegte, wurden diese um so leichter seinem sittigenden Einfluss unterstellt.
Diese innere Dekomposition ist zum ersten Male bei den Judenchristen in Palästina vorgenommen worden. Von ihnen haben es dann die Völker im Westen und Osten gelernt, natürlich mit Variationen im einzelnen. Aber sonderbarerweise verschlug das nicht bei den Juden. Seit dem fünften Jahrhundert sind die jüdischen Christen wie in einer Bodensenkung verschwunden. Eine wirkliche Bedeutung haben sie seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts nicht mehr gehabt. Sie gleichen den Insekten, die unmittelbar nach der Befruchtung sterben.
Auch sonst schlug das Experiment im Orient fehl, so bei den Samaritanern, bei den Phrygern, bei den Syrern und Persern Mesopotamiens. Unter den Arabern kostete es Mohammed einen verzweifelten Kampf mit den alten Vorurteilen seines Volkes, ehe es ihm gelang, gewisse vom Christentum herübergenommene Tendenzen durchzuführen. Aber auch dann hat er so viele Konzessionen an das Alte machen müssen, dass ihm die Kirche selbst den Namen des Sektierers, mit dem sie sonst so verschwenderisch umging und den sie doch Mani nicht vorenthielt, verweigerte. Schon bei Johannes von Damask galt er als Vorläufer des Antichrists. 3) Und in protestantischen Kompendien figuriert der Islam mit der Stereotypen Etikette: „das grosse Rätsel der Weltgeschichte“. 4)
Es lag in der Natur der Sache, dass der Verlauf der Dinge in Palästina noch für lange Zeit hinaus bestimmend für die Christen im römischen Reich blieb. Dazu hatte nicht am wenigsten der Begründer der heidnischen Christenheit, Paulus, Veranlassung gegeben. Den korinthischen Christen bezeichnet er die in Jerusalem schlechtweg als die heiligen. 5) Den galatischen Gemeinden hatte man hinterbracht, die Apostel in Jerusalem hätten ihn desavouiert. Mit einem ungewohnten Mass von Erregung weist er diese Verleumdung zurück in einem an sie gerichteten Briefe.
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6 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
Was hätten auch seine Gemeinden von seiner Lehre denken sollen, wenn die eigentlichen Augenzeugen des Lebens Jesu ihn nicht für voll anerkannt hätten. Wir dürfen es ihm glauben, wenn er versichert, dass die Leiter ihm zum Zeichen ihrer Einigkeit die Hände gereicht haben. 6) Zu viel war ihm daran gelegen, zu wichtig war ihm die Sache, als dass er damit hätte einen äusserlichen Kompromiss bezeichnen können.
Aber die Judenchristen zählten nach Tausenden. Es darf uns deshalb nicht Wunder nehmen, wenn wir hören, dass eine Clique in Jerusalem, deren Grundstock etwa gläubig gewordene Priester sein mögen 7), immer ihn misstrauisch ansah.
Es müsste uns vielmehr befremden, wenn das nicht der Fall gewesen wäre. Aber es ist doch nicht genug historisch begründet, wenn man diesen jüdischen Ultras ohne weiteres die Majorität zugesprochen hat 8), für die erste Zeit, heisst das: denn später haben sie dieselbe in der That -- unter dem Einfluss des steigenden nationalen Gegensatzes zwischen Juden und Gräcoromanen -- bekommen. Die Autorität der Urapostel haben sie freilich auch dann nur mit Unrecht für sich anführen können. Die Apostel haben alle (einer glaubwürdigen Tradition zufolge) 9) vor der Katastrophe des Jahres 70 Palästina verlassen.
Nach der Zerstörung Jerusalems wird das Lokal, wo die Geschichte der christlichen Kirche sich abspielt, ein anderes. Der Grundstock der Gemeinde hatte schon zu Beginn des Kampfes den Mittelpunkt des Kriegsschauplatzes, Jerusalem, verlassen. Wir finden sie am oberen Jordan, Pella war ihr Hauptort. Hier auf einem Gebiete, wo sich -- in der sgn. Dekapolis -- seit den Tagen der syrischen Herrschaft Orientalen und Occidentalen begegneten, mochten sie hoffen, den Kriegssturm ungefährdet zu überdauern. Wie er über das Land dahinbrauste, krachte das israelitische Gemeinwesen, soweit noch von einem solchen die Rede sein konnte, in allen Fugen; ihre Gemeinschaft aber war in der allgemeinen Auflösung geblieben. Bei der engen Verbindung, die solche kleine Gruppen unter sich zu haben pflegen, war es naturgemäss, dass diese Judenchristen mit ihren gleich gesinnten Volksgenossen in Syrien, Kleinasien und im Süden nahe Fühlung behielten.
Allein wie hätte nicht der Gang der Ereignisse in Palästina
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7 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
zurückwirken sollen auf ihre eigene Lebensauffassung. Es hatte nie an Stimmen gefehlt, welche die neuen Ideen enger an die alten knüpfen wollten, als dies in der Meinung der Apostel lag. In Kleinasien muss schon Paulus vor dem wohl aus essäischen Kreisen stammenden Hange der jüdischen Christen warnen, sich in müssigen Spekulationen über die Welt der Engel, als deren einen man Jesum begriff, zu verlieren (Kolosserbrief). Die ebräischen Christen in Syrien müssen noch kurz vor der Katastrophe des J. 70 von ihm oder einem seiner Schüler auf die absolute ewige, alles blos nationale Ritenwerk ausschliessende Art des Lebenswerks Jesu sich hinweisen lassen. Es lässt sich denken, dass für solche Erörterungen nur wenig Boden war. Der sgn. Ebräerbrief hat daher seinen nächsten Zweck nicht erreicht: er ist zu Boden gefallen.
Nun vergegenwärtige man sich die Siedeglut der nationalen Leidenschaften sowohl von Seiten der Römer wie von Seiten der Juden. Der Gegensatz war zugleich ein religiöser. Ihm gegenüber bildete auch der Kunstwert, die Pracht des nationalen Heiligtums keinen mildernden Umstand: der Tempel wurde auf strikten Befehl des Titus und nicht von ungefähr ein Raub der Flammen. 10)
In diesem Kampfe sind auch die Judenchristen zu einer nationalen Partei geworden. Der alte Name der Christen, Ebioniten, wurde nun eine Parteibezeichnung, die universale Idee des ursprünglichen Christentums wurde um 70 verlassen.
Dazu kam noch ein anderes. Als im zweiten Jahrhundert v. Chr. der Kampf gegen die Syrer begann, hatte sich ebenfalls eine Partei, die der Chasidim, der Frommen, aus der nationalen Bewegung zurückgezogen: es bildete sich aus ihnen der Orden der Essäer. Ihr Name ist mit dem der Chasidim identisch: er ist nur die syrische Form desselben. Aber Juden blieben die Essäer doch so gut wie die Patriotenpartei, die Pharisäer.
Eben die Essener nun haben in dem Sturm und Drang der Kriegsjahre -- nach einer sehr wahrscheinlichen Vermutung -- Anschluss gesucht und gefunden an die ebionitischen Christen. Eine später -- um 101 -- auftretende Reformpartei unter den Ebioniten hat ihr Programm an diesen Namen der Essäer anknüpfen zu müssen geglaubt: das waren die sgn. Elxaiten. 11)
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8 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
Es wird erlaubt sein, noch einen dritten Punkt in Rechnung zu setzen, allerdings nur vermutungsweise. Nach dem Kriege kann man sich die innere Verwilderung des Volkes nicht schlimm genug denken. Mussten da die Ebioniten nicht hoffen, dass es, wenn sie als fest geschlossene Gemeinschaft dem Volke entgegenträten, gelingen könne, das Volk im grossen für das Bekenntnis zu Christo zu gewinnen? Musste infolge davon nicht auch die Richtung die Vorderhand gewinnen, die auf einen näheren Anschluss an das alte Gesetz drang? War das nicht das sicherste Mittel, die Bestrebungen der Rabbiner in Tiberias, die eben jetzt sich alle erdenkliche Mühe gaben, das verwahrloste Volk unter das Joch des alten peinlichen Gesetzes zu bringen 12), zu paralysieren, sie zu überflügeln?
Genug, was hier auch für Gründe gewirkt haben, die Thatsache bleibt unabhängig davon bestehen: Seit 70 beherrscht die Stimmung der meisten jüdischen Christen ein anderer Tenor als zuvor. Wir skizzieren kurz die einzelnen Züge, in welchen sich die Wandlung der christlichen Ideen ausdrückte.
Es sind im wesentlichen vier Punkte, die sich scharf und deutlich herausheben. Sie sind beherrscht durch die Rücksicht auf das religiös-sittliche Ideal, das regelmässige sittliche Thun, die Stellung der religiösen Gemeinschaft und die Schätzung der Person Jesu.
1. Jene religiösen symbolischen Akte: Taufe und Abendmahl, die ehedem nur als -- wenn auch nicht bedeutungsloser -- Ausdruck des christlichen Lebens gegolten hatten, werden nun selbständige Akte von konstitutiver Bedeutung. Es wird wieder ein Gebiet des religiösen Handelns abgezirkt, welches der unmittelbar ethisch-praktischen Abzweckung entbehrte. Die Idee des Geheimnisses, des Mysteriums hielt nun ihren Einzug in die christliche Anschauungswelt.
Man gab diesen Riten einen ganz anderen Orientierungspunkt als vorher. Waren sie früher an der Person Jesu orientiert, so dass die Taufe das ganze Liebeswerk Jesu, das Abendmahl seine der Gemeinde innewaltende Person vermittelte (was ja nicht ohne Betonung des subjektiven Faktors, des Glaubens, möglich war), so wurden sie nun durchaus nur als Gegenbilder
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9 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
gegen die Ordnungen des alten Bundes begriffen; jedoch so, dass hierbei eine Übersetzung aus dem Gebiete des Körperlichen in das Geistige vorgenommen wurde. Die Ritualgesetze des alten Bundes erscheinen dann notwendig, was allerdings durch die Erzählung in der Exodus 34 und Stellen wie Ezech. 20, 25 f. nahe gelegt scheinen konnte, als Strafe für den Abfall am Sinai. 13)
Schon die Essener hatten von ähnlichen Ideen aus die blutigen Opfer des alten Tempels verworfen: freilich ohne dass man verstanden hätte, wie sich damit eine im übrigen freundliche Stellung zu dem altväterlichen Gottesdienste vertrüge. Sie waren deshalb exkommuniziert. Das gleiche Geschick war den Ebioniten nicht erspart worden: gleich nach 70 traf sie der Fluch der Synagoge. Sie hatten ihn verdient wie die Essener, deren Stellung sie teilten, wohl auch herübernahmen. Man fasste nun das Abendmahl als ein unblutiges Opfer auf: es war das Gegenbild des Passahmahles, dessen typische Bedeutung man früher auf den Tod Jesu selbst bezogen hatte. Wie hätte das auch anders sein können, da ja ursprünglich das Abendmahl nach dem Passahmahl eingesetzt war, also davon verschieden war.
Desgleichen wurde auch der Taufe so ein starr objektiver Sinn untergelegt. Sie erschien wie der Antitypus zu den vielen Waschungen, die im alten Bunde bestanden. Aber wo blieb nun hier das geistige Element? Es war unfindbar: denn die Form des Sakraments war ja dann nicht spezifisch von den alten Waschungen verschieden. So mythologisierte man denn darauf los. Das Wasser soll nun von der Schöpfung her ein ἐλεῆμόν τι gehabt haben, es bringt daher den Geist, aber, wessen Geist das ist, wodurch er sich geschichtlich näher bestimmt, an welche Bedingungen der Ritus geknüpft ist, das sagte man nicht, konnte man nicht sagen: es war eben die magische Auffassung des Sakraments, die sich hier deutlich genug ausspricht. Sie war daher auch nicht im Stande, das ganze Heer der alttestamentlichen Waschungen auszuschliessen: die Ebioniten schwelgten wie die Essener in den „Reinigungen“. Die Taufe war auch wiederholbar.
Das gemeinsame in dieser Abbiegung von dem altchristlichen Ideengehalte liegt also in dem Zurücktreten des Subjektiven, ethisch-praktischen Faktors bei der Feier dieser Bräuche.
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10 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
Eine notwendige Konsequenz davon ist es, dass in derselben Weise Handlungen als ethisch bedeutsam aufgefasst werden, die nur indirekt zusammenhangen mit der wahrhaft sittlichen Aufgabe, mit der Bearbeitung des sinnlichen Stoffes, der in den πάϑη und in den natürlichen Lebensgemeinschaften vorliegt, durch den Willen. Das ist ja das Wesen aller negativen Ethik, welche die Enthaltung von der Nahrung, das Zurückziehen von dem familiaren, politischen und Kulturleben, das ja zum Zweck der Selbstbesinnung momentan notwendig sein kann, zu einer positiven sittlichen Leistung durch den Begriff der ἄσϰησις stempelt. Um den technischen Ausdruck zu gebrauchen, das Tugendmittel wird dadurch zur Tugend selbst. Die Weltverneinung wird in merkwürdiger Begriffsverwirrung zu der Spitze des Ethos, dessen innerstes Wesen Weltbejahung, weil Naturbearbeitung ist. 14)
In der That ist hier bei den Ebioniten das Fasten und die Ehelosigkeit als eine selbständige sittliche Leistung wieder in die Höhe gekommen. Dawider erhob sich freilich unter den Ebioniten selbst eine eigene Richtung, eben die Elxaiten, seit 101 p. Chr. Aber sie drangen weitaus nicht durch: eben in den Arabien am nächsten liegenden südwestlichen Kreisen, in Ägypten und am toten Meer, blieb das alte asketische Lebensideal lebendig.
Drücken wir die von den Ebioniten vorgenommene Verschiebung der christlichen Ideen durch eine kurze Formel aus, so ist durch die Konstituierung eines besonderen Kreises von religiös-symbolischen Handlungen, an welche das Individuum mit seiner Innerlichkeit nicht heran kann, die Forderung der wahren Autonomie verletzt. Indem sodann das sittliche Lebensideal nach der negativ-asketischen Richtung hin umgebogen wird, streitet es mit der Forderung der Kontinuität auf ethischem Gebiete: wie viele an sich bewunderungswürdige sittliche Energien sind nicht unter dem Einfluss des Mönchtums total resultatlos verpufft!
2. Indessen bei dieser falschen Verselbständigung einzelner religiöser und moralischer Handlungen hatte es nicht sein Bewenden. Nicht minder bedeutsam war die ganz verschiedene Beurteilung der gemeinchristlichen Religiosität, die nun Platz griff.
In der paulinischen Anschauung von der διϰαιοσύνη durchdringt sich das ethische und religiöse Moment völlig. Gerechtigkeit,
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11 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
also diese sittliche Eigenschaft, besteht in der Freisprechung des Sünders durch Gott, also in dieser religiösen Thatsache.
Diese innige Verwandtschaft wird nun gesprengt.
Mit der Vorstellung des göttlichen Gerichts ist die Zusammenschliessung des ganzen sittlichen Lebens zu einer sittlichen Totalität gegeben. An jenem Tage soll das Fazit gezogen werden. Solange aber dieses Faktum des Gerichts blos als zukünftig gilt, ist es moralisch unbrauchbar. Denn dann machen nicht wir den Abschluss, sondern ein anderes: dann liegt das Moment der sittlichen Geschlossenheit und Einheit blos jenseits, das der sittlichen Mannigfaltigkeit, also auch Willkür, diesseits. Eine ethisch kräftige Idee konnte die Vorstellung von dem Gericht erst werden, wenn sie in das Diesseits verlegt, wenn das Gericht als bereits vollzogen vorgestellt wird. Denn dann ist ja die sittliche Persönlichkeit eine einheitliche schon zu Beginn des sittlichen Prozesses.
Eben dies leistet nun die Rechtfertigungslehre. Denn nach ihr ist ja die ϰρίσις damit schon vollzogen, dass der Einzelne sich in der πίστις an Jesum Christum anschliesst. Der Einzelne hat damit rein Folio: er kann mit ruhigem Gewissen ein neues Leben anfangen. Es wird zwar noch einmal Generalbilanz gezogen, am letzten Tage, aber das hat nur die Bedeutung einer Superrevision. Er muss sich, wenn anders seine πίστις eine ἀνυπόϰριτος gewesen ist, sagen, dass alles Manko, das sich auch im Laufe seiner Arbeit herausstellen mag, doch durch jenes Grundurteil bereits gedeckt ist.
In dieser fröhlichen Zuversicht, der ϰαλἠ συνείδησις, ist aber allein jener springende Punkt gegeben, von dem aus sich alles sittliche Leben naturgemäss entfalten kann.
Die Frage ist jedoch, welchen konkreten Inhalt wird dieses neue Leben haben: und hier offenbart sich erst recht der ganze erhabene Charakter der christlichen Ethik.
Das Schlussurteil in jener ϰρίσις lautet nämlich: der Mensch, wie er ist, ist ganz und gar der sittlichen Aufgabe entfremdet: er ist der Sinnlichkeit unterworfen, statt ihr Herr, er ist σαρϰιϰός, ἁμαρτωλός. Dieses Verdikt muss jeder Einzelne mit unterschreiben, sich verloren geben: dann erst können die wahrhaft idealen göttlichen Energien in das Getriebe seines Lebens eingreifen.
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12 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
Diese verkörpern sich in der geschichtlichen Person Jesu Christi: um seinetwillen wird der Einzelne zu Gnaden angenommen, so dass die διὰ ϰριστὸν und ἐϰ χάριτος gleichbedeutend wird. Indem der Mensch durch die πιστις sich den ganzen Inhalt des Lebens Christi aneignet, ist er also näher als der δίϰαιος bestimmt.
Das ist der genaue Inhalt der Gedankengänge Pauli, der damit, wie jede tiefer eindringende Betrachtung bestätigen muss, nur die gemeinsamen Überzeugungen aller neutestamentlichen Schriftsteller (den Jakobus, wie wir glauben, nicht ausgenommen) auf eine prägnante Formel gebracht hat.
Aber es leuchtet ein, wie sehr hier alles an dem konkreten Gottesbegriff, an einer gewissen massiven Auffassung der πιστις hängt. Man hat daher auch diese ethische Natur des Christentums nur verkürzen können, wenn man das Lebensbild Jesu in irgend einer Weise alterierte.
Das sollte sich sofort bei den Ebioniten zeigen. Dass sie von Paulus nichts wissen wollten, der das nationale Element in seiner Art so sehr zurücktreten liess, versteht sich bei diesen judenchristlichen Patrioten fast von selbst. Auch die, welche ihn für die Völkerwelt gelten liessen, die „milde“, später Nazaräer genannte Partei, blieben ihm gegenüber doch immer reserviert. Aber schon das war nicht möglich, ohne dass das Wesentliche ihrer religiösen Thesis sich änderte.
Es greift nun wieder bei ihnen jene schroffe Trennung zwischen der gegenwärtigen und der zukünftigen Welt Platz. Das Gericht ist nicht geschehen, es steht bevor. Die ängstliche Furcht vor demselben beherrscht ihr Thun und Lassen bis in das Kleinste hinein. Gebannt aus ihrer Mitte war jenes selige Bewusstsein, einen versöhnten Gott zu haben. Damit stellt sich zugleich jene peinliche quälerische Arbeit an sich selbst ein, die nun in ängstlicher Erfüllung äusserer moralischer und ritueller Satzungen sich um ein leidlich vollkommenes Leben abmüht. Es fehlt das Einheitsband für die sittliche Persönlichkeit durchaus. Es tritt an die Stelle desselben das vinculum legis. Da trat nun die Bergpredigt mit ihrer scheinbar kasuistischen Behandlung einzelner Vorschriften hervor. Christus erschien als der neue Mose: der Unterschied des neuen Bundes vom alten war nicht ein spezifischer, sondern nur ein gradueller.
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13 § 1. Entstehung und Charakter des Jüdischen Christentums.
Also jenes religiöse Datum des göttlichen Gerichts wird nun für sich gewusst, ohne dass es ein Agens würde für die sittliche Arbeit, und das moralische Leben wird in derselben Weise hypostasiert. Von hier datiert jener gebrochene Charakter der christlichen Weltanschauung, wo der Geist sich nicht zurechtfinden kann, jene unglückliche Zerrissenheit, in der HEGEL so tiefsinnig das Wesen des Mittelalters fand. Es ist in der That seit dem ersten Jahrhundert die Signatur der ganzen Christenheit gewesen: erst in der Reformation kehrt der menschliche Geist bei sich ein, indem er seinen Frieden, seine Heimat in dem konkreten Göttlichen findet.
Das ist das System. Man kann es vielleicht kurz so ausdrücken: die πιστις wurde gespalten, die ehedem in ihr verbundenen Funktionen, die theoretische und praktische, fielen auseinander. Diese wurde beherrscht durch die äusseren Normen eines Pflichtenkomplexes, in welchem sich dann wieder die unmittelbar moralischen und die ritualen unterscheiden. Jene hat ihren Inhalt in der abstrakten Idee Gottes, als des Seienden, des Schöpfers und in der Vorstellung des von seiner Seite drohenden Weltgerichts.
Aber daneben welch ein innerliches Pathos begegnet doch bei diesen Ebioniten. Auf das Rigoroseste wachte man über der Ausführung der einzelnen Gebote, wie dies auch die Essener thaten. Wir hören wohl, dass bei einer Verunreinigung sie sich in vollen Kleidern in das nächste beste Gewässer stürzen mussten. Die Art, wie sie den geschlechtlichen Sünden begegnen, hat ja gewiss etwas Plattes: aber wer könnte in dem (aus den Kreisen der syrischen Christenheit hervorgegangenen) Roman, der von der Lebensgeschichte des römischen Clemens seinen Namen hat, doch den hohen Ernst grade in diesem Punkte verkennen. Und redlich suchende Seelen waren auch sie. NEANDER konnte die Anfangskapitel jener Erzählung als Typus des Gott suchenden Heidentums verwenden. Etwas Erhebendes hat ohne Zweifel auch der Nachdruck, mit dem sie den Glauben an den einen Gott über alles verkünden, und wie ein erschütterndes Mene tekel klingt durch alles die Erinnerung an das nahende Weltgericht hindurch!
3. Unser grosser Historiker meinte in seiner weltgeschichtlichen
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14 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
Betrachtung des Christentums 15), kein Wort Christi sei erhabener, grossartiger als das Wort: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers und Gott, was Gottes ist.
Indessen hängt die Wertung des Gemeinschaftslebens immer ab von der Anschauung über die Art der einzelnen Persönlichkeit: ist es ja doch die Aufspeicherung der von ihr ausgehenden Energien, welcher alle Gemeinschaft ihr Dasein und ihr Recht verdankt.
Der religiösen Genossenschaft widerfährt denn auch dasselbe, was der Persönlichkeit widerfuhr: ihre Einheit wird gebrochen.
Ursprünglich hatten die Bekenner Jesu sich zusammengefunden zu einer Gemeinschaft in dem Bewusstsein der völligen Regelung ihres Verhältnisses zu Gott (Versöhnung) und in einer damit sofort durch das Vorbild Jesu gegebenen sittlichen Grundrichtung. Naturgemäss fanden ihre Zusammenkünfte in der lebendigen Rückerinnerung an die Person Jesu und in der Wiederholung der von ihm eingesetzten heiligen Handlungen ihren Mittelpunkt.
In dem Masse jedoch, als nun das Weltgericht wieder als ein zukünftiges, mithin noch zu fürchtendes galt, erwies sich das religiöse Moment als unfähig, das sittliche Verhalten der einzelnen Gläubigen zu bestimmen. Es verholzt, verstockt sich, d. h. es wird ritualisiert, mechanisiert. Solch einen rituellen Gottesdienst hatten aber die Hellenen auch, ja in einer letzten Phase ihrer Religion hatten die Griechen versucht, gewissen Ritualien ein philosophisches Relief zu geben: das geschah in den Mysterien. 16)
In der That haben die Judenchristen ihren Gottesdienst auf den Fuss des antiken Mysteriendienstes gebracht, wobei ihnen essenische Reminiszenzen zu Hilfe kommen mochten. Diese Art von Feier fordert jedoch eine gewisse technische Fertigkeit, die Routine eines Amts, des Priesterstandes. Grade die hierarchischen Ideen finden wir aber bei den Ebioniten in einer erstaunlichen Schnelligkeit und Stärke vertreten -- den „Wissenden“, dem Klerus, steht gegenüber das Gros der Unwissenden, der Laien. 17) Die Bischöfe und Presbyter sind nicht mehr wie früher διάϰоνоι der Gemeinde, sondern ihre Herren.
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15 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christentums.
Wonach reguliert sich denn nun aber das praktische Leben der Judenchristen? Hier konnte nun eine durchgreifende Parallelisierung mit dem alten Gesetz durchgeführt werden: das Christentum erschien nach dieser Seite als ein neues Gesetz, dessen Definition natürlich wieder dem Klerus zufiel: bis ins einzelnste hinein, bis auf eine detaillierte Anweisung über den schicklichsten Zeitpunkt der Verheiratung erteilen die Presbyter den Ebioniten denn auch Anweisungen.
Wir halten hier für einen Moment inne. Die katholische Kirche hat damals und noch jetzt Wunder gewirkt dadurch, dass sie das innerste Sehnen der Gräco-Romanen und später der Germanen verstand, ihnen ihre geheimsten Gedanken aus dem Herzen und ihre Worte von den Lippen nahm, religiös trat das Christentum als ein veredelter Mysterienkult, moralisch als ein verbesserter Gesetzkodex (als das Naturgesetz) den Völkern entgegen -- Gedanken und Tendenzen von der ungeheuersten Tragweite, welche die Bildung von zwei Menschenrassen auf Jahrhunderte bestimmt haben. Diese Kunst der Anpassung hat sie den Judenchristen abgesehen, obgleich sie sie bald genug zu Häretikern stempelte und ihren eigenen Ursprung damit verhüllte.
Einer der eigentümlichsten Züge in der inneren Geschichte des Christentums ist nun aber, dass neben dem ritualen Moment sich in der christlichen Gemeinschaft das praktische Ideal konkurrierend geltend gemacht hat. Als Gipfelpunkt des sittlichen Lebens galt ja die asketische Richtung. Dafür liessen sich Worte des Herrn anführen, wie z. B. die an den reichen Jüngling (Luk. 18) und von den Eunuchen des Himmelreichs (Matth. 19) u. a., deren Missverständnis ohne Frage sehr leicht möglich war. Aber daran war doch nicht zu denken, dass die ganze Schar der Bekenner je hätte darauf eingehen können: immer nur einzelne konnten sich das erlauben. Und wer anders konnte dazu in erster Linie herangezogen werden, als die Kleriker. Wirklich verkörperte in ihren Traditionen Jakobus „der Gerechte“ in Jerusalem, dem sie eine Art universalbischöflicher Stellung beilegten, zugleich ihr asketisches Lebensideal.
So heben sich die zwei Kirchen, die der Vollbürger und die der Halbbürger, deutlich von einander ab. Das eigentümlich Hohe und Grosse an der ältesten Auffassung von der Kirche, die innere
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16 § 1. Entstehung und Charakter des jüdischen Christenturms.
Durchdringung des ϰόσμος fehlt durchaus und bei beiden. Das Bild, unter welchem sie von nun an dargestellt wird, ist das der Arche Noah, wie sie durch die empörten Wellen der Sündflut dahinfährt.
Freilich eine nähere Durchbildung dieser Ansicht von der Gemeinschaft ist noch nicht vorhanden. Auch innerhalb derselben sollte es noch zu heftigen Auseinandersetzungen kommen. Die praktischen und religiösen Bestandteile der klerikalischen Kirche sind in Kleinasien und Ägypten in einen bedeutsaman Wettstreit miteinander gekommen: die Frage war im zweiten Jahrhundert die, soll jenes strenge, herbe asketische Ideal oder die Kultusformen die Grundlage der religiösen Gemeinde werden: es war im Streite mit dem Montanismus, dass der christliche Klerus sich als Kultushierarchie hat fühlen und begreifen lernen.
4. Diese innere Auseinandersetzung wird aber erst verstanden, wenn man die Zersetzung der christlichen Anschauungen bis in ihre letzten Wurzeln verfolgt.
Das Christentum des N. T. besteht ohne Zweifel ausschliesslich aus praktischen Bestrebungen. Es hat zwar eine theoretische Weltanschauung, aber es ist diese nicht. Das theoretische Moment ist so zu sagen in dem praktischen gebunden enthalten. Das zeigt sich bei der Lehre von der πίστις. Der Glaube der Christen weiss Gott nur als den Vater Jesu Christi und diesen nur als den Sohn Gottes: beides sind ethische Kategorien. Die metaphysische -- wenn man so will -- Voraussetzung daher ist das Bekenntnis zu Gott als einem persönlichen Wesen, das zugleich als Weltursache gedacht wird.
Beide Begriffsreihen mögen dialektisch schwer zu verbinden sein, aber Thatsache bleibt es darum doch, dass beide sich von Anfang an in dem Bewusstsein der Christen verbunden finden. Auf der Vereinigung beider ruht die absolute Bedeutung der Person Christi.
Das wird nun anders bei den Ebioniten. Sie scheiden sehr genau zwischen dem praktischen Verhalten zu Jesu, als dem geschichtlichen Vorbild ihres Lebens, und der theoretischen Erkenntnis des einen absoluten göttlichen Wesens. Mit wohlthuender Wärme preisen und verkündigen die Clementinischen Homilien immer und immer wieder die hohe Lehre von dem einen
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17 § 2. Das gnostische Christentum.
Gott. Dagegen tritt die universelle Bedeutung Christi befremdlich zurück. Es ist wahr, sie feiern ihn als den wahrhaftigen Propheten. Aber ist er denn mehr als ein Einzelner, ist er denn nicht nur ein Glied in der Kette der grossen Gottgesandten, welche diese religiöse Wahrheit und so manche sittliche Vorschrift der Welt verkündigt haben? -- Seine spezifische Bedeutung als Religionsstifter ist nicht zu begreifen. Warum kann nicht nach ihm wieder ein Prophet kommen, mit demselben Recht, derselben Dignität?
Diese Reflexionen drängen sich jedem Leser des judenchristlichen Romans auf. Die Ebioniten haben selbst eine Empfindung davon gehabt, sie suchten ihnen zu begegnen. Allerdings, indem sie den christlichen Ideengehalt so zerlegten, wurde er dem gewöhnlichen Meinen der Menschen um vieles näher gebracht. Aber, wenn Jesus nur ein Einzelner war, warum trug man denn seinen verachteten Namen, feierte so seltsame kultische Handlungen, wie das Abendmahl und die Taufe?
Um den Widerspruch, der hierin lag, abzuschwächen, griff man zu einem bedenklichen Mittel, man fasste Person und Werk Christi als einen Bestandteil der Weltentwicklung, als ein philosophisches Problem: die Ebioniten infizierten das Christentum mit gnostischer Lehre.
§ 2.
DAS GNOSTISCHE CHRISTENTUM.
Wenn man zum erstenmale die seltsame Welt der gnostischen Systeme, welche im zweiten Jahrhundert die christliche Welt beunruhigten, kennen lernt, so erscheint sie einem wohl wie ein tolles Bacchanal von unsicheren Spukgestalten, die über die Bühne des Weltgeistes laufen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Zu Beginn des dritten Jahrhunderts beherrschen dann die ernsten, für die Spiele der Phantasie unerreichbaren Gestalten der Trinitätslehre die Welt des christlichen Geistes. Man hat Mühe zu begreifen, dass so vernünftige nüchterne Leute wie IRENÄUS, der Lyoner Bischof, und sein Schüler HIPPOLYTUS, der römische Presbyter, diese ganze Bewegung so tragisch nehmen, so viel Mühe verwenden, diese Gnostiker zu widerlegen.
Bestmann: Die Anfänge des kath. Christentums und des Islams.
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18 § 2. Das gnostische Christentum.
Dies Gefühl der Befremdung hängt jedoch aufs engste zusammen mit der Herrschaft der humanistischen, d. h. gräco-romanischen Bildung bei uns. Die vor etwa hundert Jahren begonnenen orientalischen Studien haben allmählich eim Verständnis der Eigenart des semitischen Geistes herbeigeführt, das auch der Kirchengeschichte zugute gekommen ist. MOSHEIM entdeckte in der Gnosis die orientalischen Agentien und brachte Ordnung in die Systeme. Seitdem erkannte BAUR mit genialem Blick in ihnen Grundgedanken seines Meisters HEGEL wieder. Von verschiedenen Seiten sind dann über den inneren Zusammenhang der einzelnen Systeme neue Aufschlüsse gebracht worden. Aber die Aufgabe, sie geschichtlich uns näher zu bringen, ihren Ort in der Gesamtbewegung der Kirche aufzuzeigen, harrt noch bis jetzt der Lösung. Wir versuchen in dem Folgenden das Letztere. Daran hängt zugleich die Erkenntnis der Bedeutung, welche die gnostischen Ideen in dem Islam gehabt haben.
Die unerlässliche Vorbedingung für das Verständnis der Gnosis ist die Anerkennung, dass in der Lehre der katholischen Kirche selbst gnostische Elemente stecken. Auch die griechische Kirche, deren Dogmatik bald die der römischen geworden ist, hat in ihrem Dogma die Bestimmung aufgenommen, dass Christus das allgemeine Prinzip der Welt, nicht bloss die Ursache, sondern das Urbild der Welt sei: in diesem Sinne nennt sie Christum den λόγος, das Verbum Dei. Das ist gräco-romanische Gnosis: Sie ist prinzipiell von der orientalischen Form nicht verschieden.
Das wird deutlich, sobald man sich den Zustand der orientalischen und der griechischen Geistesbildung kurz vor dem Eintritt des Christentums in dieselbe vergegenwärtigt.
ARISTOTELES hat einmal 18) die Griechen mit den Orientalen und den nördlichen Völkern verglichen: er meint, bei den Griechen finde sich die Verbindung von Mut, welcher den nördlichen Völkern, und von Einsicht und τέχναι, welche den Orientalen besonders eignen. Indessen besteht in der Art, die Welt zu betrachten, in der „Einsicht“ selbst ein tiefer Unterschied, den ARISTOTELES nicht erkannte. Viel wahrer haben darüber die Orientalen gedacht. SCHAHRASTANI berichtet uns in seinem grossen Werke über die Religionsparteien 19): „einige teilen das
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19. § 2. Das gnostische Christentum.
Menschengeschlecht nach Völkern ein und zählen vier Hauptvölker: die Araber, die Perser, die Griechen und die Inder. Dann machen sie Verbindungen unter ihnen und geben an, dass die Araber und Inder einem Lehrsysteme anhangend mit einander verwandt sind und vornehmlich der Bestimmung der Eigentümlichkeiten der Dinge und dem Urteile nach Bestimmungen des Wesens und der inneren Beschaffenheit und der Beschäftigung mit geistigen Dingen zugeneigt sind; dass die Griechen und Perser aber einem Lehrsysteme zugethan, mit einander verwandt sind und vornehmlich zu der Bestimmung der äusseren Natur der Dinge und dem Urteile nach Bestimmungen der Qualität und Quantität und der Beschäftigung mit körperlichen Dingen hinneigen.“ Diese merkwürdige Stelle trifft, wenn man von der ethnologischen Klassifizierung absieht, den Kern des Unterschieds in der orientalischen und griechischen Geistesrichtung. Der Orientale kann die Dinge nur als einzelne begreifen, sein Interesse richtet sich darauf, hinter die Dinge oder vielmehr in sie hinein zu kommen, er erforscht nicht, sondern er grübelt nur. Das Begriffliche, das hinter den Dingen liegen soll, als Einzelnes gedacht und gesetzt, ist „der“ Geist: er denkt alles Begriffliche persönlich, lebt daher mehr in Anschauungen und Phantasien als in wirklichen Begriffen.
Es ist eine notwendige Folge davon, dass er besonders befähigt ist, die ethischen und religiösen Verhältnisse, die ja doch den Menschen als konkreten Geist zum Text haben, zu entwickeln. Was man die religiöse Anlage der Semiten genannt hat, ruht doch wohl auf der allgemeineren Basis der vorhin gezeichneten Geistesrichtung. Zugleich aber erklärt sich damit die absolute Unfähigkeit der Semiten (auf sie sollte man der Klarheit halber den Begriff Orientalen beschränken), in den ursächlichen Zusammenhang der Dinge einzudringen. Für die Erforschung der Natur und Geschichte haben sie in der That nichts geleistet.
Anders die Griechen. Sie reflektieren durchaus auf den nervus rerum, damit auf die konstanten Formen, in welchen die Dinge erscheinen: ihre Arbeit ist nicht eher ruhig, als bis sie systematisch von Form zu Form aufsteigend endlich die allgemeine Form, das Grundwesen der Dinge erfasst haben. Bei PLATON hat diese Ideenwelt noch etwas phantastischen Charakter -- die
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20 § 2. Das gnostische Christentum.
εἴδη sind mannigfaltig wie die Dinge selbst und der ϰόσμος νοητός ist nur ein äusserliches Band. Die Idee der Gottheit ist nur bildlich dazu in Beziehung gebracht. ARISTOTELES führt diese hellenische Betrachtungsweise auf ihren Gipfel, indem er die Idee Gottes als des letzten allgemeinen τέλος konzipierte. Dem Bestreben, die von ihm noch nicht überwundene Differenz zwischen der Form und ihrem Stoffe, ῦλη, zu beseitigen, verdankte dann die stoische Lehre von der Weltseele, dem stofflichen Logos, welcher die Welt durchdringt, ihr Dasein.
Diesser Zug zu dem Allgemeinen, zu der Idee der Dinge hat ja gewiss seine bedenkliche Seite: es mangelt ihm der Respekt vor der harten Realität der einzelnen Thatsache und dis ethischen Probleme können am wenigsten durch solch ein Zurückgehen auf einen allgemeinen λόγος ihre Erledigung finden: die Behandlung, welche ARISTOTELES dem moralischen Individuum zuteil werden lässt, ist denn auch wirklich schnöde, er versteigt sich bis zur Rechtfertigung der Sklaverei.
Aber leugnen lässt sich doch nicht: es war eine innere Notwendigkeit für die später mit dem Hebel des Kausalgesetzes arbeitende Erkenntnis der Welt, dass die Welt als eine Totalität begriffen wurde, dass der Mensch sie als das Werk des Geistes sich zu seinen Füssen liegen sah. Das wird man denn als das Hauptresultat der griechischen Philosophie bezeichnen dürfen.
Diese Richtung auf die „Idee“ wirkte wie eine korrosive Säure auf die Religionen. Die Griechen konnten ihre eigene Religion nicht retten. Es war vergebens, dass Sie dieselbe zu einem System zurechtstutzten, umsonst machte HESIOD aus den einzelnen religiösen Vorstellungen eine leidlich plausible Geschichte, die Theogonie, selbst der Mysteriendienst gewann die Philosophen nicht: ironisch standen sie ihm gegenüber. Als sie nach Rom kamen, stürzte das Gebäude des altväterlichen Glaubens zusammen wie ein Kartenhaus. Wie hätte das wirre Pantheon der Orientalen vor diesem Mauerbrecher stand halten sollen! Gleich nach ALEXANDER hielt die hellenische Philosophie ihren Einzug in dem Orient. Auch hier war die Folge eine Zersetzung des alten Götterglaubens. SANCHUNIATHON dolmetschte die phönikische Religion, BEROSSUS die altbabylonische den Griechen. Aber beide mussten sie umbilden, um sie überhaupt in dem Licht der
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21 § 2. Das gnostische Christentum.
hellenischen Sprache erscheinen lassen zu können. Die alten starren Göttergestalten gerieten in Fluss. Sie mussten sich auf ihre alten Tage bequemen, die Sprache der Philosophie zu reden, das Rätsel der Welt zu erklären: sie wurden zu Momenten in dem theogonischen Prozess, der von dem Chaos anfing und in der Harmonie der sichtbaren Welt seinen Abschluss fand.
In diesem Prozess der von den Römern aufgenommenen Hellenisierung des Orients kommen nicht in Betracht die Kleinasiaten. die mit ihren zwei und zwanzig Sprachen des einheitlichen nationalen Gepräges entbehren, bei denen daher eine Stadt mit der anderen um die Wette sich beeilte, νεωϰόρος zu sein, den gräco-romanischen Göttern, am einfachsten den Kaisern, zu opfern. Die Araber waren zu fern, die Ägypter zu reserviert, die Perser seit den Partherkriegen zu erbittert, als dass von einem inneren Ausgleich zwischen Orientalen und Griechen hätte die Rede sein können. Nur auf dem Gebiet des syrophönikischen Volksstammes kam es zu jener inneren Gährung, die der griechische Geist noch überall, wo er Boden fasste, hervorgerufen hatte. 20)
Aber grade hier fand er einen Konkurrenten. Grade hier war es, wo das Christentum sich zu seinem Siegeslauf anschickte, es selbst eine ideale Macht in noch höherem Sinne, als das Hellenentum es war: denn es beherrschte den Willen der Menschen.
Die grosse Frage, um die es sich hier um die Wende des zweiten Jahrhunderts handelte, war, soll die Richtung auf die praktische Bearbeitung der Welt, oder die auf die Erkenntnis derselben den Sieg gewinnen. Von dem historischen Gesichtspunkt betrachtet, muss man doch wohl sagen, dass an eine direkte Vereinigung jenes theoretischen und dieses praktischen Zuges kaum zu denken war. Der hellenische Geist war zu aggressiv, zu wenig schonend gegen die ethischen Bedürfnisse des menschlichen Herzens, das Christentum aber war noch zu sensitiv gegenüber den Forderungen, welche die eindringende Erkenntnis der Welt erheben konnte.
Da war es nun doch von unermesslicher Bedeutung für den geistigen Fortschritt der Menschheit, dass inzwischen die hellenischen Ideen sich an das Dämmerlicht der orientalischen Mythenwelt gewöhnt hatten, und dass das Christentum von der Höhe seiner praktischen Lebensrichtung herabgestiegen war, sich zu einem
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22 § 2. Das gnostische Christentum.
Kompromiss mit den augenblicklichen Bedürfnissen eines -- des jüdischen -- Volkes herbeigelassen hatte. Denn nun konnte wirklich an eine Vereinigung gedacht werden, nun konnte jener dialektische Zug sich erhalten und doch den praktischen Interessen den Vortritt lassen.
So betrachtet, kann man der bei den Ebioniten auftauchenden gnostischen Richtung doch auch eine gute Seite abgewinnen. Sie haben den äusseren Sieg des Christentums ausserordentlich erleichtert.
Um diese innere Krisis aber richtig zu verstehen, sind noch einige Punkte zu erledigen.
Zunächst die Verbreitung des jüdischen Volkes in den östlichen Strichen.
Zahlreich sind sie besonders in Kleinasien. Antiochus der Grosse hatte zweitausend jüdische Familien aus Mesopotamien nach Lydien und Phrygien verpflanzt. 21) Dem Apostel Paulus begegnen sie auf Schritt und Tritt bei seinen kleinasiatischen Wanderungen. 22) Besonders unter den Phrygern scheinen sie sich breit gemacht zu haben. 23) Wie hätten sie auch an den belebten Handelsmittelpunkten Kleinasiens, wie z. B. in dem phrygischen Pessimus fehlen dürfen. 24) Zwischen Doryläum und Augustopolis gab es einen Ort, der den sonderbaren Namen οἱ Έβραιϰοί führte. 25) An welche Mengen von Juden zwingt uns endlich die Nachricht zu denken, dass Sapor I. bei einem Blutbad in Cäsarea in Kappadokien 256 p. C. nicht weniger als 12,000 Juden hinschlachten liess. 26)
So bildeten sie ein nicht unwichtiges Ferment unter den mannigfaltigen Populationen Kleinasiens. 26a) Dass sie in Antiochien, in Nordsyrien, in Mesopotamien 27) sehr dicht sassen, ist auch dann gewiss, wenn wir auch nicht im stande sind, die numerische Stärke derselben abzuschätzen. Im Süden, bis in das Herz Arabiens hinein, waren sie nicht minder zahlreich. Dort haben sie eine Macht entfaltet, welche die kühnsten Träume ihrer nördlichen Stammesgenossen überstieg. 28) Die eigentümliche Versatilität ihrer Rasse machte sie zu den gegebenen Vermittlern der Orientalen und Gräcoromanen, zwischen denen beiden sie sich wie ein Keil eingeschoben hatten.
In diesem schmalen Volksstreifen. erhebt sich nun, genährt an den grossen Traditionen einer ehrwürdigen Geschichte, die
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durchaus originale Bildung des Christentums, eine die ganze äussere, weil die innere Welt umspannende sittliche Weltanschauung und Tendenz. Allein es gelingt nicht, die ursprüngliche Erhabenheit seiner Weltansicht festzuhalten. In dem Drange der nationalen Leidenschaften sucht man Anschluss an die alten Gewohnheiten des Lebens. Dann aber war die Gefahr, eben die Bedeutung dessen, dessen Namen man trug, abzuschwächen (s. o.). Das geschah auch praktisch, aber theoretisch wollte man das doch nicht: so übermalte man denn die Züge seines geschichtlichen Bildes und dachte ihn sich nun doch jedenfalls als ein über alle Welt erhabenes geistiges Wesen: er galt als ein engelisches Wesen, das damit in direkte metaphysische Beziehung zu Gott gesetzt wurde.
Das ist die innere Veranlassung der Gnosis. Christus sollte, wenn er denn nicht mehr der Mittler zwischen Gott und der ϰαρδία des Einzelnen sein konnte (das besorgte nunmehr wieder ein vergeistigtes Gesetz), doch allgemein ein Mittler zwischen Gott und der Welt sein.
Die äussere Veranlassung dazu lag in den zeitgeschichtlichen Verhältnissen des jüdischen Volkes. Da fanden sich die patriotischen Ultras, die „positiven“ gesetzeskundigen Pharisäer neben den aufgeklärten Männern der Kompromisspartei, den bei Hofe gern gesehenen Hellenisten, die etwa in der Weise PHILONS die Versöhnung zwischen PLATON und MOSE verkündigten. Neutral und reserviert ihnen beiden gegenüber waren die Stillen im Lande, die Frommen, die Essäer. Diese Parteigruppierung erinnert unwillkürlich an die der Scholastiker, Humanisten und Mystiker des ausgehenden Mittelalters. Auch darin vergleichen sich diese Verhältnisse, dass nun nach der Katastrophe die Pharisäer, die Rabbinen in Tiberias, wieder Oberwasser bekamen; sowie die scholastische Partei schliesslich in Trient auch wieder in den katholischen Ländern das Heft in die Hände bekam.
Die Hellenisten und die Essener wurden dadurch dem Christentum in die Arme getrieben. In Antiochien waren es die Erstgenannten, wie ausdrücklich betont wird, denen gelegentlich der Stephanus-Verfolgung das Evangelium verkündigt wurde. 29) Dass auf der anderen Seite die durch den Terrorismus der rabbinischen Juristen an die Wand gedrückten Essener zu einem
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24 § 2 Das gnostische Christentum.
Pakte mit der christlichen Gemeinde geneigt sein mussten, lag in der Natur der Dinge.
Es liegt auf der Hand, wie die Aufnahme solcher heterogenen Elemente die gnostischen Ideen begünstigen mussten.
Eine Neigung dazu war bei den Juden von vornherein vorhanden. Je mehr ihnen der Gedanke des einen geistigen Gottes in die nebelhaften Fernen eines bloss abstrakten Begriffs entwich, desto reichlicher bevölkerte sich der Raum zwischen Himmel und Erde mit den eigentümlichen Mächten, die anfangs bloss Boten Gottes, ἄγγελοι, waren, später aber selbständige Figuren, Repräsentationen der einzelnen Naturgewalten in Welt und Geschichte, wurden. Dass dies eine Nachwirkung ihres Verkehrs mit der persischen Religion war, ist oft behauptet, jedoch ebenso schwer nachzuweisen als zu widerlegen. 30) Es ist das im Grunde auch gleichgültig: die Hauptsache ist doch dies, dass sie das Bedürfnis fühlten, die Kluft zwischen der Welt und dem transzendenten Gott auszufüllen.
Das konnte aber auch so geschehen, dass man die Eigenschaft, durch welche Gott mit der Welt als ganzer schaffend und erhaltend in Beziehung steht, die Weisheit, als selbständige Wesenheit aus dem Begriffe von Gott herauslöste.
So entstand das Theologumenon von der chokmah, σοφία Gottes, das zum erstenmal in den Sprüchen Salom. c. 8 begegnet und später von dem Alexandriner PHILON, freilich ziemlich mechanisch, mit der hellenischen, stoischen Logoslehre in Verbindung gebracht wurde. 31)
Aber es liegt wohl auf der Hand, dass weder in dem einen noch in dem anderen Falle diese Ideen von Belang für das praktische Leben waren: es war doch nur ein fremdartiges Ornament, wenn man die Gesetzgebung am Sinai sich durch engelische Mächte vermittelt dachte. So finden wir denn auch, dass die Essener mit dieser Engellehre ihre müssigen Stunden verspielten: Sie hüteten sie wie ein kostbares Geheimnis. 32) Aber das war überflüssig: die Neigung zu diesem gnostischen Spiel war allgemein unter den Juden: auch in der christlichen Gemeinschaft macht sie sich bei den Juden geltend. Paulus muss die jüdischen Christen zu Kolossae dringend vor solchem Sichverlieren in unendliche Mythen
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25 § 2. Das gnostische Christentum.
von Engelgenealogien warnen. Natürlich sind die Gemeinden deshalb keine Essener.
Eben diese Strömung stieg nun in die Höhe. Die Ebioniten, unfähig, die φανέρωσις Gottes in Christo zu verstehen, damit zugleich ausser stande, die ernsten Züge seines geschichtlichen Lebens festzuhalten, liessen ihrer Phantasie die Zügel schiessen. In ihrem Kreise haben sich jene Legenden um das Leben Jesu und seiner Apostel gelegt, die dann von den späteren Romanschreibern und Volksdichtern der katholischen Kirche zurecht gestutzt und weiter gebildet wurde. 33) Da erzählte man sich Wunderdinge von dem Jesuskinde. Da hält der Säugling Menschen und Tieren Reden, herrscht die wilden Tiere der Wüste an, dass sie sich beschämt fortschleichen: der Knabe Jesus macht im Handumdrehen seine Gespielen tot und lebendig, Thonfiguren werden unter seiner Hand zu Sperlingen, seinem Lehrer imponiert er besonders durch Offenbarungen über die Prinzipien des Alphabets u. dgl. 34) Es war natürlich, dass auch die Gestalt seiner Mutter dementsprechende kolossale Proportionen annimmt. 35) Die wunderbare Geburt Jesu, weit entfernt, von diesen Ebioniten bestritten zu werden, wurde sogar, soweit thunlich, auf Maria selbst übertragen.
Die älteste evangelische Überlieferung verweilt fast ausschliesslich bei der Erzählung von Jesu messianischem Wirken. Es ist das ein Zeichen, wie sehr hier die ethische Auffassung das religiöse Interesse beherrscht. Das phantastische Spielen mit der Vorstellung von dem Jesukinde, das seit Origenes auch bei den Katholiken sich nachweisen lässt 36), ist doch nur ein Symptom des Abfalls von der ursprünglichen Höhe der sittlichen Weltanschauung. Es wurzelt zuletzt in der berührten Schwenkung der Ebioniten.
Es war nur die andere Seite dazu, wenn man, um ein Gesamturteil über die Person Jesu auszusprechen, seine Zuflucht zu den Engelideen nahm. Die Elxaiten des Nordens wie des Südens dachten sich Christum als eine δύναμις, einen Engel von 96 Meilen Länge und 24 Meilen Breite. Ein solches Gebilde war dann höchstens noch als Übermittler von Offenbarungen zu verwenden. 37)
Diese Auffassung von Jesu als einer engelischen δύναμις war doch wesentlich eine partikulare Idee. Indes fehlt es hiebei nicht an einem allgemeinen Gesichtspunkt. Das christliche Bewusstsein
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26 § 2. Das gnostische Christentum.
ist beherrscht sowohl durch die Idee von Christo als durch die von dem πνεῦμα ἅγιον. Das Spezifische des Letzteren beruht in dem Gebundensein an die geschichtliche Erscheinung Jesu: ἐϰ τῦ ἐμοῦ λήμψεται 38) Das πνεῦμα heisst ἅγιον, weil ἁγιάζον, das Werk Jesu fortsetzend, vollendend.
Wohl in Anknüpfung an die evangelische Überlieferung, die sich in den ersten Kapiteln des Matthäus und Lukas findet, kommt jetzt das πνεῦμα in die Vorderhand, indem es mit jener chokmah == σοφία in Verbindung gesetzt wird. Sie wird (zuerst wohl als die Schwester 39), dann) als Mutter Jesu gedacht. 40)
Wie hätte es aber dabei sein Bewenden haben können! Nur gegenüber der willkürlichen Idee von dem Christus-Engel war diese Anschauung im Recht. Sie hat die erste denn auch völlig aufgesogen. Die Klementinen, welche den Ebionitismus in seiner feinsten Form präsentieren, verraten von ihr kein Wort mehr: Christus erscheint als die verkörperte Weisheit Gottes.
Solche und ähnliche Anschauungen liessen sich nun freilich an dem Anfang des Lebensbildes Jesu unterbringen, die mündliche und schriftliche Tradition sagte darüber ja nichts. Auch die spätere Entwicklung Jesu, als des Propheten in Palästina, liess sich zur Not unter dem Gesichtswinkel eines Propheten des höchsten Gottes auffassen. Aber an einem Punkt musste Farbe bekannt werden, musste es sich zeigen, ob dieser Jesus Fleisch und Blut habe oder nicht; das war sein Lebensende.
Schon vor den Ebioniten hatte man hier einen gelungenen Ausweg eingeschlagen: Simon, ein Samaritaner, der Späteren als ein Goet erschien, dessen Beziehungen zum Christentum freilich immer unsichere bleiben werden, hatte bereits die (doketische) Überzeugung ansgesprochen, der Jesus, welcher gekreuzigt wurde, sei ein anderer gewesen, als der wirkliche (d. h. nach ihm der ideale) Jesus, der eine Abspaltung Gottes sei. So gewiss nun in dem Protevangelium Jakobi bereits die ersten Anfänge solchen Doketismus vorliegen, so wenig lässt sich doch behaupten, die Ebioniten seien alle in Bezug auf den Tod Jesu der Meinung Simons gewesen, nur von dem von den Ebioniten ausgegangenen Kerinthos hören wir dies. 41) Es liegt aber auf der Hand, dass sie nichts hatten, diese Ansicht innerlich zu überwinden. Mit einer fast ängstlichen Scheu vermeiden es denn auch die Klementinen, wie
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die anderen Reste der ebionitischen Litteratur von den letzten Tagen des Herrn zu reden. 42)
So ist doch das ganze „Lehrgebäude“ ein unerträgliches Schaukelsystem: sie halten an dem alten Gesetze fest; sie üben die Beschneidung, verehren Jerusalem, als wenn es [noch immer] das Haus Gottes sei 42a) und brechen doch ein so wesentliches Stück, wie den Opferkult, das Priestertum heraus: sie acceptieren die Ordnungen der Bergrede, aber fassen diese nicht geistig, sondern körperlich, machen deshalb das innere Verzichten zum äusseren Akt, ihre Gemeinschaft schliesst sich um die Erinnerung an Jesum zusammen, aber sie feiern ihn durch Ritenwerk, das er hatte abschaffen wollen; sie wollen ihn als ein über alle Wesen erhabenes Wesen begreifen, allein sie machen ihn darüber täppisch zu einem übermenschlichen transmundanen Geschöpf, sie legen auf die praktische Lebensführung einen starken Accent und inaugurieren selbst die theoretische Verbildung des Christentums.
Jesus hatte einst vor diesem Sauerteig der Pharisäer gewarnt, d. h. vor der Vermengung des Alten mit dem Neuen. Nun war es doch da und mit ihm eine nicht geringe geistige Gährung.
Dass in ihr einige Elemente ausgeschieden werden mussten, war unumgänglich. Ganz schwankend war bei allen ihren Spekulationen immer die Stellung zu den natürlichen Lebensformen. Sind die natürlichen Lebensgüter: Essen und Trinken, Familie etc. berechtigt oder nicht? Eben darüber hatte man bei den Essenern selbst gestritten. Es gab dort eine Richtung, welche die Ehe ablehnte und eine andere, welche sie anerkannte. 43) Diese Fragen kehrten nun wieder. Der nächste Anlass lässt sich nur erraten. Möglicherweise wurde die Frage durch Heidenchristen brennend, welche durch die ebionitische Schule gelaufen waren und die Überzeugung gewonnen hatten, jene Halbierung des Gesetzes sei eine Halbheit: das ganze Gesetz müsse gestrichen werden, desgleichen sei Christus nicht bloss eine geistige engelische Potenz, sondern die geistige Offenbarungsmacht selbst. Gegenüber diesen Konsequenten hat sich im Norden wie im Süden Palästinas unter den Judenchristen das Bedürfnis geregt, der Ethik eine gesündere Haltung zu geben. Man glaubte damit den alten essenischen Charakter wieder aufzufrischen; man griff auf den alten Namen der Essener: chasai zurück, woraus elxai verstümmelt ist. 43a)
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28 § 2. Das gnostische Christentum.
Das war um die Wende des zweiten Jahrhunderts: 101. Man gab den älteren asketischen Tendenzen den Abschied, empfahl die Ehe, schon den Jünglingen wurde sie dringlichst ans Herz gelegt, die ἐγϰράτεια wurde nur gestattet, man glaubte ein Recht zu haben, die zwei ersten Kapitel des Matthäus-Evangeliums, welche die übernatürliche Geburt Christi erzählen, zu streichen. 43b) Sie sind dadurch in den unverdienten Ruf der Kritik gekommen: sie trieben damit nur Dogmatik. Auf der anderen Seite wurde man toleranter: man setzte die Beschneidung ausser Kurs; sie war nur noch für die Epopten, für die Priester erforderlich. So wurde alles viel glatter. Man hat entschieden den Eindruck, die Hellenisten, die Humanisten sind nun unter den Ebioniten obenauf gekommen. Die Klementinischen Homilien sind ein Denkmal dieser modernen Richtung, obgleich sie selbst schon den ursprünglichen Elxaitismus grade in der Dogmatik nicht unwesentlich abgeschliffen haben. Da hört man nun aber nichts mehr von der unklaren Engelidee. Christus ist der Logos, die Sophia Gottes, die dem Menschen das verborgene Wesen Gottes dolmetscht. Er erschien in den grossen Männern der alttestamentlichen Urgeschichte, zuletzt in Jesu von Nazaret.
Freilich den Nerv des ältesten Christentums trafen sie damit so wenig wie ihre Vorgänger: den Paulus lehnten sie so gut ϰόσμος ab, wie die älteren Ebioniten 44), höchstens dass sie ihn später für die Heiden gelten liessen 45) -- notgedrungen, wie man sieht. In ihrem System, welches das alte Gesetz nur dividierte, war für Paulus, der die absolute Bedeutung des Gesetzes prinzipiell beseitigt hatte, kein Raum.
So lässt es sich denn wohl begreifen, dass die ältere Partei neben der elxaitischen sich immer noch hielt, zumal im Süden war das der Fall. Denn dort sind die Sampsäer zu Hause, welche in ihrem Namen noch die Erinnerung an den ersten Beruf, Diener Gottes zu sein, bewahrten: Sie glaubten vor allem durch Enthaltung dies zeigen zu können. 45a) Dürfen wir in ihrem Kreise auch die Adamianer suchen mit ihrem wunderlichen Kultus, in dem als Ideal neben der seelischen Reinheit die körperliche Nacktheit aufgenommen wurde? 45b) Sicher gehören in diesen Kreis die Valesier, nordarabische Christen, deren asketischer Eifer ihren Nachbarn als Empfehlung, ja gewaltsame Durchführung der
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29 § 2. Das gnostische Christentum.
Eunuchie erschien. 46) Sie trugen vielleicht den ältesten Necknamen der Christen: die „Armen“. 47) Allen Judenchristen und den von ihnen ausgegangenen nationalen Parteien war der Name „Abtrünnige“, Chanefim, gemeinsam, mit welchem die Juden ihre christlichen Volksgenossen entlassen hatten. 48)
Immerhin werden wir annehmen dürfen, dass die Spaltung zwischen den „modernen“ und den altgläubigen Judenchristen sich bis in die südlichsten Wohnsitze der Juden, bis nach Arabien fortgesetzt hat.
Damit war es denn aber um die weltgeschichtliche Mission des Judenchristentums geschehen. Das Grosse an ihnen war doch die Energie, mit welcher sie die Lebensregeln Christi ins Leben überzuführen unternahmen, und die Kraft, mit der sie den monotheistischen Gedanken ergriffen. Aber wie lose war hier das eine neben das andere gestellt. Und nun doch diese innere Uneinigkeit! Da war es denn undenkbar, dass sich die Heidenchristen noch länger nach ihnen hätten richten können. Die Gräcoromanen mussten sich auf eigene Füsse zu stellen suchen, so gut wie die Syrer. Als ein Symptom dafür, dass dies wirklich geschah, werden wir es gelten lassen dürfen, dass eben seit dem Beginn des zweiten Jahrhunderts sich die heidenchristliche Litteratur in West und Ost zu regen beginnt. Gährungsstoffe dazu waren in den Schriften eines Paulus und Johannes reichlich vorhanden. Aber wer sieht nicht auf der anderen Seite, dass die natürliche Auktorität, welche die Judenchristen in der ersten Zeit genossen, und dann eben die Loslösung von ihnen selbst nicht statthaben konnte, ohne dass eine gewisse Grundstimmung, möchte ich sagen, von ihnen mit herüber genommen wurde.
Dazu muss man nicht glauben, dass es nicht auch in den heidenchristlichen Kreisen schon früh „Antisemiten“ gegeben habe. Populär sind die Juden auch im Altertum nie gewesen. Wie brauste das alexandrinische Volk auf, als Herodes Agrippa sich vor ihm als König aufspielte, wie höhnt ein Apion, ein Tacitus die Juden, wie neidisch war die Menge, wenn es einem strebsamen Juden in Rom gelang, aus dem Ghetto sich zum Hausbesitzer in dem eleganten Viertel Roms aufzuschwingen. Wir wissen, dass die Heidenchristen dafür nicht unempfänglich gewesen sind. In Ephesus gab es um 150 katholische Christen,
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30 § 2. Das gnostische Christentum.
welche jede Gemeinschaft nicht bloss mit den Juden, sondern auch mit den Judenchristen perhorreszierten. 49) Wie wird es da erst bei den heidnischen Christen ausgesehen haben, welchen das Christentum nur die Hülle für ihre spezifisch ethnische Überzeugung war!
In unheimlicher Weise hoben dieses Larven gerade in dieser Übergangszeit der Kirche ihr Haupt empor. Was wir Gnosis im engeren Sinne nennen, ist nichts anderes als der Versuch, ein rein nationales, ethnisches Christentum dem judenchristlichen Partikularismus, der ja selbst schon zu gnostisieren angefangen hatte, gegenüber zu stellen. Durch ihn hindurch hat sich erst die katholische Kirche auf sich selbst besinnen können.
Die Judenchristen waren ihre eigenen Totengräber gewesen. Aus ihrer eigenen Mitte hatten sich revolutionäre Stimmen geltend gemacht, gegen welche schon PHILON in besonders erregtem Tone spricht. 50) Ihnen war alles Alte bloss ein Symbol des Geistes, die alten Formen nur wie die Schlacken, aus welchen sich durch die Philosophie das Edelmetall der Idee herausgezogen habe. Solche Stimmen konnte man nun auch in der jüdischen Christenheit hören. Kerinth in Ephesus war eine solche: gewisse jüdische Theologumena, z. B. von dem (sinnlich ausgemalten) tausendjährigen Reich Christi, hatte er ja freilich nicht abstossen können. Aber der Hauptsache nach hatte er mit dem Gesetze gebrochen. Die Zeit unter dem Gesetze gehörte ihm mit in den vorchristlichen Zeitraum der ἄγνοια. 51) Es gab unter den Ebioniten eine ganze Partei, die dem Gesetze gegenüber ebenso standen wie er. 51a) Das verstanden dann die Griechen auf ihre Weise.
Sucht man nämlich erst nach platonischen Ideen im A. T., so ist es vergebliches Bemühen, die Urzeit bis Mose etwa besonders und auf Kosten der folgenden Volksgeschichte herauszustreichen: wie das die Ebioniten thaten. Sie sind im Pentateuch so wenig als in den übrigen Büchern zu finden. Fällt aber das Gesetz, was haben dann die Juden noch voraus? Musste nicht grade die Heidenchristen dieser Zweifel beschleichen, sie, welche in der Lehre des Apostels Paulus ja das klassische Zeugnis für die Überflüssigkeit des Gesetzes besassen? Die Griechen in Korinth hatten schon früh eine merkwürdige Gabe, von ihm verkündigte
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Thatsachen, z. B. die Auferstehung, in der Retorte ihrer Dialektik in Ideen zu verflüchtigen. Wie schwer war es nicht, die Linie zwischen der absoluten Bedeutung des Gesetzes, welche Paulus bestritt, und der relativen, pädagogischen, welche er aufs stärkste betonte, inne zu halten! In der ältesten syrischen Gnosis sind dann auch gewisse paulinische Grundgedanken, wenn auch oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt, unverkennbar. 51b)
Man hat sie in der That schon früh verwischt. Der unruhige Nikolaos, dem wir erst in Antiochien als jüdischem Proselyten, dann in Jerusalem als einem der ersten Gemeindediakonen begegnen, hat in Ephesus kein Bedenken getragen, alle jüdischen Reminiszenzen von sich zu werfen und ein rein ideales Christentum zu konstruieren -- nach hellenischen Begriffen. 52) Möglich, dass er durch beginnende ebionitische Regungen in der kleinasiatischen Kirche dazu veranlasst war. 53) Immerhin war der Schritt. den er that, bedeutsam genug, um den Apostel Johannes so in Harnisch zu bringen, wie wir dies in den sieben Sendschreiben vor seiner „Offenbarung“ sehen. Er bestritt die Relevanz alles Äusserlichen, Sinnlichen im Christentum: die σάρξ sei eine ἀπολλυμένη. Sie gehöre dem Fürsten dieser Welt an, es sei daher erlaubt, sie zu verachten, sie zu ignorieren. 54) Die Folge davon war, dass alle sittlichen Ordnungen ins Schwanken gerieten: indiscrete vivunt heisst es von den Nikolaiten, sie respektierten so wenig die Schranken der Ehe als die Pflicht des Bekenntnisses. 55) Die Gesetze sind dann natürlich, wie dies auch schon Simon erkannte, nicht φύσει, sondern ϑέσει, d. h. willkürlich. Und weiter, wenn, mit den alten Musikern zu reden, der ῥυϑμός, in diesem Falle die Gesetze, keinen Sinn hat, d. h. begriffswidrig ist, muss es gewiss das ῥυϑμιζόμενον, die Materie, auch sein. Die Welt ist daher nicht durch das Geistige, Gott, gesetzt, geschaffen, sondern von dem geist- und gottwidrigen Wesen: bis in diese letzten Schlupfwinkel glaubten die Nikolaiten den Satanas verfolgt zu haben. 56)
Es sind das im wesentlichen alte hellenische Gedanken. Die athenischen Sophisten hatten die Disparität des Inneren mit dem Äusseren, d. i. des Geistes mit der Materie, so weit getrieben, dass in ihr schliesslich alles Positive wie in einer Bodensenkung verschwunden war. Das Neue der Gnosis bestand nur darin,
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dass diese Gegensätze nun persönlichen Charakter bekamen: es handelte sich um einen Kampf zwischen Gott und Satanas.
Es schien eine Zeitlang, als sollten diese Ideen in dem christlichen Bewusstsein der Heiden die herrschenden werden. Zwar in Kleinasien war die Auktorität des Johannes noch stark genug, um diese unordentlichen Geister zu bannen. 57) Die Nikolaiten selbst sind denn auch nicht in das zweite Jahrhundert, wie es scheint, hineingekommen. Aber das Unheil war nun einmal im Zuge. In Syrien fand des Nikolaos Lehre ein deutliches Echo. Hier, also in Antiochien, Edessa, Ktesiphon etc. -- denn noch trug das Christentum einen durchaus städtischen Charakter -- bildeten sich kleinere Gruppen unter den Christen, welche in die Gedankengänge des Nikolaos einsetzten. Wie das nicht anders sein konnte, bildeten sich unter ihnen selbst sofort verschiedene Formeln für ihre Lehre. Da finden wir den der Hauptsache nach durchaus ophitisch denkenden Satornil mit seiner Sekte, die sethitischen Ophiten und Barbelioten, die Kainiten, die Naassener und endlich einen Justinus mit seinem Anhang. Aber einig waren sie doch alle in der Überzeugung, dass das Alte Testament die Wahrheit des Neuen nicht enthielte, dass der Gott, den jenes verkünde, nicht der Vater Jesu, dass daher die Feinde Jehovahs im Grunde die Freunde des obersten Gottes seien. Wer hätte dann aber auf diese Ehrenstellung mehr Recht als jener ὄφις, der zu Beginn der Menschheitsgeschichte die Menschen von dem Dienst Jehovahs abgespannt, sie zum Sündenfall verlockt hatte?
Eben danach hiessen alle diese Gnostiker Ophiten. 58) Es war in ihrem Kreise, dass der Name „Gnostiker“ zur Parteibezeichnung wurde. Hier sind auch die Grundrisse zu jenen Systemen entworfen worden, die dann einige spekulative Köpfe Alexandriens den hellenischen Christen mundgerecht zu machen suchten. Der praktische Stimulus, die Polemik gegen das jüdische Christentum, war eine Erbschaft des ja auch in Antiochien nicht unbekannten Nikolaos. Aber die ganze Tektonik des Systems, die innere dialektische Überwindung des Ebionitismus ist das Werk dieser syrischen Gnostiker gewesen.
Und das ist die historische Stellung der Gnosis überhaupt: die katholische Kirche ist durch sie frei geworden von der jüdisch-christlichen
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Gemeinde. Diese Katharsis hat sich aber auch hier nur durch eine μίμησις τῶν τοιούτων παϑημάτων vollzogen.
Die Ebioniten hatten in dem Gesetze Moses, das sie freilich verstümmelten, das allgemein Vernünftige, den νοῖς, λόγος, erkannt. Zugleich hatten sie in Christo den Träger dieses allgemein vernünftigen Prinzips gefeiert, jedoch mit einem Zusatz von essenischen Anschauungen über Engelsmächte, der dazu schlecht stimmte. Die Kette war indessen nicht geschlossen: nur lose hingen beide Teile ihres Systems zusammen.
In den formellen Hauptpunkten stimmen damit die Gnostiker überein. Der νοῖς soll die Handlungen regieren, und ihr Christus soll ebenfalls die verkörperte Weltvernunft sein.
Allein das Materiale ihrer Thesis bestritten die Gnostiker durchaus. Das Gesetz Israels war ihnen nicht das Gesetz der moralischen Welt überhaupt, und Christus war ihnen nicht ein Engel neben anderen, sondern der Herr der Engel, weil die göttliche Weisheit.
Man sieht deutlich, wie hier die partikularen Vorstellungselemente ein Raub der allgemeinen Begriffe werden. Diese selbst sind freilich hier keineswegs in ihrer abstrakten hellenischen Form vertreten: Sie erscheinen selbst als personifizierte Mächte, die also eine äussere Geschichte haben. Dieselbe ist durch die polemische Rücksicht auf die Schöpfungsidee bestimmt.
Denn es war ja das Eigentümliche des mosaische ϰόσμος n Gesetzes, dass dasselbe sich an die dem ethnischen Altertum unbekannte Schöpfungsidee anschloss: der Gesetzgeber der Israeliten war zugleich der Schöpfer der Welt. Man konnte den einen nicht verwerfen, ohne zugleich den anderen abzulehnen.
Infolge davon wurde nun der Gott des A. T. degradiert zu einem göttlichen Wesen zweiter Klasse, er wurde eine engelische Potenz.
Damit tritt die Anschauung sofort in den Rahmen der philosophischen Weltansicht. Die Welt stellte sich den Griechen als das Produkt einer geistigen und materiellen Substanz dar: nun aber erschien die Verbindung von μόρφη und ὕλη, welche die Hellenen, auch PLATON, als eine gegebene hingenommen hatten, als etwas der Idee Unangemessenes.
Die Mission Jesu gipfelt mithin in der Aufgabe, diesen
Bestmann, Die Anfänge des kath. Christentums und des Islams.
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Weltbildungsprozess rückgängig zu machen. Das geschieht durch Sammlung der als Lichtelemente gedachten geistigen Energien. Die Erlösung ist mithin ein kosmischer Prozess.
Sofort erwacht aber die Reflexion auf die Ursache der Weltbildung. An der Spitze der Genesis fand man die Erzählung von einem Sündenfall. Wie alle ethischen, die Menschheitsgeschichte angehenden Fragen ins Kosmische vergrössert wurden, so benutzte man auch diese Idee, um den weltschöpferischen Gott aus dem Mittel zu schaffen. Die Griechen beklagten wohl dies Dasein der Welt als ein Unglück: hier wurde die Weltschöpfung das Produkt eines Falles, eines sittlichen Vergehens, natürlich innerhalb der göttlichen Welt.
Denn es kann, um diese ganze Geschichte zu inszenieren, eine Mannigfaltigkeit in Gott nicht entbehrt werden. Indem man geschichtliche Vorgänge zu kosmischen Prozessen aufbauschte, musste man die kosmischen Thatsachen als geschichtliche betrachten, d. h. sie mythologisieren.
Eben dazu bot scheinbar die christliche Gotteslehre die Hand. Man glaubte Vater, Sohn und Geist ihres ethischen Charakters entkleiden, sie als Momente eines innergöttlichen metaphysischen Prozesses fassen zu dürfen. Es war das nur eine Weiterführung dessen, was bereits die Ebioniten von der ϑεία σοφία gemunkelt hatten.
Das ist der ganze dialektische Apparat, mit welchem die Gnostiker, und nicht bloss die Syrer, gearbeitet haben. Das kleine Arbeitsgerät für diese Systeme ist nach Zeit, Ort und Gelegenheit verschieden, oft ist es unmöglich, Licht darein zu bringen. Aber die Haupthebel sind so übel und unkräftig nicht.
Wir skizzieren kurz den Gang des ophitischen Systems 60): von dem der Barbelioten ist uns leider nur der Kopf erhalten.
Gott ist das schlechthin bestimmungslose Sein. Er ist zugleich das Urbild der Menschen. Der Gedanke seiner selbst ist der Sohn, der zweite Mensch. Unter ihm befindet sich der h. Geist. Er ist, wie bei den Ebioniten, weiblich gedacht.
Dies ist der Anfangspunkt für die Welt der Formen, den ϰόσμοςνοητός PLATONS, mit denen nun durch die dialektische Arbeit das gegenüberstehende Chaos, die Materie in irgend welche Gemeinschaft gebracht werden soll.
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Das Moment der (materiellen) Differenz, die geschlechtliche Natur des h. Geistes, ist aber unvermerkt schon als Ansatz in der Rechnung benutzt. Daran knüpft dann die Entwicklung an.
Aus der Liebe zu dem Geiste, die in Vater und Sohn entbrennt, erhebt sich eine vierte Gestalt in der Lichtwelt: der andere Sohn, Christus. Das ist die τετραϰτύς, die wahre Kirche. Die Zahl ist zweifelsohne durch einen Seitenblick auf die neupythagoreische Zahlentheorie entstanden.
Der bei der Vereinigung mit der σοφία zutage getretene Überschuss der männlichen Potenzen über das weibliche Prinzip bildete nun den fruchtbaren Keim in der Weltentwicklung. Er fallt in die hylische Welt. Dort wird er die Ursache, dass das Chaos sich formt. Und genau so, wie Buddha in seinem Samsara Raum hat für die ganze brahmanische Götterwelt, so wird nun zwischen jenen Anfangspunkt der Weltbildung das ganze mythologische Pantheon des Altertums eingeschoben. Es entsteht -- das Wie? ist sehr gleichgültig und oft verschieden bestimmt -- aus jenem Geistessamen das Reich des obersten Weltgottes, des Schöpfers: des Chaos wunderlicher Sohn, Jaldabaoth (also eine gewisse Priorität gesteht man dem Gott des A. T. doch zu), dann der Gott des jüdischen Volkes, Jao, einer zweiten Entwicklungsstufe angehörend, darauf Sabaoth (beide wohl der Siebenzahl zuliebe aus dem Jahve Zebaoth des A. T. gebildet), Adoneus (vielleicht das phönikische Urwesen), Eloeus (der babylonische Hauptgott), Horeus (der ägyptische Gott) und Artaphaeus (Astaphaeus) [der persische Gott?].
Diesen sieben Göttern entsprechen die sieben Himmel mit ihren Engeln und Potenzen, die ja auch in der ebionitischen ascensio Jesaiae begegnen.
Aber noch befinden wir uns nicht in der unteren Welt, die dem Menschen gehört. Die Veranlassung zu ihrer Entstehung ist eine Revolte in der Götterwelt selbst, die ihre Spitze gegen Jaldabaoth richtet. Der wird darüber zornig und schaut -- ein ähnliches Motiv klingt bei dem (gleichzeitigen) Neupythagoreer Numenios 60a) durch -- in seinem Grimme in die Materie: Sein Wutblick erzeugt in der Materie einen zweiten Sohn, der der Anfänger einer dritten Wesensreihe ist, den ὄφις. Er ist die
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Weltseele, denn er trägt alles in sich: Geist, Seele und alles Weltliche, auch die bösen πάϑη.
Daran wird Jaldabaoth inne, dass er noch zu etwas taugt und im stande ist. Er wird übermütig, negiert die oberen Gottheiten, zieht sich deshalb eine Zurechtweisung seitens des h. Geistes zu: derselbe erinnert ihn nämlich an das höchste Urwesen. Dem Unheil, das diese Erkenntnis bei den untergebenen Göttern bewirken kann, zu begegnen, schafft er den Menschen. Aber da es ein Gedanke der Mutter ist, den er hiermit zur Ausführung bringt, so kann er es nicht hindern, dass die Erkenntnis auf den Menschen übergeht.
Nun ist die Erzählung der Genesis erreicht, die dann infolge des veränderten Ausgangspunkts einen ganz anderen, nämlich den umgekehrten Charakter bekommt. Alles was dazu dient, den Gott des A. T. zu bekämpfen, ist gut, daher der Sündenfall hier 1700 Jahre vor FICHTE als der Riesenschritt des Menschengeistes gefeiert wird, wodurch sich der Mensch unter der Leitung der σοφία zu seiner Selbsterkenntnis aufgeschwungen habe.
Hier gabeln sich nun die Ophiten in die Sethiten und Kainiten: die älteren, die Kainiten, feiern in Kain und zuletzt in Judas die Feinde des alttestamentlichen Gottes als ihre Vordermänner, indem Sie das ϰαϰόν wesentlich als die sündlichen (ihrer Meinung nach guten) Regungen des Willens betrachten; die anderen (die Sethiten) reflektieren darauf, dass Gott im A. B. die Gerechten mit Übeln (ϰαϰά) heimgesucht habe, fassen also Männer wie Seth und alle unglücklichen Frommen des A. B. als ihre Genossen, die den Zorn des Gottes Israels auszuhalten gehabt hätten.
Christus erschien in Jesus, um das in jener durch Kain, resp. durch Seth, dargestellten Reihe fortglimmende Feuer des Geistes durch Offenbarung des über alle Götter erhabenen grossen Urvaters aller Dings zu voller Glut anzufachen und endlich alle Licht- (Geistes-) Elemente an sich zu ziehen, so dass dann Jaldabaoth wieder mit seinen Untergöttern über der Leere thront und jener abgetrennte Teil der obern Gottheit wieder in die ewige τετραϰτύς zurückgekehrt sein wird.
So ist hier alles bis ins Einzelnste hinein beherrscht von der Antithese gegen die Ansprüche der Judenchristen. Auch die Art der Gedankengänge ist von deren Denkweise beeinflusst. Aber
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natürlich in dem Masse, als der Ebionitismus bedeutungslos wurde, feilte man die Spitzen heraus. Man wurde milder, auch in Bezug auf die Würdigung des israelitischen Volkes und seines Gottes, liess die hellenischen philosophischen Begriffe mehr spielen. Unverkennbar ist das doch schon bei den Barbelioten. Dort treten an die Stelle der einzelnen Götter abstrakte Begriffe, wie Vorsehung, Unsterblichkeit, Lebenskraft u. s. w. Auch den barocken Kultus der Schlange machte man honneter. Die Schlange wurde ein Symbol der durch alle Dinge sich hindurchschlingenden Lebenskraft. So müsse man auch selbst, meinten die Naassener des Hippolytos, am Busen des Alls gelegen haben, durch alles hindurchgegangen sein (Peraten), alles erfahren haben. Will man sich endlich überzeugen, wie diese anfangs so tiefsinnigen Ideen zuletzt heruntergekommen sind, dann muss man das thörichte Kultusspiel bei dem Epiphanios 60b) lesen, das die letzten Ophiten mit ihrem Prinzip getrieben haben. Noch patenter treten die Basilidianer auf. Wie Basilides von Antiochien nach Alexandrien ging, um dort für die ophitischen Lehren Propaganda zu machen, warf er den grössten Teil des semitischen Ballastes über Bord. Nur einzelne bedeutungs- und harmlose Worte, wie Kavlakav als Bezeichnung der Weltseele, erinnerten noch an den Ursprung. Bald verstand man auch mit den griechischen Worten zu tändeln, z. B. mit ἀβρασάξ, als Bezeichnung für die 365 Himmel, wozu Basilides die alten ophitischen Ansätze erweitert hatte. Und nun erst die Basilidianer, wie Hippolytos sie kennen lernte! Sie redeten trotz einem Stoiker in pantheistischen Zungen.
Es ist nicht dieses Orts zu zeigen, wie dies System den Hellenen endlich durch VALENTIN verarbeitet und angeboten wurde, dessen Schule dann selbst den Meister „fortzubilden“ unternahm. Die hellenisch gebildeten Christen werden schwerlich für solche Phantasmagorien leicht zu haben gewesen sein. Auch richten die Kirchenväter nicht gegen ihn vorzugsweise ihre Angriffe, wenn man nicht etwa, wie IRENÄUS, durch das Eindringen dieser Lehren in die eigenen Diözesen veranlasst wurde, das Augenmerk darauf zu richten.
Derjenige vielmehr, über den die Väter die ganze Schale ihres Grimmes ausgiessen, ist MARKION. 61) Bei ihm ist es aber nicht das System, sondern die praktische, ernste Richtung seiner
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Gemeinde, sein aufrichtiger Wunsch, den Paulus ganz als seinen Partisan darzustellen, weshalb sie ihn als Ausgeburt des satanischen Geistes so lebhaft verwünschen.
In der That ist es eine nicht geringe Wandlung, die sich an seinen Namen knüpft. Aber seine Reform kam zu spät: die Gnosis, die er auffrischen will, läutet er zu Grabe.
Von Haus aus war die Gnosis libertinistisch. Der unverwüstliche ideale Zug des alten Israel zeigt sich doch darin, dass die Grundlage jedes Ethos wie der Ethik, die Berechtigung des Individuums als solchen, darin, vorzüglich im Dekalog, zum Ausdruck kam: es ist eine Folge oder vielmehr nur das Pendant zum monotheistischen Gedanken. Indem man das mosaische Gesetz verwarf, hoben die Gnostiker damit alle sittliche Ordnung aus den Angeln.
Es ist unmöglich, diesen revolutionären Zug der gnostischen Ethik auf Verleumdungen seitens der Kirchenväter zurückzuführen. Er ist eine notwendige Konsequenz ihres Antijudaismus. Bei den Ophiten ist er bereits mit der Glorifikation des Sündenfalls gegeben. Von den ihnen so nahe stehenden Basilidianern wissen wir, dass sie der religiösen Pflicht des Bekennens sich einfach entzogen und der unterschiedslosen Geschlechtsgemeinschaft huldigten. 62) Alles Äussere war ihnen unwesentlich. Nur die Seele sei Subjekt des Handelns. Nur bei SATORNIL könnte man zweifelhaft sein. Bei ihm wurde der Antinomismus zur Askese. Heiraten und Kinder zeugen sei vom Satan, vieles aber von seinen Anhängern enthalten sich auch, berichtet IRENÄOS weiter 63), von Fleischspeisen und verführen viele durch solche verstellte Enthaltsamkeit. Allein die Askege pflegt sinnbethörend nur dann aufzutreten, wenn sie in den Dienst erhabener ethischer Zwecke gestellt wird. Gefährlich wird im Ernste diese Lehre SATORNILS so wenig gewesen sein als der Antrag E. VON HARTMANNS auf allgemeine Enthaltung von der Ehe. Denn ethisch neutral ist diese Tendenz so gut wie der Libertinismus.
Indessen konnten sie wohl nur in dem lasciven Orient daran denken, ihre Prinzipien in die Praxis zu übersetzen. Die, welche in Alexandrien warben, waren bescheidener. Die Valentinianer beschränkten sich, jene Zügellosigkeit nur in thesi als das Recht der Vollkommenen zu behaupten: selbst die Karpokratianer in
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Alexandrien sind, wie auch der besonnene IRENÄOS zugibt 64), darüber nicht hinausgegangen.
MARKION erkannte zuerst, dass hier der schwache Punkt der Gnosis liege. Er reduzierte die spekulativen Elemente auf ihr geringstes Mass. Auch er legte den Dualismus zwischen dem alttestamentlichen Gotte und dem obersten Grundwesen zu Grunde; aber er ist nicht mehr metaphysisch, sondern ethisch: dem gnädigen Gott steht der bloss gerechte Gott der Juden gegenüber, beiden Satan als Vertreter des Bösen schlechthin. Er suchte aber die Unzulänglichkeit des altisraelitischen formell juristischen Gottesbegriffs streng exegetisch, nicht allegorisch 64a), zu beweisen. Exegetisch begründete er auch seine Idee von dem gnädigen Gott aus dem N. T. indem er die paulinischen Briefe und das Pauliner-Evangelium zu Zeugen presste. Davon wurden die Sachwalter des katholischen Christentums mehr betroffen als von der Einbildungskraft der Früheren. Den Zusammenhang mit dem Ophitismus verrät er ja gewiss dadurch, dass er die kainitische Reihe selig werden lässt, nicht die sethitische: aber auch das ist bei ihm psychologisch-ethisch (durch Annahme einer Entscheidung nach dem Tode) vermittelt. Seine Ethik hatte etwas von der ursprünglichen Austerität der christlichen. Seine Anhänger wussten für das Evangelium zu sterben, hatten Märtyrer. 64b) Der Ehe und alles Lebendigen enthielten sie sich, ohne deshalb den Schöpfergott anzuklagen 65): überdiess wusste MARKION seine Gemeinde trefflich zusammenzuhalten.
Das Beispiel MARKIONS hat in Rom und Kleinasien Nachfolge gefunden. TATIAN, ein Schüler des Katholikers JUSTINUS, verstand es, eine ganze Gemeinde von Enthaltsamen, die Enkratiten, die sich aus der katholischen Kirche heraus entwickelt hatten 65a), noch für seine schwach gnostischen Ideen zu gewinnen. Aber nicht darauf beruhte ursprünglich ihre bestrickende Gewalt, vielmehr auf dem bunten Spiel der dialektischen Phantasie. Sobald es sich um den Ernst des Lebens handelte, war ihnen die katholische Kirche weit überlegen: sie hatte ausserdem das Brauchbare von der Gnosis sich zu Nutze zu machen gewusst.
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40 § 3. Anfänge des katholischen Dogmas.
§ 3.
ANFÄNGE DES KATHOLISCHEN DOGMAS.
ORIGENES, der geistesmächtige Anwalt der katholischen Kirche im dritten Jahrhundert, hat gut schelten wider den Christenfeind CELSUS (aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts 65b) der in unwissender Weise katholische und häretische Gemeinschaften durcheinander werfe. Das war für einen draussen Stehenden damals kaum anders möglich. Die Grenzen waren in der That noch fliessend. Es fehlte viel, dass die katholische Kirche sich nach allen Seiten hin scharf hätte im zweiten Jahrhundert abgrenzen können. Das ist der Sache nach erst im vierten Säkulum geschehen, durch die Beförderung zur Reichskirche.
Dennoch geht es nicht an, das Ganze der altkatholischen Kirche aus einer von diesen Richtungen zu erklären. Sie ist wie ein Strom, der von rechts und links Zuflüsse aufnimmt, aber seine aparten Quellen bleiben ihm doch. Zwischen den verdrossenen Ebioniten und den schwärmerischen Gnostikern gab es immer eine Partei der vernünftigen Leute, die sich an der Vergangenheit nährten, im übrigen den Forderungen des Augenblicks Rechnung trugen. Aus ihnen rekrutierte sich die katholische Kirche.
In der That wäre es undenkbar, dass die Worte eines Paulus, eines Johannes sollten wirkungslos vorübergegangen sein. Johannes zumal, der schon früh 65c) durch seine Apokalypse den jüdischen wie den ethnischen Extravaganzen entgegengetreten war, galt den kleinasiatischen Gemeinden als ein Orakel. Man verglich seine Rede mit den Antworten, die der israelitische Hohepriester früher durch seine Urim und Thummim gab. 66) Die, welche seinen näheren Umgang genossen hatten -- er soll bis in die Zeit Domitians gelebt haben -- erschienen wie von einer Aureole umgeben: ἀϰούστης Ἰωάννου wurde bald ein Ehrenprädikat. 67) Er war der natürliche Vertrauensmann, wenn es galt, zerrüttete Gemeinden zu ordnen, neue zu verfassen. 68) Er galt als der Bischof, Presbyter schlechtweg. 69)
Es ist bezeichnend, das schon bald nach seinem Tode seine ehrwürdige Gestalt von der Sage überwoben wurde: von dem Apostel Paulus findet sich nichts, was sich den acta Joannis
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41 § 3. Anfänge des katholischen Dogmas.
vergleichen liesse. Seine ganze Art war zu schneidig, um Mythenbildung zu begünstigen. 70)
Und eben dieser Johannes hat am Abend seines Lebens, da man immer dreister sich über die geschichtlichen Züge des Lebens Jesu hinwegsetzte, seinen kleinasiatischen Gemeinden noch das Lebensbild seines Meisters gezeichnet, so wie es ihm verklärt vor seiner Seele stand. Die metaphysischen Beziehungen treten ohne Frage in dem Evangelium des Johannes schärfer hervor als in den Synoptikern. Aber die menschlichen Züge zerfliessen darüber nicht: Sie bekommen vielmehr dadurch noch ein stärkeres Relief. 71)
Die Johanneischen Ideen und Impulse haben in der Folge mannigfaltige Wandlungen durchgemacht; aber eins ist den von Johannes beeinflussten Katholiken immer geblieben: die Richtung auf das geschichtlich Sichere, sowie es inNoch pat der ältesten, hier in Kleinasien wohl zuerst gesammelten und auch auf einen kurzen Ausdruck gebrachten 72) Tradition vorlag. Ob diese selbst inzwischen schon fremdartige Bestandteile in sich aufgenommen, entscheiden wir hier nicht. Aber unverkennbar ist doch, dass diese evangelische Überlieferung in jedem Falle so viele praktisch verwertbare Bestandteile in sich trug, dass die Kirche immer fort neue Lebensmotive aus der Betrachtung dieses Bildes ihres Gründers ziehen konnte und gezogen hat.
Trotz alledem ist die Kirche inmitten der gnostischen und ebionitischen Bestrebungen sehr wichtigen Fragen gegenüber direktionslos geblieben, hat sich schieben lassen. Das war die Folge davon, dass sie sich überhaupt mit ihnen auf den dialektischen Kampfplatz begab.
Noch in dem System der katholischen Kirche des dritten Jahrhunderts begegnen einzelne erratische ebionitische Blöcke. Sie benutzte die ebionitische Evangelienlitteratur. Natürlich wurden ein paar katholische Facetten angebracht in den didaktischen Erörterungen: aber das novellistische Interesse wurde doch eben auf die Bahn gelenkt, welche die Ebioniten eingeschlagen hatten. Auch in den überarbeiteten Evangelien blickt das gesteigerte Ansehen des jungfräulichen Standes hindurch. Den Johannes selbst dachte man sich nur als παρϑένος. Selbst die Cruditäten der Clementinischen Homilien hielten noch im vierten Jahrhundert
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42 § 3. Anfänge des katholischen Dogmas.
einen Katholiker nicht ab, die „Homilien“ zu den „recognitiones“ zu verarbeiten. Ein ORIGENES selbst trägt kein Bedenken, für seine eigene Person sich auf ein ebionitisches Evangelium zu berufen. 73) Er folgt darin seinem Meister, dem alexandrinischen CLEMENS. 74) Der unter dem Namen des römischen CLEMENS (ca. 150) geschriebene zweite Brief zitiert 75) unbesehends das Evangelium der ebionitischen Sekte, die er im übrigen bekämpfte. Selbst JUSTIN ist nicht von dem Verdachte frei, neben den kirchlichen noch ebionitische Quellen verwendet werden. 76) Wie könnte man sich da wundern, dass der Verfasser der Briefe des IGNATIOS, Mitte des zweiten Jahrhunderts, die feine Grenzlinie nicht innegehalten hat. 77)
In Bezug auf die acta apostolorum war man ebenso wenig wählerisch. Die Notwendigkeit einer Überarbeitung der Clementinischen Homilien beweist, wie sehr die letzteren bei den Katholiken verbreitet waren.
Noch mehr! Es ist ein ganzer Teil von ebionitischen Kirchenordnungen in das erste kanonistische Corpus aufgenommen worden. 78)
Was ist aber das gegen die Thatsache, dass Papias, ein Schüler des Johannes, Anschauungen über das tausendjährige Reich verrät, die ohne einen Ideenaustausch mit den Ebioniten unerklärlich sind. 79) Es ist wahr, die Lehre selbst ist urchristlich: von der papianischen Form aber könnte man das unmöglich sagen.
Und dazu die Herübernahme einzelner Riten! Die ältesten kleinasiatischen Heidenchristen feiern mit den Judenchristen das Passahfest am 14. Nisan. Sie konnten sich dafür nicht bloss auf das Evangelium, sondern auch auf die Praxis des Apostels Johannes berufen. 80) In diesem Kreise ist doch wohl auch die jüdische Sitte des Fastens aufgekommen, als kirchliche Ordnung nämlich: denn als freier Brauch ist es von Jesu selbst nicht aufgehoben. 80a) Jedenfalls in einem Teile der morgenländischen Christenheit feierte man auch den Sabbat neben dem Sonntag. 81) Und woher haben die Heidenchristen den Brauch der Beerdigung ihrer Toten, wenn nicht von den Judenchristen?
Man hätte das nicht befremdlich finden sollen! Die stramme Zucht dieser Ebioniten musste den beweglichen, unsicheren Heidenchristen
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43 § 3. Anfänge des katholischen Dogmas.
imponieren. Hat nicht noch zu Justins Zeit ein Teil der Heidenchristen sich dem Gesetze Mose's so unterworfen, wie es die jüdischen Christen selbst forderten 82)! Auch die Beschneidung dünkte ihnen nicht zu lästig. Es ist wahr, Justin, der milde, weitherzige Justin, hat in den stärksten Ausdrücken solche Connivenzen verurteilt. Aber er selbst und mit ihm gewiss die Majorität der Heidenchristen findet in dem gesetzlichen Leben der Judenchristen an und für sich nichts Anstössiges. ORIGENES beruft sich auf sie zum Beweise dafür, dass das Christentum die πάτρια ἔϑη nicht aufhebe. 83)
Wirklich hat auch die heidenchristliche Kirche es im zweiten Jahrhundert an Versuchen nicht fehlen lassen, das Judentum als Ganzes für die Lehre Christi zu gewinnen. 83a) Wie wäre das ohne ein Entgegenkommen von Seiten der Kirche auch nur denkbar gewesen! Man hat die Speiseverbote des Apostelkonzils auch dann noch beobachtet, als längst der Gedanke an die Reunion der Juden aufgegeben war. 84)
Ich denke, an und für sich lag darin nichts Bedenkliches! Sie konnten gute Autoritäten anführen für eine solche Weitherzigkeit. Hatte nicht Paulus sich gerühmt, dass er, der den Hellenen ein Hellene war, auch den Juden ein Jude werde. 85) Hatte nicht das ganze Gremium der Apostel den Heidenchristen in gewissen Punkten, die die Tischgemeinschaft angingen, eine Rücksichtnahme auf die jüdischen Gewohnheiten zur Pflicht gemacht 86)? Und wie fern war nicht grade Jesus davon gewesen, das Gesetz Israels ohne weiteres beiseite zu schieben 87)! Es war gewiss nicht in seinem Sinne, dass die Judenchristen inmitten der Juden hätten auf die alten Observanzen vollig Verzicht leisten sollen.
Das Verhängnisvolle für die Heidenchristen war nur, dass die judenchristlichen Vertreter dieser besonnenen Ansichten nicht mehr unter den Lebenden weilten: die Apostel waren nicht mehr. Dass das Gesetz Mose's ein passender Ausdruck der Lebensart dieses einen Volkes Israel sei, diese durchaus „historische“ Anschauung fand keine Vertreter mehr. Die Ebioniten aller Schattierungen betrachteten ihr Gesetz -- bald im engeren, bald im weiteren Sinne genommen -- als das Gesetz, als die allgemeine Lebensform der Welt. Und grade darin wurden sie bestärkt durch die Polemik
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44 § 3. Anfänge des katholischen Dogmas.
der Gnostiker. Diese sind es gewesen, welche die genaue Orientierung der katholischen Kirche in diesen Fragen zur Unmöglichkeit gemacht haben. Denn sie glaubten das Gesetz Israels nur dann mit Erfolg bekämpfen zu können, wenn sie es als eine kosmische, universelle Form für alles Gesetzestum überhaupt fassten: und Christi wirkliche Bedeutung meinten sie nur dann recht zu begreifen, wenn sie ihn als die Verkörperung des von allen sinnlichen und gesetzlichen Schranken entbundenen freien Geistes sich ausmalten.
Und man muss nicht glauben, als ob man dazu bei den Heidenchristen nicht auch Lust gehabt hätte.
Wie nahe berührten sich nicht grade in Asien die Gegensätze. In dem Kreise des Johannes, der seinen jüdischen Gewohnheiten gewiss nicht ganz entsagt hat, finden wir solche gut katholische und doch gnostisierende Elemente. Sein Biograph LEUKIOS versichert, wenn auch nur beiläufig, die Gesetze der Juden stammten von dem satanischen Prinzip. 88) In Ephesus gab es eine ganze Partei, welche jeden Verkehr mit den Judenchristen, auch mit den Gemässigten, ablehnten. 89) Auch Pseudo-IGNATIOS, der doch die Gnosis so erbittert bekämpft, kann die Johanneische Logoslehre nicht verwenden, ohne ihr eine gnostische Spitze zu geben: in dem Logos-Christos tritt nach ihm die σιγη, des Vaters aus sich heraus. 90) Wenn ein anderer tiefsinniger Apologet sagen will: Gott sei in Jesu erschienen, borgt er von den Gnostikern die Ausdrücke und sagt: der allmächtige Gott sandte den Demiurgen des Alls. 90a) Man gebrauchte in dem antiochenischen Sprengel noch bis ans Ende des zweiten Jahrhunderts ein doketisches Evangelium. 91) Wie ging man nun erst mit den Aposteln um! Man schmiedete eine Schrift: „Die Predigt Petri“, in der man den Petrus zum Heidenapostel machte. 92) Paulus empfahl nun in der Weise der späteren Gnosis das jungfräuliche Leben. 93) Thomas verkündete die Christos-Sophia auf seinen Reisen ins Morgenland. 94) Aufgelöste Ehebündnisse, Erkürung des ehelosen Standes bezeichneten seinen Weg. Selbst ein so weit vorgeschrittener Dogmatiker wie der alexandrinische CLEMENS trug kein Bedenken, die sinnlichen Lebensbedürfnisse Jesu auf Accomodation, auf blossen Schein zu reduzieren. 95)
Es sind das nur einzelne Data! Wie leicht könnten sie
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45 § 3. Anfänge des katholischen Dogmas.
sich vermehren lassen, wie viele mögen uns durch den Untergang so mancher Denkmäler. dieser ersten Zeit entgangen sein. Sie können immerhin einen Eindruck davon geben, wie schwer es der heidnischen Christenheit geworden ist, zwischen diesen sich anklagenden und entschuldigenden Stimmen sich zurecht zu finden.
In der That war die Lage jener Mittelpartei die denkbar schwierigste. Rechnet man nun noch dazu, dass die Heiden auf sie aufmerksam wurden und sie verfolgten 96), dass die Juden sie mit ihrem Hass, der sich in Verleumdungen der gemeinsten Art Luft machte 97), und mit ihren schrecklichsten Flüchen verfolgte 98), so kann man es wohl verstehen, dass sie den Weg des Kompromisses betraten.
Das Resultat desselben ist das Dogma der werdenden katholischen Kirche.
Es betrifft zuvörderst die Stellung Jesu. Man hielt an der vollen Realität seiner geschichtlichen Erscheimung fest, so wie sie in den vier Evangelien gezeichnet war: man suchte diese auf eine Einheit zu bringen. Es bildet sich die erste Evangelienharmonie, auf welcher die des TATIANUS ruhte. Mit Leidenschaft trat insbesondere Pseudo-IGNATIOS dem gnostischen Doketismus entgegen. Aber zugleich sucht man Jesu die Besonderheit des jüdischen Messias zu nehmen: er ist nicht eine, sondern die Offenbarungspotenz. Man bringt den Logos Gottes mit der Weltschöpfung in Verbindung. 99) Das erste Aussichheraustreten Gottes in der Schöpfung ist durch ihn vermittelt. 100) Er ist aber nicht bloss der Schöpfungsmittler, sondern als die Sophia der ideale Schöpfungsinhalt selbst. Es ist JUSTINUS und die ihm folgenden Apologeten, welche so den Grund zu der metaphysischen Trinitätslehre legen. Indem man den Logos zum kosmischen Prinzip erhob, hatte denn auch das ethische Prinzip, das ἅγιον πνεῦμα, seine Stelle wieder gewonnen. Erst einer späteren Generation blieb die Metaphysizierung auch dieser Idee vorbehalten. Man muss dabei allerdings nicht meinen, dass nun mit dieser metaphysischen Richtung auch eine praktische Verwendung dieser Gotteslehre unverträglich gewesen wäre. Grade das Gegenteil nimmt man wahr, CLEMENS zumal, aber auch schon die Früheren fassen den Logos durchaus als den παιδαγωγός. Man kann die ganze Lehre des ORIGENES nicht begreifen, wenn
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46 § 3. Anfänge des katholischen Dogmas.
man diese seine Tendenz nicht anerkennt, jenes logische Prinzip durch Betonung seiner Lehre und seines Beispiels auf das praktische Leben anzuwenden: nicht die Umbiegung der Gottes- und Christuslehre in das Metaphysische, sondern der in der abendländischen Kirche aufkommende christliche Heroenkult, die Heiligenverehrung, hat die christliche Trinitätsidee so unfruchtbar gemacht.
Dem entspricht nun die Hervorhebung des Gesetzes. Auch hier verlangte der Ernst des christlichen Lebens durchaus den Anschluss an das streng sittliche Leben der Ebioniten. Immer und immer wieder wird die Notwendigkeit des moralischen Gesetzes betont von JUSTINUS: das Christentum ist ein Gesetz, ein Gesetz der Freiheit, ein ϰαινὸς νόμος. 101) Man identifiziert wohl Christum selbst mit dem Gesetze. 102) Aber weit war man doch davon entfernt, die partikularen Gesetze des Volkes Israel mit herüberzunehmen. Im Gegenteil, als eine Strafe des Ungehorsams fasste man sie, und zwar alle, nicht bloss die über das Opfer. Durch eine Exegese, die an der Methode der Stoa und PHILONS geschult war, bewies schon um 80 p. C. ein Heidenchrist in dem sgn. Barnabasbrief, dass jene ritualen Gesetze und Geschichten des Alten Bundes nur deutliche Fingerzeige auf Christum und den Gott, der allein Geist ist, gewesen sei: grade auf die Propheten, mit welchen die Ebioniten nichts hatten anzufangen gewusst 102a) berief man sich hierbei. Wie oft hat man nicht Jeremia 31 angeführt! Die Stelle wird in den Clementinen mit keiner Silbe erwähnt. Auch die praktisch-verständige Lebensweisheit eines Salomo mit ihren allgemeinen Maximen gebrauchte man fleissig: die „Sprüche“ sind das am meisten zitierte h. Buch des kirchlichen Altertums. Aber von den fünf Büchern Mose's fand nur der Dekalog Gnade vor ihren Augen. Und auch aus ihm wusste man im Lauf der Zeit das Sabbatgesetz zu eliminieren. 103)
Christus der ideale Grund und das Urbild der Welt, und der Dekalog das ideale yon Christus wieder hergestellte Naturgesetz, der formulierte ὀρϑὸς λόγος, -- mit dieser These glaubte man die Ansprüche des Ebionitismus wie die des Gnostizismus mit Erfolg abgelehnt zu haben: man vergass darüber, dass man damit zugleich sie zum guten Teil selbst acceptiert hatte.
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47 § 4. Die Heiligen des Montanismus.
Noch aber war der Begriff der „katholischen“ Gemeinschaft selbst nicht scharf formuliert.
§ 4. DIE HEILIGEN DES MONTANISMUS. 104)
Es war doch nicht bloss die Gnosis, durch welche die Katholiker von dem Übergewicht der Ebioniten frei geworden sind. Sie hat vorzugsweise die dialektischen Kräfte des Heidenchristentums mobil gemacht. Die ethischen Fragen harrten immer noch ihrer Erledigung. Die Gnosis hatte sich zu der christlichen Ethik mindestens neutral verhalten. Auch die Berufung auf die nova lex des Christentums blieb solange bedeutungslos, als nicht näher präzisiert war, was in dieser Formel stecke.
Bei den Ebioniten war das anders. Da hatte man bestimmte Pflichten ritualer und moralischer Art, an die jedes Individuum gebunden war, und daneben hatte sich das sittliche Ideal frei gemacht. Jene waren wesentlich dem Pentateuch und der Praxis der Essener entnommen, dieses gipfelte in der Askese. Ja so sehr waren diese praktischen Interessen in den Vordergrund getreten, dass die ganze Gemeinschaft wesentlich moralischen Charakter an sich trug. Das spezifisch religiöse Moment war darüber verkürzt worden.
Eine Folge davon war es gewesen, dass das Verbleiben in der christlichen Gemeinschaft an die gute Aufführung des Einzelnen geknüpft war. Wer sich der Gemeinde unwert zeigte, wurde ausgeschlossen. Und das für immer. Eine Busse für die Gefallenen gab es nicht.
Zwar waren auch die Heidenchristen der Überzeugung, dass, wer einmal ganz und voll in die Art des Christentums eingedrungen sei, nicht mehr davon abtrünnig werden könne. 105) Allein wer wollte den Konditionalsatz in dem einzelnen Falle anwenden? Das religiöse Verhältnis ist seiner Natur nach ein innerliches. Auf der Innerlichkeit desselben beruhte auch die Freiheit in der Handhabung der kirchlichen Ordnung. So hat auch Johannes kein Bedenken getragen, die vom Wege Abgewichenen wieder in die Gemeinde aufzunehmen. 106) Sobald man aber auch das praktische Christentum an den Fingern abzählen zu können sich getraute, musste die Schliessung der Kirche erfolgen.
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48 § 4. Die Heiligen des Montanismus.im der man
Indes muss das schon früh zu Unzuträglichkeiten geführt haben. Wir hören von einer Reaktion dagegen bei den Judenchristen: die Elxaiten griffen zu dem verwegenen Auskunftsmittel, die Taufe selbst für wiederholbar zu erklären. Damit war die Möglichkeit der sgn. zweiten Busse von vornherein zugestanden.
Konsequent könnte man das unmöglich nennen. Denn die spezifische Bedeutung des Initiationssakraments bekam damit den Todesstoss. Und warum hielt man denn inne bei der zweiten Busse? Warum konnte man nicht ebenso gut eine dritte und vierte statuieren? Da schienen denn doch die Gnostiker weit logischer zu sein, wenn sie alle diese Riten als wesenlose Formen den Psychikern, den an der empirischen Vorstellung klebenden gewöhnlichen Christen, überliessen und sich selbst über alle Formen und Pflichten hinwegsetzten. Da musste die Busse überhaupt wegfallen, weil sie es mit der Sünde so leicht nahmen.
Allein jene Inkonsequenz war so lange unumgänglich, als man überhaupt die Bifurkation des Ethos gestattete, als man ein anderes Ideal für die Laien, ein anderes für die Kleriker festhielt.
Der Gedanke, diese Trennung aufzuheben, liegt so nahe, dass man sich nicht wundern kann, wenn auch beschränkte Christen sie seit dem Beginn des zweiten Jahrhunderts diskutierten. Die Frage wurde zur brennenden bei den phrygischen Montanisten -- noch vor 150 p. C. Sie wollen nichts anderes, als das Ideal der Jungfräulichkeit und guten, strengen Sitte in der ganzen Kirche ohne Ausnahme durchführen. 107)
Der Anstoss dazu ist sicher von den Ebioniten ausgegangen. Eben in Phrygien sassen ja die Juden dichter als anderswo. Auch an Judenchristen kann es da nicht gefehlt haben. Unzweifelhaft ebionitischen Vorstellungen begegnet man in den montanistischen Kreisen. Sie dachten sich das tausendjährige Reich möglichst nahe. Und in sinnlichen Farben malten sie es sich aus. Im Mittelpunkte desselben stand immer das neue Jerusalem, das sie nach dem phrygischen Pepuza und Timium verlegten. Ihre Gotteslehre verrät noch die Unbestimmtheit der vorgnostischen Zeit: der Sohn und der Geist galten als die Offenbarungsmedien des Vaters. Nur durch die Zeit sind sie verschieden: was der Sohn, Christus, begonnen, vollendet der Geist, der durch Montanus und seine prophetischen Genossen redet. Auch das deutet wohl auf
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49 § 4. Die Heiligen des Montanismus.
Berührungen mit dem Judenchristentum, dass hier die vom Geist ergriffene Individualität als Prophet das Organ des Gottes ist. Bei den Essenern gab es einen prophetischen Stand. 107a) Auch bei den Ebioniten hat die Prophetie nicht gefehlt: auf das Recht derselben beriefen sich die Elxaiten mit ihren Offenbarungen. Endlich die Fastenobservanz leitet uns an dieselbe Quelle.
Aber trotz alledem verläuft die Bewegung selbst innerhalb des Heidenchristentums. Von einem direkten Eingreifen der Ebioniten hören wir so wenig als bei den Gnostikern. Es sind phrygische Christen, die hier auftreten, die Namen haben alle keinen jüdischen Klang. Um sich zu legitimieren, beriefen sie sich auf die Tradition der alten Kirche. Unmittelbar an die apostolischen Zeiten wollen sie anknüpfen.
Die Bewegung ist gewiss so tief wie die gnostische. Sie ergriff die ganze Population Phrygiens 108), soweit sie christlich war. Grade in den tieferen Volksschichten hatte sie Boden: aber neben den Armen fanden sich auch Reiche, welche die Bewegung mit allen Mitteln fortleiteten. MONTANUS mit seinen prophetischen Genossen MAXIMILLA und PRISCILLA und dem THEODOTOS, THEMISON u. a. verstanden es vortrefflich, die Gemeinden zu organisieren. Über ganz Kleinasien flogen ihre Emissäre. Es kam zu Disputationen mit den griechischen Christen: aber auch die redegewandten Bischöfe der anderen Heidenchristen vermochten nicht den Geist zu dämpfen. In Ankyra standen sich die montanistische und die katholische Partei geschlossen gegenüber.
Was diese Kleinasiaten wollen, ist deutlich genug. Ihr -- mit dem der Ebioniten sich nahe berührender -- Grundgedanke ist, dass die kommende Welt mit ihrem nahenden Gericht durchaus im Gegensatz steht zu dem jetzigen Zeitlauf. So trübe wie möglich sehen sie in die Zukunft. MONTANUS weissagt von Krieg und Kriegsgeschrei, das bald nach ihm -- um 130 108a) -- über die Welt hereinbrechen müsse. Das seien die Wehen des kommenden Weltendes. Die Christen sind die Bürger der Zukunft: sie müssen sich gefasst machen, die Gegenwart bald zu vertauschen mit dem künftigen Leben. Darum müssen alle Bande zerrissen werden, welche die Christen an die Welt binden. Die Ehe hat kein Recht: im Himmelreich freit man nicht. Darum verliessen die Prophetinnen und überhaupt die vom Geist ergriffenen
Bestmann, Die Anfänge des kath. Christentums und des Islams.
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50 § 4. Die Heiligen des Montanismus.
ihre Männer. Speise und Trank wurden möglichst beschränkt. Man fastete viel und scharf. Zu den bereits gebräuchlichen Fasttagen, Mittwoch und Freitag, an denen man jedoch das Fasten auf den ganzen Tag ausdehnte, kamen noch die Xerophagieen, ganze Fastperioden, an denen bloss trockene Substanzen und Wasser genossen wurde, aber Fleisch, Brühe, saftige Früchte und alles nach Wein Schmeckende verboten war.
Es ist nicht zu sagen, wie weit hier nationale Antipathien gegen das überall auch in die Christenheit in Kleinasien eindringende hellenische Element sich einmischten. 109) Aber die Thatsache selbst könnte man doch unmöglich leugnen. Denn wie enge durchflechten sich nicht die religiösen und die nationalen Leidenschaften: diese Verbindung geht freilich nie innerhalb der Sphäre des Bewusstseins vor sich. Aber ist sie deshalb weniger wirksam? Die christliche Religion ist gleichsam das Sterbelied des natürlichen Volkstums. Darum wehrt sich der Sinn der Völker ja meist heftig gegen sie. Er fühlt, es gehe ihm ans Leben. Wenn er sich dann endlich doch beugt, dann ist die Durchdringung mit den religiösen Ideen wie ein letzter Versuch, die Selbständigkeit, die das Geschick dem äusseren Leben nach versagte, mindestens doch in dem inneren Sein und Fühlen zu retten.
Was sind das doch für tief erregte leidenschaftliche Accente, die uns aus dem Munde dieser phrygischen Prophetinnen entgegenklingen: „Ich werde weggescheucht wie ein Wolf von den Schafen. Ich bin kein Wolf: ich bin Wort, Geist und Kraft.“ Und woher diese leidenschaftliche Sprache gegen die allgemeine, in dem ganzen römischen Reich verbreitete Kirche? Wie unzugänglich zeigen sie sich gegen alle Künste der Überredung seitens der Katholiker! 110)
Die montanistischen Reste haben auch später noch gegen das römisch-griechische Regiment frondiert. Aber wie dem auch sei: gewiss ist, dass es sich hier nicht um gnostische, theoretische Fragen handelt. Diese einfachen Leute mochten unbewusst nationalen Impulsen folgen: bewussterweise wollen sie nichts anderes, als den Ernst der christlichen Lebensauffassung zur Geltung bringen. Sie konnten sich rühmen, dass sie eine grosse Anzahl von Märtyrern hätten. Und vor allem, sie dringen auf den engsten Zusammenschluss aller Gemeindemitglieder unter sich – ein
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51 § 4. Die Heiligen des Montanismius.
Lebensideal für alle -- und der einzelnen Gemeinden unter einander.
Die überall theoretisierenden, dogmatische Ansichten witternden Griechen waren dieser Erscheinung gegenüber betroffen, ratlos. Denn ihre Suche verlief hier resultatlos: nur die Disziplin betrafen die Offenbarungen der montanistischen Propheten. Es fiel ihnen nicht schwer, späterhin die ganze ausgebildete Dogmatik der hellenischen Kirche zu unterschreiben. Da heftete man sich denn an das Formale, an die Prophetie. Sie war dem Glauben nicht gemäss. Denn MONTANUS und seine Anhänger meinten vom Geist ergriffen zu sein: die Vermittelung des πνεῦμα mit dem νοῦς, dem dialektischen Verstande, lehnten sie ab. Die Prophetie sei ekstatisch, der Prophet bewusstlos.
Hier hat denn die Polemik der asiatischen Bischöfe eingesetzt. Ein MILTIADES bewies, ein Prophet dürfe nicht in Ekstase reden. Auch die Ebioniten blieben in diesem Chorus nicht aus: als Merkmal der wahren Prophetie heben die Homilien des CLEMENS mit einer gewissen Absichtlichkeit hervor, dass die Vernünftigkeit das Merkmal der wahren Prophetie sein müsse.
Aber wer möchte glauben, dass mit der Charakteristik des Montanismus als einer „neuen Prophetie“ diese Bewegung treffend bezeichnet sei. Es war eine Krisis, die sich auf die ganze Lebensführung der Christen bezog. Auch sind die Montanisten nicht durch solche billige Einwände, sondern vielmehr durch die Zeit widerlegt worden. Die erwarteten Ereignisse blieben aus. Und, was mehr war, es fanden sich zu ihnen zweifelhafte Individuen, die entweder durch diese neue Heiligkeit ein früheres zweifelhaftes Leben wieder gut machen wollten, oder diese guten Leute benutzten, um von ihrem Aberglauben zu profitieren.
Der Montanismus hat, wie auch die Gnosis, ein zweites Stadium erlebt. Es war in der Verfolgungszeit unter SEPTIMIUS SEVERUS, dass ein afrikanischer Advokat und Christ, TERTULLIANUS, sich in Karthago zum leidenschaftlichen Anwalt der Partei machte, die damals gewiss schon dem Aussterben nahe war und wohl nur durch den Drang der neu sich erhebenden Verfolgung wieder etwas in die Höhe kam. Da hat man denn seinen Frieden zu machen gesucht mit den Katholikern. Man liess sie als Psychiker gelten, wie dies zuletzt auch die Gnostiker wollten. Damit liess
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52 § 5. Die allgemeine Kirche des gräco-romanischen Weltreichs.
man die Grundtendenz, die Kirche zu einer Gemeinschaft von Ehelosen und Asketen umzubilden, fallen. Nur das eine praktische Motiv behielt man bei, dass die Kirche die lapsi nicht aufnehmen könne. Aber wie hätte das eine Prinzip ohne das andere sich durchführen lassen. Dazu kam, die Propheten selbst verstummten bald mehr oder weniger. TERTULLIAN hat dann den spröden Stoff der montanistischen Lehre zu einem Ganzen geformt. Er hat auch die Prophetie in das System eingereiht. Da taucht denn der Gedanke der stufenmässig sich entwickelnden Gottesoffenbarung auf: der Vater im Alten Bunde, Jesus Christus im Neuen und der h. Geist als der Anfänger der dritten Weltzeit, welche mit dem Gerichte bald enden wird -- Gedanken so tief und geistreich, wie nur irgend einer des ORIGENES. Allein das war der alte Montanismus nicht mehr mit seiner tiefen popularen Erregung, das waren Reflexionen, welche die alte montanistische Praxis nur aufputzen, nicht plausibel machen konnten. Die Kirche hatte inzwischen sich schon besonnen, sich als die katholische erfasst. Der Montanismus war, was auch TERTULLIAN dagegen deklamierte, zur Sekte geworden.
§ 5. DIE ALLGEMEINE KIRCHE DES GRÄCO- ROMANISCHEN WELTREICHS.
Will man ermessen, welchen Einfluss der Montanismus auf die Gestaltung der gräco-romanischen Kirche gehabt hat, so kann man sich nur an den praktischen Grundzug desselben halten, an seine Absicht, den weltflüchtigen Sinn in der Kirche zur allgemeinen Herrschaft zu bringen. Das Ideal bestand auch bei den Ebioniten. Allein man sagte sich, dass das nicht durchführbar sei. Man beschränkte sich darauf, dasselbe in dem vorzüglichsten Teile der Gemeinde sich realisieren zu lassen, in dem Klerus. Allein eben der hatte nun auch die Aufgabe, der Masse der Laien Direktiven zu erteilen. Den Laien aber war es unbenommen, mit den Forderungen der Welt so gut es ging zu paktieren.
Grade durch das Verharren bei dieser Zweiteilung hatte man doch noch in etwas den Grundcharakter des von Jesu gestifteten Gottesreiches, die allmähliche, den Kosmos durchsäuernde Art desselben, beibehalten.
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53 § 5. Die allgemeine Kirche des gräco-romanischen Weltreichs.
Die Frage, die der Montanismus nun aufwirft, ist die: soll die Kirche im Gegensatz oder in Gemeinschaft mit der Welt sich entwickeln? Es handelt sich mithin hier um den Charakter der Gemeinschaft als solcher.
Die Entscheidung darüber ist nun aber doch nicht so selbstverständlich und leicht, als es scheinen könnte. Denn war nicht grade in Bezug auf die Laien die Skala der Sittlichkeit bedenklich herabgestimmt? War das noch das alte Christentum, was die Masse der Ebioniten und der Heidenchristen dafür ausgab?
Zeigte sich nicht bei der geringsten Veranlassung -- z. B. in Bithynien -- grade bei der Masse eine Fahnenflucht sondergleichen? Und diese, welche so leicht bei der Hand waren, dem Genius des Kaisers zu opfern, sollte man nun so ohne weiteres wieder aufnehmen? Wenn die Frage bloss so gestanden hätte, ob dieser Akkommodation an das Denken der Vielen oder jener Weltflucht der wenigen entsagungsvollen Männer das Recht in der Kirche gebühre, -- dann stände die Wage mindestens gleich.
Man kann auch nicht zweifeln, jene Montanisten haben bei den Katholikern manche Sympathien gefunden. Pseudo-IGNATIUS muss davor warnen, dass man nicht den jungfräulichen Stand überschätze. 111) Eben aus dem Kreise der Heidenchristen Asiens erhob sich eine Gemeinschaft, die ein enthaltsames Leben führte. 112) Die Lust, um eines ungetreuen Gatten willen die Ehe zu lösen, war auch bei den gemässigten Heidenchristen allgemein. JUSTINUS hat für einen solchen Fall kein Wort des Tadels. 113) Man darf annehmen, dass das nicht der einzige Fall war. Ein orthodoxer Presbyter dichtete eine Erzählung: die acta Pauli et Theclae, in der Paulus eben das Ideal der Ehelosigkeit vertrat. Die Montanisten waren bloss ehrlicher, wenn sie die schärfere Disziplin mit dem drohenden Weltende motivierten.
Wie schwierig es war, hier mit sicherer Hand das Steuer der Kirche zu führen, ergibt sich daraus, dass der Bischof ELEUTHEROS von Rom (180) sich wirklich für die Montanisten erklärte 114), dass die Bischöfe und Schriftsteller Kleinasiens, wie APOLLINARIS von Hierapolis, MELITON von Sardes, APOLLONIOS, SERAPION von Antiochien, MILTIADES, RHODON, ZOTIKOS von Komana, JULIANUS von Apamea in der That gar keine wirkliche Lösung aus diesem Dilemma gefunden haben. Aber eins hatten diese Männer, die
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54 § 5. Die allgemeine Kirche des gräco-romanischen Weltreichs.
man mit mehr Recht als Petrus die Gründer der katholischen Kirche nennen kann, vor den Ebioniten und den Montanisten voraus: Sie erkannten, dass man das Wesen der Kirche überhaupt nicht in die oder jene Praxis setzen dürfe. Sie gaben der Kirche in dem religiösen Kultus ihr eigenstes Gebiet. Hier in dem religiösen Kultus, den man dann bald auf den Fuss des antiken Mysteriendienstes brachte, fanden sie das gemeinsame Dritte, in welchem sich Asketen und Laien begegneten. 115) Und der Klerus erhob sich nun über beide. Er war der Haushalter der göttlichen Geheimnisse, er erschien als der Mittler zwischen der Gottheit und der Christenheit. 116) In dem Augenblick, wo sich dies Gefühl -- denn mehr dürfte man nicht sagen -- durchsetzt, vernotwendigt sich auch die Zuspitzung des Klerus zum Episkopat. Die Episkopatkirche ist die Antwort auf den Montanismus. Damit erfasst sich die gräco-romanische Kirche auch als katholische, als allgemeine.
In den IGNATUS-Briefen erscheint dieser Begriff zuerst, und zwar sofort in Parallele mit dem des Episkopats: ὄπου ἂν ὁ ἐπίσϰοπος φανῇ, ἐϰεῖ τὸ πλῆϑος ἔστω, ὤσπερ ὅπου ἄν ᾖ Χριστὸς Ἰησῦς, ἐϰεῖ ἡ ϰαϑολιϰὴ ἐϰϰλησία 117) Allein die Begriffe sind hier beide noch ziemlich nebelhaft. Der Bischof erscheint ganz allgemein als der Mittler zwischen Christo und der Gemeinde. Es fehlt die nähere Bestimmung, wodurch er es ist, dass er es als λειτουργός ist. Nicht anders ist es mit dem Begriff der allgemeinen Kirche; sie steht der einzelnen Partikularkirche gegenüber. Es erinnert das an die Vorstellung von der Kirche als dem σῶμα Christi. Das Wesentliche dabei ist doch, dass die Kirche hier als Totalität gedacht wird. Aber erst in der Auseinandersetzung mit der montanistischen Bewegung hat diese Katholizität eine greifbare, durch den Gegengatz selbst bestimmte Nota bekommen. Da ist es die äusserlich sichtbare, näher die allgemein und zwar in dem als orbis terrarum geltenden imperium romanum verbreitete Kirche, auf welche man sich berief. Die schon lange bestehende Verbindung der im Reich sich findenden gräco-romanischen Kirche 118) wird hier zu der differentia specifica der allgemeinen Kirche erhoben. So ist auch hier eine richtige Idee -- die innere Allgemeinheit -- verquickt mit der falschen Vorstellung von der äusseren lokalen Allgemeinheit.
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55 § 5. Die allgemeine Kirche des gräco-romanischen Weltreichs.
Innerhalb dieser so bestimmten Kirche -- so lehren alle nachmontanistischen Schriftsteller -- haben die Bedürfnisse des Volkes und die Bestrebungen der Asketen gleiches Recht, gleichen Anspruch auf Befriedigung. 119) Eben damit war den Montanisten wie den Ebioniten für ihre Propaganda der Boden entzogen.
Nur die Bussfrage blieb unerledigt. Sie ist der böse Geist der katholischen Kirche. An ihr ist sie schliesslich ja zu Fall gekommen. Man behauptet in der Zeit vor CONSTANTIN: nur eine Busse nach der Taufe sei erlaubt, nicht mehr. So schlug ein römischer Christ um 150 vor, der Verfasser des Hirten, der sich HERMAS nennt.
Das ist aber wohl nur ein Echo aus der kleinasiatischen Kirche. Denn dort ist man unter dem unmittelbaren Eindruck der montanistischen Krisis zu Synoden zusammengetreten und hat sich über die Massregeln gegen dieselbe geeinigt. Sie galten dann für die ganze Kirche, denn sie war als ganze hierbei interessiert. Bis nach Lyon verfolgen wir die Wellenkreise der Heiligungsbewegung. 120) Der Grundsatz, über den man sich rücksichtlich der lapsi einigte, war, einmal noch eine Busse zuzulassen. Der Friede mit der Kirche selbst -- denn über das definitive Verhältnis zu Gott traute man sich kein Urteil zu -- ward aber nur auf dem Totenbette gewährt. 121)
Darin zeigte sich nun aber doch, dass man prinzipiell die montanistische Auffassung von der Kirche nicht ganz überwunden hatte: es war eben auch dies ein Kompromiss mit den Forderungen des Augenblicks. Man weiss, wie diese dann endlich eine Bresche gelegt haben, welche die Kirche nur durch die Einstellung eines Busssakraments (dieses „ξυλοσίδηρον“) notdürftig auszuflicken wusste. Das Seitenstück dazu war, dass man die Geltung der Sakramente an subjektive Dispositionen knüpfte: auch das ist die katholische Kirche bis zur Stunde nicht losgeworden.
Jenes religiöse Element in der Anschauung von der Kirche war eben nicht rein herausgearbeitet. Erst die Reformation hat hier nachgeholfen: den innerlich allgemeinen Charakter der congregatio sanctorum festgestellt.
Nur das war nun erreicht, dass die Lebensanschauung der Ebioniten nicht mehr für die Heidenchristen bestimmend zu sein brauchte. Die in jenem Kreise schlummernden Gegensätze waren
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56 § 5. Die allgemeine Kirche des gräco-romanischen Weltreichs.
erwacht, hatten sich rein ausgesprochen. Aber weder in der weltförmigen Richtung der Gnosis noch in der weltflüchtigen Sinnesart der Montanisten hatten die Heidenchristen ihr eigen Bild erkennen können. Man behielt also im wesentlichen die von den Ebioniten eingeschlagene Kombination beider Tendenzen bei. Aber mit einem Unterschiede: das naive Nebeneinander bei den Judenchristen hatte das Feuer der Reflexion bestehen müssen. Es war nun Prinzip und Methode in der katholischen Praxis: man hatte damit das Partikulare des Ebionitismus -- die Zeugen seiner jüdischen Bedürftigkeit -- ausgestossen. Der Gegensatz zwischen Gegenwart und Zukunft war abgedämpft zu dem fast gemütlichen Nacheinander von Früher und Später: der Gegensatz von ecclesia pressa und triumphans wurde seit CONSTANTIN zur Redensart. Infolge davon galt nun die Lebensnorm der Christen als eine ideelle, die man jedoch mit dem mosaischen Dekalog identifizierte, und die Gemeinschaft ebenfalls als eine allgemeine, die indessen in der römischen Reichskirche sich verkörperte.
Die Reformation hat dann nichts anderes gethan, als den Widerspruch, der in diesen Attributen lag, zum Bewusstsein gebracht und das Individuum auf seine veritable ideale Basis -- die πίστις -- und die Gemeinschaft auf ihren wirklichen Geistesgrund, die ecclesia spiritualis, gestellt.
Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Auffassung von der Kirche als Kultusgemeinschaft einen ursprünglichen Gedanken Christi mitenthält, den nämlich, dass es im Christentum zuvörderst auf das Verhältnis des Menschen zu Gott, auf dies religiöse Moment ankommt. Man darf sagen, es ist das ein idealer Zug an der katholischen Kirche: sie ist dadurch immer vor der Gefahr bewahrt worden, ganz in weltliche Interessen aufzugehen, und hat doch sich die Möglichkeit einer weitgehenden Einwirkung auf das πράσσειν der Menschen offen gehalten. Immer hat sie das Bewusstsein gehabt, dass sie ein eigenes, wenn auch Irrationales habe, auf Grund dessen sie sich über alles Irdische erheben konnte.
Aber wie wenig freilich entspricht nun auf der anderen Seite diese ϑρησϰεία der ursprünglichen persönlichen Ergebung an Gott, die Jesus Christus forderte. Um es kurz zu sagen, in dem Kultus ist das colere sachlich, mechanisch geworden, der
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personelle Zug fehlt jetzt oder schwindet. Die fortgehende Vergröberung der christlichen Religiosität hat in diesem ursprünglichen Manko seinen Grund. Aber ein Blick auf die Geschichte zeigt uns zugleich: Reformationen des Mönchtums sind eine nach der anderen gescheitert, Bildung des Laienelements ist versucht und immer wieder versucht und doch schliesslich resultatlos geblieben: allein in dem Gebiet des colere Deum gibt es Reformen, welche dauernd die Geschicke der Kirche und der Welt bestimmt, sie endlich selbst wieder verjüngt haben.
Wir halten hier inne in unsrer Skizzierung. Nicht als ob nun grade in Ephesos ein so scharfer Einschnitt in der Entwicklung der katholischen Kirche zu bemerken wäre. Im Gegenteil: Alexandrien, Karthago, Rom, Konstantinopel u. s. w. sind unmittelbar anschliessende Glieder in der Kette der grossen Erscheinungen, die wir unter dem Kollektivbegriff „katholische Kirche“ zu begreifen pflegen. Aber das kleinasiatische Entwicklungsstadium derselben ist doch das dunkelste. Haben wir in der Zeichnung derselben nicht fehlgegriffen, dann bieten die anderen Etappen weniger Schwierigkeit.
Denn dort ist der ganze Zuschnitt der katholischen Kirche gemacht worden. Als die christliche Gemeinschaft Fühlung gewonnen hatte mit den religiösen Bedürfnissen der Gräco-Romanen, als die Kirchenväter von „unseren Mysterien“ redeten gegenüber den hellenischen, und die christlichen Mysterien den hellenischen so angepasst wurden, dass ihre Resorption nur eine Frage der Zeit wurde, da war es keine Frage mehr, dass die katholische Kirche in die Erbschaft der gräco-romanischen Kultur cum beneficio inventarii eintreten werde. Denn wer den religiösen Nerv der Völker zu treffen weiss, hat ihr ganzes geistiges Leben in seiner Gewalt.
Und wunderbar hatte sich dazu die katholische Kirche bereitet! Sie behauptet heute, sie sei wesentlich die gleiche wie zu Anfang. Es ist das eine von ihren vielen Naivetäten, wenn das sich auf das Ganze beziehen soll. Die Kirche hat eher etwas Proteusartiges: jedes Jahr ist sie eine andere.
Aber in einem Punkte ist diese Selbstschätzung richtig: ihr Kultus ist innerlich und äusserlich derselbe geblieben, wie er war, seit er die mariage de conscience mit der gräco-romanischen
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58 § 5. Die allgemeine Kirche des gräco-romanischen Weltreichs.
Mysterienwelt eingegangen war. Das bestätigt jede eindringende Forschung auf diesem schwierigen Gebiet.
Aber im übrigen waren ihre Prinzipien von der glücklichsten Weite. In ihrer Gotteslehre hat sie kraft der drei Artikel der Trinitätslehre die ganze Physik, Metaphysik und Ethik der Alten verarbeiten können. In ihrer Ansicht von dem Christentum als einem neuen Gesetze hatte sie für die Rechtsentwicklung nicht bloss der gräco-romanischen, sondern auch der germanischen Nationen Platz, und indem sie in ihrer Auffassung von dem gemeinschaftlichen Lebensideal das Milde mit dem Harten verschmolz, senkte sie allen natürlichen Gemeinschaftsformen den Stachel lebendigen successiven Fortschritts ein, der dieselben endlich zu ihrer eigenen Natur (Idee) zurückbrachte.
So ist das Fühlen, Denken und Wollen der abendländischen Menschheit in einer gradezu beispiellosen Weise mit dem System der katholischen Kirche verflochten. Noch heute, wo doch durch die Reformation das Innerste, das Allerheiligste des religiösen Geistes (das colere Deum) ein anderes geworden ist, stecken wir auf dem Gebiet der Kunst und Wissenschaft, des Staats, der Gesellschaft und der Familie tief in katholischen Reminiszenzen und Ideen.
Und doch war nur ein Bruchteil der genuin christlichen Ideen in der abendländischen Gemeinschaft verarbeitet worden!
Dem Morgenland blieb ein anderes vorbehalten.
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II. GENESIS DES ISLAMS.
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§ 1. DIE AUFGABE.
Die Religion ist das Gebiet, wo sich die Originalität des Menschen am freiesten entfaltet. In dem Maße und in der Art, wie das geschieht, setzen sich die Impulse auf die Anhänger fort. Da sind dann selbst Zufälligkeiten des Charakters von Bedeutung gewesen. Die Persönlichkeit ist ja der eigentliche Stoff der Religion.
Es gibt darum jedesmal ein Zerrbild von den verschiedenen „Religionsstiftern“, wenn man auf ihre Persönlichkeiten das Schlaglicht der Philosophie oder der Politik fallen lässt. Jeder Religionsstifter, der für einen Philosophen gelten soll, muss unfehlbar als Betrüger erscheinen; betrachtet man hinwieder ihr Werk als politisches oder soziales Experiment, so bekommen sie alle unweigerlich die Rolle von Agitatoren.
Die Geschichte der Religionsphilosophie gibt -- im achtzehnten Jahrhundert zumal -- eine Reihe von Illustrationen zu jenen Verirrungen.
Auch um Muhammed zu verstehen, ist es vor allem notwendig, die Integrität seines Charakters, die bona fides festzuhalten.
Aber noch mehr! Jede grosse geschichtliche Persönlichkeit tritt mit einer eigentümlichen Energie auf. Zumal bei religiösen Umwälzungen ist es unmöglich, die Hauptsache aus der Umgebung, den Umständen herzuleiten.
Allein dieselben dienen doch dazu, die Gestalten der religiösen Persönlichkeiten begreiflich zu machen. Auch die religiöse Geschichte ist ein Gewebe, in dem die Freiheit des Einzelnen und
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62 § 2. Das Christentum des Orients.
die Notwendigkeit der Dinge durcheinander wirken. So ruht auch Muhammeds Werk auf Voraussetzungen, ohne die er selbst unerklärlich wäre.
Eben diese meinen wir, indem wir die Genesis des Islams zu beschreiben uns anschicken: man versteht ihn nur, wenn man ihn als eine Modifikation des Christentums auffasst.
§ 2. DAS CHRISTENTUM DES ORIENTS.
Es ist eine verbreitete Rede, der Islam habe sich bei hellem Tage gebildet. Das trifft doch nicht ganz die Wahrheit. Die Entwicklung Muhammeds ist viel weniger deutlich als die Jesu: denn Sie ist weit minder original.
Wir versuchen zunächst den Hintergrund zu zeichnen, auf dem seine Figur sich abhebt.
Die Semiten der Euphratländer, der westlichen Mittelmeerküste und der Nilländer 1) sind die Ablagerungen der Araber 2): gewissermassen die Moräne des semitisch-arabischen Völkergletschers.
In der religiösen Ausrüstung dieser Semiten offenbart sich wieder ihr ganzer Charakter: nicht die Vorgänge, die Ereignisse der Natur, sondern die Einzeldinge werden Gegenstand ihres Kultus, also Steine, Tiere, Sterne. In dieser durch und durch isolierten Stellung der Kultusobjekte ist es begründet, dass die Tendenz auf Monarchie sich in diesem Pantheon leichter und schneller geltend machen kann; leichter als z. B. bei den arischen Religionen: denn in den Erscheinungen des Gewittersturms, des Sonnenaufgangs, des Wechsels der Jahreszeiten. des Reifens der Saat u. a. -- welche bei den Ariern das Substrat der Religion bilden -- ist von vornherein ein inneres Schweben und Schwanken der hier als herrschend gedachten Mächte gesetzt; höchstens, dass sich das Streben nach Einheit in der Durchführung eines Systems kund geben konnte. Sobald aber an ein religiöses Objekt bei den Semiten die Idee, die Vorstellung eines Allgemeinen sich heftet, findet dieselbe bei den übrigen Idolen nur die Schlacke: das bloss Materielle, Thörichte.
Bei den Ägyptern sowohl als bei den Arabern und Nordsemiten
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63 § 2. Das Christentum des Orients.
finden sich Versuche, einzelne Götter zu allgemeinen zu erheben. Wenn indessen weder Ammon noch Osiris (bei den Ägyptern), weder Baal noch Astarte (bei den Nordsemiten), noch auch Hobal bei den Südsemiten endlich den Sieg davon getragen haben, so lag das darin, dass sie selbst noch an die Herrschaft eines Stammes oder Staates geknüpft waren: sie wechselten mit den Dynastien: sie trugen nicht den Adel des innerlich Absoluten an sich.
Welch eine Bühne waren diese semitischen Stämme für das Volk Israel: man kann es verstehen, dass es sich durchaus über sie erhaben, dass es sich fremd unter ihnen fühlte. Denn bei ihm war die Erinnerung an den einen naturfreien, also geistigen Gott lebendig, hier herrschte das Bewusstsein, dass die Bedingung jeglichen Handelns ein wie immer vollzogener Zusammenschluss des Menschen zu einem einheitlichen Charakter sein müsse: Monotheismus und der damit gesetzte Individualismus galt hier als die Tradition von den Vätern. 2a)
Die civilisatorische Stellung des Volkes Israel beruht auf nichts anderem, als auf der Durchführung dieser beiden Ideen.
Allein dieses Edelmetall ist nun doch nicht rein vorhanden: welch ein Wust von unorganischen Bestimmungen in Bezug auf Glauben und Leben hatte im Lauf der Zeit sich darum gelegt! Und wie wenig vermochte sich das Volk selbst mit diesen erhabenen Ideen zu durchdringen: der wahre Monotheismus ist bis zu Jesu Christo immer nur die Überzeugung von sehr wenigen gewesen.
So kam es, dass vorher die Propaganda des Judentums eine ziemlich lahme war zumal im Occident. Gleich schlossen sich die Juden ab, wenn sie sich an einem Orte trafen, und waren auf Privilegien bedacht. Es gelang ihnen ja gewiss zumal an Orten, die von den Reflexionen der Philosophen übersättigt waren, wie Rom, oder auch in dem noch von der Philosophie wenig tief berührten Orient für ihre spezifische Volksart Proselyten zu gewinnen: in Damaskus z. B. sollen fast alle Frauen judaisiert haben 2b), in Palmyra errichtete man gar einem Juden eine Bildsäule. Aber im Übrigen stiessen sie überall auf den Widerwillen der Völker, der da sich einzufinden pflegt, wo die Idee in einer inadäquaten Form sich insinuieren will.
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Diese starre Anschauung von Gott und dem Menschen erscheint geschmolzen in dem Christentum. Die Idee von der Einheit Gottes und der Einheitlichkeit des Menschen kann nun aufs Werben gehen. Da legt sich der Ebionitismus dazwischen: er will von der alten Ausrüstung des Volkes noch ein paar Formen und Ideale mitnehmen, besonders die Gesetze über Reinigkeit und und Waschungen u. dgl. Es verschob sich freilich darüber das ganze Bild des Christentums.
Die Korrektur, welche die Gnosis dann versuchte, verstiess gegen das sittlich Notwendige, die des Montanismus gegen das sittlich Mögliche. Dawider schützten die Katholiker das Christentum, indem sie geleitet von der Erinnerung an die erste Zeit des Christentums und von dem masshaltenden Takte des griechischen Genius die religiöse und ethische Grundnote zwar etwas tiefer griffen, als sie ursprünglich lag, dennoch das Wesentliche der alten Anlage festhielten. Dazu war vor allem der Zusammenschluss zu einer fest gefugten Gemeinschaft behülflich. Denn dadurch, dass das religiöse Fühlen und das sittliche Wollen auf die Bedingungen einer Gemeinschaft, wie die katholische Kirche eine war, sich einrichten mussten, sind sie vor allen Sprüngen in der Entwickelung bewahrt worden.
Was das Fehlen dieser katholischen Kirche bedeutet, sieht man aus der Geschichte der orientalischen Kirche: dass der semitische Stamm dem Christentum verloren gegangen ist und der Islam auf den Trümmern der Kirche sein Haus gebaut hat, hat in nichts anderem seine Ursache als in der Weigerung des Orients, sich diese katholische Kirche gefallen zu lassen. Das lag dann aber wieder daran, dass diese katholische Kirche selbst wieder sich mit einer bestimmten nationalen Kultur identifiziert hatte, -- eben der gräcoromanischen -- und nun nicht mehr die Elastizität besass, den Eigenheiten des semitischen Stammes gerecht zu werden.
Die Bildung der katholischen Gemeinschaft hat sich um 150 bei den griechischen Christen Kleinasiens durchgesetzt: vorher hatte in Cölesyrien einschliesslich den Hauran und in den Euphratländern der Ebionitismus seine Arbeit gethan. Man muss nicht glauben, dass er zur Mission untauglich gewesen sei: das Bewusstsein, Träger einer weltgeschichtlichen Idee zu sein, war
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mit der Annahme des Christentums, in welcher Form auch immer es an die Völker kam, unzertrennlich verbunden.
In der That bildet das ebionitische oder das unter dem -- negativen und positiven -- Einfluss des Ebionitismus gewordene Christentum die Grundschicht des orientalischen Christentums. Diese erste Lage repräsentieren bei den Syrern die Sabier. Aus denen sind dann die Manichäer hervorgegangen.
Desgleichen ist das Christentum der Araber ebionitisch: in ihm liegen die Wurzeln des Islams. Die Kopten und Abessinier sind gleichfalls durch Kontakt mit Judenchristen zu ihrem Christentum gekommen.
Wir versuchen in der Folge die überlieferten Fakta z2bu kombinieren.
In dem Stromgebiet des Euphrat und Tigris hat die Religion verschiedentlich gewechselt. Die neueren Entzifferer der Keilschriften versichern uns, dass die Grundlage der assyrischen Götterverehrung eine altbabylonische war, in der man wohl auch den religiösen Nachlass einer fremden nicht semitischen Rasse wiederzuerkennen glaubte. Der Charakter des assyrischen Cultus auf seinem Höhepunkt d. i. während der Blütezeit des assyrischen Reiches ist jedoch ohne Frage durch den Gestirndienst bestimmt.
Aber auch über diese Religion ist dann ein Stärkerer gekommen. Seitdem sich die arischen Meder und Perser auf dem alten assyrisch-babylonischen Gebiete niederlassen, amalgamieren sich die Ideen ZARATHUSTRAS mit denen der assyrischen Priesterkaste, der Mager. Die Priester des Ahuramazda nennen sich selbst „Mager“, wie die christlichen „episcopi“ ja auch bald sich mit dem „pontifex“-Titel ihrer heidnischen Vorgänger zu vertragen wussten.
Allerdings fehlte es nicht an Berührungspunkten zwischen beiden Religionen, welche die persischen Priester auszunützen verstanden haben werden: auch in Babylon hatte man sich wohl früher von einem Kampf Bels mit dem Drachen, dem Herrn der Finsternis, zu erzählen gewusst. Kehrte das nun nicht wieder in dem Kampf zwischen AHURAMAZDA und ANGROMAINJUS?
Es ist gewiss, dass die Religion ZARATHUSTRAS trotz ihres aus alter Zeit beibehaltenen, mit dem Fetischismus prinzipiell gleichwertigen Feuerdienstes die unvergleichlich edlere Form des religiösen Bewusstseins vertrat: Sie hat denn auch die semitische
Bestmann, Die Anfänge des kath. Christentums und des Islams.
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Religion der Assyrer absorbiert. Das ging natürlich ohne Konzessionen nicht ab: in der That sind in der Folge die Mager ebenso erpicht auf den Kultus des Feuers und Ahuramazdas, als auf den der Sonne. 2c)
Allein man kennt die Perser: wo die Überzeugung nicht half, appellierte man an die ultima ratio des Schwertes. Noch nie aber ward so eine Religion dauernd überwunden. So müsste es denn auch befremden, wenn sich nicht immer intransigente Elemente des alten semitischen Sterndienstes gehalten haben sollten -- zumal an den Orten, wo die alten Bewohner entweder Grenzvölkern leicht die Hand reichen, oder durch ungünstige Siedelungen sich von der Berührung mit dem neuen Element fern halten konnten.
Gerade an diese Residua hat das Christentum Anschluss gesucht und gefunden: die neue Religion -- man erinnere sich an den Montanismus -- erschien wie ein letzter Hort für die dem Untergang geweihte Nationalität, der sie überdies sich anzuschmiegen verstand: so entstand die „Sekte“ der Sabier oder Mandaiten. 3)
Die Ebioniten hatten noch um 400 p. C. ihre Hauptwurzel im Nordosten Palästinas; jenseits von Edrei in den gesegneten Gefilden des Hauran, in denen erst neuerdings durch WETZSTEIN und de VOGÜÉ der klassische Boden eines interessanten Kulturreiches, das unter den Ghassaniden blühte, entdeckt worden ist 4), wohnten sie: Batanea, Paneas, Moabitis und Kokabe (ein Ort in der Nähe von Ktesiphon?) in dem basanitischen Lande jenseit Edrei, werden als der Infektionsrayon von Epiphanios genannt. 5)2b
Wohin die Juden kamen, wirkten sie sauerteigartig. Die Syrer, welche in Palmyra ihren astralen Gottheiten opferten, konnten sich doch der inneren Gewalt nicht entziehen, welche der Monotheismus in sich trägt. Eben in den religiösen Inschriften, die vom zweiten christlichen Jahrhundert datieren, bemerken wir eine fast monotheistische Formel, die doch wohl auf jüdischen Einfluss weist. Noch mehr. Es findet sich dort die erste Spur der christlichen Symbolsprache, das Kreuz, -- auf einer christlichen Inschrift vom April 135. 6)
Die Blütezeit dieses hauranitischen Reiches fällt in die Zeit nach 150 p. C.; seine Regenten sind die Ghassaniden, die ihm auch
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den Namen gegeben haben. Der Grundstock des Volkes ist syrisch, denn die Religion ist es. Immerhin mögen einzelne südarabische Stämme in diesem gesegneten Lande eine Zufluchtsstätte gefunden haben. 6a)
Wie hätten nun aber diese Nachbarn der Juden nicht sympathisieren sollen mit diesem Volke, als es den Heldenkampf gegen die übermütigen römischen Legionen kämpfte! Diese nationale Sympathie bildete aber die Brücke auch für die Aufnahme des nationalen, des ebionitischen Christentums. Wirklich sind diese hauranischen Syrer und Araber seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts Bekenner Christi geworden. Ja schon die letzten Beherrscher des Haurans, die Selihiden -- in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. C. nach WETZSTEIN -- sollen den Gafniden, d. i. eben den ghassanidischen Königen, nur unter der Bedingung der Annahme des Christentums Aufnahme gewährt haben.
„Der beispiellose Kampf der Juden mit den Römern“, sagt WETZSTEIN, „und der Sturz von Jerusalem wird unter den arabischen Stämmen bis in die äussersten Winkel Jemens hinab einen erschütternden Widerhall gefunden und alle Blicke jenem Volke und seiner Religion, die als die letzte Ursache des Kampfes anzusehen war, zugewendet haben. Die Flüchtlinge zerstreuten sich darauf über ganz Arabien, und mit ihnen zugleich die Sendboten der neuen Religion, deren Glaube sich am Tempelbrande zur Begeisterung des Märtyrertums entflammt hatte. Die Ghassaniden werden als Nation wohl der erstgeborne Sohn der Kirche gewesen sein.“ 7)
Aber diese Kirche war nicht die katholische der Gräco-Romanen, denn die bildete sich damals erst. Der Kaiser PHILIPPUS ARABS (248) war ein Hauranier: er stammte aus Orman. Von ihm hören wir, er habe seine „sabische“ Religion verlassen und das Christentum angenommen: 8) darin ist doch wohl eine Erinnerung aufbewahrt an die ehedem hier zu Recht bestehende Religion: es war der Sabismus, ein Absenker des Ebionitismus.
In Rom, das in Hauran Truppen hielt, hatte man über die Dinge im Orient meist gute Kunde. Um 220 p. C. meldet uns ein dortiger Presbyter, dass „El chasai“ -- der mythische Urheber des Elchasaitischen Christentums -- einen Schüler Sobiai gehabt
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habe. 9) Genau dem entsprechend ist die Nachricht eines Orientalen, des en-Nedim, des Verfassers der arabischen unter dem Namen Fihrist bekannten Litteraturgeschichte (937 n. C.). Die Sekte der Mogtasilah, d. i. der sich waschenden, oder Sabier führt er auf einen El-chasaih zurück. 10)
Der Zweig der Ebioniten also, der mit dem asketischen Charakter der ersten jüdischen Christen resolut brach, ist es gewesen, welcher die Syrer im Norden christianisierte. Man weiss, wie bei ihnen die Reinigungen in Flor standen. Auch die syrischen „Christen“ haben davon ihren Namen bekommen. Sich selbst nannten sie freilich mit dem unter den Orientalen allgemein üblichen Namen Nazaräer, Christen schlechtweg.
Vom Hauran aus haben sie sich dann schnell -- denn Mani (250) war anfangs ein Sabier -- am oberen und unteren Euphrat verbreitet. Eine alte Tradition bei den heutigen Mandäern weiss davon, dass sie noch unter der Herrschaft des Islams z. Z. der Abbasiden über 400 Gotteshäuser besassen. 10a) Um Harran herum hat jedenfalls die Erinnerung an sie auch den Islam überdauert. Als Mamun, der Chalif, 830, auf seinem Zug gegen Byzanz Miene machte, die alten syrischen Sternanbeter dort zu unterdrücken, flüchteten sie sich in den Schutz dieses Namens, der eine von dem Koran geduldete Religion bezeichnete. In den Sumpfdistrikten des unteren Euphrat, neuerdings des Tigris, haben sie sich bis auf diesen Tag erhalten, gehasst und verfolgt von Juden, Christen und Mohammedanern: diese 1500 Sabier oder Mandaiten sind mit den Jeziden im Nordwesten die letzten Trümmer einer christianisierten Nation, die zum grössten Teil in dem Islam verschwunden ist. 11)
Sabismus ist bei den späteren Mohammedanern gleich bedeutend mit Heidentum. Es erinnert das unwillkürlich daran, dass die griechischen Christen das Heidentum später Ἑλληνισμός nannten. Genau so wie die orthodoxe Kirche von Byzanz durchtränkt ist mit hellenischen Ideen, ist auch der Islam in vielen Punkten durchsetzt mit ursprünglich sabischen Elementen. Mohammed war in diesen Orten, wo der Sabismus blühte, nicht unbekannt. Er hat einmal das Paradies der Gläubigen nach Gâbië in Syrien (Hauran) versetzt. 12)
Die innere Entwickelung dieser Sabier ist begreiflicherweise
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so dunkel als möglich. Wir versuchen dennoch mit Zugrundelegung der orientalischen Quellen ein Bild davon zu entwerfen.
Der Elchasaitismus war in Lehre und Leben noch viel zu unsicher, als dass er sein ganzes System hätte diesen Nordsyrern einimpfen können. Das Wesentliche war bei den jüdischen Christen die Verehrung des einen Gottes, welcher Geist ist, und die Anknüpfung dieser Idee an die älteste Tradition des Menschengeschlechts und ihres eigenen Volkes (Adam, Noah, Abraham). Aber diese Idee war nicht lebendig genug gewesen, um die essenische Engellehre auszuschliessen. Liess man aber diese halb sinnlichen halb geistigen Existenzen bestehen, dann war es begreiflich, dass die Syrer auch ihre Götter als Halbgötter einschmuggelten. Das ist auch geschehen. Das ganze Pantheon der Syrer, ihre Verehrung der Planeten und der Sonne ist allmählich mit diesem Christentum verschmolzen: so dass nun die harranischen heidnischen Syrer ohne grosse Mühe 830 sich als Sabier bekennen konnten. Freilich gab es immer „Philosophen“, wie die Quellen sagen, unter den „Sabiern“. Mit ihnen, welche die geistige Art des Menschen von seiner Körperlichkeit scharf trennten und jene als wesentlich gelten liessen, macht sich SCHAHRISTANI viel zu schaffen. Das Credo des Volkes wird schwerlich darin zu suchen sein. Nur ihre Priester werden sich -- wie bei den Ebioniten -- das Wissen um die geheimen Dinge -- man feierte auch Mysterien-- vorbehalten haben. Aber nicht von ihnen, die ihre Lehre mit den orphischen und hermetischen Traditionen in Verbindung bringen konnten, nahm man sich das Bild der Sabier: vielmehr von den Bräuchen der Laien, und die unterschieden sich nicht allzuviel von denen des Heidentums.
Ein ähnlicher Prozess lässt sich auch bei der Anschauung von Jesus verfolgen. Die Ebioniten hatten bereits dessen geschichtliche Erscheinung zu einer engelischen Potenz verflüchtigt. Die Sabier lassen ihn ganz in die Reihen der Engel -- ihrer Mittler mit Gott -- eintreten. Bei den orientalischen Berichterstattern über die Sabier kommt der Name Jesu kaum vor. 13) Oft heisst es denn auch, sie ständen auf der Grenze zwischen Judentum und Christentum. Das ist in der That der Fall so wie bei den Ebioniten.
Aber sollten sie wirklich keine Stelle für die Person Christi
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übrig gelassen haben? Das ist doch fast unglaublich. Es wird ihre alte Urkunde, der sidra rabba, doch wohl etwas von der ursprünglichen Lehre beibehalten haben: der aber unterscheidet sehr deutlich den falschen -- sinnlichen -- Messias-Propheten Jesus von dem wahren Anusch-Uthra, der die reine Lehre verkündigte.
Auch in den Riten muss das spezifisch jüdische bald verblasst sein. Zwar die Reinigkeitsgesetze, die Anordnungen über verbotene Speisen sind durchaus nach dem alten Testament eingerichtet. Auch die übermässigen Fasten, die einmal im Jahr sich sogar über einen ganzen Monat erstrecken, kommen gewiss auf das Conto der Judenchristen. Nicht minder entschieden sind sie in dem Proteste gegen die asketischen Ideale der griechischen Christen. Aber im Übrigen haben sie die Beschneidung nicht: die Elchasaiten dachten darin ja toleranter. Auch die Opfer, gegen welche die Ebioniten eine so matte Polemik eröffnet hatten, stellen sich wieder ein: der ganze syrische Opferkult wurde für verträglich mit der neuen Lehre von dem einen Gotte gehalten. 14) Man begreift dann auch, dass, nachdem die Ebioniten in der Spaltung des alten Testaments ihnen vorangegangen waren, sie sich leicht mit gnostischen Überzeugungen befreunden konnten.
Man kann in alledem kaum eine Inkonsequenz erblicken. Die Ebioniten haben zuerst das Christentum in nationale Bahnen gelenkt: diese Syrer haben im Grunde nichts anderes gethan, als was ihre Vordermänner und ihre Hintermänner, die Katholiker, bis zu einem gewissen Grade auch thaten und thun 14a), sie bildeten sich ein syrisches Christentum, bei welchem naturgemäss die universalen Tendenzen des Christentums zu kurz kommen mussten.
Immerhin haben die ebionitischen Ideen wie eine gährungskräftige Hefe auf diese Nordsyrer gewirkt, weit mehr als die Ideen der hellenischen Philosophie. Der alte Götterglauben erhielt bei diesen Syrern einen Stoss, von dem er sich nicht wieder erholt hat. Wenn dann der Islam über diesen Sabismus gekommen ist und ihn beiseite geschoben hat, so ist das ein Fortschritt gewesen: denn der religiöse Einheitsgedanke ist im Islam weniger gebunden durch rituelle -- d. h. bedeutungslose – Handlungen als in dem Sabismus.
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So eine Vorfrucht des Islams war auch der Manichäismus. Man hat neuerdings auf die assyrischen Bestandteile dieser Glaubensform hingewiesen. 15) Sie sind, scheint es, ein Residuum aus der sabischen Periode des Mani. Konstitutiv für seine Lehre sind sie nicht. Die ist vielmehr nur als Reform des Parsismus begreiflich. Er hat dieselbe versucht, indem er ebionitisch-gnostische Ideen in das System der Mager einführte.
ZARATHUSTRA's Weltansicht ist durch und durch dualistisch. Sie ist die spirituellste Form aller Naturreligion, die ja von einem bald versteckten, bald offenen Dualismus ausgeht. Sie hat zugleich einen strengen sittlichen Grundzug. Der Diener des Ahuramazda hat durch harte Arbeit die Werke des Angromainjus, des bösen Geistes, zu vernichten. Wegen dieser konsequenten Durchführung des Dualismus fehlt die Idee der Erlösung, d. h. die Vorstellung, dass in der sittlichen Arbeit bereits vorgearbeitet ist, der Einzelne somit nur in eine bereits angefangene Arbeit einzutreten braucht, durchaus. 16)
Diese Erlösungsidee hat Mani dem Parsismus zugeführt: er selbst nahm sie aus dem ebionitischen -- durch den Sabismus gebrochenen -- Christentum.
Mani's Vater war ein Mogtasilah, d. h. ein Sabier: Mani selbst ist bis zum vierundzwanzigsten Jahre in dieser Religion erzogen worden. Als dann die Sassanidenkönige die alten Traditionen des Persertums, also auch die Religion ihrer Väter zu erneuern versuchten, um dem Griechentum Roms auch geistig die Spitze zu bieten, hat Mani diese Restauration benutzt, um den Mazdaismus selbst auf eine höhere Stufe zu führen.
Sein Grundgedanke ist, den grossen Geist, Ahuramazda, in direkte Beziehung zu den sittlichen Aufgaben zu bringen. Das geschah, indem er die Erlösung von ihm oder einer seiner Abspaltungen ausgehen liess. Dadurch aber tritt der Angromainjus in die zweite Reihe: er wird wie im Alten Testament ein überwundenes Prinzip. Das geistige Urwesen wird als eines und als herrschendes, d. h. absolutes, gedacht.
Dass dies eine geistigere Form der alte Religion ist, kann man nicht leugnen: mit dem Feuerdienst der alten Perser ist nun definitiv gebrochen.
Aber dieser Mann hat zugleich noch ein weiteres Ziel ins
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Auge gefasst: er will auch den Occident für seine Lehre gewinnen. Er hat den Gedanken gehabt, eine Religion zu der universalen zu machen. Sie ist wie eine Zusammenfassung der besten bei den Völkern des Nordens, den „Skythen“, und bei den Indern, die er als Buddhisten glaubte nehmen zu können, geltenden Traditionen. Er denkt sich überdies als den Vollender der ältesten christlichen Lehre: er ist der von Jesus verheissene Paraklet.
Dennoch ist der persische Vorschlag überall bei seinem System hindurchzuhören.
Der Manichäismus ist -- chemisch gesprochen -- das dritte Produkt des Christentums. In den Riten und speziellen moralischen Satzungen ist die teils antithetische teils synthetische Beziehung zum Judenchristentum unverkennbar.
Das, worin Mani über die Sabier hinausging, ist die strenge Askese. Es gab nun wieder „electi“ neben den blossen Zuhörern. Jene mussten sich des Wein- und Fleischgenusses wie der Ehe enthalten. Auch die durchgängiges Anknüpfung an persische Traditionen ist fremdartig. Sonst aber kann man ihn wesentlich als eine Ausgährung des gnostischen Ferments im Sabismus bezeichnen. Aber so wenig die Verwünschung des empirischen Jesus-Messias eine Anerkennung der christlichen Ideen ausschloss, so wenig war Mani gewillt, mit dem mosaischen Gesetz auch die älteste Tradition des israelitischen Volkes fahren zu lassen. 17)
Jene syrische und diese persische Form des Christentums befanden sich aber zwischen den Mühlsteinen des Römer- und des Perserreiches. Sie sind das Opfer der zwischen beiden entstehenden Rivalität geworden.
Zunächst die Sabier. Gegen sie erhebt sich bereits seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts eine Gegenströmung. Sie hat ihren Ursprung in Edessa. Dort, wo unter einem nationalen Dynasten griechische Bildung und die römischen Waffen herrschten, hat auch die katholische Kirche Posto zu fassen gesucht. Es entstand eine katholische Schrift, in welcher man den edessenischen König Abgar Uchômo mit Jesu selbst korrespondieren liess. 18) Man gab der syrischen Kirche einen eigenen Apostel in Thomas. Tatian gab den Syrern eine syrische Rezension der Evangelien, das sgn. Diatessaron. Die kirchlichen Ordnungen der Ebioniten wurden nun auf katholisch fixiert, sie kursierten unter der Firma
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der Apostel. Und im vierten Jahrhundert gelang es, das Volk für die asketischen Mönchsideale zu begeistern. Als dann unter Sapor (seit 340) die persische Regierung versuchte, das Christentum -- dies katholische Christentum -- blutig zu unterdrücken in den eroberten Grenzdistrikten, d. i. vor allem in der Proyinz Adiabene, da empfing diese syrisch-katholische Kirche die Weihe des Martyriums. Jene primitiven Christen gingen frei aus. 19)
Damit war es freilich auch um ihre Zukunft geschehen: nicht sie, sondern die Katholiker erschienen als die nationalen Christen: selbst ihr Name ist in der Erinnerung des Volkes verschwunden.
Allerdings ist damit auch die Hoffnung auf ein spezifisch syrisches Christentum zu Grabe getragen worden. Denn jene Katholiker identifizieren sich doch, so heftig sie es in der Verfolgungszeit ablehnten, mit den römischen Kaisern konspiriert zu haben, ganz mit dem byzantinischen Reich. In dem römischen Rechtsbuch, das sie seit dem fünften Jahrhundert ihren Entscheidungen zu Grunde legten, rühmen sie, „dass Christus durch seine Kirche die Geschenke seiner Gnade den christlichen Königen des Volkes der Römer gab: er unterwarf ihnen durch seine Kirche die Geschlechter aller Völker, auf dass sie nach der Ordnung der Gesetze Christi die Menschen regieren sollten“. 20)
Auf der anderen Seite hat diese katholische Kirche ihren Sieg nur durch Akkommodation an die Ordnungen der jüdischen Christenheit erkauft. Es ist wahr, die Schriften der ersten Zeit atmen alle eine fast unerklärliche Animosität gegen die Juden. Das tritt in den acta Addai deutlich hervor. In den Kanones der Apostel --- aus dem dritten Jahrhundert -- hat man das spezifisch jüdische geflissentlich auszumerzen gesucht. 21) Aber wenn wir dann hören, dass man die Charwoche die grosse Woche der ungesäuerten Brote nennt 22), dass diese Syrer um ihr Leben kein Blut essen wollen 23), dass in ihrem Eherecht sie nach mosaischem Recht die Heirat mit der Schwägerin verbieten und die Töchter an dem Intestaterbrecht teilnehmen lassen 24) -- woraus erklärt sich alles dies als aus der Berührung mit der jüdischen Christenheit? Und endlich, wenn das Bekenntnis zu dem einen Gott in den syrischen Märtyrerakten weit schärfer
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hervortritt als in den occidentalischen -- ist nicht auch das ein Erbteil des Ebionitismus?
Günstiger konnten die Aussichten des Manichäismus zu sein scheinen. PHEROZES, ein Bruder SAPOR'S I., hat sich für ihn erklärt. Es schien einmal, als sollte er die Herrschaft zumal in dem Osten des Perserreiches gewinnen. Es ist bekannt, dass diese verheissungsvollen Anfänge dann doch zerstört sind. MANI selbst ist eines elenden Todes gestorben: 277. Das Feuer glimmt dann noch eine Weile fort: in dem Mazdakismus leben die alten Ideen MANIS, verbrämt mit kommunistischen Idealen, wieder auf (529). Aber endlich hat auch er nur dazu dienen müssen, dem Islam den Boden aufzulockern.
Ohne Frage liegt in dem Manichäismus ein viel tieferer Fond als in dem Sabismus. Er fasst das Christentum als eine sittliche Energie. Man darf seine Askese so wenig gering schätzen als die MARKIONS. Allein sie stimmte doch nicht mit den Traditionen des Perservolkes: auch sein Bestreben, die Occidentalen mit für seine Lehre zu gewinnen, konnte sie den Persern wenig empfehlen. Und überdies lenkte er die Massen doch zu wenig in die Höhe, als dass er auch nur mit den Katholikern hätte gleichen Schritt halten können. Die „auditores“ standen immer nur halb in der Gemeinde. Es war das eine Folge davon, dass er seine Lehre nicht mit der geschichtlichen Lehre Jesu auszugleichen wusste. So unterlag er dem Hass seiner Landsleute und der kaiserlichen Christen.
Das Bedeutende war aber darin nun doch, dass er den Orientalen die Aufgabe stellte, die Religion Jesu fortzubilden. Dieser Gedanke hatte noch eine Zukunft.
Jedem Leser der älteren heidenchristlichen Litteratur ist es auffallend, wie wenig wir von Notizen über direkte Missionsthätigkeit der Heidenchristen erfahren. Nur gelegentlich erfahren wir einmal aus dem CELSUS und ORIGENES etwas von Wanderpredigern in den Strassen Alexandriens. 25) Die Schriften der „Väter“ drehen sich immer entweder um eine Verständigung über die inneren Gegensätze oder um eine apologetische Erörterung gewisser angegriffener Lehrpunkte. Es ist wie eine stillschweigende Voraussetzung, dass das Evangelium überall hin in
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den orbis terrarum gekommen ist. 26) Wie das geschehen, darüber wird nicht reflektiert.
Allerdings erzählte man in der frommen Unterhaltungslitteratur Wunderdinge von den Aposteln, wie sie bald nach dem Pfingstfest in alle Länder, doch mit Vorliebe in die des Orients, gegangen seien, ein jeder nach dem Lande, das ihm durchs Los bei der Geistesausgiessung angewiesen war. Ist diese Sage in judenchristlichen Kreisen entstanden 27), dann wird man sie als Symptom der thatsächlich durch den Ebionitismus gegebenen christlichen Impulse im Orient auffassen dürfen.
Auf jeden Fall haben die Ebioniten auch in Ägypten einen grossen Vorsprung vor den Heidenchristen gewonnen. Und ist es wirklich an dem gewesen, dass die mönchischen Essener des Südens sich mit dem Christentum identifiziert haben 28) -- die Sampsäer --, dann dürfte man sich darüber nicht wundern. Wie nahe lag nicht da Ägypten! Und fanden sich nicht dort in den Therapeuten des Sees Mareoi ägyptische Schwärmer, die in Bezug auf das asketische Lebensideal, das sie auch in das Christentum hineintrugen, ihnen so nahe als nur denkbar kamen? 29) -- so nahe, dass PHILON sie für Mosaiker ausgeben konnte, EUSEBIUS aber in ihnen ein Spiegelbild der christlichen Mönche erblickte. 30)
Dass hier ein Austausch stattgefunden hat, steht fest. Wir haben ein Evangelium in „ägyptischer“ Rezension, das eben den Idealen der Sampsäer eine geschichtliche Begründung gab. Die alexandrinischen Theologen noch des dritten Jahrhunderts haben es gebraucht. 31) Dort kam das ebionitische ἀναβατιϰὸν Ἰησαἴου in Umlauf, dessen Spuren wir noch bei dem ägyptischen Asketen HIERAKAS im dritten Jahrhundert treffen. 32) Wie nun, wenn wirklich diese Sampsäer ebenso leichte Verbindungen mit den ägyptischen Religiosen eingegangen sind, als die Elchasaiten mit den Syrern des Haurans? Wer wird das für unmöglich halten, wenn er liest, dass HADRIAN dem Konsul SERVIANUS von den Alexandrinern schreibt 33): Qui Serapin colunt Christiani sunt el devoti sunt Serapi qui se Christi episcopos dicunt. Nemo illic archisynagogus Judacorum, nemo Samarites, nemo Christianorum Presbyter non mathematicus, non haruspex, non aliptes (Quacksalber), ipse ille patriarcha cum Aegyptum venerit ab aliis Serapidem adorare ab aliis cogitur Christum. Das zeigt doch eine
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Verbrüderung mit dem ägyptischen Priestertum, die den gräco-romanischen Christen nie in den Sinn gekommen wäre. Denen blieb das ägyptische Wesen immer ein Gegenstand des Staunens und der Verachtung. Von den Juden aber würden höchstens die Aufgeklärten im Sinne PHILONS ihren Widerwillen gegen diesen Erbfeind bezwungen haben.
Eben an diese aber wendete sich doch wohl die Botschaft der Ebioniten. Sie waren von der Neuordnung des Volkes durch den Fluch über die Ketzer ausgeschlossen. Musste da nicht ihnen der Gedanke kommen, Fühlung mit den anderen Volkstümern zu gewinnen? Zumal wenn dieselbe, was die feinen Hellenen nie gethan hätten, sich ihren Sitten anbequemten?
Dahin war es aber mit diesen Ägyptern gekommen. Was hatte dieses arme Volk nicht alles ertragen müssen! In den letzten siebenhundert Jahren hatten Äthiopen und Assyrer, Perser und Griechen, zuletzt noch die Römer, den Fuss auf seinen Nacken gesetzt! Seine Tempel verödeten 34), trotzdem die Ptolemäer ihm in dem Serapis eine Gottheit gegeben hatten, welche auch den fremden Gästen bequem war. Gerade das wurde der Ruin der alten ägyptischen Religiösität. Als man in Smyrna wie in Rom die Mysterien der Isis und des Osiris feierte, war es um den alten Götterglauben geschehen. Indem Manethos den Griechen die ägyptische Religion als Ausbund alles geheimnisvollen Wesens schilderte, und ein Ägypter dem Tot-Hermes Offenbarungen über den innersten Grund des Alls in den Mund legte, hatte die alte Religion mit ihren harten, groben Satzungen ihren ersten Sinn verloren. Wie sie in das Licht der hellenischen Philosophie kam, verbrannte sie ihre Flügel. Jener „Hermetiker“ wurde bald überboten von den Hellenen selbst, welche durch die Filterpresse ihrer Logik jeden Bestandteil des positiven alten Glaubens entfernten 35).
So fand der Ebionitismus bei den Ägyptern einen vorbereiteten Boden. Diese haben sich denn auch die Beschneidung gefallen lassen, die ja an sich nichts Fremdes für die Ägypter war: ihre Priester hatten sie immer geübt. In Kultus und Sitten haben sie auch sonst sich ihren judenchristlichen Lehrmeistern gefügt. Makrizi, der biedere Mohammedaner des fünfzehnten Jahrhunderts, der uns so schätzbare Nachrichten über die koptischen
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Christen aufbehalten hat, meldet uns, dass sich zur Zeit des Konstantin viele jüdische Christen in Alexandrien befunden hätten 36).
Es ist kein Grund abzusehen, weshalb dies nicht der ursprüngliche Zustand der Dinge gewesen sein soll. Der erste Bischof, welchen Marcus, der angebliche Gründer der alexandrinischen Kirche, einsetzt, ist der Schuster Hananja -- also ein Jude. Der war ihm mit dem Bekenntnis des εἷς ϑεός entgegengekommen 36a), Als Nachfolger des Hananja werden uns blosse Namen genannt, bei denen sich nichts denken lässt. Auf künstliche Weise hat man auch hier die Erinnerung an den ursprünglichen judenchristlichen Charakter der Kirche auszulöschen gesucht. Denn ebionitisch, und zwar in dem Sinne des alten, von dem Elchasaitismus unberührten Ebionitismus, war die erste Kirche Ägyptens durchaus. Den Vorsteher der Kirche nannte man mit hebräischem Namen „Ab“ -- Vater. Erst später substituierte man dem das griechische Papas 37). Auch der hier -- ob zuerst? -- aufkommende Titel patriarcha ist eine ebionitische Reminiszenz 37a). Man feierte das Osterfest mit dem jüdischen Feste der ungesäuerten Brote 38), den Sabbat neben dem Sonntag 39) -- erst im dritten Jahrhundert drang die hellenische Feier durch 40). Als Erinnerungstag aus dem Leben Christi galt ferner nicht sein Geburtstag, sondern -- wie bei den Ebioniten -- die Taufe mit dem hl. Geiste. Um 250 wendet sich Dionysios, der spätere Bischof, der hellenischen Kirche zu. Die Häresie, in der er sich zuvor befand, bezeichnet man als Sabismus 41): es ist bekannt, dass er noch als Bischof in dem Dogma der Katholiken unsicher war. Sein römischer Namensvetter und Kollega hat ihm darin wegen seiner Reminiszenzen an den Ebionitismus eine derbe Abfertigung zu teil werden lassen.
Was es um diesen Sabismus gewesen sei, kann kaum zweifelhaft sein. Wir hören von vielen Manichäern in Ägypten 42), auch wohl schlechtweg „Andersgläubigen“ 43). Diese Christen waren zum Teil philosophisch gerichtet 44). Man verwarf den Pentateuch -- und die das thaten, waren Judenchristen: der Pentateuch sei von den Palästinensern gefälscht, meinten sie 45). Von einem anderen dieser Häretiker heisst es, er sei in dem Diatessaron Tatians (bekanntlich fehlten da die beiden ersten Kapitel des
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78 § 2. Das Christentum des Orients.
Matthäusevangeliums) parum fideliter versatus gewesen 46). Der Sabier Dionysios kennt wiederum nicht die paulinischen Briefe 47). Noch im zwölften Jahrhundert teilte man die Christen Ägyptens ein in Ägypter, d. h. monophysitische Kopten, und Sabier 47a).
Man kombiniere diese bei den katholischen Berichterstattern sich wunderlich genug ausnehmenden Züge unter einander, man erinnere sich, dass Origenes oft genug über das Kleben an jüdischen Riten hat schelten müssen, an den Hass, der das Bild dieses Mannes, der sich freilich hin und wieder so bitter als möglich über die Ägypter ausgelassen hat 48), in der Tradition der Kopten entstellt hat 49), an die noch später -- angeblich wegen Manichäismus -- auftretende Neigung des Klerus, am Sonntag zu fasten 50), an das Lob der Jungfräulichkeit in dem „Evangelium der Ägypter“ 51) -- und man wird das Bild einer, wenn auch nicht rein judenchristlichen, doch von dem Judaismus sehr stark infizierten Kirche Ägyptens bekommen.
Es scheint, dass Hierakas, der beider Sprachen, der ägyptischen und der griechischen, mächtige Asket des dritten Jahrhunderts, der die nationale Litteratur der Kopten inaugurierte, 52) viele seiner Landsleute zum Anschluss an die Kirche der Griechen bewogen hat 53). Infolge davon hebt die alexandrinische Kirche des dritten Jahrhunderts sich schärfer in ihrem hellenischen Charakter heraus. Es war dann eine Lebensfrage für sie, ob die griechische Kirche sich des asketischen Zuges, der auch bei den Ägyptern sich bereits früh, im dritten Jahrhundert, geltend gemacht hat, würde bemächtigen können. ATHANASIUS hat das zuwege gebracht. Der Bund der Katholiker mit den Ägyptern schien definitiv. Dennoch sind die Kopten nur bis zum Chalkedonischen Konzilium noch mit den Griechen gegangen. Dann aber trennten sich die 20 Millionen Kopten von den 300,000 Griechen 53a). Die nationalen Leidenschaften liessen sich nicht mehr zurückdrängen. In Kirchenbau, Ritus und Beschneidung aber bewahren die Kopten noch heute die Erinnerung an den ältesten, judenchristlichen Charakter ihrer religiösen Gemeinschaft 54).
Von Ägypten aus, wohl nilaufwärts 54a), sind auch die Abessinier christianisiert worden. In der -- übrigens nicht ganz einstimmigen -- Tradition figuriert wieder Marcus als der Apostel von Abessinien 55). Es ist das so wertvoll, als die Geschichte, die man
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79 § 2. Das Christentum des Orients.
bis in unsere Tage dem Rufinus 56) nacherzählt hat, von der Bekehrung der Inder, d. i. Äthiopen; durch zwei dorthin verschlagene christliche Jünglinge, FRUMENTIUS und AEDESIUS. In Wahrheit sind auch hier, wenn ich recht sehe, die Juden die Pioniere der Hellenen gewesen. In Habesch befanden sich seit alter Zeit Juden, die durch den Fall Jerusalems Zuzug bekommen haben mögen. Sie haben die Kunde von dem Messias angenommen. Auch der Name Ebioniten findet sich bei ihnen. Denn Falascha heisst, wenn es anders ein arabisches Wort ist, wie Ebion „der Arme“. Sie werden dann zur selben Zeit wie die Juden, die nach Südarabien fuhren 56a), nach Abessinien gekommen sein. Noch heute aber zeigt sich bei näherer Betrachtung in den heruntergekommenen Resten jener Juden eine Reihe von Anklängen an das Christentum, die es verbieten, sie trotz ihrer Feindschaft gegen die Kirche für reine Juden zu halten. Polemik gegen das Christentum der Katholiker, das an der geschichtlichen Existenzform Jesu festhält, trieben die Mandäer auch. Wie sie hielten sich die Juden Abessiniens an die Idee des göttlichen Erlösers, die sich in der geschichtlichen Erscheinung Jesu nur unangemessen manifestiert habe 57).
Dieser nur noch schwache Gehalt an christlichen Ideen, der von den Juden auch auf die eingeborenen Abessinier übergegangen ist 58), schien sich zu verstärken, als es im vierten Jahrhundert der starken Hand des Athanasius gelang, die abessinische Kirche unter die Leitung von Alexandrien zu bringen. Da wird sich dann die Trennung der Falaschas von den Abessiniern vollzogen haben. Auch seine Nachfolger unterstützt von dem byzantinischen Hofe, der im sechsten Jahrhundert eine wiederholte Aufbesserung des katholischen Christentums bewirkte, haben die schützende Hand über diesen Aussenposten gehalten. Aber darin war schon Politik: durch die „katholische Kirche“ gewann der abessinische König Fühlung mit Byzanz. Und bei den Absichten auf Arabien liess sich das gut verwerten.
Dieses politische Zusammenspielen wird uns an einem anderen Orte wieder begegnen.
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80 § 3. Die Araber und das Christentum.
§ 3. DIE ARABER UND DAS CHRISTENTUM.
Es ist immer ein eigentümlicher Augenblick, wenn ein Volk sich anschickt, seine „Götter“ zu „Götzen“ zu degradieren, die Sache, die Idee scheidet sich von dem Bild, der Gott ist nun ein blosses Εἴδωλον -- eine Schale ohne Kern.
Dieser Moment pflegt geschichtlich motiviert zu sein. Im römischen Reich gab es eine Reihe von Experimenten, ehe man dahin kam. Man hatte es mit anderen Göttern versucht: erst als die Götter Griechenlands und des Orients sich in der scharfen Luft Roms nicht akklimatisieren konnten. gelang es, das ϑεῖον, welches die Gemüter aller Menschen erfüllt, in der christlichen Gottesidee zu sammeln. Ähnliche innere und äussere Vorgänge sind die Voraussetzung für den Siegeslauf des Christentums in dem Orient, sowohl am Euphrat als am Orontes als am Nil.
Bei ihnen allen ist mehr oder weniger auch eine Wendung in der sittlichen Denkart eingetreten -- ein Zeichen, dass die Menschen ganz und gar aus dem alten, „natürlichen“ Mutterboden herausgehoben sind. Bei den orientalischen Christen war allerdings diese Umwandlung nur eine halbe gewesen. Der Sinn für religiöse Gemeinschaft ward nicht genug entwickelt, so kam es, dass mit dem Abfall von der Höhe der sittlichen Lebensforderungen auch die alten religiösen Ideen wieder auflebten -- wie z. B. bei den Sabiern.
In noch anderer Weise wirkte das Christentum bei den Arabern. Hier hat es dazu gedient, wie bei den übrigen Völkern die alte Religion zu vernichten. Aber der Moment, wo der Islam -- denn er enthält ein Stück Christentum -- das Gericht vollzog, war nicht innerlich vorbereitet -- nur widerwillig gab das Volk seine Götter preis. Es war nicht durch innere Zerarbeitung noch durch äusseren Druck mürbe gemacht worden. So blieb seine moralische Beschaffenheit im ganzen dieselbe wie zuvor, nur seine religiöse Art wurde durch das Christentum verwandelt. Der Islam wurde eine Weltreligion und blieb doch mehr als jede andere eine Religion des Arabervolks.
Es ist deshalb unerlässlich, die besondere Eigenart des arabischen
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81 § 3. Die Araber und das Christentum.
Volkes ins Auge zu fassen, so wie es sich zur Zeit seines Propheten darstellte.
Man spricht jetzt nur noch selten von Naturreligion. Der Begriff ist obsolet geworden. Im vorigen Jahrhundert glaubte man die Natur, d. h. die Idee, aller Religionen in dem Christentum wiederfinden zu können. Dann kam man davon zurück, erkannte den besonderen Charakter der positiven Religionen an; da war Naturreligion der grosse Kreis der nicht-positiven Religionen. Wie man endlich die geschichtliche Bedingung und Vorbereitung der christlichen, mohammedanischen und buddhistischen Religion sich vergegenwärtigte, liessen sich auch die übrigen Religionen nicht mehr über einen Leisten schlagen; der Verehrer des Ahuramazda auf einer Linie mit dem Ungkulunkulu-Diener -- welche Monstrosität!
Dennoch gibt es in der reliösen Entwicklung aller Völker gewisse Knotenpunkte, die sich gleichen. Die Erkenntnis der Gleichartigkeit in dem Nacheinander der Entwicklung muss an die Stelle der Vorstellung von der formellen Identität aller heidnischen Religionen treten.
Die Araber stehen nach einer Seite hin auf der ersten -- wenn man will letzten -- Stufe der Religiösität: sie sind Fetisch- Diener 59): sie beten das erste beste äussere Objekt an, das sich ihnen in augenfälliger Weise bietet, Steine 60), Bäume 61), Berge, vielleicht auch Tiere 62). Die beiden Pole alles Empfindens, Furcht und Vertrauen, bethätigen sich auch in den religiösen Gefühlen des Arabers diesen Dingen gegenüber. Vor den einen graut ihm, an die anderen wendet er sich bittend um Hülfe.
Allein es gibt wohl kein Volk, das sich hierbei beruhigt hätte. Dem Menschen ist der Trieb zum Allgemeinen, zur Idee, angeboren. So fällt denn auch sein Blick bald auf das Gesetzmässige in den äusseren Objekten: er wird Sterndiener. Die Gestirne sind in ihrer immer sich gleichbleibenden Bewegung die sichtbaren Träger der Idee einer Ordnung, einer Gesetzmässigkeit des Alls. An der Astronomie entzündet sich deshalb sowohl die Wissenschaft wie die höhere Religiosität. Auch die Araber sind Sternanbeter gewesen 63). Aber es scheint doch, dass sie schon hier hinter den Babyloniern und Ägyptern zurückgeblieben sind:
Bestmann, Die Anfänge des kath. Christentums und des Islams.
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82 § 3. Die Araber und das Christentum.
ihnen geht die Anschauung eines aus mehreren Sternen bestehenden astralen Systems ab.
Es wird wohl nie festgestellt werden, ob sie über die mannigfaltige Welt ihrer Götter zu der Ahnung einer die anderen ausschliessenden Gottheit vorgedrungen sind 64). Mohammed hat jedenfalls einmal mit Wehmut auf seine Araber schauend ausgerufen: sie alle sind Polytheisten 65).
Jedes einzelne Haus hat selbstverständlich seinen Gott 66), aber jedes grössere Gemeinwesen auch. Es hat Stammesgötter mit wilden Kapellen gegeben 67). Ja an dem Heiligtum zu Mekka bezeugten die so unendlich zerklüfteten Stämme der arabischen Halbinsel, dass sie ein Ganzes seien: dort gab es seit alter Zeit einen für alle gemeinsamen Kultus.
Sonderbarer Weise knüpft sich der aber nicht an die Idee einer allgemeinen Gottheit -- Allah --, sondern an das Vorhandensein des schwarzen Steines, den man schon früh 68) als ein besonderes Heiligtum verehrte und deshalb mit einer Hütte umkleidete.
So war es auch eine der ältesten Gottheiten der Griechen, Demeter, welcher die Amphiktyonen in Thermopylae opferten, die sich erst später zu dem delphischen Verbande erweiterten. Man weiss, wie dort ein einzelner Stamm, die Achaier, den Vorsitz hatten. Das gleiche war bei dem elischen Fest zu Olympia und sonst der Fall. Hier wie dort trafen sich die Griechenstämme zu gemeinsamem Opfer und Spiel -- es waren die ersten Anfänge eines nationalen Verbands, der den Frieden, den Zustand des Rechts, unter den kriegerischen Stämmen herbeiführen sollte: an beide schloss sich die ἐϰεχειρία, die heilige Zeit der Waffenruhe, an 69).
So ist auch das politische Bedürfnis nach einer Beilegung der Stammeszwistigkeiten die erste Ursache für das Zustandekommen des mekkanischen Festes gewesen 70). Die Hüter des Heiligtums wechselten; auf die (wohl mythischen) Aditen folgten die Gorhomiten, auf diese die Kinanah, die Chuzaa, die Koreischiten 71), und diese sind ja nun auch dem Aussterben nahe. Sie mussten die vier (resp. einen) heiligen Monate bestimmen, in denen man die Lanzenspitzen auszog, d. h. wo die Waffen ruhten, und genossen selbst acht Monate Schonzeit 72). Wie man ferner von Pylai im Festzug nach Delphoi zu ziehen pflegte, so erinnert
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83 § 3. Die Araber und das Christentum.
wohl auch der Zug von Mekka nach Arafa an einen ehedem hier zuwege gekommenen Vertrag oder Frieden: ein eigenes Bündnis der Fudhul in Mekka sicherte hinfort das heilige Gebiet gegen jedes Verbrechen 73). Und wieder, als dann späterhin die politische Entwicklung des Griechenvolkes diese ersten Anfänge eines nationalen Gemeinwesens überholte, erblickte man in dem Amphiktyonen-Bund nur noch ein religiöses Komitee und sah Olympia nur für eine Gelegenheit zu künstlerischer Selbstdarstellung an; so bekam auch die Wallfahrt nach Mekka (wie die Theorie nach Delos) bald ein vorzugsweise religiöses Gepräge, was natürlich ihrer merkantilen Bedeutung keinen Abbruch that. Hatte man früher etwa sich an den gemeinsamen Stammvater erinnert, an Abraham, -- wie dort die Hellenen an Hellen --, so galt nun -- die Zeit ist uns schlechthin unbestimmbar -- Abraham als der Erbauer des mekkanischen Tempels. Es lässt sich denken, was in den müssigen Tagen des Hadsch die fromme Phantasie der Pilger hinzudichtete: hiess es doch bald, an den beiden heiligen Steinen, die neben el hagar el assuad lagen, sähe man noch Abdrücke der Füsse Abrahams 74). Dass der Zemzembrunnen bei der Kaaba die Quelle war, aus der Hagar den Ismael tränkte, war dann kaum zu bezweifeln 75).
Etwas anderes jedoch als die Religion ist die Religiosität, das Pathos, mit dem die objektiven religiösen Ideen ergriffen werden.
Zuerst ist das gering: so lange die Numina wesentlich als grausige Mächte gedacht werden, äussert sich auch die gute Seite des Göttlichen nur in dem Schutz vor Unheil (Amulette u. s. w.). Diese Art von Frömmigkeit ist den Arabern nicht fremd 76), Aber es finden sich doch noch andere Bestandteile. Wie nämlich das Moment der Allgemeinheit, der Idee, an den empirischen Objekten gross wird, schrumpft der ehedem das ganze Leben durchziehende Gegensatz zwischen dem Furchterregenden und Segenspendenden zusammen zu dem anderen von Heilig und Profan 77).
Hier tritt das Opfer auf und mit ihm der Priester. Damit beginnt auch die Religion ihren sittigenden Einfluss zu entfalten: die religiöse Potenz ist dem Menschen immer noch innerlich fremd, aber äusserlich ist die Verbindung hergestellt; hat er durch Hingabe seines Eigenen -- Opfer -- sich den Eintritt in das Heiligtum erworben, so geniesst er seinen Schutz: der Gott ist
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84 § 3. Die Araber und das Christentum.
ihm befreundet, er segnet ihn. Er lässt den Gott hinwieder teilnehmen an seinen Festfreuden. Er fragt ihn um Rat -- Orakel -- und lässt sich hinwieder gefallen, dass eine Reihe von Dingen und Handlungen als besonders bedeutungsvoll von anderen ausgeschieden werden. Es offenbart sich darin auch die einigende Kraft der Religion, sie wird politisch.
Es ist auf dieser Linie, dass sich die Frömmigkeit der Araber vor Mohammed bewegt 78); besonders hervorragend ist sie nie gewesen, wie man das von den Babyloniern und Ägyptern sagen konnte: nie hat das Priestertum -- ausser etwa im Süden 79) -- es zu einer grösseren Machtstellung gebracht. Aber die Keime dazu sind doch wirklich vorhanden.
Die Araber hielten schon vor Mohammed die im Namen der Götter beschworenen Bündnisse heilig, heilig waren ihnen auch die Fremdlinge, die in ihre Hütte traten -- man pries die Leutseligkeit und Freigebigkeit des Reichen gegen den Armen, des Mächtigen gegen den Elenden. Das ist alles nicht ohne den Einfluss der Religion geworden.
Aber abgesehen davon -- welch eine Gewalt besitzen noch die sinnlichen Leidenschaften über sie! Rachsüchtig, stolz, brünstig, schmähsüchtig, betrügerisch, verlogen -- so schildern sie sich in ihren eigenen Liedern 80). Es ist ein Bild, das durch den Lobpreis der Tapferkeit und Gastfreiheit nur wenig anziehender gemacht wird.
Ohne Zweifel hat die in diesen Zügen sich darstellende Sittlichkeit etwas Sprunghaftes an sich: das Heilige ist weit davon entfernt, das ganze Lebensgebiet zu durchdringen; jenseit des Hauses und des Stammes ist der Mensch und sein Eigentum vogelfrei.
Diese Brüchigkeit der religiösen und ethischen Richtung ist ächt arabisch. Man hat oft von der Nüchternheit der Araber gesprochen: man weist z. B. darauf hin, dass die Perser erst, und nicht die Araber es gewesen sind, welche die Schwärmerei auf religiösem Gebiet, den Sufismus, ausgebildet haben. Wenn das heissen soll, dass bei den Arabern das Moment des Gefühls zurücktritt, so dürfte das doch zu limitieren sein. Die totale Hingebung an den Willen Gottes, wie sie der Islam fordert, ist ohne einen gewissen Zusatz von Schwärmerei schon gar nicht denkbar.
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85 § 3. Die Araber und das Christentum.
Man muss vielmehr sagen, dass in diesem Volke eine wunderbare Fähigkeit liegt, je nach dem Moment jede Kraft des Geistes für sich allein spielen zu lassen. Wie tief empfunden sind nicht die Klagelieder, die uns aus der frühsten Zeit noch erhalten sind: man merkt es den Verfassern an, sie sind in diesem Moment ganz von der Empfindung des Leids hingenommen. Da wird die erste Nacht nach dem Tode des Geliebten zur Ewigkeit und das ganze mit ihm verbrachte Leben erscheint wie ein kurzer dahineilender Tag 81). Aber diese Empfindung wird nur so lange dauern, als die Vorstellung des verlornen Gegenstands noch frisch ist. Mohammeds Verhalten zu seinen Gattinnen nach dem Tode der Chadidja ist der sprechende Beleg dazu!
Genau so ist es dem Araber eigen, alle Fibern Seines Willens zu einem grossen Choc anzuspannen: ihre ganze mächtige Evolution seit den Tagen Mohammeds ist so ein gewaltsamer Vorstoss, in dem sich alle Kräfte des Volkes entfalten. Aber wie dann der an Byzanz sein Ende findet, sinkt die Kraft zusammen -- ein schnell erlöschendes Feuer.
Dass es mit der Erkenntnis sich ähnlich verhält, ist eine bekannte Sache. Im Nu hatte man sich in den spitzfindigsten Geist der Alten, in ARISTOTELES, hineingelebt, die Impulse desselben auf die Durcharbeitung der praktischen empirischen Disziplinen angewendet. Aber wie bald hat auch diese Entwicklung, durch welche sie immer noch die Lehrer des Abendlands geworden sind, ein Ende genommen.
Das macht, es fehlt ihnen insgesamt die Kontinuität des Charakters, in welchem die Anlagen des Menschen zu einem harmonischen Ganzen verschmelzen.
Eben dies ethische Gut wollte ihnen das Christentum bringen.
Das Judentum hatte ihm etwas vorgearbeitet. Doch besteht ein Unterschied zwischen Nord- und Südarabien. In Jemen, im Süden. finden wir auch wohl an den Hauptverkehrsorten, wie z. B. in Negran, jüdische Kolonien 82). Abgeschnitten von dem lebendigen Kontakt mit dem Mutterlande, gingen sie allerdings auch hier leichter und schneller eine gewisse Verbindung mit den stammverwandten Arabern ein, als z. B. in Palästina, wo die Rabbinen eifersüchtig über dem Buchstaben des Gesetzes wachten. In den himjaritischen Inschriften ist eine Einwirkung
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86 § 3. Die Araber und das Christentum.
des israelitischen Monotheismus unverkennbar 83). An einer wirklichen Zusammenschweissung wurden sie aber hier wie sonst durch die eigene Tradition wie durch die Stammesverfassung der Araber verhindert.
In dem Norden, der von der Hauptstadt Petra seinen Namen hatte, ist das anders gewesen. Da sind einzelne, wohl schon früher von dem Mutterlande gelöste Stämme ganz arabisiert: sie sind Schutzgenossen arabischer Stämme geworden, denken und fühlen und dichten wie sie 84), Als Hauptpunkte heben sich die Städte Jathrib-Medina und Chaibar heraus. Aber im allgemeinen dürfen wir sie in jeder Stadt des Nordens uns ansässig denken 85). Von eigentlichen Stämmen werden uns genannt die Benu Qainuqa, Benu Charitha und Benu Quraitha -- der Stamm in Chaibar zählte 6000 waffenfähige Männer 86) -- ferner die Kinanah und Kindah. 87)
Eine Frage von weitreichender Bedeutung ist es nun aber, ob diese Juden direkt von Bedeutung für das religiöse Fühlen der Araber gewesen sind. Man muss das von vornherein wahrscheinlich finden. Die Juden, die Träger einer wie immer gestalteten Offenbarung, galten wie die Syrer im Nordwesten und Nordosten, die Nabathäer, zugleich als Träger der Kultur und Bildung. Es ist bezeichnend, dass als ihr Gewerbe in Medina die Goldschmiedekunst angegeben wird 88). Dass bei einem so nahen Nebeneinander auch religiöse Auseinandersetzungen unvermeidlich waren, ist selbstverständlich, wie auch das andere, dass sich unwillkürlich ein Austausch der geschichtlichen Erzählungsstoffe vollzog. Es scheint sogar, dass die Juden ihre Erzählungen denen der Araber angepasst haben: jedenfalls erkannten sie mit den Arabern in dem Tempel zu Mekka das Heiligtum Abrahams an 89). Auch das hat nichts Befremdliches, dass von ihrer Messiashoffnung etwas auf die Araber transspiriert ist 90).
Aber weiter dürfte man doch auch hier nicht gehen. Der eigentliche Kern der israelitischen Gottesverehrung, ihre besonderen Gesetze über Rein und Unrein, über Opfer, Priester u. s. w. liessen sich nicht auf arabische Zustände übertragen: Sie waren für Palästina berechnet. Zudem hatten sich die Juden seit dem Jahre 70 so hermetisch gegen alle andersartigen Gebräuche abgeschlossen, sie traten mit ihrem Bibelbuche und mit ihrer Tradition als mit einem unabänderlichen Kanon auch den Arabern so entgegen,
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87 § 3. Die Araber und das Christentum.
dass an einen Kompromiss in diesem Punkte nicht gedacht werden konnte 91). Nie hätte der Rabbi mit dem arabischen Kahin fraternisieren dürfen.
Diese Starrheit der jüdischen Lebensformen und Satzungen tritt einem so recht in dem Moment entgegen, wo die Rabbinen mit einem der letzten eingebornen Tobba, d. i. jemenischen Könige, Tiban Asad, gen Süden ziehen und dort ein durchaus jüdisches Reich einrichten 92). Hier hatte inzwischen das Christentum Wurzeln geschlagen. Aber weder die Christen noch die Araber kommen den Rabbinen, die sich noch kurz zuvor für die Erhaltung des mekkanischen Heiligtums verwendet hatten, freundlich entgegen. Sie treffen vielmehr auf entschiedenen Widerspruch, den der Tobba nur durch ein Gottesurteil niederschlagen kann. Da kommen diese beiden Rabbinen mit ihren Thorahrollen um den Hals und gehen mutig dem aus einer Höhle hervorbrechenden Feuer entgegen. Und ein Beweis für ihre die der anderen Beschwörer weit übertreffende Zauberkraft ist es dann, wenn nun das Feuer vor diesen Gewappneten zurückweicht. Jedenfalls in der Volksphantasie stehen sie da als die Vertreter einer übernatürlichen, für die gewöhnlichen Sterblichen selbst unerreichbaren Magie. Wer möchte glauben, dass in dieser Weise die Religion des alten Bundesvolks den Arabern innerlich nahe gebracht werden konnte -- nur durch die Schärfe des Schwertes hat Dsu-Nowas die Unternehmungen der Rabbinen durchführen können. Und auch dann noch sagte man von seinen judaisierten Arabern, sie hielten keine Gebote der Thorah ausser den Speisegesetzen 93): wie Dsu-Nowas nicht mehr ist, schwindet auch jede Spur der israelitischen Religion in Jemen.
Dagegen das Christentum ist dort eine bleibende Macht bis auf Mohammeds Zeiten geblieben. 94) Wie es dahin gekommen, ist nicht leicht zu sagen. Gewiss nicht auf die Art, wie die spätere arabische Tradition will. Nach ihr soll ein syrischer Christ, Phemion, der durch syrische Treulosigkeit als Sklave nach Negran, der eigentlichen christlichen Metropolis Jemens, verkauft wird, fast wider Willen den Samen des Christentums unter das südarabische Volk ausgestreut haben. Die Tendenz, das Christentum als eigene Entdeckung der Araber darzustellen, diskreditiert die Sage von vornherein. Auf festerem Boden stehen wir erst
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durch die Nachricht, dass Theophilos der Inder zur Zeit des Konstantius in Südarabien bereits Christen vorfindet, die er nur noch zu organisieren hat 95). Wir hören nicht, dass er dabei Schwierigkeiten gefunden hat, dürfen also wohl eine ursprüngliche Verwandtschaft des von ihm vertretenen -- byzantinischen 96) - Christentums mit dem südarabischen annehmen. Dann aber liegt es am nächsten, vor allem an Abessinien, mit dem von altersher Südarabien verbunden war 97), das seit dem vierten Jahrhundert über Südarabien herrschte 98), zu denken. Auch später noch sucht Mohammed, der den Glauben für jemenisch hielt und erklärte 99), dem überdies einzelne abessinische Ausdrücke für religiöse Bräuche geläufig waren 99a), grade mit diesem Lande Fühlung zu behalten: als seine Gläubigen in Mekka sich nicht mehr halten konnten, flüchteten sie zu dem Negus. Selbst gegenüber den Kopten hat er das Gefühl der Gemeinschaft nie verleugnet: eine seiner Frauen war eine koptische Christin. Und als die Möglichkeit einer Eroberung Ägyptens vor seinem geistigen Auge sich darstellte, empfahl er die Ägypter als natürliche Verwandte der Milde der Eroberer 100) -- all das macht einen ursprünglichen Zusammenhang mit dem südarabischen Christentum nicht bloss denkbar, sondern auch wahrscheinlich.
Aber auch dann, wenn hier im Süden die Juden das Christentum zuerst verbreitet haben sollten, muss man doch annehmen, dass der von dem afrikanischen Festland herüberwehende kaiserliche Wind die ebionitischen Anklänge in dem Christentum hat zurücktreten lassen. Die „Mission“ des Theophilos hat mit der des Frumentius unleugbar eine gewisse Ähnlichkeit. Sobald aber Religion und Staat auch hier solidarisch waren, war es um die Aussicht auf Christianisierung Arabiens von Jemen aus geschehen. Es fehlten ohnedies sehr wesentliche Vorbedingungen dafür. Man hatte in dem von Kaufleuten des Westens und Ostens durchzogenen Jemen die Verbindung mit dem übrigen, rauheren und kräftigeren Teil Arabiens verloren. Noch nach dem Auftreten des Islams fehlt zwischen beiden Teilen das rechte Verständnis 101). Es war wohl überhaupt fraglich, ob der kulturell hoch entwickelte Süden dem Norden je würde die geistigere Religion haben bringen können -- der Stolz des Beduinen wie des immer doch unkultivierten Hidjaz-Bewohners würde ihm stets verboten haben, eine
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Solche Gabe aus der Hand des verweichlichten Bewohners der Tehamah, der Küste, entgegenzunehmen.
Dazu kamen nun die äusseren Geschicke der Kirche in Südarabien.
Wie überall so war auch hier die katholische Kirche organisierend aufgetreten. Es heisst, dass vier Bistümer in Negran, Taphar, Aden und Hormuz bestanden 102). Diese Bischöfe mussten um jeden Preis die Verbindung mit den Äthiopen aufrecht erhalten. Als daher in Dsu-Nowâs ein Herrscher auftrat, der, gestützt auf die jüdische Religion, den südarabischen Stämmen gegen die schwarzen Eindringlinge Luft schaffen wollte, traf er auf den entschlossenen Widerstand der Christen in Negran. Mit semitischer Grausamkeit und Tücke hat er denselben zu brechen versucht. Er liess mehr als dreitausend Christen verbrennen: 523. Das war indessen nur ein vorübergehender Erfolg. Die Äthiopen kamen den Sommer darauf herüber: das jüdische Reich wurde zerstört, ein Äthiope, Abrahah „mit der gespaltenen Nase“ -- ehedem General des Negus -- setzt in seine Bestrebungen ein, indem er das Unterthanen-Verhältnis zum Negus zu einem bloss nominellen herabsetzt. Dieser christliche Beherrscher Südarabiens tritt jedoch wieder in Beziehung zu Justinian, der hier im Süden den Persern Schwierigkeiten zu machen hoffte. Er zog nach Norden, um mit dem Christentum sein Reich zu erweitern. Möglich sogar, dass er direkt den antipersischen Inspirationen des Byzantiners damit genügen wollte 103). Jedenfalls galt sein Zug dem Mittelpunkt des heidnischen Arabiens, Mekka. Im Begriff dasselbe zu erobern und den Tempel dort zu zerstören, erliegt er dem tückischen Schicksal: die Blattern raffen sein Heer hinweg, er muss unverrichteter Dinge heimkehren -- um 570.
Dieser Tag von Moghammas, den die Araber bis zur Stunde als einen Tag des wunderbaren Einschreitens Allahs für sein Heiligtum feiern, entschied auch definitiv über die Mission des katholischen Christentums in Arabien. Indem es sich von der byzantinischen Politik nicht loszumachen im Stande ist, verwirkt es seinen weltgeschichtlichen Beruf bei den Völkern des Ostens durchaus.
In einem alten Liede wird diese Niederlage der Abessinier als ein Sieg der hanifitischen Religion gefeiert 104). Es gab in
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der That schon damals Anfänge eines Christentums in Mekka, welches von Norden gekommen war. Ihm stand gerade jetzt die bedeutendste Zukunft bevor. Wir berühren, indem wir dies hanifitische Christentum beschreiben, die Anfänge des Islam.
PHEMION, der mythische Begründer des südarabischen Christentums, kommt auf seinen Wanderungen in Syrien an einem Baume vorbei, unter dem ein Mann steht, der ihn erwartet hat: „Ich erwartete Dich längst“, redet der ihn an, „und dachte immer, wann wird er kommen, bis ich endlich deine Stimme hörte. Da wusste ich, dass du es bist. Ziehe nun nicht weiter, bis Du auf meinem Grabe gebetet hast“. Das geschieht denn auch, und der Syrer stirbt.
Diese kurze ergreifende Schilderung ist ein vielleicht so beabsichtigtes Bild von dem Untergang des jüdischen Christentums durch den Islam. Von ihrem Volk verstossen haben die Christen Palästinas ihre Hoffnung auf einen alles Ungleiche ins Gleiche bringenden Retter auf das arabische Volk zu übertragen gewusst -- aber der Gebetsruf der Jünger des neuen Propheten wird zum Klageruf über dem Grabe des Erzeugers.
Ein arabischer Schriftsteller, Jbn Koteibah, erzählt uns 105), die Rabiiten, Ghassaniden und ein Teil der Kodaiten habe sich zum Christentum bekannt. Desgleichen zum Judaismus die Himjariten, die Kinder Kenana, die Kinder Hares, des Kaabiten, und die Kindah. Der Magismus habe geblüht bei den Tamimiten. Dagegen den Zendekismus bekannten die Koreischiten, die ihn von Harrah mitgebracht hatten. Zendekismus oder Zandikismus 105) ist das gebräuchliche Wort für Manichäismus, wird aber dann verallgemeinert -- es sind überhaupt Sektierer. Auf der anderen Seite heisst Harrah wohl schlechtweg die Stadt der Häretiker: medinat Hanphe 106).
Der Austausch der Bodenerzeugnisse -- der Handel -- ist bei Nationen, die im wesentlichen gleichstehen, nicht denkbar ohne Mitteilung der geistigen Bildungsgüter. Es ist daher sehr leicht verständlich, dass die Koreischiten, welche von dem Handel lebten und ihren Namen trugen, in dem Ketzernest Harrah, überhaupt in Nordsyrien 107) mit dem Hanefitentum Bekanntschaft machten. Jene Hanefim d. h. Verstossene waren die vom Judenchristentum ausgegangene syrische Christenheit, d. h. die Taufgesinnten,
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die Sabier. -- Zugleich werden die persischen Nationalchristen, die Manichäer, dahinter Deckung gesucht haben 108).
Der Koreischite Mohammed war auch in diesen Gegenden nicht unbekannt. Wie lebendig ihm Gabie im Hauran vor Augen stehen, einen wie tiefen Eindruck Jerusalem, in das er noch in Medina in einer Verzückung versetzt ward, auf ihn gemacht haben mochte -- das Zweistromland hat sich nicht minder in dem Gedächtnis des Propheten festgeheftet. Einst hat er die Königsburgen von Madain, d. h. von Seleukia und Ktesiphon, genau bis ins Einzelnste beschrieben 109). Er wird also wohl auch in seiner Jugend mit den Karawanen seines Stammes dagewesen sein. Dann aber wird das Sabiertum auf ihn so gut wie auf jeden anderen Koreischiten seinen Reiz ausgeübt haben. In seiner Familie war das Christentum zu Hause,-- es wird eben dies häretische Christentum der Syrer gewesen sein, das er in Mekka pflegte. Sein Oheim Waraka nährte in ihm die nur aus jenem Gedankenkreise verständliche Hoffnung auf einen kommenden Propheten 110). Eben unter seinen ersten Freunden finden wir einen Schammas 111), d. h. doch wohl einen Bekenner jener Religion, die sich sonderlich des göttlichen Dienstes berühmte, und nicht ein beliebiges Glied (Diakonus) irgend welcher kirchlicher Hierarchie.
Die Überlegenheit der christlichen Ideen über den arabischen religiösen Anschauungskreis war so unendlich, dass man die Zahl jener Christen Häretiker nicht gerade sehr niedrig zu greifen braucht. So recht einen Blick in die zweifelmütige Stimmung dieser so getroffenen Araber lässt uns die Erzählung von den vier Koreischiten thun, die, irre geworden an den ererbten Vorstellungen, schliesslich in dem Christentum, sei es Äthiopiens sei es Neu-Roms, Frieden finden: nur Zeid ben Amr kann sich weder mit dem Judentum noch mit dem Christentum zurechtfinden. Aber auch von ihm erzählte man sich doch, dass er weder die krepierten Tiere noch Blut noch Opferfleisch genossen habe; auch heisst es, er habe verboten neugeborne Mädchen lebendig zu begraben 112). Deutlich genug vernimmt man trotz des fremdartigen vierten Stücks hier die Reminiszenzen an die Gesetze des Apostelkonzils, welche den Ebioniten wie eine Abschlagszahlung auf das väterliche Gesetz erschienen war.
Das zeigt doch, dass wir hier auf einem bereits von dem
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92 § 3. Die Araber und das Christentum
jüdischen Christentum durchackerten Boden uns befinden: das Licht ist freilich schon doppelt gebrochen, deshalb ist das Christentum hier auch nicht mehr so selbstverständlich: Was sollten wohl die Araber sich bei jenen drei ersten Ritualgesetzen Zeid b. Amrs denken! Das Gros der Mekkaner war überdies nicht willens, von seinen Götzen zu lassen. Von Mohammed fanden sie es wunderlich, dass er den einen Gott an die Stelle ihrer vielen setzen wolle 113) Unter ihnen war für die verschiedenen Nuancen des Christentums und deren Vertreter wenig Raum. Nur in stillen Kreisen wird sich das Hanefitentum der Araber gehalten haben. Erst Mohammed zog es ans Licht: denn seine Religion heisst ursprünglich die hanefitische. So wird sie in Liedern gefeiert 114). Dass sie aber sich mit dem Judentum nahe berühre, hat Mohammed sich von den jüdischen Rabbinen sagen lassen müssen. Ihn halte, so meinen sie, nur das von ihrer Religion ab, dass sie die Religion der Juden sei. Er scheine das Hanifentum vorzuziehen, von dem er gehört habe. Abu Amr freilich sei schon damit unzufrieden und habe davon abgelassen. Aber es komme der wahre Meister des Hanifentums, der hinterblickende, der Kämpfer mit geröteten Augen 115) u. s. w.
Dies merkwürdige Gespräch datiert aus einer Zeit, wo Mohammed sich noch nicht mit dem ersehnten Propheten identifizierte. Die Juden reden hier in alttestamentlichen Bildern 116) -- es ist der alttestamentliche Grundton, der durch alle noch so wirren Bildungen des orientalischen Christentum sich vernehmen lässt.
Wie hätte der überhaupt je den jüdischen Christen verloren gehen können! Wir dürfen sicher vermuten, dass sie mit der ganzen Volkssage, so wie sie später durch die Rabbinen zu der Haggada zugestutzt und gesammelt ist, vertraut waren. Wie hätten da die prophetischen Ideen bei ihnen nicht fruchtbaren Boden finden sollen, -- mochten immerhin ihre Leiter über die kanonische Auktorität der prophetischen Schriften zweifelhaft denken.
Diese jüdischen Christen sassen nun aber den Nordarabern gerade nahe genug, um durch Vermittelung der Juden und Nabathäer in dem peträischen Arabien sie in ihre Kreise hineinzuziehen. In Peraea nämlich, in dem alten Moab, am Arnon, und drüber hinaus, in Ituraea, in Nabathaea (d. i. Arabia Petraea)
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93 § 3. Die Araber und das Christentum.
treffen wir die Sampsäer. Sie verehren einen Gott, machen viel in Waschungen, -- dem Wasser geben sie eine fast göttliche Ehre -- verwerfen die Propheten und Apostel. Nicht in allen Punkten -- also doch in vielen -- berühren sie sich mit den Bräuchen der Juden. Einige von ihnen enthalten sich alles Lebendigen 117).
Es hat Grund sonach, wenn Epiphanius sie auf die Grenzlinie zwischen Judentum und Christentum stellt -- denn auf der anderen Seite bekennen sie sich doch zu Christo. Er gilt ihnen als geschöpfliche, engelische Macht, die zuerst in Adam erschienen, dann aber von Zeit zu Zeit wieder komme. Der heilige Geist ist seine gleichfalls als engelisches Wesen gedachte Mutter 118).
Man kann nicht verkennen, dass diese Zweiteilung zwischen einer männlichen und weiblichen Potenz, die uns in fast allen ebionitisch-gnostischen Systemen begegnet, einem Bedürfnis der Orientalen entgegenkam. Bei den Semiten war ja der klassische Boden für die orgiastischen Kultformen, mithin für die geschlechtlich differenzierte Götterwelt -- denn was man im übrigen auch von den geschlechtlichen Zügellosigkeiten der hellenischen Götter sagen mag, die eigentlich religiöse Idee der hellenischen Gottheiten dreht sich nicht mehr um die geschlechtliche Differenz. Wie viel leichter aber musste die christliche Vorstellungswelt mit der orientalischen verschmelzen, wenn nun das Christentum auch so einen gemilderten Dualismus vertrat: wirklich finden wir, dass grade in Arabien man der Mutter Jesu einen orgiastischen Kult gewidmet hat, indem man sie als die Mutter der Götter pries: die Mariamiten feierten die Maria durch Kuchenoblationen wie die Königin des Himmels 119) -- sicherlich ein Beweis, dass wir es hier mit einem bereits nationalisierten Christentum zu thun haben. Dass es dabei an Widersachern nicht gefehlt haben kann, brauchte kaum berichtet zu werden, aber ob die sich zu einer antidikomariamitischen Partei zusammengeschlossen haben, wird doch durch den alten Epiphanius selbst sehr zweifelhaft.
Aber wie tief ist nun dieses judenfreundliche Christentum in das arabische Volk des Nordens eingedrungen? Es fehlt in Wahrheit jede sichere Spur, um das konstatieren zu können. Eine Reihe von arabischen Stämmen begegnet wohl, die den Beinamen „christlich“ führen 120) -- auch Spuren von judaistischen Anschauungen grade bei den Christen in Medina fehlen
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94 § 4. Mohammed und das Christentum.
Nicht 121). Und denken lässt es sich überdies ja auch sehr wohl, dass in den vielen Orten Nordarabiens, wo sich die Juden fanden, auch das Christentum sich eingenistet hat.
Aber Bestimmteres liesse sich darüber kaum sagen. Die kompakte Masse der Araber im Norden, ganz abgesehen von den Beduinen, ist gewiss dem Christentum immer fremd geblieben. Die späteren Nachrichten lassen darauf schliessen, dass auch im Norden das Christentum der byzantinisierenden Syrer Wurzel schlug und die ältesten Triebe überwucherte 122). Möglich, dass das Beispiel einzelner arabischer Stämme an der Grenze Mesopotamiens, welche unzweifelhaft sich zu dem Christentum ihrer römischen Bundesgenossen bekannten und zum Beweise dessen sich auf die Enthaltung von dem Genusse rohen Kameelfleisches berufen konnten 123), auch auf die übrigen Stämme des Hidjaz von Einfluss gewesen ist; sehr wahrscheinlich ist ferner, dass die an den Rändern Palästinas von Bostra ins Werk gesetzte Katholisierung Westsyriens auch Arabia Petraea ergriffen hat 124): aber all das können kaum mehr als sporadische Ansätze gewesen sein.
Und vor allem, diese paar Katholiker des Nordens haben den inneren Entwicklungsgang der arabischen Nation nicht bestimmt, nicht einmal so, dass sie einen Gegensatz hervorgerufen hätten. Nicht mit ihnen, sondern mit den Christen Negrans hat schliesslich Mohammed sich auseinanderzusetzen für gut befunden. Und wenn er Konzessionen macht, wie z. B. in Bezug auf die Qiblah, so blickt er damit nicht auf die Katholiker, sondern auf die Judenchristen.
Ihrem Ideenschatze verdankt er denn auch einen nicht unbedeutenden Teil seiner „Offenbarungen“.
§ 4. MOHAMMED UND DAS CHRISTENTUM.
Es ist eine weit verbreitete Ansicht, dass Mohammed besonders bei den Rabbinen in die Schule gegangen sei. 125) Auf der anderen Seite sind im Koran Anklänge an christliche Lehren unverkennbar. Aber man weiss, wie der Rabbinismus gegen jede Form des Christentums spröde gethan hat. Soll man denn nun annehmen, Mohammed habe in einer Art Eklektizismus sich die
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95 § 4. Mohammed und das Christentum.
besten Stücke aus den beiden sich widersprechenden Systemen ausgewählt? Man braucht diese mechanische Ansicht nur auszusprechen, um das Unangemessene derselben sofort zum Gefühl zu bringen. Die Aufgabe ist vielmehr, die einheitliche Wurzel blosszulegen, aus welcher der Islam als solcher hervorgewachsen ist.
Das ist allerdings nur ganz allmählich geschehen: denn Mohammed hat sich sehr langsam entwickelt. Er hat in seinem ganzen Wesen etwas Träumerisches, Sentimentales, das sich wohl auch auf solch grobkörnige Naturen wie Omar überträgt 126). Man findet infolge davon kaum einen grossen Moment im Leben Mohammeds. Dagegen nicht selten tritt er uns recht klein entgegen, z. B. in dem Treffen bei Ohod, wo er die Kontenance völlig verlor. Man kann im allgemeinen wohl sagen, er war eine passive Natur, die sich schieben liess. Den Reichtum seiner Anschauungen und Ideen -- wie sie im Koran uns vorliegen -- kann man unmöglich bezweifeln: aber auch ihnen steht er leidentlich gegenüber, sie werden ihm zu „Offenbarungen“.
Wie er dann durch die Intriguen und Spottreden seiner Feinde aus seinem Mekka vertrieben, seine Schritte dem fremden Jathrib, der späteren Stadt des Propheten , d. i. Medinah, zulenkt, hat er eine grossartige Konzeption gehabt, einen tief eingreifenden Entschluss gefasst: da zeigt er sich dem Druck der Verhältnisse gewachsen, ja überlegen -- in diesem Tiefpunkt seines Schicksals, da seine Feinde höhnten und seine nahen und fernen Freunde sorgten, ist es gewesen, dass er sich als den Propheten ergriff: da erfasst er sich nicht mehr bloss als den Reformer des arabischen Volkes, sondern als das Schlussglied in der religiösen Entwickelung der Menschheit überhaupt, als das Siegel des Prophetentums.
Diese Zähigkeit, da Kraft und inneres Vertrauen sich verdoppelte mit der Verminderung der äusseren Chancen, ist ein Merkmal solcher melancholischer Naturen. Irre ich nicht, so liegt in der überlegenen Gelassenheit des Propheten das eigentliche Geheimnis seines beispiellosen Erfolgs. Inmitten dieser heissblütigen Araber, bei denen die Leidenschaft des Augenblicks das Gute und Grosse wie das Geringe und Böse beherrschte und erfüllte, war eine solche feste konstante Haltung von vornherein eine Empfehlung. Er war denn auch schon vor seinem Auftreten
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96 § 4. Mohammed und das Christentum.
der Mann des allgemeinen Vertrauens. Schon als Kind machte er den Eindruck eines Wesens mit reinem Herzen 127). Er hiess wohl der Zuverlässige, Wahrhaftige 128) -- auch pflegte man bei ihm die Kostbarkeiten zu deponieren 129). Mohammed hat gegenüber der Masse der haltungslogen Araber etwas von der vornehmen Sicherheit des Edelmanns an sich, die ihres endlichen Erfolges nie verfehlt.
Diese Haltung aus Berechnung erklären, dürfte genau so ungerecht sein, als die Herleitung seiner Offenbarungen aus den Anfällen seines epileptischen Leidens 130). Aber allerdings lässt sich nicht verkennen, dass er in Medina nicht selten seine persönliche Überlegenheit auch zu andern als religiösen Zwecken benutzt hat. Überhaupt, indem er sich als den Propheten fühlen lernt, wird er gewaltsamer, schneidiger: aber den Eindruck eines Wüterichs macht er auch dann noch nicht 131).
Man darf das Temperament, d. i. diese persönlichen Züge -- leider sind sie so wenig zahlreich aufbewahrt -- nicht gering schätzen. Eine Individualität wie die Mohammeds würde bei Deutschen keinen Eindruck machen. Umgekehrt würde eine bis in die innersten Tiefen leidenschaftlich erregte Natur wie die Luthers sicher an den Arabern, bei denen auch die Bagatelle leidenschaftlich behandelt wird, spurlos vorüber gegangen sein.
Aber schliesslich kommt doch alles darauf hinaus, welche geschichtlichen praktischen Ideen sich in den Individuen verkörpern. Diese könnte man sich aber wieder nicht denken ohne ihre geschichtlichen Voraussetzungen.
Die Person Mohammeds mit ihnen zu verknüpfen, ist aber schwierig, fast unmöglich. Die Geschichte seiner Kindheit, seines reifenden Mannesalters ist ein leeres Blatt. Sein Grossvater Abdalmutallib, sein Oheim Abu Talib, seine Mutter Aminah, sein Vater Abdallah sind für uns nur ebensoviel bedeutungslose Namen. Höchstens, dass man den Erstgenannten, der unter den Tempelwächtern, den Koreischiten, eine leitende Stellung eingenommen haben muss, davon ausnehmen könnte. Aber wie hat gerade sein Leben die verherrlichende Sage überwuchert! Um jeden Preis sollte das Geschlecht des Propheten als das nationalste aller koreischitischen Familien erscheinen.
Dann hören wir von Handelszügen des jungen Sohnes Abdallabs --
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nicht einmal Mohammeds ersten Namen kennen wir: Mohammed selbst ist ein prädikativer Name 132), noch nach seiner Verheiratung mit Chadidja hiess er Abulkasim. Er ist in Syrien gewesen -- wie oft, lässt sich nicht sagen, sicher öfter als zweimal. Auch von dem nationalen Jammer Südarabiens wird er sich mit eigenen Augen überzeugt haben und von den Bemühungen der dortigen Christen um ihre Religion. Aber sobald wir über diese allgemeinen Vorstellungen hinaustreten, geraten wir in das unsichere Gebiet der Sage. Was speziell von dem Mönch Babirah (dem angeblichen Mentor des jungen Mohammed) in Syrien erzählt wird, der das körperliche Siegel des Prophetentums an Mohammed entdeckte 133), ist eine grobe symbolische Form für eine wesentliche Idee Mohammeds: das Faktische daran ist, dass er sich als den Schlussstein aller Prophetie hingestellt hat.
Es gehört zu den kleinen Niederträchtigkeiten, durch welche das Neue von dem Alten heruntergerissen zu werden pflegt, dass man es selbst als alt erklärt. So sagten die Koreischiten, ein Mann aus Jemama, Rahman mit Namen, sei der Lehrer Mohammeds 134), Andere wussten, dass er stundenlang mit Djebr, einem christlichen Sklaven in Merva, ganz nahe bei Mekka, plaudere 135). Natürlich musste dann der wieder den Text zu Mohammeds Offenbarungen geliefert haben. Und mehr als einmal wird er haben hören müssen: er sei ein Ohr, d. h. leichtgläubig 136), seine Lehre sei eine alte Verkehrtheit, schon von Früheren ausgesprochen 137), also -- das ist der stille Nebengedanke -- durch die Zeit widerlegt. All das ist aber doch nur ein Beweis dafür, wie schwer die grosse Masse an geistige Originalität glaubt.
Der wirkliche Zusammenhang zwischen den Ideen des Christentums und des Islams ergibt sich nur aus der Vergleichung derselben unter einander. Denn wenn im übrigen ein geschichtlicher Zusammenhang als möglich sich darstellt, gilt das Gesetz, dass gleiche Ideen nur eine Ursache haben können.
Etwa in seinem vierzigsten Jahre tritt Mohammed mit der Verkündigung in Mekka auf, dass die Araber von ihrer eigentlichen Religion, der Religion Abrahams, abgefallen und zu ihr, d. h. zu dem Glauben an einen Gott, zurückkehren müssten. Das ist die „hanifische“ Religion. 137a)
Wie das Wort auf jüdischen Ursprung weist 138), so nicht
Bestmann, Die Anfänge des kath. Christentums und des Islams.
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98 § 4. Mohammed und das Christentum.
minder die Sache. Denn vor allem, mochte immerhin das Bewusstsein, Abraham sei der Stammvater der Araber, in den Ismaeliten fortleben, -- dass die Religion dieses Patriarchen, der „din Ibrahim“, Monotheismus gewesen sei, wusste vor Mohammed kein Araber mehr 139). Wohl gab es und gibt es noch heute 140) bei den Nomaden der Wüste eine natürliche Weise, das Göttliche zu verehren, die auch der Islam nicht hat ausmerzen können. Aber das ist klärlich nichts anderes als der Sonnendienst in seiner naivsten Form. Haben die Araber die Sonne je allah taala -- das höchste Wesen -- genannt? Wenn das der Fall war, dann war es jedenfalls nicht der Monotheismus, den sie bekannten. Den mit der Person Abrahams zu verflechten, hat Mohammed von den Judenchristen gelernt.
Wenn eine Nation sich von ihrer nächsten peinlichen Gegenwart lösen, sich über sie hinausheben will, -- in den sgn. Krisen des Volkslebens -- dann bringt sie zunächst Zwiespalt in die Geschichte: das zuletzt Gewordene wird abgelehnt auf Grund von Früherem.
Die Ebioniten hatten die Erscheinung Jesu als die eines solchen Reformers begriffen, der die nächste Gegenwart verbessern sollte. Sie verneinten deshalb ihre Gegenwart zugleich mit der nächsten Vergangenheit als eine „abgefallene“, indem sie auf Mose -- also mit Beiseitesetzung der Propheten -- zurückgingen und auch dessen Gesetze nur noch zum Teil gelten lassen wollten. Konnte man überhaupt da noch bei Mose inne halten? Die Juden thaten es selbst nicht. Nun wurden die Geister ihrer frühsten Helden lebendig -- auch an Männer wie Henoch klammerte sich das historisch-religiöse Interesse 141). Auf die Person Abrahams kommt ja auch Paulus in seinen Argumentationen wiederholt zurück.
Wenn man aber das Allgemeine -- die sgn. Naturreligion -- noch in dem Volke selbst, nicht über ihm -- wie Jesus es that -- fand, musste man schliesslich bei Abraham als dem Anfänger des israelitischen Volkes stehen bleiben. Wie hätte nun nicht auch dessen Person grade bei den Syrern lebendig sein sollen, die, zum Christentum bekehrt, eben an Stätten wie Harran sich auf Schritt und Tritt an die Stätten des Patriarchen erinnern mussten. Sie heissen wohl auch gradezu die abrahamitischen Sabier 142). Dabei aber war man nicht gewillt, die anderen
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99 § 4 Mohammed und das Christentum.
Patriarchen auszuschliessen -- alle von Adam bis auf Mose wurden nun die Träger des Monotheismus und seine Garanten 143).
Abgesehen von der faktischen Berechtigung dieser These -- diese Ahnenreihe des christlichen Gottesgedankens war, weil der historische Beweis, zugleich das stärkste Motiv für die Orientalen, die neue Religion anzunehmen. Dies dialektische Mittel vergleicht sich in gewisser Hinsicht der griechischen Anknüpfung des Christentums an die allgemeine Kirche. So wie bei diesen die allgemeine Idee des Christentums bewiesen wird durch den Hinweis auf den festen Zusammenhang ihrer Träger unter einander in der Breite des Raums -- so war es bei jener orientalischen Anschauung die an sich damit gleichwertige Vorstellung von der Kontinuität des Offenbarungsinhalts in der Zeit und der Identität desselben in dem Unterschied der Zeiten, durch welche das Christentum eine feste Basis bekam. Beides ist dem innersten Geistesleben der beiden Völker abgelauscht: dem naturwüchsigen Araber beginnt das geistige Leben erst dadurch, dass ihm die graue Vergangenheit Bedeutung gewinnt. Ehe die Gegenwart lebendig wird, beschäftigt sich die Phantasie der jugendlichen Völker mit den grossen Männern der Vergangenheit, den Heroen. An die Stelle der geschichtlichen Spekulationen tritt jedoch, sobald das Volk durch grosse Ereignisse reift, die Gegenwart mit ihren Interessen, die πολιτεία: aus ihr entsprang das Gemeinschaftsideal der Hellenen, das die christliche Kirche an ihren Siegeswagen zu fesseln verstand.
Dieser besondere Accent, den der Westen auf das Gemeinschaftsideal, der Osten auf die konkrete Figur des Ibrahim legt, unterscheidet beide Ideen von den ebionitischen Ausgangspunkten. Die Erinnerung an die Vergangenheit, wie das Interesse für die Gegenwart sind bei den Ebioniten fast noch unbewusst vorhanden: die Griechen und die Araber verhalten sich zu ihnen wie der Rhetor zum Erzähler.
Keine Frage, indem Mohammed diesen Hebel des „din Ibrahim“ an dem Götterglauben seines Volkes ansetzte, war er weit davon entfernt, sich als den letzten Propheten zu wissen: beide Ideen schliessen sich im Grunde aus. Denn das religiöse Ideal verkörpert sich in dem ersten Fall in einer vergangenen Erscheinung, in dem letzteren in ihm selbst.
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100 § 4. Mohammed und das Christentum.
Er war genährt mit den Traditionen des Judenchristentums, wie sie ihm durch die Sabier zugekommen waren. In der ersten Zeit warf man ihm in Mekka gradezu vor, er sabisiere, wolle ganz Mekka versabisieren 144). Er hat später den syrischen Sabiern das Zeugnis ausgestellt, sie seien rechtgläubig, gehörten zu den Schriftbesitzern, die an Gott und den jüngsten Tag glauben und thun, was recht ist 145). Aber berufen hat er sich auf sie doch nicht. Das würde der Stolz seines Volkes kaum vertragen haben 146). Gelernt hat er aber ganz wesentliche Punkte von ihnen. Ihre Forderungen des häufigen Betens 147), des Fastens 148), der levitischen Reinigungen 149) sind auch die seinen: gleich zu Anfang tritt er mit ihnen auf; sie stehen neben seiner Lehre von dem einen Gott. Er war denn auch ein Hanif wie so manche andere in Mekka und in Medina. An letzterem Orte finden wir einen Mönch, der ebenfalls die reine Lehre Abrahams vertritt: der Pakt mit den arabischen Gewohnheiten schien ihm bereits eine fremdartige Zuthat Mohammeds 150).
Er war zu Anfang selbst weit davon entfernt. Er pflegte wohl -- denn die Ebioniten des Südens hatten das alte ebionitische Asketenideal nicht wie die nördlichen Elchasaiten abgestossen -- sich zeitweilig zu Büssungen und Gebetsübungen auf den Berg Hira bei Mekka zurückzuziehen 151). Bei einer von diesen Retraiten ist es gewesen, dass er jene Erscheinung hatte, die ihn allmählich in seine Führerrolle hineingedrängt hat. 152) Da ist ihm -- wir lassen das Metaphysische daran beiseite -- das Bewusstsein aufgegangen, er sei eine von jenen öffentlichen Naturen, die Gott sich zur Verkündigung seiner Wahrheiten bereite, ein „Warner“, wie es deren auch andere neben ihm gab und geben konnte. 153) Er weiss gar nicht, was er von dieser „Offenbarung“ halten solle: er kommt sich vor wie einer der arabischen Kahin, d. i. Zauberer, die im ekstasischen Zustande ihre Offenbarungen von sich geben 154), -- die hasste er aber mit einem Hasse, der nur verständlich ist, wenn man annimmt, er sei in seiner Kindheit schon dem Einfluss dieser Orakelmänner entzogen worden.
Da sind es seine Frau Chadidja und Waraka, ihr Vetter, die den Mohammed von seiner Angst befreien. Waraka war in den Schriften der Christen wohl bewandert: der offenbart ihm, was Mohammed wohl selbst wissen mochte, dass auch nach der christlichen
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101 § 4. Mohammed und das Christentum.
Lehre ein Prophet in Aussicht stehe. Der Namus, d. i. Nomos, d. i. 155) Christus, sei ihm erschienen 156) -- nach ebionitischer Meinung geht ja durch alle prophetischen Naturen von Adam bis auf Mose, und von dem bis auf Christus, ein prophetisches Pneuma: das sei an keine bestimmte Person gebunden. Man kann sich denken, wie das befreiend auf ihn wirken musste. Er fand nun den Mut zu öffentlichem Auftreten. Mit Energie tritt er gegen die unsinnige Götzenverehrung der Araber auf, verkündet er seine Lehre von dem einen Gott -- aber an eine universale Stellung denkt er nicht: vielmehr fühlt er sich berufen, der Prophet der Araber des Nordens zu sein. „Meine Mutter hat“, so erzählte er später, „als sie schwanger wurde, ein Licht gesehen, das von ihr ausging und die Schlösser Syriens beleuchtete.“ Man sieht, er fühlte sich durchaus als Prophet des Hidjaz. Den Christen in Negran liess er ihre Mission dem Süden gegenüber, er selbst behielt sich den Norden vor. Nur in dem engsten Kreise liess man aber diesen Anspruch gelten: im Verborgenen haben seine Anhänger anfangs für ihn wirken müssen. Als er dann in dem benachbarten Taif nach dem Tode seines Oheims Abu Talib von den Thakifiten schnöde zurückgewiesen wird, kommen zum erstenmal gläubige Männer 157) aus Nisibis mit ihm in Berührung: ihrer sieben, hören sie ihn in der Verzweifelung beten und werden bekehrt. Ist das für ihn Veranlassung gewesen, seinen Blick noch über Arabien hinaus, auf die Syrer zu richten? Anknüpfungen für einen weitergehenden Anspruch, der Prophet zu ein, fand er sicher bei diesen Nordsyrern, deren Christentum durch manichäischen Einfluss viel gelitten hatte, die überdies in aller Ruhe bereits die christlichen Ideen mit den alten heidnischen Gewohnheiten zu verweben angefangen hatten 158). Und an Anerkennung aus diesen Kreisen scheint es ihm auch schon in Mekka nicht gefehlt zu haben 159). Wie dem auch sein mag, jedenfalls hat er sich in der ersten Zeit ganz an die Ausdrucksweisen und die Traditionen des Christentums angeschlossen, so dass er, als seine Anhänger in Mekka auf Schwierigkeiten stossen, beschliesst, sie bei dem Negus in Abessinien unterzubringen 169). 83 Mann (angeblich) stark sind sie nach Afrika übergesetzt: er war also doch der Meinung, dass er und der Negus gemeinsame Interessen hätten. Hat er etwa
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102 § 4. Mohammed und das Christentum.
wie die Christen in Negran an den weltlichen Arm des abessinischen Kaisers appelliert? Schwerlich lag dieser Gedanke ihm ganz fern: er dachte nichts weniger als patriotisch. Die Koreischiten, die wegen ihrer Geldinteressen an dem alten Götzendienste festhielten, verachtete er, wie ihren ganzen Kult. Und so etwas von Mohammed befürchtet zu haben, scheinen diese auch. Denn sie halten es für notwendig, den Auswanderern eine Gesandtschaft nachzuschicken, die sie angeblich von dem Negus zurückfordern sollte -- eine sonderbare diplomatische Sendung fürwahr! Thatsache ist, Mohammed stellte sich bis zur Flucht durchaus auf christlichen Boden. Das Volk kannte denn auch später noch keinen anderen Gegensatz als den von Christentum und Heidentum. Noch als Mohammed schon in Mekka eingezogen war, stellt der Sulamite in Nachlah seinem Götzen Ozzah die Wahl:
„Wenn du den Chalid (den Abgesandten Mohammeds) nicht tötest, so weiche schuldbeladen, oder werde Christ“ 161). Aber was wollte das damals bedeuten? Das Christentum der Byzantiner, der Juden, Syrer, Perser -- welches war die Religion, die Mohammed suchte, verkündigte? Die jüdisch-syrische Form war die einzige, welche für eine religiöse Natur wie die Mohammeds noch Raum liess. Aber indem er seine Verkündigung an den sagenumwobenen Stammvater der Araber anknüpfte, war schon der erste Schritt zu einer Nationalisierung des Christentums geschehen. Irre ich nicht, so lag in diesem Widerspruch der Stachel, der Mohammed wie alle orientalischen Christentümer notwendig weiter treiben musste. Die Frage wird erlaubt sein, ob überhaupt eine von den damals bestehenden Formen des Christentums imstande gewesen wäre, die Araber für sich zu gewinnen. Denn in dem Augenblick, wo die geschichtliche Person Jesu aus dem religiösen Mittelpunkt gerückt wurde, war die sittliche Hauptader des Christentums durchschnitten. Da blieb denn nur das spezifisch religiöse Moment, der Glaube an die Einheit Gottes. Und das langte für sich allein nicht hin, ein ganzes Volkstum zu bekehren. Der besondere Nachdruck, der in der praktischen Forderung der Hingebung an Gott, des „Islams“ liegt, ist in dieser Zeit Mohammed noch fremd. 162)
Welche Zumutung an die Araber, dieser einen sabischen
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Gottesidee wegen ihren ganzen alten Gottesdienst zu opfern. Es war das eine Forderung, als wenn man hätte die katholischen Romanen veranlassen wollen, mit eins Socinianer zu werden.
Zudem hatte Mohammed den eigentlich negativen Pol der christlichen Religiosität, das Gefühl der Schuld gegen Gott, in dieser ersten Zeit für diese Araber immer noch viel zu sehr in den Vordergrund gestellt; grade der aber lässt sich am wenigsten „machen“. Die Nationen brauchen, um zu diesem Stadium zu gelangen, so gut wie die Individuen etwas „Erfahrung“. „Der Prophet“, so will eine nicht unglaubwürdige Notiz über diese seine erste Religiosität 163) wissen, „lag dem Gebet ob, bis ihm die Füsse anschwollen. Man sagte daher zu ihm: „warum plagst du dich so sehr, obschon Gott dir die früheren Sünden wie auch die späteren vergeben hat?“ Er antwortete: „wie soll ich nicht - wie David - ein dankbarer Diener sein?“ Späterhin tritt das Sündenbekenntnis des Moslims in frappanter Weise zurück: Selbst bei den Schwärmern des Islams ist dieser negative Teil der Religiosität fast verkrüppelt. Man wird daraus wohl auf eine ursprüngliche Indisposition des Arabers dafür schliessen dürfen.
Mohammed liess sich dadurch nicht beirren. Obwohl grade in der ersten Zeit die Offenbarungen in beunruhigender Weise lange auf sich warten liessen, ging er doch gefördert von dem Zuspruch seiner Chadidja und einiger weniger Getreuen seinen Weg. Die Sprache, die man in diesem Zirkel führte, darf man sich nicht allzu milde denken. Der Hass gegen die Götzen musste ja um so unerbittlicher werden, als er sie als lebendige Geister sich vorstellte: in der That ist die Degradierung der arabischen Götter zu Ginn, d. i. zu Genien, das unterscheidende Merkmal seiner ersten Periode. Aber der Gedanke, dass sie überhaupt nicht existierten, ist Mohammed, der in der Aufregung nach der Schlacht bei Bedr sogar den Unterschied zwischen Toten und Lebenden vergass 164), kaum je zu Sinn gekommen. Woher er diese Idee von den Ginn genommen, könnte man nicht sagen: das Material zu dieser Vorstellung flottierte in dem ganzen Orient, der überall hinter den Dingen Geister witterte. Das Dasein solcher Mächte leugnen ist aber immer erst ein letzter Schritt in der religiösen Entwicklung: der erste ist ihre Depotenzierung.
So unwahrscheinlich es klingt -- dennoch hat Mohammed
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noch in Mekka sich mit diesen Götzendienern abzufinden gesucht. Abu Djahl, sein schlimmer Feind, rief ihm einst zu: „Höre auf die Götter zu lästern, oder wir lästern den Gott, den du anbetest.“ Da beschloss Mohammed, die Götter nicht mehr zu lästern, und forderte seine Genossen nur auf, an Allah zu glauben. 165) Ja noch mehr: Mohammed hat sich einmal dazu verstiegen, dass er den Seinen die Bitte um die Fürsprache der Ginn empfahl. 166) Das ist allerdings bald zurückgenommen, aber man sieht daraus doch deutlich: die beiden Parteien haben sich von Haus aus nicht so über die Maßen feindlich gegenüber gestanden 167), als es nach einigen Berichten scheinen möchte. Die Koreischiten haben naturgemäss Mohammed und seinen Anhang geduldet, solange er ungefährlich war. Wie er aber dann immer lauter sich an die Öffentlichkeit wagt, sein Anhang wächst, so dass die alte Sippenverfassung aus den Fugen zu gehen droht, da haben sie auch vor dem Äussersten nicht zurückgebebt: Mohammed ist nur durch die Flucht einem sicheren Tode entgangen.
Nicht ohne Grund datieren die Moslime von dieser Flucht ihre Zeitrechnung: sie ist in der That auch der Wendepunkt im Leben Mohammeds. Denn nun ist er nicht mehr bloss ein einzelner Prophet, sondern der Schlussstein aller Gottesoffenbarung, das Siegel der Propheten, er ist der Dritte nach Moses und Jesus 168). Ein Hanif will er auch jetzt noch sein: er verkündigt den Gott Abrabams des Hanifen 169), aber seine Stellung zu dem Christentum ist eine andere geworden. Auch in dessen Offenbarung unterscheidet er einen alten, echten Kern und eine falsche, hinzugekommene Schale 169a). Man kann sich denken, mit welchem Wohlbehagen er in Medina den Perser Salman erzählen hörte, wie er auf seinen vielen Wanderungen in Syrien, Mesopotamien und Armenien überall den „letzten“ wahren Christen getroffen habe, bis er endlich in dem Propheten die wahre Religion entdeckte 170). Er sorgte dafür, dass diese (natürlich zugestutzte) Geschichte unter die Menge kam. Hatte er früher seine Sendung an das Recht der Kinder des Heiligtums angeknüpft 170a) so stellt er jetzt in etwas gespreitzter Weise den Islam als die höhere Einheit vom Judentum und Christentum dar, die Differenzen zwischen beiden eliminieren sich gegenseitig. „Wir kennen keinen
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Unterschied zwischen Mose und Christus“, sagt er 171). Vor allem sucht er nun die Juden in Medina zu gewinnen: zuerst durch Milde und Überredung, dann durch Gewalt: als sie auch der nicht nachgaben, hat er sie aus Medina vertrieben.
Nun wird er zusehends bitterer gegen sie: er höhnt sie wegen ihrer unverwüstlichen Lebenslust 172), unablässig rückt er ihnen ihre Prophetenmorde, ihre Feindschaft gegen den Islam vor 173). Auch gegen die Christen tritt er jetzt auf, er zieht das christologische Dogma derselben unaufhörlich durch: Gott hat keine Frau und keine Kinder. Er lobt sie freilich immer noch, dass sie sich den Moslimen freundlich erweisen -- wegen ihrer Priester und Mönche 174) --, aber im ganzen hat man den Eindruck, die Wege der beiden Religionen gehen auseinander.
Er stellt sich auf eigene Füsse. Hatte er früher 175) mit den Ebioniten sich nach der heiligen Tempelstätte Jerusalems gewendet, so richtet er bei dem Beten jetzt sein Haupt nach Mekka 176). Er überwindet die Antipathie gegen den Götzendienst, bloss um Arabien als Ganzes für seine Lehre zu gewinnen. Er ermässigt die asketischen Tendenzen des Christentums dem Arabervolk zu Liebe auf das geringste Mass: Fasten tritt an die Stelle der Enthaltsamkeit 117). Die Waschungen können, wenn kein Wasser vorhanden, durch Reibungen mit Wüstensand ersetzt werden. Auch sonst spielt er weit mehr den Araber aus denn zuvor. Zugleich umfassen seine Blicke nicht bloss Arabien, sondern auch Byzanz und Persien -- er sieht sich im Geist als Eroberer in beiden Reichen, seinen Allah als den Herrn des Orients und Occidents 178). Vor allem aber, ihn kümmern nicht mehr die eigentlich christlichen Ideen: er ist sich bewusst, dass seine Anschauung nicht mehr bloss auf einer Stufe mit der christlichen steht, sondern über sie hinausgeht -- aber wie das denn so geht, auch dies sucht er noch in die Worte des neuen Testaments zu kleiden. Im Johannesevangelium hatte Christus von einem kommenden Parakleten gesprochen. Die Montanisten hatten bereits diese Idee mit dem ebionitischen wahren Propheten in Verbindung gebracht: Montanus sah in sich den „Tröster“, durch welchen Gott seiner Kirche in der Endzeit inne wohne. Mani hat dann diese Vorstellung aufgegriffen und, sich als den Parakleten
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106 § 4. Mohammed und das Christentum.
bezeichnend, die Auktorität desselben zur Begründung eines national-persischen Christentums verwendet. Seither blieb diese Idee im Orient immer flüssig. Sie war eine Weiterführung von ebionitischen Gedankenreihen, die durch eine Johanneische Entlehnung einen gewissen Abschluss erhielt. Wie Mohammed mit seinem arabischen Christentum Ernst machte, besiegelte er sein Werk dadurch, dass er sich mit jenen ebionitisch-johanneischen Ideen durchdrang, die ihm durch den Manichäismus nahe genug getreten waren. In Medina erst wird der prophetische Sabier Abulkasim der Mohammed, der Paraklet 179).
Damit wird er ein veritabler Religionsstifter: seine Rede, ehedem frei aus dem Herzen quellend, wird nun ermüdend prosaisch. Da die Juden und Christen mit einem Buche in der Hand vors Volk traten, und diese Bibel als das Palladium aller Religion und Bildung galt, so musste er nun auch in Buchform reden: er offenbarte seine Suren, den „Koran“. Seine lebendige Beziehung zu der sabischen Tradition von Abraham erstarrte ihm nun zu dem Besitz der „Buchrollen Abrahams“ 180), Das ganze unlebendige Verhältnis zu dem toten Buchstaben drückt sich in diesem Anspruch aus. Es liegt etwas Abergläubisches in diesem Mann, das er von seinen Stammesgenossen ererbt hatte und auf sie auch wieder übertragen hat.
Welche Gedanken mögen durch Mohammeds Geist gezogen sein, ehe er diese Welt von Anschauungen in sich ausgebaut hat! Der Islam ist nach einer Seite hin eine Variation der ältesten und einfachsten christlichen Tendenzen. Nach einer anderen Seite hin betrachtet stellt er sich dar als veranlasst durch die Unfähigkeit des südarabischen Christentums das Volk zu christianisieren, durch die Zerrissenheit des Volks, das in den Riesenkampf der beiden Weltmächte, des Perser- und Römerreiches, hineingezogen war. Er ist wie eine Reaktion gegen das planlose Treiben in den einheimischen politischen Korporationen, wie ein Versuch in dem Innern des Volks ein Heiligtum zu gründen, wo es ganz sein eigen sein könnte. Erst als das so über das nächste Erwarten bei einem Teil gelang, und Mohammed den religiösen Widerstand brach, kamen auch die politischen Einheitsbestrebungen wieder ans Tageslicht. Und nicht am wenigsten kann man diese Religion als einen Kompromissversuch zwischen
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107 § 4. Mohammed und das Christentum.
christlich-religiösen Grundsätzen und arabischen Sitten, denen man ihre religiös bedenklichen Prinzipien ausgebrochen hatte, betrachten. Ihre unmittelbarsten Antriebe liegen in dem kühnen Unterfangen eines Einzelnen, ein halbgeahntes Ziel, das auf normalem Wege ihm zu erreichen verwehrt wurde, mit einem Rest von christlichen Anschauungen durch Gewalt zu erreichen.
Aber letzlich ist diese Religion wohl nichts von alledem ganz, ist sie vielmehr eine elementare Energie, die dem leidenschaftlichen Herzen Mohammeds entsprungen, sich auf viele Millionen Menschen fortgepflanzt hat: ist sie ein Bestreben, des Göttlichen selbst inne zu werden auf dem Wege völliger rückhaltloser Ergebung in den Willen des höchsten Wesens: ist sie eine Resignation in Bezug auf Gott, welche den semitischen Völkern zu einer Kraftentwicklung ohne gleichen verholfen hat.
Wenn man die Geschichte der Religionen vergleichend betrachtet, darf man sich nicht auf den Boden eines bestimmten Thatsachenkreises stellen -- sondern es kann sich nur um die Bestimmung desjenigen Masses von Ideen und praktischen Tendenzen handeln, die sich in einer Religion aussprechen. Keine Frage, das Vollmass der christlichen Religion erreicht diese islamische weit nicht, weder in philosophischer noch in praktischer Rücksicht. Aber immerhin, grosse Wirkungen haben grosse Ursachen: in dem Pathos, mit dem der Einzelne als solcher von dem Göttlichen erfasst wird, liegt ein Hebel vor, der in dieser Energie, gerade weil sie so allgemein war, dem katholischen Christentum nicht bloss hin und wieder gefehlt hat. Erst in der Innerlichkeit, die die Reformation dem Glaubensgebiet wieder erobert hat, bietet sich ein Vergleichungsobjekt für diese Grundtendenz des Islams dar.
Aber freilich ist es das ewig Verhängnisvolle des Islams gewesen, dass diese religiösen Kräfte nicht in sittliche Hebel einfassen.
Ein Blick auf das System des Korans wird das bestätigen.
§ 5. DER KORAN UND DAS CHRISTENTUN 180a).
Es ist auffallend, wie viel religiös Formelhaftes, also Unverstandenes, sich im Koran findet. Wenn Mohammed Abraham
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108 § 5. Der Koran und das Christentum.
und Henoch Hanife oder Zadiks nennt, wenn er Waschungen und Gebete in einen unvermittelten Bezug zu der Erwerbung der Heiligkeit und Seligkeit setzt, so sind das Anomalieen: denn derlei religiöse Mechanik pflegt sich dann erst an eine neue Religion rostartig anzusetzen, wenn sie bereits eine Weile mit der „Welt“ sich berührt hat. Bei Mohammed war das nicht der Fall: Solche Reste finden sich in seinen frühesten Offenbarungen, in einem unaufhörlich quellenden Strome religiöser Beredsamkeit.
Noch mehr: gerade in Kardinalpunkten des Islams, wie z. B. in der Lehre von Gott ist der Koran weit davon entfernt, eine einheitliche Anschauung zu besitzen. Ohne Frage hat Mohammed Bestandteile in seiner Theologie verwendet, deren Zweck und Herkunft ihm nicht mehr ganz deutlich gewesen sein können.
Wird man ihm deshalb die religiöse Originalität absprechen können? Ich denke nicht. Es fehlte ihm ja die scharfe Dialektik mit einem ebenbürtigen Gegner. Denn dazu wird man seine arabischen Landsleute unmöglich rechnen dürfen. Was man sonst wohl unter den Erklärungsursachen des Islams in den Vordergrund gestellt hat, die Antithese gegen gewisse Verbildungen des gräcoromanischen Christentums, tritt in Wahrheit bei ihm erst zuletzt in Medina auf, als durch Schleifen höchstens noch ein paar Facetten an dem System angebracht werden konnten.
Es bestätigt sich dies, wie gesagt, vor allem an seiner Gotteslehre. Er hat in der ersten Zeit kaum daran gedacht, die Einheit Gottes als Trumpf gegen die Katholiker zu verwenden. Grade die morgenländischen Katholiker gaben in diesem Punkte den Hanifen aller Arten nichts nach. Vielmehr stellt er die Einheit Gottes durchaus der Göttervielheit der Araber entgegen. Er verwendet daher alttestamentliche Bilder, indem er den koreischitischen Götzendienst bekämpft, wirft den Mekkanern vor, sie beten die Engel, die Töchter Gottes, an 181).
Auch inhaltlich ist seine Lehre durch den Gegensatz zu den arabischen Stammesgöttern bestimmt: er legt vor allem den Ton auf die Macht Gottes, die sich in der Schöpfung zeigt. Gott ist nach ihm wie ein Licht in der Mauerblende, und um dasselbe ist ein (Spiegel-) Glas: das Glas leuchtet wie ein leuchtender Stern 182), So mannigfaltig werfen die Kreaturen die Herrlichkeitsstrahlen Gottes zurück. Mohammed ist unvergleichlich, wenn
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er diese Erhabenheit Gottes über die Welt schildert; die Erde ist am Tage der Auferstehung für Gott nur eine Handvoll, seine Rechte rollt die Himmel zusammen 183). Und unerschöpflich ist er in seinen Beweisen für Gottes Dasein: in dem Abwechseln der Nacht mit dem Tage, überhaupt in dem, was Gott im Himmel und auf Erden geschaffen hat, sieht er Zeichen für die, welche Gott fürchten 184). Man kennt die wunderbar schöne Schilderung der Umwandlung Abrahams zum Glauben an den einen Gott: er will die Sterne zu seinen Göttern machen, dann den Mond und endlich die Sonne, aber sie alle gehen unter und Abraham liebt die Untergehenden nicht -- da wendet er sein Angesicht zu dem, der Himmel und Erde geschaffen hat 185).
Gewiss, diese Empfindungen sind bei ihm wahr und echt und gross. Die Mekkaner begriffen sie gar nicht: bei ihnen lag die Neuerung Mohammeds immer noch bloss in der Zahl -- ein Gott an Stelle der vielen -- nicht in der Idee von Gott 186).
Aber es fragt sich: ist jener Einheitsgedanke stark genug, um als moralisches Motiv verwendet zu werden? Setzt sich der Wille bereits in Bewegung, sobald er unter den Druck der Idee eines schlechthin allmächtigen Gottes kommt? Man wird das wohl verneinen müssen: jedenfalls ist die Moralität, die unter dem Einfluss des alles bedingenden Naturgrundes -- nenne man das nun Schicksal (mit Rücksicht auf die Handlungen der Menschen) oder Weltseele (mit Beziehung auf die Naturdinge) -- zustande kommt, eine durchweg negative! Das beweisst die Stoa, der Buddhismus und grade der Islam mit seiner späteren, fatalistischen Spitze.
Denn daran ist nicht zu denken, dass Mohammed von vorn herein Gott mit der Summe des Gewordenen oder Geschehenen gleichgesetzt hätte. Gott ist ihm vielmehr ein lebendiges Agens, und die „Ergebung in ihn“ ist weit nicht dasselbe mit dem Sichfügen in das Unvermeidliche, sondern die lebendige Hingabe an Gott. Wenn aber das, dann muss auch in dem Wesen dieses Gottes noch ein anderes Moment mitgesetzt sein ausser dem der Allmacht: das ist das der Barmherzigkeit. Gott ist ihm nicht bloss el rab, sondern auch el rahmân, der Gnädige.
Gott heisst bei ihm schlechtweg so: „der Barmherzige“. Allerdings werden die Suren, in welchen diese Bezeichnung „el rah-mân“
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vorkommt, von kompetenten Beurteilern einer zweiten, vormedinischen Surenreihe zugeschrieben. Allein so gewiss diese Forschungen die bezeichnenden Merkmale aller vor- und nachmedinischen Suren in den Unterschieden des trockenen, lehrhaften, gesetzgeberischen und des lebendig von dem grossen Gegenstand hingenommenen, oft hochpoetischen Tons der Sprache aufgefunden haben, so sicher ist auf der anderen Seite, dass in der Zeitbestimmung der mekkanischen Suren selbst eine ähnliche Sicherheit nicht erreicht worden ist.
Was macht man sich doch auch für eine inconcinne Vorstellung von dem Propheten, wenn man glaubt, er habe zuerst mit der Verkündigung des allmächtigen Gottes begonnen, dann habe in irgend einer Periode, höchstens veranlasst durch die Auswanderung nach Abessinien, der christliche Einfluss sich geltend gemacht, und nachdem der Negus sich versagt habe, oder aus sonst einem zufälligen Grunde habe der christliche Einfluss, das el-rahmân-sagen, wieder nachgelassen. Ich fürchte, dahinter lauert die ältere Meinung von Mohammed als einem abgefeimten Heuchler -- eine Ansicht, die wir prinzipiell, sei es auch nur um sie zu widerlegen, nicht zum Worte kommen lassen wollen.
Nein, Gott ist ihm wesentlich der Allmächtige und der Barmherzige, so wie er ihm aus den Verkündigungen der Christen entgegengetreten war. Mugailima in Taif wurde el rahmân genannt, weil er diesen Gottesnamen so oft im Munde führte 187). Auch Mohammed war diese ethische Seite an dem Wesen Gottes von Anfang an eine Hauptsache. Das zeigt sich in einer der frühesten Suren des Korans, der dreiundfünfzigsten, auch wenn hier das entsprechende Wort dafür fehlt. Aber es heisst hier doch, „rechtfertigt Euch nicht selbst, denn Gott kennt Euch“; er weist sie darauf hin, dass Gott die Sünden vergebe, aber freilich die kleinen Sünden nur, nicht die grossen, wie Menschenmord, Hurerei und Diebstahl 188). Dieser Standpunkt ist auch fernerhin von Mohammed nicht verlassen. Höchstens, dass er zu Zeiten ihm lebhafteren Ausdruck verliehen hat als sonst wohl.
Irre ich nicht, so stehen wir hier an einem jener Punkte, von wo aus man in das innere Getriebe des unmittelbarsten religiösen Empfindens hineinschauen kann. Sündenvergebung, Rechtfertigung,
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Erlösung, Versöhnung sind alles nur die mannigfaltigen Ausdrücke der einen Grundthatsache, mit der das Christentum der Kirche steht und fällt, der inneren Selbstverleugnung. Der Unterschied von der alttestamentlichen Praxis und Lehre liegt auf der Hand. Dort hatte es für die Sünden die mit erhobener Hand, d. h. mit Bewusstsein und Absicht begangen waren, überhaupt keine Vergebung gegeben: die Opfer und übrigen Bräuche galten nur für die unwissentlich begangenen Sünden.
Ein Analogon zu dieser früheren Anschauung war es gewesen, wenn die jüdischen Christen die Sündenvergebung Gottes und seiner d. h. ihrer Gemeinde auf die kleineren Sünden bezogen. Dagegen die eigentlich groben Sünden gegen den Dekalog schlossen unbedingt von der Gemeinschaft der Christen aus: Man weiss, wie lange Kämpfe es der gräcoromanischen Kirche gekostet hat, diese anfangs von ihr selbst, dann aber nur von einer Partei, den Katharern, vertretene Meinung innerlich zu überwinden, d. h. als Haeresie auszuscheiden.
Das Unangemessene derselben liegt darin, dass die sittliche Individualität und Totalität damit nicht getroffen wird, sondern das Sittliche mechanisch in äusseren Handlungen, die man willkürlich in Todsünden und lässliche Sünden halbiert, gefunden wird. Von einer eigentlichen Entäusserung des Ich kann dann nicht mehr die Rede sein: die Idee der „Bekehrung“ tritt zurück.
Das ist nun auch der Fall bei Mohammed. Er acceptiert die judenchristliche These, infolge davon bezieht sich die vergebende Thätigkeit Gottes des Barmherzigen auch nur auf das Vollmachen des Unvollkommenen, auf die Kompensation von halbvollkommenen Leistungen, auf die leichteren, vergebbaren Sünden. Grobe Sünden werden als möglich gar nicht anerkannt, wenn ein Moslim sie begeht, so verwirkt er damit seine Existenzberechtigung unter den Moslimen. Auch Omar meint, Gott nimmt von dem, der vom Islam abfällt, keinen Ersatz 189).
Wird dieses Prinzip bei einer grösseren Gemeinschaft durchgeführt, dann muss sofort zu Tage treten, dass hier eine durchaus flache Ansicht von dem Wesen der Sittlichkeit die Voraussetzung bildet. Nur im äussersten Notfall wird man sich zu einem sittlichen Todesurteil verstehen, es wird also alles, so viel möglich, als läErlösslich betrachtet.
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Darin zeigt sich denn aber, dass zwischen der Vorstellung des Allmächtigen und der des Barmherzigen bei Mohammed das Bindeglied fehlte: die Idee des heiligen Gottes. Sie allein hätte den weiteren Verlauf der christlichen Gottesidee im Islam vor den abschüssigen Bahnen bewahren können, auf die sie Mohammed selbst noch geleitet hat. Sie allein hätte auch die tiefere ethische Beurteilung dem Moslim nahe gelegt, welche bei jeder Vergleichung zwischen dem sittlichen Lebensideal, Gott, und dem momentanen sittlichen Zustand des Menschen sofort das unbedingteste Defizit konstatiert.
Das Fehlen dieses Kardinalbegriffs erklärt allein die Thatsache, dass der Islam schliesslich nicht dauernd regenerierend auf die Völker gewirkt hat. Der sittliche Hauptnerv ist nicht getroffen, so sucht denn das religiöse und das sittliche Interesse auf die verschiedenste Weise seine Befriedigung. Jenes, indem es in die bunte Fabelwelt der Phantasie eindringt, dieses, indem es sich an das sittliche Herkommen der Nationen, die den Islam aufnehmen, anschliesst.
Auch in Medina hat Mohammed noch dann und wann grosse schwungvolle Ansichten über Gottes Art und Wesen gehabt, aber produktiv, wie er es in Mekka gewesen war, ist er dann nicht mehr. Die Organisation seiner wachsenden Schar, die politischen Angelegenheiten derselben gaben seinem Denken eine praktischere, ordinärere Richtung. In demselben Maße, als die sich breit macht, tritt auch die Idee des Barmherzigen in den Hintergrund, verfällt seine Phantasie, die ehedem die bereitwillige Form seiner grossen Konceptionen war, auf halsbrecherische Kunststücke, auf unwürdige Phantastereien wie seinen nächtlichen Ritt auf dem Borak nach Jerusalem, seine nächtigen Expeditionen nach Irak und dgl. Da sie so ohne den rechten sittlichen Ernst war, begreift sich auch wohl, dass die tief bedeutsame Ergebung an Allah ihm zu der dumpfen Hinnahme des von ihm gesendeten Geschicks geworden ist. Da wird die durch positive Zwecke ehedem gezügelte Allmacht zur rücksichtslosen Allwillkür, für welche die Menschen blosse Puppen sind. 190)
An solchen Extravaganzen des theologischen Verstands wird man recht inne, wie wertvoll es für die katholische Kirche war; dass die griechische Besonnenheit ihre Spekulationen leitete und
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überall an den Klippen der Extreme bis zum Monotheletismus hin vorübergelenkt hat.
Das Eigentümliche der griechischen Gotteslehre war gewesen, dass sie niemals hatte im Prinzip -- obgleich das in Wirklichkeit oft genug geschah -- die geschichtliche Seite des Lebens Jesu aufgeben wollen. Eben das Geschichtliche an der Person Jesu ist Mohammed völlig gleichgültig. 191) Man kann nicht sagen, er kannte es nicht. Es begegnen doch Anspielungen auf die evangelische Geschichte, mag er sie nun aus Erzählungen, aus Vorlesungen oder unmittelbar aus den evangelischen Schriften kennen gelernt haben. Freilich vorwiegend sind in diesen Reminiszenzen die Anklänge an die ebionitischen Kreisen entstammten Erzählungen aus der Kindheit Jesu. Man weiss, dass grade das evangelium infantiae im arabischen Idiom sich einer weiten Verbreitung erfreut hat: von den kanonischen Evangelien hat sich, so wenig sie gefehlt haben können, doch noch keine Übersetzung auftreiben lassen. Aber auch wenn Mohammed das tiefsinnige Wort des Johannes von Jesu als dem Wort Gottes in den Mund nimmt 192), kann er es nicht, ohne den spekulativen oder geschichtlichen Kern desselben eigentümlich zu vergröbern; da ist ihm das Wort ein sinnlich gehörtes, das in das Ohr der Jungfrau eingeht und auf diese Weise die körperliche Ursache der Empfängnis Mariä wird. 193)
Auf das engste sucht er sonst den „Isa“ an den Mose anzuknüpfen, wie die Ebioniten, die ja auch in Jesus nur den wiedergekehrten Mose erblickten. Diese geistige Identität stand ihm so fest, dass er beide auch in direktes verwandtschaftliches Verhältnis zu einander brachte: er erweckt bisweilen den Schein, als habe er Jesum zu einem Neffen des Mose gemacht -- oder ist das ein blosses Missverständnis seiner Worte seitens seiner Sekretäre ? 194)
Eben in dieser Zurückführung des Geschlechtes Jesu auf Levi mochte er bei den Judenchristen Vorgänger haben 195) -- das Wichtige daran ist auch hier die Idee, welche solchen Stammbaum hervorgerufen hat: wenn Jesus ein Prophet war wie Mose, dann war er eben nur ein Individuum wie alle Propheten, ein Einzelner, auf den wieder ein Anderer folgte. Dagegen als Nachfolger und Sohn Davids, wie die Katholiker ihn fassten, war
Bestmann, Die Anfänge des kath. Christentums und des Islams.
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er der König, der die ganze Gottesoffenbarung zu einem endlichen Ruhepunkt gebracht hat.
Die Abendländer haben mit sicherem Takt diese definitive Natur der christlichen Religion erkannt und sie festzumachen gesucht. Das religiöse Bewusstsein ist solange ein gequältes, unruhiges, solange nicht dieser Mittelpunkt für dasselbe festgelegt ist. Die Geschichte des Islams wie des Buddhismus bis auf den heutigen Tag beweist, wie der moralische Fortschritt der Menschen unauflöslich geknüpft ist an die Bedingung dieser Befriedigung des religiösen Interesses: Sie ist die erste Bedingung jeder Konstanz in der Kulturentwicklung der Menschheit.
Es ist längst durch eingehende Erörterung der Zusammenhang der Christologie des Mohammed mit der des Ebionitismus festgestellt. Die ganze ungeschichtliche Art derselben stellt sich dar in der Auffassung von dem Tode Jesu: er gibt Mohammed nur Gelegenheit, die List Gottes zu preisen, der listiger als die Menschen einen anderen Menschen anstatt des Jesus dem Kreuz überantwortet habe. 196) Natürlich muss dabei jede vorbildliche Bedeutung des Lebens Christi verloren gehen -- wie hätte daneben auch der Geist als der heilige bestehen können? Er ist ihm wie den Ebioniten ein monströses Gebilde, das ihm nur als Offenbarungsmedium für seine Entdeckungen denkbar schien.
Es gehört zu den mancherlei nicht resorbierten Resten des geschichtlichen Christentums im Islam, dass Mohammed diese spezifische Stellung des Begründers der christlichen Religion nicht hat beseitigen können. Der Anlauf dazu ist gleichwohl gemacht. Er lässt sich einmal dahin aus, die Araber beteten die Engel, die Juden den Esra und die Christen den Jesus als Gott an. 197) Man merkt deutlich das Gehässige dieser Parallele -- alle Nicht-Moslime sollen als Götzendiener an den Pranger gestellt werden. An die Stelle des h. Geistes hat er selbst späterhin den Gabriel treten lassen 198); damit war er einer von den Ginn, von den guten nämlich, die zahllos den Hofstaat Gottes bilden, ohne seine Herrschaftsstellung irgendwie zu beeinträchtigen. Hatte er zu Mekka in der ersten Zeit den Arabern als Götzendienern die Anbetung dieses göttlichen Hofstaats statt des Königs selbst -- diese einleuchtende Absurdität -- zum Vorwurf gemacht, so schien er in Medina auch die Christen in die Nähe der Götzendiener
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zu bringen. Er wird nicht müde, gegen die Hinzugeseller, d. h. die christlichen Schriftbesitzer, zu eifern, welche Gott einen Sohn geben. „Er müsste ja dann auch eine Frau haben“, argumentiert er immer wieder gegen die Christen.
Warum hat er denn aber den Christen den Vorwurf der Götzendienerei nicht gemacht? Zunächst wohl, weil er von den judenchristlichen Ideen selbst ausgegangen war, und in denen war doch die absolute Identifikation Jesu mit Gott durchaus nicht vollzogen: Jesus galt etwa als der weltbildnerische Erzengel. Sodann die Schwierigkeit der Sache selbst: als die Christen in Negran mit ihm über ihren Glauben in Medina disputieren, fragen sie ihn zum Schluss, wer der Vater Jesu sei. Mohammed wusste nicht anders, als dass Jesus von einer Jungfrau ohne Mannes Zuthun geboren sei. Auf diese Frage musste er so gut verstummen wie die Negraner auf seine Frage, wer denn die Frau Gottes sei, 199) Auch waren ihm die Christen immer freundlich und wohlwollend entgegengekommen. Und vor allem: er konnte das Zeugnis Christi nicht entbehren; er selbst war ja nichts anderes als der von ihm geweissagte Prophet. Darauf beruhte seine schlechthin universelle Stellung.
So sind denn diese judenchristlichen Bestandteile in dem Koran geblieben, in der That, wie ein Alter gesagt, ein Zeugnis Mohammeds für Christus. Aber ein organischer Bestandteil seines Systems sind sie nicht geworden.
Früher trennte man scharf natürliche und positive Religion. Die letztere unterschied sich von der ersteren dadurch, dass sie sich auf einen geschichtlichen Stifter zurückführen konnte. Man wird aber wohl besser die Beziehung der Religion auf das sittliche Wollen zum Kriterium machen. Darauf beruht allein die innere Universalität, welche die positiven von den wildgewachsenen Religionen unterscheidet.
Unmöglich kann man es leugnen, dass der Islam zu diesen moralischen Religionen gehört: er hat unter den Morgenländern und Abendländern gewisse Bestrebungen in die Höhe gebracht, denen man das Prädikat „sittlich“ nur dann verweigern kann, wenn man dieses in dem allerengsten Sinne gebraucht; oder ist die milde Behandlung der Sklaven, die Barmherzigkeit gegen Arme und Elende, die Warnung vor Hochmut -- „ihr könnt die Erde
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ja doch nicht spalten“ 200) --- u. dgl. etwa kein Element der Moralität? Aber das Leidige daran war nur, dass dazwischen so viel moralische Spreu eindringt, sittlich ganz gleichgültige Handlungen, welche alle mit derselben Prätension als wertvolle Leistungen auftreten, als „Verdienste“. Dafür gilt es die erklärende Ursache zu finden.
Das fürnehmste moralische Motiv, das Mohammed verwendet, ist die Vorstellung des Gerichts. „Gott ist der gerechte Richter“, in der Durchführung dieses Themas ist er sich durchaus immer gleichgeblieben. Wenn man unbefangen seine darauf bezüglichen Worte auf sich wirken lässt, kann man sich eines mächtigen Eindruckes nicht erwehren. Es hat etwas Erschütterndes, wenn er den üppigen und unbarmherzigen Reichen, den übermütigen Frevlern und Gottlosen immer wieder zuruft: „Gott ist ein schneller Rechner, er ist zuverlässig im Rechnen -- irret Euch nicht, er lässt sich nicht spotten.“ Es ist ganz im Sinn eines alttestamentlichen Propheten, dass er immer und immer wieder das drohende Gericht, seine unmittelbare Nähe vor Augen stellt. Wie ein Menetekel tönt durch fast alle Suren das düstere Mahnwort hindurch: „welch eine schlimme Reise ist es dahin“, zur Hölle nämlich. Gewiss, es war die ihm eigenste innerste Überzeugung: selbst seine sinnliche Phantasie war davon so ergriffen, dass er sich wohl unmittelbar an den Ort der Höllenqualen versetzt glaubte. 201) Ich stehe auch nicht an, dieses Gefühl für echt religiös zu halten, ja noch mehr, es ist echt christlich, -- es ist der Ausdruck für die Empfindung der persönlichen Verantwortlichkeit gegenüber dem sittlichen Ideal.
Diese beständige Erinnerung an den „klopfenden“, d. i. den Tag, welcher Herzklopfen macht 202), bringt es mit sich, dass Mohammed die Idee der Auferstehung mit solcher Vorliebe in den Vordergrund stellt. Der Glaube an Gott und den letzten Tag alterniert bei ihm mit dem an Gott und die Auferstehung. Er kann sich nicht genug thun, um die Möglichkeit der Auferstehung zu beweisen. Besonders die Allmacht Allahs ist es, die er hier ins Spiel bringt; der, welcher den Menschen aus einem Blutklumpen machte, wird doch wohl auch die zweite Belebung zuwege bringen können. 203) Aber auch an sinnigen Analogien aus dem Leben der Natur ist bei ihm kein Mangel.
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Aber zugleich kehrt hier bei Mohammed der alte ebionitische Gegensatz zwischen dem Jetzt und dem Dann wieder, dieses Erbstück aus der Zeit der Entartung des alten Bundesvolks. Auch Mohammed hat infolge davon diesen gegenwärtigen Aeon anfangs so dunkel als möglich gezeichnet. 204) Aber diese Beurteilung hielt nicht stand: nimmer mehr hätte er den naturwüchsigen Arabern diese morose Weltauffassung beibringen können. Es finden sich wohl auch noch Anklänge an ursprüngliche asketische Bestrebungen -- er hat sie jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Er erkennt z. B. 205) eine Ehescheidung aus asketischen Neigungen an. Aber das alles ist im ganzen fremdartig -- es war unverträglich mit einer Anschauung, welche das Leben und den sinnlichen Genuss in seine Rechte einsetzte.
Deshalb ist denn auch schliesslich jene Gerichtsidee nicht zu ihrem unmittelbaren Effekt gekommen. Sie hat nichts zu der sittlichen Konzentration beigetragen, die in der Rechtfertigungslehre Pauli sich als das greifbare Resultat der Gerichtsidee darstellt, sondern sie wird zu einem blossen Schreckmittel, zu einer Vogelscheuche, die denn auch den Spott aller richtigen Rationalisten hervorgerufen hat.
Damit hängt es denn wohl auch zusammen, dass Mohammed mit der Zeit andere „Tugendmittel“ verwendet. In seinen Reden, die er den Mekkanern gehalten haben soll, erinnert er sie an vergangene Gerichte, die durch nationale Propheten über alte Völker der Vorzeit, unter anderen über die fabelhaften Aditen, ergangen sind. Ja, er greift noch eine Note tiefer. Er zeigt seinen Gläubigen die goldenen Früchte des Paradieses, er zeigt ihnen die kühlen, wasserreichen Gärten, in denen herrliche Huris mit keuschen Blicken und grossen, schwarzen Augen 206) den Gläubigen über die Unbill und den Drang der Gegenwart trösten werden.
Das ist ja allerdings die tiefste Stufe auf der Leiter der ethischen Zugkräfte. Sie verzichtet ganz und gar auf das ethisch allein Wertvolle, auf die Totalität des Charakters und erreicht auch nur eine momentane Explosion irgend welcher Energieen, die zur Erreichung eines äusseren Zweckes führt. Und auch das nur bei den Massen, die für die edleren Antriebe des Herzens unempfänglich sind. Allein so bedenklich die Verbreitung dieser
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Paradiesesvorstellungen geworden ist 207), es wäre unrecht, sie dem Islam als solchem zuzumessen. Es ist der entartete Islam: diese Idee ist allerdings schon in dem Koran, wenn auch nicht in der Weise wie die ursprüngliche Gerichtsidee, vertreten, allein dem Mohammed, der um jeden Preis das Volk als Ganzes zu sich herüberziehen wollte, gewissermassen abgerungen. Zu verteidigen ist er hierin gewiss nicht, es ist wohl auch die Frage, ob er nicht durch Verzicht auf eine grössere Wirkung bei seinen Lebzeiten schliesslich grade durch strengere Disziplinierung der Sitten einen grösseren Erfolg bei seinen Landsleuten hervorgerufen hätte. Aber diese Selbstbescheidung ist ihm nun einmal nicht eigen gewesen. Er griff schliesslich zu Mitteln, die vor seinen eigentlichen Ideen nicht bestanden -- er hat eben, wenn er auch eine bedeutende und überlegene Natur war, doch nicht das, was man eine grosse Seele nennt, besessen.
Die anthropologischen Ansätze des Islams erinnern in ihrem Verlauf in frappanter Weise an die theologischen: bei ihnen wie bei diesen ein allmähliches Zurückweichen der ethischen Positionen und verstärktes Sichgeltendmachen der mechanischen naturhaften Interessen. Islam heisst Ergebung. Der Moslim hat in Allah den Frieden seiner Seele gefunden, Allah ist ihm der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht. Mohammed hat wohl eine Empfindung von dem hohen Wert dieser seiner Kardinalforderung. „Mit den Schriftbesitzern“, sagt er, „streitet auf die anständigste Weise, nur die Frevler unter ihnen seien ausgenommen, und saget: wir glauben an das, was uns und an das, was Euch geoffenbart worden ist. Unser Gott und Euer Gott ist nur Einer, und wir sind ihm ganz ergeben“ 208) --- wie der Sänger des west-östlichen Divans meint, „wenn Islam Gottergeben heisst, in Islam leben und sterben wir alle.“ Es kam vor allem darauf an, das pathologische Element in dieser Ergebenheit abzustossen. Solange Mohammed noch in der religiös-produktiven Zeit sich befindet -- in Mekka also -- wird man sich den Islam noch in diesem positiven Sinn auslegen dürfen; er ist das vielleicht erst allmählich sich losringende Wort für das christliche Wort: Glaube. Da ist denn auch die Leitung, die Führung Allahs ein persönliches Thun Gottes. Aber was hätte dazu gehört, die Mediner auch nur zu solchem bewussten Islam zu bewegen. Man kann sich
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auch denken, dass Mohammed in dem Masse, als er die einen sich von ihm wenden, die anderen sich zu ihm kehren sah, darin ein seinen letzten Ursprüngen nach ihm unerkennbares Rätsel erblickte --- so etwas von einem Schicksal. Auch Luther ist ja einmal auf dieses harte Gestein gestossen. Genug, in Medina hat Mohammed bewusst oder unbewusst diese Leitung mit dem unabänderlichen Verhängnis gleichgesetzt. Da heisst es denn: „Gott führet in den Irrtum, welchen er will, und leitet, wen er will.“ 209) Da ist es denn auch bald geschehen, dass dieses Fazit aus der Geschichte sich ineinanderschob mit jener ursprünglich religiösen Betrachtung des Einzelnen und seines Verhältnisses zu Gott -- ein Vorgang, der dann seit den Tagen der Mutazaliten 210) den Bekennern des Islams den Stoff zu den intrikatesten Erörterungen und Streitigkeiten gegeben hat.
Wir entgehen diesen Komplikationen von vornherein, indem wir Mohammeds spätere, dogmatisch-historische Thesis von der ursprünglichen, religiösen unterscheiden.
Gewisse Dogmen erscheinen in dem System des Islams wie versandet: Sie ragen nur mit dem Kopf noch über die Bildfläche hervor. So ist es z. B. mit der Lehre vom Glauben 211), Das wesentliche religiöse Element desselben ist in dem „Islam“ enthalten. Dennoch redet Mohammed von Glauben und Werken in der altchristlichen Terminologie. Um das Verhältnis derselben zu bezeichnen, hat er einmal ein Bild gebraucht -- es stammt doch wohl noch aus seiner ersten Zeit 212) --, das die Meinung Pauli über diese Frage höchst korrekt wieder gibt: „die Handlungen der Ungläubigen gleichen einer Wüstenkimmung, wenn der dürstende Wanderer hinkommt, so findet er -- nichts: nur Gott findet er bei sich, der ihm seine Rechnung voll ausbezahlt, denn Gott ist schnell im Rechnen.“ Aber wollte man nun glauben, dass er die Werke, das sittliche Verhalten, zum Glauben in eine innere Beziehung gesetzt hätte, so würde man sich betrügen: er ist nie über ein loses Nebeneinander der beiden Faktoren hinausgekommen 213), Man dürfte ihm das nicht eben sehr zum Vorwurf machen: es gab damals auf der ganzen Welt keine religiöse Gemeinschaft, die das gliedliche Ineinandergreifen der religiösen und ethischen Funktion im Sinne des Paulus sich zu eigen gemacht hätte. Nur insofern fällt es auf, als Mohammed
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ja doch durch seine lebendigere Betonung des Glaubens, des Islams, den Anfang zu einer Wendung gemacht hatte. Aber dabei ist es denn auch geblieben: das Erbe des Ebionitismus und die Liebedienerei gegen seine Araber hat dazu gedient, diese erneuernde Bewegung aufzuhalten.
Es gab nur ein Mittel, dieselbe von solchen fremdartigen, schädlichen Einflüssen fern zu halten; das war die Bildung einer religiösen Gemeinschaft, einer Kirche. Durch sie werden solche religiösen Accente und Empfindungen permanent, gähren aus. Aber dafür war nun das arabische Volk ein zu spröder Stoff. Die Trennung von Staat und Kirche ist bei kindlichen Völkern überhaupt unmöglich. Es muss erst die abstrakte Staatsidee gewissermassen herausdestilliert werden, ehe der Gedanke einer davon unabhängigen religiösen Gemeinde festen Fuss fassen kann -- welche lange Zeit hat nicht das Abendland gebraucht, um diese einfache Wahrheit nicht bloss einzusehen, sondern auch durchzuführen, in gewissem Masse ist das ja noch jetzt nicht geschehen.
Und nun die Araber, bei denen alles sofort noch auf das Interesse des Stammes, der Familie, der Sippschaft zugespitzt wurde! Mohammed wurde die dreizehn Jahre in Mekka durch die dortige Stammesverfassung, welche die Verletzung eines Schutzbefohlenen als einen Kriegsfall behandelte, geschützt. In Medina sind es wieder die Stämme der Ausiten und Chazraditen, welche seine Sache mit der ihres Stammes solidarisch machen. Gegen diese force majeure mussten die schüchternen Versuche Mohammeds, den religiösen Grundgedanken zum Eckstein einer Gemeinschaft zu machen, von vornherein sich als vergeblich herausstellen.
Denn versucht hat Mohammed dies allerdings. Die nach Äthiopien Ausgewanderten stellen in der That so den Kern einer religiösen Gemeinde dar -- ihre Zahl selbst zeigt sie als ein Gegenstück der 70 + 13 Jünger Jesu. Auch in Medina traten sie noch eine Weile als einheitliche Korporation, als die „Ausgewanderten“, auf, aber endlich verschmolzen sie mit den gläubigen Medinern -- vermutlich nach der Vertreibung der Juden. Aber hat Mohammed je an eine lediglich religiöse Gemeinde gedacht? Man könnte das daraus schliesgen, dass er noch in einer
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seiner letzten Suren einschärft: „O ihr Gläubigen, erkennt weder Eure Väter noch Eure Brüder als Freunde an, wenn sie den Unglauben dem Glauben vorziehen“ 214). Er nennt wohl auch seine Gläubigen ein Volk, geschieden von allen anderen Menschen 215). Aber bei solchen allgemeinen Maximen ist es geblieben. Denn die politischen Verhältnisse der Halbinsel litten so wenig wie sein eigener Anfang den Ausbau einer solchen Gemeinde: vor allem die Herübernahme des nationalen Priestertums, welche im Abendland so leicht sich vollzog, scheiterte an dem grossen Abstand, welcher den wahrsagenden Kahin von dem Priester des Einen Gottes trennte.
Dadurch wurde das Schicksal des arabischen Monotheismus von vornherein auf die Spitze des Schwertes gestellt: der Islam ist denn auch die einzige positive Religion geblieben, die keine Mission getrieben hat -- denn die Missionen der späteren und jüngsten Zeit sind ein exotisches Gewächs in dem Islam. 215a) Und auf der anderen Seite hat der Islam wenig oder nichts gehabt, das die politischen und kulturellen eingebornen Triebkräfte der Nationen entwickelt hätte: wo er hintrete, wachse kein Gras mehr, sagt man.
Es besteht sonach auch hier eine Parallele: wie das Ideal der unter dem Islam gewordenen Individualität sich nicht hat frei machen können von den Lebensformen des früheren national-arabischen -- bloss unbewussten -- natürlichen Daseins, so ist auch das Gemeinschaftsideal noch verquickt mit den bloss traditionellen Regierungsformen der Völker. Die Idee hat sich -- religionsphilosophisch gesprochen -- nicht durchgearbeitet, ist nicht zu eigenartigem, selbständigem Leben gediehen, sie hat noch unorganische Bestandteile an sich.
Diese sind, soferne sie blosse religiöse Observanzen betreffen, in dem Islam vertreten durch die Gebete, die Waschungen, die Almosen. Alle drei sind Residua aus dem Ebionitismus. Dazu kommt noch ein religiöser Brauch, der aus dem alten Arabien stammt: die Pilgerfahrt nach Mekka.
Ein weit grösseres Kontingent zu den Sitten des Islams stellt Arabien durch die in den Koran übergegangenen Rechtsordnungen.
Das Gebet ist zunächst nichts anderes als eine unwillkürliche
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122 § 5. Der Koran und das Christentum.
Lebensäusserung des religiösen Menschen. Es ist unnatürlich, wenn es aufhört frei zu sein, wenn es statutarisch wird. Da entsteht dann die Gewohnheit, das Gebet, also diese religiöse Funktion, als ein Opus, als eine moralische Leistung, zu betrachten.
Man kennt aus den Evangelien die Strafreden, welche Christus grade gegen eine solche widerwärtige Verfilzung des ReligiösLuen und Moralischen bei den Pharisäern, die ihre Gebetsriemen breit und ihre Schaufäden lang machen, gehalten hat. Aber dieser Pharisaismus lässt sich schwerlich je ganz unterdrücken. Jedenfalls bei den Ebioniten war diese Entartung wieder in die Höhe gekommen. Das Gebet galt als Kompensationsmittel den einzelnen Sünden gegenüber. Es wurde bei ihnen viel gebetet, wie bei den Essenern. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die „Beter“, die Messalin (Audianer), in Syrien mit den Judenchristen zusammenhingen 216).
Die Araber sind von Haus aus nicht dafür angelegt, so scheint es. Erst die Hanefim brachten diese Sitten nach Mekka. Wie sie, hat auch Mohammed anfangs in zeitweiliger Einsamkeit Gebets- und Bussübungen obgelegen 217).
Es hat dann nichts Auffallendes, wenn er gleich zu Beginn seinen Anhängern ähnlichen Brauch zur Pflicht macht, ihm eine gleiche Bedeutung vindiziert 218). Die 5 Gebetsstunden selbst haben mit denen der Sabier eine in die Augen springende Verwandtschaft. Dem heiligen Monat, der ehedem den Gottesfrieden der Araber vertrat, gab er einen Inhalt in besonderen Bet- und Fastenübungen. Auch hier wird der Anstoss von den Sabiern gekommen sein.
Unzweifelhaft ist das der Fall bei den Waschungen. Die Ebioniten und damit die Sabier hatten ja die grundlegende Bedeutung der christlichen Taufe nicht mehr verstanden. Es war ihnen überhaupt die Voraussetzung abhanden gekommen, dass die körperliche Verunreinigung durch Totes und was damit zusammenhing nur ein Bild der inneren Unreinheit sei: dass daher mit der Aufhebung dieser jene total in Wegfall kommen müsste. Der Ebionitismus hatte sich grade durch Festhalten an diesem Gegensatz von Rein und Unrein entwickelt -- seine Absenker, die Sabier, hatten ihren Namen von den Waschungen. Mohammed
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123 § 5. Der Koran und das Christentum.
kann sie nur von ihnen empfangen haben, denn sonst sind sie den Arabern fremd. Das eine, was er hinzuthat, war, dass er erlaubte, statt des Wassers im Notfall Sand zu verwenden -- man sieht, er war ein Sabier der strikten Observanz.
Mehr kam die Sitte der Araber der Forderung des Almosengebens entgegen. Von jeher galt es dort als die Tugend des Edlen, der Bitte des Unglücklichen sich nicht zu versagen. Mohammed gab dieser Schätzung eine religiöse Weihe. Diese hatte das Almosengeben längst bei den alten Israeliten bekommen. Das Almosen selbst hiess Gerechtigkeit. Von ihnen behielten es die Judenchristen, die ja, so weit sie Essener waren, ein Leben gehabt hatten, welches das Sondereigentum prinzipiell ausschloss. Diese Satzung hat auch bei den Arabern viele Thränen getrocknet. Gleichwohl darf man nicht verkennen, dass die Verwendung des Almosens als eines Rettungsmittels gegen etwaige Schuld und als himmlischen Rentenkaufs nur einer kindlichen Religionsstufe entspricht. Auch wird man nicht etwa daraus für die Behandlung der sozialen Frage etwas lernen können. Dieses Thun ist ebenso äusserlich als prinziplos.
Die Wallfahrt nach Mekka ist ein rein heidnischer Brauch. Mohammed hat noch in Medina geschwankt, ob er ihn acceptieren solle 219). Aber schliesslich glaubt er doch, dass Mekka eine Wallfahrt wert sei. Denn Mekka war Arabien. So hat er denn das Götzendienerische möglichst zu entfernen gesucht. Der Tempel wurde eine Erinnerungsstätte Abrahams. Bald legte sich ein ganzer Mythenring um ihn. Sogar solche christlichen Gebräuche wie die Bitte um Sündenvergebung wusste Mohammed an zwei Orten einzuschalten und an Stelle des Gottes der Zwietracht steinigte man nunmehr den διάβολος, den Eblis, bei Arafah. 220)
Die Wertschätzung dieser Pilgerfahrt hat auch hier die Religion veranlasst: jeder Pilger ist als solcher durch die rite vollbrachte Reise heilig -- er hat sich seine Seligkeit gesichert.
Damit sind die einzelnen religiösen Pflichten des Islams umschrieben. Dass sie ein System bilden, könnte man nicht eben behaupten. Sie alle haben ein Gemeinsames nur darin, dass sie der direkten sittlichen Abzweckung entbehren. Allerhöchstens gewähren sie ein ästhetisches Interesse, und auch das wird nicht selten zweifelhaft sein.
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124 § 5. Der Koran und das Christentum.
In alle Poren des religiösen Bewusstseins der Moslime sind dann die Rechtsgewohnheiten der Araber eingedrungen: die Blutrache ist ebenso wohl durch den Koran geheiligt als die Polygamie, als die Leichtigkeit der Ehescheidung. Es bedarf nicht erst der Hinweisung auf diese juristische Seite des Korans, um den Beweis zu erbringen, dass das sittliche Niveau des Islams noch unter dem des Ebionitismus liegt.
Dennoch lässt sich auch hier der mildernde Einfluss der judenchristlichen Tradition nachweisen. Und ganz so dunkel, wie man den Zustand der mohammedanischen Welt wohl gezeichnet hat 221), ist er doch auch nicht. Unleugbar hat der Islam durch seine christlichen, jüdischen und arabischen Elemente in sehr viele Völker einen Zug in die Höhe gelegt, den in einen Ruck zu verwandeln vielleicht noch die Aufgabe des Christentums sein wird.
Denn der Islam hat durch sein Grundprinzip, das der unbedingten aktiven Ergebung an Gott, etwas unendlich Verheissungsvolles -- die Forderung der Gottergebenheit ist eine echte Reliquie des ältesten Christentums, des Christentums Christi.
Um diese Reliquie ist der Islam das ganze Mittelalter über reicher gewesen als die Kirche der Gräcoromanen, als die katholische Kirche.
Und auch darin weist, wie mich dünkt, der Islam über sich hinaus, dass er zur Grundlage seiner Ethik den unbefangenen Gebrauch der natürlichen Lebensgüter macht. Es hängt das mit der energischen Geltendmachung der Schöpfungsidee bei Mohammed zusammen. 222)
Die Frage, über die der Islam aber hier stolperte, war die, welches es ist die Natur des Menschen: er unterschied, mit dem alten Weltweisen zu reden, nicht zwischen dem νοῦς und der ὗς in der φύσις.
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ANMERKUNGEN.
I.
1) In diesem Abschnitt sind mehrfach die Resultate von II, 1, 49 ff. meiner Geschichte der christlichen Sitte verarbeitet, weshalb ich mir gestatte, hier generaliter darauf zu verweisen. Die Notizen des Hieronymus über die Nazaräer und Ebioniten haben mich nicht veranlassen können, so wenig wie der Katalog des Epiphanius, die beiden Parteien nach diesen beiden Namen zu unterscheiden, die gewiss von Haus aus allen Judenchristen beigelegt wurden. Die Angaben des Hier. werden durch seine ep. ad Aug. c. 13, die des Epiph. durch die Sekte der „Naziräer“ paralysiert.
2) Vgl. GOETHE'S bekanntes Wort:
Ich wandle auf breiter blumigter Flur,
ein holder Born ursprünglicher Natur,
in dem ich bade,
ist Überlieferung, ist Gnade.
Es gibt nur zwei ethische Grössen, die sittliche Individualität und die sittliche Gemeinschaft. Und beide können nur in ihrer Beziehung entweder zu den vorausgehenden Bedingungen oder zu den folgenden Wirkungen betrachtet werden: das gibt die vier Gesetze, die wir hier zur Verdeutlichung der Abweichung des jüdischen Christentums vom Urchristentum herangezogen haben.
3) περὶ ἁιρ. 101.
4) So noch zuletzt M. LÜTTKE: Der Islam und seine Völker 1878 S. 2
5) 1 Cor. 16, 15; vgl. Gal. 2,10.
6) 2, 9.
7) Act. 6, 7.
8) Insbesondere F. C. BAUR hat die Stellung des Judaismus in der ersten Zeit über Gebühr vergrössert: dass ich sie „unterschlagen“ hätte, ist unwahr.
9) Euseb. h. e. 3, 1.
10) Das hat J. BERNAYS (die Chronik des S. Severus 1861 S. 48 ff.) doch mindestens sehr wahrscheinlich gemacht.
11) Dass der Essenerorden ganz zum Christentum übergetreten sei, streitet mit einer ausdrücklichen Notiz bei NILUS (430). Vgl. GIESELER K. G. 1, 2, 230 (4. Aufl.) und KEIM, Aus dem Urchristentum S. 211. Aber die innere
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126 Anmerkungen.
Ausgleichung der ebionitischen Ideen mit den essenischen lässt doch auf eine äussere Verschmelzung der beiden Orden schliessen, die Epiphan. haer. 19 auch berichtet.
12) Vgl. GRÄTZ, Gesch. des jüd. V. 3, 545 ff.
13) Epiph. Haer. 30, 16.
14) Dass das Christentum von Haus aus eine sinnenfeindliche Richtung vertrete, wird jetzt von denen, die in dieser Sache ein Wort haben, wohl kaum noch behauptet werden. Man kann mit mehr Recht sagen, wie dies der geistreiche S. KIERKEGAARD in seinem „Enten-Eller“ durchführt, dass es die Sinnlichkeit rehabilitiert (weil geläutert) habe, im Gegensatz zu der hellenischen Anschauung, wo sie immer nur als Grenze des νοῦς galt.
15) RANKE: Weltgeschichte 3, S. 160 f.
16) Vgl. Gesch. der christl. S. II, 1, 3 ff.
17) Eine der l. c. S. 114 gegebenen Ableitung des Begriffs λαιϰοί ähnliche Erklärung hat, wie ich nachträglich bemerke, bereits A. GEIGER versucht : Urschrift S. 151 (bei WELLHAUSEN, Vakidi S. 25); was hat Mohammed etc. S. 50.
18) Polit. 7, 7 1327.
19) Abul Fath Muhammed asch-Schahrastâni's (ca. 1100 p. C.) Religionsparteien und Philosophenschulen übers. von Ta. HAARBRÜCKER 1850. I, S. 3.
20). Die Belege für die hier in grossen Strichen gezeichnete innere Auflösung der alten Welt zu bringen behalte ich mir für eine andere Gelegenheit vor. Manches hier hinein schlagende findet sich Gesch. der christl. S. I, Buch 2 besprochen. Zu dem Einfluss des Griechentums in Kleinasien vgl. EKHEL: Doctr. num. veter. vol. IV, 288 f. (de populis et urbib. neocoris, H. A. KRAUSE, Νεώϰορος 1834. S. 30), für Syrien vgl. z. B. Epistolographi graeci ed. HERCHER 1873; S 112 ff.
21) Joseph. antiqu. 12, 3, 4
22) Die acta app. passim.
23) Wenn nämlich die Vermutung MÜNTERS begründet ist, dass die Galater, an welche Paulus seinen Brief schrieb, Phryger waren (vgl. MEYER-SIEFFERT, Kommentar zum Galaterbrief 1880 S. 1 ff.). Auch bei den Montanisten stossen sie uns in diesen Gegenden auf. Euseb. h. e. 5, 16. Noch im 5. Jahrh. wurden jüdische Sektirer den byzantinischen Kaisern mehr als einmal unbequem, z. B. in Tokat (RITTER l. c. 18, 129) und in Ancyra (l. c. 491)
24) Vgl. die jüdische Inschrift aus Pessinus bei PERROT: Galatie et Bittyne, Paris 1872, I, 208, mit den Bemerkungen PERROTS, welche den von FRANZ in dem C. J. gegebenen Wortlaut richtig stellen.
25) Anna Comnen. Alex. 11, 3. (317 f. ed. Paris.) bei RITTER, Erdkunde 18, 582.
26) Vgl. Moses Choren. hist. Arm. 2, 57. GRÄTZ, Gesch. der Juden 4, 323. v. GUTSCHMID, Rhein. Mus. 19, S. 161 ff. und überhaupt das 14. Kapitel von HERZFELDS Handelsgeschichte der Juden des Altertums (1879) und daselbst die Anm. 34, S. 336 ff. die übrigens nicht einmal alle Notizen vollständig beigebracht hat.
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127 Anmerkungen.
26a) Philon, Leg. ad Caj. 33. Vergl. überhaupt ZIMMERMANN: Ephesos 132 ff. (1874). Die von den Juden bearbeiteten heraclitischen Briefe aus dieser Zeit (über sie J. BERNAYS 1869) zeigen, dass sie die Zeichen der Zeit verstanden: sie polemisieren heftig gegen den niedrigen Artemiskultus.
27) Joseph. antiqu. 11, 5, 2.
28) Vgl. unten S. 85 ff.
29) Act. 11, 20 ist die Lesart Ἑλληνίστας weitaus besser bezeugt als Ἕλληνας. So wird sie denn trotz TISCHENDORF und LACHMANN wohl bleiben müssen.
30) Noch die Arbeit von A. KOHUT: über die jüdische Angelologie und Dämonologie in ihrer Abhängigkeit vom Parsismus (Abhdlg. für die Kunde des Morgenlands IV, 3, 1866) fliesst zwar über von Versicherungen der sprachlichen Identität der betreffenden Engelnamen mit den Avesta-Ausdrücken: allein der streng wissenschaftliche Nachweis ist dafür nicht erbracht. Nur das dürfte zuzugeben sein, was auch die jüdische Erinnerung selbst andeutet (rosch haschanah 1, 4), dass die Bekanntschaft mit der persisch-babylonischen Mythologie diesen eingebornen Trieb ausserordentlich befördert hat. Vgl. Z. D. M. G. 1877 S. 245 ff.
31) Das Beste darüber s. bei HEINTZE: Die Lehre vom Logos 1872.
32) Joseph. b. J. 2, 8, 7.
33) Dass die apokryphischen Evangelien, z. B. das Evangelium Thomae, Protevangelium Jakobi, sowie das Evangelium Nikodemi judenchristlicher Provenienz sind, leidet keinen Zweifel. In Bezug auf die apokryphen acta app. hat neuerdings LIPSIUS dasselbe für viele Partien wahrscheinlich gemacht (die apokryphen Apostelgeschichten 1883. I, S. 2 ff. 33). Die Nachrichten über die Ebioniten zeigen, sobald sie uns das Wesen der Ebioniten eingehend schildern (Epiphanius ist hier grade wegen seiner Kritiklosigkeit wertvoll) den gnostischen Charakter unverblümt. Vulgäre, nicht-gnostische Ebioniten hat es nie gegeben.
34) Evang. aprocr. ed. Tischend. 2. Aufl. 1876 S. 85, 141 ff. 150. 153 f. 107. Die geschichtlichen Anekdoten blieben konstant, auch wenn man die bedenklichen Lehren ausmerzte. Einen trefflichen Beleg dafür bieten die Acta Thomae (ed. BONNET 1883 und LIPSIUS l. c. 225 ff.). Auch die Geschichten des Evangel. Thomae gehen gewiss auf uralte ebionitische Tradition zurück. (Vgl. TISCHENDORF, Einleitung S. 36 ff.)
35) Vgl. bes. das Protevangelium Jakobi bei TISCH.. S. XII ff. u. 1 ff.
36) Orig. in Luc. hom. 15.
37) Epiph. haer. 53.
38) Johs. 16, 15.
39) So bei den südlichen Ebioniten, den Sampsäern, die mit dem alten Namen der Essener (Schammasch syr., Schammas ar. = Diener, ϑεραπεύτης, nicht von Schamsch = die Sonne) wohl auch die älteste Überlieferung beibehalten haben werden. Epiph. 33, 1.
40) Epiph. 30, 3. HILGENFELD, N. T. extr. can. fasc. 4.
41) Iren. 1, 25.
42) Ich wage nicht, den Einfluss des Simon auf die Ebioniten zu bestimmen.
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128 Anmerkungen.
Wir kennen zu wenig die samaritanischen Verhältnisse, um seine Person sicher zu zeichnen. Die Quellen (Akt. 8, 9 ff.; Justin. Apoc. 1, 26; Hegesipp bei Euseb. h. o. 4, 22 (2, 13); Iren. 1. 23; Hippol. ref. 6, 6 ff.; Origen. c. Cels. 1, 57 [gegen 6, 11]) gestatten weder den Simon für den Vater der Ketzerei (so die Kirchenväter, welche ihm zuliebe die Kategorie des Archihäretikers geschaffen haben) noch für eine mythologische Figur zu halten, wie dies BAUR (Christent. K. 1853 S. 83), ZELLER (Apostelgesch. 1854 S. 171 ff.), VOLKMAR (Theol. Jahrb. 1856 S. 279 ff.), zuletzt noch LIPSIUS (SCHENKELS Bibell. S. 319 ff.) mehr oder weniger thun. Etwas anderes ist es um die einheimischen Nachrichten (s. v. Hieronymi: Briefwechsel der Samaritaner zu Naplusa etc. nach DE SACY 1836 (Progr. der Ratzeb. Domschule). ÄBULFATH: Annales Samaritani 1863 (ed. VILMAR). FRIEDRICH: de christologia Samaritanorum 1821). Die legen m. E. die Annahme eines frühen christlichen Einflusses nahe. Die weitere Frage wäre dann, ob die Ebioniten von den Samaritanern oder diese von jenen gelernt haben, wie die kirchliche Tradition will. Ich fühle mich nicht berufen, diese Frage zu beantworten. Nur die Bemerkung sei mir gestattet, dass die befremdliche Stellung der Ebioniten zu den Propheten im letzteren Falle sich gut erklären würde.
42a) Iren: 1,26: Epiph. 19, 3.
43) Jos. b. J. 2, 8, 13
43a) elchasai wird der Name auch bei Hippol. geschrieben. Sicher zu rekognoszieren ist darin das syrische chasai = hebr. chasid, fromm; el kann nicht der Artikel sein, der im Syr. postpositiv ist. Vielleicht ist er, wie man aus Hippol. schliessen kann, Titel eines Buchs gewesen: die erste Silbe würde dann auf el = Gott zurückgehen, wozu ganz gut passt, dass Elxai mit Jexai bei Epiph. 19 wechselt.
43b) Hieron. in Matth. 2. Aber nirgends wird gesagt, dass die, welche die jungfräuliche Geburt Christi leugnen, die ältere Form des Ebionitismus vertreten. Origenes (c. Cels. 5, 61) erwähnt auch diesen Unterschied, ohne ihn mit den anderen Merkmalen (c. Cels. 2, 3) zu verbinden. Euseb. (h. e. 3, 27) weiss ebenfalls nichts davon, dass grade die christologisch tieferen Ebioniten eine mildere Stellung zum Gesetz einnahmen. Nur den Sonntag feierten sie, was die strengen also nicht gethan zu haben scheinen. Auch Epiph. (29, 7) ist grade bezüglich der (mildern) Nazaräer zweifelhaft, ob sie nicht Christum einen ψιλὸν ἄνϑρωπον nennen.
44) Origen. c. Cels. 5, 65.
45) Justin (dial. c. Tr. 47) spricht von Judenchristen. welche das Gesetz nicht den Heidenchristen auflegen. Das ist doch eine stillschweigende Anerkennung Pauli.
45a) Über die Herleitung der Sampsäer, die von einem Gestirndienst auch nicht eine Spur verraten (Epiph. 53) von arab. Schämmas = Diener vgl. ob. I, Not. 39 u. II, Not. 10;
45b) Epiphan. haer. 52.
46) Epiphan. haer. 58.
47) Epiph. l. c. leitet die Valesier von einem Valens ab. Doch deutet
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129 Anmerkungen.
er selbst an, dass das Wort arabisch sei. Es hängt wohl zusammen mit ar falasa == arm sein, wovon, denke ich, auch die Falaschas Abessiniens ihren Namen haben. Durchs Aeth. würde man auf diwenigere Bedeutung „separati“ geführt. Die Rakusier SPRENGER'S (Leben Mohammads I, 43) wage ich nicht zu identifizieren.
48) Im Syrischen und Arabischen begegnet dieser Name besonders häufig. FREITAG lex. ar. s. v. gibt hanifun wieder mit: ab uno religionis modo ad alterum inclinans -- vel religioni Abrahami deditus. Das Wort ist aus dem Arabischen nicht zu erklären (SPRENGER). Gesen gibt für das hebr. Wort (hanef) impurum esse, hiph. ethnicum facere. Dan. 11, 32. Payne-Smith (thes. syr. zu hanfa): impurus, immundus [Dieterici führt, wie ich aus LEVY, neuhebr. Wörterb. s. v. ersehe, das Wort auf den Begriff „abbeugen“ zurück], Ἕλλην, Sabii, überhaupt profanus, auch heisst so die religio Manetis quae ad instar idololatriae est, unter Berufung auf Sanctorum vitae e Cod. Quatr. 165 v. Epiph. berichtet dann noch in seiner Weise, es seien zu seiner Zeit noch zweiMari Frauen aus der Nachkommenschaft des Elxai vorhanden gewesen, Marthus und Marthana. Diese seien fast göttlich verehrt worden: die eine, Marthus, starb zu seiner Zeit, Marthana aber lebte noch bei Abfassung seiner Schrift. Auch hier hat Epiph. nur einzelne verworrene Klänge aufgefasst. Celsus (vor 170) hat bereits von Sekten gehört, die ihren Ursprung von Mariamne und Martha herleiten. So interpretiert jedenfalls Origenes (c. Cels. 5, 62), der selbst von ihnen nichts zu wissen bekennt, ihre Namen. Der Name Marthios begegnet denn auch zur Zeit des Heraclios (Theophanes 278 Sylb. [DE BOOR'S Lit. mangelhaft bezeugt]) als Sektenname. Es wird wohl die Bezeichnung aus dem Semitischen stammen. Mâritatun (FREITAG s. v.) heissen arabisch schismatici, marratatun haeretici Abalfed. Ann. 1, 332. LEVY, neuhebr. u. chald. Wörterb., gibt als Denominative von marad (abfallen, ungehorsam sein) das adj. marada', maradtha' ungehorsam, rebellisch (Esra 4, 12--15). Ich vermute, dass mit jenem Namen die Ebioniten von den Juden belegt sind. Die Doppeltheit der Namen bei Epiph. erklärt sich wohl daraus, dass er nicht selten die Dinge doppelt sah (z. B. Merinth neben Kerinth)
49) Justin dial. c. Tr. 47.
50) de migr. Abrah. 1, 450; de conf. ling. 1, 410 (ed. Mangey).
51) Iren. 1, 25. Euseb. h. e. 3, 28.
51a) Orig. c. Cels. 2, 3.
51b) z. B. Iren. 1, 13.
52) Die Person des Nicolaus hat zuerst MÜNSCHER in einer unglücklichen Stunde in die Mythologie versetzt (GABLER, Journ. f. theol. Litt. 1803 S. 17 ff.). Ein Streit darüber ist nicht wohl möglich. Das Richtige hat im wesentlichen SIEFFERT (Realenzyklop. v. HERZOG, 2. Aufl. s. v.).
53) In Philadelphia und Smyrna finden wir nach Apoc. II f. ebionitisierende Tendenzen, die aus Colossae, wo Paulus sie schon bekämpfte, dorthin gedrungen sein mögen.
54) Die Darstellungen der Kirchenväter sind wieder etwas unklar. Clem. Al. Strom. 3, 4, 25 ff. vgl. 2, 20, 118. Epiph. haer. 26, 9. Ob die „Rettung“
Bestmann, Die Anfänge des kath. Christentums und des Islam.
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130 Anmerkungen.
des N. dem Clemens gelungen ist, ist für die Hauptsache gleichgültig. Die Anhänger zogen nur Konsequenzen aus seiner Lehre, mochten ihm diese behagen oder nicht.
55) Iren. I, 26; 3. Apocal. 2; 14, 20.
56) So verstehe ich Apoc. 2, 24.
57) Denn dass Johannes in Ephesus den Rest seines Lebens zugebracht hat, ist eine Thatsache, die so gut beglaubigt ist, als nur irgend eine in der Kirchen- und Weltgeschichte.
58) Es ist hier unerlässlich, ein paar Worte über die Genesis der Gnosis anzufügen. LIPSIUS hat die Entstehung der Gnosis in Syrien zuerst (bei ERSCH-GRUBER s. v. Gnosis) behauptet. Das hätte nie zweifelhaft sein sollen. Allein 1) übersieht er die Vorgänger, die Nicolaiten, 2) beachtet er nicht das Verhältnis zu den Ebioniten. Deshalb fasst er die Gnosis zu einseitig als System, als philosophische Lehre. Diese Betrachtungsweise macht sich am breitesten bei Hippolytos' († vor 226) refutatio, den MÖLLER in seiner Geschichte der Kosmologie sehr mit Unrecht als Hauptquelle benutzt hat. Aber diese Gnostiker waren Menschen von Fleisch und Blut wie wir. Ihre Systeme bauten sie auf, um sich von der Auktorität des mosaischen Gesetzes zu befreien. Weil L. das übersieht, überschätzt er auch den Einfluss der orientalischen Religionen: materiell ist davon wenig auf die Betrachtung des Christentums übergegangen: nur die Methode, nach welcher man früher die orientalischen Religionen auf den Begriffsfuss der hellenischen Logik zu setzen suchte, ist noch in der gleichen Weise angewandt auf das Christentum. So begreift sich, dass der Kopf (Kosmogonie) der gnostischen Systeme einen orientalisch, der Schweif (endliche Befreiung des Pneuma von der Sarx) einen hellenisch anmutet, aber der Rumpf ist durchaus durch die Beziehung (positive und negative) zu den Ebioniten bestimmt.
Über die Quellen der Gnosis (Ges. in F. OEHLER: corpus haeresiologicum, Berlin 1856 ff. [fehlen Hippolytos' (römischer Presbyter um 200) refutatio omnium haeresium, Irenaeos: adv. haeres. und die betr. Schriften des Tertullian. Interessant ist bes. das gnostische Fragment bei Porphyr. de abstin. und das Lied aus Hippolytos ref. 5, 10 [gereinigt von den Zusätzen, bei BERGK: Anthologia lyr. nr. 62. ed. 2]) sind neuerdings sehr detaillierte Untersuchungen angestellt worden: ich komme vielleicht in einem Parergon auf diese von LIPSIUS: Zur Quellenkritik des Epiphanius 1865 datierende Bewegung zurück. Sie hat, wenn auch viel Aufklärung über einzelne Punkte, doch in der Hauptsache zu keinem bleibenden Resultat geführt: das wichtigste Dokument, das Syntagma Justins M., bleibt für uns verloren. So lange wir daher keine Originalquellen aus dem Orient auffinden, wird immer das erste Buch des trefflichen Irenaeus die Hauptquelle bilden müssen -- wir halten uns auch in der folgenden Skizze vorzugsweise an ihn. Weit vollständiger ist Hippolytos und Epiphanios. Aber der erstere ist viel zu systematisch und -- wenn auch oft barbarisch -- zu philosophisch, der andere ist ein wirrer Kopf, der nur bisweilen wertvolle Notizen erhalten hat.
Was dann die Entstehungszeit der syrischen Gnosis anlangt, so muss man doch wohl noch an das Ende des ersten Jahrhunderts herabsteigen.
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131 Anmerkungen.
Satornil lebte zur Zeit Hadrians, zur selben Zeit Basilides, der die syrische Gnosis bereits in die hellenische Welt verpflanzt. Und wenn man nun bedenkt, dass wir in den Barbelioten und Ophiten (bei Iren.) ohne Zweifel eine noch ältere Form der Gnosis vorliegen haben, wenn man ferner erwägt, wie lange solche Ideen gähren müssen, ehe sie sich zu Systemen (und noch dazu zu so mannigfaltigen!) krystallisieren, so kommt man ohne Zweifel zu einem so frühen Termin. Um dies anzuerkennen, ist es vor allem notwendig, sich der bloss literargeschichtlichen Betrachtung dieser Systeme zu entschlagen.
59) (Diese Note gehört zu S. 35, Z. 12 v. u.) Bei den Barbelioten ist die Vorstellung etwas anders: da sind die 4 Leuchter, welche den αὐτοφυής umstehen : Harmogenes (Egypten), Raguel (Mesopotamien), David (Israel), Eleleth (die Alilath der Araber?) Iren. 1, 29.
60) Nach Iren. 1, 30.
60a) Euseb. pr. ev. 11, 18 (zu lesen ἅγεταί τε für ἀνάγει τε).
60b) Die Geschichte von der Schlange, die aus ihrem Versteck hervorkriecht, sich um die Brode schlingt und dann geküsst und angebetet wird, hat Epiphanios (haer. 37, 5) von einem Ophiten selbst gehört, oder -- sich aufbinden lassen.
61) Man hat neuerdings Markion für die früheste Zeit der Gnosis reklamieren wollen. Das ist eine durch Clem. Al. Strom. 7, 107 ungenügend gestützte historische Naivetät. Nach Clem. Al. Strom. 3, 13 brüsten sich die Marzioniten mit ihrer Lehre als mit einer eigentümlichen, neuen. An einen Zusammenhang mit Satornil ist also nicht zu denken. Vgl. Note 65.
62) Iren. 1, 28.
63) l. c. 1, 24:
64) l. c. 1, 25
64a) Origen. hom. in Ezech. 15, 3.
64b) Euseb. h. e. 5, 16.
65) Denn nur indirekt glaubt Iren. l. c. 1, 28 das erschliessen zu können. Tertullian adv. Marc. 1, 29 nimmt das von uns Beanstandete unbedingt als gewiss an. Allein er bahnt sich den Weg zu seiner Antithese erst durch ein keckes: „ohne Zweifel“. Das muss uns bedenklich machen. Das Thatsächliche, das er berichtet, ist nichts anderes als dies, dass Markion nur Jungfrauen, Wittwen, Ehelose und Geschiedene tauft. Von dieser Thatsache bis zu dem supponierten Prinzip ist aber noc Rest h ein weiter Weg, den T. natürlich leicht absolviert. Man kann ihn doch eigentlich nicht als Quelle gebrauchen. Er ist immer noch der alte Advokat. Er widerlegt seine Gegner nie, er schlägt sie gleich tot. Den Markion parallelisiert er am Schluss mit dem Kinder mordenden Pharao! Auch Clem. Al. Strom. 3, 12 muss man die Behauptung des Clemens sehr wohl von der These des Markion unterscheiden. Er begründet die Askese nicht mit der Schlechtigkeit des alttl. Gottes, sondern mit der von ihm ja nicht gesetzten, sondern nur gebildeten ὕλη.
65a) Vgl. ZAHN: Forsch. zur Gesch. des ntl. Kanons 2, S. 284ff. u. unt.
65b) Das chronologische Material bei TH. KEIM: Celsus wahres Wort. 1876. extr.
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132 Anmerkungen.
65c) Die Apokal. des Johannes ist nach jetzt wohl ziemlich allgemeiner Annahme um 70 p. C. geschrieben.
66) ὃσ ἐγενήϑη τὸ πέταλον εφορεϰώς sagt von Johannes ein Bischof Polykrates von Ephesus in einem Schreiben an Victor, den römischen Bischof (um 190) bei Euseb. h. e. 3, 31; 5, 24. Das hat Epiph., der es auf Jakobus den Gerechten anwendet, schon nicht mehr verstanden (haer. 29, 4).
67) Euseb. h. e. 3, 32, 39; 5, 20
68) Ich sehe nicht ein, weshalb die gelegentliche Notiz darüber bei Clem. Al. qu. div. salv. 42 unglaubwürdig sein soll.
69) Der Presbyter Johannes im Unterschied von dem Apostel verdankt seine Existenz doch nur der Phantasie des Dionysios Alexandr. und des Eusebios (h. e. 7, 25), die für die ihnen lästige Apocal. einen Strohmann haben wollten.
70) Acta Johann. ed. ZAHN. 1880. In den Acta Pauli et Theclae ist Thecla die Heldin. Sie sind übrigens ein Kunstprodukt: ein asiatischer Presbyter hat sie amore Pauli, wie er sagte, geschmiedet (Tertull. de bapt. 17). Aber solche Anekdoten, wie die von den Wanzen, die auf Kommando des Johannes beschämt die Karawanserei des Apostels verlassen, zeigen, dass hier die gemütliche Phantasie des Volkes im Spiel gewesen ist.
71) Die so viel umstrittene Frage nach der Ächtheit des Johannes-Evangeliums scheint sich doch allmählich zu Gunsten des Apostels zu beantworten. Vgl. in der Kürze Ezra Abbot: the authorship of the fourth gospel. London u. Boston 1880. LUTHARDT: Der johanneische Ursprung des vierten Evangeliums, 1874.
72) Dass die Anfänge des später sgn. apostolischen Symbols auf den Johanneischen Kreis in Kleinasien zurückgehen, hat CASPARI in seinen Forschungen zur Geschichte des Taufsymbols 1871 ff. ziemlich wahrscheinlich gemacht. Desgleichen wird, wenn die Forschungen TH. ZAHNS zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons einmal abgeschlossen vorliegen werden, wohl die Überzeugung sich durchsetzen, dass auch die Sammlung der ntl. Schriften in Ephesus um die Wende des ersten ins zweite Jahrhundert, jedenfalls der Hauptsache nach, zuerst vorgenommen ist.
73) In viss. Jes. hom. 15, 4 u. 6. Doch schon etwas zweifelhaft setzt O. hinzu: wenn aber jemand das Folgende annimmt.
74) Z. B. Strom. 3, 45
75) C. 12.
76) HILGENFELD: Die Evangelien-Zitate Justins 1854.
77) Das Zitat ad Sm. 3 passt nicht gut in ein gnostisches Apokryphon.
78) Die apostolischen Konstitutionen, so zweifelhaft ihre Provenienz auch sein mag, zeigen recht, wie unklar man noch im dritten Jahrhundert, als ihr Grundstock in Alexandrien sich festsetzte, über die Confinien der katholischen und häretischen Kirche war. Die starken Ausdrücke über das Deuteronomium 1, 6, ferner 5, 15, 20, wo der Sabbat ohne weiteres als Tag des Herrn bezeichnet wird (vgl. 7, 23; 8, 32) weisen ohne Frage auf jüdisch-christlichen Ursprung hin. Sonderbarerweise fehlen diese Bestimmungen in der syrischen Rezension, die DE LAGARDE herausgegeben hat: das ist aber m. E. Korrektur,
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133 Anmerkungen.
79) Patres ap. ed. Gebh. Harn. I. S. 180. Dasselbe berichtet Hieron. von Apollinaris [von Hierapolis] l. c. 188. Vgl. Irenaeus adv. haer. Extr.
80) Das Material dieser viel umstrittenen Frage bei Euseb. h. e. 5, 23 f. Noch Origenes muss (in viss. Jes. hom. 12, 13) gegen (Heiden-) Christen eifern, welche die ἄζυμα mitmachen, die Fasten halten und gegen Frauen, welche den Sabbat beobachten (der griechische Text ist hier nach der Übers. des Hieron. zu verbessern). In dem montanistischen Streite wird die Notwendigkeit oder das Recht des Fastens gar nicht diskutiert.
81) Vgl. die Note 78 u. Gesch. der christl. S. II, 113, n. 30. wozu noch Justin dial. 24, Ignat. ad Magn. 9. ad Philad. 6. mart. Polyc. 7, 1; 8, 1 hinzuzufügen wäre. Allerdings zeigt ep. Barn. 15, dass von Anfang an zwei Gewohnheiten bei den Heidenchristen sich geltend machten.
82) dial. c. Tryph. 47.
83) c. Cels, 2, 3.
83a) Vgl. z. B. Tertullian. apolog. 9. RUINART, Acta mart. S. 178.
84) Dahin sind vor allem Schriften wie die testamenta 12 patriarcharum zu rechnen (ed. WINKLER 1869). Denn dass dieselben von einem Heidenchristen geschrieben sind, glaube ich wegen der darin vorkommenden Empfehlung Pauli mit RITSCHL (Entstehg. der altk. Kirche, 1. Aufl. 1850) gegen RITSCHL (id, lib. 2. Aufl.) und die meisten Neueren festhalten zu dürfen.
85) I Kor. 9, 20 ff
86) Act. 15.
87) Matth. 5, 17 ff.
88) Acta Johannis ed. ZAHN S. 220 Z. 3 und dazu die Bem. des Herausg. CXLII ff. Dagegen hat LIPSIUS: Die apokryphischen Apostelgesch. S. 44 ff. eine, wie mir scheint, ziemlich unfruchtbare Polemik eröffnet.
89) Justin, dial. 47. Die Stelle -- eine der wichtigsten aus allen vornicanischen Schriftstücken -- ist (vgl. Otto z. d. St.) seltsam missverstanden worden. Justin stellt 3 Parteien einander gegenüber: die extremen Heidenchristen, welche jede Gemeinschaft mit den Mosaikern ablehnen, die gemässigten, welche den gemässigten Judenchristen das Bürgerrecht in der Kirche einräumen, und die schwachen Heidenchristen, welche den extremen Judenchristen (von denen er sagt: ὁμοίως ϰαὶ τούτους οὐϰ ἀποδέχομαι) zur Beute fallen. Das ὁμοίως bezieht sich auf die ersterwähnte Partei.
90) Ad Magn. 8. Die L. A. hat ZAHN festgestellt. Seine Interpretation (Ign. 382 ff. 390 ff. 471 ff.) halte ich für zu künstlich.
90a) epist. ad Diogn. 7.
91) Euseb. h. e. 6, 12. Nicolaus: études sur les évangiles apocryphes 1866; S. XVI f.
92) Die Fragmente des ϰήρυγμα Πέτρου ges. von GRABE: Spicil. S. 62 ff. HILGENFELD: N. T. extra c. v. IV, 57 ff. Die Schrift sollte den Ebioniten die Autorität des Petrus streitig machen. Wann sie verfasst, lässt sich nicht genau bestimmen: ich vermute noch vor 150 wegen Clem. Al. Str. 1, 182.
93) In den Acta Pauli et Theclae s. o. Note 70.
94) Acta Thomae ed. Bonnet passim. Dazu LIPSIUS l. c.
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134 Anmerkungen. Rest
95) Strom. 2, 5, 21. Vgl. Origen. c. Cels. 1, 69.
96) Beweis dafür ist der Briefwechsel des Plinius mit Trajan.
97) Wir hören wiederholt, dass die Juden es gewesen sind, von welchen die Anklagen wegen der Sittenlosigkeit der Christen ausgingen: Justin dial. 39. 108. Origen. c. Cels. 6, 40.
98) Justin. dial. 16
99) Das rügt schon Celsus bei Origen. 3, 31.
100) Ignatius ad Magn. 8.
101) Die Stellen s. bei Harn. zu ep. Barn. 2.
102) Clem. Al. 1, 182 nennt den Christus-λόγος die διαϑήϰη, den νομος. Er beruft sich dafür auf das kerygma Petri. Noch deutlicher ist pastor Hermae (150) sim. 8, 3 und Justin. dial. 43.
102a) quae sunt prophetica curiosius exponere nituntur, sagt Irenaeus von ihnen: 1, 26.
103) ep. Barn 15. Justin dial. 19 ff.
104) Das Beste über den Montanismus gibt BONWETSCH: Die Gesch. des M. 1881. Die folgende Darstellung beruht ganz auf Eus. h. e. 5, 14 ff.
105) Nach Hbr. 6. 4.
106) Vgl. die bekannte schöne Geschichte von dem zum Räuber gewordenen, aber wieder bekehrten Jüngling bei Clem. Al. qu. div. salv. am Schluss.
107) Man sollte doch endlich davon abstehen, zur Erklärung des Montanismus sich auf Phrygien, das „Vaterland der Schwärmerei“ zu berufen. Was es mit diesem Prädikate auf sich hat, sieht man beiläufig aus Socr, hist. eccles. 4, 28: τὰ τῶνΦρυγῶν ἔϑνη scheinen besonnener zu sein als die übrigen Völker. Vgl. Nicol. Damac. Fragm. 128 (histor. graeci 3, 461): „die Phryger bedienen sich nicht des Eides, noch schwören sie, noch lassen sie schwören“. Ihr Prädikat ist gewöhnlich ἄτιμοι: Dio or. 31, 113 p. 399; 158 p. 413 ed. Emper., ἀδϑενεῖς ϰαὶ ἀνασϰητοί or. 68, 2. ἀπόλεμοι Appian. Mithr. 19. Vgl. Cic. pro Flacco 17. epp. ad famil. 3, 10.
107a) Joseph. b. Jud. 2, 12.
108) Montanus trat auf (nach dem Anonymus bei Euseb. h. e. 5, 16) als Gratus Proconsul in Asien war. Nicht lange nach ihm kann der Proconsul Aemilius Frontinus in Ephesus gewesen sein. Weiterhin sagt er, jetzt, 13 Jahre nach dem Tode des Propheten sei noch immer kein allgemeiner Krieg entstanden: also terminus ad quem 150. Sie knüpfen ferner (nach Miltiades l. c. 17) ihre Prophetie unmittelbar an die des Quadratus und Ammia in Philadelphia an. Apollonius schrieb 40 Jahre nach dem Auftreten des Montanus (l. c. 18). Er erwähnt als Zeitgenossen des Montan, den Märtyrer Thraseas (l. c. 18). Eben dieser war nach Polycrates von Ephesus (190) ein Zeitgenosse des Polycarp († 155) und Bischof in Eumenia in Phrygien. Sonach wird man wohl mit DE SOYRES 130 als Anfangspunkt des Montanismus festhalten dürfen.
108a) Die tendenziöse Behauptung des Anonymus (Eus. h. e. 5, 16), es hätten sich nur wenige Phrygier verführen lassen, kontrastiert eigentümlich mit der fieberhaften Anstrengung der Katholiker, diesen volksverführerischen (τοὺς ὄχλους ταράττον l. c.) Geist zu bannen. Vgl. auch h. e. 5, 3.
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135 Anmerkungen.
109) OBERDICK: Die römerfeindlichen Bewegungen im Orient während der letzten Hälfte des 3. Jhrh. n. C. 254--274 (1869) S. 60, Anm. 2. MEYER: Geschichte des Königreichs Pontus (1869) S. 63: das Königreich Pontus hellenisierte im Gegensatz zu den nationalen Dynastien von Atropatene, Armenien und auch von Kappadokien. DROYSEN: Hellenism. 2, 29. Es ist bedauerlich, dass die ethnologischen Verhältnisse Kleinasiens so dunkel sind.
110) Unwillkürlich erinnert man sich bei dieser Erscheinung an gewisse Vorgänge bei den Maori auf Neuseeland (WAITZ-GERLAND, Anthropologie der Naturv. 6, 497 ff.). Auch bei den Ebioniten trifft man schliesslich auf diesen nationalen Untergrund (Gesch. d. christl. S. 2, 110). Wenn man einmal tiefer den Durchdringungsprozess der Religionen mit den Volkstümern verfolgte, würde sich wohl überall die gleiche Wahrnehmung wiederholen.
111) ad Polyc. 5. Vgl. Clem. Rom. ep. 1, 38.
112) Dass die Enkratiten nicht von Tatian gestiftet sind, sondern dass er sie nur mit sich gerissen hat, geht auch aus Iren. 1, 28 hervor. Vgl. ZAHN, Das Diatessaron Tatians S. 284 ff.
113) Apol. min. 2.
114) Tertull. adv. Prax. 1, 1. Die Sache ging aber wieder zurück.
115) Schon in den ps. ignatianischen Briefen wird ein besonderer Nachdruck auf die Feier des Abendmahls gelegt. Ad Ephes. 5. 13. Vgl. ad Magn. 1. Und sowohl die Lehre von der Taufe als die von dem Abendmahl ist schon etwas vergröbert. Die Elemente sind es, von welchen der Erfolg hergeleitet wird (ad Ephes. 18. 20), nicht die Handlung. I. nennt die Epheser ferner bereits συμμύσται Pauli (12). Dies zusammen mit dem geschraubten Ton (z. B. Eph. 17. Magn, 14 ϑεοῦ γέμετε) und der forcierten Betonung des Kirchenamtes und Geltendmachung seiner persönlichen Beziehungen zu den Adressaten machen es mir unmöglich, an der Ächtheit der Ignatiusbriefe noch festzuhalten. Der Verfasser war ein Zeitgenosse des Justinus. Bei ihm (vgl. epist. ad Diogn. 4) ist in der That die Resorption des hellenischen Mysterienkultus -- man hat darüber („Arcandisziplin“) viel zusammengeschrieben von Dallaeus bis Bonwetsch (1873 Ztschr. f. hist. Theol.) -- eine vollzogene Thatsache. Denn daraus, dass Justin über Taufe und Abendm. spricht, schliessen zu wollen, er habe den Mysterienkult nicht gekannt, ist doch voreilig. Er entschuldigt sich ja deshalb (apol. 61). Vgl. Origen. in Ezech. hom. 1,3: „die Häretiker zwingen uns, die Mysterien ans Licht zu ziehen, die eigentlich wegen der Unmündigen verborgen bleiben sollten.“ Dies Verbergen war aber noch keine maurerische Geheimniskrämerei.
116) Dies sind alles Bestimmungen, die sich aus Pseudo-Ignatios für den Bischof erheben lassen. HATCH hat in der Schrift: die Gesellschaftsverfassung der christlichen Kirchen im Altertum (deutsche Ausg. 1883) das Problem der Entstehung der Episkopatskirche von einer neuen Seite anzufassen versucht: er geht auf die Verwaltungsbefugnis des Bischofs zurück, dessen Adlati dann die Diakonen sind: dagegen das Presbyterkollegium hat die Jurisdiktion zu besorgen. Das ist Konstruktion. Das Altertum weiss von einer solchen Zweiteilung nichts. Grade die kleinasiatischen Verhältnisse zeigen, dass die kultische Stellung des Bischofs das primum movens ist; man lese Justin ap., 61 ff.
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136 Anmerkungen.
und die apost. Konst. passim (vgl. Clem. Rom. ep. 40). In Alexandrien, dessen Verhältnisse HATCH ganz vernachlässigt -- nur von den Kommentaren des Origenes aus kann man ein klares Bild von der Entwicklung der alten Kirche gewinnen -- gelten sie gleichfalls vorzugsweise als Bewahrer der Mysterien (Origen. in Num. 4, 3). Als solche sind sie die Wissenden (l. c. 9, 1; 5, 1; in contic. r. 2, 15) und heissen bei Origen. gewöhnlich doctores ecclesiae (z. B. in Ex. 10, 4, in Num. 2, 1). Die Armenpflege der Presbyter: in Mat. 11, 9 vgl: 15, 25. Dann macht sich aber schon ein anderes Moment geltend: die Bischöfe leiten die kirchlichen Dispensationes (in Lev. 4. 6; 5, 3; in Num 10, 1). Aber noch ist bei den Alexandrinern die Idee des Priestertums der vollkommenen Christen lebendig und geniert offenbar das zweite Attribut des hierarchischen Priestertums (in Mat. 12, 14; 17, 12; in Lev. 9, 9 u. ö.). Erst in den Novatianischen Streitigkeiten ist diese Funktion des Episkopats zur nota characteristica geworden (Carthago). Rom hat dann diese disziplinäre Gewalt auf die ganze inzwischen gewordene Episkopatskirche sich zu vindizieren gewusst. (Unsichere Vorstellungen über die Stellung Roms in der Geschichte der Hierarchie bei dem Herausg. von HATCH S. 229 ff.)
117) ad Sm. 8. Doch will ich nicht verschweigen, dass die im Text befolgte Erklärung ZAHNS z. d. St. lexikalisch Schwierigkeiten bietet. ϰαϑολιϰός bed. nicht das Ganze gegenüber den Teilen, sondern das Allgemeine gegenüber den Einzelnen, ist mithin ein qualitativer, nicht ein quantitativer Begriff. Dann hat die Stelle eine unverkennbare Beziehung zu ad Sm. 3 (ϰατὰ πέρατα == ϰατὰ πέρατα τῆς γῆς: Hesychius. ZAHN konjiziert ϰατὰ πατέρα!)
118) Anfangs sprach man nur von einer ἀδελφότης Clem. Rom. ep. 2, 4. ZAHN, Weltverkehr und Kirche 1877. Auch HATCH l. c. d. 37 ff.agt
119) Die Stellen bei HATCH S. 36 u. 157 ff.
120) Euseb. h. e. 5, 3.
121) Clem. Al. Strom. 2, 13, 57 f. spricht es deutlich aus, dass es nur eine Busse nach der Taufe gibt. Der Pastor HERMAE ist auch nie desavouiert, selbst IRENAEUS anerkennt ihn. Dass eine wirkliche Aufnahme in die Gemeinde der Vollbürger nicht mehr vorkam -- denn jene sub ictu mortis erteilte pax ecclesiae war doch nur eine halbe -- sagt mit dürren Worten Origenes exhort. ad mart. 17, de orat, 28 und bes. in Ley. hom. 2, 4. Das ist auch die stillschweigende Voraussetzung der epistula canonica des Gregor. Thamat., ja selbst der canones des Nicänums.
II.
1) Die alte Streitfrage, ob die Ägypter Semiten, wie die Philologen behaupten, oder Hamiten, wie die Genesis und die Ethnologen wollen, wird sich vielleicht durch die Annahme erledigen lassen, dass sich über den ursprünglichen hamitisch-afrikanischen Grundstock des Nillandes eine dichte semitische Schicht gelegt hat.
2) Vgl. SPRENGER: Die alte Geographie Arabiens als Grundlage der Entwicklungsgeschichte des Semitismus (1875) S. 293.
2a) Alle neuerdings mit so grossem Eifer geführten Untersuchungen über
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137 Anmerkungen.
die israelitische Religion haben doch u. E. die Thatsache nicht umstossen können, dass die monotheistische Überzeugung der ganzen Entwicklung desselben von Haus aus zu Grunde liegt. Dass das aber nicht eine angeborne Schwäche des semitischen Charakters ist, hat gegen RENAN (hist. génér. des langues sémitiques 1855 S. 5 ff.) gut gezeigt CHWOLSON: Der Semitismus 1871.
2b) Joseph. b. J. 2, 20, 2.
2c) In den von ASSEMANI herausgegeb. acta martyrum eccles. orient. begegnen uns die Mager durchaus als Vertreter dieser kombinierten babylonisch-persischen Religion, die in dem Pehlevi-Dialekt ihre eigene Sprache sich geschaffen hat.
3) Das grundlegende Buch über die Sabier bleibt immer -- trotz seiner zahlreichen Missgriffe -- CHWOLSOHN: Die Sabier und der Sabismus, 1896, 2 Bände.
4) WETZSTEIN: Reisebericht über den Hauran und die Trachonen. 1860. DE VOGÜÉ: Syrie centrale Inscriptiones Sémitiques 1871.
5) Epiphanius 30, 18. Über Kokabe vgl. LAND, anecd. Syr. 1, 106, 171. An die von NÖLDEKE D. M. Z. 1868 S. 521 genannten Kaukabs ist wohl nicht zu denken. Auch ZAHN (Forsch. etc. 2, S. 333 ff.) kommt zu keinem festen Resultat.
6) DE VOGÜÉ: l. c. S. 53. 55.
6a) Vgl. HALEVY in der Zeitschr. der D. M. G. 1878 S. 167 und das 7. Buch der Annalen des Hamza Ispah. (ed. GOTTWALDT 2, 90 ff. 1858). Rasmussen histor. praecip. arab. regn. 1817. S. 41 ff. S. 48. Nach Nuveir u. Ahmed ben Jussuph Damasc. soll erst Gabalah z. Z. Omars zum Christentum übergetreten sein, das bezieht sich aber auf das melkitische d. h. katholische Christentum.
7) WETZSTEIN l. c. S. 122, der aber an den südarabischen Ursprung der Ghassanidendynastie glaubt.
8) Bei Masûdî (CHWOLSOHN II, 378).
9) Hippolytos refutat. 9, 13.
10) CHWOLSOHN I, 110 ff. II, 543. An ersterer Stelle ist auch die philologische Begründung der im Text gegebenen Verdeutschungen zu lesen. Übrigens ist es mir nicht unwahrscheinlich, dass die Sabier als interne Selbstbezeichnung das Wort Ziddik d. i. „gerechte“ (vgl. ϰαϑαροί) gebraucht haben. Denn wir finden 1) dass die Ebioniten sich die „Guten“ nennen (Gesch. der christl. Sitte II, 1 S. 63); 2) begegnen in dem Norden Syriens (G. HOFFMANN in den Abh. zur Kunde des Mgl. 1881 S. 122 ff.) Sadducäer, agtdie wohl nur einem Missverständnis des Worts ihre Existenz verdanken; obgleich grade der babylonische Talmud sehr oft da Zadukim hat, wo der jerusal. von Minim d. i. Häretikern, Ebioniten redet: s. LEVY'S Neuhebräisches Wörterbuch, 1883, s. v. Min. Eine Glosse nennt diese einen Zweig der Manichäer, die Ja auch Chanefim hiessen. Ein anderes Wort dafür ist Schamschanaje, was man mit Sonnenanbeter übersetzt: HOFFMANN hält das für eine Verwechslung der Sonne mit einem ihrer Heiligen, dem Scheikh Schems. Ich glaube, dass die ursprünglich zu Grunde liegende Form Schammasch, d. i. syrisch Diener ist: damit wird nun wohl auch ein Licht fallen auf die „Sadducäer“, von welchen MAKRIZI als von einer „samaritanischen“ Sekte erzählt. (S. de Sacy, Chrestom. arabe 1826 S. 307 ff. nach al-Beruni). Die „Samaritaner“ sollen identisch sein
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138 Anmerkungen.
mit den La-Mesasijjeh, die andererseits mit den Borborianern identifiziert werden (s. HOFFMANN l. c. S. 123 f.). Weiterhin setzt er dann die Samaritaner mit den Zendik und diese mit den Sadducäern gleich. Es entspricht dem, wenn auf der anderen Seite in der Tradition der Samaritaner (ABULFATH, ann. Samarit. ed. Vilmar 1865, S. LVII) das Harran Abrahams eine bedeutsame Stelle einnimmt. Nach der Vertreibung der Manichäer ist eine Fusion zwischen den persischen und syrischen Christen der ersten Generation eingetreten. Die Opposition gegen die Katholiker mag dazu beigetragen haben: zugleich wurde dadurch eine Annäherung an den alten Gestirndienst nahegelegt, welche das christliche Element mehr oder weniger zurückdrängte. Die Jeziden sind dann ebenso die letzten Reste der nordwestlichen Sabier (vgl. LAYARD, Bericht über die Ausgrabungen zu Niniveh, v. MEISSNER 1852. Kap. 8. PETERMANN, Reisen im Orient 2, 330 ff. und besonders BADGER: the Nestorians 1847) wie die Mandäer die der südöstlichen.
10a) Bei K. KESSLER in Herzogs Realenzyklop. f. protest. Theol, 1881. 9, S. 205 ff.
11) Vgl. PETERMANN: Reisen im Orient 1860 f. II, 83 ff. (NÖLDEKE, Götting. Gel. A. 1869. St. 13. K. KESSLER l. c.) Daselbst auch Auszüge aus ihrem religiösen Urkundenbuch: sidra rabba. Das Wort Mandäer erklärt PETERMANN von Manda de Chajje, d. i. Sohn des lebendigen Gottes (sonst meist = Gnostiker). Siouffi (Etude sur la reliqion et les moeurs des Soubbas 1881 (Auszüge daraus im Journ. des Sav. 1881 S. 288 ff.)
Wie diese Sabier zusammenhängen mit dem arabischen Reiche in Hira, dessen Geschichte uns Tabari (übers. von NÖLDEKE 1879) aufbewahrt hat, wage ich nicht zu entscheiden. Die ansässigen Bewohner des Reiches hiessen: Ibâd, d. i. „Knechte“, Gottes nämlich. Vgl. C. de Perceval essai etc. 2, S. 12, 24. So nannten sich die Ebioniten des Südens (Sampsäer von Schammasch == Diener). Später ist Ibâd eine Bezeichnung der Nestorianer (NÖLDEKE l. c. S. 24). Der Zeitgenosse Schapûrs I (250), Amraalaqis al Bad', der König Hira's, soll zuerst das Christentum angenommen haben.
12) WETZSTEIN l. c. 120 nach Jâkût.
13) Mir scheint, dass sie unter dem Agathodaimon, der öfter erwähnt wird, Jesum verstanden haben (gegen CHWOLSOHN I, 780 ff.)
14) Die ganze Darstellung ruht auf den von CHWOLSOHN Bd. II beigebrachten orientalischen Quellenauszügen. Darunter sind Dimeschqî und Maimonides ziemlich wertlos. Ich halte mich wesentlich an en-Nedim und Schahristâni. Die viel und mit Recht gerühmte Treue und Zuverlässigkeit der orientalischen Berichterstatter bezieht sich doch auch hier vorzugsweise nur auf die einzelnen Notizen, das Gesamtbild ist fast immer ein verschobenes. -- Die Mandäer zu den Sabiern zu stellen, veranlasst auch der Umstand, dass sie sich selbst den Andersgläubigen gegenüber Sobbâ (sgn. innerer Plural von sâbî) nennen: unter sich hiessen sie Mandäer, d. i. Gnostiker. Sie behaupten, aus Galiläa zu stammen (KAEMPFER, Amoenit. exotic. S. 438).
14a) Für das alte Westsyrien vgl. USENER, Legenden der h. Pelaggia 1879 S. XX f., für das moderne Ostsyrien PRYM u. SOCIN: Der Dialekt von Tur Abdin 1881. 2, 219.
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139. Anmerkungen.
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15) K. KESSLER, Mânî I. 1882. Vgl. HERZOG, R. E. (2.) s. v. Doch übertreibt K. diese babylonischen Reminiszenzen ganz ausserordentlich und verkürzt den Einfluss des Parsismus.
16) Was man neuerdings von einer altbabylonischen Erlösungsidee geredet hat, ist höchst phantastisch.
17) FLÜGEL: Mani 1863. S. 90 ff. BEAU-SOBRE: Hist. de Man. 1, 269. Die Manichäer Augustins und des Epiphan. lehnen allerdings das A. T. ganz ab. Über den Manichäismus überhaupt vgl. BEAUSOBRE: Histoire de Manichée, 2 Bde., 1734/39. Nach FLÜGEL: Mânî 1863 ist die Priorität der orientalischen Quellen vor den acta disput. Archelai (GALLANDI biblioth. III.), worin ein Heidenchrist nach dem Schema der Klementinen den Manes widerlegen wollte, ausgemacht. KESSLER: Mânî 1882. I. SPIEGEL: Eranische Altertumskunde II.
18) Vgl. auch für die folgenden Sätze: CURETON-WRIGHT: Ancient Syriac Documents 1864. Doctrina Addai ed. PHILIPPS 1876.
19) In den von Assemani syrisch und lateinisch, von ZINGERLE deutsch herausgegebenen syrischen Märtyreracten findet man passim die Christen erwähnt, welche es nur dem Namen nach sind (Ächte Akten h. Märtyrer des Morgenlands 1836. S. 77. 82. 138. 172 ff.). Sapor hat sich ein besonderes Vergnügen gemacht, die einen durch die anderen hinrichten zu lassen. Das wäre von katholischen Christen undenkbar. Ähnlich wie diese nicht näher bezeichneten Christen stehen zu den Katholikern die „Sadducäer“ in dem von HOFFMANN (Abh. für die K. des Mglds. 1881. S. 22 ff., dazu l. c. S. 122 ff.) herausgegebenen Martyrium des Mar Saba. Der Name ist sicher nicht aus Tert. de resurr. carn. 2 zu erklären. Ich möchte an Zandik, den späteren Namen für die Manichäer erinnern, welche die Erben aller morgenländischen Häresieen geworden sind oder an ihre Selbstbezeichnung als „Gerechte“ (s. 0. N. 10).
20) BRUNS-SACHAU, Syrisch-römisches Rechtsbuch aus dem fünften Jahrhundert, 1880. S. 41 ff. Dass jene syrische Einleitung bereits einen Bestandteil der griechischen Vorlage gebildet habe, ist eine wohlbegründete Vermutung des Herausg. (S8. 159). Vgl. Tabari übers. von NÖLDEKE S. 501.
21) Die absolute Priorität der syrischen Rezension der apostolischen Konstitutionen vor der alexandrinischen ist nicht bewiesen.
22) ZINGERLE l. c. 24.
23) l. c. 99 passim.
24) BRUNS-SACHAN l. c. S. 33. 303 ff. S. 316 spricht nicht dagegen.
24a) Schahristâni I, 291 nach al-Warrâk. Dagegen NÖLDEKE, Tabâri S. 455 ff.
25) Origen. c. Cels. 3, 9
26) Schon bei Ignat. ad Eph. 3 (ZAHNS Lesart ist zu verwerfen).
27) LIPSIUS: Apokr. Apostelgesch. (1883) I, S. 33
28) Epiphan. haer. 53, 1.
29) Vol. Gesch. d. christl. S. 1, S. 130 ff.
30) Man hat bekanntlich die Schrift de vita contemplativa dem Philon absprechen wollen: allein die Gründe sind blos innere und kaum stichhaltig, Vgl. l. c. S. 133 ff.
31) Clem. Al. Strom. 3, 6, 45.
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140 Anmerkungen.
32) Epiph. 67, 3.
33) Flav. Vopisc. Saturn. 8 (nach Phlegon. Das „Samares“, nach Flav. Vop. = „Samaritas“, ist vielleicht auch eine Verstümmelung von schammasch (kopt. Diener). Damit vgl. Socrat. h. e. 5, 17.
34) Man sieht das deutlich aus Strabons Schilderung Ägyptens vom Jahr 20 n. C.
35) Die schwierige hermetische Litteratur hat zum erstenmal in lichtvoller Weise behandelt L. MÉNARD: Hermès trismégiste. 1867. 2. Aufl. Wir schliessen uns mit einigen Reservationen den Resultaten seiner Einleitung an.
36) MARKRIZI, Hist. Copt. Christ. 1828 ed. WETZER 151.
36a) RENAUDOT, Hist. patr. Alex. 1713 S. 12.
37) MAKRIZI 66. RENAUDOT 29.
37a) LE QUIEN, Oriens Christ. I, 3 f.
38) Makr. 85. WÜSTENFELD: Synaxarium, d. i. Heiligenkalender der koptischen Christen 1879 S. 67. Origen. in Jerem. 12, 13.
39) Apost. Konstit. 5, 20.
40) Apost. Konst. 5, 15. Die Konst. sind eben anlässlich jener Neuordnung (Makr. 84 f.) durchkorrigiert von den hellenischen Christen. K. 15 ist solche Korrektur.
41) Renaud. 26.
42) Makr. 157.
43) Synaxarium ed. WÜSTENF. 160.
44) Renaud. 26.
45) Makr. 151. Die von Constantin unternommene Kontrolle ist nicht ganz klar. Makr. ist hier wohl durch die Chronologie der Araber (ABULFEDA, annal. anteisl. ed. FLEISCHER, 1831, S. 5 ff.) beeinflusst. Hinter der chronologischen steckt aber wohl die sachliche Differenz in Bezug auf wesentliche Teile des Fünfbuchs.
46) Renaud, 29. Hier liegt wohl eine Verwechselung mit dem ebionitischen Hebräer-Evangelium, dem sgn. Εὐαγγέλιον ϰατ᾿ Αἰγυπτίους vor.
47) Ren. 26.
47a) Abd Allatif, Rel. de l'Egypte trad. p. S. de Sacy 1810 S. 195.
48) z. B. in Gen. 16, 1.
49) Synaxar. 67. Renaud. 23.
50) Renaud. 102.
51) Clem. Alex. Strom. 3; 6, 45.
52) Epiph. Haer. 67, 1.
53) Synax. 160.
53a) Makrizi 317: Die Zahl beim Auftreten des Islams.
54) LANE, Sitten und Gebräuche der heutigen Ägypter (1852) 3, 177 ff. DENZINGER, Ritus orientalium.
54a) Die spätere Christianisierung des zwischeninne liegenden Nubiens, wo übrigens sich doch auch Spuren früheren Christentums finden (Land: Joh. von Ephes. 1856 S. 185) spricht nicht dagegen: wenn man festhält, dass die ersten Boten eben Juden gewesen sind.
55) Makrizi 52.
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141 Anmerkungen.
56) Denn von dem (h. e. 1, 9) man kennt seine Unzuverlässigkeit -- hat es Sokrates h. e. 1, 19 u. die Übr.
56a) s. den äthiopischen Bericht Z D. M. G. 1881 S. 49 f.
57) S. 129 N. 49. Von einer sicheren Kunde über die Falaschas sind wir noch weit entfernt. Inzwischen vgl. FLAD (Die abessinischen Juden 1869). Den Grundstock der Juden repräsentieren die „Kamanten“ (FLAD S. 75 f.). Sie sind wie auch die Falaschas zum teil in Götzendienst versunken. Die Falaschas sind die ebionitischen Juden, die nach einer bei ihnen (neben anderen) verbreiteten Sage nach der römischen Eroberung in Abessinien eingewandert sind (vgl. Z. D. M. G. 1881, 49 f.): ihre Litteratur, wenn sie methodisch durchforscht sein wird, wird darüber noch weitere Aufschlüsse geben. Dass sie vom Christentum tingiert sind, zeigt das Mönchtum, das Abendmahl (47), die Liturgie und der Kirchenbau etc. G. ROHLFS (Meine Mission nach Abyssinien 1883 S. 273): „die Falascha kleiden sich ebenso wie die abessinischen Christen uud haben mit diesen hinsichtlich der Speisevorschriften u. s. w. eine grössere Verwandtschaft als man nach den bisherigen Berichten über sie annehmen sollte“; vgl. GOBAT, Journal of a three jears residence in Abyssinia 1834 S. 363.
58) Den Judaismus der äthiopischen Kirche zu leugnen, hat zwar LUDOOLF versucht (histor. Äthiop. 1681. 2, 3), aber eine Erklärung der Beschneidung, der Reinigkeitsgebräuche, -- sie essen sogar den nervus ischiadicus nicht -- der Sabbatsfeier neben der Sonntagsfeier und so manches anderen Brauchs hat er doch nicht geliefert. Und diese Thatsachen fallen dünkt mich schwerer ins Gewicht als der Umstand, dass die einheimische Tradition über diesen Ursprung ihrer Kirche nichts sagt. Die war auch sonst nicht genau: der Reformversuch unter Justinian gilt bisweilen ebenfalls als „Gründung“ der Kirche. Auch die -- julianistische -- Christolo56gie der Abessinier, von der wir gelegentlich bei Johannes von Ephesus hören (vgl. LAND, Joh. B. v. Ephles. 1856 S. 190) lässt doch nicht an Julian von Halikarnassos, sondern nur an die ebionitische Tradition denken.
59) Vgl. zu dem Folgenden meine Ausführungen Gesch. d. christl. S. I, 46 ff. CAUSSIN DE PERCEVAL: essai de l'histoire des Arabes avant l'Islamisme, 1847. OSLANDER in Z. D. M. G. VI, S. 463 ff. KREHL (Die Religion der vorislamischen Araber. 1863) behauptet (l. c. 71 ff.). dass der Gestirndienst der Ausgangspunkt der arabischen Religion sei. Indessen das ist eine Hypothese, die er nicht bewiesen hat. Mohammed hat den Amr Ibn Luheij, von dem er als einem besonders sinnlichen Menschen gehört haben mochte (er sah ihn in der Hölle seine Eingeweide nach sich schleppen), für den Götzendienst, den Abfall von der Religion Abrahams, verantwortlich gemacht (Ibn Ishalk == Ibn Hischam Leben Mohammeds, übers. von WEIL 1864 XI, 39); der habe den Hobalgötzen von den Amalekitern geholt. Das ist augenscheinlich tendenziöse Konstruktion der arabischen Geschichte, in welcher Mohammed sich für seinen Glauben den besten Platz aufsuchen wollte. Nicht besser ist die Erklärung des Steinkultus aus den von dem mekkanischen Heiligtum mitgenommenen Steinen (l. c. 39). Da kommt es endlich auf eine Verwechselung hinaus.
60) Ausser dem schwarzen Stein, welchen die Kaaba in Mekka umgibt, vgl. den Götzen Sad der Benu Milkan bei Ibn Hischam (l. c. I, 40),
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142 Anmerkungen.
61) Ibn Ishak l. c. I, 15; II, 220 f.: auch von NÖLDEKE (Tabari S. 181) als eine wertvolle Notiz anerkannt.
62) Vgl. den Hund in dem südarabischen Riam Ibn Ish. l. c. I, 12. die h. Schlange Ibn Ish. l. c. I, 92. Der Adler, das Pferd u. a.,56 bei OSLANDER Z. D. M. G. VII, 473 f. Ibn Nubatab bei RASMUSSEN, Additam. 22. Auch bei den Ägyptern gilt der Kultus der Tiere keineswegs immer den segnenden Arten derselben.
63) Vgl. KREHL l. c. S. 9 ff.
64) Der Name Allah kommt bekanntlich vor Moh. schon vor. Allein wie der Stamm des Worts auf das A. T. weist, so wird man auch wohl für die Sache an den Einfluss des Judentums, der in den himjaritischen Inschriften klar vorliegt, denken müssen. Vgl. KREMER: Über die südarabische Sage, 1866, passim. Die Vorstellung, dass die Araber die Götzen verehrt, aber Allah überhaupt gemeint hätten (Ibn Ish. 1, 39), ist sicher spätere Interpretation.
65) Ihn Ishak l. c. I S. 39. Ähnlich elegisch urteilt über die Koreischiten Zeid Ibn Amr bei Ibn Ish. I, 108 -- doch wohl nur im Hinblick auf die heidnischen Araber.
66) Ibn Ishak I, 41.
67) l. c.
68) Die Diodorstelle (3, 43) lässt an nichts anderes denken.
69) Vgl. H. BÜRGEL: Die pylaeisch-delphische Amphiktyonie 1877. Hier ist auch die ältere Litteratur verarbeitet. MÜLLER: Dorier II. Für Olympia vgl. BÖTTICHER, Olympia 1883 S. 83 ff. Auch bei dem delischen Bunde ist eine ähnliche Entwicklung nachweisbar: Thukydides 3, 104, Hymn. Homer. 1. Herodot. 4, 32 ff.
70) Dozy: Die Israeliten zu Mekka 1864, hat sich mit seiner Herleitung des mekkanischen Festes aus einem Brauch des verschollenen Stammes Simeon doch nicht die Beistimmung eines einzigen hervorragenden Forschers erwerb56en können.
71) Ibn Ish. l. c. 1, 29, 55.
72) Von dem Basl handelt Ibn Hischam I, 50 ff. (1, 22). Nach SPRENGER, Leben Moh. I, 393 war nur ein h. Monat, der Ragal. Früher hielt man bei dem Mondjahr der Araber den Gottesfrieden immer an den bestimmten Herbstmonaten, indem man nach Ablauf einer gewissen Frist einen Monat intercalierte (RITTER, Erdkunde 12, 32). Mohammed traf den heidnischen Nerv dieser Tradition gründlich, indem er diese Einschaltung, die übrigens ihres Zweckes bald auch verfehlte (MUIR, life of Moh. XIII), verbot.
73) Ibn Ishak 1, 65. Chroniken der Stadt Mekka herausg. v. F. WÜSTENFELD 1861, 4, 50.
74) Chron. der St. M. 4, 10. Andere anders.
75) Ibn Ishak 1, 53.
76) Vgl. Nuweir bei Rasmussen addit. ad histor. Arab, 1821 S. 60 ff.
77) Vgl. Gesch. der christl. Sitte I, S. 93 ff
78) Die Note 76 angef. St.
79) Wo MALTZAHN ein Gemeinwesen mit Kastenordnungen nachgewiesen hat.
80) RÜCKERT: Hamasa. NÖLDEKE: Beiträge zur Kenntnis der Poesie der alten Araber 1864, bes. das Lied S. 141 f.
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143 Anmerkungen.
81) NÖLDEKE l. c. S. 104 ff.
82) Brav in Z. D. M. G. 1869, 5. 563. Philostorg. 2, 6; 3, 4 ff.
83) Vgl. Not. 64 S. 142
84) NÖLDEKE l. c. S. 52 ff.56
85) SPRENGER, Alte Geographie Arab. 1875 S. 149. 130.
86) VAKIDI: Mohammed in Medina, übers. von WELLHAUSEN 1882, S. 92, 97, 267.
87) RASMUSSEN, Addit. S. 76. Das wird doch wohl nur von den Einzelnen in den Stämmen gelten.
88) VAKIDI l. c. S. 93.
89) Ibn Ishak l. c. I, S. 10.
90) Ibn Ishak I, 97. 101 f.
91) NÖLDERE l. c. S. 52.
92) Vgl. Ibn Ishak 1, 9 ff.
93) Z. D. M. G. 1881 S. 49.
94) Vgl. ASSEMANI: Bibl. or. IV, 581 ff. WRIGHT: Early Christ. in Arabia 1855. „Phemion“ erinnert an die Euphemiten Mesopotamiens (Epiph. 80, Theodoret. h. e. 4, 10.
95) Nicephor. 9, 18.
96) Der Hof war damals arianisch, also auch Theophilus. Als dann immer häufiger die Wendepunkte in der Geschichte des Dogmas zusammenfielen mit den Krisen in den inneren kaiserlichen Gemächern zu Byzanz, machten natürlich auch die Äthiopen und die Syrer die einzelnen Phasen mit durch, langten also schliesslich beim Monophysitismus an. Aber wie zweifelhaft äussert sich doch noch der Negus in der Christologie z. Z. Mohammeds, Ibn Ish I. 166 f. Man sieht auch aus Johannes von Ephesus, dass die dogmatischen Delikatessen diese Barbaren weniger reizten als die praktischen Vorteile.
97) v. KREMER: Über die südarabische Sage, 1866, S. X. XIV.
98) Z. D. M. G. 1881 S. 28.
99) VAKIDI S. 401. Sur. 85 (von NÖLDEKE, Gesch. des Korans, doch wohl mit Unrecht beanstandet).
99a) Journ. as. soc. Beng. 1853 S. 77 u. LOTH: Z. D. M. G. 1881 S. 610 ff.
100) MAKRIZI, hist. copt. 323 ff.
101) NÖLDEKE: Tabari S. 191 Not. 1.
102) ASSEMANI, Bibl. 4, 602. Für das folgende vgl. bes. die Abhdlg. von FELL in Z. D. M G. I ff., die griechischen Quellen im 5. Band der BOISSONADE'schen Anekdota.
103) Diese diplomatischen Vorgänge hat uns PROCOP (de bell. pers. 1, 20) angedeutet, die arabische Überlieferung berücksichtigt nur die religiösen Motive.
104) Ibn Ish. 1, 30.
105) RASMUSSEN, Addit. S. 76.
105a) Der Name Zandik ist noch nicht aufgeklärt. SPIEGEI leitet ihn (Z. D. M. G. VII. 104) von Zend ab und übersetzt ihn mit: γνωστιϰός. MAKRIZI legt die Vergleichung mit den Sadducäern an die Hand. Vgl. Not. 10.
106) ASSEMANI, Bibl. 4, 610). 56
107) Um ihre merkantilen Beziehungen zu Syrien und Persien machte sich
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144 Anmerkungen.
besonders ein Urgrossvater von Mohammed verdient. WÜSTENFELD, Chroniken der Stadt Mekka 4, S. 35. Im Wetteifer mit Moh.s Offenbarungen erzählte Nadhr in Mekka die schönen persischen Geschichten von Rostam und Isfendiars: Ibn Ishak I, 142.
108) Vgl. PAYNE-SMITH, thes. syr. nach Sanct. vit. cod. Quatr. 165 v.
109) Vakidy S. 194.
110) Ibn Ishak I, 91. 115
111) l. c. I, 158. Die Erklärung Ibn Hischams ist sehr künstlich. Die Verwechslung mit Schams (worüber FLEISCHER, Z. D. M. G. S. VII, 468), die sonst oft begegnet, liegt auch in anderen Fällen nahe genug, zumal bei den Syrern.
112) Ibn Ishak I, 108.
113) l. c. I, 41
114) Z. B. Ibn Ish. I, 30. Vakidi 73. 91.
115) Vakidi S. 161:
116) Der Herausg. erinnert an Gen. 49. Zakh. 9 u. 10.
117) Epiph. haer. 53.
118) l. c. 53, 1.
119) Vgl. Jerem. 7, 18. Dass die Partei der Mariamiten (MAKRIZI 128) mit den Kollyridianerinnen des Epiphanius (79) identisch ist, ist durch den Namen ihrer Gegner „Antidikomariamiten“ sicher. Sie gehören wieder zusammen mit den Sampsäern, d. i. den südlichen Ebioniten, denn ihr Dogma von dem h. Geist als der Mutter Jesu berührt sich nahe genug mit dem der Sampsäer. Weiter auf die syrischen Chanefim werden wir gewiesen durch die gelegentliche Notiz des Epiphanius, dals diese Richtung aus Skythien stamme: eben auf skythische Einflüsse führt den ersten Manichäismus zurück der Verf. der acta Disputationis Archelai cum Manete. Vielleicht darf man auch wohl die von Epiph. 78, 23 erwähnten Opfer der Landleute in Geapolis (so wohl nach Ammian. Marcell. 23, 6, 45 zu lesen) -- in Arabien -- auf diesen Kult der Mariamiten beziehen.
120) S. o. S. 85 ff., ausserdem der Stamm Dumal el Gandal (Vakidi S. 237), die Quialiten (l. c. 314), die Taglib (von denen aber Ali meinte, sie hätten aus dem Christentum bloss das Weintrinken genommen: BEIDAWI zu Sur. 5, 7; NÖLDEKE, Gesch. des Korans 1860 S. 7) u. a.
121) Z. D. M. G. XXIV, 265 f. (in dem Brief des Jakob von Edessa an Johannes den Styliten in Edessa).
122) Nach DE VOGÜÉ (syrie centrale, inscriptiones semitiques 1877. S. 116) sind die Denkmäler in Petra bis 100 p. C. griechisch: dann wird die geistige Kultur aramäisch.
123) Theodoret. h. e. 4, 23; Sozom. 6, 38 u. Assem. 4, 595.
124) Petra wird nach dem Chalcedonense (451) Metropolis: Assemani 4, 591 ff. Die Behauptung SCHRÖTERS (Z. D. M. G. 24, 265 ff), die meisten christlichen Araber seien Monophysiten gewesen, ist genau so richtig wie die andere, dass sie Nestorianer gewesen. Jedenfalls im Norden wechselte man je nach Bedürfnis und Laune ab mit Nestorius und Cyrill. Vgl. die Erzählung des Theodorus Anagnostus (Theodor. Evagr. Cet. ed. Valesius p. 564) von dem
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145 Anmerkungen.
Alamundarus, welcher Nestorianer wird, weil man ihm erzählt, Michael sei gestorben (das sollte seinem Christus nicht passieren, deshalb folgt er Nestorius): vgl. GUIDI: Z. D. M. G. 1881. S. 142 ff.
125) Bes. GEIGER (Was hat Mohammed aus dem Judentum aufgenommen 1833) und nach ihm die meisten Forscher, auch NÖLDEKE, der überhaupt m. E. von dem orientalischen Christentum zu gering denkt. GEIGER aber hat selbst (S. 64) erklärt, dass er die Hauptdogmen des Islams nicht aus dem Judentum herleiten wolle. Nun wohl, sie sind christlich, in dem Talmud aber ist besonders in dem Kapitel der Haggada so viel Volkssage enthalten (Z. D. M. G. 1877. 245 ff.), dass um die Berührung des Islams mit dem Judentum in diesem Punkte zu erklären, man nicht an die Rabbinen, sondern an das Volk selbst denken muss -- aus dieser Schicht rekrutierten sich aber die Ebioniten. In der folgenden Darstellung kommt es uns vorzugsweise auf die Berührungspunkte in den Hauptthatsachen und Grundideen an. Die Frage, ob Mohammed habe schreiben oder lesen können, ist ziemlich irrelevant. In dem sagenfrohen Orient ist die mündliche Überlieferung, wenn auch nicht so treu, doch gewiss viel geschäftiger als die schriftliche. So erklären sich bei Mohammed sowohl die vielen historischen Ungenauigkeiten in Bezug auf die biblische Geschichte, als die überall zutage tretenden Beziehungen auf dieselbe.
126) Ibn Ish. I, 167. 170
127) Das ist wohl der geschichtliche Kern jener Ammenerzählung (Ibn Ish. 1, 78), dass zwei weisse Männer dem Knaben das Herz herausgenommen und gereinigt hätten.
128) Ibn Ish. I, 94.
129) Ibn Ish. I, 241.
130) Man hat davon m. E. viel zu viel Aufhebens gemacht. Insbesondere hat SPRENGERS grosses Werk (Das Leben und die Lehre des Mohammad 1861 ff.) dadurch etwas so beleidigendes an sich, dass er diese Zufälligkeiten zu erklärenden Hauptursachen macht. Ich fürchte, dass, wenn Mohammed „eine geistige Missgeburt“ war, wie SPRENGER (I, 571) will, dann überhaupt eine gerechte Würdigung weder seiner Person noch seines Werks möglich sein wird. In dieser Rücksicht ist MUIR'S Werk (the life of Mohamet 1877 [2. verkürzte Aufl.]), trotzdem er Mohammed mit Satanas in Verbindung bringt, dem deutschen überlegen.
131) Allzu tiefgehend freilich dürfte man sich die Neigung zur Barmherzigkeit bei ihm nicht denken. Sein Verhalten in der Frage nach dem Loskauf der bei Bedr Gefangenen (Vakidi S. 69) ist hässlich. (Bezeichnend für SPRENGER sind seine Worte I, 359: „Als er in Medina zu Macht gelangt war, verflüchtigte sie (die Tugend) sich und er wurde zum wollüstigen Theokraten und blutdürstigen Tyrannen -- Papst und König.“) Auch die Hinrichtung der 600 Juden ist eine Barbarei, die man nur aus der durch den religiösen Gegensatz angefachten Leidenschaft begreifen kann. Mich dünkt aber, auf das Konto seiner Natur darf man das nicht sofort setzen.
132) Vgl. SPRENGER, L. M. I, 155 ff.
133) Ibn Ish. I, 86.
134) l. c. I, 141.
Bestmann, Die Anfänge des kath. Christentums und des Islams.
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146 Anmerkungen.
185) l. c. I, 194. Vgl. etwas Ähnliches Vakidi 1, 55.
186) Sur. 9 (der Koran übers. von ULLMANN, 8. Aufl. 1881 S. 153).
137) cf. GEIGER, Was hat Moh. u. s. w. 1833 S. 39.
137a) Dass Mohammed je die Rückbeziehung auf Abraham als den Stammvater der Araber nicht gehabt haben solle, ist eine willkürliche Behauptung von S. C. Snouk-Hurgronje: Het Mekkaansche Fest; der Grund dafür, die Unsicherheit in Betreff der Söhne Abrahams, langt doch nicht hin, um das zu beweisen.
138) Vgl. oben S. 29, Not. 48.
139) Das zeigt deutlich das Benehmen der beiden Rabbinen Ibn Ishak I, 9.
140) W. PALLGRAVE, Reise in Arabien 1867. I, S. 6 f.
141) Das Buch Henoch aus dem ersten Jahrhundert vor Christo scheint bei den Judenchristen, die es überarbeiteten, vorzugsweise verbreitet gewesen zu sein. Wir finden es denn auch in Äthiopien und bei den Arabern. Vgl. Ibn Ish. 1, 1.
142) Dies später sehr verdunkelte Verhältnis scheint noch bei Maimonides durch: CHWOLSOHN, Sabier 2, 452.
143) Diese Thesis ist den nördlichen Ebioniten (vgl. die Clementinischen Homilien) wie den südlichen, den Sampsäern, gemeinsam (Epiph. haer. 55, 2) Nach dem Auftreten des Islam scheint ein Teil der Sabier den Abraham fallen gelassen zu haben -- um so eifriger hielt man sich dann an Personen wie Seth, Henoch und Noah.
144) SPRENGER I, 45. 72. 408. 455; II, 92 ff. Mohammed identifiziert auch noch Sur. 2 (S. 14) die Taufe mit der Religion Gottes.
145) Kor. Sur. 2 S. 6. vgl. 5, S. 86. CHWOLSOHN I, S. 101 f.
146) Vgl. die Erzählung bei SPRENGER I, 455.
147) „Ich verrichtete das Salat, die Gebete der Moslim, schon drei Jahre, ehe ich mit Mohammed zusammentraf“, erzählt Quais von sich bei Spr. l. c. Man wird hier auch an die Messalianer, d. i. Euchiten erinnern müssen, die sicher diesen sabisch-manichäischen Kreisen Mesopotamiens entstammen (vgl. Epiphan. haer. 80).
148) SPRENGER führt (I, 75 vgl. III, 54 ff.) Ibn Koteiba S. 174 als Beleg für die asketischen Übungen bei den Hanifen an. Bei gewissen Gelegenheiten, z. B. vor der Schlacht, fasteten auch die alten Araber (WELLHAUSEN, Vakidi S. 402), aber als religiöse Sitte ist es bei ihnen nicht nachweisbar.
149) Deren unarabischer Charakter auf der Hand liegt.
150) Ibn Ish. 1, 306.
151) Ibn Ish. 1, 113. Ibn Hischam hat uns dazu die wertvolle Notiz bewahrt, die Mekkaner hätten tahannuth = Bussübungen und tahannuf = hanifisch handeln, promiscue gebraucht.
152) Ibn Ish. 1, 114.
153) Dieses erste Stadium vertritt zur Zeit der Prophet in Jamama, der unter dem Namen Mosailima („Moslimchen“) von Mohammed lächerlich gemacht ist, den die Araber selbst von dem Worte der „Barmherzige“ (Gott), das er immer im Munde führte, el rahman nannten (SPRENGER 3, 304 ff,). Auch
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147 Anmerkungen.
Mohammed weiss sich anfangs durchaus nur als einen unter mehreren, Sur. 10 (S. 167); Ibn Ish. 1, 141; er will kein Neuerer sein: Sur. 46 (S. 433, 154).
154) SPRENGER I, 333 ff.
155) Zu dieser ebionitischen Identifikation vgl. ob. S. 134, Not. 102. Moh. selbst denkt an eine ähnliche Erscheinung Jesu bei Ibn Ish. 1, 107.
156) Ibn Ish. 115.
157) Ibn Ish. 1, 210. Doch vgl. die folgende Anm.
158) In der Vorstellung von den Ginn ist meines Erachtens in den ältesten Überlieferungen manches Widerspruchsvolle. Mit aller Bescheidenheit, die einem Nichtorientalisten Pflicht ist, gestatte ich mir darüber hier einige Vermutungen, die auch in dem Text zum Ausdruck gekommen sind.
Die Anschaulichkeit der arabischen Redeweise zugegeben, wird man es doch nicht wahrscheinlich machen können, dass in dem von Ibn Hischam 1, 101 aufbewahrten alten Liede von Geistern die Rede ist. Denn die pflegen doch sonst nicht in ihrer Verzweifelung „den Kamelen weiche Sattelkissen aufzugürten und nach Mekka zu gehen, um die „Leitung“ zu suchen“. Auch die 1, 210 erzählte Geschichte, wie die ganze 72. Sure des Koran und alles was von dem „Lauschen“ der Ginn erzählt wird, hat Sinn und Verstand, wenn es auf richtige Menschen von Fleisch und Blut bezogen. Vielleicht dass manche Erzählungen der Araber über Bauwerke der Ginn u. s. w. ebenfalls durch diese Annahme ein besseres Aussehen bekommen. Die Übertragung auf die Geisterwelt rührt her von einer Verwechslung der Worte. Das arabische „Ginn“ kommt wohl wie so manche andere Worte (vgl. A. v. KREMER, Geschichte der herrschenden Ideen des Islams, 1868, S. 226, Journ. asiat. Soc. Beng., 1853: über die Fremdwörter im Koran) aus dem Lateinischen, ist also von genius, nicht dieses von jenem (SPRENGER 1, 221), herzuleiten und zwar wohl durch Vermittelung des Syrischen. Nun gibt es aber ein ähnliches Wort, das von γένος kommt und im Syrischen die „gentiles“, die „populares“ bezeichnet.
Wer waren diese „populares“? Mohammed spricht einmal von "Ummija = populares (SPRENGER 2, 401, Sur. 2, 73, S. 8). Am ersteren Orte nennt Mohammed die Magier, d. i. Perser, im Gegensatz zu den Hellenen, den Schriftbesitzern. also den Katholikern, so. Am anderen Orte spricht er von Judenchristen (denn sie nennen sich selbst Gläubige): auch unter ihnen gebe es Ummier, welche nicht die Schrift, sondern nur die Spekulationen (amānij) kennen. Endlich nennt ihn ein jüdischer Prophet (SPRENGER 3, 31) einen Propheten für die Ummier. Ist nun dieser Ausdruck ein syrischer und ausserdem ein technisch-dogmatischer (die Urbedeutung illiteratus ist ja nicht ausgeschlossen), dann wird man sich erinnern dürfen, dass die Ebioniten das Gros ihrer Gemeinde λαιϰόι nannten (Gesch. d. christl. S. 2, 1. S. 114, dazu GEIGER : Was hat Moh. S. 50), dass wir in den Audianern Mesopotamiens einen Absenker der Manichäer vor uns haben (Theodoret. h. e. 4, 9), welche auf geheime Schriften und Visionen statt auf die beiden Testamente ihre Lehre und Hierarchie gründeten (HOFFMANN in den Abh. für die Kunde des Mglds. 1881. S. 122 ff.). Das werden die „Ginn“ gewesen sein, die nach Sur. 72 eine ähnliche Offenbarung über die Einheit Gottes wie Muh. gehabt („gelauscht“) haben, die aber die Auferstehung leugneten. Sie heissen deshalb bei Barhebräus
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148 Anmerkungen.
chron. 2, 101 (ed. Abb. Lam.) Anhänger des Bardesanes (vgl. Not. 1094 bei G. HOFFMANN l. c.). Aus dieser sehr verständlichen Geschichte hat die bewegliche Phantasie der Araber (bei Ibn Ish. 1, 97 ff.) einen himmlischen Vorgang gemacht und in der Weise der Gnostiker ihn ausgeschildert. Dass sie nicht mehr lauschen können, wird dann aber (l. c. 1, 99) ganz richtig dahin interpretiert, dass es mit deren Weissagungen bei den Arabern nun zu Ende ist. Die Beziehung auf die Kahin ist natürlich ganz willkürlich -- auch heisst es, die Araber kehrten sich nicht daran (S. 98).
159) Ibn Ish. 1, 101.
160) l. c. 1,156 ff. Die Zahl ist trotz der Liste bei Ibn Ishak wohl nicht richtig. Chalid (SPRENGER 2, 2) weiss bloss von circa 6. 83 ist, wie es scheint, den 70 + 12 + 1 Aposteln Jesu nachgebildet. Vgl. die 70 Jünger bei Vakidi S. 153.
161) Ibn Ish. 2, 217
162) Das folgt doch daraus, dass die Beschwörungssuren 113 und 114 wohl dieser ersten Zeit entstammen (NÖLDEKE, Gesch. des Korans S. 85), aber auch in den übrigen mekkanischen Suren findet man noch nicht so entschieden das subjektive Moment des credo in den Vordergrund gestellt.
163) Bei SPRENGER 1, 321.
164) Vakidi S. 70.
165) Ibn. Ish. 1, 175.
166) SPRENGER 2, 56.
167) l. c. 1, 356 ff.
168) Sur. 2 u. a. Passim.
169) Die Idee KUENENS, dass die Hanifen überhaupt ihr Dasein erst diesem Prädikat Abrahams verdanken, ist ziemlich unglücklich. (Volksreligion und Weltreligion S. 19 [1883]). Abraham heisst ihm sonst noch hin und wieder Ziddik, was wohl an die angeblichen Sadduzäer in Syrien erinnert. S. 137, n. 10
169a) Sur. 21 S. 275.
170) Ibn Ish. 1, 105 ff.
170a) Wenn nämlich die Erzählung von Salman, die wir Ibn Ish. I, 107 lesen, die ältere Form der vorhin erwähnten ist: denn in ihr wird hingedeutet auf einen Propheten von den „Kindern des Heiligtums“.
171) Sur. 2. S. 14. 15.
172) Sur. 2. S. 10.
173) Sur. 5. S. 87.
174) Sur 5. S. 87. Die wütende Sure 47 mit ihrem: „schlagt den Ungläubigen die Köpfe ab“, ist wohl nur aus einer momentanen Erregung zu begreifen.
175) Denn dass er die Kiblah erst in Medina nach Jerusalem orientiert habe, ist eine blosse Vermutung. Es war das ein altes Erbstück der Ebioniten Iren. 1, 26.
176) Anderthalb Jahre nach seiner Ankunft in Medina. Ibn Ish. 1, 281.
177) SPRENGER 1, 389. Die Enthaltung von Wein, worin übrigens Mohammed Vorgänger hatte, hängt gewiss auch mit dieser Wendung zusammen: Sur. 4, S. 60.
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149 Anmerkungen.
178) Sur. 2. passim. 34, S. 369. SPRENGER 3, 261 ff.
179) Die prädikative Bezeichnung Mohammed = παράϰλητος ist allerdings bestritten (z. B. von NÖLDEKE, Gesch. des Kor. S. 6). Ibn Ishak 1, 112 führt das Wort auf die syrische Übersetzung des παράϰλητος (Johs. 16, 7) zurück. παράϰλητος bed. den Herbeigerufenen, den hilfreichen Beistand. Leitet man Mohammed von dem hebr.-chald. hamad = ersehnen ab, so bedeutet es: der Ersehnte, was wohl als Übersetzung von παράϰλητος gelten kann. Nun ist aber hamida arabisch = preisen und daher deutet M. seinen Namen als „Gepriesener“. Das Vorkommen dieses Namens vor Mohammed selbst bedarf noch einer genaueren Untersuchung, ehe es als Gegeninstanz verwendet werden kann. Übrigens vgl. SPRENGER 1, 155 ff.
180) Ich kann mich nicht davon überzeugen, dass Moh. von Haus aus in Suren gesprochen hat, obgleich grade Illiterate (wie J. BÖHME) das Geschriebene über die Massen zu schätzen pflegen. Das Mittelglied zwischen Evangelium und Koran ist vielleicht der Forkan (Spr. 2, 337 ff.). Wie bei den Evangelien wird erst die mündliche Tradition sich krystallisiert haben und er dann der Redaktor seiner eigenen Effata geworden sein. Vgl. NÖLDEKE, Gesch. des K. 266: SPRENGER (3, XVIII ff.), über dessen seltsame Meinung von den Milla Ibrahim vgl. 1, 50 ff.
180a) Eine zusammenhängende Darstellung der Lehre des Korans fehlt. Ein Versuch wurde gemacht in der Tübing. Zeitschr. für evang. Theol. 1831. GARCIN DE TASSY: L'islamisme 1874; BARTH. ST. HILAIRE: Mahomet et le coran 1885 und v. KREMER: Kulturgeschichtl. Ideen 1868 genügen ihrer Aufgabe nicht.
181) Was wir Ibn Ish. 1, 141; 176 lesen, ist gewiss nur das Echo der Reden Mohammeds.
182) Sur. 24. S. 298.
183) Sur. 39. S. 401.
184) Sur. 10. S. 163.
185) Schon von HERDER gepriesen. Sur. 6. S. 100. Das jüdische Vorbild (bei GEIGER, Was hat Moh. S. 123 f.) setzt die Schönheit der Erzählung Mohammeds nur in ein noch helleres Licht.
186) Bei Ibn Ish. 1, 41.
187) SPRENGER 2, 200.
188) Sur. 4 S. 58 zählt Moh. 7 Haupt- (Tod-)Sünden auf. Mishk. ul Mas. 1, 9.
189) Ibn Ish. 1, 235.
190) Der Gedanke: „Gott führet in den Irrtum, wen er will, und leitet, wen er will“ (Sur. 14. S. 202) wird in den späteren Suren oft angeschlagen und variiert.
191) Diese Partie des Koran hat begreiflich schon früh die wissenschaftliche Neugierde erregt. Aus der neueren Zeit vgl. besonders GEROCK, Die Christologie des Koran 1839. Aus ihm sind die meisten neueren Darstellungen geflossen. Doch vgl. RÖSCH in den Stud. u. Kritiken 1876 und Sayous Jesus
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150 Anmerkungen.
Christ d'après Mahomet 1880. Das Einzelne ist von diesen Bearbeitern klargestellt, so dass wir es nicht zu wiederholen brauchen.
192) Sur. 3 S. 38.
193) Man wird hierin wohl die Tradition und die Exegeten des Koran als die berufenen Erklärer der Koranstellen angehen müssen (GEROCK l. c. S. 41). Eine ähnlich aus dem neugierigen Spürtrieb der Ebioniten entsprungene Tradition findet sich bei vielen Gnostikern, ja lässt sich verfolgen bis ans Portal des Würzburger Doms.
194) Die Sache ist oft besprochen. Zuletzt noch von SAYOUS l. c. S. 35 ff.
195) Wir begegnen derselben Idee in den „Testamenten der zwölf Patriarchen“, wo sie schwerlich ursprünglich ist.
196) Sur. 3, S. 35; 4, S. 73.
197) Ibn Ish. 1, 176.
198) GEROCK S. 78 ff. Es scheint sogar, dass Mohammed zuletzt versucht hat, auch der wunderbaren Geburt Jesu das Besondere zu nehmen, das ihr noch die Ebioniten gelassen hatten: vgl. GEROCK l. c. S. 36 f. Sur. 19, S. 252.
199) Ibn Ish. 1, 298 f.
200) Sur. 17, S. 231.
201) Ibn Ish. 1, 38.
202) Sur. 101.
203) Der Gedanke schon angedeutet in der angeblich ersten Sure: 96.
204) Sur. 14. S. 209 u. oft. Vgl. die Mediner Ibn Ish. 1, 247.
205) Die Worte Sur. 2, S. 25: „Die, welche es geloben, sich von ihren Weibern zu trennen, sollen vier Monate es bedenken“, kann ich nicht anders verstehen.
206) Sur. 37, S. 383.
207) Vgl. M. WOLFF: Muhammedanische Eschatologie 1872.
208) Sur. 28, S. 341.
209) Sur. 13, S. 204.
210) Vgl. die schöne Abhandl. von STEINER über die MuAatxottazaliten 1865.
211) Vgl. L. KREHL: Beitr. z. Charakt. der Lehre vom Glauben im Koran (1877) S. 8.
212) Trotzdem es Sur. 24, S. 298 steht.
213) Grade Sur. 24 ist ein Beweis dafür.
214) Sur. 9, S. 147. Vgl. Sur. 33, S. 357.
215) Ibn Ish. 1, 250.
215a) Ev. Missionsmagaz. 1876 S. 77 ff.
216) Vgl, oben S. 146. n. 147, auch den Bericht über die Gebete der Sabier bei CHWOLSOHN 2, S. 499 f. Über das Formale des Ritenwerkes überhaupt vgl. Miskat ul-Masabih, transl. by Matthews 1809. I, 12 ff. 70 ff. 404 ff. Hinsichtlich der Abstammung der Fastengebote von den christlichen Satzungen vgl. SPRENGER III, 54 ff.
217) s. o. S. 146. n. 151.
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151Anmerkungen.
218) Ibn Ish. 1, S. 118.
219) Ibn Ish. 2, S. 152. 159.
220) Vgl. RITTER, Erdk. 13, 2, S. 68 ff. Die Hinderung des Opfers Ibrahims ist der relig. Ausdruck für die Hinderung der ganzen Institution.
221) DÖLLINGER, Muhammeds Religion 1838. Ein Pendant zu dess. Verf. Kirche und Kirchen 1861. Unbefangener urteilt PISCHON: Der Einfluss des Islam etc. 1881.
222) Sur. 2, S. 18.
Quelle:
Die Anfänge des katholischen Christentums und des Islams: eine religionsgeschichtliche Untersuchung von H. J. Bestmann. Nördlingen. Verlag der C. H. Beck'schen Buchhandlung. 1884.
Hinweis: Das Buch wurde durch die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt 2020 eingescannt. Es ist im unter dc.identifier.uri http://dx.doi.org/10.25673/32553 verfügbar.
Link: https://opendata.uni-halle.de/handle/1981185920/32738?mode=full
Hugo Johannes Bestmann war Lehrer an der Latina der Franckeschen Stiftungen in Halle (Saale) und 1884 auch Privatdozent an der Theologischen Fakultät Halle. Anfang März 1884 wurde er in Halle zum Dr. phil. promoviert. 1917 verlieh ihm die Theologische Fakultät der Universität Rostock die Ehrendoktorwürde. Weitere Stationen seines Lebens werden in Wikipedia (Stand 13. Januar 2020) aufgezeigt.
F. Nork 1835: Mythen der alten Perser
Bild 1
Die Geburt des Gottes Mithra
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Mythen der alten Perser als Quellen christlicher Glaubenslehren und Ritualien
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Nach den einzelnen Andeutungen der Kirchenväter und mehrerer neuerer Gelehrten zum Erstenmale systematisch dargestellt von F. Nork.
Nil novi sub sole. Prov. Sal.
Bild 2
Die drei Weisen bringen dem neugebornen Gotte Geschenke
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Leipzig bei Ludwig Schumann 1835.
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Mythen der alten Perser als Quellen christlicher Glaubenslehren und Ritualien.
Nach den einzelnen Andeutungen der Kirchenväter und einiger neuern Gelehrten
zum Erstenmale systematisch aneinandergereiht von F. Nork
Nil novi sub sole.
Prov. Sal.
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Leipzig, Verlag von Ludwig Schumann. 1835.
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III
Vorwort.
Welches ist das Interesse, das die Lectüre biographischer Schriften uns einzuflößen vermag? Unmöglich kann unsere Begeisterung für einen großen Dichter, Philosophen oder Gesetzgeber durch eine umständliche Beschreibung seiner Kinderspiele oder durch die getreue Schilderung seiner prosaisch-bürgerlichen Bedrängnisse im reifern Alter u.s. f. noch mehr gesteigert werden; weit gewisser wird durch solche Mittel das Gegentheil bezweckt. Also nur, weil die Lebensbeschreibungen berühmter Männer uns auch die Ursachen vorführen, welche auf die spätere Bedeutsamkeit und auf die günstigere Entwicklung eines Riesentalentes mit einwirken halfen, nur darin ist der Reitz, welchen jene Gattung von Schriften für das Lesepublikum hat, aufzusuchen. Durch sie erfahren wir, das schon der Vater
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IV
dieses oder jenes berühmt gewordenen Mannes dem Gelehrtenstande angehörte, folglich in uns die Frage entstehen läßt: „Wer weiß, ob der Allgefeierte, dessen Geisteserzeugnisse auf spätere Jahrhunderte noch einwirken werden, nicht in der tiefsten Verborgenheit ein obscures Leben hin vegetirt hätte, wenn sein Erzeuger ein simpler Handwerksmann gewesen wäre, welcher den Geistesfunken seines Sohnes nicht anzufachen verstand?
Dieses Gleichnis paßt vollkommen auf die Tendenz der gegenwärtigen Schrift, und die geehrten Leser können füglich nach Beendigung derselben folgenden Schluß ziehen: „Wer weiß, ob das Christentum über alle andern Religionen der Erde einen so entschiedenen Sieg gewonnen haben würde, hätte es nicht so viele seiner Bestandtheile aus der Zoroasterschen Lehre entlehnt, welche schon vor Moses den Völkern gezeigt hatte, das eine Glaubensform auch ohne Idolatrie denkbar sey?“ Allerdings konnte sie, im Vergleiche zu dem viel später, aus ihr und der mosaischen Lehre, hervorgegangenen Christenthume – wie der Verfasser in dem Schlußworte zu der gegenwärtigen Schrift ausführlicher darthun wird – ungeachtet der vielen von den griechischen Historikern und Philosophen
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V
ihr ertheilten Lobsprüche, sich noch bei weitem nicht jener Reinheit rühmen, welche der Lehre Christi zu dem Ruhme verhalf, in ihrer Trefflichkeit die gewisseste Bürgschaft für eine himmlische Abkunft auffinden zu lassen.
Von diesen Betrachtungen entfernt sich der Verfasser nur, um seinen Lesern das Befremden auszudrücken, daß ungeachtet unsrer schreibseligen Zeit noch Niemand früher daran gedacht hatte, die einzelnen hie und da eingestreuten Andeutungen der Theologen und Alterthumsforscher, welche eine fortlaufende Parallele des Parsismus mit dem Christianismus zu bieten vermochten, in systematischem Zusammenhange der Lesewelt zu übergeben? Alle Gelehrte, welche in ihren antiquarischen Untersuchungen diesen Gegenstand berührten, gaben nur gelegenheitlich ihre Verwunderung über so viele in beiden Glaubenslehren sich darbietenden Aehnlichkeiten zu erkennen. Richter und insbesondere Prof. Rhode, weniger schon die von dem Offenbarungsglauben durchdrungenen und also ängstlichern Gelehrten Kleuker (in seiner Uebersetzung des Zend-Avesta) und Seel (Mithra-Geheimnisse der vorchristlichen Zeit, Aarau 1823) verschafften durch den Reichthum der, in ihren Werken, diese Tendenz aussprechenden Fragen dem
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VI
Verfasser Materialien zur Genüge, um ein Gebäude aufzuführen, woran er sich nicht gewagt hätte, wenn die Berufenern und Würdigern mit einem ähnlichen Unternehmen nicht bis auf diesen Tag vergeblich auf sich warten ließen.
R.
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VII
Inhalts - Verzeichniß.
Seite
Vorwort III
Einleitung 1
Rückblick auf die älteste Geschichte der Perser 9
Von den canonischen Schriften der Perser 33
I. Vom Urwesen (Zervane) 48
II. Auch der Parsismus ist eine Religion des Lichts 53
III. Auch die Ormuzdreligion ist eine geoffenbarte 57
IV. Honover (der Logos) 58
V. Ormuzd (Gottes Sohn) 60
VI. Zoroaster, Versuch einer Parallele desselben mit Jesu
als Reformator einer schon bestehenden Religion 68
VII. Mithra (der Mittler) 76
1) Das Geburtsfest des Mithra wird auch am 25sten
Dezember gefeiert. Ist es älter als das Weihnachtsfest?
Beantwortet vom Pater Harduin 76
2) Die Lehre von der Genugthuung Christi war schon
in den Mithra-Mysterien enthalten 81
3) Auch die drei Weisen aus dem Morgenlande 82
4) Auch Mithra heißt: der Mittler 83
5) Auch eine Wassertaufe 87
6) Auch die Firmelung 88
7) Auch die Feier des heil. Abendmahls 88
8) Auch das Geheimnis der Dreifaltigkeit 89
VIII. Von guten und bösen Engeln 91
IX. Schöpfung der Körperwelt, Paradies, Sündenfall 122
X. Vom Weltende, Auferstehung der Todten und jüngsten Gericht 140
XI. Unsterblichkeit der Seele 148
1) Die Lehre von der Präexistenz 148
2) Hölle 149
3) Fegfeuer und Seelenmessen 150
4) Aufenthalt der Seligen 150
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VIII
Seite
XII. Parsismus und Katholicismus, eine Parallele 153
1) Anrufen der Heiligen 153
2) Schutzpatrone 153
3) Pater noster 154
4) Kindertaufe und Confirmation 155
5) Form des Gottesdienstes 156
6) Die Messe 157
7) Weihwasser 158
8) Priesterliche Kleidung 158
9) Zehnten 159
XIII. Auch ein Schlüssel zur Apokalypse 159
Schlußwort 168
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1
Einleitung.
Fast alle civilisirten Völker des Orients hatten dem Lehrsatze der Braminen, das die materielle Schöpfung nur das geringere Abbild einer intelligiblen (unsichtbaren) Welt sei, auch in ihren eigenen Religions-Systemen Eingang verschafft. Wenn nun die fleißigen Forschungen der Physiker sie zu dem Ausspruche ermunterten, das es in der Natur keinen Sprung gebe, sondern nur allmählige Ausbildung ihrer Stoffe bemerkt werde; wenn sie den Einwendungen jener Bibel-Leser, die sich an den Buchstaben halten und daher das plötzliche Entstehen Adams aus einem Erdenkloße annehmen, zu entgegnen wagen, das dies physisch unmöglich sei, indem nur der geringste Theil am Menschen Erde, und er aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzt ist; auch erklärend hinzufügen, das alle Erzeugnisse der Productionskraft einen kleinen unmerklichen, daher für uns nicht erkennbaren Anfang haben, weil alle Körper ohne Ausnahme aus den feinsten Theilen der Materie, aus Gasarten zusammengesetzt sind; und selbst das Ei und das Samenkorn schon ein sehr künstlich organisirtes Produkt der Lebenskraft ist, in welchem die künftige Pflanze, das künftige Thier mit dem Vergrößerungsglase schon ziemlich erkannt werden können, warum sollte der Satz, das jede Ausbildung nur allmählig fortschreite, nicht auch in der moralischen Welt so wie in der physischen seine Anwendung finden? Die Geschichte fast aller Völker des Erdbodens lehrt uns, das sie lange Zeiträume im geistigen Entwickelungsprozesse begriffen waren, das der Anfang aller Religionen roher Fetischdienst gewesen, bis ein Konfutsee, Menu,
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2
Zoroaster, Orpheus, Moses u. a. Männer von höherm Geiste und edlerm Herzen sich zu Religionsverbesserern, Staatenstiftern und Bildnern ihrer Zeiten aufgeworfen.
Wenn wir dem stufenweisen Aufwärtsschreiten der religiösen Ausbildung der Völker mit aufmerksamen Blicken folgen, so er kennen wir in Zoroasters Religions-System einen verfeinerten Buddhaismus, (der selbst schon eine Veredlung des mehr zum Fetischdienste sich hinneigenden Bramaismus genannt werden konnte,) und in der Folgezeit am Formiren des Christenthums mithelfen sollte, welche Wahrheit umfassend nachzuweisen der Verfasser dieses Werkes sich zur Aufgabe gestellt hat.
Zwar werden die Verfechter der Offenbarungslehre an diesem Ausspruche großes Aergernis nehmen, und nicht zugeben, das eine Verwandschaft des Christenthums mit einem heidnischen Religionssysteme geglaubt werde. Hierauf läßt sich entgegnen, das die Offenbarungslehre zuerst auf der Synode zu Ephesus im Jahre 431 dekretirt *) wurde, nachdem die Synode zu Nikäa vom Kaiser Constantin selbst für inspirirt erklärt worden war. Es kann daher keinem redlichen, freimüthigen, unbefangenen Denker einfallen, in unserm Jahrhunderte der Idee von Offenbarung huldigen zu wollen, insofern dieselbe auf eine die Gesetze der Natur, der moralischen und intellectuellen, der Bildung des Verstandes und Herzens beschränkende Weise bewirkt werden soll. Mit Recht fragt Wegscheider daher in seiner Dogmatik: (Vorrede S. 17.) „Jahrhunderte bedarf der Mensch, um in Erkenntnis einer Naturwahrheit sicher zu werden, sollten ihn in der Erkenntnis übersinnlicher Wahrheiten übernatürliche Mittel leiten?“
Laßt uns daher auch an eine allmählige, nicht aber eine mittelst Inspiration künstlich übereilte religiöse Vervollkommnung der Völker glauben. Die Reformation der christlichen Kirche durch Luther ist ja ein abermaliger Beweis für die Echtheit der oben aufgestellten Behauptung, das auch in der intellectuellen Welt
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*) Sokr. Hist. Eccles. I. VII. c. 34.
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3
wie in der politischen und physischen kein Stillstand denkbar sei, und das selbst das Christenthum noch einer Umbildung bedurfte. Und selbst Luther empfahl ein Fortschreiten auf dem von ihm bloß bahnbar gemachten Wege!!
Das Prädicat „Gottbegeistert“ läßt sich nicht bloß auf die Propheten und Apostel, sondern auch auf andre Männer, welche zur Verbreitung der Humanität mitwirkten, wie Plato, Sokrates, Antonin, Seneca u. s. w. anpassen. „Alle diese Männer“ – sagt Richter *) – „wirkten im höhern oder niedern Grade als Geister einer bessern Welt in Menschengestalt, und was sie thaten, war nicht ihr Werk, sondern Gottes, dessen Willen sie ausrichteten. Daher auch der hohe Glaube, die Freudigkeit, der Muth, die Entschlossenheit, womit ein Sokrates, Huß u. A. ihr Leben für die Wahrheit ihrer Lehre opferten. Denn diese Gemüthsstimmung kann nur aus der innigen Ueberzeugung entspringen, das wir wahrhaft das Gute wollen, das unser Wille ein Abdruck des göttlichen ist. Unter allen aber, welche so als Diener Gottes auf der Erde erschienen, steht am höchsten und reinsten da Jesus von Nazareth, der wahre Anfänger und Vollender eines reinern bessern Glaubens. Ihm kommt im besondern Sinne das große und einzige Verdienst zu, die wahre Religion vom Himmel auf die Erde gerufen zu haben. Er war es, der das, was eigennützige Priester und Magier für sich behielten, und nur wenigen Auserwählten offenbaren zu müssen glaubten **), allen Menschen ohne Unterschied mittheilte, sie aus der Knechtschaft des Aber- und Unglaubens zur wahren Freiheit der Kinder Gottes erhob, und so die Vielgötterei stürzte, statt der verschleiernden Symbole, die für jene Zeit nicht mehr paßten und daher gar nicht mehr verstanden, oder selbst mißverstanden und von entarteten Völkern auf die
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*) Das Christenthum und die ältesten Religionen des Orients S. 324. (Lpz. 1818).
**) Auch die Parsen erkannten einen unkörperlichen anfanglosen Schöpfer der Welt, wie in der Folge gezeigt werden wird.
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4
empörendste Weise gemißbraucht wurden, eine Religion des Geistes einführte, die mehr als alle vörangegangenen im Character einer wahren Lichtreligion auftrat, aller Hüllen und symbolischen Räthsel sich entledigte und nicht im äußern Cultus, sondern in thätiger Menschenliebe und strenger Ausübung aller Pflichten die Glückseligkeit und die Vereinigung mit Gott finden lehrte.“
Nach dieser kurzen Abschweifung von dem uns vorgesteckten Ziele bemerken wir wiederholt, das eine Verwandtschaft des Christenthums mit den Mythen der alten Perser nicht geläugnet werden könne, und das schon einige Kirchenväter, weil sie besorgten, das die auffallende Aehnlichkeit beider Religionsformen den Skeptizismus der Christen fördern könnte, was sich nicht mehr läugnen ließ, als Einfluß des Teufels (!!) erklären wollten. So erzählt Justinus Martyr: „Brod und Wein wird auch in den Mysterien des Mithra gereicht, worin die bösen Dämonen uns (das heil. Abendmahl) nachahmen; denn zu den Ceremonien des Einzuweihenden gehört auch, das man ihm Brod nebst einem Becher mit Wein giebt, und dabei gewisse Formeln spricht, wie ihr wisset oder doch leicht erfahren könnt *).“
In diesem Nachsatze hat der Kirchenlehrer unläugbar seine geistliche Angst verrathen, das ihm um das künftige Wohl der christgläubigen Schäflein bange sei, weil vielleicht eines derselben zu Beobachtungen sich aufgelegt fühlen könnte, was dann auch zu Vergleichungen führen würde, und nach seiner Meinung dem Christenthume nicht durchaus förderlich seyn dürfte.
Eine ähnliche Vorkehrung hatte bei ähnlichen Besorgnissen ein anderer Kirchenvater veranstalten zu müssen geglaubt. „Der Teufel“ – meint der ehrliche Tertullian – „ahmt in jenen
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*) ΟπερχαιξντοιςτουΜιϑρου μυδτεριοις παρεδωχαν γενεσαι μιμησαμενοι οί πονηροι δαιμονες ότιγαράρτοςχαιποτηριονύδατος τιδεται ξν ταις του μυουμενου τελεταις, μετ ξπιλογον τινον,ήεπιστασϑε, ήμαϑεινδυνασϑε. (Apol. II.)
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Mysterien der Götzendiener unsere heiligen Gebräuche in vielen Stücken nach. Auch seine Verehrer und Gläubigen unterziehen sich der Taufe, als Reinigungsmittel zur Abwaschung ihrer Sünden; und wenn ich mich noch erinnere, so zeichnet auch der Teufel in den Mithrageheimnissen die Eingeweihten an der Stirne, läßt ihnen das geweihte Brod reichen, auch dort ist ein Bild der Auferstehung eingeführt u. s. w.“ *).
In einem andern Tractate (de Cor. Milit.) kömmt er wie der auf dieses Thema zurück und macht seinem frommen Unwillen in folgenden Worten Luft: „Agnoscamus ingenia Diaboli, idcirco quaedam de divinis (also nicht alles!) adfectantis, ut nos de suorum fide confundet.“
Wir wollen es auf sich beruhen lassen, ob der Teufel auch hier unmittelbar im Spiele gewesen; dies läßt sich jedoch mit Gewißheit bestreiten, das die Ceremonien in den Mithrageheimnissen bloße Nachahmung des Christenthums gewesen seyn sollten; denn abgesehen davon, das selbst die mosaischen Gesetze eine Copie der heiligen Schriften der alten Perser genannt werden konnten, wie dies Rhode in seinem gelehrten Werke: „Die heilige Sage des Zendvolkes,“ (Frankfurt, Herrmanns Verlag 1820. S. 418 bis 460.) erfolgreich und umständlich nachgewiesen hat, und dessen Beweise hier ebenfalls angeführt worden wären, wenn nicht das Christenthum ausschließlich und allein die Aufmerksamkeit dieser Schrift, ihrer Tendenz gemäß, in Anspruch nähme; so müssen wir die Beschuldigung der beiden Kirchenlehrer schon deshalb als unkräftig und unhaltbar verwerfen, weil es nicht denkbar ist, das zwei Jahrhunderte nach der Stiftung des Christenthums die persischen
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*) A Diabolo – qui ipsas quoque res sacramentorum divinorum in idolorum mysteriis aemulatur. Tingit et ipse quosdam utique credentes et fideles suos: expiationem delictorum de lavacro repromittit, et si adhuc memini Mythrae, signat illic in frontibus milites suos, celebrat et panis oblationem, et imaginem resurrectionis inducit, et sub gladio redimit co ronam (de Praescr. Haeret. p. 103. Ed. Bas. 1521).
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Priester aus einer erst entstandenen Religion den Grund ihrer Opfer hernehmen sollten? Mußten sich Priester des Mithra nicht vielmehr nach den Römern bequemen, die ihnen eben erst den Zugang vergönnt hatten, und ihren Gottesdienst nachahmen, wenn sie einmal nur nachahmen wollten, als die Gebräuche einer verbannten Religion unter sich aufnehmen? Als Anhänger der Zoroasterschen Lehre thaten sie, was die Parsen in Yezd *) noch jetzt thun, und was ihre Väter im ersten Jahrhunderte des Christenthums thaten. Die Ceremonie mit dem Homsaft, welche Plutarch (de Iside et Osiride) anführt, scheint etwas Aehnliches mit der Einsegnung des heiligen Bechers zu haben, aber auch Melchisedek opfert als Priester des Allerhöchsten und König von Salem (Genes. cap. 14. v. 18) Brod und Wein, nachdem Abraham gesiegt hatte. Wollte jener Kirchenvater consequent bleiben, so hätte er auch Melchisedek, gleichwie die Priester des Mithra, beschuldigen sollen, christliche Gebräuche abgeborgt zu haben!
In solche Widersprüche geräth man, wenn man für eine Idee oder Sache allzusehr enthusiasmirt ist. Auch in der heiligsten Angelegenheit des Menschen ist Befangenheit tadelnswerth, und es wird die Sache der Religion nicht gefördert, wenn man im blinden Eifer für sie kämpft. Die Gegner finden dann mehrere Blößen auf, und locken den Sieg auf ihre Seite. Lernt endlich die Vernunft als eine Waffe zur Vertheidigung der Religion und nicht zur Bekämpfung derselben handhaben, und ihr werdet durch den Erfolg die Ueberzeugung gewinnen, das sie auch dem Gläubigen gute Dienste leiste; denn die Vernunft ist uns von Gott gegeben, sie kann daher nicht
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*) Der einzige Ort Persiens, wo sich die Ghebern als die von den Mahomedanern sehr verfolgten und verachteten Bekenner der Zoroasterschen Lehre jetzt noch aufhalten. Auch dort hat die Natur sich toleranter und vorurheilsfreier, als die Menschen bewiesen, denn es lautet in Persien ein Sprichwort: „Schön wie die Weiber von Yezd!“ woraus ersichtlich wird, das die gerühmte Schönheit der Jüdinnen ein Geschenk sei, worein sich die gleichfalls verachtete Religionsparthei der Guebrn mit ihnen getheilt zu haben scheint.
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zur Vereitlung seiner Zwecke dienen. Sagte doch Luther schon: „Was gegen die Vernunft ist, das ist auch gegen Gott, denn wie sollte das nicht gegen Gott seyn, was gegen die Vernunft ist, da er doch die Vernunft uns geschenkt hat?“
Last uns daher wiederholt die Behauptung aussprechen, das die moralische Natur sich aus ihrem Abbild, der physischen, so wie diese aus jener erklären lasse; und wie uns die Naturforscher versichern, das das allmählige Ausbilden der Geschöpfe noch an den Insekten bemerkt werden könne, weil diese Thierklasse noch jetzt einer Menge Verwandlungen unterworfen ist, – denn die erste unterste Stufe ihrer Entstehung ist eine unförmliche Made, ein ungestalteter Wurm, welcher sich in ein Thier mit Füßen, schon eine vollkommnere Stufe, und endlich gar in ein Thier mit Flügeln verwandelt – so erzählen uns die Historiker aller Völker von den ersten Uranfängen des religiösen Cultus der Nationen, welcher in einem fortwährenden Läuterungszustande befindlich, mit jedem Jahrtausende an Veredelung gewinnt. Ohne diese erfreulichen Wahrnehmungen wäre jene geistreiche Hypothese nicht ins Leben gerufen worden, daß, gleichwie der Polype den Uebergang vom Pflanzenreiche zur Thierwelt bildet, so der Mensch (also nicht ausschließlich der Christ!) ungeachtet seiner noch halbthierischen Substanz, doch dessen andere bessere Hälfte in die Geisterwelt hinein rage. Dieser bessere Theil seines Ichs ist aber die Vernunft, welche ihn zum Denken und folglich zur Entwickelung reinerer Begriffe von der Gottheit behülflich ist, die Vernunft ist aber ein Gesammteigenthum der ganzen Menschheit, und nicht ausschließlich einer Religionsparthei vorzugsweise vor den andern gegeben.
So wie aber unter den Völkern nur einzelne Weise sich, auch in den aufgeklärtesten Perioden einer Nation, gezeigt haben, und noch zeigen, die selbst, so geringe ihre Anzahl zu allen Zeiten auch war, doch nicht alle eine gleiche Stufe geistiger Vollkommenheit einnehmen, so erblicken wir Jesus von Nazareth vor den großen Männern auch der gebildetsten heidnischen Völker hervorleuchtend; so ragt auch das von ihm geschaffene Werk:
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„das Christenthum“ vor dem Parsismus und Buddhaismus glänzend hervor, aus welchen seine Abkunft, auch im gegenwärtigen Zustande der Vollkommenheit, nicht geläugnet werden kann; und es dürfte das Gleichnis „der Christianismus ist der farbenreiche glänzende Schmetterling, welcher seine frühere Hülle als Raupe des Parsismus abgestreift,“ nun weniger gewagt erscheinen. Die Raupe erblickten wir stets kriechend, ihr war noch nicht die Kraft verliehen, sich von der Erde (dem Materialismus *) zu erheben; aber der geflügelte Schmetterling schwingt sich nach Oben. Um unserer Metapher noch größere Vollkommenheit zu geben, deuten wir auf den Manichäismus **) als den Verpuppungszustand hin.
Gleichwie nun unsere Rechtsgelehrten es nicht verschmäht haben, einen Theil ihrer Gesetzverfassung von den alten Römern zu borgen, und aus diesem Anlehen auch niemals ein Geheimnis gemacht haben, mögen auch die Herren Gottesgelehrten ihrem Beispiele folgen, und nicht länger mit einem Bekenntnisse zurückhalten, welches überdies nur die Verwandtschaft der Form zum Gegenstande hat; daher die göttliche Abkunft des Christenthums seinem geistigen Gehalte nach durch ein solches Geständnis keineswegs bestritten ist; eben so wenig als der himmlische Ursprung unsrer Seele durch die Erklärung abgeläugnet wird, daß der Leib des Menschen von dessen Eltern abstammt.
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*) Die Perser erweisen auch den rohen Naturkräften eine, jedoch nur scheinbar, göttliche Verehrung, die eher eine mittelbare Anbetung des unkörperlichen Wesens genannt werden dürfte.
**) Eine christliche Secte, die sich kurz nach dem Entstehen des Christenthums bildete, und das Zoroastersche System des Dualismus in die Lehren des Christenthums hinübertrug, daher auch den Zorn der Kirchenhäupter auf sich lenkte, und dadurch ihren Untergang beschleunigte.
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Rückblick auf die älteste Geschichte der Perser bis zur Thronbesteigung des Cyrus.
Soll das hohe Alterthum der Zend-Religion bei den Verfechtern der Offenbahrungslehre Glauben finden, welche, weil sie lieber Zoroasters Lehre aus dem mosaischen Gesetze als dieses aus jener ableiten wollen, daher auch nicht gern dem Parsismus ein höheres Alter als dem Judenthum zugestehen möchten, so muß nachgewiesen werden, das jener Vorrath von historischen Hülfsmitteln zur Kenntnis des ältern Persiens, womit die Griechen und jüdischen Schriftsteller uns beschenkten, den Geschichtsforscher jetzt nicht mehr befriedigen, seitdem die zu Calcutta im Jahre 1784 gestiftete Gesellschaft, (deren Zweck die Erforschung der Alterthümer Asiens und die Untersuchung der literarischen Schätze des Orients gewesen) durch den unermüdlichen Eifer, womit sie ihre Tendenz verfolgte, mehr Licht in die Kindheitsperiode des Menschengeschlechts gebracht hat.
William Jones, der Präsident dieser Gesellschaft, hat in seiner am 19. Febr. 1789 gehaltenen sechsten jährlichen Vorlesung *) einige Resultate seines historischen Forschens über den fraglichen Gegenstand zur Benutzung späterer Geschichtschreiber niedergelegt; und wir halten es für zweckmäßig, uns zuweilen auf denselben zu berufen, insofern davon eine größere Klarheit für unsere Beweisgründe zu erwarten ist. Jones verdient in dem gegenwärtigen Falle um so größern Glauben, weil er in Beziehung auf Hindostan das so vielfach erwiesene hohe Alter dieses Urvolkes gegen seine eigene Ueberzeugung bestreitet, bloß um nicht der mosaischen Angabe vom Weltalter widersprechen zu müssen; und aus demselben Grunde die ersten Menschen und
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*) Die Quelle, aus welcher hier geschöpft wird, befindet sich im ersten Bande der Dissertations relating to Asia.
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das Paradies nach Persien versetzt, um sie von dort aus Colonien nach dem angränzenden Assyrien und den übrigen Ländern verschicken zu lassen, damit ja die mosaische Urkunde stets Recht behalte.
„Befremden muß es uns“ – sagt Jones – „daß wir von der alten Geschichte eines so berühmten Reiches wie Persien doch wenig wissen; es lassen sich aber hievon sehr befriedigende Ursachen angeben. Unter diese gehört hauptsächlich der Griechen und Juden oberflächliche Kenntnis von jenem Volke, und daß die persischen Archive oder historischen Schriften großen Theils verloren gegangen sind. Man kann zwar nicht ernstlich behaupten, die griechischen Schriftsteller hätten, vor Xenophon, Persien gar nicht gekannt, und alle ihre Nachrichten davon wären fabelhaft; aber ihre Verbindung mit Persien in Kriegs- und Friedenszeiten hatte sich im allgemeinen nur auf die Gronländer, die unter persischen Lehnfürsten standen, eingeschränkt. Der erste persische Regent, von dessen Leben und Character sie etwas Genaues gewußt zu haben scheinen, war der große Cyrus, welcher von den Persern Ke Khosru genannt wird. Indeß thut die Verschiedenheit des Namens unsern Angaben hier keinen Eintrag, weil man weiß, das die Griechen nicht sehr der Wahrheit ergeben waren, und diese gern dem Wohlklange und der Feinheit ihrer Ohren aufopferten. Wenn diese daher fremde Worte angenehm klingend machen konnten, so bekümmerten sie sich nicht im geringsten darum, ob sie genau ausgedrückt waren oder nicht *). So machten sie wahrscheinlich Kambyses von Kambakhsch, welches bewilligende Wünsche bedeutet, also mehr ein Titel als ein eigentlicher Name ist; ferner Xerxes von Schiruji **) ein Fürst und Krieger in dem Firdusischen Epos „Schach Namah“ (zu deutsch: Geschichte der Könige),
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*) Dieser Vorwurf gilt auch so ziemlich den heutigen Franzosen.
**) Ist der bekannte Siroes, König der letzten Dynastie der Sasaniden. Eigentlich hieß er Kobad. Wiefern die Griechen das Sch der Orientalen oft durch X ausdrücken, konnte aus Schiruji Xerxes entstehen.
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oder sie konnten es auch von Schir-Sch‘ach gebildet haben, welches gleichfalls ein Titel gewesen seyn kann. Denn die asiatischen Fürsten nehmen zu verschiedenen Perioden ihres Lebens oder bei verschiedenen Gelegenheiten immer neue Titel und Beiwörter an; eine Gewohnheit, die selbst in unserer Zeit noch gebräuchlich ist, und aus der sogar in den biblischen Nachrichten von den babylonischen Ereignissen große Verwirrung entstand. Wirklich haben die Griechen sowohl als die Juden persische Namen nach ihrer eigenen AusSprache gemodelt. Beide Theile scheinen die persische Literatur verachtet zu haben, ohne welche sie sich doch nur eine unvollkommene Kenntnis des Landes erwerben konnten. Was die mit den Juden und Griechen gleichzeitig lebenden Perser betrifft, so müssen sie zwar mit der Geschichte ihrer eigenen Zeit und mit den Traditionen verflossener Zeitalter bekannt gewesen seyn; aber fürs erste betrachteten sie doch den Kajumers *) aus einer gleich anzuführenden Ursache lieber als Stifter ihres Reichs; und dann gingen, fürs zweite, in den vielen Zerrüttungen, welche darauf folgten, z. B. als Darab vom Thron gestürzt wurde, und besonders in der großen Revolution nach der Niederlage des Jesdedsjird **) ihre bürgerlichen Geschichten verloren. Daher kommt es, daß wir von der echten persischen Geschichte vor der Dynastie des Sasan nichts mehr haben, einige rohe Traditionen und Fabeln ausgenommen, wovon man die Materialien zum Schach-Namah hernahm, und die der Vermuthung nach noch in der Pehlwi-Sprache existiren. Die Annalen der Pischdadi ***) oder des assyrischen Stammes sind dunkel und fabelhaft; und die Annalen der Keanier oder der Meder und Perser sind – poetisch. Von den persischen Königen, deren Stammvater Arschak (Arsaces)
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*) Im Zend heist er Geϊehé merete, im Pehlwi aber Gaiomard, d. i. leben der Mensch, weil ihn die Fabel den ersten Menschen nennt.
**) Jazdedschird ????????? der letzte König des persischen Reichs, das sich 636 n. Chr. Geb. endigte.
***) Pischdadi heißen die Könige der ersten Dynastie.
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war, wissen wir fast nur die Namen; dagegen die Sasaniden so lange mit den römischen und byzantinischen Kaisern zu thun hatten, das man den Zeitraum ihrer Herrschaft das Zeitalter der Geschichte nennen kann. Willkührlich gebrauchte Namen täuschen uns bei einem Versuch den Anfang des assyrischen Reichs zu bestimmen in tausend Fällen. Chronologen haben festgesetzt, das die erste in Persien errichtete Monarchie die assyrische war. Newton fand, daß einige annehmen, sie wäre im ersten Jahrhunderte nach der Sündfluth entstanden; aber er konnte nun, nach seiner eigenen Rechnung, hiebei nicht weiter herabwärts, als bis zum 790sten Jahr v. Chr. kommen. Er verwarf daher einen Theil des alten Systems und behielt nur etwas davon bei. Er nahm an, das die assyrischen Monarchen ohngefähr 200 Jahre nach Salomo zu regieren angefangen, und die Regierung von Iran sey in allen vorhergehenden Zeitaltern in mehrere kleine Staaten getheilt gewesen. Ich muß gestehen, das ich selbst dieser Meinung war; denn ich bekümmerte mich nicht um die übertriebene Chronologie der Ghabern, sondern ich nahm für die Regierung der eilf Pischdadi Könige die natürlich längste Zeit an; es war mir aber nicht möglich, mehr als hundert Jahre zu Newtons Rechnung hinzufügen zu können. Es scheint aber unerklärbar wie Persien – da doch schon Abraham eine ordentlich eingerichtete Monarchie in Egypten fand; da das Königreich Yemen mit Recht auf ein hohes Alter Anspruch macht; da die Chinesen schon im 12. Jahrh. v. Chr. Geb. sich wenigstens der gegenwärtigen Regierungsform für ihre weitläufige Herrschaft genähert hatten; und da wir kaum annehmen können, das die ersten indischen Monarchen nicht wenigstens bereits vor tausend Jahren regiert haben – wie Persien das schönste Land, das am bequemsten und besten zusammenlag, und vor allen andern gesucht zu werden verdiente, so viele Jahrhunderte lang keine ordentliche Verfassung gehabt haben und getheilt gewesen seyn soll?
Eine glückliche Entdeckung, die ich zuerst Mir Muhamed Hussein schuldig war, einem der einsichtvollsten Muselmänner Indiens,
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hat auf einmal die Wolke zerstreut, und mir einen Lichtstrahl über die älteste Geschichte Irans *) und von der Menschenrasse erblicken lassen, woran ich schon lange gezweifelt hatte. Die Sache verhält sich folgendermaßen:
Ein mahomedanischer Reisender, ein Eingeborner von Kaschmir, Namens Mohsan, mit dem angenommenen Beinamen Fani (Vergänglich) belegt, schrieb einen interessanten Traktat über zwölf verschiedene Religionen „der Dabistan“ betitelt. Dieser Traktat fängt mit einem sehr wichtigen Kapitel über die Religion des Huscheng an, die nach demselben schon lange der des Zerduscht (Zoroasters) vorherging, zu der sich sogar noch zu des Verfassers Zeiten viele gelehrte Perser heimlich bekannt hätten. Diese sollen nun jetzt sehr seltene Bücher geschrieben haben, die er, Mohsan, gelesen. Aus diesen nun erfuhr er, das schon viele Jahre vor Kajumorts (Kajumers) Thronbesteigung, eine mächtige Monarchie in Iran gegründet gewesen sei, das dieselbe die Mahabadian-Dynastie **) genannt ward, und das viele dieser Fürsten, von denen bloß sieben oder acht im Dabistan und unter ihnen Maha Beli ***) angeführt wäre, ihr Reich zum höchsten irdischen Reiche erhoben hätten. Können wir uns auf dieses Zeugnis verlassen, und mir wenigstens scheint es ganz unverwerflich, so muß die Iransche Monarchie die älteste der Welt gewesen seyn.“
Nach Jones hätte also Persien die älteste Staatsverfassung gehabt. Obgleich dieser Meinung auch andere neuere Gelehrte beigetreten sind; und insbesondere Gelpke in seiner Schrift „das Urvolk der Erde“ (Braunschweig, bei Meyer 1820. S. 178 u. ff.)
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*) Iran und Turan sind zwei allgemeine Namen für alle Länder Ober-Asiens, wenn man Indien und China abrechnet. Das eigentliche Iran liegt zwischen den Flüssen Kur und Aras.
**) Zusammensetzung aus Maha (groß) und (einfach) und Bedin (im Gesetze) soll also heißen: Bekenner des Urgesetzes.
***) Maha Beli (großer Herr). Bel ist verwandt und gleich bedeutend mit dem chaldäischen Baal. Maha ist ein Sanskrit-Wort, woraus man das Mag (Magus) des Zend-Dialects herleitet, und die Abkunft des griechischen μεγας sowie des lat. magnus errathen läßt.
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dieser Hypothese den Sieg zu verschaffen sucht, so sprechen doch allzuviele Zeugnisse, aus der Baukunst und Naturwissenschaft für das noch höhere Alter der Civilisation Indiens *). Wenn man dem von Jones citirten mahomedanischen Autor in seinen weitern Angaben folgt, so gewinnt man vielmehr einen neuen Beweis für Persiens jüngeres Alter, und das es wahrscheinlich von indischen Kolonisten erst bevölkert worden sei; denn wie jener Mohsan versichert, ist der Meinung der einsichtvollsten Perser zu Folge, die sich zur Religion Huschenghs bekannten, der erste Monarch von Iran der obenerwähnte Mahabad gewesen, welcher das Volk in vier Klassen theilte, nämlich in Priester, Krieger, Kaufleute und Dienstleute. – Also nicht nur der indische Name jenes Fürsten, sondern auch die Eintheilung in Kasten, welches ebenfalls an die indische Verfassung erinnert, hilft die Vermuthung, das von indischen Kolonisten die Rede sei, bestärken; und diese wird zur vollständigen Gewißheit, wenn man ferner erfährt, das jener Mahabad seinem Volke ein Buch übergeben, das er vom Himmel erhalten zu haben versicherte, was ebenfalls an den von den Brahminen vorgefabelten Ursprung ihrer Veda’s erinnert. Jenem Buche gibt der muselmännische Autor den arabischen Titel Desátir (Einrichtung, Ordnung), den ursprünglichen Namen hat er nicht gemeldet. Ferner heißt es dort, es wären vierzehn Mahabads in menschlicher Gestalt zur Regierung der Welt erschienen. Da man aber weis, das die Indier (oder Hindu) an vierzehn Menus oder himmlische Personen mit ähnlichen Functionen glauben, wovon die erste ein Buch von Anordnungen oder göttlichen Befehlen hinterließ, daß sie den Veda’s gleich schätzten, und worin ihrem Glauben nach die Sprache der Götter enthalten seyn soll, so können wir kaum zweifeln, das diese Aehnlichkeiten
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*) Siehe meine Schrift: „Die Zeugung der Himmelskörper, deren Wachsthum, Nahrungsweise und Todesarten.“ (Meißen, Gödsche 1835. S. 93. u. ff.)
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nicht die mahabadische Dynastie, als von Indien abstammend, nachweisen *). Wenn in den Zendschriften Kajumers als der erste Mensch genannt wird, so mag dies aus Achtung der Perser gegen ein Andenken geschehen seyn; oder mochte der erwachende Nationalstolz die Abkunft von einem andern Volke in dem Andenken der spätern Generationen haben verwischen wollen. Wie sehr dies zu vermuthen ist, geht aus Jones Versicherungen hervor, daß die Perser an eine allgemeine Sündfluth vor Kajumers Regierungsantrit glauben.
Kleuker bestreitet zwar die Echtheit dieser Sache, weil sich in den eigentlichen ReligionsSchriften der Perser keine Spur davon findet. Allein läßt sich wohl denken, das Zoroaster bei Abfassung derselben, welcher aus begreiflichen Ursachen jede Verwandtschaft mit einem andern Volke gern läugnen mochte, um dem persischen Religions-System den Anstrich der Originalität zu geben, mehr die Gewissenhaftigkeit des Historikers als seine eigenen Absichten vor Augen gehabt haben sollte? Daß schon durch mündliche Tradition die Erinnerung an eine Dynastie vor Kajumers selbst bis auf die spätesten Zeiten sich erhalten konnte, bezeugt schon einigermaßen den Ungrund des Kleukerschen Zweifels; welcher vollends in sein Nichts zerfällt, wenn man aus einer andern orientalischen Quelle erfährt, das der dreizehnte und letzte Nachfolger des Mahabad den Namen Aserabad oder Azarabad **) geführt, aber später dem Thron entsagt und in die Einsamkeit gegangen sei, worauf eine lange Zeit der Anarchie gefolgt, bis mit Kajumers die Dynastie der Peschdadier ***) begann.
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*) Schon die Verwandtschaft des Zend (der UrSprache in Iran, während die später eingewanderten Assyrier das dem chaldäischen verwandte Pehlwi einführen, kann auch die Abstammung aus Indien beweisen.
**) Zusammensetzung von Azer (mächtig, stark), welches an das chaldäische Ozer ????? erinnert und abad, welches letztere Wort schon oben erklärt wurde.
***) Pesch-Dath (??? Gesetz und ??????) Vertheiler, Ausleger der Gerechtigkeit.
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Von diesem Fürsten vermuthet Jones: „Höchst wahrscheinlich war er von einem andern Stamm als die Mahabadier, die ihm vorangingen; er fing vielleicht die Einführung des neuen Systems des Nationalglaubens an, das Huschengh *) vollendete. Aber diese Reformation war partheiisch, denn indem sie die Vielgötterei ihrer Vorfahren verwarfen, behielten sie die Gesetze des Mahabad mit der abergläubischen Verehrung der Himmelskörper und des Feuers bei. So glichen sie den Hindu- Sekten Saura‘s und Sagnika‘s genannt, wovon die letzte zu Benares sehr zahlreich ist, und wo beständig viele Opferfeuer brennen. Auch zünden die Sagnika‘s daselbst, wenn sie in den Priesterstand treten, mit zwei Stücken von hartem Holz Semi ein Feuer an; dieses lassen sie ihr ganzes Leben hindurch nicht mehr ausgehen, sondern bedienen sich desselben zu ihren Hochzeit- Ceremonien, zu Vollbringung feierlicher Opfer, zur Feier der Obsequien verstorbener Vorfahren, und werden endlich selbst damit verbrannt. Zoroaster behielt diesen merkwürdigen Gebrauch bei, und veränderte die alte Religion insofern, das er noch Engel, Genien hinzufügte, welche über Monate und Tage die Herrschaft hätten; das er ferner die Verehrung des Feuers auch noch durch neue Gebräuche erweiterte; daß er, seinem Vorgeben nach, ein Buch vom Himmel erhalten habe, und was das hauptsächlichste war, daß er die Anbetung eines höchsten Wesens wieder ordentlich einführte.“
Im Bun-Dehesch **) liest man nur Fabelhaftes über diesen Monarchen, das nämlich bei dem Tode des Urstiers Kajumers als Stammvater des Menschengeschlechts aus seiner rechten Schulter hervorgegangen sei, während Goscherun, Repräsentant der Thierwelt, seinen Weg aus der linken Schulter des Urstiers genommen habe. Der Feind alles Lebens, welcher Ursache vom Tode des Urstiers gewesen, hatte zwar auch den
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*) Hyde in seiner Hist. rel. vet. Pers. p. 148 schreibt diesen Namen ?????????
**) Eines der canonischen Bücher der Parsen.
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Entschluß gefaßt, dem Kajumers das Leben zu nehmen, und so das Menschengeschlecht im Keime zu verderben. Der Dew *) Astujad mußte ihn mit noch tausend andern Dews, Kunstmeistern des Todes besitzen, allein er widerstand ihnen, „weil seine Zeit noch nicht gekommen war“ (Z. Av. Band III. S. 65.) d. h., weil nach dem Rathschlusse des Ewigen Ahriman **) ihn noch nicht tödten konnte. Er sagte zu Ahriman: „Du bist gekommen wie ein Feind, aber meine Nachkommen werden thun, was rein ist, verdienstliche Werke und dich zu Boden werfen.“ – Dreißig Jahre widerstand Kajomers, dann erlag er den Angriffen der Dew‘s und starb. Als er nun verschieden war, floß sein Same auf die Erde. Ueber zwei Theile desselben wachte Ized ***) Nerioseng, über einen Theil Sapandomad und das Licht der Sonne reinigte ihn. Nach vierzig Jahren wuchs eine Pflanze aus dem Boden, welche in funfzehn Jahren wie ein Baum in die Höhe wuchs und funfzehn Sprößlinge trieb. Dieser Baum hatte die Gestalt eines Mannes und eines Weibes in ihrer Vereinigung und trug zehn Menschenpaare als Früchte; davon wurden Meschia und Meschiane die Stammeltern des ganzen Menschengeschlechts.
In Ferdusi‘s „Schach Nameh“ wird Kajumers ein Sohn des Sam (Schem) und Enkel des Nuh (Noah) genannt; aus welcher Art die Abstammung zu beweisen, sich der Dichter als Mahomedaner (welcher außer dem Koran auch die Autorität der Bibel respectirt) zu erkennen gibt. Demnach stimmt diese Nachricht mit der allgemeinen Sage in Persien, welche den Kajumers in das postdiluvianische Zeitalter setzt, ganz überein; doch erzählt der Dichter weiter:
„Alte Sagen berichten in der Pehlwi-Sprache †), daß Kajumers
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*) Dew, das deuil der Engländer, Teufel.
**) Oberster der bösen Dämonen.
***) Der Ized der Erde.
†) ???????? schon unter der letzten Dynastie, den Sassaniden galt sie nicht mehr als lebende Sprache, und war nur noch den Gelehrten bekannt.
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der Erste gewesen, welcher auf Erden die königliche Binde sich ums Haupt gewunden. In Tiegerfelle kleidete er sich und die seinen, und stieg von den Höhen herab. Neue Nahrung gab er den Menschen, Kleidung und Speise, dreißig Jahre war er Schach auf Erden. Einen Sohn hatte er, klug und weise wie er, Syamek war er genannt, und der Vater liebte ihn zärtlich. Er hatte außer Ahriman keinen Feind während seiner langen Regierung gehabt. Ein Sohn war eben diesem auf Erden geboren, dem dunkelte der Tag ob der Herrlichkeit des Syamek, und dem Glanze, der von dem Throne des Schach ausging. Und er sammelte ein Heer unreiner Dew‘s, um ihm die Krone zu nehmen. Er verschwieg sein Vorhaben nicht, aber Kajumers hatte keine Ahnung davon, noch wußte er, das außer ihm in der Welt ein anderer Schach sei. Syamek erfuhr die Absicht des Feindes, kleidete sich daher in schützende Felle, denn noch wars nicht erfunden, sich mit Panzern zu wahren, und mit dem Heere zog er den Einbrechenden entgegen. Er kämpfte mit Ahriman's Dew, aber dieser ergriff ihn, zerriß ihn mit Klauen den Leib, daß er starb und das Heer ohne Haupt blieb. Seinen Tod an den Dews zu rächen, hatte sein Sohn Huschengh übernommen. Tieger und Löwen, Wölfe und Leoparden, verstärkten das Heer, womit der Jüngling die Dews zu bekämpfen gedachte. Zwar dem Dew Nesthweh kam nicht Furcht an um diesen drohenden Zug, gegen den Himmel trieb er die Erde hinauf und schärfte die furchtbaren Krallen. Aber seine Dews wurden durch die furchtbaren Thierschaaren in Verwirrung gebracht, Huschengh aber streckte die Faust aus, und machte dem Dew die Erde enge. Er fing ihn, zog ihm die Haut ab, und warf ihm den Kopf unter die Füße.
Vierzig Jahre hatte der Himmel Huschengh verliehen, da setzte er sich die königliche Kopfzierde auf, und bestieg in Weisheit und Gerechtigkeit den Thron. Er lehrte die Menschen säen und ernten; jeder verstand nun die Nahrung sich zu bereiten und sein Geräthe. – Eines Tages ging der Schach von seinem Gefolge begleitet in die Gebirge, da kam von fern ein furchtbares Wesen,
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schwarz von Körper, gräulich von Ansehen, heftig sich bewegend zum Vorschein. Mit Vorsicht betrachtete der weise Huschengh das Ungethüm, er faste einen Stein, und ging zu streiten mit ihm. Mit der ganzen Kraft eines Helden warf er die Masse, und der weltzündende Drache floh vor dem weltsuchenden König. Aber gegen ein Felsstück an schlug der geschwungene stein, und er und das Getroffene sprangen beide in Stücke. Da kam Lichtglanz aus dem dunkeln Steine, des Steines Herz erglänzte hell von Schimmer, davon wurde Feuer sichtbar im Steine, Helle verbreitete von da sich in der Welt, und aus dem Harten brach das Gefunkel hervor. Die Schlange hub sich von dannen und wurde nicht getödtet, aber das Geheimnis des Feuerzeugs *) war gefunden; wer fortan mit Eisen den Stein schlägt, dem wird Glanz aus ihm aussprühen. Der Schach warf sich nun nieder vor Gott, und brachte ihm das Opfer seines Gebets, dafür, daß er ihm das heilige Feuer vergönnt. Aus Dankbarkeit baute er ihm an der Stätte einen Feueraltar. Er sprach, dies Feuer ist eine Gottheit, darum werde es von allen verehrt u. s. w.
Also Hoschengh führte, durch den Zufall mit dem Gebrauche des Feuers bekannt gemacht, vielleicht um diese nützliche Entdeckung fester im Gedächtnisse seines Volkes zu erhalten, die Verehrung dieses Elements ein. Durch Urbarmachung des Bodens, Austrocknen der Sümpfe (worunter das Vertreiben der Dews verstanden wird), macht er die des vielen Ungeziefers wegen berüchtigte Provinz Mazanderan bewohnbar, wodurch sich der Card. 29. im Jescht Farwardin (der Feruers) erklärt, wo es lautet: „Ich erhebe den geheiligten Feruer“) der Keime Hoschenghs, welche vertrieben haben die Dews (Prinzipien und Keime des Bösen aus Mazanderan).“ –
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*) Vielleicht anspielend auf die Zend-Religion. Denn ????? Zend die Ursprache des alten Persiens bedeutet zündend, flammend, feurig, tropisch: lebendig, heißt auch, nach Hyde, im Neupersischen Feuerzeug.
**) Seele, auch der Geist eines Verstorbenen.
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In einer sogenannten Geschichte Hoschenghs (Huschenk-Nameh), die im Neupersischen geschrieben und ins Türkische übersetzt ist, und worin die fabelhaften Expeditionen eben so wundergemischt als ausführlich beschrieben werden, reitet derselbe auf einem zwölffüßigen Thiere, dem Rakscheh, das zu bezähmen, ihm viele Mühe gemacht. Es war die Frucht eines männlichen Krokodills und eines weiblichen Hippopotamus, und fraß nichts als Drachen. Nachdem Hoschengh es bezähmt hatte, gallopirte er auf dessen Rücken in das Land der Menschen mit Fischköpfen, unter welchen sich Herbelot die Ichthyophagen (Fischesser) denkt. Nachdem dieser Fürst lange Zeit Gerechtigkeit gehandhabt, starb er eines gewaltsamen Todes, indem die Riesen vom Gebirge Damavend einen Felsen ihm auf den Kopf geschleudert haben. Ihm folgte sein Sohn Thewuresch in der Regierung, welchen Ferdusi *) den Dewbändiger nennt. Die Dews sollen, von ihm im Kampfe überwunden, zu ihm gesagt haben: „Padi-Schach! tödte uns nicht, und wir wollen dich verborgene Wissenschaft lehren. Da gab er ihnen die verlangte Gewähr, damit sie das Verborgene offenbarten. Und wie sie sich frei fühlten, da theilten sie ihm die Wissenschaft des Schreibens mit, und wohl in dreisig Sprachen eine Schrift, in Rumi und Thasi und Parsi, Therki, Dschini und Pehlwi, Hindi Misri und Berberi. Dreißig Jahre wirkte der Schach auf Erden und viel Denkwürdiges hat er gethan.“
Dschemschid (auch Diam-Schid genannt, zu Deutsch: Glanzstrahlend) Neffe des Vorigen und Sohn Viyenghams, theilte zuerst das Volk in Stände ein, den Stamm der Caturian wählte er zu Priestern, ihr Ort war vor dem heiligen Feuer und das Gebet ihr Geschäft. Benesarier aber nannte er die Löwen der Schlacht – singt Firdusi – „die Ehre des Reiches, die Schützer der Grenzen, die Säulen des Throns. Ein dritter Haufen Sebaisa begann zu pflügen,
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*) Die von diesem Dichter hier mitgetheilten Auszüge sind der deutschen Uebesetzung von Görres (Berlin 1820) entlehnt.
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zu säen und ernten. Frei von drängender Leibesnoth, sorglos um Nahrung, erreichte die Verläumdung sie nicht, ihr Ohr zerreist kein Vorwurf. Das Geschäft der Anucheschi (Anukhuschi) ist die Künste zu üben, sie eilen immer voller Gedanken, ohne Unterlaß thätig, sind sie ewiglich von Sorgen befangen.“
Auch soll dieser Fürst Kleider bereiten gelehrt haben für Pracht, und andere für den Krieg, nähen, sticken und weben auf dem Stuhle und – Palläste bauen. „Bei der letztern Arbeit – fügt die Tradition hinzu – haben ihm jedoch die Dews behülflich seyn müssen. Aus dem Vendidad *) erfährt man sogar, das unter der patriarchalischen Regierung dieses Fürsten „die Weiber noch nicht ihren Zeiten unterlagen, wo durch Ahriman das Menschengeschlecht geschlagen hat.“ Ueberhaupt war damals das goldene Zeitalter, „es gab keine Bettler und Betrüger und die Jugend war bescheiden und – wohlgenährt.“ In der Folge zog Dschemschid mit seinem Volke aus den rohen Hochlanden in den freundlichern Süden hinab, und baute die Burg Ver, welche er mit Mauern und Gräben umzog, legte Straßen und Brücken an u. s. w., auch verdankt man ihm die Eintheilung des Jahrs und manche andere nützliche Erfindungen. So wäre Alles in Ewigkeit vortrefflich geblieben, denn Dschemschid war, wie die Zendschriften berichten, „der Vater der Völker, der Glänzendste der Sterblichen, deren Geburt je die Sonne sah. Unter diesen Fürsten starben die Thiere nicht, an Fruchtbäumen und Geschöpfen der Nahrung war nicht Mangel. Es war nicht Hitze, nicht Frost, nicht Alter, nicht Tod, nicht zügellose Leidenschaft, Schöpfungen der Dews. Die Menschen waren jugendlich (nur funfzehnjährig) an Munterkeit und Glanz; und Kinder wuchsen auf, so lange Dschemschid der Völker Vater war. Aber das Glück machte sein Herz übermüthig, er berief die Großen des Reiches und sprach: Außer mir kenne ich nichts auf Erden. Verstand kam durch mich. Ich habe den Tod von der Erde gebannt. Da ihr denn wißt,
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*) Eines der canonischen Bücher der Parsen.
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das ich solches vollbracht, müßt ihr den Weltschöpfer mich nennen.“ So erklärt Ferdusi die Ursache seines spätern Unglücks, den Verlust seines Reiches durch den assyrischen Eroberer Zohak u. ff. – Die Zendschriften lassen sich über die Aufführung Dschemschids in seinen letzten Regierungsjahren nicht günstiger vernehmen, denn es heißt dort: „Obgleich wie das Gesetz sagt, Dschemschid schon eine Gattin hatte, vermählte er sich doch noch mit der Schwester eines Dew; und seine leibliche Schwester verband er mit jenem Dew. Hieraus entstanden die Waldmenschen mit dem Schwanze und die Sünder (d. i. Menschen, die durch ihre Farbe zeigen, daß sie einen schändlichen Ursprung haben), denn es heißt: der Dew gab dem leidenschaftlichen König eine Unterirdische; er verband einen Dew mit der Tochter eines Menschen, die schön wie die Feris *) war. Sie verbanden sich und durch diese Vermischung entstanden die Gottlosen, die Neger, die Araber der Wüste.“
So sehr die Geschichte auch dieses Fürsten von Fabeln durchwirkt ist, so haben sich doch noch zwei Zeugnisse seines Wirkens bis auf die neueste Zeit erhalten, denn so wie die christlichen Völker noch jetzt den Anfang des Jahrs nach der Weise der alten Römer beginnen, und auch die Namen der Monate von ihnen entlehnten, ebenso feiern die heutigen Perser noch das von Dschemschid eingesetzte Nuruz oder Neujahrsfest am 21. März; und noch jetzt zeigt dieses Volk den Reisenden den von Dschemschid erbauten Pallast, von ihnen Tacht (Thron) Gamschids genannt. Sie heißen ihn aber auch Tschechel-Minar, das ist, die vierzig Säulen. Diese letztere Benennung leitet Niebuhr daher, das die Mahomedaner bei ihrem Einfall in Persien daselbst vielleicht noch vierzig Säulen aufrecht fanden, statt daß jetzt nur noch neunzehn stehen und zwar innerhalb der Ringmauer, dazu eine auf der südwestlichen Ecke auf einer Ebene und noch zwei zu Istakr, anderthalb Meilen weiter. In Ansehung der merkwürdigen
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*) Hiervon leitet man die Feen der Araber ab.
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Skulpturen, die sich daselbst finden, als auch der so verschiedenen InSchriften verdienen die Beschreibungen Kämpfers, Chardins und Niebuhrs gelesen zu werden. – Ungeachtet dieser deutlichen Beweise für die historische Existenz Dschemschids will Herder in dem hochberühmten Erbauer von Ver (welches nach der Meinung vieler Gelehrten das einstige Persepolis), nicht den patriarchalischen Monarchen Irans, sondern nur eine Hieroglyphe des Sonnenjahrs erkennen *)! !
Auch Dschemschids Ueberwinder und Usurpator von Iran, der Tazier Fürst Zohak hat den persischen Fabeldichtern älterer und neuerer Zeit manchen Stoff zur Verarbeitung bieten müssen; allein er ist bei ihnen weniger gut weggekommen als sein Vorgänger. Sie lassen den Teufel sich als Koch bei ihm vermiethen, welcher einst ihn auf beide Achseln küßte, und nun wuchs aus jeder ein Schlangenkopf hervor, der mit Menschengehirn gefüttert werden mußte. Dieser Zohak, der nun freilich 3 Münde und 6 Augen hatte – wobei man aber noch nicht einsieht, wie er die drei Gürtel getragen habe – griff den von Ormuzd **) abgefallnen Dschemschid an (die Zendschriften erzählen jedoch nichts davon), verjagte ihn, tödtete ihn und beherrschte Persien tausend Jahre. Nun stand Feridun auf, besiegte und fesselte ihn am Gebirge Damawand, wo er bis zum Ende der Welt liegt.
Rhode ist es, dem wir eine treffliche Auslegung des versteckten Sinnes, der in diesem Mährchen zu Grunde liegt, verdanken, und verdient diese Stelle in seinem schätzbaren Werke: „die heilige Sage des Zendvolkes“ (Frankf. Herrmanns Verlag 1820) von jedem Geschichtsfreunde und Alterthumsforscher nachgelesen zu werden.
„Zohak mit drei Münden, sechs Augen, drei Gürteln, tausend Kräften u. s. w..“ – bemerkt der von uns angeführte Autor auf S. 147. seines Buches – „ ist offenbar nichts als
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*) S. Persepolitanische Briefe.
**) Das gute Prinzip.
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Symbol der Brahmanenlehre, die Abbildung der indischen Trimurti (Dreieinigkeit), wie sie in den alten Felsentempeln zu Elephanta jetzt noch zu sehen ist. Ja selbst die Idee der beiden Schlangenköpfe, die der Fabel nach auf Zohaks Schultern standen, kann von jenen indischen Abbildungen entlehnt seyn. Mit Recht bemerkt Heeren, daß in den ältesten Zeiten im nördlichen Indien und gegen den Indus hin vorzüglich Schiwen *) verehrt seyn müsse, welches die Bildwerke beim Niebuhr außer Zweifel setzen. Nun sind Schlangen das allgemeine Symbol des Schiwen und auf der unten angeführten Platte beim Niebuhr, hält der Gott in jeder Hand eine Schlange gegen die Schultern empor, so das sein Kopf zwischen zwei Schlangenköpfen steht, gerade wie die Fabel von Zohak sagt. - Die drei Gürtel bekommen durch diese Deutung gleichfalls einen Sinn. Sie sind entweder die Gürtel, wie sie jede indische Gottheit, wie jeder Brahmin trägt, oder sie bezeichnen die drei Gürtel, welche Schiwen allein trägt, wobei man das Bild dieses Gottes dann für die Abbildung der Trimurti überhaupt genommen hätte. Schiwen trägt außer dem allgemeinen Gürtel noch einen zweiten aus Todtenköpfen zusammengesetzt, über die Schultern (Zohaks Schlangenhäupter nähren sich nur von Menschenhirn) und einen dritten um den Leib, der ihm auch nackt nie fehlt **). Zohak der Tazier scheint auf seinem Zug in das Land des Zendvolkes die Lehre des Brahma‘s, die Verehrung der dreihäuptigen Gottheit verbreitet zu haben; Feridun schlug ihn, wehrte der weitern Verbreitung derselben, fesselte dies Bild Zohaks, doch bleibt er lebendig bis ans Ende der Welt; nämlich in der Verehrung Brahma‘s.“
„Aber auch die schwierige Frage läßt sich auflösen“ – meint Rhode – „woher es komme, daß die Zeit der assyrischen Herrschaft in der persischen Geschichte als eine völlige Lücke erscheine, (welche ja die Fabulisten durch die Angabe einer tausendjährigen
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*) Das vernichtende Princip in der indischen Trimurti.
**) Niebuhrs Reise, Thl. II.
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Regierung Zohaks auszufüllen glauben). Eigene historische Werke mögen die alten Perser wohl nicht gehabt haben. Ihre Geschichte lag in den Tagebüchern und Annalen ihrer Könige, von welchen uns überall nichts übrig geblieben ist, als was aus denselben in die heiligen Bücher überging. Aber der Kanon dieser Bücher wurde schon vor oder wenigstens mit dieser Eroberung geschlossen, und so das einzige Mittel abgeschnitten, wodurch uns Nachrichten hätten zufließen können *). Die ältesten Annalen gingen wahrscheinlich schon bei der Eroberung durch die Assyrer verloren; was aus den jüngern sich erhalten hat, finden wir in den aus Ktesias geschöpften Nachrichten (die uns den Verlust jener Ouellen um so mehr bedauern lassen, da wir durch nähere Bekanntschaft mit dem alten Morgenlande diese Nachrichten immer mehr schätzen lernen) und im Herodot; die Annalen selbst scheinen in dem Brande von Persepolis, oder überhaupt bei dem Zuge Alexanders verloren gegangen zu seyn. Die neuern Perser fanden von ihrer frühern Geschichte nun nichts, als was in den Zendbüchern enthalten ist, und was von jüngern Zeiten in Sagen sich erhalten, oder aus fremden Schriftstellern wieder zu ihnen herüber kam. Hier sind vorzüglich die Nachrichten der Hebräer wichtig, die ihnen obwohl in der Umwandlung durch die Araber mit dem Islam zukamen, und von ihnen wie von den Christen als Grundlage aller alten Geschichte betrachtet wurden. Selbst der Inhalt der Zendbücher – deren Sprache man nicht mehr verstand – gestaltete sich als Sage, und so bildete sich das unzusammenhängende Gemisch von Geschichte, Sage und Fabel, was in den neupersischen Gedichten und Schriften zu finden ist.“
„Vergleicht man nun die Nachrichten der Zendbücher mit denen der Griechen, so reihen sie sich so natürlich an einander, und bilden eine so zusammenhängende Geschichte, das hier in
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*) Die neuern Gebete und einige Bruchstücke des Bundehesch, welche von den heutigen Parsen als zu den heiligen Büchern gehörig betrachtet werden, heben die Behauptung von der frühern Schliesung des Kanons noch nicht auf.
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der That mehr als Zufall, daß innere Wahrheit den erzählten Begebenheiten zu Grunde zu liegen scheint. Alles zusammen genommen läßt die Geschichte des Volks sich in folgende Hauptpunkte zusammenfassen.
1) Feridun der letzte der Pischdadier-Dynastie hatte mehrere Kinder, sie wurden uneins, und das große Reich zerfiel in zwei Reiche, welche durch den Oxus von einander getrennt wurden; in Tur (Turan), vom ältesten Sohn Feriduns so genannt, welches jenseits dieses Flusses lag, und Iran, welches diesseits gelegen war. Anfänglich scheint Turan das mächtigere Reich gewesen zu seyn, und Iran in Abhängigkeit erhalten zu haben. Nach einer jüngern Pehlwischrift ermordete Tur seinen Bruder Irets, der in Iran herrschte und alle seine Söhne; allein eine Tochter war entkommen; von ihr stammte Minotpher her, ein berühmter Held unter den Pischdadiern, welcher den Tur schlug, und das Reich Iran wieder herstellte *). Beide Reiche bestanden nun neben einander, aber in beständigen Fehden begriffen, wovon unzählige Anspielungen in den Zendschriften vorkommen.
2) Gleich nach Minotpher tritt in Iran mit Ke-Kobad die Dynastie der Keanier auf, ohne das sich aus den Zendschriften bestimmen läßt, wie sie auf die Pischdadier folgen. Vielleicht stammen sie von Minotpher, also nur in weiblicher Linie von Dschemschid ab; vielleicht liegt der ganze Unterschied nur in dem Titel Ke (König), welchen von Kobad an alle Beherrscher Irans führen. Unter Ke-Gustasp (Vestasp) dem fünften Kean lebte Zoroaster, und theils mit, theils nach ihm die übrigen Verfasser der Zendschriften **).“
„Nun enden die Nachrichten dieser Bücher, und die Nachrichten der Griechen schließen sich daran. Es vereinigt
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*) Zend- Avesta v. Kleuker Thl. II. p. 199. 202. 205.
**) Rhode konnte diese Angabe nicht mit Bestimmtheit ausgesprochen haben, denn er widerruft schon S. 157: Das eigentliche Zeitalter Zoroasters läßt sich nur negativ bestimmen, dies heißt ja soviel als: Hoc scimus: nil scire!
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3) Ninus die Völker – welche vielleicht vom Caucasus herkamen – am Tigris, erbaut Ninive und stiftet einen erobernden Staat. Das ganze Vorderasien, endlich das große Zendreich ward unterjocht. Jedoch kostete dies große Anstrengungen; die Assyrer fanden in Baktrien einen eingerichteten Staat, tapfere Heere, und eine befestigte Hauptstadt Balkh oder Baktra. Da diese endlich fiel, war die Beute an Gold und Silber sehr groß. So wie die Zendbücher das Volk schildern, mußte es bald zu der Stufe von Macht und Bildung emporsteigen, auf welcher die Assyrer es fanden.
4) Die Eroberer theilten das große Reich in drei Provinzen, Baktrien, Persien und Medien; jede bekam ihren besondern Statthalter oder Satrapen, der sie unabhängig von den andern regierte. Nach Ktesias dauerte dieser Zustand der Theilung eintausend dreihundert, nach Herodot fünfhundert und zwanzig Jahre (Herod. I. 95.) immer lange genug eine Trennung in verschiedene Völker, die wahrscheinlich durch verschiedene Dialecte vorbereitet war, zu vollenden; schon physisch sind diese drei Theile durch bedeutende Bergketten von einander getrennt.
5) Die Bewohner dieser drei Provinzen warfen das assyrische Joch wieder ab, und erkämpften ihre Unabhängigkeit zurück.
6) Die Baktrier und Meder schmolzen bei dieser Revolution wieder in ein Volk zusammen. Der neue Beherrscher war ein Meder, und die Residenz wurde nach Ekbatana verlegt; eine Maßregel, welche die Lage des Staats wohl nothwendig machte.
6) Die Perser trennten sich von den übrigen, um, wie es scheint, einen Staat für sich zu bilden, wurden aber bald von den medischen Königen bezwungen.
7) Durch Kyros (Cyrus) wurden die Perser das herrschende Volk, und von nun an ist die Geschichte zusammenhängend.“
Wir dürfen, um das Zeitalter, in welchem Zoroaster mit seiner Lehre auftrat, bestimmter ermitteln zu können, nicht unterlassen Hrn. Rhode durch die labyrinthartigen Windungen der Urgeschichte Persiens zu folgen; denn obgleich er, im Vergleiche aller frühern Geschichtsforscher,
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zu seinem Ziele zu gelangen, eben nicht den kürzesten Weg eingeschlagen hat, so war es doch räthlicher, uns seiner Führung zu überlassen, wenn wir aus dem undurchdringlichen Dunkel, welches Zoroasters Zeitalter umnachtet, endlich einen Ausweg finden wollten.
Auf die Frage: Wann lebte Zoroaster? geben die Historiker der Alten wie der Neuern die abweichendsten Antworten, und je verschiedener diese ihre Angaben lauten, desto weniger können sie auf Glaubwürdigkeit gerechte Ansprüche machen.
Nach Plinius setzte Eudoxus den Zoroaster 6000 Jahre vor den Tod des Plato, also 6348 Jahre vor der christl. Zeitrechnung; Hermondor der Platoniker und Hermipp vor den trojanischen Krieg, also 6209 vor unserer Zeit rechnung *), Diogenes Laertius läßt ihn 600 Jahre vor dem Feldzuge des Xerres, also 1080 Jahre vor unserer Zeitrechnung leben. Suidas setzt ihn 500 Jahre vor den trojanischen Krieg, also 1709 Jahr vor Christus **). Bailly bringt für Zoroaster das Jahr 2459 vor Chr. Geb. heraus ***). Hyde setzt ihn unter die Regierung des Darius Hystasp. Dieser letztern Meinung treten Anquetil du Perron, Kleuker, Herder und Johannes Müller (in seiner Vorrede zu Herders Denkmalen der Vorwelt) bei. Foucher versteht unter Ke-Gustasp, dem Zoroaster sein Gesetz überreicht, Kyaxares den Ersten und widerlegt die Meinung, das Ke-Gustasp und Darius Hystasp Eine Person sey mit treffen den Gründen †). Tychsen und Heeren geben dieser Behauptung ihren Beifall. Letzterer zeigt, daß es alle historische Probabilität läugnen heiße, wenn man Zoroaster zum Zeitgenossen des Darius Hystasp macht, und will unter Ke-Gustasp Niemand andern als Kyaxares I.
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*) Plin. hist. nat. L. XXX. 1.
**) Unter den Wörtern Astronomia und Zoroaster.
***) Z. Av. B. II. s. 327.
†) Anh. zum Z. Av. v. Kleuker B. II. S. 65.
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verstehen *). Rhode fragt hier, wie ist die ganze Ansicht des geselligen Lebens, das man in den durch die Zendbücher aufbewahrten Schilderungen findet, mit den Nachrichten, welche wir von Kyaxares I. haben, und seinem Zeitalter, so wie wir es durch die Griechen kennen, in Uebereinstimmung zu bringen? Die Gründe, womit dieser scharfsinnige Geschichtsforscher selbst die Aussprüche eines Heeren zu bekämpfen sucht sind folgende:
1) wird auf den Umstand aufmerksam gemacht, das in den Zendschriften die Namen Meder, Perser gar nicht vorkommen. Wenn auch zuweilen Provinzen erwähnt werden, wie im ersten Fargard des Vendidad, so ist doch keine darunter, auf welche irgend das Verhältnis angewendet werden könnte, welches zwischen Medien und Persis statt fand. Wie wollte man dies Stillschweigen erklären, wenn Zoroaster unter Kyaxares auftrat, wo Meder und Perser in dem Verhältnisse eines herrschenden Volkes und eines Beherrschten gegen einander standen? Das Volk unter dem die Verfasser der Zendbücher **) lebten war eins, es waren Arier.
2) Die Zendschriften sind überall mit Zügen aus der frühern Geschichte des Volkes, unter welchem die Verf. lebten, angefüllt. Diese Erzählungen haben immer einen religiösen Zweck. Warum daher ein Stillschweigen von der großen Nationalbegebenheit, die unter Kyaxares I. noch in frischem Andenken seyn mußte, die Abschüttelung des assyrischen Joches? Ormuzd, dem für alle Wohlthaten gedankt wird, hätten die Verf. gewiß auch für dieses wichtige Ereignis gepriesen.
3) Die Verf. der Zendschriften lebten offenbar in einer Periode, wo man keine andere Art des Reichthums kannte als Viehheerden und Kleider. Auf diese Zeit paßt Strabo‘s (Geogr. XI. p. 517. Ed. Cas.) Nachricht vom Nomadenleben der alten Baktrier. Damals wird der Reichthum eines Mannes nur
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*) Ideen B. I. S. 502.
**) Nur den Vendidad hält Rhode ausschließlich für Zor. Werk.
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nach der Zahl der Heerden, nach der Menge des Wildes auf seinen Gefilden geschätzt. so verspricht Ormuzd im Vendidad: „Diene mit Ehrfurcht dem Reinen und Heiligen, und ich will dir schenken tausend Kameele mit breiter Brust *).“
4) Auch die religiösen Gesetze jener Zeit, die alle im Vendidad enthalten, sprechen für die hier aufgestellte Behauptung. Nirgend ist daselbst eine Anspielung auf Verhältnisse, die jede höhere Kulturstufe nothwendig macht. Auch der Eid, der Gebrauch der Schrift im geselligen Leben scheint dem Gesetzgeber noch unbekannt zu seyn. Die Aerzte werden auf folgende Art bezahlt. Der geheilte Hausvater giebt ein kleines Thier, der Vorsteher einer Stadt ein großes Thier, das Haupt einer Provinz viermal so viel. Heilt er die Frauen der genannten Personen, so steigt seine Belohnung von einem Esel bis zum Kameel, für ein geheiltes Thier sinkt nach der Wichtigkeit desselben das Honorar bis auf ein Stück Fleisch herab. Priester bezahlen bloß mit Gebeten. Die ersten drei Kranken dürfen keine Ormuzdiener seyn. Sterben sie, wird dem Arzte die Praxis untersagt. Liest man den Diodor **), so findet man (unter Kyaxares) die Einwohner schon reich an Gold und Silber. Können also Zoroasters Lehren für ihre Verhältnisse anpassend gewesen seyn?
5) Es kommen ferner in den Zendbüchern häufige Anspielungen auf die Verhältnisse des Staats zu seinen Nachbarn und Nachrichten von Schlachten vor. Aber nur von den Turaniern gegen den Norden und von den Indiern über den Indus hin ist die Rede, nirgend aber wird des viel nähern mächtigern Ninive noch des weltberühmten Babylons gedacht. Wie war diese Uebergehung möglich, wenn jene Städte und Reiche schon vorhanden waren? Kann man sich bei der Beschaffenheit der Zendbücher, welche bei jeder Gelegenheit die Religion durch die Geschichte des Volkes zu unterstützen suchen, und dennoch
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*) Vendidad Farg. XXII. Z. Av. B. II. p. 385.
**) L. II. VII.
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die Trennung des Volkes in Meder und Perser, die Vernichtung des baktrischen Reichs durch die Assyrer, die damit verbundene Unterjochung des ganzen Volks, die Abschüttlung dieses Jochs und die Wiederherstellung der Freiheit, die Theilung in medische und persische Reiche, der Kampf Beider und die Gründung der eigentlichen Perserherrschaft schweigend übergehen; kann man sich dabei etwas anders denken, als das die Verf. der Zendbücher im alten baktrischen Reiche lebten, und die Geschichte ihres Volks erzählen, ehe es von den Persern unterjocht wurde? Hiermit stimmen auch die Nachrichten des Ktesias und Herodot von ihnen überein.
Vergleicht man nun die Nachrichten der Zendbücher mit denen der Griechen, so bilden sie eine zusammenhängende Geschichte, und es erhellt aus ihnen, das Zoroaster als Verf. eines großen Theils der Zendbücher mindestens sechs hundert Jahre vor Moses gelebt haben müsse. Was widerspricht auch dem hohen Alter der Zendbücher? Sie zeigen, den Geist des höchsten Alterthums athmend, den Gang der frühesten Entwicklung des menschlichen Geistes, und geben die deutlichsten Aufschlüsse über die Bildung mancher alten Religionsbegriffe, worüber uns selbst Moses im Dunkeln läßt *).
Eine solche Annahme ist allerdings etwas geeignet die Originalität des Inhalts der mosaischen Schriften zu verdächtigen. Diese Besorgnis scheint sich nicht nur eines Kleuker **),
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*) Was in der Folge dieser Schrift im Kap. von der Schöpfungsgeschichte nachgewiesen werden soll.
*) Dieser Schriftsteller, dem theologischen Publikum als eifriger Apologete des Christenthums durch zwei bei Hartknoch in Riga 1787 und 1794 verlegte und in dieses Fach schlagende Schriften genügend bekannt, hat die Festigkeit seiner religiösen Gesinnungen bei jeder Gelegenheit zu erkennen gegeben. So begleitet er in seinen Zusätzen zur deutschen Uebertragung der „Alterthümer Asiens“ (Riga, Hartknoch 1795 B. I. S. 168) die von W. Jones ausgesprochene Erklärung, daß er ,,die Wahrheiten der mosaischen Urkunde nicht bezweifeln könne, weil diese vom Heiland selbst für echt erklärt worden sey“ mit dem ironischen Ausrufe: ,,Aus diesen und ähnlichen Aeußerungen unseres Verf. sieht man, daß derselbe mit den theologischen Aufklärungen in Deutschland nicht gleiche Schritte gemacht hat.“ Eben so in einer spätern Stelle desselben Aufsatzes, wo Jones die Mahomedaner heterodoxe Christen nennt, „weil sie schon Locke Christen titulirte, indem sie ja an die unbefleckte Empfängnis und die Wunderwerke des Messias glauben, und nur darin heterodor sind, daß sie seinen Character als Sohn und Gleichheit als Gott mit dem Vater heftig bestreiten“ macht sich der deutsche Glossator mit einem frommen Seufzer Luft: Wie die Sachen jetzt in Deutschland stehen, würden jene Muselmänner zu den hyper-orthodoxesten Christen gehören.“ (S. 247 der „asiat. Alterth.“ 1. B.)
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sondern auch Herders bemächtigt zu haben, welcher Letztere ja stets seine geistliche Würde, die eines General-Superintendenten im Auge behalten mußte. So ist es begreiflicher, wie diese beiden Gelehrten der Meinung des Anquetil du Perron, daß Zoroasters Geburtsjahr nicht früher als 589 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung anzusetzen sey, so bereitwillig beitreten konnten, ohne vorher sich selbst zu fragen: Hat jener Franzose diese Angabe aus inniger Ueberzeugung niedergeschrieben? Sollte nicht die zur Zeit dieses Schriftstellers noch ganz in den Händen der Jesuiten befindliche Censur in Frankreich, das Bekenntnis aller jener historischen Wahrheiten unterdrückt haben, welche sich mit biblischen Daten nicht vereinigen ließen? Weil aber bei dieser gezwungenen Annahme einer offenbar falschen Zeitperiode des Zoroastrischen Wirkens alle jene Widersprüche, welche Rhode, wie oben gezeigt worden ist, Anquetils Hypothese entgegen stellt, zum Vorschein kommen müßten, so suchten sich Foucher und Kleuker vor jeder künftigen Nachweisung ihrer Irrthümer dadurch zu verwahren, das sie mehr als einen Zoroaster annahmen, und auf diese Weise die Autoritäten der griechischen Schriftsteller, welche über die Perser schrieben, und in deren Berichte von Zoroaster auch keine Harmonie zu bringen ist, gleichfalls zu retten wähnten.
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Von den canonischen Schriften der alten Perser.
Nach den Zeugnissen unzähliger, sowohl der ältesten als neuern orientalischen und abendländischen Schriftsteller (welche alle in Kleukers Anhang zum Zend-Avesta 2. B. 1. Thl. angeführt werden), hatten die alten Perser eine Sammlung heiliger Schriften, deren Abfassung sie dem Zoroaster zuschrieben, und welche sie als die einzige Quelle ihrer Religion und ihrer ganzen Weisheit betrachteten. Ueber die Echtheit der von Anquetil übersetzten Schriften läßt sich wohl mit Heeren *) annehmen, das sie bereits die Feuerprobe der Kritik überstanden, und sich bewährt haben. Ob alle Zoroaster zu ihrem Verfasser hatten? ob sie gleichzeitig oder in verschiedenen Zeiträumen entstanden? sind Fragen, worüber Rhode sich unzweideutig erklärt: „Es ist überhaupt unwesentlich zu erfahren, von wem diese Schriften verfaßt worden, wenn sie nur von dem Volke selbst während der Blüthe seiner Bildung und Religion, d. i. vor der Eroberung Alexanders als die echte zuverlässige Quelle derselben anerkannt wurden. Ist dies erwiesen, so stehen diese Schriften ganz gleich mit den heiligen Schriften der Juden, die man doch als Quellen der ältesten Geschichte und Religion dieses Volkes betrachten kann, und muß, wenn auch keine derselben von dem Verfasser herrühren sollte, dessen Namen sie trägt.“
„Daß die alten Perser wirklich heilige Bücher besaßen, deren Abfassung sie ihrem Propheten Zoroaster zuschrieben, ist eine historische Thatsache. Die einmüthige Aussage aller Schriftsteller des Volkes selbst, als auch die Angaben anderer morgenländischen Schriften stimmen darin mit den unverdächtigsten Zeugnissen der Griechen überein. Auch weiß man aus den Berichten der Reisenden, die in den Gebirgen von Kirman, wie
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*) Ideen über Politik und Handel der alten Welt (B. I. p. 492).
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in Indien, (wo die Reste jenes alten Volks, das sich nicht entschließen konnte, dem Glauben seiner Väter zu entsagen, noch jetzt einzelne Gemeinden bilden), den Zoroasterchen Gottesdienst zu beobachten Gelegenheit hatten, und sich über die Wesentlichkeiten jener Religionslehre bei den Ghebern erkundigten, daß ihre unglücklichen Vorfahren auf der Flucht aus dem Heimathlande die heiligen Bücher als ihr größtes Kleinod mit sich nahmen, und diese von ihren Nachkommen noch jetzt mit heiliger Ehrfurcht bewahrt werden. Eine Verfälschung nach diesem Zeitpunkt ist unmöglich. Zweifler können sich hier nicht auf die Verfälschungen und Unterschiebungen mancher den Christen heiligen Bücher berufen, von welchen es nun zur Genüge bekannt ist, das, sie in Credit zu bringen, heilige Personen als deren Verfasser angegeben wurden. Diese Schriften konnten aber so leicht wieder vergessen, und mit andern vertauscht werden; denn sie enthielten nur Gegenstände der Geschichte und Forschung, ohne in das häusliche und religiöse und bürgerliche Leben einzugreifen. Anders aber verhält es sich mit den heiligen Büchern der Parsen. Diese sind zugleich Grundgesetze des Staats, sind bürgerliche und kirchliche Gesetzbücher, welche das gesammte häusliche und öffentliche Leben ihrer Verehrer umfassen, und deren Inhalt von jedem Einzelnen im Volk gekannt seyn muß, um den strengen Strafen zu entgehen, welche diese Bücher auf jede Uebertretung ihrer VorSchriften setzen. Diese Bücher stehen daher in einem ganz andern Verhältnisse zu den Völkern, welche sie besitzen, als die Menge der untergeschobenen Schriften zu den ersten Bekennern des Christenthums standen.“
„Ein solcher Fall konnte auch nur nach einer großen, das ganze Volk treffenden Umwälzung geschehen seyn, wo die alten Schriften gewaltsam vernichtet worden wären, und man aus dem Gedächtnisse, nach den Sitten und Gebräuchen des Volks, auch wohl nach veränderten Ansichten und Umständen neue Bücher verfertigen, und sie, um ihnen Ansehen zu verschaffen, für die alten ausgeben mußte. Dies hätte bei der Zerstörung des persischen Reichs durch die Araber, welche die Religion Ormuzd
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zu vernichten suchten, leicht der Fall seyn können; allein die nach verschiedenen Gegenden Flüchtenden retteten ihre heiligen Schriften, und nahmen sie mit sich. Daß bei dieser Gelegenheit nichts von jenen Büchern verloren gieng, beweist der Umstand, das sowohl die Perser in Kirman als in Indien dieselben Schriften besitzen, und keine von beiden Parteien mehr hat als die andere. Dies wäre auch nicht anders denkbar, denn man flüchtete aus der Heimath um der Religion der Väter treu zu bleiben, also konnte man diese Schriften mitzunehmen unmöglich verabsäumen. Auch mußte man ja im Besitze vieler Abschriften seyn. Da es eine heilige Pflicht des Ormuzddieners ist, sie täglich zu lesen und zu studiren, und wenigstens jeder Priester, der in dem Feuertempel den öffentlichen Gottesdienst verrichtete, mußte eine Abschrift derselben besitzen.
Allerdings bietet die Eroberung Persiens durch Alexander einen solchen Zeitpunkt dar, in welchem die heiligen Schriften der Ormuzd-Verehrer vernichtet worden seyn konnten, wie auch wirklich die heutigen Parsen einen solchen Verlust vorgeben, aber dieser konnte nicht alle vorhandenen Bücher, sondern nur einen großen Theil derselben in sich fassen, und zwar nur solche, welche das gesammte Wissen des Volks enthielten; wie auch wohl anzunehmen ist, das als das Zend aufgehört hatte VolksSprache zu seyn, und nur noch als gelehrte Sprache von den Priestern erlernt werden mußte, nur wenige Abschriften der ganzen Sammlung vorhanden seyn mochten. Was dagegen in diesen Schriften unmittelbar auf die Staatsverfassung oder den öffentlichen Gottesdienst Bezug hatte, mußte in den Händen aller den Gottesdienst verrichtenden Priester, Richter und Vorsteher des Volks seyn. Diese mußten sich ja in den Händen von Tausenden befinden. Als sprechender Beweis für die Wahrheit dieses Satzes kann der Vendidad angeführt werden, welcher, weil er das allgemeine Gesetzbuch des Staats und der Kirche war, vollständig auf die Nachwelt gekommen ist, während von den übrigen Theilen des Zend-Avesta sich nur noch Bruchstücke vorfinden, aber auch nur Hymnen und Gebete, und
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damit verbundne Bruchstücke größerer Schriften, die ganz wie die Sonntags-Evangelien und Episteln unserer Kirche zum Vorlesen beim öffentlichen Gottesdienst bestimmt waren. Daß Schriften der Art im griechischen Kriege nicht verloren gehen konnten, ist durch ihre Bestimmung erweislich, und die Versicherung der Parsen: bei jener großen Umwälzung ihres Staats durch Alexander diese Schriften gerettet zu haben, hat die höchste innere Wahrscheinlichkeit.
Zwar beruft sich in den alten Raváts *) in einem Briefe, welchen ein Destur Persiens an den Destur **) Barzu in Indien schreibt, jener auf eine Sage, nämlich, einige Priester, welche bei der Unterjochung durch Alexander dem Blutbade entronnen wären, hätten nach dem Tode des Eroberers, da sich von den heiligen Schriften durchaus nichts mehr vorfand, die jetzigen heiligen Bücher aus dem Gedächtnisse niedergeschrieben, und gründet sich auch zum Theil auf ein anderes Gerücht, demzufolge Alexander alle heiligen Zendschriften ins Griechische habe übersetzen, und die Urschriften verbrennen lassen. Die Priester hätten sie folglich aus dem Gedächtnisse wieder hergestellt. Dieser Sage stehen folgende triftige Gründe entgegen:
1) War Alexander, wie man weiß, nicht geneigt, durch Verbrennung der heil. Schriften das Volk zu erbittern, weil er durch Nachahmung religiöser Gebräuche und Sitten, und durch Beschützung der Religion die Gunst der Perser zu gewinnen suchte.
2) Wäre es ihm unmöglich gewesen alle Abschriften der Bücher, welche sich auf den Gottesdienst und die Verfassung bezogen, zu verbrennen, da sie ihrer Bestimmung nach in zu vielen Händen seyn mußten.
3) Wenn Alexander wirklich einige von den heil. Schriften ins Griechische übersetzen ließ, so konnte es nur der Vendidad
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*) Bedeutet Erzählung, Gebrauch, Geschichte. Diesen führen die Briefsammlungen, welchen die Desturs v. Kirman an die in Indien schrieben.
**) Ein Priester.
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seyn, weil er als Gesetzbuch den Griechen, die er hie und da als Satrapen anstellte, und die doch der Landesgesetze kundig seyn sollten, wichtiger als die übrigen Bücher der Parsen erscheinen mußte.
4) Verwerfen die Parsen selbst diese Sage. Hätte man sich auch zu irgend einer Zeit entschlossen, verlorne Schriften aus dem Gedächtnisse wieder herzustellen und unterzuschieben, so würde man schwerlich bei den vorhandenen stehen geblieben seyn, oder überhaupt nicht so viel zusammenhangende Bruchstücke, sondern lieber ganze Bücher, und über Gegenstände der Astrologie, des Geisterreichs u. s. w., deren Verlust die Parsen so sehr bedauern, gewählt haben. Daß aber die noch vorhandenen Schriften gerade nur das enthalten, was sich unter allen Umständen erhalten konnte und mußte, ist ein nicht geringer Beweis ihrer Echtheit.“
Leicht dürften dem Verf. gegenwärtiger Schrift ihm Uebelwollende mit dem Tadel begegnen, das er sich des Verdienstes der Selbstständigkeit gänzlich zu begeben scheine; indem er seine Sache von einem fremden Autor verfechten lasse, mindestens bisher die Vertheidigung derselben großentheils Hrn. Rhode übertragen habe. Aber hier, wo es galt uns vor den wesentlichern Vorwürfen der Zeloten zu verwahren, welche ihren Erfindungsgeist gar zu bereitwillig anstrengen, wenn es einen vermeintlichen Widersacher in Glaubenssachen zu bekämpfen gilt; weil sie den von ihm vorgetragenen Sätzen eine Absicht, den Credit der Bibel zu verdächtigen, gern unterschieben möchten, so konnte eine etwas weitläufige Auseinandersetzung der Gründe für die Haltbarkeit unserer Behauptung, daß den Zendschriften ein höheres Alter als der mosaischen Urkunde zugestanden werden muß, nicht gut vermieden werden. Indem wir jedoch mit Recht bezweifelten in der Concinnität des Styls, welche der beschränkte Raum dieser Blätter erfordert, den so oft citirten Autor noch zu überbieten, so däuchte uns räthlicher das Interesse des von uns
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behandelten Gegenstandes als unser eigenes gegen die Angriffe eines Gegners zu sichern.
Nach dieser kleinen Abschweifung kehren wir wieder zu unsern Untersuchungen über die bereits zur Hälfte bewiesene Echtheit der Zendschriften zurück, denn da es bisher nur die äußern Gründe, welche man ihrer Unverfälschtheit entgegen setzen könnte, zu widerlegen galt, machen wir uns nun anheischig auch noch die innern aus Form und Inhalt dieser Schriften selbst zu ihren Gunsten herfließenden Gründe nachzuweisen, und hier ist es gerade, wo diese Schriften in ihrem vortheilhaftesten Lichte erscheinen, und gegen alle Angriffe siegend vertheidigt werden können *).
I. Izeschne,
d. i. feierliches Gebet, gibt also schon durch den Titel seine Bestimmung an. Es ist dies Buch nicht systematisch, sondern liturgisch, nämlich so abgefaßt, daß es zu Vorlesungen beim öffentlichen Gottesdienste gebraucht werden kann. Der Styl ist orientalisch, nämlich hyperbelnreich, und die stärksten Bilder verschwendend. Uebrigens muß man nicht glauben, daß dieses Buch sich von andern Schriften des Orients nicht durch viele Eigenheiten unterschiede. sowohl die Concepte als das einzelne Kolorit der Bezeichnung **) beziehen sich ganz auf die geweihten Lehren und Mysterien des Magismus. Einzelne Ideen haben etwas sehr Originelles und Antikes, wie man durch Vergleichung neupersischer, arabischer oder auch solcher Schriften der Parsen, die aus neuern Zeiten sind, leicht bemerkt. Jede Seite zwingt zu der Bemerkung, das der Geist
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*) Die hier folgende hist. kritische Beleuchtung der Zoroasterschen Werke ist ursprünglich von Kleuker, aber mit zweckmäßiger Abkürzung von uns wieder gegeben, und nur so viel beibehalten, als sich mit der Tendenz unsrer Schrift verträgt.
**) Die gewöhnlichsten Dinge haben eine Art von Feierlichkeit, einen hohen glänzenden Nimbus, der sich auf ein großes hierarchisches System bezieht. Alles schwebt entweder im Licht, oder ist zum Abscheu mit dicken Wolken der Finsternis überzogen. Anmerk. Kleukers.
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dieser Bücher eine andere Welt voraussetzt, als worin die Parsen jetzt sich finden; eine Zeit, die für diese unglücklichen Reste verloren ist; einen Genius, den sie jetzt nicht mehr haben können. Anquetil hat Proben ihrer neuern Schreibart mitgetheilt, woraus man sieht, das das Volk zwar noch an den alten Lehren haftet, aber sich von der alten Manier des Ausdrucks weit entfernt hat.
Weil jedoch die Form eines Buches noch kein genügendes Zeugnis für das Alterthum desselben seyn kann, muß man, um zu einem sichern Resultate zu gelangen, sich an den Inhalt einer solchen Schrift wenden, und sehen, wie viel sich daraus auf das Zeitalter des Volkes, unter welchem es geschrieben wurde, und dessen Verfassung schließen lasse? Untersucht man die historischen, geographischen, politischen und dogmatischen Angaben solcher Schriften, so kann bei sorgfältiger Prüfung jeder Trugschlus vermieden werden. Zum Glück findet sich alles Erforderliche in dem Izeschne. Wir wollen zuerst die
1) historischen Angaben untersuchen. Die redende Person ist hier fortwährend Zoroaster; jedoch kann aus dem Folgenden mehr geschlossen werden. Im Ha VII. *) lautet es: „Die heiligen und großen Häupter die mit Reinigkeit in dieser Welt wandeln“ (bezieht sich auf die Großen des Reichs, die sich des Zoroasterschen Gesetzes annahmen). Dieser Umstand setzt eine andere Verfassung voraus, als worin die Perser jetzt leben. – Im Ha VIII. liest man: „Durch mich, Zoroaster, komme empor und verbreite sich das Gesetz aller Orten, welches Segen und Glück allen Reinen der Welt ankündigt.“ – Zoroaster bittet also hier für die Ausbreitung seiner Lehre, welche, als dies geschrieben wurde, noch im Kampfe war. In der That folgte deren allgemeine Annahme erst nach Zoroasters Tode. Im Ha IX. werden die ersten Anbeter Ormuzds **)
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*) Benennung für Kapitel.
**) Welche der mündlichen Offenbarung Ormuzd von Hom in der vorzoroastrischen Zeit zugethan waren.
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bis auf Zoroasters Zeitgenossen genannt, von den spätern ist keine Spur. Dieses fällt um so mehr auf, weil, wenn man die spätern Aufsätze der Parsen in den Yescht-Sades vergleicht, bei eben dieser Gelegenheit nicht nur die frühesten Anbeter Ormuzds bis auf Zoroaster, sondern auch alle Jene genannt werden, die bis dahin lebten, als der jedesmalige Verf. schrieb. Dieser Umstand bedeutet hier um so mehr, weil nach dem Volksbegriffe das Gebet seine Kraft verliert, wenn nicht die Feruers *) aller derer ausdrücklich genannt werden, die seit den ältesten Zeiten bis auf die jedesmalige das Gesetz entweder selbst befolgt, oder sich um dasselbe verdient gemacht haben. – In einer andern Stelle bittet Zoroaster den Hom **), daß er Kraft und Größe allen wirksamen Helden gebe“ (dgl. waren Ependiar und andre Zeitgenossen Zoroasters). Jetzt hat das Volk keinen Helden mehr, die für die Religion kämpfen können. – Eben so merkwürdig ist es, wie sich der Prophet für den damaligen König interessirt, in den Worten: „Nimm dich an dieses Zweigs der Keanier! Er entkräfte alle Weltverheerer! Mache groß die Wünsche Ke-Gustasps“ – weiter heißt es: „Meine Wünsche sind für Ke- Gustasp, Freschoster, Djamasps Bruder.“ – Lauter Zeitumstände. Djamasp war Minister Gustasps und Freschoster wurde Zoroasters Schwiegersohn. – Ha XXIII. XXIV. kommt wieder eine Reihe histor. Personen vor, von Kajumers bis Gustasp, Zoroaster und dessen Söhnen und Anverwandten, aber keiner wird genannt, der nach Zoroaster gelebt hätte. Er bittet aber auch für alle die noch bis ans Ende der Welt in seinem Gesetze leben würden. Aus der Vergangenheit nennt er die Namen, aus der Zukunft weiß er sie nicht. Aus diesen historischen Angaben, sowohl was die genannten Personen als andere Umstände betrifft, läßt sich sowohl negativ als positiv schließen. Erstlich
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*) so viel als Manen der Abgeschiedenen.
**) Dessen Zeitperiode nicht bestimmt werden kann, und welchen Foucher, Anquetil, Kleuker und Herder für den ersten Zoroaster halten.
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wird keiner einzigen Person, die nach Zoroaster lebte, gedacht, und zwar in Verbindungen, wo dergl. stehen müßten, und gewiß stehen würden, wenn der Inhalt dieses Buchs in ein späteres Zeitalter nach Zoroaster fiele. Zweitens sind unter diesen historischen Angaben einige, welche das wahre Zeitalter und die ganze Welt von Verbindungen, worin der Verf. dieses Buchs sich fand, so lebendig, gegenwärtig und dramatisch vorstellen, als man nur erwarten kann. Jetzt folgen die
2) geographischen Bestimmungen. Die Länder und Gegenden, die der Verf. vor Augen hatte, sind folgende: Es wird der Norden *) mit den gebirgigen Gegenden Mediens geschildert, durch die wilden Thiere und Schlangen daselbst. Das Land des Verf. war ein gebirgiges. In Ariema schrieb der Verf. er gibt ihm daher das Prädikat: „gesetzdurstend.“ Da diese geographischen Bestimmungen nur gelegentlich sind, beweisen sie um so mehr. Sie würden nicht da stehen, wenn sie nicht als Bezeichnung des Schauplatzes da stünden. Außerdem aber finden sich keine. Wäre das Buch in einem andern Lande, in einer andern Zeit geschrieben, würde man dafür Zeit- und Ortbestimmungen finden müssen. Dazu kommt noch, daß die hier vorkommenden Namen gerade die ältesten für diese Länder sind. Was die
3) politischen Umstände betrifft, welche hier vorkommen, so läßt sich daraus deutlich auf die Verf. des Reichs schließen, worin der Autor lebte, und auf das Verhältnis seiner Lehre zu diesem Reiche. Ueberall hat er ein großes Reich vor Augen, und einen König, dessen Freundschaft er genoß, und den er daher rühmt. Auch werden die vier Hauptstände genannt Priester, Krieger, Feldbauer und Künstler, worein die Nation getheilt war. Dabei hat der Verf. die höhern und niedern Obrigkeiten vor Augen, und betrachtet sich als denjenigen, der allen Rath und Vorschrift ertheilen müsse.
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*) Passen diese Beschreibungen wohl auf Kirman, Yezd und Indien, den Aufenthaltsorten der heutigen Parsen?
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Auch dieser Apparat von herrschenden Ideen lehrt, was er lehren soll. Nicht weniger die
4) dogmatischen Bestimmungen. Wenn hier einige mythologische Data vorkommen, wovon die griechischen Schriftsteller nichts sagen, so ist doch nichts natürlicher, als das in authentischen Büchern der Nation selbst dergl. Ideen vorkommen, wovon die Fremden nichts wissen.
Schließlich folge diese Bemerkung, daß alle Stücke, woraus der Izeschne besteht, im Zend geschrieben, folglich in ein Zeitalter gehören, wo diese Sprache noch herrschend war, also in der frühesten Periode jenes Volkes entstanden seyn müssen, und daher auch die ältesten s
Sagen und religiösen Meinungen desselben enthalten.
II. Vispered
d. h. Häupter oder Lobpreisungen aller Häupter der Verehrung. Dieses Buch ist bloß liturgisch, ohne wie im Izeschne durch anderweitige Betrachtungen und Unterredungen unterbrochen zu werden. Weil hier Beziehungen auf mehrere Theile des Avesta vorkommen, so kann man den Vispered als das jüngste der Zendbücher betrachten, und auch andere Verf. als Zoroaster annehmen.
III. Siruze
ist eigentlich bloß ein liturgischer Kalender nach den Monatstagen abgetheilt, wovon jeder den Namen seines Schutzgenius führt. Es ist gleichfalls im Zend geschrieben, macht einen Theil der canonischen Bücher aus, und wird sogar von Mehrern dessen Abfassung in die vorzoroastersche Zeit gesetzt. Doch geht aus einigen Gebeten klar hervor, das es unter der Dynastie der Keanier verfaßt sey, unter denen Zoroaster lehrte.
IV. Jescht – Sade
heißt: Gebet. Lobpreisung himmlischer Wesen und die mit diesem Namen bezeichnete Sammlung enthält eine ziemliche Anzahl derselben; aber auch Gebete andern Inhalts, welche
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der Parse zu allen Zeiten des Tags, und bei allen Geschäften an alle Wesen der Verehrung richten sollte, sind hier unter den Namen Neasch‘s, Patet‘s, Afrin‘s, Afergan‘s u. s. w. gesammelt. Diese ihrem Werthe und Inhalte nach sehr verschiedene Sammlung muß in zwei Abtheilungen gebracht werden. Die erste enthält alte im Zend geschriebene Stücke, welche in Gebeten, Hymnen und Bruchstücken verlorner Schriften Zoroasters bestehen (wie dies von den heutigen Parsen noch behauptet wird); die zweite enthält jüngere in Pehlwi und Parsi geschriebene Stücke von verschiedenem Inhalt. Unter den Zendstücken befinden sich mehrere, welche den Parsen jetzt noch das gelten, was beim christl. Kultus die Perikopen, nämlich Bruchstücke aus Zoroasters Schriften, zum Vorlesen beim öffentlichen Gottesdienst bestimmt, welchen stets ein kurzes Einleitungsgebet vorausgeht. Der Vergleich dieser Jeschts mit den christl. Perikopen gehört Rhode an, wofür er (S. 40. 41. seines Werkes: „Die heil. Zendsage“) vier Beweisgründe anführt.
Kleuker findet auch das hohe Alter der Jeschts durch die hist., geogr. und polit. Angaben außer Zweifel gesetzt. In Beziehung auf den
1) historischen Inhalt wird auf den Jescht-Farvadin (Feruers) hingewiesen. Dieser Jescht bestimmt Zeit und Ort am deutlichsten. Alle berühmten Menschen seit den ältesten Zeiten werden hier aufgezählt, und diese Reihe geht nur bis auf Ke Gustasp und dessen Söhne. Die Natur dieses Aufsatzes forderte, das kein Name derer ausgelassen wurde, die sich als Helden und Könige ausgezeichnet hatten. Wenn eben diese Namen in spätern Aufsätzen fortgesetzt werden, so stehen darin nicht nur die spätern Lehrer oder Nachfolger Zoroasters, sondern auch die spätern Könige, und zwar in chronologischer Ordnung; hier aber ist keine Spur irgend eines Namens oder einer Begebenheit nach Zoroasters Zeitalter. Hier ist weder Zufall noch Betrug zu vermuthen. Die
2) geographischen Bestimmungen bieten auch hier die
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möglichste Klarheit (siehe Carde 25.) wo Irans Provinzen der eigentliche Schauplatz sind. Die
3) politischen Angaben sind völlig wie beim Izeschne. Ueberall denkt sich der Verf. in einem großen Reiche mit großen Provinzen.
V. Vendidad
d. h. das von Ormuzd gegebene Gesetz, unterscheidet sich von den übrigen Zendbüchern hinsichtlich seiner allgemeinen und besondern Einrichtung. Man findet hier keine Lobpreisungen und liturgische Formeln, sondern einen Vortrag, der entweder legislatorisch, oder erzählend und dialogisch ist. Weil in demselben keiner andern Zendbücher gedacht wird, so schließt Kleuker mit Recht auf dessen höchstes Alterthum. Auch hier unterläßt dieser Gelehrte nicht seine gewöhnlichen Beweisgründe aus den vergleichenden Angaben der Geschichte, Geographie zu schöpfen, eben so aus den auf die damalige politisch-hierarchische Verfassung und Dogmatik sich beziehenden Stellen das Zeitalter und den Schauplatz des Verf. zu bestimmen. Zu den
1) historischen Bestimmungen gehören die bloß der Pischdadier und Keanier Dynastie (bis Gustasp) angehörigen Personen, als a) Dschemschid, mit welchem die Bildung der Nation ihren Anfang nahm, b) Feridun einem der Pischdadier *), c) Paschutan, Gustasps zweiter Sohn, den Zoroaster rühmt, weil er seiner Lehre in Verefschuan, wo jener Statthalter war, und seines Sohns Oruertur Bemühungen, der Priester daselbst seyn wollte, aufhalf. Lauter Zeitumstände.
2) Geographische Bestimmungen gibt es verschiedene, wovon einige den Schauplatz des Verf. deutlich zeigen. Gleich
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*) Es ist begreiflich, daß diesem Heros als Ueberwinder des Zohak, der den indischen Götzendienst in Persien einführen wollte (s. Rhodes oben angef. Erkl. der Fabel von Zohak mit den drei Schlangenköpfen), von Zor. deshalb ein Ehrendenkmal im Vendidad gesetzt ward.
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das anfängliche Verzeichnis der Länder und Oerter beginnt mit Iran-Vendsj dem nächsten Gesichtskreise Zoroasters. Eben dahin gehören die Namen: Sogdian, Balkh, Nesa u. s. w. Von Bergen kommt der Bordsj vor, von Flüssen der Arares, Phasis u. a. Bei wenigen Büchern läßt sich der Schauplatz ihres Verf. nach innern Merkmalen so bestimmt angeben, wie bei diesem. Man denke sich einen Augenblick, der Vendidad wäre nach Aufhebung des persischen Reiches, und zwar in Indien geschrieben worden, was würde aus diesen Angaben, und welche müßte man alsdann erwarten?
3) Politisch-hierarchische Bestimmungen sind hier dieselben wie im Izeschne. Der ganze Apparat von Verordnungen, und die einzelnen Vorstellungsarten gründen sich auf die oben gezeigte Verfassung des Reiches. Dieselben vier Stände – dieselben Anpreisungen des Feldbaus, dieselben Beschreibungen eines kriegerischen Volks, dessen Waffen, Lanzen, Bogen und Keule sind, heilige Feuer brennen in Städten und Provinzen u. s. w. Passen diese Schilderungen auf eine spätere Zeit? Die gesetzlichen Verordnungen im Vendidat sind großentheils dieselben, die noch jetzt beobachtet werden, doch haben die heutigen Parsen einiges, wovon sich hier keine Spur zeigt. Gleichfalls merkwürdig. Das
4) dogmatische ist hier wie im Izeschne, dieselben Geister, Ceremonien, Sinnbilder, derselbe sittliche Masstab u. s. w. Kleuker äußert sich ferner über den
VI. Bun –Dehesch *).
„Dieses Buch ist seiner Form und Einrichtung zufolge speculativer und systematischer als die Zendbücher, aber doch kein eigentlicher Grundriß derselben, sondern mehr eine Sammlung von Behandlungen einzelner Punkte, die unter 34 Abschnitte gebracht sind.
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*) D. h. die Wurzel ist gegeben. Man gibt das 7te Jahrhundert als die Zeit an, in welcher dies in Pehlwi abgefaßte Buch geschrieben wurde. (Journal des savantes Juillet 1762.)
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Die einzelnen Data sind entweder aus den Zendbüchern, mit Verweisung auf dieselben gezogen, oder aus alten Traditionen und unbekannten Quellen geschöpft. Die behandelten Gegenstände betreffen nicht bloß Theologie und Casualogie, sondern auch Geschichte der Natur und politische Begebenheiten. Dieses Buch ist überhaupt eine Art von Encyklopädie.“
Rhode läßt sich bei dieser Stelle verwundernd vernehmen, das Anquetil und Kleuker „diese merkwürdige Compilation der verschiedenartigsten Bruchstücke ein Ganzes, ja ein speculatives systematisches Werk eines Verf.“ nennen konnten. Nachdem er (l. c. S. 45–51) vielfache Beweise seiner wichtigern Ansicht von diesem Werke aufgezählt, verschafft er seinen Lesern einen Ueberblick in die Zeit der Entstehung des Bun-Dehesch.
„Es mußte“ – bemerkt er daselbst – „unter den Parsen eine Zeit geben, wo Aufsätze, wie sie in der Sammlung des Bundehesch sich befinden, eben so häufig als nothwendig waren. Dies war die Zeit, wo das Zend aufhörte die Landessprache zu seyn, und das Pehlwi *) an seine Stelle trat. Vorher konnte jeder das Gesetz lesen und studiren – welches als eine heilige Pflicht galt; so wie aber die Zendsprache aufhörte, Sprache des Volks zu seyn, mußte die Zahl der Parsen, welche die heil. Bücher lesen konnten, immer kleiner werden. So entstand die Nothwendigkeit, diese Bücher in die übliche Landessprache zu übersetzen. Allein diese Schriften waren stark und zahlreich; vieles darin war nicht mehr nothwendig für das Volk. So entstanden kurze Auszüge des Wichtigsten, oder abgebrochene Erklärungen einzelner Materien; oder später, da sich Secten bildeten, Ausführungen theologischer Sätze mit Berufungen auf das Gesetz;
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*) D. h. kräftig, stark. Auch das Pehlwi mußte, wie ehedem das Zend, bei der Invasion der Araber, dem Parsi weichen, und sich wie das Zend seitdem auf die Ehre beschränken, nur als gelehrte Sprache noch von den Priestern betrieben zu werden.
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kurze Aufsätze, wie man sie eben im Bundehesch ohne einen Hauptzweck gesammelt findet. Die Verf. dieser Auszüge heil. Schriften, lebten zu einer Zeit, wo die Originale noch überall bekannt waren, und durften daher nicht wohl wagen von ihnen abzugehen. Allein Bundehesch enthält auch Aufsätze, welche nicht zu dieser Classe gehören, die theils von Sectirern herrühren, theils an die alte Sage schon neuere Fabeln knüpfen.“
Wir haben nun die Ueberbleibsel der Literatur eines jetzt fast vernichteten Volks kennen gelernt, das in den frühesten Perioden der Geschichte groß und mächtig, und wegen der Weisheit seiner Priester allgemein berühmt war. Die wenigen Reste der Parsen schöpfen noch heute aus den hier angeführten Büchern als heiligen Quellen ihr ganzes Religionssystem. Aber eben weil, wie in der Folge dieses Werks umständlich bewiesen werden soll, in ihnen die Keime des später sich entwickelnden Christianismus verborgen lagen, und wir uns stets auf die Urquelle beziehen müssen, so hielten wir es für unerläßlich, die in der Literatur des Orients minder eingeweihte Zahl unserer Leser mindestens mit den Titeln und dem Haupt-Charakter jener Schriften, welche auch bei den heutigen Parsen noch als canonisch gelten, bekannt zu machen, bevor wir zur Lösung unserer eigentlichen Aufgabe schreiten durften.
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I. Vom Urwesen. (Zervane akerene.)
Die Meinung, daß die Lehre vom wahren Gotte erst durch das Judenthum den Völkern bekannt geworden sey, ist von den Gelehrten längst widerlegt worden. schon das älteste cultivirte Volk der Erde, dessen Religionsbegriffe wir im Parsismus zum Theil wieder finden, hatte ungeachtet seiner Millionen Gottheiten das ewige, unkörperliche Urwesen ebenfalls erkannt, und wird auch im Schasta (einem der Religionsbücher der Braminen) als der Urheber aller Dinge einer vollkommenen Kugel ohne Anfang und Ende gleichend, alles beherrschend und nach unveränderlichen Gesetzen regierend, geschildert *). Wenn aber dem wahren Gotte nur in Indien keine Tempel prangen, so erklären die Braminen dieses Vermissen ihm geweihter Orte damit, daß Gott als unkörperliches Wesen weder Tempel noch Abbildungen bedarf, weil er in den tausend Namen seiner Productionen zugleich mit genannt, mit angerufen und mit vorgestellt wird.
Der Parsismus kann aber füglich eine Veredlung des indischen Religionssystems genannt werden, indem er nicht bloß untergeordnete Religionsbegriffe, wie die Verehrung des Stiers als Symbols der Urkraft der Natur, des Wassers als Symbol der Reinigung u. s. w. in sich aufgenommen, sondern auch die reinern Begriffe von Gott, seiner Unkörperlichkeit und Ewigkeit. Die beiden Prinzipe des Guten und Bösen, welche in der Zend-Religion eine so wichtige Rolle spielen, nämlich Ormuzd und Ahriman sind schon Geschöpfe jenes Urwesens. Der Hauptbeweis dafür findet sich im Bendidad.
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*) Holwells Nachrichten von Hindostan S. 205–206.
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Dort werden Ormuzd, im Gespräch mit Ahriman, folgende Worte in den Mund gelegt: „Ahriman Vater des bösen Gesetzes, das in Herrlichkeit verschlungene Wesen, Zervane Akerene hat dich geschaffen; durch seine Größe sind auch die Amschaspands worden, die reinen Geschöpfe u. s. w. *)
Zervane Akerene schuf also Ahriman und die Amschaspands, unter welchen ja Ormuzd der Erste ist. Wollte man diesen Worten dennoch eine andere Deutung geben, nämlich: Ormuzd spräche hier von sich selbst in der dritten Person unter dem Namen Zervane akerene, so fiele ja selbst der Dualismus und der ganze Kampf weg, worauf in den Zendbüchern alles beruht, und der nur gedacht werden kann, wenn man Ormuzd und Ahriman auf eine Stufe, und mit gleichen Kräften einander gegenüberstellt.
Die Stellen der Zendschriften“ – bemerkt Rhode – welche von Ormuzd auf eine Art reden, als werde er als schlechthin höchstes Wesen betrachtet, lösen sich in der höhern Ansicht des ganzen Systems auf, nach welchem der Parse in der gesammten Natur und Ormuzd als ihrem Schöpfer nichts als Zervane akerene selbst sah und verehrte; und alle Handlungen des Ormuzd und seiner Lichtwesen, Zervane akerene selbst zuschrieb. Eben so sehen die Indier in Brama, Schiwen und Wischnu den Ewigen selbst.“ Aus allen diesen wird ersichtlich, daß dem Dualismus ein Urwesen zu Grunde liegt.
Der Verfasser des Eulma-Eslam **) eines sehr alten orientalischen Werkes, erklärt sich über diese Materie deutlich genug, wenn er sagt: „Im Gesetz Zoroasters heißt es ausdrücklich, daß Gott (Ormuzd) von der Zeit geschaffen ist mit allen übrigen Wesen; der (wahre) Schöpfer ist die Zeit; und die Zeit hat keine Gränzen; sie hat nichts über sich; sie hat
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*) Farg. XIX. Z. Av. B. 2. p. 376.
**) Man hält dieses Werk für das Resultat einer Unterredung zwischen einem Parsen und einem Mohamedaner, Zeitgenossen des Ali.
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keine Wurzel (Principium), sie ist immer gewesen, und wird immer seyn. In dieser Größe, worin die Zeit war, gab es kein Wesen, welches sie Schöpfer nennen konnte, weil sie noch nicht geschaffen hatte. Darauf schuf sie Feuer und Wasser; und aus ihrer Mischung (nachdem sie beides hervorgebracht hatte) kam Ormuzd. Die Zeit war Schöpfer davon, und behauptete ihre Herrschaft über die Geschöpfe, die sie hervorgebracht hatte.“
Weiter hin liest man; „Er (Ormuzd) fing an zu wirken, und alles was Ormuzd gemacht, hat er mit Hülfe der Zeit gemacht u. s. f.“ *)
Das Zeugnis der Griechen lautet ziemlich dasselbe. Aristoteles nennt dieses Urwesen τοπρωτον γεννησαν αριστον. Theodor von Mopsvesta und Eusebius sind es unter den Kirchenvätern, welche dieser Meinung beistimmen. Von dem Erstern hat Photius ein schätzbares Fragment aufbehalten. „Theodor“ – sagt dieser Autor (Bibl. p. 199. ed. de Rouen 1693.) „erklärt in seinem ersten Buch die berüchtigte Lehre der Perser, welche Zarasdes (Zoroaster) erfunden, die Lehre nämlich, daß Zarvane die Grundursache aller Dinge sey, wie darauf Zarvane den Hormisd (Ormuzd) und Satan hervorgebracht habe, und endlich was aus der Blutsvermischung des Einen und des Andern erfolgt sey.“ Theodor, welcher Zoroasters System zu widerlegen sich die Miene giebt, und dennoch dieses Geständnis zu Gunsten des Parsismus ablegt, ist hier demnach der glaubwürdigste Zeuge. Eusebius (Praep. Ev. l. 1. c. 10) erzählt von Zoroaster und seinem Systeme: „Gott aber hat das Haupt eines Sperbers, er ist das Erste aller Wesen, unzerstörbar, unsichtbar, unerzeugt, ohne Theile, ohne alle Aehnlichkeit und Bild, unbestechlich, der Guten Gütigster, der Weisen Weisester, der Vater der Gerechtigkeit; er schöpft seine Erkenntnis aus sich selbst; der Lehrer der Natur, vollendet und weise, der heiligen Naturkunde einziger Entdecker.“ Auch fügt dieser Kirchenvater hinzu, daß Hostanas in seinem Octateuch sich eben so ausdrücke.
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*) Z. Av. Anhang B. 1. S. 197.
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„Ist es aber nicht seltsam“ fragt Abbé Foucher – „daß die Gottheit mit dem Haupte eines Sperbers geschildert wird? Wie paßt dieses Bild zu den folgenden Attributen?“ „Eben dieses“ – fährt dieser Gelehrte in seiner Abhandlung über Zoroasters „System von der Natur Gottes“ fort – „eben dieses überzeugt uns, das die Stelle von Zoroaster selbst sey. Sinnbilder liebten die Menschen ja zu allen Zeiten. Die älteste Schreibart war in Bildern abgefaßt. Die Buchstabenschrift ist viel jünger. Aber der symbolische Geschmack erhielt sich noch zum Ausdruck der göttlichen Attribute und Religionsgeheimnisse. Es war nicht befremdend, die Gottheit auf öffentlichen Denkmälern unter menschlicher oder thierischer Gestalt mit verschiedenen Köpfen u. dgl. abgebildet zu sehen. Wahrscheinlich setzte Zoroaster vor das Kapitel von Gott einen Sperberkopf als Sinnbild der Gottheit. Da nun nicht alle Abschriften des Zend-Avesta solche Gemälde hatten: so zeigte man die Gemälde des Originals jedesmal selbst an, z. B. hier wird Gott unter dem Bild eines Sperberkopfes dargestellt. Dies ist der Sinn der Worte: όδεΘεοςξστικεφαληνξχωη ίερακος. Dies war Anfangs eine Glosse, der Kopist aber schaltete sie in den Text ein. Das Bild ist auch sehr passend. Aus der höchsten Luft sieht der Sperber seinen Raub in der Tiefe. Dies dient als Symbol der Gottheit, welche vom erhabensten Himmel in die tiefsten Abgründe schaut. So wurde der Begriff der Gottheit dadurch erhoben.
Die andern griechischen Schriftsteller, welche Zoroasters und seiner Lehre vom Urwesen gedenken, dienen in ihren Aussagen nicht weniger zur Bekräftigung der hier aufgestellten Beweise, daß die Parsen von der Gottheit die reinsten Begriffe gehabt haben müssen. Eudem und Damascius nennen die Gottheit beim Zoroaster τονοντονύταν, den Allgeist, dessen allgemeiner Name Raum oder Zeit sey, und aus dessen ungetheilter Natur Licht und Finsternis (Ormuzd und Ahriman) ihren Ursprung genommen hätten. Hiermit kann man den Unerzeugten Θεοςάγεννητος beim Eusebius, den χρονος als die
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urerste Monas, den Urgeist νους πρωτοςu. s. w. vergleichen. Auch Theopomp und Plutarch, wenn sie vom Ursprunge des Ormuzd und Ahriman erwähnen, gedenken sie stets ihrer Verhältnisse zu einer höhern Gottheit als Schiedsrichter. Die Zendbücher reden selten zwar, aber in einigen Stellen doch ausdrücklich von diesen Verhältnissen des Ormuzd und Ahriman zur Zeit ohne Gränzen (Akerene), welches seinen Grund hat, denn alles in denselben bezieht sich auf den gegenwärtigen Lauf der Dinge, dem das Urwesen ruhig zusieht, und die bei den Prinzipien allein thätig sind, so daß alle Erscheinungen und Begebenheiten von ihrem gegenseitigen Einflusse herkommen.
Zervane akerene ist kein bestimmter Name für das Urwesen, sondern nur characteristische Bezeichnung, welche aus der Uebersetzung dieses Zendwortes klar hervorgeht, nämlich: maßlose, anbeginnlose Zeit. Gibt es wohl ein sinnreicheres Ideal für Gott? Im Gedanken der gränzenlosen Zeit liegt zunächst das vom Allerhöchsten, das er nicht Anfang hat, nicht geboren ist; und dies ist die würdigste Idee vom Urgrunde aller Dinge. Darum nahm Zoroaster das Bild der anbeginnlosen Zeit, sonst hätte er mit einigen alten Weisen die Unendlichkeit des Raumes, in dem noch nichts Ausgebildetes war, zum Symbol der Unendlichkeit, Unermeßlichkeit, Unbegreiflichkeit des Urgrundes aller Wesen machen können. Bei all unserm Denken muß irgendwo angefangen werden, und eben das, wobei sich das Denken anhebt, muß selbst keinen Anfang haben. So wenig dies eine klare anschauliche, übersehbare Idee gibt, so innig tief fühlt jeder die Wahrheit dieses Gedankens. Es wird hier keinesfalls eine leben- oder wesenlose Oede oder Nichts gedacht, sondern der erste und letzte Urgrund aller Dinge wird nur dadurch symbolisirt. Soll der Allerhöchste nach der Wesenschöpfung besonders bezeichnet werden, nach dem was er in ewiger Einsamkeit war, so nennt ihn Zoroaster ewige Ewigkeit. Nach seinem Wesen nennt er ihn aber Wort, d. i lebende, schaffende Kraft zur Hervorbringung alles dessen, was nachmals geworden ist. Von dieser
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Schöpfungskraft hat er allen Wesen, nach größerer oder minderer Aehnlichkeit zu ihm, mehr oder weniger, reiner oder vermischter mitgetheilt. Man vergleiche mit dieser hier gegebenen Erklärungsweise des Zoroasterschen Ideals von der Gottheit, die ersten Verse aus dem Evangel. Johannis:
1) Im Anfange war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.
2) Dies war im Anfang bei Gott.
3) Alles ist durch dasselbe erschaffen, und ohne dasselbe ist nichts, was da ist, erschaffen.
4) In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.
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II. Auch der Parsismus ist eine Religion des Lichts.
Als Zervane akerene die beiden ersten göttlichen Wesen Ormuzd und Ahriman hervorgebracht hatte, befanden sich beide in einem unbegränzten Lichtreich. Dieses Licht heißt das Urlicht. Als Ahriman abfiel wurde er Finsternis und befand sich nun in einem unbegränzten Reiche der Nacht; beide Reiche waren nun da begränzt, wo sie an einander stießen. Zwischen beiden ward bei der Schöpfung der sichtbaren Welt die Erde als Scheidewand gestellt, und über dieselbe erhob sich das Himmelsgewölbe, welches oberhalb noch allenthalben vom ersten Urlicht umgeben war.
So stellen, nach Rhode (l. c. S. 213) die Zendbücher das Local der Schöpfung im Allgemeinen dar. Ormuzds Lichtreich befindet sich ungetrübt über dem Himmelsgewölbe. Es fand sich auch so auf der Erde bis zu Anfang des dritten Zeitalters *). Jetzt brach Ahriman, dessen Nachtreich bis dahin nur auf die Hölle (den Duzahk unter der Erde) beschränkt
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*) Jedes Zeitalter fast 3000 Jahre. Es sind deren aber vier.
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war, in Ormuzd‘s Körperwelt ein, und herrschte gemeinschaftlich mit ihm; nur ist der Raum zwischen Himmel und Erde zur Hälfte in Licht und Nacht getheilt. So wie Ormuzd vorher einen Geisterstaat des Lichts hatte, so Ahriman einen Geisterstaat der Nacht; sobald er aber in die irdische Lichtwelt eindrang, um darin mit Ormuzd gemeinschaftlich zu herrschen, setzt er auch der irdischen Lichtschöpfung eine irdische Nachtschöpfung entgegen, und es stehen von dem Augenblicke an zwei Körperwelten einander gegenüber; die erste, von Ormuzd abstammend, ist Licht, rein und gut, die zweite, von Ahriman abstammend, ist Nacht, unrein und böse. Den sieben Planeten (Amschaspands) treten sieben Kometen (Erzdews) entgegen, jeder guten und heilsamen Pflanze die von Ormuzd kam, setzt Ahriman schädliche und giftige entgegen, jedem nützlichen guten Thier ein reißendes und böses, so stehen nun beide Reihen in unabsehbarem Kampf begriffen einander gegenüber, und mitten zwischen ihnen der Mensch mit freier Wahl, zum Guten oder Bösen sich zu wenden.
Auf den Mauern von Persepolis sieht man Thierkämpfe angebracht, welche nicht als bloße Verzierungen gelten, sondern auch einen religiösen Hintergrund haben. Der Kampf dieser Thiere bildet den großen Kampf der beiden Schöpfer Ormuzd und Ahriman selbst ab, wie sich dieser in der ganzen Thierwelt offenbart, und in welchen der Mensch durch alle seine Pflichten tief verwickelt war. Es war heilige Pflicht des Ormuzddieners, das reine Thier als Ormuzds Geschöpf zu pflegen, zu nähren und gegen die Thiere Ahrimans zu schützen, so viel er nur immer konnte. Es war ihm heilige Pflicht, gegen alle Geschöpfe Ahrimans zu Felde zu ziehen, sie zu tödten oder ihnen zu schaden, soviel er nur immer konnte; Ahriman wurde selbst in seinen Geschöpfen bekämpft. Um diese Pflicht in beständiger Uebung zu erhalten, mußten bei Sühnopfern nicht allein eine bestimmte Anzahl ahriman. Thiere (oft zehntausend) getödtet werden *),
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*) Vendidad Farg. XIV. p. 362. Z. A. B. II.
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sondern es war auch jährlich ein religiöses Fest angeordnet, an dem sich das ganze Volk auf die Jagd gegen die ahrimanischen Thiere begeben mußte, ein Fest, welches von den Ghebern in Persien und Indien bis auf diesen Tag gefeiert wird *).
Noch weit mehr ist der Kampf gegen den Schöpfer des Bösen selbst eine Religionspflicht. Indem gegen die Materie des Fleisches gekämpft wird, bewirkt man das Unterliegen Ahrimans, der in dieser Welt der Sinnlichkeit herrscht. Und darum ist der Kampf so schwer und bedarf des höhern Beistands Ormuzds. Der wahre Ormuzddiener ist also ein beständiger Krieger gegen Ahriman und seine Schaaren, er soll kämpfen und siegen und das Böse vernichten. Darum heißen auch die Eingeweihten in den Mithra-Mysterien Krieger des Mithra. Da mit übereinstimmend sagt Jesus (Matth. X. 34 u. s. f) zu den Jüngern: „ Ihr sollt nicht wähnen, das ich gekommen sey, Friede zu senden auf Erden. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert; denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater, die Tochter wider ihre Mutter, die Schnur wider ihre Schwieger. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen seyn.“
Abgesehen von einem andern Sinn, den man auch in diese Worte legen kann, und der durch die vorhergehenden Verse auch gerechtfertigt wird, scheint wegen der folgenden Verse 37 bis 39 auch diese unsre Auslegung darin enthalten zu seyn, und die Rede ist also auch von einem moralischen Kampfe, den der Christ immerwährend mit der Sinnlichkeit zu führen hat. Auch das Christenthum also predigt Kampf gegen den Bösen und Entsagung den weltlichen Freuden. „Diese Lehren“ – bemerkt Richter – „stammen sämmtlich aus Indien, wo sie als nothwendige Folge jener Begriffe erscheinen, nach welchen die Seele nur in den irdischen Leib versteckt wird, um geläutert und gereinigt zu werden. Von da gingen sie unmittelbar in das persische Religionssystem über. In Persien ist der Hauptpunkt
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*) Z. Av. B. III. p. 246.
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von Zoroasters Lehre der immerwährende Kampf gegen Ahriman und seine Dews. Dieser Hauptpunkt findet sich im Christenthum wieder, weil in demselben auch vom Kampfe gegen den Teufel und die bösen Geister die Rede ist. Selbst Christi Leiden und Auferstehung wird als ein Bild dargestellt, wie wir unser Fleisch kreuzigen müssen, damit der Böse keine Macht über uns gewinne, und der Geist zum neuen Leben wieder erweckt werde. Das Christenthum kennt also auch die persische Lehre vom Gegensatze eines guten und bösen Prinzips, eines Reiches des Lichts und der Finsternis. Der Teufel heißt eben sowohl ein Ahriman, ein Verführer, Lügenvater, Fürst der Finsternis, ein Fürst dieser Welt, der alte Drache, der herumgeht wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Eben so ist in der Bibel von seinen Dienern, den bösen Geistern die Rede, welche als Gewaltige und Herren dieser Sinnenwelt beschrieben werden, gegen welche der Christ kämpfen muß, gerade so wie es Pflicht des wahren Ormuzdverehrers ist, gegen die Dews zu kämpfen, und ihre Werke zu zerstören.“
Als Kämpfer gegen die Schaaren der Finsternis gibt sich demnach der Bekenner der Zoroasterschen Religion für einen Bürger des Lichtreichs zu erkennen, welches aber nichts anders bedeutet, als ein heiliges und reines Leben führen, sowohl in Rücksicht der innern Gesinnungen, als auch der äußern Handlungen. So ist auch, wenn Johannes sagt Ep. I. V. 7:
„So wir aber im Lichte wandeln, wie er im Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander,“
der Christ ein „Bürger des Lichts“ und das „im Lichte wandeln“ ist von einem reinen tugendhaften Leben zu verstehen.
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III. Auch die Ormuzd-Religion ist eine geoffenbarte.
Die Zendbücher erwähnen, das Zoroaster das Gesetz von Ormuzd im Wege der Offenbarung erhalten habe. Der Vendidad legt alle Lehren Ormuzd selbst in den Mund und in einer später geschriebenen Stelle im Izeschne *) heißt es: „Wie Ormuzd dem Zoroaster auf sein Begehren die ganze Auferstehung und alles, was sich begeben soll, geredet hat, wie Ormuzd selbst es ihm gelehrt, so red‘ auch ich Zoroasters Schüler.“
Diese Offenbarung enthält: 1) die ganze heilige Sage von Zervane Akerane, dem Urgrund aller Dinge, von der Schöpfung der Licht- und Nachtwelt, den Kampf zwischen beiden, von der Schöpfung des Menschen, seinem Standpunkt auf der Erde und seiner endlichen Bestimmung; von der Auferstehung der Todten und dem Ende der Welt. Alles, was der Parse von diesen Dingen weiß, hatte, wie unzählige Male gesagt wird, Ormuzd offenbart. Die Offenbarung enthält: 2) alle Vorschriften zu gottesdienstlichen Gebräuchen und Handlungen; sie machen den größten Theil des Vendidad aus und werden Ormuzd selbst in den Mund gelegt. 3) Die Sittenlehre des Zendvolks, wie sie im Zend-Avesta überhaupt und im Vendidad insbesondere enthalten ist, und 4) die ganze bürgerliche Gesetzgebung, welche als ein Theil der Sittenlehre betrachtet, und im Vendidad Ormuzd selbst in den Mund gelegt wird.
Der Zweck dieser Offenbarung ist zweifach: 1) dem Menschen Mittel anzugeben, wie er das Böse überwinde, alles moralische und physische Uebel von sich entferne, sich im Guten stärke u. s. w. 2) gibt sie die Regeln, wie der irdische Wohlstand des Volkes zu befördern sey, den Ormuzd wie Jehovah an die Ausübung seines Gesetzes knüpft. So heißt es im
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*) Z. Av. B. I. p. 129.
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Vendidad: „Wer die Steine *) betreten hat, wird reich, wenn er Mangel hat; bekommt Kinder, wenn er keine hat; bekommt Güter, wenn er dürftig ist u. s. w. (Z. A. B. II. S. 319. Vend. Farg. IV.) ebenso lautet es im Vendidad Farg. XXII. „Diene mit Ehrfurcht und ff. Ich will dir stündlich schenken tausend Ochsen, die dich auf deinen Reisen tragen sollen. Diene mit Ehrfurcht und ff. und ich will dir in Ueberfluß geben Korn und vollfließende Bäche, deine kranken Helfer will ich gesund machen.“ (Z. A. B. II. S. 385.)
„Was die Offenbarung Ormuzds vortheilhaft auszeichnet“ – bemerkt Rhode – (l. c. S. 414.) „ist, daß sie den ersten Zweck durchaus zur Hauptsache macht, und den zweiten nur so beiläufig aufstellt; dagegen Jehovah beim Moses den zweiten fast allein aufstellt und den ersten nur ahnen läßt.
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IV. Honover (der Logos).
Dem Izeschne zufolge war das Wort (Logos beim Joh.) vor der Schöpfung aller Wesen. „Das reine“ – sagt Ormuzd – „das heilige, das schnellwirkende Honover (Wort) war o Zoroaster! ich sage es dir vor dem Himmel, vor dem Wasser, vor der Erde, vor den Heerden, vor den Bäumen, vor dem Feuer, vor den reinen Menschen, vor den Dews, vor den Kharfesters **), vor der ganzen daseienden Welt, vor allen Gütern, vor allen reinen Ormuzdgeschaffenen Keimen.“ Man vergl. damit die schon oben angef. Stellen aus dem Ev. Joh.
1. Im Anfange war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.
2. Dies war im Anfang bei Gott.
Ist das Wort wird man fragen ein neues von Zervane Akerene verschiedenes Wesen? Ist es etwas Besonderes bei
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*) D. i. sich die Reinigung des Baraschnom hat geben lassen.
**) Erzeugnisse der Dews, wie Schlangen, Wölfe u. s. w.
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dem ersten und zweiten Prinzip? oder ist es nur die Weisheit und personificirte Thätigkeit derselben ? denn in dem gewöhnlichen Verstande, worin die mit Mund und Ohren versehenen Menschen diesen Ausdruck gebrauchen, kann er hier nicht gelten. Die Ravants und andere theologische Schriften der Parsen geben keinen Aufschluß hierüber. Man muß also bei den Zendworten bleiben. Weil das System Zoroasters sonst nur zwei Principien der zweiten Ordnung zeigt, glaube ich, das man sie allegorisch verstehen, und das Wort bloß als ein Attribut der Zeit ohne Gränzen ansehen müsse, die sich nämlich durch die Schöpfung der Wesen offenbarte, ohne aus sich selbst zu gehen und ihre Quelle zu verlassen. Allein eine genauere Vergleichung jener Stellen zeigt, daß das Wort, nach dem System der Zendbücher ein für sich bestehendes Wesen sey; und zwar:
1) weil, wenn Honover nur die angewandte Weisheit der Zeit ohne Gränzen (Zervane Akerene) wäre, wozu die Erinnerung, daß dieses Wort schon vor der wirklichen Welt vorhanden gewesen? Dies wäre an sich klar.
2) Honover ist älter als selbst Ormuzd, weil es vor allen Geschöpfen war. Es ist selbst ewig, aber nicht absolut, denn als von Gott gegeben (wie die Zendworte Khédatehé andeuten) muß es einen Anfang des Daseyns haben.
3) hat Honover auch eine Seele, einen Feruer *) wie die übrigen Productionen der „Zeit ohne Gränzen,“ eine Eigenschaft wornach es unter die Klasse der geschaffenen Wesen gehört.
Honover ist demnach als ein geschaffenes Wesen zu betrachten, geringer als die Zeit ohne Gränzen, aber über Ormuzd, das den Quell und das Muster aller Vollkommenheiten der Wesen in sich enthält und das Vermögen sie hervorzubringen, das sich aber nur durch eine Aeußerung der Zeit ohne Gränzen und Ormuzds geoffenbart hat.
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*) Die Feruers sind die Urbilder der Wesen. Jede geschaffene und vernünftige Substanz hat einen Feruer.
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Berücksichtigt man ferner auch die Zendstelle: „Ich habe mit Größe das Wort gesprochen, ich der in Vortrefflichkeit Verschlungene, und alle reine Wesen, die sind, gewesen sind und seyn werden, entstanden und bekamen Lauf in Ormuzds Welt, so muß man unwillkürlich sich auch des 3. Verses im ersten Kapitel beim Joh. erinnern: „Alles ist durch dasselbe erschaffen, und ohne dasselbe ist nichts, was da ist, erschaffen.
Das Honover beim Zoroaster und der Logos des Evangelisten sind also offenbar identisch, und gleichbedeutend.
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V. Ormuzd (Gottes Sohn.)
Ormuzd *) Name des Weltschöpfers, zusammengezogen aus den Zendworten Ehoré (der Herr) und mezdao (der Große) aus ewiger Kraft der Unendlichen erzeugt, ist der Erstgeborne aller Wesen, geboren aus ewigem Licht, fort und fort Licht an sich ziehend, wohnend im Urlicht, wie es im Izeschne von ihm heißt: „Himmlischer Ormuzd, lebend im Urlicht“ **) und womit man die Worte des Paulus an Timotheus (Ep. 1. Kap. 6. V. 16.) vergleichen mag, als: „Gott wohnt in einem Lichte.“ Dahin gehören auch die ersten 14 Verse im ersten Kapitel des Ev. Joh. insofern hier von Jesu als der zweiten Person in der Gottheit die Rede ist.
Als Himmlischer der Himmlischen trägt Ormuzd fast alle Herrlichkeiten und Eigenschaften des Unendlichen, weil er der unmittelbarste Urabdruck des ewigen Wesens ist.
Dies erinnert an den Adam Kadmon der Kabbalisten, der geistigen Urmenschen, die erste Emanation des Lichts in der Gottheit, oder des himmlischen Menschen wie ihn Philo nennt, und worin wie Richter ***) meint, der Grund zu suchen ist,
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*) Kurze Darstellung des Lehrbegriffs von dieser persischen Gottheit nach Kleuker. Z. Av. B. I. 5.
**) Z. A. B. I. S. 159.
***) l. c. S. 293.
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daß Christus in seiner Qualität als Logos und Messias im neuen Testamente gewöhnlich des Menschen Sohn genannt wird. Er wird dadurch als die erste Gestaltung, welche die Offenbarung der Gottheit annahm, und also als das erste und liebste Kind des Urwesens characterisirt. Auf ähnliche Ideen scheint auch die Vergleichung hinzuweisen, welche Paulus I. Korinth. XV. 47 etc. zwischen dem irdischen und himmlischen Menschen anstellt. Er spricht von der Auferstehung der Todten und zeigt, daß nicht dieser irdische materielle, sterbliche Leib mit allen seinen ehemaligen Qualitäten wieder auferstehen werde, sondern ein geistiger verklärter unsterblicher Leib. Den irdischen Menschen nennt er den ersten (in Beziehung auf Adam) und den geistigen den andern Menschen. Dann fährt er fort: „Der erste Mensch ist von der Erde, der andere Mensch ist aber der Herr des Himmels. Dem irdischen Adam gleichen die irdischen Menschen, dem himmlischen Menschen aber die himmlischen Menschen d. h. die vergeistigten Menschen nach der Auferstehung, und wie wir das Bild des irdischen Adam an uns getragen, so werden wir alsdann auch das Bild des himmlischen an uns tragen.“
Es leidet keinen Zweifel, daß der Apostel bei dem himmlischen Menschen an Christus als Gottes Sohn dachte; aber in dem er eben von ihm die Benennung des himmlischen Menschen braucht, so liegt darin die Anspielung auf Philo‘s himmlischen Menschen und den Adam Kadmon der Kabbala. Diese Anspielung erklärt sich denn dadurch, daß Paulus als Mitglied der neuen christlichen Essäer mit dem Ursysteme des jüdischen Essäismus, der seine Quelle im Parsismus findet, (wozu sich während des Aufenthalts der Juden in Persien unter Cyrus Gelegenheit bot,) vertraut gewesen sey, und umgekehrt kann sie als Beweis von der Uebereinstimmung der Ideen in der Geheimlehre des Christenthums mit dem Essäismus dienen. Christus ist also gleich Ormuzd, Eins mit jener höchsten Emanation der Gottheit, dem himmlischen Menschen und dem Adam Kadmon d. h. er wurde in den höhern Lehren des Christenthums mit demselben identifizirt.
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Bemerkenswerth in Beziehung auf die untergeordnete, den göttlichen Vater nicht ganz erreichende Natur des Logos, so wie auf sein Verhältnis zu den niedern Emanationen, und auch mehrere Stellen des neuen Testaments z. B. wenn es Koloss. I. 15 und 16 heißt: Welcher (Christus) ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne von allen Kreaturen, denn durch ihn ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und Unsichtbare (Man vergl. damit die stelle im Jescht-Farvardin: „Dieses himmlische Volk (die Feruers, reinen Geister) geschaffen vom Herrlichkeit verschlungenen Wesen (Ormuzd) *) und eine andere im Vendidad Farg. 19.: „Zoroaster fragte Ormuzd und sprach: O Ormuzd in Herrlichkeit verschlungen! wie soll ich die Wesen ehren, deren Schöpfer du bist? (Z. Av. B. II. S. 377.) und in demselben Farg. wo Ormuzd auch als Schöpfer der Körperwelt noch deutlicher bezeichnet wird mit den Worten: „Ich rufe an Ormuzd den Schöpfer der reinen Welt; die Erde Ormuzds Geschöpf, das Wasser Ormuzds Geschöpf u. s. f.“ (l. c. S. 379.)
Christus ist also das Ebenbild Gottes aber nicht das höchste Urwesen selbst, gerade so wie Ormuzd dem Zervane Akerene untergeordnet ist, was schon aus seinem Prädicat: Erster der Amschaspands (guter Engel), wie er in den Zendbüchern häufig genannt wird, ersichtlich ist. Ormuzd ist der Erstgeborne, die erste Emanation des Urwesens Zervane, auch Christus ist der Erstgeborne Gottes, vor allem Geschaffenen vorhanden, und durch den alles Vorhandene ins Daseyn kam, ebenso wie dies auch von Ormuzd als dem Schöpfer der Geister und reinen Körperwelt gelehrt wird.
Die Unterordnung Ormuzds geht aber nicht nur aus seiner Bezeichnung: Erster der Amschaspands deutlich hervor, sondern auch der Umstand, daß Ormuzd seinen Feruer und
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*) Z. Av. B. II. p. 256.
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Körper hat *) läßt ihn dem Schöpfer Zervane gegenüber als geringer an Würde erscheinen; und so begegnen wir abermals einer auffallenden Aehnlichkeit in den Religionsbegriffen der Parsen und der Christen in den ersten Jahrhunderten, denn abgesehen davon, daß schon der Evangelist Joh. (XX. 17) Jesu Worte in den Mund legt, welche seine Unterordnung ausdrücken, wenn er ihn sagen läßt: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater zu meinem Gott und eurem Gott“ desgleichen XIV. 28. „Ich gehe zum Vater, denn der Vater ist größer denn ich oder auch wenn Paulus Philip. II. 6. sagt: „Obgleich Jesus das Ebenbild Gottes an sich trug, so wollte er doch nicht mit einer gottgleichen Würde prangen“ so finden sich noch mehrere Stellen, die eine Unterordnung Jesu andeuten. so spricht der Verf. des Briefes an die Ebräer I. 2. 4. von dem Sohne, daß ihn Gott zum Erben über Alles gesetzt, und erklärt seine Natur nur für vortrefflicher als die der Engel, was so ziemlich wieder an Ormuzd als Ersten der Amschaspands, ersten Ized **) erinnert.
Aber auch die Kirchenväter waren derselben Ansicht von dem Rangesunterschiede Christi. Irenäus erklärt den Sohn ausdrücklich für geringer als den Vater, und Clemens von Alexandrien schildert den Logos als ein besonderes Wesen, dessen Natur über Menschen und Engel weit erhaben sey und dem Vater am nächsten komme. Auch Origenes sucht die Ausdrücke Jesu: „Ich und der Vater sind Eins; ich bin im Vater und der Vater ist in mir“ von der Einheit des Zwecks und der Gesinnungen zu erklären, welche zwischen dem Logos und dem höchsten Gotte Statt finde. Justinus Martyr spricht von Christus als einem bloßen Gesandten der Gottheit,
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*) Izeschne Ha 23. Z. Av. B. I. S. 145. Auch die Erde, Bäume u. s. w. also nicht bloß lebende Wesen, haben ihre Feruers.
**) Izeds werden die Engel, und Schutzgeister, Genien überhaupt genannt. Ormuzd als Ized. s. Z. Av, B. 11. S. 286.
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der ihrem Willen gehorche, ihre Befehle den Menschen überbringe, und glaubt, daß wenn im alten Testamente von Erscheinungen der Gottheit gesprochen werde nur der Logos darunter zu verstehen sey; denn der Natur des höchsten Gottes, als des Unnennbaren und Unbegreiflichen widerspäche es, in sichtbarer Gestalt auf die Erde herabzusteigen; dies könnte nur der Logos als geoffenbarter Gott. (Auch Ormuzd ist geoffenbarter Gott d. h. der Sichtbargewordene im Gegensatze zu seinem Schöpfer Zervane (die unbegränzte Zeit, welches gleichfalls im Begriff vom Urwesen ohne eigentliche Benennung für das selbe ist.) „Ihn den Vater und unaussprechlichen Herrn aller Dinge“ – fährt jener Kirchenvater in seinem Raisonnement fort – „der auch der Vater und Herr von Christo ist, hat ja Niemand gesehen, wohl aber jenen, der vermöge seines (des höchsten Gottes Willens, ein Gott und sein Sohn, Gesandter und Bote ist, und den er deswegen dazu erwählte, weil er seinem (des höchsten Gottes) Willen immer Gehorsam leistete.“
Dieses untergeordnete Verhältniß drückt er auch in einer andern Stelle aus, wenn er sagt: Es heißt, der Herr hat Feuer geregnet vom Herrn aus dem Himmel, so deutet wohl das prophetische Wort zwei Worte an, das Eine welches auf die Erde herabgestiegen ist, um die Sodomer zu bestrafen, das andere welches im Himmel befindlich ist und als Vater und Gott der Herr des auf die Erde herabgekommenen Herrn und die Ursache von der Existenz, Kraft und Macht desselben ist, und durch seinen Willen bewirkt hat, daß er Gott und Herr ist.
Selbst Eusebius spricht noch von einer untergeordneten Natur des Sohns, wenn er sagt: „Alles was der Logos in seiner Vollkommenheit ist, fließt ihm aus der Fülle des höchsten Gottes zu, aus welcher er, als aus einer ewig strömenden Quelle seiner Gottheit schöpft;“ oder in einer andern Stelle: „der Logos hat alle seine Würde und Vollkommenheit, sein Leben und Alles, was er ist, nicht von sich selbst, sondern durch Mittheilung des höchsten Gottes seines Vaters, und er weder
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wie die heil. Schrift lehre, nur deshalb göttlich verehrt, weil Gott in ihm wohne.“
Man sieht aus den angeführten Meinungen jener Kirchenlehrer also ganz deutlich wie das ganze Dogma von der Gottheit Christi sich nur langsam ausbildete; und erst in der Kirchenversammlung zu Nikäa ward der Ausdruck und Begriff: Gottes Sohn im buchstäblichen Sinne festgesetzt; und als rechtgläubige Norm angenommen, daß der Sohn und der Vater Eines Wesens wären. Im Urchristenthum jedoch ist der Logos noch nicht Urgott, sondern bloß als erste Offenbarung desselben, höchste Emanation gedacht, dem Urgott am nächsten aber doch demselben untergeordnet.
Wenn hier die Paralelle zwischen Ormuzd und dem Logos der Christen gewagt wurde, obschon in dem vorhergehenden Kapitel der Logos bei den Parsen als Vergleichung mit Christus bereits versucht worden ist, so kann diese Wiederholung bei einem scheinbar andern Gegenstand durch eine schon früher angeführte Zendstelle gerechtfertigt werden, aus welcher abzunehmen ist, daß die Begriffe von Honover und Ormuzd zuweilen gemeinschaftlich oder gar identisch gedacht wurden, wie folgender Ausspruch Ormuzds bezeugt:
„Ich selbst, das in Herrlichkeit verschlungene Wesen, sprach dies Wort mit Größe, und alle reine Wesen, die sind, gewesen waren und seyn werden, wurden dadurch und kamen in die Welt. Noch jetzt spricht mein Mund dieses Wort in seiner ganzen Weite fort und fort, und reicher Segen mehret sich.
Leicht ließe sich in der Annahme, das durch Ormuzd, in dem er das Wort aussprach, die Schöpfung begonnen habe, ein Widerspruch gegen den früher aufgestellten Lehrbegriff, dem zufolge das Wort noch vor Ormuzd gewesen, auffinden lassen. Diesen Widerspruch glaubt Abbé Foucher dadurch zu heben, indem er annimmt, Zoroaster hätte zwar ein allerhöchstes Wesen gelehrt, unter welchem Ormuzd als sein Erstgeborner die Welt regierte; diese Lehre pflanzte sich jedoch nur unter den Weisen fort, das Volk hingegen blieb in seinem Glauben meist
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wie zuvor, erhob sich nicht über den Ormuzd, und gab ihm solche Eigenschaften die nur dem höchsten Wesen zukamen. Auch ein Theil der Magier erklärte sich für diesen Irrthum und dadurch entstand das dualistische System von zwei Grundprincipien. Bei dieser Annahme erscheint der Sinn jener Stelle, welchem zufolge das Wort durch Ormuzd gesprochen die Schöpfung bewirkte, ganz ungezwungen. In der That ist ja auch in den Zendbüchern fast nur von Ormuzd die Rede, er ist Anfang und Ende von Allem. Werden die Amschaspands und die übrigen Genien angerufen, so ist Ormuzd Anfang Mittel und Ende. Nie wird gesagt, das Ormuzd einen Urheber seines Daseyns habe, wohl aber daß er Urheber alles Großen und Kleinen sey. Besonders finden sich alle diese Merkmale in dem Jescht Ormuzds vereinigt. Allein gleich auf diesen Jescht folgt der an die Amschaspands, welcher damit beginnt: „O Ormuzd vortrefflicher König! daß die Glorie und der Glanz der Amschaspands wachsen!“ Kurz darauf liest man: daß die Amschaspands mir hold sind, daß 1. Ormuzd in Licht glänzend der erste der Amschaspands 2. Bahman u. f. 3. Ardibehescht u. f. 4. Schariver u. f. 5. Sapandomad u. f. 6. Khordad u. f. 7. Amerdad u. f. Wenn also Ormuzd weiter nichts ist als ein Geist, der um den Thron des Ewigen steht, so ist er nicht selbst der Ewige; wenn er nur das Haupt und der Erste der sieben Amschaspands ist, so sind die sechs übrigen seine Brüder, und sie alle müssen einen gemeinschaftlichen Vater haben nämlich Zervane (Zervane Akerene) den höchsten Gott. Folglich erkannte Zoroaster einen höhern Gott als Ormuzd, und das Aufeinanderfolgen der beiden Jeschts, die sich in Anbetracht der Würde Ormuzds so sehr zu widersprechen scheinen, beweist nichts weiter als daß Zoroaster bei Abschaffung des spätern Jescht gefühlt zu haben schien, das er zum Lobe Ormuzds sich wohl allzustark ausgedrückt habe. In dieser Liturgie wollte er also die erforderliche Einschränkung jenes Begriffes vornehmen; denn käme Zervane Akerene in den Zendbüchern gar nicht vor, dürfte man den Zoroaster immerhin
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beschuldigen Ormuzd für das höchste Wesen erkannt zu haben. Allein Zervane wird allerdings erwähnt nur selten, und das hat seine Ursache darin, daß dieser letzte Grundbegriff aller Dinge für den öffentlichen Religionsdienst und für Liturgien zu abstrakt war, und sich nicht gut wie eine Person denken ließ, auch kein Gegenstand für die Einbildungskraft war. Da her blieb die öffentliche Religion der Perser beim Ormuzd stehen mit dem alles Geschaffene seinen Anfang nahm, und der als Oberhaupt und König der Welt Alles regiert.
Diese Meinung Fouchers, daß Zervane Akerene von Zoroaster nur den Magiern und als esoterische Lehre mitgetheilt worden sey, findet ihre Bestätigung im Izeschne Ha 36. Dort ist die Rede vom Feuer Oruazeschte und da heißt es: „Ich nahe mich dir kräftig wirkendes Feuer seit Urbeginn der Dinge. Grund der Einigung zwischen Ormuzd und dem in Herrlichkeit verschlungenen Wesen, welches ich mich bescheide nicht zu erklären *).“
Was hier unter dem Ausdruck Einigung zu verstehen sey, ist schwer zu bestimmen, da wir den Ausdruck der Urschrift nicht kennen, und die Uebersetzung hier unklar ist. Was auch irgend gemeint seyn mag, das Verhältnis zwischen Zervane (denn wer sollte sonst unter dem in Herrlichkeit verschlungenen Wesen verstanden werden?) und Ormuzd kann nicht darin begriffen werden, denn das wird offen gelehrt. Hier ist also die Rede von einer geheimen Lehre, wenigstens kann man den Nachsatz so deuten, denn in der Note übersetzt Anquetil du Perron „was ich nicht erkläre, obschon ich es weiß.“ Es liegt also hier eine Anspielung auf eine geheime Lehre zu Grunde, die der Verf. nicht öffentlich auszusprechen wagte.
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*) Z. Av. B. I. p. 169.
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VI. Zoroaster. Versuch einer Parallele desselben mit Jesu, dem Reformator einer schon bestehenden Religion.
Bei keinem Religionsstifter irgend eines Volkes finden sich auch in den Schicksalen derselben so viele Aehnlichkeiten als zwischen Jesus und Zoroaster.
Zoroaster, eigentlich Zerduscht genannt, stammte wie der Stifter des Christenthums aus einer Herrscherfamilie. Im Bun-Dehesch wird seine Genealogie bis auf Feridun zurückgeführt, und Zoroaster als ein Zweig der alten Königsfamilie von Ari dargestellt, eine Nachricht, welche die irrige Angabe Justins, der ihn einen König von Baktra nennt, einigermasen erklärt *).
Im Zerduscht – Nameh **) wird erzählt daß Dogdo, die Mutter des Gesetzgebers, im sechsten Monate ihrer Schwangerschaft einen sehr beunruhigenden Traum gehabt. Ein Traumdeuter, von ihr befragt, spricht (Kap. 5. Zerd. Nameh) zu der Geängstigten: Ich sehe was noch kein Menschenkind gesehen hat. Du bist schwanger fünf Monat und 23 Tage, und wenn deine Zeit gekommen seyn wird, sollst du einen Sohn gebären, den man nennen wird: Gebenedeiter Zoroaster. Er soll ein Gesetz verkündigen, das der Erde Freude bringen wird u. s. w.
Man vergl. damit:
Ev. Lucä Kap. I. V. 31. „Sieh du wirst einen Sohn gebären, dessen Name sollst du Jesus heißen.“
Ev. Matth. Kap. I. V. 21. „Und sie wird einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Jesus heißen, denn er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden.“
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*) Justin L. I. c. 1.
**) Eine Geschichte Zoroasters die der Destur (Priester) Zerduscht Behram vor 200 Jahren aus dem Pehlwi übersetzte.
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Bahrdt *) war schon durch diese hervorspringenden Aehnlichkeiten zu der Bemerkung verleitet worden, das die Jugendgeschichte des Messias das allgemeine Schicksal gehabt habe mit einigen Zusätzen bereichert worden zu seyn **). Er berief sich auf die allgemeine Neigung der Menschen bei außerordentlichen Männern, insbesondere solchen, die durch einen ungewöhnlichen Grad von Weisheit und Einsichten sich hervorgethan hatten, Spuren des Uebernatürlichen zu entdecken.
Im 7. Kap. des „Zerd. Nam.“ liest man ferner von dem Fürsten Duranserun, einem Haupt der Magiker. Er wußte daß Zoroaster, sobald er aufstände, durch sein reines Gesetz alle Magie tödten würde. Kaum wurde ihm des Kindes Geburt verkündigt, so sprang er auf vom Throne, und stieg zu Pferde, und begab sich in Poroschasps (des Vaters von Zoroaster) Haus. Er fand Zoroaster an der Mutter Brust. Größe Gottes ging von dem Kinde aus. Belehrt von dem, was sich begeben hatte bei seiner Geburt, machte ihn der Zorn blaß, und er befahl seinen Leuten, daß sie das Kind greifen und mit seinem Säbel durchhauen sollten. Aber der Vater der Seelen lies seine Hand verdorren auf dem Flecke.“
Der Unterschied zwischen Duranserun und Herodes, welche Beide einen künftigen Ueberwinder ihrer Macht fürchten, ist nur dieser, daß sich der Letztere sein Blutgeschäft bequemer macht, und nicht in höchsteigner Person das Opfer seines Ehrgeizes aufsucht.
Im „Zerd. Nam.“ Kap. 37. findet sich eine Schilderung wie die Weisen des Landes in Gegenwart des Monarchen dem Zoroaster Fragen gestellt, um die Echtheit seiner göttlichen Sendung aus den richtigen oder falschen Antworten zu ermitteln, aber heißt es daselbst: „Die Fragen beantwortete er daß sie staunten. Darauf breiteten die Weisen eine Decke auf den Fußboden
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*) Briefe über die Bibel im Volkston S. 41. ff.
**) Noch mehr solcher wunderbarer Nachrichten findet man im evangelio infantiae Christi.
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und setzten sich um Zoroaster. Jeder fragte ihn besonders so viel er konnte und bewunderte die Tiefe und Weite seiner Einsicht, u. s. w.“
Erinnert nicht diese Erzählung an Jesu Lehren im Tempel, und an Ev. Lucä Kap. II. V. 47. „Und alle die ihn hörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antwort?“
Jesus nimmt die Lehrsätze der Essäer an, Zoroaster geht bei den Weisen Chaldäas in die Schule; Ersterer tritt gegen die Pharisäer, der Andere gegen die falschen Magier auf.
Laut Math. XIV. V. 26–36. wandelte Jesus gefahrlos auf dem Meere. Ein Aehnliches liest man vom Zoroaster. „Er zog aus von Urmi in Begleitung einiger der Seinigen und kam mit ihnen an die Ufer eines Flusses. Wie er kein Schiff sah, ward sein Herz von Kummer zusammengezogen; er betrübte sich darüber, wollte umkehren, aber wie er vor Gott weinte ward sein Gebet erhört und er mit allen, die bei ihm waren gingen, ohne sich zu entkleiden, über das Wasser gleich einem Schiff, das die Wasser spaltet, als hätte Zoroaster eine Brücke gebaut.“ (Zerd. Nam. Kap. 16.)
Laut Math. IV. 2. fastete Jesus in der Wüste 40 Tage und 40 Nächte als er sich zu seinem Lehramt vorbereitete. Auch Zoroaster fastete eine gleich lange Zeit in der Wüste, bevor er den Ariern das Gesetz Ormuzd brachte.
Im Zerd. Nam. Kap. 26. liest man: Zoroaster sah auch Ahrimans Gestalt in der Hölle; (also auch eine Höllenfahrt!) wie Ahriman ihn erblickte, schrie er sehr: „Verlaß das reine Gesetz, wirfs wie Staub weg, du sollst doch in der Welt haben was dein Herz wünschen kann.“
Es versteht sich von selbst daß der Versucher auch bei diesem Propheten seine Absichten nicht erreicht, indeß fällt uns bei Lesung dieses Histörchens das vierte Kap. aus dem Ev. Lucä ein:
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V. 6. Und der Teufel sprach zu ihm: Diese Macht will ich dir alle geben, und ihre Herrlichkeit, denn sie ist mir übergeben, und ich gebe sie wem ich will.
7. So du mich willst anbeten soll dies Alles dein seyn.
Jesus antwortet auf diese Zumuthung: „Hebe dich weg von mir Satan! u. s. w. Zoroaster aber wenig verschieden: „Mit Gottes Barmherzigkeit will ich deine Werke in Schande bringen.“ Jesus fand an Paulus einen gefährlichen Gegner, in der Folge aber den tüchtigsten Verbreiter seiner Lehre; ebenso sucht der Bramin Tscheegregatscha, welcher im fernen Indien die Ausbreitung der neuen Religion in Iran erfahren, den König Kustasp gegen Zoroaster einzunehmen, und wird späterhin der thätigste Apostel des Zoroasterschen Glaubens unter den Braminen, deren er 80000 bekehrt.
Auch Zoroaster hält dafür daß die Art Kranke bloß durch das Wort Gottes zu heilen die zweckmäßigste sey *), auch Zoroaster bekehrt die Ungläubigen durch Wunder, auch ihn nennen seine Feinde einen Zauberer, und was das Merkwürdigste in der übereinstimmenden Aehnlichkeit der Aufgabe beider Religionsstifter bleibt, ist, das sie nur eine Reformation der bereits bestehenden Landes-Religion beabsichtigen. Auch Iran scheint, zur Zeit als Zoroaster auftrat, durch Sekten getrennt gewesen zu seyn, wie Judäa zu des Messias Zeit, wo Saducäer und Pharisäer sich feindlich gegenüber standen, und beide zugleich in den Essäern ihre Gegner fanden. Außer denen, welche der unter Dschemschid vor Jahrhunderten eingeführten Urreligion treu geblieben, gab es auch andere, welche mit dem Könige des Landes dem Sterndienste zugethan waren, und ehrten, doch ohne festgesetzte Art des Dienstes, zugleich Gott und die Gestirne. Mit tiefer Hochachtung der Elemente und Beobachtung der durch Dschemschid angeordneten Gahambarsfeste **), begnügten sie sich.
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*) Vendidad Farg. 7.
**) Diese waren als Gedächtnißfeier der Weltschöpfung eingesetzt.
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Dies war die Religion der Könige von Iran. Die größere Menge aber diente bloß den Gestirnen. Diese mischten wie Poroschasp den Dienst des wahren Gottes in die Anbetung der Dews, indem sie Ormuzd und Ahriman als gewissermassen gleich dachten. Der übrige Haufe verehrte bloß Dews und böse Geister.
Zoroaster, der gegen diese verschiedenen Religionen zu kämpfen hatte, setzte in seiner Lehre zuerst solche Geister fest, die selbst von denen verehrt werden mußten, die noch der Urreligion zugethan geblieben waren. Sein Sinn ging dahin die ganze Natur wie Ormuzd den Allerhöchsten der Guten und Ahriman den Fürsten der Dews als abhängig und geschaffen vom Urwesen vorzustellen. Deswegen gab er Beide für bloße Geschöpfe aus und um den Schwierigkeiten einer einzigen ersten Ursache der Dinge auszuweichen, bringt er Ormuzd und Ahriman seinen Persern oft ins Andenken; er breitet sich aus über ihre Natur, gegenseitige Streitwirkungen die sich im Siege des Guten endigen müssen. Diese Grundlehren erhalten ein um so größeres Gewicht, weil sie auf das alte vergessene Gesetz, das unter Dschemschid galt, wieder zurückführen. Was Zoroaster predigt, war schon von Hom auf den Gebirgen verkündigt worden, als das Zendvolk noch die Hochflächen des mittlern Asiens bewohnte. Nach den Zendschriften war auch Hom ein Arier und in Eeriene-Veedjo geboren. Er war der erste Prophet Ormuzd‘s, der Erste, welcher das Lichtgesetz bekannt machte, und von ihm sagt Zoroaster: „Du bist Erster o großer Homo, dem Ormuzd Evangoin und Sader, die Kleider des Heils, mit dem reinen Gesetz vom Himmel gegeben *). Im Vendidad wird dieser Hom mit Zoroaster völlig gleichgestellt. Dort heißt es: „Hom war anfänglich Mittel gegen physisches und moralisches Uebel; in den letzten Zeiten ist es Zoroaster durch seine Sendung **)“ Diese Stelle beweist,
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*) Izeschne Ha IX. Z. Av. I. p. 118.
**) Farg. XX. Z. Av. B. II. p. 381.
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daß Hom als ein dem Zoroaster völlig gleicher Prophet characterisirt wird, als auch, daß das Prophetenamt und der Zweck seiner Sendung deutlich ausgesprochen ist. Alles physische Uebel ist nach den Zendbüchern Folge des moralischen Uebels und rührt von Ahriman her, selbst alle körperlichen Krankheiten. Der Prophet, welcher die Dews bezwang, mußte auch die von den bösen Geistern herrührenden Krankheiten heilen können. Der Prophet Hom war also vermöge seines Amtes auch Arzt, also Mittel gegen physisches Uebel, und in der That befaßten sich die Priester im Oriente wie in Egypten auch mit der Arzneikunde. Außer dem Worte Ormuzd, das bei Krankheiten als wirksames Mittel betrachtet wurde, bediente man sich auch wirklicher Arzneien. Diese scheint Hom aus einer Pflanze bereitet zu haben, die nach seinem Tode von ihm den Namen erhielt, als heilig betrachtet und als Baum und Quell des Lebens verehrt wurde. Die Pflanze Hom, aus welcher der bei dem Gottesdienste verwendete Homsaft bereitet wurde, und von welchem im Izeschne es lautet: „Ich preise alle Homs sowohl den, der auf dem Gipfel der Berge als den der an verschlossenen Oertern wächst,“ ist nach der Meinung der Gelehrten das amomum der Lateiner, und dessen Eigenschaft nach Dioskorides erhitzend ist, wider den Biß giftiger Thiere, und den Weibern wenn sie ihre Zeiten haben, heilsam seyn soll. Wahrscheinlich hat diese Pflanze der Prophet Hom zuerst als heilkräftig entdeckt, und ihr daher seinen Namen gegeben. Nach seinem Tode wurde er als Schutzgeist der nach ihm genannten heiligen Pflanze verehrt, und es wird verständlich, wenn er zu Zoroaster redend eingeführt wird und sagt: „Ich bin der reine Hom, der dem Leben Dauer giebt, wer zu mir redet, wer mich ißt, mit Wärme mich anruft, und demüthiges Gebet mir opfert, der nimmt von mir die Götter dieser Welt *).
Auch die Zeit, wann Hom seine Lehre verkündigte, wird
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*) Izeschne Ha IX. Z. A. B. I. p. 114.
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im Allgemeinen in den Zendbüchern angegeben. „Wer ist, o Hom“ – frägt Zoroaster – „der erste Sterbliche, der in der geschaffenen Welt durch Anrufung und Demüthigung vor dir, bekommen hat, wonach er sich sehnte? Hom antwortete: Vivengham der Vater Dschemschids war der erste Sterbliche der u. s. w.“ *) Also vor der Auswanderung Dschemschids wurde Homs Lehre angenommen. Dadurch ist zugleich der Ort, wo er lehrte, bestimmt. Dieser Ort wird aber noch genauer angegeben. Es heißt weiter: „Nachdem du dich mit Evanguin umgürtet hattest (d. h. dich als Priester Ormuzds ankündigtest), lehrtest du auf erhabenen Gebirgen das Wort **). In dem hohen Gebirgslande also ehe Dschemschid und das Volk in die Thäler herabstieg, wurde durch Hom das erste Gesetz verkündigt. Hom scheint nicht nur die feierliche Anrufung der Natur und der lebendigen Wesen insbesondere gelehrt zu haben, wie aus einer stelle im Izeschne erhellt, wo Zoroaster sagt:
„Das Wort, das du o Hom gesprochen, ist hochberühmt: Ich bitte die Geschöpfe des Lebens damit diese mich wieder bitten; ich rede zu den Geschöpfen des Lebens und rufe ihnen mit Größe. Ich nähre die Geschöpfe und halte sie in guten Stand. Sie sind es, die mir Nahrung geben und Lebenselemente“ und auf die Verehrung der Natur als Grundlage des Naturdienstes der Zendbücher in ihrer ersten kindlichen Einfalt, hindeutet; sondern auch der äußere Gottesdienst mit seinen mannigfachen religiösen Gebräuchen scheint durch Hom zuerst eine bestimmte Form erhalten zu haben. Daß er zuerst die priesterliche Kleidung trug, wird aus den Worten klar, wo es heißt: Ormuzd habe sie ihm vom Himmel gebracht. Auch die Feueraltäre scheinen zu seiner Zeit schon gekannt gewesen zu seyn, denn schon Dschemschid führte bei seiner Einwanderung überall die rothglänzenden Feuer ein, aber auch die Liturgien mögen,
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*) Izeschne Ha IX.
**) Izeschne Ha IX. Z. Av. B. I. p. 118.
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wie obiges Fragment vermuthen läßt, dem Hom ihre Einführung verdanken.
Diese Untersuchungen, welche um so wichtiger waren, weil mehrere Gelehrte das Daseyn des Propheten Hom in Zweifel zu ziehen wagten, wie z. B. ihn Herder nur als religiös bürgerliches Symbol, Anquetil ihn als einen schutzgeist (Ized) gelten lassen wollte, und Kleuker nur schwankte, welcher von beiden Meinungen er Beifall geben dürfte. – Diese Untersuchungen verdanken wir ebenfalls dem Forscherblicke eines Rhode, und dieser Gelehrte schließt seine Bemerkungen über den ersten Gründer der Zendreligion mit den Worten: „Hom scheint indeß nicht alles schriftlich verfaßt zu haben, weil es ausdrücklich heißt: daß alle, die unter diesem ersten Gesetze gelebt haben, die Offenbarung Ormuzds durchs Ohr empfingen. (Z. Av. B. I. S.97.) Dies war auch wohl für die unschuldigen Menschen, wie sie die Zendbücher schildern, die mit ihren Heerden auf den Höhen Asiens herumzogen, hinreichend; allein mit der Auswanderung Dschemschids trat eine ganz andere Lage der Dinge ein. Das Volk ging vom einfachen Hirtenleben durch Ackerbau und feste Wohnsitze zur Civilisation über, und so entwickelten sich durch das Zusammenleben in Dörfern neue Bedürfnisse, neue Laster, und daher mochte sich eine neue erweiterte religiöse Gesetzgebung als nöthig aufdringen. Daher läßt Zoroaster im Anfang des Vendidad, Ormuzd schon dem König Dschemschid als dem Stifter der neuen Lebensform des Volkes den Auftrag geben: das vollkommene Gesetz einzuführen, allein der große König fand sich zu diesem erhabenen Geschäfte zu schwach, und so blieb es bei der ersten unvollkommenen Gesetzgebung des Hom, bis Zoroaster durch seine Sendung die Mängel derselben ergänzte und seine Lehre durch schriftliche Abfassung befestigte.“ *)
Wahrscheinlich würde auch Hom eine schriftliche Offenbarung gegeben haben, wenn sein Wirken nicht in eine zu frühe Zeit fiele,
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*) Die heil. Sage des Zendvolks S. 124.
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wo der Gebrauch der Buchstaben noch nicht bekannt war. Indes thut dieser Umstand unserer Paralelle keinen Eintrag, welcher zufolge auch Zoroaster wie Jesus bloß Reformatoren schon bestehender Religionen waren, ein Beispiel, welches sich im Oriente nicht wieder findet, indem Buddha, Fo, Mahumed u. A. m., wenn sie als Neuerer unter ihrem Volke auftraten, das alte System ganz zu stürzen strebten. Jesus aber erkennt noch immer die Autorität des Moses an, und Zoroaster beruft sich auf Hom, nur daß hier der umgekehrte Fall eintritt, insofern Hom und Jesus ihre Lehren mündlich weiter pflanzten, Moses und Zoroaster aber das Gesetz schriftlich abzufassen für zweckmäßiger hielten.
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VII. Mithra (Jesus als Mittler.)
1) Das Geburtsfest Mithra‘s und das des heiligen Christ werden an einem und dem selben Tage gefeiert. Welches Fest ist das ältere? beantwortet vom Pater Harduin.
Nirgends drängen sich die Aehnlichkeiten zwischen Parsismus und Christianismus zahlreicher als in den Schilderungen, welche uns die Alten von dem Gott Mithra aufbewahrt haben. Hören wir den Kirchenvater Justin über diesen Gegenstand in seinem bekannten Dialog mit dem Juden Tryphon. Dieser erklärt die Mithra-Mysterien seyen deshalb in einer Höhle vorgenommen worden, um auf dem Betlehemitischen Stall (Höhle) anzuspielen, in welchem, wie bekannt, Christus geboren wurde, eine Anspielung, die noch unzweideutiger erscheint, wenn man jenes Monument aus den Katakomben Roms zu Gesichte bekommen hat, auf welchem ein Ochse und ein Esel das Lager des neugebornen Gottes umstehen. (Man vergl. d. Titelkupfer.) Damit aber der böse Dämon diese Gaukelei auf allen Seiten vollkommen mache, erzählt Justin weiter, wurde der Geburtstag des Mithra auf den 25sten Dezember gesetzt,
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an welchem das Geburtsfest des wahren Gottes Christus jährlich begangen wird.
Diese Uebereinkunft der Heiden konnte wahrlich nicht seyn, um das Geheimnis der Geburt Christi nachzuahmen, sondern weil an diesem Tage die Sonne sich zu erneuern schien, indem die Sonne von Einigen mit Mithra oft verwechselt wurde, welcher, wie später dargethan werden soll, auch als der Planet Venus verehrt wurde. Wenn die Sonne den ganzen Thierkreis, die Jahreszeiten hindurch durchlaufen hat, und an das Aeußerste des winterlichen Wendekreises gekommen ist, kehrt sie, wie aus der Tiefe emportauchend, in die Höhe zurück, und indem sie einen neuen Lauf beginnt, scheint sie gleichsam wiedergeboren zu werden, da nun der kürzeste Tag oder die Sonnenwende nach der Anordnung des Julius Cäsar auf den 25. Dezember gesetzt war, obgleich er acht Tage früher fiel (denn die Alten glaubten, das der Wechsel der Zeiten im 8ten Theile der Himmelszeichen geschehe, wie Petavius (de doctr. temp. B. 4. Kap. 27. bemerkt), so glaubte man, an jenem Tage werde die Sonne gleichsam geboren, und feierte ihn als ihren Geburtstag. Der heilige Ambrosius bezieht sich darauf im Anfange der 10ten Rede „von der Geburt des Herrn,“ wenn er sagt: „Gewissermaßen mit Recht nennt das Volk den heiligen Tag der Geburt des Herrn die neue Sonne, und bekräftigt dies durch solches Ansehen, daß auch Juden und Heiden in diesem Worte übereinkommen, weil durch die Geburt des Erlösers nicht nur das Heil des Menschen, sondern auch die Klarheit der Sonne selbst erneuert wird.“ Eben darauf zielt auch der Verfasser der Homilie zum heil. Lucas, von der Geburt Johannes des Täufers hin. Seine Worte sind diese (Thl. II. der Werke des Chrysostomus lat. Ausg. Venedig 1589 S. 432): „Aber sie nennen ihn auch den Geburtstag des Unbesiegten (Invicti natalem). Wer aber ist so unbesiegt als unser Herr, welcher dem Tode sich unterwarf, und ihn besiegte?“ Durch dieses vorzügliche Zeugnis erfahren wir nicht nur wieder, daß die Heiden diesen Tag für den Geburtstag der Sonne hielten,
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sondern auch, das der zu diesem Tage im Kalender bemerkte Unbesiegte nur die Sonne gemeint sey, von welcher die Alten glaubten, daß sie gewissermaßen am 25. Dezember neu geboren werde.
Daß aber die Heiden ihr Mithrafest nicht den Christen abgeborgt haben können, hat schon Pater Harduin zu beweisen sich getraut. „In den ersten Zeiten – sagt er – war der eigentliche Geburtstag Christi noch ziemlich unbekannt, er wurde daher auf den 25. Dezember gesetzt, in der Absicht, daß weil dieser Tag von den Heiden der Geburt der Sonne geweiht war, nach Veränderung der Religion er dem Geburtsfeste unseres Herrn Jesus Christus eingeräumt würde. Der Geburtstag Christi mochte eher in den September gefallen seyn, da für diesen besser als für den Dezember die Wachen der Hirten bei ihrer Heerde, welche Lucas erwähnt, sich schicken. Daß vor dem Zeitalter des D. Chrysostomus der Geburtstag des Herrn unbekannt gewesen, wird damit dargethan, das er sich auf ein Zeugnis des Chrysostomus selbst (in der 31sten Homilie von der Geburt Christi,) beruft, zu dessen Zeit erst die Sitte, den 25. Dezember zu feiern, zu den Orientalen übergegangen sey. Sodann führt er die Worte unseres Kalenders an, von denen er richtig sagt, sie seyen von dem Geburtstag des unbesiegten Mithra, der Sonne zu verstehen, und endlich schließt er: Auf diesen Tag also wurde in Rom zuerst der Geburtstag Christi festgesetzt, damit, während die Heiden ihren profanen Gebräuchen oblagen, die Christen ungestört ihre heiligen Gebräuche feiern konnten.
In der That war vor Alters nicht eine Meinung vom wahren Geburtstag des Herrn in der orientalischen Kirche. In Egypten wurde er nach der herrschenden Meinung am 6. Januar, dem Tage der Erscheinung gefeiert; wie unter Andern Epiphanias de haer. 51 Nro. 24. bezeugt. Einige wählten, nach dem Klemens von Alexandrien (Stromat. B. I.) den 25. Pharmuthi (den 20. April) und Klemens selbst war für den November gestimmt. Harduin aber zieht
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den September vor, wie Calvisius Kap. 48. Isagoges, Scaliger in den Anmerk. nach seinem Werk de emendat. temp. auf der letzten Seite, u. A. m.
Calvisius unterstützt die Meinung Harduins auch damit, daß die Winterszeit sich nicht gut zur Vollziehung des Census geschickt haben könne, welcher für Judäa zur Zeit der Geburt Christi ausgeschrieben war, denn, meint er, es ist nicht wohl anzunehmen, das die Hausväter mit Frauen und Kindern, eine langwierige Reise an den bestimmten Ort zu machen gezwungen worden seyn sollten, da doch ohne Noth eine passendere Jahreszeit anbestimmt werden konnte.
Auch weiß man aus dem Briefe des Joh. von Nikäa an den Armenier Zacharias Catholicus (bekannt gemacht von Combefisus Thl. II. des Actuariums der heil. Väter S. 310) wie Pabst Julius aus den Büchern der Juden *) erst erfahren, daß der Geburtstag Christi auf den 25. Dezember fiel, und seit jener Zeit soll die römische Kirche diesen Tag zu feiern begonnen haben.
Pater Harduin führt auch diesen Umstand für seine Behauptung an, das die Wachen der Hirten bei ihren Heerden (Evang. Lucä Kap. II. v. 8.) deshalb nicht in dem Dezember gedacht werden können, weil eine Stelle im Talmud (Tractat Sabbath Fol. 45. Col. 2. und ebenso im Tract. Bezah Fol. 41. Col. 1.) lautet: Diese sind die Thiere der Wüste, nämlich diejenigen, welche um die Osterzeit auf die Weide heraus gehen, auf den Feldern weiden und nach Hause kehren beim ersten Regen. Tract. Nedarim Fol. 63. Col. 1. und Taanith Fol. 6. Col. 1. heißt es: „Welcher ist der erste Regen? Er fängt an am dritten des Monats Cheschwan.“ Ein Theil dieses Monats fällt sogar noch in den October.
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*) Die Echtheit dieses Briefes ist aber verdächtig, wie Cotelerius in den Anmerk. zum 5. Buch apostol. Verordnungen Kap. XIII. S. 324 bemerkt, wo er ein Fragment aus demselben anführt; und so bleibt der Geburtstag Christi noch immer unermittelt.
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Der heil. Augustin sucht diesen Streit, ob die Christen oder Heiden den 25. Dezember zuerst festlich begangen? zu beider Zufriedenheit zu schlichten, indem er (Rede 190 der Benedict. Ausg. Thl. V.) den Ausspruch thut: „Wir halten diesen Tag feierlich wegen der Geburt des Herrn, nicht wie die Ungläubigen wegen der Sonne, sondern wegen dessen, der sie erschaffen hat.“
Es fragt sich nur noch, zu welcher Zeit der ursprünglich in Persien einheimische Mithradienst auch von den Römern an genommen worden? Darüber belehrt uns Plutarch im Leben des Pompejus, wo es heißt: die Mysterien des Mithra seyen den Römern zuerst von den Seeräubern gezeigt worden, die sich aus den verschiedenen Theilen des Orients gesammelt, und, die Meere mit Räubereien füllend, endlich von Pompejus selbst bekämpft worden. Dieser Seeräuberkrieg fällt in das Jahr 687 nach Erbauung Roms. Also auch dieser Umstand ist der Hypothese des Pater Harduin günstig, denn lebte nicht Pompejus eine ziemliche Zeit vor Christi Geburt? Ist demnach der Mithradienst zu jener Zeit den Römern schon bekannt gewesen, wie können wir dann noch den Kirchenvätern beistimmen, welche die Mithraverehrer der Nachahmung christlicher Gebräuche und Institutionen anklagen wollen? Diese Beschuldigung verdient also am wenigsten widerlegt zu werden. Einige der heil. Väter gestehen zwar, wie in der Einleitung zu unserm Werke bemerkt worden, den Mithra-Ceremonien, ungeachtet ihrer starken Verwandtschaft mit den Ritualien der christlichen Kirche ein höheres Alterthum zu, meinen jedoch, der Teufel hätte, um Skeptizismus unter den Christen zu nähren, schon lange vor Christi Geburt anticipando diese Gebräuche den Heiden gelehrt, eine Hypothese, deren Echtheit zu prüfen wir willig unsern Lesern überlassen.
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2) Die Satisfactions -Theorie, oder Lehre von der Genugthuung Christi ist in den Mithra-Mysterien enthalten.
Es ist oben unter Andern auch der Aehnlichkeit gedacht worden, die sich zufolge jener Abbildung von der Geburt Mithra‘s in den Katakomben Roms mit der Geburt Christi darbietet. Der Ochs und der Esel aus dem Stalle zu Betlehem finden sich auch in der Höhle des Mithra wieder. Wie läßt sich diese Uebereinstimmung erklären? Aus dem Esel konnten die Gelehrten zwar nicht klug werden; glücklicher haben sie jedoch die Bestimmung des andern Thieres entziffert. Der Stier wird auf den meisten Mithrabildern angetroffen und dadurch wurde ein Silvester de Sacy verleitet, das Stieropfer für ein Sinnbild der erneuerten Natur auszugeben. Hammer meint jedoch: „Mit Beseitigung der bekannten sinnreichen, aber keineswegs verbürgten Erklärung, daß der Stier die Erde, und der Dolch des Mithra den dieselbe eröffnenden Sonnenstrahl vorstelle, läßt sich nicht wohl begreifen, wie der geschlachtete Stier die Wiederkehr des Frühlings vorstellen soll? Ganz anders erscheint dieses Opfer auf dem von Zoega eingeschlagenen Wege nach dem Lehrbegriffe der Zendbücher die Auslegung zu versuchen. Nach diesem ist Kajomors der Urstier, aus dem alle Geschöpfe hervorgegangen sind, und der erste Mensch zugleich. (Bun-dehesch III.) Das Opfer des Stiers ist also zugleich ein blutiges Menschenopfer, von Mithra dem Vermittler, zur Sühne Gottes und des Menschen, zur Vernichtung der ahrimanischen Erbsünde dargebracht. Der Grundbegriff dieses Opfers findet sich schon in den ägyptischen Mysterien des Osiris, in den phönizischen des Adonis, wie in Atys und Jachus oder Zagreus, Nyktetis, Isodarites, der immer mit Dionysos und dem Sonnengenius ein und dasselbe Wesen ist. Unter allen diesen Gestalten liegt der demiurgische Bakchus verborgen, dessen mystische Thiergestalt ταυρομορφος schon Creuzer in seinem Dionysus
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(S. 267 und 278) mit dem Schöpfungsstier der Hindu und Parsen, so wie Zoega (in seiner Abhandl. S. 141) das sühnende Taurobolium mit dem Stieropfer des Mithra in Verbindung gesetzt hat.“ *)
3) Auch die drei Weisen aus dem Morgenlande,
wie wir sie dem neugebornen Gotte Geschenke bringen sehen, finden wir (vergl. die Titel-Vignette) auf einem Mithra-Monumente in den Katakomben Roms, durchaus in ihrer Kleidung dem Mithra andrer Denkmäler ganz ähnlich. Sie haben die spitze Mütze, das ganze persische Costüm, den weiten Rock mit einem Gürtel zusammengehalten u. s. w. (siehe Roma subterranea etc. Tom. I. p. 327. 617. 295. 587. Tom. II. p. 117.) Bei dieser Gelegenheit erinnern wir uns einer stelle im Hyde (de relig. vet. Pers. C. 31), welcher sich auf Abulfaradsch mit folgenden Worten beruft: „Zerduscht (Zoroaster) belehrte die Magier über die Ankunft des Messias und befahl ihnen, zum Zeichen ihrer Verehrung, ihre Geschenke darzubringen. Er versicherte, in den letzten Tagen werde eine reine Jungfrau empfangen, und sogleich nach der Geburt des Ki des werde ein Stern erscheinen, selbst am hellen Tage mit unverändertem Glanze strahlend. „Ihr, meine Söhne!“ ruft der ehrwürdige Seher aus, werdet eher als ein anderes Volk seinen Aufgang wahrnehmen. Sobald ihr daher den Stern erblicken werdet, so folgt ihm, wohin er auch leiten wird, und bezeuget dem geheimnisvollen Kinde eure Ehrfurcht, indem ihr ihm mit der tiefsten Unterwerfung eure Gaben darbringt. Es ist das allmächtige Wort welches die Himmel schuf.“
Richter (in seinem „Christenthum und die ältesten Religionen des Orients“ S. 226) ist der Meinung, daß man wegen allzugroßer Uebereinstimmung dieser Stelle mit der im Ev. Math. II. erzählten Geschichte an ihrer Echtheit zweifeln dürfte.
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*) Wiener Jahrb. Jahrg. 1818. S. 110.
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Wäre sie indessen wenigstens zum Theil echt *), so ließe sich gerade die von dem Evangelisten angeführte Begebenheit daraus erklären. Das die Astrologie der persischen Magier die Ankunft des Welterlösers mit der Erscheinung eines wunderbaren Sterns verknüpfte, hat gar nichts Auffallendes. Und somit konnten persische Magier bei dem Erblicken irgend eines ungewöhnlichen Sterns, etwa eines Kometen, wohl auf den Gedanken kommen, daß jetzt der Welterlöser geboren seyn müsse, und sich daher aufmachen, ihn zu suchen. Allein – schließt der von uns angeführte Autor seine Bemerkungen über dieses Thema – es häufen sich doch dabei der Schwierigkeiten so viele, selbst in dem Falle, wenn man auch der strengsten Orthodoxie huldigt, daß man kaum anders kann, als die Erzählung bei Matthäus auf sich beruhen zu lassen. Das Einzige ließe sich etwa noch annehmen, daß die Erzählung des Factums erst aus der Weissagung entstanden und das Math. nur einer Sage gefolgt sey, welche aus jener Weissagung zu der Zeit entstanden war, als Jesus schon von allen seinen Freunden für den versprochenen Welterlöser erkannt wurde. Mag indessen hier ein Zusammenhang Statt finden, welcher wolle, so ist doch wenigstens manche Stelle aus dem Zend-Avesta ein Beweis von dem Glauben der alten Perser an einen Erlöser und Weltheiland.“
Dies erhellt vor allem am deutlichsten aus dem Vendidad Farg. XIX. wo es heißt: „Die Peris (böse Geister) und ihre Anschläge werden zertreten werden durch den, dessen Zeugerin die Quelle ist, durch Sosiosch, der aus dem Wasser Kanse soll geboren werden u. s. w.“
4) Auch Mithra führt den Beinamen Mittler
oder Μεσυτης, welchen ihm zuerst Plutarch gab. Er erzählt (de Iside et Osiride S. 396), daß die persischen Magier
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*) Dies läßt die Abbildung der Magier auf dem oben erwähnten Monumente aus den Katacomben Roms stark vermuthen. Richter aber scheint dieses Monument nicht gekannt zu haben.
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nach der Lehre des Zoroaster zwei Götter aufstellten, die unter sich uneins waren, den Oromazan und Arimanius, von denen der Eine das Böse, der andere das Gute bewirkte; in der Mitte zwischen ihnen stand Mithra, welchen sie deswegen Μεσυτης, das ist: den Mittler nannten *).
Dieses Bild ist wenig verschieden von dem christlichen Mythos, dem zufolge Jesus zwischen Gott und den sündigen Menschen, in welchen, um uns des Ausdrucks Pauli (ad Ephes.) zu bedienen, der Teufel fortwährend wirkt, als versöhnendes, vermittelndes Princip erscheint, daher auch ihn die heil. Schrift, mit dem bezeichnenden Prädicate Μεσυτης belegt. Mithra ist Mittler zwischen Ormuzd und Ahriman im zweifachen Sinne, im physischen als Sonne im Aequator, der in der Mitte zwischen dem Licht- und Nachtreiche der nördlichen und südlichen Hälfte der Sonnenbahn, d. h. im Symbole zwischen Ormuzd und Ahriman liegt; oder wie Rhode meint, welcher in Mithra den Stern Venus erkennen will, daß sein Geschäft sich auf ein drittes Wesen, die Erde, beziehe. Ueber sie und ihre reinen Bewohner ist er zum Schutzwächter gesetzt, für diese vermittelt er während des Kampfs der beiden großen Wesen die Einflüsse Ahrimans (der Finsterniß), sie unschädlich zu machen. Rhode hat nicht ganz Unrecht, wenn er in Mithra den Morgen- und Abendstern findet, weil dies aus einem Mithra-Bildwerke (Hirts Bilderb. Pl. XI. Fig. 7.) deutlich zu entnehmen ist. Auf jenem Bildwerke ist der Berg, unter welchem die Mithrahöhle mit dem Opfer sich befindet, abgerundet. Auf einer Seite desselben fährt aufwärts der Sonnengott mit einem Viergespann; vor ihm her schreitet ein Genius mit aufgehobener Fackel – es ist Mithra der Morgenstern **) der die
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*) Creuzers Symbolik 2te Ausg. 1819. I. über die Idee des Mittlers in der Mithriaca.
**) Sollte der Umstand, daß Mithra, von den Parsen auch Meher ?????? genannt, was mit dem Hebräischen Mahar ?????? (Morgen) sehr übereinstimmt, nicht diese Hypothese unterstützen?
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Sonne heraufführt, oder wie die Zendbücher sich ausdrücken, sie der Erde schenkt. Dieser Genius mit der erhabenen Fackel ist in der Höhle noch einmal und größer angebracht, um seine Wichtigkeit zu bezeichnen. Auf der andern Seite fährt Selene mit ihrem Zweigespann abwärts und vor ihr her geht der Genius mit gesenkter Fackel – Mithra der Abendstern; auch er erscheint in der Höhle selbst noch einmal in größerer Gestalt. Diese erhobene und gesenkte Fackel, welche auf jenen Bildwerken fast überall und oft mit den bezeichnendsten Nebenwerken vorkommen *), bezeichnen überall, wie Winkelmann treffend bemerkt, den Morgen- und Abendstern **), welche also mit jenen Stieropfern beim Mithra in genauer Beziehung stehen müssen. Von diesem Gesichtspunkte aus wird Herodot verständlicher, wenn er (L. I. c. 131.) sagt: „Die Perser opfern der Sonne, dem Monde, der Erde, dem Feuer, dem Wasser und den Winden. Diesen allein opferten sie von jeher. Nachher lernten sie von den Assyrern und Arabern der Urania opfern. Die Assyrer nennen die Aphrodite Mylitta, die Araber Alitta und die Perser Mitra.“ – Das Reich des Mithra war ursprünglich die Dämmerung. Nur nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang strahlt Mithra. Daher hatte ihm Zoroaster eine dunkle Höhle geweiht ***). Die spätern Mithras-Mysterien wurden bis zu ihrer Auflösung in dunkeln Höhlen oder Tempeln gefeiert, wo nie das Tagslicht eindrang und nur Dämmerung herrschte (Iul. Firmic. de error. prof. rel. L. I. c. V.)“
Damit läugnet Rhode noch nicht, daß spätere Grieche und Römer oder Vorderasiaten im Mithra wirklich die Sonne verehrten. Es war hier nur um die ursprüngliche Idee des Mithra zu thun, wie sie in den Zendschriften zu finden ist; nicht aber was in spätern Zeiten diese Idee für eine Veränderung erfuhr.
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*) Creuzers Symbolik B. II. p. 209.
**) Winkelmanns alte Denkm. d. Kunst Tab. 21. u. S. 17.
***) Leben Zor. von Anquetil du Perron.
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Nachdem wir die physische Bedeutung des Sinnes Mittler beim Mithra erschöpfend bewiesen zu haben glauben, versuchen wir auch den geistigen Sinn in diesem Worte zu entziffern. Mithra ist insofern Mittler auch hier, weil er den Sieg des Lichtreichs durch seinen Kampf gegen das Nachtreich befördert und dadurch die Aussöhnung zwischen Ormuzd und Ahriman schneller herbeigeführt, also beiden als ein echter Vermittler dient. In diesem Sinne nennt ihn Porphyrius (de nymph. antr.) Schöpfer und Herrn der Zeugung; er ist dann Mithras und Mithra zeugendes und gebärendes Princip in Einer Person; er ist der Urgott, durch den alle Zeugung beginnt und sich endet; er ist über Ormuzd und Ahriman erhaben, der Richter und Ausgleicher ihres Streites, derjenige, in dessen Wesen zuletzt sich beide auflösen. Er ist derjenige, welcher die Seligkeit auf die neugeschaffene Erde zurückführt und somit der wahre Weltversöhner, der Besieger des Todes und der Sünde, und wer ihm folgt, wird mit ihm eingehen in das Reich des Lichts und des Friedens, wo keine Sonne und kein Mond mehr scheint, sondern die Herrlichkeit des Herrn selbst Alles mit ihrem Glanz erleuchtet. Auf diese Ideen bezogen sich denn auch die Mysterien des Mithras. Das Ritual der Einweihung in dieselben war Symbol des Kampfes, welchen der Mithrasverehrer als Diener des Ormuzd gegen Ahriman und seine Dews zu führen hat. Daher gab es in denselben eine Stufenfolge von Prüfungen, die immer härter wurden, bis die Einweihung durch das Symbol der Wassertaufe das Zeichen war, daß die Mysten nun von allem Bösen gereinigt und würdig wären, in das Reich des Lichtes einzugehen. Durch sieben Grade stiegen sie allmählig bis zur höchsten Stufe empor und diese Anzahl bezog sich auf die sieben Planeten, durch welche die Seele auch auf ihrem Wege aus dem Intelligiblen, in die Sinnenwelt und wieder zurückwandern muß. In jedem Grade bekamen sie andre Ordensnamen, die sich auf die Stufe der Vollendung bezogen, welche sie erreicht hatten, und von solchen Symbolen begleitet waren, womit man diese Stufe bezeichnete.
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Im ersten Grade hießen sie Krieger des Mithra, um ihre Bestimmung zum Kampfe gegen Ahriman zu bezeichnen, was Tertullian jedoch in seinem frommen Aerger anders deutete, indem er ausruft: Warum wurden die Eingeweihten Krieger genannt? warum anders, als weil man die Märtyrer Christi mit diesem Namen zu bezeichnen pflegte? denn sie schienen gleichsam eine Parodie (Tert. eignes Wort) des Märtyrerthums darzustellen, indem sie die bei ihren Prüfungen erhaltene Krone vom Haupte auf die Schultern legten, und bezeugten, Mithra sey ihre Krone. (De corona mil.)
So war also die Religion des Mithra auch eine Religion des Kampfs wie das Christenthum, und Mithra der Vermittler und Aussöhner zwischen Gott und den Menschen, der Besieger des Teufels und der Hölle, und dadurch der Erlöser der Menschen von der Gewalt der Finsternis und des Bösen.
Wie vorhin erwähnt worden, so gab es bei den Mithra Mysterien
5) auch eine Wassertaufe,
um, wie Tertullian (de baptism.) klagt, das Sacrament der Taufe herabzusetzen, und derselbe Autor an einem andern Orte (de Praescript. c. 40.) wieder zur Sprache bringt: auch der Teufel tauft einige als seine Gläubigen und Getreuen, verspricht ihnen Nachlaß der Vergehungen durch diese Waschung.
Richter (l. c. S. 189) äußert bei dieser Gelegenheit: „Die Taufe als Symbol der Reinigung von Sünden war bei allen Völkern des Orients das Hauptreinigungsmittel in den Mysterien, und es ist nicht unwahrscheinlich – fügt er hinzu – daß die christliche Taufe eine Nachahmung dieses alten Ritus war; wenigstens weiß man bestimmt, das eine Menge anderer Ceremonien und viele Benennungen aus den Mithra-Mysterien in die erste christliche Kirche übergingen.“
Man weiß ferner, daß in den heidnischen Mysterien den Eingeweihten nach der Taufe Honig auf die Zunge gestrichen
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wurde *). Zur Zeit Christi und der Apostel war dieser Gebrauch noch nicht in Judäa bekannt; in der römischen Kirche findet er jedoch an mehrern Orten heute noch Statt, folglich muß der Ursprung dieser Ceremonie aus dem Parsismus abgeleitet werden.
6) Auch die Firmelung
finden wir in den Mithra-Mysterien. Dies versicherte schon Tertullian (de Praescr. c. 40.) mit den Worten: Mithras signat in fronte milites suos.
7) Auch die Eucharistie oder die Feier des heil. Abendmahls
war bei den Mithras-Mysterien im Gebrauche, indem sie den Mysten Brod und einen Becher vorsetzten, wie Justinus Martyr in der „Apologie für die Christen erwähnt. Dieser vergißt aber nicht, den Teufel wieder als Urheber der Nachäffung christlicher Gebräuche anzuklagen; obschon es Jedermann bekannt ist, daß das unblutige Opfer mit Brod und Kelch rein persisch, wie es aus den Zendbüchern erhellt, wo dasselbe Hom und Miesd **) heißt, und schon zu Zoroasters Zeit, also Jahrhunderte vor Christi Geburt im Gebrauche war.
Weil jedoch Miesd ein Fleischopfer bedeutet, möchte ich der Hostie im Abendmahle passender die Darunsbrode entgegensetzen; diese waren ungesäuert, im Durchschnitt von der Größe eines Thalers, und ein oder zwei Linien dick. Man opferte zwei oder viere davon nach der Art des Gottesdienstes. Die Darunsfeier, d. i. die Feier des gesegneten Brodes und des gesegneten Kelchs war zum Andenken und zur Ehre Homs, des Stifters der Ormuzd- Religion und zur Ehre Dahmans (des personifizirten Segens, der durch diese Religion den Menschen wird).
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*) Man vergl. Creuzers Symbolik 2te Ausg. 4ter Thl. 1821. S. 365 und 1r Thl. S. 756.
**) Aus diesem Worte wird nicht ohne Grund das griechische μυστεριον abgeleitet.
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In und unter Izeschne werden jene Darunsbrode feierlich gesegnet und unter Gebet genossen. Dann trinkt der Priester wie bei jedem feierlichen Gebet etwas geweihten und gesegneten Homsaft aus dem heiligen Kelch (Havan) *).
Um diese Gedächtnisfeier ganz zu verstehen, erinnere man sich der symbolisch-religiösen Sprache der Zendbücher. In dieser Sprache ist Hom der Prophet und Hom die Pflanze völlig eins; und der Saft des Hombaums ist daher eins mit dem Blut des Propheten. Denkt man sich nun noch hinzu, was wir schon früher erwähnten, daß Zoroaster dem Propheten Hom in Bezug auf diese Feier die Worte in den Mund legt: „Wer mich isset, indem er mit Inbrunst zu mir ruft, nimmt von mir die Güter dieser Welt,“ – so schwindet fast jeder Unterschied zwischen der Abendmahlsfeier und der Darunsfeier, auf deren Begehung die Zendbücher einen großen Werth legen, wie aus Izeschne Ha XI. zu entnehmen ist **).
Das Merkwürdigste jedoch, was wir über die Mithra-Mysterien wissen, ist, das in derselben
8) auch die Dreifaltigkeit
des Mithra (τριπλασιος) gelehrt ward. Aber auch im Ormuzd fand sich nach Plutarch (de Is. et Os. 47.) eine Dreifaltigkeit. Wie wären sonst die Worte Ώρομαξεη τρις έαυτον zu erklären?
Dieses Dogma will Rhode (l. c. 346.) jedoch aus einer andern Quelle herleiten. Diese ist ihm der etwas dunkle Sinn im Haftenghat (c. 2): „Ich nahe mich dir, seit Urbeginn der Dinge, kräftig wirkendes Feuer Oruazeschte ***), Grund der Einigung zwischen Ormuzd und dem in Herrlichkeit verschlungenen Wesen (Zerwane).“
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*) Auch in der römischen Kirche trinkt nur der Priester den Wein.
**) Z. Av. B. I. S. 124.
***) Zusammensetzung aus Oroue (Seele), zesch (Leben) und de (geben) also Oruezeschde: der das Leben der Seele zeigt.
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„Was – fragt dieser Forscher – konnte man hier unter dem Feuer verstehen, das seit dem Urbeginn der Dinge wirksam ist? Vielleicht das erste wahre Ur-Prinzip des Lichts, das in dem unendlichen Wesen selbst lag, und aus ihm heraustrat, bei der Schöpfung des Lichts, d. i. des Körpers Ormuzds? Dann wäre es erklärlich, wie jenes Feuer ein Grund der Einigung zwischen Zervan und Ormuzd in Bezug auf die Existenz des Letztern genannt werden kann.“
Es ist indes gar nicht klar, was hier unter dem Worte Einigung zu verstehen sey? Soll die Einigung sich auf Ormuzd beziehen, so könnte man auch an seinen Feruer denken, der wirklich, indem er sein Daseyn begründet, ein Grund der Einigung zwischen ihm und dem Unendlichen genannt werden kann. Diese Erklärung wäre dann vorzuziehen, wenn nicht an einem andern Orte der Feruer der Feruers Oruazeschte angerufen würde *). Es scheint also von einer Einigung ganz andrer Art die Rede zu seyn.
Was man auch unter dieser Einigung verstand, der Verfasser des Hafthenghat behandelt diese Lehre selbst schon als ein Geheimniß. Es ist dies die einzige Stelle in den Zendschriften, die auf eine geheime Lehre hindeutet, und wodurch Creuzers Behauptung, daß schon früh eine esoterische Lehre unter den Parsen Statt gefunden habe **) bestätigt wird. Es scheint in diesen Worten eine Anspielung auf ein Geheimniß zu liegen, welches bei der Erklärung jener Einigung zwischen Zervane Akerene und Ormuzd Statt fand. Für die heil. Sage selbst dürfte aus dieser Erklärung nichts von Bedeutung herzuleiten seyn. Der Lehrsatz: Zervane und Ormuzd sind gereinigt durch das Feuer. Oruazeschte steht offen da, nur die Erklärung dieser Einigung wird geheim gehalten. So wie die heilige Sage und der wahrscheinlich ältere Naturdienst in
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*) Z. A. B. II. p. 257.
**) Symbolik B. II. p. 199.
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einander geschmolzen sind, mochte es viele Erklärungen geben, die man gerade nicht öffentlich bekannt machen wollte.
Sehen wir auf den Lehrsatz selbst, so scheint fast das, sich spät in der christlichen Kirche bildende, Geheimniß von der Dreieinigkeit in derselben als in einem Ei schon verborgen zu liegen. In Zervane Akerene dem Ewigen sehen wir den Vater, in Ormuzd den Sohn, und der Grund der Einigung zwischen Beiden ist der Geist, der vom Vater und Sohn ausgeht.“
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VIII. Von guten und bösen Engeln.
Es ist schon in einer frühern Stelle dieses Werkchens gezeigt worden, das Ormuzd (Ehore mezdao oder Erz-Herr) nicht als Urgott betrachtet werden dürfe, wohl aber ist er die erste Emanation der gränzenlosen Zeit, Zervane akerene genannt; er ist der Gottheit Erstgeborner, die ewige Ewigkeit zeugte ihn vor aller Zeit und Wesen Beginn. Er hat nicht gleiche Anbeginnlosigkeit mit der unbegränzten Zeit, weil er geboren ist, aber als erster Sohn und wahrster Abdruck des Unendlichen heißt er Gott, höchster König, in den des Ewigen Eigenschaften übergegangen sind und wirken.
Ahriman *) ist nach Ormuzd geboren, nicht aber ein Geschöpf desselben, sondern unmittelbar vor allen Wesen, nach Ormuzd durch die ewige Ewigkeit geworden. Fragt man, wie das böse Prinzip, dessen Repräsentant Ahriman ist, aus dem Quell des Guten komme? so antworten die Schüler Zoroasters, daß, nachdem Ormuzd die Quelle alles Lichts geschaffen worden,
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*) Hyde (de rel. vet. Pers.) leitet diesen Namen aus den chaldäischen Worten ??? unrein und ??? Betrüger her, schreibt ihn wie die neupersischen und arabischen Schriftsteller p. 160 seines Werkes ????? und ?????. Nach Anquetil heißt Ahriman im Zend: Enghre meniosch „Verhüllt ins Böse.“
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Ahriman als die Finsterniß, nothwendig nachfolgen mußte, wie der Schatten dem Körper.
Die Zendbücher bekennen zwar, das Ahriman im Urbeginn seines Lebens gut gewesen, sein Licht wandelte sich aber in Finsterniß, als er aus Neidsucht gegen Ormuzd Dew, d. i. arg, Grund alles Unreinen und Bösen wurde. Seine Aehnlichkeit mit dem Satan der Christen wird nun merkbarer, um so mehr, als die Stelle im Bundehesch: „In Schlangengestalt sprang er vom Himmel auf Erden“ *) an jene Stelle im Jesaias erinnert, welche lautet: „Wie bist du o Lucifer! ehedem so hell am Morgen leuchtend, aus dem Himmel gestürzt!“ und worin die Ausleger eine Anspielung auf Satan finden wollten, der ehedem zu den Lichtengeln gehörte, in der Folge aber, wie das apokryphische Buch Enoch erzählt, sich gegen seinen Schöpfer aufgelehnt, und mit seinen Anhängern aus dem Himmel gestürzt worden sey. Diese Mythe hatte durch die Epistel Judä noch größere Autorität erhalten, weil dort V. 6. gesagt ist: „Auch die Engel, die ihr Fürstenthum nicht behielten, sondern verließen ihre Behausung, hat er behalten zum Gericht des großen Tages mit ewigen Banden in Finsterniß.“ Wie es aber eine unleugbare Wahrheit ist, daß alle Fabeln der alten Völker ihren Ursprung aus der Beobachtung der Himmelserscheinungen ableiten lassen, so gibt die Sternkunde auch über diese Mythe den befriedigendsten Aufschluß. Der prächtigste Stern nach Sonne und Mond war ehedem der Planet Venus, welcher wegen seiner, durch damalige größere Sonnen-Nähe, ungemeine Klarheit und Größe, die Aufmerksamkeit der Sternseher zumeist auf sich ziehen mußte. Wenn sie nun der Nachwelt sagen wollten, daß er einst in seinem schönsten Glanze vor Sonnenaufgang in die Höhe gestiegen und mithin Morgenstern gewesen, so malten sie den Himmel und einen Mann hinein, der an Schönheit und
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*) Z. Av. B. III. p. 65.
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Größe beinah dem Bilde der Sonne gleich kam, um dadurch anzudeuten, daß er fast wie eine kleine sonne am Himmel dahergestrahlt habe. Bald hernach, als er sich von der Sonne immer mehr entfernte, mußten ihn die Sonnenstrahlen verdunkeln. Seiner Herrlichkeit ward also ein Ende, d. h. er ging mit seinen Dienern den Sternen, bei welchen er stand, heliakisch unter. Sie malten also den vorigen Mann wieder, jedoch so, daß er von einem mehr starken und mächtigern, nämlich von der Sonne, mit seinen Dienern aus dem Himmel herab geworfen ward. Als nun die spätern Menschen den wahren Sinn dieser Bilder auch bereits vergessen hatten, und sich nichts als Götter darunter dachten, überdies auch viel Böses in der Welt fanden, welches ihrer Meinung nach von bösen Geistern herkam, so dichteten sie, daß dieser schöne Mann anfänglich zwar einer der vornehmsten Engel des Lichts gewesen, hernach aber mit seinem ganzen Heere, wegen seines unerträglichen Stolzes vom Allerhöchsten aus dem Himmel gestoßen worden wäre, weil der Allerhöchste nicht habe leiden können, daß ein geschaffener Geist an Licht und Macht sich ihm hätte gleich stellen wollen. Nach den jüdischen Traditionen hieß dieser gefallene Engel Sammael, die Christen nennen ihn Lucifer (Lichtbringer) den Morgenstern bedeutend, auch Beelzebub (Fliegengott) von den chaldäischen Worten Baal (Herr) und Sebub (Fliege), was abermals an den Ahriman der Perser erinnert, von welchem der Bundehesch *) erzählt: In Fliegengestalt durchstreifte er alles Geschaffene, was durch den Umstand motivirt, daß die Insecten zu der unreinen Schöpfung gehören, welche Ahriman, dem Ormuzd, als Schöpfer aller reinen Wesen, trotzend, ins Leben rief, wie später ausführlicher erörtert werden soll. Da wir also der Grundursache für den Namen Beelzebub in der christlichen Mythologie vergeblich nachforschen, und nur im Parsismus befriedigende Erklärung finden,
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*) Z. Av. B. III. p. 66 vielleicht weil die Fliegen alle Fäulnis lieben, die eine Wirkung Ahrimans ist.
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so ist die Behauptung, daß wir in der Zendsage die Quelle der christlichen Mythen zu betrachten haben, abermals bekräftigt. Es gibt aber noch eine andere Erklärungsart, warum Ahriman von den alten Persern für den Planeten Venus, insofern er auch als Abendstern gelten soll, gehalten wird. Die Lehre, im Prinzip der Nacht, Dämmerung, Dunkelheit zugleich das Prinzip des Bösen zu erkennen, ist der Zendsage so eigenthümlich, daß selbst in der sonst so nahe verwandten Sage der Hindu kaum eine Spur aufzufinden ist. So blieb auch in allen Religionen der vorderasiatischen Völker das Prinzip der Nacht in völlig göttlichem Ansehen. Auch lassen es die Zendschriften unentschieden, welches von den beiden großen Wesen Ormuzd und Ahriman vom Unendlichen zuerst hervorgebracht worden? und noch jetzt behaupten mehrere Desturs (persische Theologen): Ahriman sey zuerst da gewesen, und dies sey eben der Grund seines Neides und Hasses gegen Ormuzd, daß dieser, obwohl jünger, ihm vorgezogen worden. Diese Ungewißheit, ob das Licht oder die Nacht zuerst gewesen, erstreckt sich über die meisten alten Religionssysteme. Die Venus aber wurde mit der Nacht, weil diese durch den Abendstern angekündigt wird, bei den alten Völkern oft verwechselt. Hesychius nennt die egyptische Venus die dunkle (ΆφροδιτηΣκοτια (s. dessen Lex. in voce Σκοτια). Daß in Egypten die Venus, welche in Vorderasien als die Himmlische verehrt und oft mit der Here verwechselt wurde, Athor oder die Nacht hieß, hat Jablonsky (Panth. Aegypt. L. I. c. 1.) durch die entschiedensten Zeugnisse der Alten dargethan *).
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Verehrung der Natur und der Himmelskörper insbesondere jenen Geisterstaat hervorriefen, dessen Bürger man als die personifizirten Naturkräfte göttlich verehrte. Bevor wir in eine Erörterung dieser Hypothese eingehen, ist es nothwendig, die Hauptlehren des Zoroasterschen Religionssystems in wenigen Sätzen vorauszuschicken,
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*) Ueber Alter und Werth einiger morgenl. Urkunden S. 112.
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aus welchen hervorgeht, daß die vorzüglichsten Mythen der Parsen wieder in der Hindu-Sage ihre Quelle haben.
Beide Religions-Systeme gehen von der Lehre aus, das das unendliche Wesen im Urbeginne mehrere große göttliche Wesen hervorgebracht habe, denen es soviel von seinen Eigenschaften, Macht und Herrlichkeit mittheilte, als möglich war. Im Hindu-System tritt diese Naturansicht in der Dreiheit (Trimurti im Sanskrit) oder den drei ersten großen Wesen, Birmah dem Schöpfer, Wischnu dem Erhalter, und Schiwen dem Zerstörer ganz allein hervor, und der Gegensatz zwischen Gut und Böse wird durch die Lehre von der Weltregierung gehoben. Im Zendsystem nimmt der Gegensatz zwischen Gut und Böse den wichtigsten Platz ein, deswegen bringt der Ewige zwei große Wesen hervor, Ormuzd (Licht, Tag, Sonne) und Ahriman (Nacht, Dunkel).
Alles moralische und physische Uebel wird bei beiden Völkern von dem freiwilligen Abfall eines oder mehrerer höherer Geister, die durch Mißbrauch ihrer Freiheit vom Schöpfer abfielen, hergeleitet. Die Braminen geben vor, Moisasur, eines der Oberhäupter unter den himmlischen Heerschaaren wäre von Gott abgefallen, und hätte die unter ihm dienende Schaar verführt. Alle wurden Teufel. Im Zendsystem fällt Ahriman allein ab, und bringt nun das ganze Heer der bösen Geister hervor, Dews oder Teufel genannt; so wie alle guten Geister von Ormuzd geschaffen wurden.
In beiden Systemen geht der Schöpfung der sichtbaren Welt, ein lange vorher dauernder Geisterstaat Gottes vor aus, in welchem die Gründe zur Schöpfung der Körperwelt sich entwickeln. Die Braminen hielten dafür, daß die Körperwelt keinen andern Zweck habe, als durch sie die von ihrem Schöpfer abgefallenen Wesen wieder zurückzuführen. Die Körperwelt ist nur der Kampfplatz zwischen Gut und Böse, der Läuterungszustand der Seelen, d. h. der gefallenen Geister. Diese Idee ging in den Parsismus über, und erklärt die harten Prüfungen (deren, wie Nonus meldet, 80 waren) denen
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sich die Mysten in den Mithra-Mysterien unterziehen mußten. Man fastete nämlich viele Tage hintereinander, mußte durch einen breiten Strom schwimmen, durchs Feuer laufen u. s. w. Dies erinnert an die schweren Büßungen und Kasteiungen der Hindu, von welchen diese theologische Lehre ausgegangen war, und sich bis jetzt erhalten hat. Man betrachtete, sagt Plessing, den Menschen im gegenwärtigen Leben als in einem verderbten Zustande; der Körper ist das Gefängnis der Seele, die Quelle alles Irrthums, der Sünde und des Lasters; daher der Hauptzweck der Mithra-Mysterien, die Seele von dem anklebenden Bösen wieder zu reinigen. Dadurch, daß man die sinnlichen Lüste bekämpfte, dem Leibe gleichsam abstarb, konnte man von der Einweihung wahren Nutzen haben. Von der Sinnenwelt sollte man sich zur Erkenntnis der intelligiblen Welt, des Unsichtbaren und Himmlischen wenden; dadurch gelangte man in den Zustand der Wiedergeburt und des neuen Lebens, dadurch zur Gemeinschaft mit Gott und zum Genusse künftiger Seligkeit. Bedarf es noch eines Beweises, daß dies auch die Lehre des Christenthums ist ? Entstehen nicht die Sünden aus dem Sinnlichen, welches durch die Ausdrücke: das Irdische, das Fleisch, diese Welt, der alte Mensch bezeichnet wird? Heißen nicht die Sünden Werke des Fleisches? Auch das Christenthum verlangt, daß der Mensch sein Fleisch kreuzigen, den alten Adam ausziehen, d. h. alles Sinnliche verläugnen soll. In den Mysterien verglich man die Verläugnung des Sinnlichen mit dem Tode und nannte sie ein Hingeben zum Tode, aus dem ein neues Leben entstehe. Gerade so heißt es auch im N. T., daß wir durch die Taufe mit Christo in den Tod begraben werden, zugleich aber auch mit ihm durch dieselbe zum neuen Leben wieder auferstehen. Aber nicht nur das Wasser war in den Mysterien ein Hauptreinigungsmittel, sondern mehr noch galt als ein solches die Feuerreinigung. Auch davon finden sich Spuren in der Bibel. So reinigt (Jes. VI.6.) einer der Seraphim mit glühenden Kohlen die Lippen des Propheten und (Matth. III. 11) liest man von Johannes den Täufer:
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Wenn der Messias kommen wird, so werde er nicht bloß mit Wasser, sondern mit dem heiligen Geist und Feuer taufen, d. h. seine Schüler dem höchsten Grade der Reinigung unterwerfen. In Beziehung auf diese Idee war das Verbrennen der Todten bei manchen alten Völkern, und der Gebrauch, daß in Indien die Wittwe sich in die Flammen stürzt, welche den Körper ihres Gatten verzehren, schreibt sich gleichfalls von daher. Nach jener Philosophie ist das irdische Leben nicht das wahre Leben, dies beginnt erst, wenn der Geist sich aus seinem Gefängnisse, dem Körper befreit hat, denn der Leib lähmt die Schwingen der Seele, daß sie nicht auffliege in das Reich des Intellectuellen. Man muß sich daher losmachen von diesen Banden, und sollte man auch die höchsten Schmerzen erdulden. Es muß das Fleisch kreuzigen, wer das Reich Gottes schauen will. Weil nun Ahriman als Schöpfer der Körperwelt betrachtet wird, (was sich schon daraus ergiebt, daß alle Ausflüsse des Körpers wie der Same des Mannes, der Blutfluß der Weiber, der Speichel und selbst der Hauch *) des Mundes für den Parsen verunreinigende Kraft haben) so ist dem Ormuzddiener der ewige Kampf gegen Ahriman und seine Dews geboten, indem diese als Fürsten der Finsterniß über diese Welt der Sinnlichkeit herrschen. Aus diesem Gesichtspunkte erklärt sich die Lehre von der Körperwelt als einer Läuterungsperiode der Seele. Ueberall reibt das Böse in ihr dadurch, daß es seinen Gipfel erreicht, sich selbst auf, und das Gute siegt endlich. Mit der Vernichtung des Bösen hört auch das Mittel, die Körperwelt auf, sie wird vernichtet und Alles kehrt in das ewig selige Reich der Geister zurück; doch modificirt durch die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge in einer neuen geistigern Welt, die aus der vernichteten hervorgeht, welche Lehre im Zendsystem stets vorherrschend ist.
Der Ewige hat zur Dauer der Körperwelt einen Zeitraum von zwölf Jahrtausenden bestimmt,
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*) Daher sie beim Gebete den Penom eine Art Larve, welche die untere Hälfte des Gesichts bedeckt, gebrauchen.
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welcher in vier Zeitalter abgetheilt ist. Im ersten herrscht das gute Prinzip allein, im zweiten wird das böse Prinzip schon wirksam, doch untergeordnet, im dritten herrschen beide gemeinschaftlich, im vierten hat das Böse die Oberhand, und führt das Ende der Welt herbei. Wenn die Christen die Weltdauer auf die Hälfte dieser vier Zeitalter herabsetzen, so erwäge man, das diese Abweichung nur eine scheinbare ist; indem jene 6000 Jahre vor der Zoroasterschen Periode nur den mittlern, Theil, nämlich die Zeit des Kampfs zwischen Ormuzd und Ahriman und der Herrschaft des Letztern in sich schließt, mit deren Ende aber der Sieg des guten Prinzips beginnt; oder nach christlichen Begriffen: das Reich des Messias nimmt sodann seinen Anfang.
Eine nicht minder wichtige Hauptlehre des Zendsystems - ist endlich auch diese: Die Regierung der Welt hängt zwar im Allgemeinen von dem unendlichen Wesen ab, das alles nach seiner ewigen Weisheit bestimmt; die besondere Verwaltung aber ist zunächst den ersten großen Wesen, und von diesen wieder einer Menge vermittelnder Wesen, Erzengeln, Engeln und Schutzgeistern übertragen, die einander zu- und untergeordnet sind, und in denen sich oft Naturwesen und Naturkräfte nicht verkennen lassen. Durch die Offenbarungssage schimmert ein älterer einfacher Naturdienst hervor. Eine Hauptrolle spielen hier die sieben Planeten, welche als sieben Hauptagenten der höhern Wesen in den mannigfaltigsten Beziehungen, und unter den scheinbar verschiedensten Namen zum Vorschein kommen. Bei den Parsen ging also die Lehre von den sieben Amschaspands als Oberhäuptern der Geisterwelt hervor, während jeder Planet einzeln noch ein Gegenstand der Verehrung blieb. So war Jupiter unter dem Namen Taschter, Saturn als Satewis, Mars als Haftorang, die Venus als Mithra (wie in einem frühern Kapitel: „Mithra“ gezeigt worden), Merkur als Venant verehrt worden *).
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*) Die Zendsage setzte Sonne und Mond in die Zahl der Planeten.
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Ihnen sind sieben Kometen oder Unglückssterne als Geschöpfe Ahrimans untergeordnet, die ohne Regel am Himmel umher irren, und der Erde zu schaden trachten, aber von den Planeten bewacht und in der Ferne gehalten werden; bis endlich der Komet Gurzscher, über welchen der Mond, gleichfalls einer der Amschaspands, die Wache führt, sich von diesem losreißen, auf die Erde herabstürzen, sie in Brand stecken, und so das Weltende herbeiführen wird. So erklären sich auch die alten Volksmeinungen von Glücks- und Unglückssternen, Kometenfurcht, allgemeinem Weltbrande am jüngsten Tage u. s. w. Daß Ormuzd in der Sonne verehrt wird, haben wir schon früher dargethan. Neben der Sonne genoß der Mond einer fast gleichen Verehrung. Er ist ein Amschaspand, der sein eigenes Licht in sich hat *). Dies folgt aus dem Begriffe der Lichtschöpfung, wie die Zendsage diese darstellt, von selbst. Die glänzenden Himmelskörper wurden zum Kampfe gegen Ahriman geschaffen, und mußten folglich, um die Finsternis zu zerstören, an sich Licht seyn. Er wird bald als Neumond bald als Vollmond angerufen, und ist als Neumond gleichsam in sich selbst verborgen **).
In den Zendschriften sind also beide Ansichten, die des Naturdienstes und der heiligen Sage völlig zusammengeschmolzen, doch so, daß die Sage als unmittelbare Offenbarung Ormuzds allein herrscht, und den Naturdienst in sich aufnimmt. Wenn man nun auch in den Mittelwesen und Schutzgeistern, den Engeln und Erzengeln der Sage, die personifizirten und vergötterten Naturwesen deutlich wieder erkennt; so werden sie doch ganz von der Natur getrennt und dem Geisterreich allein angehörig darstellt, so daß ihre ursprüngliche Bedeutung in dem Naturdienste nicht immer ausgemittelt werden kann. Dennoch muß eine Vergleichung dieser geistigen Wesen mit den vergötterten Naturkörpern zu interessanten Resultaten führen.
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*) Zend Av. B. II. p. 110 und 146.
**) Z. A. Band I. p. 94.
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Wir müssen zuerst die Mittelwesen und Schutzgeister selbst kennen lernen, welche die Zendsage anführt. Vorzüglich sind es sieben Erzengel oder Oberhäupter (Amschaspands), denen die übrigen Schutzgeister untergeordnet sind, und die den größten Einfluß auf die Weltregierung haben. Unter diesen sieben ist Ormuzd (Sonne) selbst der erste, Schöpfer und Herr der sechs Andern, die mit ihm regieren; aber unter diesen sechsen ist abermals Bahman der König der fünf übrigen, welche Ardibehescht, Shariver, Sapandomad, Khordad und Amerdad heißen. Es darf hier jedoch nicht unbemerkt bleiben, das Ormuzd, obschon nach der gewöhnlichen Ansicht als Schöpfer des Himmels und der Erde genannt ist, er dennoch zuweilen bloß für den ersten Amschaspand gehalten wird. Dieser Widerspruch löst sich dadurch auf, daß alles Licht von Ormuzd ausgeht, dessen „Körper selbst Licht ist“ (Izeschne Ha 24. 25. Z. A. B. I. p. 146. 148.). Alle Sterne glänzen also in seinem Lichte, er streitet gegen Ahriman (die Nacht), und muß mit ihm die Weltherrschaft theilen. In diesem allen ist die ursprüngliche Vorstellung der Sonne nicht zu verkennen. Allein man trennte später das Prinzip des Lichts von den Körpern selbst, und so wurde Ormuzd von der Sonne geschieden, trat als Urprinzip des Lichts aus der Zahl der sieben, wozu man ihn zwar immer noch zählte, heraus, und wurde der Schöpfer der übrigen, denn alle strahlen und glänzen nur im Lichte Ormuzds, wie so oft gesagt wird. Diese Ansicht wird ganz klar im Izeschne ausgesprochen, wo Ormuzd der „ewige Quell der Sonne“ genannt wird. So ausgebildet nahm die Zendsage den Begriff von Ormuzd auf, und stellte ihn als den großen, obwohl dem Urwesen (Zervane Akerene) untergeordneten Herrn und Schöpfer des Weltalls dar.
Als Amschaspand wird Ormuzd mit den sechs übrigen Häuptern der Geisterwelt oft angerufen, die mit ihm die Weltregierung theilen; wie dies aus dem Afrin der sieben Amschaspands
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erhellt *). Das Hauptgeschäft dieser Regenten ist der Kampf gegen die Naturfeinde, Ahriman und seine Genossen, welche unaufhörlich trachten in der physischen, wie in der moralischen Weltordnung Verwirrungen und Zerstörungen anzurichten. Jeder Amschaspand hat dabei sein eigenes bestimmtes Geschäft, seinen angewiesenen Wirkungskreis, dem er als Oberhaupt vorsteht, und wobei ihm andere Schutzgeister oder Naturwesen als Hamkars d. i. Gehülfen beistehen; er und diese Himmelsgeister, Izeds genannt, wirken dann auf eins d. i. zu einem Zwecke.
Ormuzd gehörte also ursprünglich zu den sieben **) Amschaspands (den Planeten) als Sonne betrachtet, wie dies auch aus der Zendstelle: „Er lobsinget der Größe Ormuzds, der Größe des Amschaspands, dem Ormuzd einen Glanzkörper gegeben, welcher die Sonne ist“ (Jescht-Mithra c. 23. Z. A. B. II. p. 231) erhellt. War aber Ormuzd Erster der Amschaspands, so stand ihm Ahriman als Erster der sieben Erz-Dews gegenüber, die als Naturfeinde, Nachtwesen das Lichtreich Ormuzds stets bekämpfen, die Zeugungen und Fortpflanzungen hindern, Krankheiten und Tod bewirken. Kurz, alles schädliche in der Natur rührt von ihnen her, folglich sie den Namen Naturfeinde, der ihnen in den Zendschriften so oft beigelegt wird, wohl verdienen.
Der Versuch Ahrimans, Ormuzd zu bekriegen, der Angriff der Finsterniß auf das Licht scheint aber auch auf eine bestimmte Naturerscheinung zu deuten, welche sich vielleicht in den Sonnen- und Mondfinsternissen darbietet. Noch jetzt sehen rohe Völker in diesen Erscheinungen feindselige Wesen, die man sich gewöhnlich als Drachen denkt, und suchen ihre Angriffe auf jene Lichtkörper auf alle Weise zu stören und
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*) Z. A. B. II. p. 145. Afrin Haft 32.
**) Auch die Juden haben sieben Erzengel, wie aus folgenden Schriftstellen erhellt: „Und ich bin Raphael einer der sieben Engel, die wir vor dem Thron Gottes stehen (Tob. XII, 15.) „Und ich sah die sieben Engel, welche vor Gott u. s. w.“ (Offenb. Joh. VIII, 2.).
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zu verscheuchen. Dies ist ein Fingerzeig, daß auch unter dem Zendvolk ursprünglich derselbe Glaube herrschte, und sich in ihm vorzüglich die Mythe von den Angriffen Ahrimans auf Ormuzd, wobei er gleichfalls in Gestalt eines Drachen oder einer Schlange erscheint, entwickelt habe.
Was für Naturwesen konnte man sich aber unter den von Ahriman gezeugten sieben Erzdews denken? Was dachte man sich unter dem schwarzen Körper, der dann und wann die Sonne anzugreifen schien? Auch hierüber geben die Zendbücher wichtige Aufschlüsse. Im Jescht - Taschter kommt darüber eine Hauptstelle vor. „Der Drachenstern machte sich Weg zwischen Erde und Himmel; da streiften Dews auf der Erde umher und verheerten Alles.“ Nun wird umständlich der Kampf erzählt, welchen Taschter mit dem Dew Apewesch, beide in Rossesgestalt bestanden, was man im Bundehesch VII. (Z. A. B. III. p. 69) ausführlicher nachlesen kann; auch wird auf diesen Mythus in der fünften Carde des Jescht-Taschter (Z. A. B. II. p. 210) wie oben bemerkt wurde, angespielt. Hier heißt es nun ausdrücklich der Feind (Wasserfeind) habe seinen Lauf in dem Zeichen des Krebses, dem Wassergebiet genommen. Der Dew selbst wird in dem Jescht ein Drachenstern genannt. Erinnert man sich nun, daß sieben Erzdews als sieben Kometen den sieben Planeten *) (Amschaspands) untergeordnet sind, so klärt sich der Sinn des Mythus vollends auf. Der Drachenstern ist ein Drachenähnlicher, mit einem Schweif versehener, dem Hauptdrachen, Ahriman zugehöriger Stern, ein Komet. Führt doch einst der Komet Gurzscher selbst das Ende der Welt herbei, und setzt die Erde in Brand! Die sieben Erzdews, welche den sieben Amschaspands feindlich entgegen stehen, waren also Kometen, deren
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*) In einer Note zu Bundehesch V. (Z. A. B. III. p. 66) bemerkt Anquetil: Die sieben an die sieben Planetenhimmel gebundenen Dews sind nach dem Elma-Eslam: Zeiereh, Neiereh, Raonguesch, Termad, Heschem, Sebeth und Batser. Ormuzd machte sie lichte, und gab ihnen göttl. Namen.
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Zahl man auf sieben setzte, weil man sieben Planeten hatte, die dem System zufolge jeder einen eignen Gegner haben mußten. Deswegen sind die Kometen durch die Planeten „in den Schranken ihrer Bahn gebunden“, daß sie nur wenig Uebel anrichten können. (Man vergl. damit die vorhergehende Anmerk. des Anquetil zu einer Stelle im Bundehesch.) Der letzte Zeitraum aber ist Ahriman gegeben, da wird er herrschen, die Amschaspands müssen den Erzdews weichen, und so reißt der Komet Gurzscher sich los von der Wache des Mondes und stürzt auf die Erde herab.
Wenn die sieben Erzdews ursprünglich als Kometen gedacht wurden, wie die Zendschriften lehren, so ist es keinem Zweifel unterworfen, daß sie Ahrimans Geschöpfe sind. Bei der Idee, daß Ahriman das irdische Feuer mit Rauch und Dampf verunreinigt habe – der Mangel des Rauchs bei den Opferfeuern war den Persern ein Zeichen der Heiligkeit, eine Meinung, welche die Rabbinen auch vom heiligen Feuer bei ihrem Tempeldienste hatten, und die auffallende Aehnlichkeit des Jehovahdienstes mit dem Ormuzddienste abermals für mehr als zufällig erscheinen läßt – konnte die Idee, daß die Kometen, bei ihrem trüben Lichte, bei ihren dampfartigen Atmosphären und Schweifkörpern in Ahrimans Gewalt wären, leicht entstehen; allein die bestimmten Wirkungen, welche man ihnen zuschreibt, z. B. große Dürre und darauf folgende Fluten; endlich die Lehre, es werde einmal ein Komet in seinem Laufe der Erde so nahe kommen, daß er auf sie herabstürzen und sie in Brand setzen werde, scheint doch vielleicht auf eine Erfahrung über die Wirkung der Kometen hinzudeuten, welche in diesen alten Ueberlieferungen noch sichtbar ist. Man lese die einzelnen Sätze, wodurch im Bundehesch, nach einer alten Zendschrift der Angriff Ahrimans gegen die Schöpfung Ormuzds beschrieben wird:
„Der Feind dringt in den Himmel und springt in Schlangengestalt auf die Erde. Im Süden verheert er die Erde ganz und überzieht Alles mit Schwärze und Nacht. Alles verbrennt
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bis zur Wurzel; glutheißes Wasser regnete auf die Bäume, und sie verdorrten im Augenblick; doch behielten am Himmel Sonne und Mond ihre Bahnen. – Ahriman drang in das Feuer der Erde, und schwarzer Rauchdampf stieg hervor – er mischte sich in die Planeten und hob sich gegen den Himmel der Sterne; – neunzig Tage und neunzig Nächte dauerte der Kampf, dann wurde Ahriman in den Abgrund geworfen *).“
Ist es nicht, wenn man diese Beschreibung liest, als sähe man einen Kometen der Erde sich nähern, und an ihr vorüberstreifen? Schwarze Nacht, glutheißer Regen, Rauch und Dampf, Feuer und Alles, was erwähnt wird, ließe sich dabei sehr wohl denken. Der Komet läuft seine Bahn fort; die in Rauch gehüllten Sterne werden wieder sichtbar, und nach 90 Tagen ist der Kampf geendet. Doch Ahriman kehrt nun von unten auf die Erde zurück, und bringt in seinem Gefolge tausend Plagen mit. Der Winter beginnt in Ländern, die ihn vorher nicht kannten **) und die Erde scheint eine von den Revolutionen erlitten zu haben, die uns durch unzählige Merkmale auf derselben sichtbar geblieben sind. Es braucht hier nicht daran erinnert zu werden, daß die hier gegebenen Züge aus dem Kampfe der Naturfeinde gegen die erhaltenden Götter fast ganz dem Kampfe der Götter gleichen, von dem Hesiod, Ovid und andre alte Dichter erzählen, und der in den ältesten Sagen aller Völker zum Vorschein kommt ***). Irgend einmal mußte in den Urzeiten unseres Geschlechts eine Begebenheit Statt finden, wobei man die Existenz der Erde in Gefahr glaubte, wobei es Finsterniß, Dampf, Feuer und Fluten gab,
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*) Bundehesch III. Z. A. B. III. p. 65.
**) „Der Winter war in die Welt gedrungen“ u. s. w. Z. A. B. II. 306. Vend. Farg. II.
***) Auch in den Mysterien der Isis in Egypten pflegte man den Osiris dramatisch vorzustellen, den ein grausamer Drache der Typhon zerriß, dessen blutige Ueberbleibsel aber von der Isis wieder gesammelt wurden. Osiris war die Sonne, der Drache stellte den Knoten der Mondbahn vor, den itzt noch sogenannten Drachenschwanz.
Horus S. 31.
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und die einen so tiefen Eindruck auf die Menschen machte, daß das Andenken daran nie erlosch. Das Zendvolk setzt in seiner Sage mit diesem Ereignis die Kometen in Verbindung. Diese Sage ist eine der ältesten, die wir kennen, und verdient auch in dieser Hinsicht eine besondere Aufmerksamkeit. Vielleicht läßt auch die, unter allen Völkern der Erde verbreitete Furcht vor den Kometen auf einen frühen Eindruck der Art zurückschliesen. Indeß erklärt sich aus allem diesen, warum der Teufel der Christen, so wie Ahriman im Bilde eines Drachen oder einer Schlange gedacht wird, wie z. B. aus nachstehenden Versen (3, 4. des 12. Kap. in der Offenb. Joh.) hervorgeht:
„Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, und siehe, ein großer rother Drache, der hatte sieben Häupter und zehn Hörner. Und sein Schwanz zog den dritten Theil der Sterne, und warf sie auf die Erde u. s. w.“
Noch größere Deutlichkeit gewinnt unsere Hypothese, den Teufel mit seiner Schaar von ihm verführter Engel im Kampfe gegen den Erzengel Michael und den Lichtengeln begriffen, als eine Nachahmung des persischen Mythus vom Streite der Dews unter Ahriman mit den Amschaspands gelten zu lassen, durch die Nachfolgenden Verse 7, 8, 9 des angef. Kap. in der Offenb. Joh., welche lauten:
„Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und der Drache stritt und seine Engel. Und sie siegten nicht. Auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen.“
Damit vergleiche man Ev. Luc. X. 18: „Ich sah wohl den Satanas vom Himmel fallen als einen Blitz.“
und II. Petr. Cap. II. V. 4.: „Denn so Gott der Engel die gesündigt haben, nicht verschont hat,
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sondern sie mit Ketten der Finsterniß zur Hölle verstieß, und übergab, daß sie zum Gericht behalten werden.“
Da jedoch in der Zendsage Naturereignisse als Motive zu diesem Mythus und seiner Entstehung angedeutet werden, dies aber in den heil. Schriften der Christen nicht der Fall ist, so unterliegt es abermals keinem Zweifel, daß wir stets in der Zendsage den Schlüssel zur Aufklärung so vieler dunklen Stellen des neuen Testamentes suchen müssen.
Die Namen der sieben Erzdews lassen sich kaum mit Gewißheit angeben, denn sie sind im Zend nur Andeutungen und Beschreibungen gewisser Laster und Uebel, daher nicht scharf bezeichnend, und leicht mit andern zu verwechseln. Im Afrin der sieben Amschaspands ist zuerst als Hauptfeind entgegengesetzt: dem Ormuzd-Ahriman, dem Bahman-Aschmoph, dem Ardibehescht - der Dew des Winters im Vendidad (Farg. XIX.) Eghatesch genannt, dem Schariver-Boschasp, der Sapandomad - (unsre Erde als Planet) Astudiad, dem Khordad-Tarik, dem Amerdad-Tosius. Im Bundehesch (XXIX.) werden die sieben Erzdews: Ahriman, Akuman, Ander, Savel, Tarmad, Tarik und Zaretsch genannt.
Jeglicher der guten und bösen Engel hat, wie schon früher angedeutet worden, seinen besondern Wirkungskreis, seine bestimmten Verrichtungen. Den höchsten Rang der Geisterordnung haben die Amschaspands – zunächst um Ormuzds Thron. Ormuzd ist Erster der sieben Amschaspands, der Sechse König, die seine Geschöpfe sind, von ihm – dem Ersten der Wesen und alles dessen, was lebt und ist, Urquell – geboren.
Auch das alte Testament kennt gewisse Rangordnungen der Engel, die um Jehovas Thron stehen (Daniel VII, 10.); aber im neuen Testamente sind es die Aeonen, welche, wie die Amschaspands von Ormuzd gezeugt, durch den Logos ihr Daseyn erhielten; denn so steht Ebr. I. v. 2. διαΛογουκαιτουςαίωναςέποισεν) und XI. v. 3. „Durch den Glauben erkennen wir, das die Aeonen durch Gottes Wort
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(Honover von Ormuzd gesprochen) hervorgebracht worden, und daß aus dem Nicht-Sichtbaren das Sichtbare geworden sey.“ In der That geht der Zendsage zufolge, der Schöpfung der Körperwelt ein Geisterstaat Gottes voraus. In jener setzt Ahriman der reinen Schöpfung Ormuzds eine unreine entgegen, so wie er früher zur Bekämpfung Ormuzds und der von ihm gezeugten Amschaspands die sieben Erzdews aus sich gezeugt, die an dem Kampfe Antheil nehmen.
An die Zeugung der Lichtengel durch Ormuzd wird man auch in der „Epistel Pauli an die Kolosser“ erinnert: „Durch ihn ist alles geschaffen, das im Himmel und auf Erden ist, das sichtbare und Unsichtbare, beides die Thronen und Herrschaften, Fürstenthümer und Obrigkeiten u. s. w.“ (Cap. I. 16.) d. h. alle Rangordnungen der himmlischen Geister. Eben diese unsichtbaren, als erhabene Kräfte bezeichneten Wesen werden auch als Gegenstände der reinsten Erkenntnis vorgestellt, wenn es 2 Cor. IV. 18 heißt: Wir blicken nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare; denn jenes ist vergänglich, dieses aber unvergänglich, unveränderlich und ewig.“ Aus allem diesen erhellt, daß, wie Plessing sagt, was die Apostel das Unsichtbare nennen, im Begriffe mit dem aus Engeln verschiedenen Ranges bestehenden himmlischen Heere Jehovahs, so wie, kann auch hinzugefügt werden, mit dem persischen Geisterstaate einerlei sey, und das also den Lehren des alten und neuen Testaments in dieser Rücksicht Eine Uridee mit den Sätzen der orientalischen Philosophie zum Grunde liegen.
Auch die Lehre von den Schutzgeistern, wie sie die Perser hatten, ist dem Christenthume nicht fremd, wie theils die Stelle Matth. XVIII. 10., wo der Erlöser ausdrücklich von den Schutzengeln der Kinder spricht, theils auch der Glaube der Christen in den ersten Jahrhunderten nach ihrer Entstehung beweisen. Eben so wie in Persien die Amschaspands und Izeds (eine untere Klasse der guten Engel) über die einzelnen Theile der Welt gesetzt sind, und ihnen vorstehen, so erklären
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auch alle alte Kirchenlehrer, daß Gott die Besorgung und Einrichtung der einzelnen Dinge den Engeln übertragen habe.
Nach dieser kurzen Abschweifung von dem uns vorgesteckten Ziele kehren wir wieder zu unsrer gegenwärtigen Aufgabe zurück, welche in dem Aufzählen der Aemter eines jeden Lichtengels nach persischen Begriffen enthalten ist, und wir folgen hierbei der Angabe Seel‘s *)
1) Bahman der erste an Würde nach Ormuzd, die Amschaspands ruhen unter seinem Schutze. Er nimmt auf die Seelen der Gerechten in Gorotman und benedeiet ihre Ankunft im Sitze der Seligkeit.
2) Ardibehescht giebt Feuer und Gesundheit.
3) Schariver ein Pfleger der Hungrigen.
4) Sapandomad, weibl. Geschlechts, Ormuzds Tochter, steht der Erde, sie befruchtend vor. Von ihr ist das erste Menschenpaar gebildet worden.
5) Kordad, nach ihm ist der erste Tag im Jahre genannt, er ist König der Zeiten.
6) Amerdad, Schöpfer der Bäume, Befruchter der Heerden und Geber der Früchte aller Art.
Der zweiten Ordnung gute Geister sind Izeds. Ormuzd hat sie geschaffen zu Schutzaugen des reinen Volkes. Der Mensch muß ihre heiligen Namen nennen und durch Nachahmung ihrer Eigenschaften nach ihrem Wohlgefallen streben. Alle Monate und die Tage jedes Monats sind unter Amschaspands und Izeds vertheilt, wo jeder besonders regiert und segnet. Der höhere Geist hat geringere zu Begleitern, nach Art himmlischer Irrsterne; Ormuzd ist nie ohne Amschaspands, jeder Amschaspand hat Izeds um sich. Deren sind:
1) Mithra, auch Meher genannt, der glanzreichste aller Izeds. Er ist aller Geschöpfe Schutzwächter, giebt der Erde Licht, und verscheucht die Geister der Finsterniß
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*) „Mithrageheimnisse der ur- und vorchristl. Zeit.“ Aarau 1823. S. 39.
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(Darudjis). Er ist wohlthätig, giebt den Provinzen reine Könige, erhält die Welt in Harmonie, ist Urheber der moralischen Bande und ihrer Grade unter den Menschen gegen einander, wiegt ab die Handlungen der Menschen auf der Brücke, die Himmel und Erde scheidet, ist König der Könige, rein, allwissend. Er wird bei Sonnenaufgang, am Mittag und bei Sonnenuntergang von den Parsen angerufen.
2) Khorschid (glanzstrahlend) Ormuzds Auge, die Sonne, hat vier Pferde, vollendet seinen Lauf in 365 Tagen.
3) Aban, Ized des Wassers.
4) Ader, Ized des Feuers.
5) Anahid, Bewahrerin des Samens Zoroasters.
6) Aniran, Urheber des Lichts.
7) Ard, gibt Weisheit, Glanz und Güter.
8) Arduisur (weibl.), kommt den Todten zu Hülfe, hat einen jungfräulichen Leib, heißt Ormuzds Tochter, und ist das Urwasser, ausfließend von Ormuzds Thron.
9) Aschted, Ized des Ueberflusses.
10) Aschman (d. i. Himmel), schützt gegen die Hölle.
11) Barzo, Taschters Gehülfe bei Austheilung des Wassers auf der Erde.
12) Behram, erscheint im Winde, der lebendigste aller Izeds.
13) Dahman, trägt die Seelen der Menschen, von dem Ized Serosch empfangend, in den Himmel. 14) Din, steht dem Gesetze und der Wissenschaft vor.
15) Farvardin, gibt Kraft und Licht, ist über den ersten Monat und 19ten Tag jedes Monats gesetzt. 16) Gosch, vertreibt die Dews, vermehrt die Wesen.
17) Goschorun, Ized der Heerden.
18) Mah (Mond), weibl. Ized, gibt den Samen für Thiere und Pflanzen.
19) Mansrespand, Schutzwächter des Himmels.
20) Neriosengh, schützt den Gerechten und gibt Muth den Helden.
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21) Parvand, weibl. Ized.
22) Rameschen -kharan, Ized der Wahrheit.
23) Serosch, wirksamster der Izeds, durch ihn haben die Menschen das Gesetz.
24) Taschter, Ized des Regens.
25) Vad, Ized des Windes.
26) Venant, gibt Gesundheit.
27) Zemiad (Erde), weibl. Ized, thut alles Gute, wenn sie gepflegt wird.
Das orientalisch-mystische Prinzip der guten und bösen Genien kann man ohne Bedenken auch selbst im Einklang mit den heil. Urkunden des Judenthums und Christenthums das chaldäisch-zoroastersche nennen, weil es, wie schon früher bemerkt worden, keinem Zweifel unterliegt, daß die Lehre von den Schutzgeistern einzelner Menschen auch im neutestamentarischen Sinne biblisch ist *).
Rein zoroastrisch und auf die Feruers und Dews in der Zendlehre begründet ist auch die Annahme von zwei Genien, einem guten und einem bösen, die jedem Menschen zugeordnet sind, ihre Schicksale und Entschlüsse leiten u. s. w. Origenes und Klemens von Alexandrien zeigten sich unter den christlichen Theologen dieser Meinung zugethan.
Es ist hier ganz geeignet, zur Vergleichung der Dogmen der Perser mit denen der Juden einige Erörterungen über den Glauben Israels von den guten Engeln zu geben. Der Talmud als Inbegriff der ganzen jüdischen Kasuistik und Polemik lehrt, daß die guten Engel die himmlischen Kugeln (Ophanim) bewegen; daß dazu siebenzig bestimmt seyen, die zugleich über die siebenzig Völker der Welt als Fürsten und Regenten gesetzt seyen, und den Thron des Ewigen umgeben; jedes Gestirn, jedes Land, jede Sprache, jede Stadt hat einen solchen himmlischen Fürsten als Wächter, Hüter, Fürsprecher
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*) Bauers hebr. Mythol. Th. I. S. 118. Bretschneiders Dogmatik B. I. S. 608.
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und Versorger. Gabriel ist Fürst des Feuers, Michael Fürst des Wassers, und über alles Irdische seyen gute Engel gesetzt.
Zum Vergleiche mit den persischen Izeds bemerken wir hier die Vorzüglichsten nebst ihren Functionen. Der höchste gute Engel des Feuers heißt Jehuel; unter ihm stehen sieben, welche jenem Elemente vorgesetzt sind. Sie heißen 1) Seraphiel, 2) Gabriel, 3) Nuriel, 4) Tammael, 5) Schimschiel, 6) Hadarniel, 7) Sarniel. – Michael, Fürst des Wassers hat ebenfalls sieben Engel sich untergeordnet. 1) Ranael, 2) Ariel, 3) Malkiel, 4) Chabriel, 5) Sichriel, 6) Miniel, 7) Geriel. – Ueber die wilden Thiere ist Jechiel gesetzt mit drei Unterfürsten, 1) Pasiel, 2) Gasiel, 3) Chaviel. Ueber die Vögel ist Fürst Anriel oder Afael mit zwei Unterfürsten, 1) Baaliel, 2) Asiel. Ueber die zahmen Thiere Fürst Chariel mit drei Unterfürsten, 1) Lasiel, 2) Parviel, 3) Hisiel. – Ueber die Wasserthiere ist Samniel und über alle kriechenden Mesannahel als Fürst gesetzt. Im Gegensatze zu den Ophanim heißen diese Chajoth. Hierauf folgen die Ruchoth. Fürst der Winde ist Ruchiel mit drei Unterfürsten, 1) Chasakia, 2) Usiel und 3) Asael. Ueber die Donner ist Gabriel, Nuriel über den Hagel, Maktuniel über die Felsen gesetzt. Alpiel ist Fürst aller fruchtbaren und Saroel aller unfruchtbaren Bäume. Ueber die Menschen aber ist Sandalfon gesetzt. Chardaniel steht dem Firmamente vor. Der Engel der Sonne heißt Galgaliel, jener des Mondes Ofaniel. Vier Engel gehen vor und hinter der Sonne. Die Ersten machen, daß sie nicht verbrenne, die Letztern daß sie die Welt nicht kalt mache.
Wie bei den Persern, so ging auch bei den Juden die Wirksamkeit der Genien ins Unermeßliche, und in allen Religionen des Orients finden sich verwandte Ideen dieser Lehre. Auch einen Mithra hatten die Juden in ihrem Metatron, dem vornehmsten unter allen Engeln. Alle himmlische Heere stehen unter seiner Botmäßigkeit, alle müssen ihm gehorchen.
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Er wird Chaldäisch „Materalch“ Hüter der Welt geheißen. Er ist der Fürst des Gesetzes, der Weisheit, Stärke u. s. w. Metatron macht in der Zahl so viel als Schaddai (314), welches Wort den Allmächtigen bedeutet, demnach ist seines Herrn Name in ihm. Er ist ferner der Engel des Todes, Fürst aller Völker der Welt und theilt ihnen die Nahrung aus; er hat daher viel Aehnliches mit dem Mithra der Perser. Gott eröffnet täglich dem Metatron, welche Menschen zum Tode bestimmt sind. Letzterer hat zwei Unterfürsten, den Sammael für die Seelen außer dem Lande Israel, und Gabriel inner demselben. Beide haben viele dienende Heere, welche sie auf Metatrons Befehl absenden, die Seelen von der Welt zu nehmen. Diese Engel haben verschiedene Grade nach der Würdigkeit jener Seele, die sie holen. Metatron bringt die Seelen der weisen Rabbinen in den Himmel. Er soll der Lehrer Mosis gewesen seyn, und hat die Macht, vorzugsweise hinaufzusteigen durch das Geheimniß der 950 Firmamente; er empfängt die Gebete der Israeliten – ist der Fürst des Angesichts, d. h. er genießt allezeit die Anschauung Gottes. – Wie sehr identifizirt sich daher Metatron mit dem persischen Ized Mithra!
Gehen wir nun zu den bösen Geistern der Perser über. Die sieben Erzdews sind, wie schon oben erwähnt worden, das im Reiche der Finsterniß, was die sieben Amschaspands im Lichtreiche sind. Jeder hat seinen besondern Namen und besondere Widersacher unter den Amschaspands, womit er zunächst zu kämpfen hat. Die Dews sind weiblichen und männlichen Geschlechts; alle Uebel kommen von ihnen, jeder ist eine besondre Quelle, andre sind Mitwirker, wie die Amschaspands ihre Begleiter und Mitwirker (Hamkars) an Izeds, und diese an geringern Izeds haben. Sie erscheinen unter allerhand Gestalten auf Erden, als Schlangen, Wölfe, Menschen, Fliegen. (Das Letztere erinnert wieder an Beelzebub, den Fliegengott.) Sie sind wie die guten Geister unzählbar.
Die Mächtigsten mit ihren Hauptcharactern sind:
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1) Akuman, Ahrimans Erstgeschaffner, Bahmans Nebenbuhler, ganz Neid und Gift in seinen Gedanken, der Häßlichste der Dews. Er plagt vorzüglich die guten Menschen.
2) Areschk, Dew der Neidsucht.
3) Aschmogh, heist auch die zweifüßige Schlange, ist Entferner alles Guten und Bringer des Bösen.
4) Astuiad, Dew des Todes.
5) Böte, lähmt die Gelenke und Fugen des menschl. Leibes.
6) Derwisch, Dew der Armuth.
7) Djadu, Dew der Magie.
8) Djef, Dew der Unreinigkeit, auch Tief genannt.
9) Eghetesch, Dew der Herzenszerrüttung.
10) Eschem, Serosch‘s Nebenbuhler, Dew des Neides.
11) Epeosche, erscheint unter Rossesgestalt.
12) Kesosch, gibt Zwerggestalt.
13) Khevez, Todtenbesitzer.
14) Khiveh, schadet mit Feuer und Wasser.
15) Xonde, Dew der Trunkenheit.
16) Nesosch‘s, ein ganzes Heer von Dews, die aus Norden schwärmen.
17) Pentesch, Dew der Läßterung und Falschheit.
18) Sor, Gegner Serosch‘s.
19) Vaziresch, besitzt die Todten.
20) Vato, Dew des Ungewitters.
21) Verin, Abhalter des Regens.
22) Zaretsch, Allverderber, u. ff.
Dies sind die am meisten vorkommenden Dewnamen. Fast jedes Laster, jede Plage, jede Krankheit hat ihren Dew. Jeder Wohlthäter unter den Amschaspands und Izeds hat mit vielen, und besonders mit einem Hauptdew zu kämpfen.
In diesem beständigen Kampf guter und böser Geister, Menschen, Naturkräfte, liegt nun die Mischung des Guten und Bösen. Alles Gute und Böse leitet der Parse aus diesen Quellen her und führt es wieder in dieselben zurück. Diese Welt
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der Uebel, wie er sie nennt, ist nun einmal unter gute und böse Wesen getheilt; des Guten ist nur immer soviel vorhanden, als wirkende Ursachen sind, und Ahriman mit seinen Dews geschlagen wird. Darum sieht sich jeder Parse wie ein Krieger Ormuzds an, welche Redensart in der Folge auch zu den Christen überging, die sich Streiter Christi nannten (s. Tertullian de cor. milit., wo sie jener Kirchenvater als commilitones Christi bezeichnet), darum kann der Parse nicht sündigen, ohne alle Izeds zu betrüben, und keine Todsünde be gehen, ohne selbst ein Dew-Mensch, ein Glied Ahrimans zu werden, da seine Religion keine zeitliche Versöhnung und Verzeihung durch Buße gewährt.
Die Wahrnehmung eines scheinbaren Widerstreites in der Natur, wo entgegenwirkende Kräfte thätig sind, verbunden mit dem Bestreben, das moralische Uebel zu erklären – die schwerste Aufgabe aller Religionssysteme – mußte bald die Annahme zweier gleichmächtigen höhern Wesen erzeugen. Zoroaster war nicht derjenige, welcher sein Volk zuerst auf diese Idee leitete, denn wie früher schon gezeigt worden, ist er nur als Reformator der von Hom eingesetzten Religion zu betrachten. Die Magier waren dieser Lehre schon vor seinem Erscheinen zugethan. Zoroaster veredelte bloß den bestehenden Volksglauben, und theilte den beiden Grundwesen eine Menge von Untergeistern zu, die in deren Dienste standen und den Willen ihrer Obern zu vollziehen strebten. Unter Ormuzd standen die Amschaspands und eine große Anzahl Izeds. Unter Ahriman standen die Dews, schadenfrohe geistige Naturen. Ja selbst die Menschen waren nach Zoroaster von doppelter Art. Gute (Mazdedschans) und Böse (Kharfesters). Jene stammten von Ormuzd, diese von Ahriman ab.
Den Christen ist die Lehre vom Satan als Versucher der Menschen nicht minder wichtig. sie liegt tief in der Bibel, in den Zeugnissen der Kirchenväter, in dem Lehrbegriffe und in der Liturgie der Kirche. Wir gehen sonach zur weitern Lösung dieser Begriffe über. Nichts ist natürlicher, als daß die Juden,
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während sie unter den Verehrern der Zoroasterschen Lehre lebten, mit Ahriman bekannt werden mußten. Von diesem Zeitpunkte an findet man daher – zum Theil sogar in einem gewissen Widerspruche mit ihren frühern Religionsansichten – bei den Juden manche Annahme herrschend, deren Ursprung auf keine andere Weise, als durch die Einwirkung zoroasterscher Lehren auf sie, historisch befriedigend erklärt werden kann. Hieher gehört nun vor allen andern die Lehre von einem Satan, so wie die Annahme von guten und bösen Engeln.
Was Ormuzd dem Zoroaster, ist Jehovah bei Moses. Sollte aber die mosaische Staats- und Religionsverfassung nicht zernichtet werden, so konnte Jehoven kein zweites gleichmächtiges Wesen an die Seite gesetzt werden. Die Juden nahmen daher einen Satan an, der von Jehovah geschaffen und Anfangs gut gewesen, späterhin aber durch einen Act der Freiheit, vermittelst seines Abfalls vom guten Prinzip böse geworden sey. Diesem nun schreiben die spätern Juden Alles zu, was Zoroaster dem Ahriman zuschrieb; ja sie erblicken jetzt diesen gefährlichen Geist schon in jener Schlange, durch welche Adam und Eva verführt worden waren. Die Diener des Ormuzd, die Izeds und Amschaspands werden von ihnen in gute Engel und Erzengel verwandelt, die Dews aber Dämonen, Teufel genannt.
Seit den Zeiten des babylonischen Exils findet sich diese Annahme im Judenthum.
Zu den Zeiten Jesu war der Glaube an diese Wesen bis zu einer furchtbaren Höhe gestiegen; und wollte man eine Parallele ziehen, so könnte man sagen, was die Zauberer und Hexen im 17ten Jahrhundert waren, das sind die Besessenen zu Christi Zeiten gewesen. Jedes Zeitalter hat seine eigene Schellenkappe. Diese aus dem Parsismus in das Judenthum übergegangenen Ideen gingen nun von diesem in das Christenthum hinüber, und wurden im Geiste dieser neuen religiösen Weltanschauung modifizirt und ausgebildet.
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Dies läßt sich durch alle christliche Jahrhunderte hindurch historisch nachweisen. Die Dämonologie ward vom Anfang des Christenthums an standhaft im echten Geist desselben ergriffen und ausgebildet.
Doch, ehe wir zur Beantwortung der hier sich aufdringenden Frage übergehen, nämlich wie die Urkunden des Christenthum im neuen Testamente die zoroastrisch-jüdische Dämonologie auffaßten? wird es zweckmäßig seyn, hier noch einen Rückblick auf den gesammten Orient, als das Vaterland der Magie zu werfen, um zu sehen, was man von den frühesten Zeiten an unter dem Wort Magier verstand. Dadurch wird sich Manches in dem Begriffe von Zauberei, wie sich solcher später ausbildete, von selbst aufklären.
Die Worte Magie und Magier sind weit jünger, als die Sache die sie bezeichnen. Ein Magier war nach seiner ursprünglichen Bedeutung ein persischer Weltweiser, welcher die Gnosis, d. h. die mannigfachen, über den Orient verbreiteten Philosopheme studirte und auf die Naturwissenschaften anwendete *). Es waren jedoch nicht Alle, welche sich mit dieser Kunst beschäftigten, Perser von Geburt, sondern auch Araber und Juden erhielten späterhin diesen in weiter Ausdehnung gebrauchten Namen, wie wir aus dem Beispiel Daniels und aus Matth. 2. sehen.
Unter Magiern verstand man nach dem spätern Sprachgebrauch des Worts:
1) Astronomen. Als solche waren in der ältesten Welt besonders die Chaldäer und Babylonier berühmt **). So erklärt sich auch, warum so viele religiöse Mythen der
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*) Horns bibl. Gnosis.
**) Gogunt vom Urspr. der Gesetze, Künste u. Wissenschaften, deutsch v. Hamberger. Lemgo 1760. Thl. III. S. 105. 173. 224. wo von den Chaldäern die Rede und Thl. I. S. 231. Thl. III. S. 84. 172. wo der Babylonier gedacht wird.
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alten Völker auf einstige Naturereignisse und Himmelsbegebenheiten zurückführen, die nur verschleiert dem Volke zukamen, weil der Schlüssel zur Lösung jener Fabeln von den Priestern nicht aus den Händen gegeben ward. Die Hebräer wurden erst zu Davids Zeiten, der von Nebukadnezar zum Oberastronomen gesetzt wurde, mit astronomischen Kenntnissen näher bekannt. Dan. I, 20. II, 2, 10, 22, 48. IV, 6. 7. 9. u. s. w. Diese Wissenschaft war aber bei den Völkern, die sie cultivirten, schon in den frühesten Zeiten mit vielfachem Aberglauben verbunden.
2) Astrologen. Jener Krankheit des Orients: Astrologie genannt, wird unter andern Jes. 47, 9. gedacht. Diese Art Magier behaupteten, aus dem Laufe der Gestirne die Zukunft vorherzuwissen. Auch die Erzählung Matth. 2. erhält hieraus ihr eigentliches Licht.
3) Nativitätssteller. Diese Kunst entsprang unmittelbar aus dem Mißbrauch der Astronomie zur Astrologie, und es wurde so viel Uebles damit gestiftet, daß schon Jesaias (47, 12.) dagegen eiferte.
4) Beschwörer und zauberische Gaukler, welche behaupten, durch geheime Künste Schlangen beschwören zu können, so daß sie nicht zu stechen vermöchten. Dergleichen Leute gab es schon zu Jesaias Zeiten. Jes. III. 3. Jer. VIII. 17. Ja diese Gaukler gingen noch weiter. Sie verwandelten am Hofe Pharao‘s Wasser in Blut, machten Frösche und Ungeziefer u. s. w.
5) Nekromanten oder Geisterzitirer, welche durch Beschwörungsformeln Schatten aus der Unterwelt hervorriefen, um sie um Rath zu fragen, oder ihnen sonstige Fragen vorzulegen. Lev. XIX. 31. Deut. XVIII. 11. Vergl. Jes. VIII. 19. XXIX. 4. Diese Geisterbeschwörung geschah zur Nachtzeit, weil man wähnte, das die Schatten das Tageslicht scheuten. Weiber trieben besonders diese Zauberei, ja es ist außerordentlich wichtig, daß in dem eigentlichen Strafgesetz Erod. XXII. 18. auch nur der Hexen Erwähnung
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geschieht 1. Sam. XXVIII. 7. Diese Art Geisterbeschwörung verbot Moses bei Todesstrafe Lev. XX. 27.
6) Bauchredner, welche vorgaben, daß ein Dämon in ihren Leib führe, und daraus seine Orakel vorbrächte. Jes. XIX. 3. Apostelg. XVI. 16. Vergl. Lev. XIX.31. XX.6, 27.
7) Mechaschef, wie ihn Moses Erod. VII. 11. XXII. 17. Deut. XVIII. 10. vergl. Jes. XXXXVII. 9. Dan. II, 2. Jer. XXVII. 9. nennt, oder ein Sonn- und Mondfinsternismacher, wenn der Ausdruck erlaubt ist, d. h. Leute, welche zufolge ihrer astronomischen Kenntnisse Sonnen- und Mondfinsternisse voraussahen, aber dabei thaten, als ob diese Naturwunder ihr Werk wären.
Außer diesen Gattungen von Magiern gab es noch viele andre Arten von Wahrsagern, wie man aus Deut. XVIII. 10. 1. Sam. VI. 2. XV. 23. Jes. XL. 25. Ezech. XII. 24. Jes. LVII. 3. und andern Stellen sieht. Gegen diese kämpfte auch Zoroaster, als durch den Beistand Ahrimans und der Dews ausgeübte Künste.
Von einem Teufel oder Teufelsbund hatte Moses, mit Zoroasters Lehre noch nicht bekannt, auch keine Ahnung. Er dachte sich diese Wirkungen geheimer Naturkräfte als den Einfluß fremder, durch den Mosaismus verbotener Götter. Dieses Letztere war wirklich der Fall (vergl. Michaelis mos. Recht Th. V. § 254. 155.) und diese Erklärung anders modifizirt, wurde späterhin im Christenthume auf den Teufel und die Dämonen übertragen. Verbinden wir nun, nachdem wir die Teufelsidee im Zoroastrismus und spätern Judaismus nachgewiesen haben, diese mit den hier bezeichneten Gattungen von Magie, so sehen wir die Grundlage von dem ganzen System von Aberglauben und dämonischen Unsinnigkeiten, und können es uns klar machen, wie der spätere christliche Teufelsglauben sich entwickelt hat.
Das Judenthum nahm die Idee eines Satans und böser Engel aus den Zoroastrismus in sich auf. Dies haben wir bewiesen.
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Welches ist nun die Ansicht des neuen Testaments hiervon? Mit welcher Geschicklichkeit auch unsre neuern Bibelerklärer die Dämonologie hinweg zu exegesiren versucht haben, es bleibt doch gewiß, das neue Testament nimmt das Daseyn von bösen Geistern und besonders von einem Obersten derselben an. Ja noch mehr, es schreibt ihnen sogar die Gewalt und das Geschäft zu, physisches und moralisches Uebel – Unglück und Sünde – unter den Menschen zu verbreiten. Man hat dies in der vorigen theologischen Periode wegzuerklären gesucht, aber im Widerspruch mit der ganzen Geschichte des Christenthums, worauf man in jener Periode eben nicht sehr achtete. Man bestritt die Lehre vom Teufel als biblisch auch aus dem philosophischen Grunde, weil sie sich mit der Lehre von Gott nicht vereinigen lasse. Allein man kann dem, was die Urkunden des Christenthums über das Wirken der bösen Geister auf die Sinnenwelt sagen, in der That auf keine Weise den Vorwurf machen, daß es mit dem vernünftigen Glauben an eine göttliche Weltregierung unvereinbar sey, da das neue Testament zugleich dabei lehrt, daß der Einfluß dieser bösen Naturen von Gott, so beschränkt worden sey, daß der sittlichen Vervollkommnung des Menschen dadurch keine Hindernisse in den Weg gelegt werden, sondern dadurch im Gegentheile eben so, wie durch andre Uebel, den Menschen Gelegenheit gegeben werde, sich zu höherer moralischer Vollkommenheit zu erheben. Origenes sagt daher auch: „Wenn wir über die bösen Geister siegen, so kommen wir an die Stelle, welche sie ehemals einnahmen.“- (Homil. I. in Jes. Opp. T. VI. p. 399.)
Wer die verschiedenen hieher gehörigen Stellen des neuen Testaments aufmerksam lesen und mit einander vergleichen will, kann sich von der Richtigkeit dieser Bemerkungen selbst überzeugen. Man erinnere sich z. B. der Stelle: der Teufel, euer Widersacher, geht umher wie ein brüllender Löwe – dem widerstehet fest im Glauben. 1 Petr. 5, 8. 9. Wir haben
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nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit dem Fürsten der Finsterniß, mit den bösen Geistern unter dem Himmel – darum ergreift den Harnisch Gottes, daß ihr Widerstand thun, alles wohl ausrichten und das Feld behalten möget. Ephes. 6, 11. 13. 16. Derselbe – nicht entmuthigende, sondern ermuthigende Geist herrscht in allen Stellen, wo vom Teufel die Rede, die alle anzuführen überflüssig ist.
Im Kampf mit dem Heidenthum waren den ersten Christen „die Götter der Heiden“ jene bösen Wesen, welche der Welt so viel Uebles zufügten. Diese Bemerkung muß als historisch wichtig und die Dämonologie der ersten Periode des Christenthums characterisirend herausgehoben werden. Man fand die Ursachen des Irrthums nicht im Verstand, sondern im Willen der Gegner, mithin in einer – Eingebung des Teufels, der ergrimmt sey, daß seinem Reich auf Erden durch Jesum ein so großer Abbruch geschehe, und der sich daher durch sein höllisches Heer die Dämonen oder Heidengötter an den Christen zu rächen suche. Alle Wunder zur Bestätigung des Götzendienstes, wie die Orakel, werden daher von den Kirchenlehrern als Mittel durch neologisch-epigrammatische Aussprüche die Menschen zu täuschen, den Dämonen zugeschrieben. Durch ihre Hülfe gab man vor, wurden magische Künste aller Art ausgeübt. Sie suchten den Menschen auf vielfache Weise zu schaden, brachten Mißwachs, Krankheiten und hundert andere böse Zufälle; noch mehr, Satan und seine Gehülfen, die Heidengötter zeigen sich stets geschäftig, die Menschen zum Unglauben und zu Sünden aller Art zu verführen. Gegen die Christen hegen sie insbesondre tödtlichen Haß, weil diese ihrem Hochmuth nicht schmeicheln, ihnen alle Verehrung untersagen, und sie durch den Namen Jesu, das heilige Kreutz u. s. w. zu verjagen im Stande sind, was sie als sehr herabwürdigend für ihren Hochmuth diesen gar nicht verzeihen können. Um zu zeigen, auf welche Thorheiten der menschliche Geist gerathen kann,
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wenn Aberglaube, frömmelnde Vernünftelei und exegetische Unkunde sich zusammengesellen, stehe hier zum Beschluß folgendes Pröbchen von ältester Bibelerklärung, obgleich es theologischen Lesern schon längst bekannt seyn wird. Wir meinen die höchst seltsame Erklärung der Stelle Genes. VI, 2: „Die Söhne Gottes sahen die Töchter der Menschen (nach Luthers Uebers.) wie sie schön waren, und nahmen zu Weibern davon, welche sie wollten.“ Hierunter, nämlich unter den Söhnen Gottes wollte man Engel verstehen. Mit gleicher naiver Unbefangenheit bildete man sich aus dieser Annahme die Meinung, mehrere dieser Engel hätten Gefallen an den Erdentöchtern gefunden, und in unkeuscher Liebe Kinder mit ihnen gezeugt, worüber sie endlich von Gott aus dem Himmel gestoßen worden wären.
So unsinnig uns jetzt diese Behauptung vorkömmt, so allgemein wurde sie einst angenommen und von den besten Köpfen vertheidigt. Wir finden sie schon bei Joseph Flavius und Philo. Ebenso in dem Buche Enoch, wie auch in dem Testament der zwölf Patriarchen. Dies waren, wo nicht alle, doch größtentheils Juden; aber mit einer Einstimmigkeit, die man sonst nicht bei ihnen antrifft, erklären sich auch alle christlichen Kirchenlehrer dafür, sowohl die griechischen als die lateinischen, so daß selbst ein Origenes über jene Vorstellung sich nicht zu erheben wagt. Die Kinder, welche aus dem Umgange der Engel mit den Menschentöchtern erzeugt wurden, sind die Riesen. Gen. VI. 4. Abermals Phantasiewesen, denn diese Riesen sind weder rechte Engel noch rechte Teufel, sondern haben eine mittlere Natur zwischen diesen dreien. Sie heißen Dämonen im engern Sinne des Worts, da sonst dieser Name überhaupt allen bösen Geistern beigelegt wird. Ihre Väter, die aus dem Himmel vertriebenen Engel irren mit ihren Riesenkindern oder Dämonen immer noch in der Luft oder auf der Erde herum, da ihnen der Zurückgang zum Himmel verwehrt ist, und stiften hier unendlich viel Böses.
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Vom vierten Jahrhunderte an, als der directe Gegensatz zwischen Heidenthum und Christenthum aufhörte, und die Götter der Heiden nur als eine historische Vergangenheit zu existiren anfingen – da bildete sich allmählig der Glaube an das Daseyn höherer böser Naturen so aus, daß aus den frühern heidnischen Götzen die jetzigen Teufel, und aus den ehemaligen, von den Dämonen unfreiwillig Besessenen zuletzt freiwillige Teufelsverbündete wurden. Hier ist also der erste bestimmte Ursprung des Glaubens an Zauberei im spätern Sinne dieser Worte, der in seinen verschiedenen Formen mehr oder weniger seine Abkunft aus Medien und Babylonien verräth, welche Reiche zuerst die Tummelplätze der von Zoroaster bekämpften falschen Magiker gewesen.
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IX. Die Schöpfung der Körperwelt, Paradies, Sündenfall.
Wäre die Tendenz der gegenwärtigen Schrift eine ausgedehntere, worin die Vergleichung der heiligen Bücher der Parsen mit dem ganzen Canon der Christen vorgenommen werden sollte, hätten wir nicht umhin können, was in der Einleitung zu diesem Werke zwar nur flüchtig angedeutet wurde, die Behauptung, daß der Verfasser des Pentateuch vom Zoroaster entlehnt haben müsse, durch eine Kette von Beweisen außer Zweifel zu setzen. In jenem Falle wäre zu bemerken gewesen, daß, wenn Abraham vom Könige zu Gerar tausend Silberstücke erhielt, und derselbe Patriarch die Höhle, worin er seine Sara begraben wollte, dem Ephron mit vier hundert Seckel Silber abkaufte; in den Zoroasterschen Schriften hingegen von geprägtem Metalle und Goldmünzen noch nicht die Rede ist, den Zendbüchern ein höheres Alter zugeschrieben werden müsse. Ferner, wenn man weiß, daß die Ceremonialgesetze Zoroaster‘s
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auf den Begriffen einer reinen und unreinen Schöpfung beruhen, und wie daraus folgt, daß körperliche Unreinigkeit eben so strafbar in den Augen Ormuzds sey, als Unreinigkeit der Seele, und wir beim Moses, nachdem er das Verbot der unreinen Thiere, der Berührung des Todten u. s. w. vorgetragen hat, auch den sonderbaren Nachsatz lesen: „ Macht eure Seelen nicht zum Scheusal und verunreinigt euch nicht an ihnen (den unreinen Thieren), daß ihr euch nicht besudelt, denn ich bin der Herr euer Gott, darum sollt ihr euch heiligen, daß ihr heilig seyd, denn ich bin heilig; und sollt nicht eure Seelen verunreinigen an irgend einem kriechenden Thiere, das auf Erden schleicht, denn ich bin der Herr, der euch aus Egypten geführt hat; daß ich euer Gott sey, darum sollt ihr heilig seyn, denn ich bin heilig.“ (Lev. II. 43–45.), so fragt sich, woher hatte Moses die Idee einer an sich unreinen Schöpfung, welche Jehovah so verabscheute, daß ihm der Mensch durch bloße Berührung derselben nach Seele und Körper zum Scheusal werden konnte? Mochte diese Idee überall entstehen, wenn Jehovah allein Schöpfer war? Setzt hier das Gesetz Mosis nicht die Kenntnis des Zoroasterschen Gesetzes voraus? – Wenn Moses den Umgang eines Mannes mit einer Frau, während sie ihre Zeiten hat, mit Todesstrafe belegt, so fragt man vergebens nach einem Grunde für diese Strenge. Zoroaster droht dem Verbrecher mit ewiger Höllenstrafe (Vend. Farg. XVI.), aber dieser Gesetzgeber motivirt seinen Abscheu vor solchem Vergehen dadurch, daß er die Blutflüsse der Weiber von Ahriman herleitet. (Vend. Farg. I.) Der Aussatz war bei den Parsen als ein Geschenk Ahrimans das Zeichen göttlicher Strafe, denn Zoroaster sah alle krankhaften Ausflüsse lebendiger Körper als von Ahriman herrührend an. Der Aussatz veranlaßte auch beim Moses die Absonderung des Kranken aus der Gemeinde, und scheint auch den Israeliten als Zeichen göttlicher Strafe gegolten zu haben, denn als Miriam gegen Moses üble Reden führte, wurde sie allsogleich mit dem
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Aussatz befallen (Num. XII. 1–15.) Aber nirgend gibt Moses eine Ursache an, warum von allen Krankheiten ausschließlich der Aussatz eine strafe Gottes sey und verunreinigende Kraft besitze. – Nach Zoroaster wirkte der, die todten Körper besitzende Dew als Princip der Fäulnis; daher waren Ausflüsse das eigentlich Verunreinigende, und die Berührung der Todten hörte auf zu verunreinigen, wenn die Körper trocken wurden. „Korn und Heu“ – sagt daher Zoroaster – „wenn sie trocken sind, werden, wenn was Todtes darauf fällt, und man nur das unmittelbar Berührte wegnimmt, nicht unrein; sind sie aber grün – feucht – so werden sie unrein, und man muß, so weit die Feuchtigkeit eingedrungen seyn könnte, wegnehmen.“ (Vend. Farg. VII.) Dieselbe Idee liegt den Vorschriften Mosis zu Grunde. „Samen“ –sagt Moses –„der gesäet ist, und worauf Todtes fällt, ist rein (wenn er trocken ist); wenn man aber Wasser über den Samen gegossen hat, und darnach fällt ein Todtes darauf, so ist er unrein.“ (Lev. II. 32. 38.) Aus eben dem Grunde ist im Vendidad zwar Alles, was ein Todtes berührt, unrein; aber Gefäße von Metall, Holz konnten gereinigt werden; irdene Gefäße aber mußten schlechterdings zerbrochen werden. Der Grund dieses Gesetzes lag wahrscheinlich darin, daß man damals die Glasur dieser Gefäße noch nicht kannte, folglich die Feuchtigkeit sich in die Masse einsog. Eben so verordnet Moses: Alles, worauf Todtes fällt, ist unrein, hölzerne Gefäße u. s. w. können gereinigt, aber alles irdene Gefäß muß zerbrochen werden.“ (Lev. II. 33.) – In einer Art von Widerspruch mit dieser Verbreitung der Unreinigkeit durch Feuchtigkeiten stehen folgende Gesetze: Wenn, nach Zoroaster, ein Todtes in einen Brunnen fällt, so bleiben sie doch rein, wenn man nur etwa das unmittelbar berührte Wasser ausschöpft. „Brunnen und Teiche“ – sagt Moses – „wenn auch was Todtes hineinfällt, bleiben doch rein.“ (Lev. II. 33.) In den Zendschriften wird das Gesetz motivirt. Das Wasser Arduisur, die Tochter Ormuzds, ist an sich so rein und heilig, daß sie nicht verunreinigt werden kann,
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nichts Unreines in sich aufnimmt; beim Moses sucht man vergebens nach einem Grunde.
Wenn nun auch bei beiden Gesetzgebern Aehnlichkeiten in der Form der Offenbarung, gottesdienstlichen Gebräuchen und bürgerlichen Gesetzen sich in Masse darbieten, und überdies die mosaischen Schriften und Verordnungen nur dann Zusammenhang und Verständlichkeit erhalten, wenn man mit den Zendbüchern bekannt ist, ja die Kenntniß der Letztern gewissermaßen in den mosaischen Schriften voraus gesetzt werden muß, wenn diese nicht unklar bleiben sollen, so ist die Gewißheit eines höhern Alterthums der Zoroasterschen Lehre erwiesen. Es würde ein Leichtes gewesen seyn, diese hier ausgesprochene Behauptung mit einem Reichthume von Beweisgründen zu unterstützen, hätten wir uns in diesem Werkchen ein weiteres Ziel gesteckt als die Vergleichung der neutestamentlichen Schriften mit den Zendbüchern. Darum wollen wir unsern noch beabsichtigten Nachtrag von Beweisen blos aus den ersten Kapiteln des ersten Buches Mosis holen, welche, theils weil sie die jedem Menschen wichtige Schöpfungsgeschichte enthalten, theils auch wegen des darin erzählten Motivs zur Erbsünde, auf welchem Dogma die Erlösung des Menschengeschlechts durch Christum basirt ist, den christlichen Lesern nicht gleichgültig seyn können, und daher dieses Thema in der gegenwärtigen Schrift nicht gut übergangen werden dürfte.
Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung wieder zu unserm Ziele zurück.
In sechs Zeitfolgen schuf Ormuzd die sichtbare Welt, Himmel und Erde. Die Amschaspands waren dabei wirksam.
1) Zuerst schuf Ormuzd das Licht zwischen Himmel und Erde und Stand und Irrsterne.
2) Darauf das Wasser, welches die ganze Erde bedeckte, in die Tiefen der Erde stieg, und durch himmlischen Wind, der es durchdrang, wie der Geist den Leib, in die Höhe
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getrieben wurde, damit sich Wolken bildeten. Darauf schloß Ormuzd dieses Wasser ein, und gab ihm zur Grenze die Erde.
3) Also ward die Erde. Hier wirkte Ahriman wie beim Wasser geschäftig mit; sehr begreiflich, denn diese Elemente haben schon Finsterniß, und solche kommt ja vom Ahriman.
4) Ferner wurden Bäume aller Art geschaffen. Anfangs ließ Ormuzd einen Baum werden, der war dürr; aber jener Amschaspand, dem Ormuzd die Bäume anvertraut hat, setzte den Keim dieses Baumes, wie Taschter über die ganze Erde Regen ausgoß, in Taschters Wasser, und da wuchsen Bäume aus der Erde, wie Haare auf des Menschen Haupt.
5) sodann wurden die Thiere. Zuerst erschien der Stier *). Dieser starb, von Ahriman und seinen Dews geschlagen, welche aus Neid gegen Ormuzd und die Amschaspands die Erde mit giftigen und reißenden Thieren bevölkerten. In dem Augenblicke seines Verscheidens gingen aus seinem Schwanze 50 Gesundheit gebende Pflanzen, die sich auf Erden mehrten. Aus seiner linken Seite kam Goschorun, Repräsentant der Thierwelt; aus seiner rechten Kajomors (d. i. sterbliches Leben) Urvater des Menschengeschlechts. Auch ihm brachte Ahriman den Tod. Ahriman hatte sich abermals geirrt, denn so wie bei der Tödtung des Stiers die Entwicklung des organischen Lebens erst recht begonnen hatte, so traten
6) nun hier die Geschlechter hervor, um die Menschen fortzupflanzen.
Bevor wir dieses Thema beschließen, ist es zweckmäßig, aus
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*) Anquetil fragt bei dieser Gelegenheit: Sollte vielleicht ein astronomischer Grund dem Zoroaster, von dessen Sternkenntnissen die Alten so viel rühmen, zu der Idee Anlaß gegeben haben, alle Gewächse und Thiere vom Stier abzuleiten, weil die Natur im Frühling neu geboren wird?
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den hier vorangeschickten Sätzen das erforderliche Licht für einige dunkle Stellen in der mosaischen Kosmogonie abzugewinnen. Es heißt in den Zendschriften, die Amschaspands wären Ormuzd bei der Weltschöpfung behülflich gewesen. Auch Moses läßt Untergötter wirken. Wie wäre sonst das Wort Elohim zu verstehen, welches eine Mehrheit andeutet? Die Meinung einiger Kirchenlehrer, das die Dreieinigkeit darunter zu verstehen sey, verdient nicht erst widerlegt zu werden, da Jedermann weiß, wie nirgends im alten Testamente auf dieses Geheimniß der christl. Kirche auch nur die geringste Anspielung enthalten ist. Auch ist ja die Trinität keine Zusammensetzung mehrerer Gottheiten, sondern ein einziges Wesen, das blos dreifach gedacht werden muß. Der Ausdruck: „Nach unserm Ebenbilde laßt uns den Menschen schaffen“ beweist abermals, daß man sich unter Elohims die Engel dachte *).
Wenn Moses Gott das Licht von der Finsterniß sondern läßt, was im gewöhnlichen Verstande als ein Widerspruch erscheint, weil Licht und Finsterniß nie beisammen gedacht, folglich auch nicht getrennt werden können, so findet sich auch zu dieser Stelle der Schlüssel im theologischen System der Parsen, wo der Abfall Ahrimans (Finsterniß) von Ormuzd (Licht) und die eingetretene Zeit des Kampfs zwischen beiden Prinzipen jene Bibelstelle genügend erklärt; daher die oben ausgesprochene Behauptung, daß Moses bei seinem Volke die Kenntnis der persischen Mythen vorausgesetzt, oder – was noch wahrscheinlicher – planlos und ungeschickt den Zoroaster compilirt haben müsse, nicht zu gewagt seyn dürfte. Auch Hyde (de relig. vet. Pers. Cap. IX.) war schon dieser Meinung.
„Der jüdische Nacherzähler des Zoroaster“ bemerkt der Superintendent von Pabstdorf („die Jetztwelt,“ von Ballenstädt) – „läßt Sonne, Mond und Sterne erst am vierten Tage entstehen. Wie, fragt er, kann ohne das befruchtende Sonnenlicht
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*) Waren doch nach Zoroaster, auch die Amschaspands bei der Schöpfung wirksam.
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eine Vegetation sich denken lassen? Wie konnte die Erde entstehen ehe noch die Sonne war, die der Mittelpunct des ganzen Planetensystems, um welche sich der Erdball und alle andere Planeten bewegen, und ohne welche diese gar nicht ihren Lauf zu beginnen vermochten?“
Auch diese Stelle verräth den ungeschickten Compilator. Zoroaster läßt zwar auch das Licht zuerst, und dann die Sonne entstehen. Jenes Licht ist jedoch das Urlicht Ormuzd, die Sonne hingegen Ormuzds Werk, ein Theil der Körperwelt; das materielle Sonnenlicht darf aber nicht mit dem geistigen Urlichte verwechselt werden. Also auch über diese Bibelstelle giebt nur die Kenntniß des Zoroasterschen Systems den genügenden Aufschluß.
Als Kajomors starb – berichten die Zendbücher ferner – floß sein Same auf die Erde. Ueber zwei Theile desselben wachte der Ized Nerioseng als Schutzgeist, über einen Theil Sapandomad; und das Licht der Sonne reinigte ihn. Nach vierzig Jahren ließ Ormuzd daraus eine Pflanze hervorwachsen, welche in funfzehn Jahren wie ein Baum in die Höhe wuchs, und funfzehn Spröslinge trieb. Dieser Baum hatte die Gestalt eines Mannes und eines Weibes in ihrer Vereinigung, und trug zehn Menschenpaare als Früchte. Davon wurden Meschia und Meschiane die Stammeltern des ganzen Menschengeschlechts (Bundehesch XV.).
Wie Ormuzd alle Schöpfung vollendet hatte, so feierte er mit den Himmlischen die Gahanbars. Dieses Schöpfungsfest wird von den Parsen zur Erinnerung an die sechs Zeitfolgen, in welchen die Welt erschaffen worden, in sechs verschiedenen Zeiten des Jahres, jedesmal fünf Tage gefeiert, und das erste derselben beginnt mit dem ersten Tage des Jahres. Die Einsetzung dieses Festes wird von Zoroaster dem König Dschemschid zugeschrieben.
Erinnern aber diese sechs Schöpfungsperioden nicht lebhaft an die sechs Schöpfungstage beim Moses?
Behalten wir die beiden Mythen von Kajomors
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(aus dessen Samen ein Baum hervorschoß, welcher die Gestalt eines Mannes und einer Frau in ihrer Vereinigung hatte), und Meschia und Meschiane im Gedächtnisse, so sind wir auch im Stande den Widerspruch beim Moses zu erklären, wenn er Gen. I. 27. von Gott den Menschen, ein Männlein und ein Fräulein, schaffen läßt, dieser aber in dem darauf folgenden Kapitel V. 22. das Weib aus der Ribbe des Mannes bildet.
Merkwürdig bleibt es, daß der übrigen neun Menschenpaare, welche jener Baum trug, durchaus nicht weiter gedacht, sondern das ganze Menschengeschlecht von einem Paare hergeleitet wird. Die so häufig in den Zendschriften auf Meschia und Meschiane vorkommenden Anspielungen beweisen zugleich, daß jene Sage von der Entstehung des Menschen unter dem Zendvolk allgemein angenommen war.
Die Menschen waren nun auf der Welt; sie waren unverweslich und für den Himmel geschaffen; aber Ahriman verführte sie zur Sünde, sie fielen und wurden dadurch mit ihrem ganzen Geschlecht unglücklich und sterblich. Dies wird im Izeschne mit folgenden Worten gelehrt. „Du Akuman (Name eines Erzdews) hast den Menschen geschlagen, der unschuldig lebte und unverweslich war.“ *)
Da schon der Urstier und Kajomors starben, so ließe sich schwer bestimmen, was man sich unter dieser Unverweslichkeit dachte, wenn sich nicht in den Zendschriften nähere Bestimmungen fänden. Sowohl im Jescht-Taschter als im Jetscht-Mithra heißt es: „Wenn Meschia mir zur Ehre meines Namens Izeschne gebracht hätte, wie den Izeds Izeschne gebracht, und ihr Name genannt wird **), so würde, wenn die Zeit des rein geschaffenen Menschen gekommen wäre, seine unsterblich geschaffene Seele augenblicklich zum Sitz der
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*) Izeschne, Ha 32. Z. Av. B. I. p. 161.
**) D. h. wenn Meschia sich nicht von den Dews hätte verführen lassen.
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Seligkeit gegangen seyn *).“ Es wird hier nur von der Seele gesprochen, die augenblicklich zum Himmel gegangen wäre, nicht aber zugleich vom Körper. Doch scheint es, daß man den Körper während des Lebens, befreit von Krankheit und Uebel geglaubt, wenn die ersten Menschen nicht sündigten, und wo die Seele, wenn die Zeit des Menschen gekommen wäre, ihn ohne Krankheit verlassen hätte. Eben so beantworteten auch christl. Dogmatiker die Frage, wie es den Menschen ergangen wäre, wenn Adam nicht gesündigt hätte?
Die merkwürdige Erzählung von dem Zustande der ersten Menschen, ihrem Sündenfall und dessen Folgen, finden wir übereinstimmend mit allen Andeutungen und Anmerkungen auf diesen Gegenstand in den Zendschriften, im Bundehesch mit Berufung auf das Gesetz. Wir wollen diese Erzählung ganz hersetzen:
„Der Mensch wurde. Der Himmel ward ihm bestimmt, mit dem Bedinge der Herzensdemuth, des Gehorsams gegen den Willen des Gesetzes, der Reinheit in Gedanken, in Reden, in Thun und Lassen, und das er keine Dews anbete. Durch Beharrung in diesem Geiste, sollte der Mann zum Glücke des Weibes, das Weib zum Glücke des Mannes leben. So waren auch ursprünglich ihre Gedanken, so waren ihre Werke. Sie naheten sich einander und hatten Gemeinschaft. Anfangs sprachen sie: Ormuzd ist es, von dem Wasser und Erde, Thiere und Bäume, Sonne, Mond und Sterne, und alles Gute kommt, was reine Wurzel und reine Frucht hat.“ In der Folge bemächtigte sich Ahriman ihrer Gedanken, verbildete ihre Seelen und gab ihnen ein: Ahriman sey es, der alles vorbenannte Gute erschaffen habe. Dies glaubten sie, und so gelang es Ahriman, gleich Anfangs sie zu betrügen durch Irrthümer in der Lehre von den Dews und vom Anfang bis zu Ende suchte dieser Grausame nichts als Betrug. Beide, Meschia und Meschiane wurden durch Glauben an diese
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*) Z. Av. B. II. p. 211. 227.
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Lüge Darwands (d. h. Sünder, dem Ahriman ähnlich) und ihre Seelen müssen bis zur Auferstehung der Todten im Duzahk (Hölle) ausdauern.
„Sie nährten und kleideten sich dreißig Tage lang schwarz; hernach gingen sie auf die Jagd, und fanden eine weiße Ziege, an deren Zizen sie Milch sogen. Das war ihnen liebliche Nahrung. „Nichts so Angenehmes wie diese Milch habe ich genossen, sprachen Meschia und Meschiane, die Milch, welche ich eben trank, hat mich ungemein erquickt.“ Das war aber ein Uebel für ihren Körper, d. i. dadurch sündigten sie gegen ihren Leib und wurden gestraft.“
„Dew, dessen Rede ganz Lüge ist, zeigte sich durch jenen Betrug noch beherzter, näherte sich ihnen zum zweiten Male, und gab ihnen Früchte, die sie aßen, und so verloren sie hundert Glückseligkeiten, die sie bisher genossen hatten, bis auf eine.“ (Bundehesch XV. Z. Av. B. III. p. 84. 85.)
Man kann diese Geschichte des Falls der ersten Menschen unmöglich lesen, ohne an die Erzählung derselben Begebenheit im Moses erinnert zu werden. Jehovah weiset dem ersten Paar den Genuß von Früchten an; die Zendsage setzt dies voraus, weil die Menschen sonst durch den Genuß thierischer Nahrung nicht gegen ihren Leib hätten sündigen können. Der Hauptact in beiden Erzählungen besteht im Genuß einer Frucht. Jehovah verbietet von dieser Frucht zu essen. Warum? Darauf ist eine genügende Antwort aus Moses unmöglich. Wir wissen wohl, was neuere Bibelausleger aus dieser ganzen Geschichte vom Sündenfall gemacht haben; allein hier ist die Rede davon, wie die Erzählung nach den Regeln einer gesunden Auslegungskunst verstanden werden muß; nicht aber wie sie symbolisch, allegorisch nach irgend einem angenommenen System erklärt werden kann. Alle Fragen über diesen Gegenstand liegen in dieser Zendsage von selbst aufgelöst. Die Frucht war nicht von Ormuzd geschaffen, sondern von Ahriman. Sie war dem Menschen verboten, weil er nur auf die reine Welt Ormuzds angewiesen war, jede Berührung des Unreinen
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ihn selbst unrein machte, und Ahriman Gewalt über ihn gab. Wir beziehen uns hier auf die schon entwickelten Begriffe von rein und unrein in der Körperwelt überhaupt.
Das Interesse der Vergleichung beider Erzählungen steigt, sobald wir auf das Wesen sehen, welches sie verführt, und durch Betrug zum Genus jener Frucht verleitet. Im Moses ist es die Schlange, welche listiger als alle Thiere des Feldes, und ordentlich mit Eva ein Gespräch hält. In der Zendsage ist es die alte Höllenschlange, „Ahriman der in Gestalt einer Schlange vom Himmel auf die Erde sprang“ (Bundehesch III.) und seinem Interesse gemäß, die Menschen zu verführen, und dadurch seine Macht gegen Ormuzd zu verstärken trachtet. Eine unpartheiische Vergleichung mit dieser Erzählung im Zend, dringt gewiß Jeglichem die Ueberzeugung auf: daß im Moses jene ältere Zendsage von dem Abfall Ahrimans, von seinem Kampf gegen Ormuzd, von dem Standpunkt des Menschen zwischen beiden großen Wesen und dem daraus entspringenden Interesse Ahrimans, den Menschen zu sich herüber zu ziehen, vorausgesetzt wird, und daß man nothwendig darauf zurücksehen muß, wenn Mosis Erzählung verständlich werden soll.
Diese mit so überzeugenden Gründen durchgeführte Beweisführung hat den scharfsinnigen, mit kritischem Forschergeiste ausgerüsteten Prof. Rhode *) zum Verfasser. Aber auch Richter (in s. „Christenthum und die Religionen des Orients“ Leipzig 1819) unterläßt nicht zu bemerken: „die Sage vom Paradiese findet sich auch bei den Persern. Der Name Eden den Moses dieser Gegend gibt, bedeutet Anmuth, Lust (das Griechische ήδονη). Auch in einem, in der Pehlwi-Sprache geschriebenen alten Religionsbuche der Perser heißt dieser erste Wohnort Hedenesch, d. h. Ort des Glücks. Ein Fluß tränkt wie bei Moses diese reizende Gegend, wo alle Annehmlichkeiten
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*) Die heilige Sage des Zendvolks. S. 393. – Frankf. 1820.
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mit Ueberfluß jeder Art sich vereinigen. sie ist schöner als die ganze Welt, und die Perser dachten sich darunter die Landschaft Iran (ein Name, der ein offenes, lichtes, ebenes Land bedeutet, und dem Turan, d. h. dem rauhen Gebirgslande entgegengesetzt wird), womit im engern Sinne die Gegend zwischen den Flüssen Kur und Araxes in Armenien bezeichnet wird, die noch immer zu den anmuthigsten Landschaften des mittlern Asiens gehört. In eben diese Gegend scheint auch der von Moses angegebene Euphrat und Hidekel (d. h. Tigris) das Paradies zu setzen. Den Baum des Lebens kennen die Perser ebenfalls. Es ist Hom, den Taschter an den Quell Arduisur setzte, und dessen Saft unsterblich macht und alle Krankheiten heilt.“
Derselbe Autor geht jedoch einen schritt weiter, und weiset nach wie Zoroaster selbst die Geschichte vom Sündenfalle nur den Mythen der Hindu abgeborgt, und mit einigen Umänderungen seinem Vaterlande angepaßt habe. Nur ist in Indien der Fall der Geister vor Entstehung der Körperwelt dargestellt *), aber auch bei ihnen ist Hochmuth, und die Begierde, Gott gleich zu werden, Ursache des Falls, und so wie Adam und Eva aus dem Paradiese verstoßen werden, so auch die gefallenen Geister aus dem Himmel. Die auf den Messias bezogene Stelle Gen. III, 14., wo Gott zur Schlange sagt: „Des Weibes Samen soll dir den Kopf zertreten und du wirst ihm in die Fersen stechen“ findet in der indischen Mythologie eine Parallele **). In einer der ältesten indischen Pagoden nämlich sieht man noch jetzt zwei in Stein gehauene Figuren, von welchen die eine den Krischna (den Mensch gewordenen Gott Wischnu) auf den zerschmetterten Kopf einer Schlange tretend, vorstellt; während in der andern der Gott von der Schlange umwunden erscheint, und von ihr in die Ferse gebissen wird. Es verband aber der Indier mit
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*) Phantasien des Alterthums B. II. s. 60 u. ff.
**) Rosenmüllers altes und neues Morgenl. I Kap. S. 14.
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Wischnu eine ähnliche Idee wie die Christen mit dem Messias. Dieser Wischnu wandelte ja auch gleich Christus, früher in der Gestalt des Krischna auf Erden, um durch Lehre und Kampf dem Bösen zu steuern. Aber die Hindu erwarten sein Wiedererscheinen am Ende des gegenwärtigen 4ten Weltalters, wo er als Reiter Kalighi erscheinen und das Böse vertilgen wird. In dieser Mythe ist Wischnu offenbar Mithras-Christus in der Offenb. Joh. VI. 2., wo er als Ueberwinder auch auf einem weißen Pferde (welche Bedeutung in dem Worte Kalighi enthalten) mit dem Bogen des Todes bewaffnet erscheint. Er ist Christus in seiner zweiten Zukunft zu Gerichte, dem die Zerstörung der Erde vorangeht, und die Erneuerung des seligen Lichtreichs folgt.
Auch die Erzählung von Kains Brudermord findet Richter in der indischen Sage von der Ermordung des Dachsa durch Kardama wieder, und setzt offenbar jene Erleuchteten in Verlegenheit, welche in Kain und Abel Judenthum und Christenthum prophetisch symbolisirt zu erkennen glaubten. Ferner läßt dieser Autor den Verf. des Pentateuch die Sage von Henochs göttlichem Leben und Himmelfahrt, der phrygischen Mythe vom Annak entlehnen, und beruft sich dabei auf Suidas und Stephan Byzantinus. Vollends die Sündfluth, ist nicht nur in den Mythen der Hindu enthalten, sondern Moses konnte sie noch viel näher in den Büchern der Chaldäer und Phönizier haben, deren hohes Alterthum ja ebenfalls längst außer Zweifel gesetzt ist. Hätten Berosus oder Sanchoniathon – vom Letztern sind auch einige Ausdrücke in dem ersten Kapitel der Genesis wie das Tohu wabohu als Bild des Chaos, wie auch: der Geist Gottes schwebte auf den Wassern u. a. m. abgeborgt – den Moses abgeschrieben, warum haben jene Geschicht- und Sagenschreiber, die so Vieles berichten, des merkwürdigen Durchzugs Israels durch das rothe Meer mit keiner Sylbe gedacht? In der indischen Mythe finden wir sogar Noahs Berauschung und Verfluchung seines ältesten Sohnes wieder. Der Kirchenvater Eusebius will in
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dem babylonischen Thurmbau eine assyrische Sage wieder erkennen. Die mythischen Benennungen Adam (Erde), Eva (Leben), Noah (Ruhe, anspielend auf das endliche Stillestehen der von den Wellen lange umhergetriebenen Arche), Cham (Hitze, den Welttheil Afrika bezeichnend), Sem (Urname, für die ursprünglichen Völker Asiens) und Japhet (Wanderer, auf die nach Europa auswandernden Stämme anspielend) bestätigen nur die Vermuthung, daß Moses bei Benutzung der Sagen anderer Völker die Namen der Personen in mythische, den Character oder die Thaten derselben andeutende, umgewandelt haben mag. Diese Hypothese gewinnt noch mehr an Interesse, wenn wir eine gelegenheitliche Bemerkung Richters *) nicht übergehen. Dieser Gelehrte äußert:
„Es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß der Mosaismus zum Theil aus indischen Quellen geschöpft habe; denn auch Brama predigte die Lehre von Einem Gotte, vor der Allgemeinwerdung des gröbern Schiwadienstes. Es ist bekannt, daß nach einem harten Kampfe der Bramaismus dem wilden Schiwaismus weichen, und seine Anhänger flüchten mußten. Es wäre also möglich, daß wir in dem aus dem Ostlande nach dem westlichen Kanaan sich flüchtenden Abram, wie er hieß, ehe seine (vorgeblichen) Nachkommen diesen Namen in den für sie bedeutungsvollern Abraham verwandelten, einen indischen Bramen, d. h. einen Verehrer Brama‘s, welcher der Urreligion von Einem Gotte treu geblieben, wieder fänden. Der Name bezeichnet dann kein Individuum, sondern wäre Collectivwort für die gesammte Anzahl geflüchteter Bramen, oder er bedeutete auch den Gott Brama selbst, wenigstens ließe sich bei dem Namen seiner Gattin Sarai an Brama‘s Gemahlin Saraswati (d. h. Frau Sara) denken.“
Nach Görres **) war der (Gen. XIV.) erwähnte Krieg, an welchem Abraham zuletzt Theil nahm, um Lot zu befreien,
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*) S. 113. a. a. O.
**) Myth. Gesch. d. as. W. S. XXX.
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ein Krieg der Kuschiten gegen die Semiten, d. h. der Schiwa und Feueranbeter gegen die Brama-Verehrer, und in dem Könige von Salem (Friedensstadt) Melchizedek (dem gerechten Könige) erblicken wir vielleicht einen Bramen höherer Ordnung, einen jener Priesterkönige, wie sie Indien in seiner Urzeit aufzuweisen hatte. Daher bezeugt ihm auch Abram seine Unterwerfung und Ehrerbietung durch Ueberlieferung des zehnten Theils von der gemachten Beute.
Seiner Urquelle nach kann also der Mosaismus auch ein Zweig des Bramaismus seyn, ob er gleich in seiner weitern Ausbildung mehr aus der Priester-Religion Egyptens geschöpft ist, wie unter andern schon daraus erhellt, daß Jehovah ein ursprünglich bei den Priestern des Osiris – deren Mitglied Moses ja ehedem war – die Eigenschaften Gottes bezeichnendes Wort gewesen *); auch die Geschichte mit dem goldenen Kalbe darauf hindeutet, daß die Israeliten an der Verehrung des Ochsen Apis in Egypten Theil genommen; endlich auch die Beschneidung und der verbotene Genuß des Schweinefleisches in Aethiopien und Egypten ursprünglich galten, wie auch, daß die Bilderwerke an den Ruinen des alten Thebens fast alle von Moses angegebene heilige Geräthschaften als zum egyptischen Kultus gehörig darstellen **).
Die Abstammung der Israeliten von Abraham ist daher keine historische Gewißheit. Vermuthlich war Moses auch darin symbolisch verfahren, daß nach dem Beispiele Zoroasters, welcher, wie oben gezeigt worden, seine Mythen auf Naturbegebenheiten gründete, und die Himmelskörper zu Amschaspands, Izeds, Dews (letztere sind die Kometen) machte, ebenso der jüdische Gesetzgeber die Astronomie in seine Mythen hineintrug, die drei Himmelssphären der Perser ***) – welche auch
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*) Richter a. a. O, S. 130.
**) Heerens Ideen Thl. II. S. 831.
***) Dieser Glaube ward durch eine Stelle im Bundehesch XII. veranlast, welche sich wieder auf eine ältere Zendsage beruft. Dahin deutet der Ausdruck: Im Gesetz heißt es, daß der erste Berg Alborgi in 15 Jahren hervorgegangen sey, und 1800 J. zum ganzen Wachsthum brauchte. In 200 J. stieg er bis zum Sternhimmel empor, in 200 J. bis zum Mondhimmel, in 200 J. bis zur Sonnensphäre, in den letzten 200 J. erhob er sich bis zum Urlicht. (Z. Av. B. III. S. 73.) Schon Plutarch und Dionys von Halikarnaß bemerkten, daß die Bilder und Fabeln der alten Mysterien nichts weiter als ganz bekannte Himmels- und Naturbegebenheiten enthalten haben. Auf ähnliche Art sind die Himmelserscheinungen nach Maßgabe des verschiedenen Geschmacks und Alters verschiedener Nationen, nicht nur aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, sondern auch zu einem ganz verschiedenen Gebrauche angewandt worden, nicht nur von Moses, sondern auch von Daniel, Ezechiel, und dem Verf. der Apokalypse Joh.
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die Juden annahmen, daher Paulus bis in den dritten Himmel entzückt wurde, d. h. bis zum Wohnsitz der Seligen – in drei Erzväter und die zwölf Zeichen des Thierkreises (von diesen handelt der Bundehesch II. Z. Av. B. III. p. 60) in die zwölf Söhne Jakobs und ihre Schwester Dina symbolisirte; denn Simeon und Lewi machten nur ein Sternbild, nämlich die Zwilllinge aus, daher blieb noch eines für Dina übrig, welches unstreitig die Jungfrau war.
Die Erzväter waren für den Heerführer der Israeliten unentbehrlich, denn ihre Tugenden sollten ja das Motiv gewesen seyn, weshalb Jehovah ihren Nachkommen den Beistand bei der Invasion in Kanaan zusicherte. Nur diese Vorspiegelung konnte einer feigen Sklavenhorde den Muth von Abentheurern geben, um kampfgeübte Völker auf deren eigenem Grund und Boden anzugreifen. Wären die Erzväter historische Personen, wie fügte sichs, daß ungeachtet des dem Abraham ertheilten Gebots alle seine männlichen Nachkommen zu beschneiden, die Israeliten unter Moses, und selbst unter Josua noch unbeschnitten waren? Sollten wir die Erzväter für historische Personen halten, wie erklärt man den Umstand, das die Ismaeliten schon ein mächtiges, mit Egypten selbst in Verkehr stehen des Handelsvolk waren, als sie den Knaben Joseph seinen
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Brüdern abkauften, dessen Großonkel der Stammvater jenes Volkes gewesen seyn sollte!!!
Wir sind also gezwungen, daß die Israeliten ein Zweig des egyptischen Volkes gewesen, aber zu den Hyksos einem Hirtenvölkchen gehörten, das Egypten einige Jahrhunderte beherrschte. Der König, unter welchem ihr wahrscheinlicher Stammverwandter Joseph (der, wie man weiß, in Egypten einen andern Namen führte, als der jüdische Geschichtschreiber ihm gibt) gelebt haben mag, war ein Fürst der Hyksos, daher die freundliche Behandlung, deren die Israeliten unter seiner Regierung genossen. Aber nun kam ein anderer König auf den Thron, der nichts von Joseph wußte. Dies geschah als die nach Süden zurückgedrängten egyptischen Urstämme wieder nach den nördlichen Gegenden vorrückten, die Hyksos verdrängten, und ihre letzte Festung Avaris eroberten; ein Krieg, dessen einzelne Scenen noch auf den Denkmälern Thebens abgebildet sind. Die Israeliten blieben zurück, und wurden zu Sklaven gemacht, ja die nun herrschenden Pharaonen beschlossen ihre gänzliche Vernichtung, damit sie nicht bei künftigen Einbrüchen der Hyksos ihnen gefährlich werden konnten. In einer Sage beim Manetho heißt es: der egyptische König Amenophis habe, um das Land zu reinigen, alle Aussätzigen (d. h. alle Unreinen, alle Hirtenvölker, denn Hirten gehörten zu der verachteten Kaste) in Avaris versammelt; diese aber hätten unter der Anführung des Osarsiph, später Moses genannt, eines Priesters des Osiris in Heliopolis, sich Egyptens dreizehn Jahre hindurch bemächtigt, und seyen dann als die Egypter, von Aethiopien aus, abermals vorgedrungen, nachdem sie sich eine neue Religion gegründet, und gegen die Egypter alle möglichen Gräuel ausgeübt, in Palästina eingefallen.
Nicht nur die Geschichte, sondern auch die Naturwissenschaft scheint unsre Vermuthungen in Gewißheit umwandeln zu wollen. Ein berühmter Physiolog hatte vor Jahren im „Gotha‘schen Reichsanzeiger“ sich wie folgt vernehmen lassen: „Die
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gleiche Form der altegyptischen und jüdischen Schädel dürfte zu der Vermuthung führen, daß die Juden ursprünglich zu den afrikanischen, und keineswegs zu den asiatischen Völkerschaften gehören, daß mithin ihre Abstammung von einem nomadischen Fürsten in Asien, ihre Einwanderung in Egypten u. ff. bloß Fabel sey. Die Juden haben nach dieser Fabel höchstens, 300 Jahre in Egypten gewohnt. In dieser kurzen Zeit konnten die schönen asiatischen Schädel sich unmöglich in die Schädel der damaligen Egypter umwandeln, und dies um so weniger, da sie sich mit Egyptierinnen nicht verheirathet haben sollen. Die Juden stammen wahrscheinlich von der niedrigsten Kaste aus Egypten her, und wurden deshalb daselbst so gedrückt und verachtet wie die Paria‘s in Indien, die noch jetzt von ihren Glaubensgenossen aus den höhern Kasten verachtet und gemieden werden.“
Nehmen wir mit Prichard *) und vielen andern Gelehrten an, daß Egypten seine Theologie aus Indien erhalten; beachten wir die Hypothese Rau‘s, welcher in der Architectur der indischen Pagoden und egyptischen Pyramiden einige Verwandtschaft finden wollte, und die Baudenkmale der Aethiopier als die Uebergangsperiode dieser Kunst von Indien nach Egypten erkannte; geben wir endlich der Hypothese Langlés nicht minder Beifall, welcher die Egypter, als indische Kolonisten, sich erst in Aethiopien ansiedeln läßt, die in der Folgezeit auch Egypten urbar machten, die theokratische Verfassung der Gangesbewohner, die Eintheilung des Volkes in Kasten und selbst den indischen Thierkreis an den Ufern des Nils einführten, bemerken wir auch, daß mehrere egyptische Wörter denen in der alten Sprache der Braminen sehr gleich kommen, wie Piruma das auf Malabar und in Egypten Mensch bedeutete *), erinnern wir uns ferner, daß die Alten den Namen Nil von der blauen Farbe dieses Flusses ableiteten, nila aber im Sanskrit
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*) An analysis of the Egyptian Mythology, London 1819.
**) La Croze, histoire du Christianisme des Indes S. 225.
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blau bedeutet *), so ist die Verwandtschaft der Egypter mit den Indiern außer allen Zweifel gesetzt; und es erklärt sich die Aehnlichkeit mancher Mythen des Moses mit denen der Braminen, die er ja in den Priester-Archiven zu Heliopolis vorgefunden, und eben so gut als später die phrygischen und persischen Sagen benutzt haben konnte; da insbesondere die Schöpfungsgeschichte Mosis mit den Kosmogonien der Inder, Perser, Egypter und Phönizier eine unläugbare Uebereinstimmung, nicht nur in der Anordnung des Ganzen, sondern selbst in manchen Einzelnheiten hat. Daß aber die Hebräer unter den genannten Völkern das jüngste gewesen, ist eine von allen Historikern längst anerkannte Wahrheit.
Obschon wir unsre Aufmerksamkeit ausschließlich den neutestamentlichen Schriften zuzuwenden versprachen, dürfte die etwas lange Abschweifung von unserm Ziele dennoch nicht als ein hors d‘oeuvre erscheinen, wenn man erwägt, wie Mosis Erzählung vom Sündenfall, worauf die Lehre von der Erbsünde und die daraus folgende Nothwendigkeit des Versöhnungstodes Christi gebaut worden, den Verfasser dieser Schrift zu weitern Untersuchungen über die muthmaßliche Entstehungsart der mosaischen Schriften auffordern mußte; wäre auch damit kein andrer Zweck verbunden, als den Vertheidigern der Offenbarungslehre wiederholt die Ueberzeugung aufzudringen, wie das Christenthum sein Gedeihen auch bei einem natürlichen Gange der Begebenheiten finden konnte.
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X. Vom Weltende, Auferstehung der Todten und jüngsten Gericht.
Eine der Hauptlehren in der Zendsage ist diese, daß der Ewige zur Dauer der Körperwelt einen Zeitraum von zwölf Jahrtausenden bestimmt, welcher in vier Zeitalter abgetheilt ist.
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*) Dissertations relating to Asia Vol. I. S. 58.
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In dem ersten Zeitalter herrschte das gute (erhaltende) Prinzip allein; im zweiten wird das böse (zerstörende) Prinzip schon wirksam, doch untergeordnet; im dritten herrschen beide gemeinschaftlich; im vierten hat das böse (zerstörende) die Oberhand, und führt das Ende der Welt herbei *). Zu dieser Zeit wird Gott den Menschen einen Erlöser senden, welcher dem Bösen wehrt, Tugend wieder herrschend macht und das Reich der bösen Geister zerstört, indem er das Reich Gottes verherrlicht. Sind die zur Weltdauer bestimmten zwölf Jahrtausende verflossen, so wird die Erde durch Feuer vernichtet, und eine neue, schönere, geistigere Erde tritt an ihre Stelle.
Offenbar ist diese ganze Lehre aus der Beobachtung der Natur genommen und es ist hier nur von dem erhaltenden und zerstörenden aber nicht vom guten und bösen Prinzip die Rede. Sobald aber die Sage, wie schon früher einmal angedeutet wurde, die Naturansicht durch ihre unmittelbare Offenbarung verschlang; wurde auch aus dem erhaltenden Prinzip das gute und aus dem zerstörenden das böse. Nichts ist sinnreicher, als wie sich hier die Offenbarung mit der Naturansicht einigt. Beide liegen anfangs in offenbarem Widerspruch. In der Natur siegt endlich das zerstörende Prinzip und das erhaltende erliegt. In der Offenbarung muß nach dem moralischen Zwecke der ganzen Schöpfung das gute Prinzip siegen, das böse aber zerstört werden. Die Sage, ohne hier im Geringsten den Gang der Natur zu ändern, führt dennoch glücklich zum Ziel. Die Weisheit des unendlichen Wesens löst den Knoten. Jeder Streich, den Ahriman gegen das Gute führt, hat für ihn eine entgegengesetzte Folge, indem er stets dazu beiträgt, das Lichtreich Ormuzds immer mehr zu entwickeln, und sich selber zu schwächen. So wollte er bei seinem Erscheinen auf der Erde in dem erstgeschaffenen Stier das ganze organische Reich verderben, indem er ihn tödtet; aber eben durch
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*) Man vergl. damit Offenb. Joh. XX. 7. 8. „Und wenn die tausend Jahre zu Ende sind, wird Satan losgelassen werden. Und er wird ausgehen, zu verführen die Völker ff.“
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den Tod des Stiers konnte sich das organische Leben erst recht entwickeln. Er will nun in Kajomors, der noch beide Geschlechter in sich vereinigt, wenigstens das ganze Menschengeschlecht verderben, und tödtet ihn; aber nach dem Rathschluß des unendlichen Wesens entwickeln sich durch den Tod dieses Urmenschen die beiden Geschlechter, und das Menschengeschlecht kann sich erst recht ausbreiten. So strebt am Ende der Tage Ahriman die ganze Körperwelt zu zerstören; zwar erreicht er seinen Zweck, aber dies ist das von Zervane Akerene vorherbestimmte Mittel, wodurch Ahriman zugleich sein ganzes Reich vernichtet. Das Böse wird also im eigentlichen Sinne durch sich selbst überwunden, und die Körperwelt gibt nur die Möglichkeit, das es ausrasen könne. Der natürliche Gang der Dinge, obgleich er der moralischen Ordnung zu widerstreben scheint, ist dennoch nur Folge des Rathschlusses der unendlichen Weisheit, und ein Mittel das sicher zum Ziele führt.
Jener Erlöser, dessen kurz vorher gedacht worden, daß er durch sein Erscheinen dem Bösen wehren und das Nachtreich zerstören werde, ist nach den Zendschriften der Prophet Sosiosch. Er wird in denselben für den letzten aller Menschen ausgegeben, weil man dadurch zu der Redensart Veranlassung fand: „Von Kajomors bis Sosiosch“ um die Dauer des ganzen Menschengeschlechts damit zu bezeichnen.
Aus einer Stelle im Vendidad (Farg. XIX) geht hervor, daß man Sosiosch als einen Nachkommen Zoroasters erwartete, und der Bundehesch scheint sich darauf zu beziehen, wenn man liest: „Dreimal wohnte Zoroaster der Huo bei, jedesmal aber senkte sich der von ihr empfangene Menschenkeim ins Wasser Kanse, wenn sie sich in demselben reinigte. Hier bewahren himmlische Izeds diese Keime, bis sie als Menschen geboren werden sollen. Drei Mädchen werden sich dann in diesem Wasser baden, die Keime aufnehmen, und sie als Kinder zur Welt bringen *) (Bundehesch XXXIV. Z. Av. B. III. p. 30.).
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*) Die dem Sosiosch vorher erscheinenden, lautet die Mythe, werden Oschederbami (Bami heißt Erde) und Oschedermah (mah bedeutet den Mond) seyn, welche auf den Propheten, ihren jüngsten Bruder vorbereiten und die ersten zwei Drittel der Menschen bekehren sollen.
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Sosiosch wurde also auch als Sohn einer Jungfrau erwartet.
Im Bundehesch wird Sosiosch nicht nur wie im Vendidad als Ueberwinder der Dews, sondern auch als Besieger des Todes und Weltrichter gedacht; denn er wird die Todten durch Ormuzds Macht auferwecken, ihnen weißen Hom zu trinken geben, wodurch sie auch dem auferstandenen Leibe nach Unsterblichkeit erlangen, und dann bei der Brücke Tschinevad Gericht halten. Der Angabe des Bundehesch zufolge soll der Erlöser plötzlich und unvermuthet erscheinen (Z. A. B. III. p. 111.), gerade wie es nach dem Ausspruch Jesu bei der Erscheinung des Menschensohns auf Erden hergehen wird. (Matth. XXIV. 37, 39.)
Die Lehre von der Auferstehung der Todten ist der Zendsage ganz eigenthümlich. Stellen darüber finden sich im Vendidad Farg. XIX. Bundehesch XXXI. u. a. m. Man dachte sich aber auch eine Wiederbelebung der Leiber, dies geht aus den Worten hervor:
„Jede Seele wird die Leiber kennen. – Siehe – mein Vater! meine Mutter! mein Bruder! mein Weib! Alsdann werden aller Welt Wesen mit dem Menschen auf Erden versammelt erscheinen. Jeder wird das Gute oder Böse, was er gethan hat, sehen. In dieser Versammlung wird der Darwand (Sünder) seyn wie ein schwarzes Thier unter der Heerde von weißen. Darnach wird eine Scheidung seyn zwischen Gerechten und Darwands. Die Frommen werden zum Gorotman (Sitz der Seligen) gehen, die Darwands aber von neuem in den Duzakh (Hölle) gestürzt werden. Drei Tage und drei Nächte durch muß Leib und Seele büßen, unterdeß der Gerechte im Himmel die Lieblichkeiten der Seligen durch Leib und Seele schmecken wird. Dann wird der
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Vater von seiner Geliebten – Schwester von Bruder – Freund von Freund – geschieden seyn, jeder wird erhalten nach seinen Werken. Von zwo Schwestern wird die eine rein seyn, die andre Darvand. Ihr Lohn wird in ihren Thaten liegen“ u. s. f. *)
Es ist unmöglich, bei der Beschreibung dieser Szene nicht an ähnliche Schilderungen im neuen Testament zu denken. Man lese die Weissagung von der Zukunft des Menschensohns beim Matthäus:
„Wenn des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit – dann werden alle Völker versammelt werden, und er wird sie von einander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.“ **) „Dann werden Zween auf dem Felde seyn, einer wird angenommen, der andre wird verlassen wer den; zwo werden mahlen auf einer Mühle, eine wird ange nommen, die andre wird verlassen werden ***), dann wird Jeder erhalten was seine Thaten werth sind †), die Gerechten werden in den Himmel, die Sünder zur Hölle gehen.“
Nach der Zendsage stürzt nun der Komet Gurzscher, von der Wache des Mondes sich losreißend, auf die Erde herab; dann wird diese: „wie krank seyn, gleich dem Schaf, das mit Zittern und Zagen vor dem Wolf niederfällt.“ Alles geräth in Brand – „und von der Hitze des Feuers werden kleine und große Berge wie Metalle zerfließen, und dies geschmolzene Erz wird einen großen strom bilden ††).
Aehnliches liest man 2 Petr. III. 10 u. ff. „Es wird des Herrn Tag kommen, als ein Dieb in der Nacht, an welchem die Himmel zergehen werden mit großem Krachen, die Elemente aber vor Hitze zerschmelzen, und die Erde und die
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*) Z. Av. B. III. p. 113.
**) Matth. cap. XXV. 31–32.
***) Ebendas. cap. XXIV. 40–41.
†) Offenb. Joh. XX. 12.
††) Z. Av. B. III. S. 114.
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Werke die darin sind, werden verbrennen.“ – „ Wir aber warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde;“ welche letztere Stelle die Lehre vom Lichtreiche und von der Erneuerung der Dinge deutlich ausspricht. Ganz den uralten Ideen des Orients gemäß, schildert auch Jesus selbst (Matth. XXIV. 29.) die Erscheinung des Logos zum Gerichte: „Sonne und Mond“ heißt es, „werden ihren Schein verlieren, die Sterne vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel sich bewegen. Dann wird das Zeichen des Menschen-Sohns am Himmel erscheinen und die Sterblichen werden ihn kommen sehen in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen, und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels bis zum andern.“ Damit stimmt wieder die Stelle I Thess IV. 16: „Denn er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes hernieder kommen vom Himmel, und die Todten in Christo auferstehen zuerst. Darnach werden wir, die wir leben und überbleiben, zugleich mit denselben hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in der Luft und werden bei dem Herrn seyn alle Zeit.“ – Auch die stelle I Kor. XV. 24. ist merkwürdig. Nachdem Paulus vorher die Auferstehung der Todten mit treffenden Gründen zu beweisen gesucht, erklärt er, wie mit der Auferstehung und der Zukunft Christi das Ende der Dinge, d. h. der gegenwärtigen Welt, verbunden seyn, wie dann alle Herrschaft, Obrigkeit und Gewalt aufhören, und Christus das Reich Gott überantworten und selbst ihm unterthan seyn werde, damit Gott alles in Allem sey, denn Christus müsse nur herrschen, bis er alle seine Feinde, deren letzter der Tod sey, überwunden habe. Hier finden sich offenbar Ideen, die den Persischen von der Vernichtung Ahrimans durch Sosiosch, und von der nun folgenden Alleinherrschaft des Urlichts sehr ähnlich sind; denn nach der Zendsage wird Ahriman von dem Metallstrom der geschmolzenen Erde ausgebrannt, alles Faule und Unreine an ihm verzehrt,
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er selbst in diesem Feuer *) geläutert werden, sich bekehren und als Lichtwesen in Ormuzds Reich zurückkommen. Sobald nun Ahriman sich bekehrt hat, tritt die Wiederbringung aller Dinge und die Schöpfung der neuen Erde ein, welche aus der verzehrenden läuternden Flamme eben so rein hervorgehen wird, wie sie war, ehe Ahriman in Ormuzds Welt einbrach, sie verunreinigte und mit unreinen Wesen anfüllte. Auf dieser neuen Erde wird alles Reine wieder leben, was jetzt ist, wie der Vendidad ausdrücklich verspricht. Ormuzd und Ahriman, die Amschaspands und Erzdews werden, mit heiligen Kleidern angethan, Zervane Akerene verehren **), und mit allen Izeds und allen Menschen in ewiger Glückseligkeit fortleben; alle Schöpfungen Ormuzds werden dann vollendet seyn, und er wird nichts mehr hinzuthun ***).
Auch in den Schriften des alten Testaments kommen Stellen vor, die sich auf die einstige Existenz des seligen Lichtreichs beziehen. So heist es Jes. LXV. 17: „denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird. Damit vergleiche man die ganze Schilderung des 35. und 60. Cap. und in letzterm besonders v. 19.: „Die Sonne soll dir nicht mehr des Tages scheinen, und der Mond soll dir nicht leuchten, sondern der Herr wird dein ewiges Licht seyn. so sind auch die Schilderungen Joel III. 1. 5. und 18–23. offenbar von Bildern des Lichtreichs entlehnt. Von diesem spricht auch Daniel II. 44: „Aber zu jener Zeit wird Gott vom Himmel ein Königreich aufthun, das nimmermehr zerstört wird.“ Vorzüglich merkwürdig ist das 7te Kap. Es hebt besonders die persische Idee hervor: daß vor dem Beginne des Lichtreichs das Böse erst recht herrschend seyn werde, spricht dann von der hohen Gewalt,
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*) Man vergl. damit: „Und der Teufel wird in den Feuersee geworfen.“ Offenb. Joh. XX. 10.
**) D. h. das Izeschne celebriren (Bundeh. XXXI.)
***) Z. Av. B. III. p. 114.
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welche Gott dem Logos (denn dieser ist unstreitig V. 13. unter des Menschen Sohn zu verstehen, der Adam Kadmon der Kabbalisten) über alles Sichtbare verliehen habe, und zuletzt vom Weltgerichte und dem Beginne des Lichtreichs, womit nach Kap. XII. 2. zugleich die Auferstehung der Todten verbunden ist. Daniel war aber auch ganz in die Lehre des persischen Magismus eingeweiht, und so kann seine Uebereinstimmung mit demselben gar nicht befremden. Auf das Weltende durch Feuer spielte schon vor Petrus auch der Prophet Maleachi weissagend an (IV. 1.): „Denn siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll wie ein Ofen, da werden alle Verächter und Gottlose Stroh seyn, und der künftige Tag wird sie anzünden.“
Daß die Meinung von einem Untergange der Welt durch Feuer schon bei den Juden herrschend war, die sie zuverlässig mit andern Religionsbegriffen von den Persern aufgenommen hatten, geht auch aus einer Stelle beim Joseph Flavius (Antiquit. L. I, 3.) hervor: „Dem Genie und den Bemühungen seiner (Seths) Kinder, dankt man die Wissenschaft der Astrologie; und da ihnen Adam gesagt hatte, daß die Welt einmal durch Wasser und einmal durch Feuer zerstört werden sollte, so bauten sie, um diese Nachricht der Vergessenheit zu entreißen, zwei Säulen, worin sie diese ihnen von Adam überlieferte Nachricht gruben u. s. w. – Da also die Meinung, die Erde werde im Feuer untergehen, weil die Zerstörung durch Wasser schon in der Sündfluth erfolgt sey, auch bei den Juden herrschte, so ist es nicht auffallend, sie auch in den Schriften des neuen Testaments zu finden, wo der Verfasser des zweiten Briefs Petri sie mit den Worten verkündigt: „Also werden der Himmel und die Erde gesparet werden durch sein Wort, daß sie zum Feuer behalten werden am Tage des Gerichts.“ (V. 7.) und (V. 13.) hinzufügt: „Wir aber warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde,“ was mit (XXI. 1.) Offenb. Joh. übereinstimmt, wo es prophetisch heißt: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde verging und das Meer ist nicht mehr.“
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Ueberhaupt ist die Aehnlichkeit der Vorstellungen von der Auferstehung der Todten, von Scheidung der Sünder und Gerechten beim jüngsten Gericht, vom Weltende durch Feuer und der darauf folgenden Wiederbringung aller Dinge bei den Verfassern des neuen Testaments und der Zendsage so auffallend, daß man einen nähern Zusammenhang zwischen Beiden anzunehmen gezwungen ist.
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XI. Die Unsterblichkeit der Seele
ward von den alten Parsen schon gelehrt, weil, wie aus dem vorhergehenden Kapitel ersichtlich, sie an eine Auferstehung der Todten und jüngstes Gericht glaubten; nur daß ihre Begriffe von der abgeschiedenen Seele nicht so reingeistig waren, wie eine neuere Philosophie verlangt. Die Feruers in Zoroasters System sind bloß feinere, geistige Vorbilder (Prototype) der gröbern körperlichen Wesen der irdischen Welt. Natürlich legte man jedem Feruer eben die Gestalt bei, welche das körperliche Wesen zeigte, in welchem er sichtbar wurde; und ein Feruer war daher kein Geist wie wir ihn uns denken. Im Bundehesch liest man über diesen Gegenstand: „Nachdem der Menschenkörper im Mutterleibe gebildet ist, kommt die Seele vom Himmel und belebt ihn. So lange er durch sie lebt und sich bewegt, begleitet sie ihn unablässig. Wenn der Mensch stirbt, wird sein Leib Staub und die Seele kehrt zum Himmel zurück *).“
Aus den Worten „kommt die Seele vom Himmel und belebt ihn“ läßt sich
1) die Lehre von der Präexistenz
erkennen. Die Menschen existirten also vom Anfang der Schöpfung als Feruers, und werden nur auf der Erde durch die Geburt
*) Bundehesch XVII. Z. Av. B. III. p. 90.
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in einem Körper sichtbar. Das dualistische System des Zoroaster gab dem Menschen aber auch noch eine zweite Seele zu, den Dew, welcher ein Ausfluß Ahrimans so wie der Feruer von Ormuzd war. Der Dew ist nur durch unrechtmäßige Besitznahme Seele des Menschen, und wird nach der Auferstehung nicht mehr seyn, weil ja alles Böse dann vernichtet und Ahriman selbst ein Lichtwesen wird. Der Feruer allein ist also die eigentliche Seele des Menschen. Wenn folglich der Dew seiner Natur nach unzerstörbar ist, um so mehr der Feruer. Indeß erklärt sich aus dieser Mythe der innere Kampf im Menschen zwischen der Sinnlichkeit und der Tugend, und der abwechselnde Sieg des bösen oder des guten Geistes. Unter den Lehrern der christlichen Kirche traten auch Hermas und Origenes dieser Meinung von zwei Engeln bei, daß der gute Engel zur Tugend ermuntere, der böse aber die Ursache aller lasterhaften Gedanken sey.
Der Zustand des Menschen nach dem Tode zerfällt in zwei Zeiträume: in den Zustand während der Trennung der Seele vom Körper und in den Zustand nach der Auferstehung der Todten, wo sie wieder mit dem Körper vereinigt ist. Wir wollen uns bloß mit dem ersten Zustand beschäftigen, da der zweite, welcher die Lehre von der Auferstehung der Todten und dem Weltende enthält, bereits im vorigen Kapitel besprochen worden ist. Die Zendbücher lehren deutlich, daß die Menschen, welche in ein anderes Leben übergehen, ohne vorher völlig gereinigt zu seyn, Pein leiden, und zwar nach Verhältnis ihres Zustandes länger oder kürzer. Hieraus läßt sich nicht nur auf der Parsen Begriff
2) von der Hölle
schließen, die sie Duzahk nennen, und worin der Sünder nach der Größe und Menge seiner Verbrechen auch die Dauer seiner Strafen findet, und wenn er sich nicht bekehrt, und die zur Lösung seiner Seele erforderlichen Opfer nicht gebracht wer den, bis zum jüngsten Gericht im Duzahk ausharren muß; sondern auch,
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weil dem Zendgesetz zufolge die Reinigungsarten der Lebendigen auch den Todten nützlich werden können, wenn ihre Anverwandten oder Freunde sie für sie verrichten. Da aber auch die Höllenstrafen durch die Gebete der Verwandten abgekürzt werden können, so scheinen die Parsen gleichfalls einen Begriff
3) vom Fegfeuer und Seelenmessen
gehabt zu haben. Die Gebete mußten an den Ized Dahman gerichtet werden, der die gereinigten Seelen von Serosch empfängt, und über die Brücke Tschinevad zum Gorodman, dem
4) Aufenthalt der Seligen
führt. Eltern mußten für ihre Kinder dreißig feierliche Gebete bringen, und dafür wurden sechszig Tanafurs *) getilgt; d. h. es werden sechszig Sünden vergeben, die nicht über die Brücke ließen. Eben so müssen Kinder für ihre Eltern dreißig Gebete feiern, welche dieselbe Wirkung haben. Für Großeltern bringen die Enkel fünf und zwanzig Gebete, und tilgen dadurch funfzig Tanafurs; und so werden alle Grade der Verwandtschaft bestimmt **). Allen diesen Vorschriften liegt der Satz zu Grunde: daß die guten Handlungen der Frommen auch den Sündern zugerechnet werden können, ein Grundsatz, der in einem jüngern Pehlwi-Afrin klar ausgesprochen wird ***). Kann man hier wohl den Grundquell des Fegefeuers und der Seelmessen der römischen Kirche verkennen? Daß diese Meinung, wie durch Gebete der Lebenden die verstorbenen Sünder des Höllenfeuers quitt werden können, von den Parsen zu den Juden übergegangen sey, beweiset die Bibelstelle: „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“ (Jac. V, 16.)
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*) Eine Gattung von Sünden.
**) Vendidad Farg. XII.
***) Z. Av. B. II. p. 149.
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Die Seelen, deren Verbrechen zu groß sind, oder für welche die vorgeschriebenen Gebete nicht gebracht werden, müssen bis zur Auferstehung der Todten im Duzahk ausharren, wie Meschia und Meschiane, weil ihre Verbrechen zu groß sind, indem sie durch ihre Sünde das ganze Menschengeschlecht unglücklich machten.
Unter den christlichen Lehrern war Clemens von Alexandrien *) der Erste, welcher mit der Vorstellung von einem ewigen Höllenfeuer hervortrat. Er konnte sich dabei auf folgende Schriftstelle berufen: „Wer etwas redet wider den heiligen Geist, dem wird es nicht vergeben weder in dieser noch in jener Welt.“ (Matth. XII. 32.)
Auch die neutestamentliche Schilderung, daß in der Hölle Zähnklappern der Sünder sey, erklärt sich nur aus dem verwandten Begriffe der Parsen, die Ahrimans Reich sich als von der Lichtwelt am entferntesten dachten, daher auch Finsternis und Kälte den Sünder an einem solchen Orte erwarteten. Das Höllenfeuer kannten die Schüler Zoroasters nicht, es heißt zwar, daß die Seelen brennen und mit Fäulnissen gespeist werden, doch scheint der erste Ausdruck nur Allegorie gewesen zu seyn **).
Die Vorstellung, welche die Christen des 4ten und 5ten Jahrhunderts noch von dem Weltgerichte hatten, das am jüngsten Tage alle Menschen ohne Ausnahme durch ein allgemeines Feuer gehen müßten, die Frommen aber in demselben unversehrt bleiben würden, eine Lehre, welcher Ambrosius, Hilarius und Hieronymus zugethan waren, findet sich schon in der Zendsage. Dieser zufolge stürzt am jüngsten Tage die in einen Metallstrom aufgelöste Erde in den Duzahk herab. Alle nun auferstandenen Menschen müssen durch diesen Feuerstrom gehen, die Gerechten aber kommen glücklich hindurch, das
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*) Henke Kirchengesch. Th. I. p. 99 ff.
**) Die Hindu waren die Ersten, welche ein Höllenfeuer glaubten, das die Parsen erst am Weltende eintreten lassen. Die Hölle der Christen ist also aus beiden Vorstellungen zusammengesetzt, weil von Flammen und von Finsternis und Zähnklappern zugleich die Rede ist.
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Feuer dünkt ihnen wie warme Milch und sie gelangen zum Gorodman (dem Sitz der Seligkeit), in dessen Mitte Ormuzd, in dessen Mitte Amschaspands, in dessen Mitte Heilige sind. Es dringt die selige Seele in Gorodman, in dessen Mitte alle Feruers der Heiligen schweben. Bahman wird sich sodann von seinem Goldthron erheben, Bahman erster der Amschaspands. Umgeben mit dem Goldrock wird er der Glücklichen Seelen bekleiden mit Gold. Nicht Ahriman, nicht Dews werden mehr ihre Plage seyn *).“
Die persische Mythe weiset dem Gorodman seinen Platz über der Himmels-Veste an. Dort sind die Feruers der Seligen, kommen über die Brücke Tschinevad auf den Gipfel des Alborgi, und schweben von dort, gleich Vögeln herab zum Schutz der Gerechten, die ihre Hülfe anrufen. Aus dem Jescht Farvardin (Z. Av. B. II. p. 247.) erhellt, daß die Seligen, „deren Leiber in Glanzlicht schimmern,“ auch „umkeidet sind mit Sadere,“ dem „reinen heilvollen Gewand, das vom Himmel kam.“ So wie aber auch Gorodman durch himmlische Gerüche, Düfte und Licht characterisirt wird, so der Duzahk durch Finsternis, Fäulnis und üble Gerüche, wie kurz vorher bemerkt worden. Noch bis diesen Tag hat sich in Persien der sonderbare Fluch erhalten: „Möge seine Seele Koth essen!“ so wie die Christen ihren Feinden wünschen: „zu braten, wo die Hölle am heißesten ist,“ welches auf die scheinbar verschiedenen Begriffe beider Völker von den Höllenstrafen hindeutet, obgleich die Parsen ebenfalls, wenn auch nur im figürlichen Sinne ein Brennen der Seele im Duzahk zugestanden.
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*) Z. Av. B. II. p. 145.
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XII. Parsismus und Katholicismus. Eine Parallele.
Im vorigen Kapitel ist unter andern auch angedeutet wor den, das die Feruers der Frommen in Gorodman den Gerechten, die ihre Hülfe anrufen, ihren Schutz und Beistand gewähren. Die Beweisstellen dafür finden sich im Jescht-Farvardin mit den Worten: „Daß die starken Feruers der Heiligen - mir hold seyen!“ *) der 33ste Ha des Izeschne ist ihnen ganz gewidmet **). Finden wir nicht in diesem Theile der parsischen Liturgie eine genaue Verwandtschaft mit den
1) Anrufungen der Heiligen
unter den Katholiken? Die Aehnlichkeit tritt noch stärker hervor, wenn man weiß, daß auch die Parsen sich unter ihren Heiligen verstorbene Fromme dachten, und gleichfalls jeglichem einen besondern Wirkungskreis zuschrieben. so gab es Feruers für jede Provinz, für jeden Ort, für jede straße ***). Auch dem Bundehesch (XXX. Z. Av. B. III. p. 109) zufolge, hatte jede Provinz einen verstorbenen Helden zum Beschützer. Wird man hier nicht lebhaft an die
2) Schutzpatrone
der Katholiken erinnert? Aber was noch merkwürdiger ist, auch die Parsen kennen nicht nur wie die Katholiken die Verpflichtung zu mehrern Zeiten des Tages ihre Gebete zum Himmel zu schicken, und diese auch an die Engel (Amschaspands) und Heiligen (Feruers) zu addressiren, sondern auch der Begriff des Gebetes ist derselbe wie im neuen Testament. Auch der Parse hält dafür, durch Gebet bekämpfe man den Bösen, und hat die
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*) Z. Av. B. II. p. 246.
**) Z. Av. B. I. p. 145.
***) Ebendas. S. 147.
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Verheißung der Erhörung, wenn es mit Inbrunst gebracht wird. Auch der Ormuzddiener betet zu seinem Vater im Himmel, und alles liegt ihm an der Heiligung und Verherrlichung seines Namens; auch er betet täglich, in Ormuzds (Gottes) Reich zu gelangen; auch er fleht: das Ormuzds Wille, sein Gesetz auf der Erde wie im Himmel geschehen möge; auch er bittet täglich um Nahrung und alles was er bedarf, und flehet täglich um Vergebung seiner Sünden, und zwar ganz im Sinne der christlichen Beichte; er betet um Abwendung der Verführung der Dews und um Erlösung von allem Uebel; auch er thut kein Gebet, ohne seinen Geist durch die Betrachtung der Größe seines Schöpfers, der die Welt durch seine Macht trägt und ewig in Herrlichkeit verschlungen ist, zu erheben. Die Belege zu diesen Behauptungen finden sich auf allen Seiten der Zendschriften, in Gebeten, die durch ihre erhabene Einfalt und kindliche Herzlichkeit noch jetzt als Muster dienen könnten. Die Parsen haben also auch ihr
3) Pater noster,
und in der That darf man das Gebet Jesu einen kurzen Auszug aus den Zendschriften nennen – wie auch Rhode *) schon bemerkte – denn zu jeder Bitte finden sich mehrere fast wörtlich gleichlautende Parallelstellen.
Wenn wir in einem frühern Kapitel dieses Buches das Zeugnis einiger Kirchenväter für den von Zoroaster noch vor dem Entstehen der christlichen Kirche geheiligten Gebrauch der Taufe angeführt hatten, so bezog sich dies nur auf die Eingeweihten in den von Zoroaster gestifteten Mithra-Mysterien, eine Function, welche auch in den Mysterien der Egypter beibehalten wurde, und daher nur mit der Taufe der Juden zur Zeit Johannes des Täufers einige Verwandtschaft haben mochte, weil diese Handlung dann nicht für Jedermann gesetzmäßige Vorschrift war, und auch ein reiferes Alter des Täuflings voraussetzte.
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*) Die Zendsage S. 416.
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Allein es leuchtet zu sehr in die Augen, das jene Form des Taufactes, wie sie zu Jesu Zeiten galt, von der später in der christlichen Kirche eingeführten Kindertaufe durchaus verschieden war. Der Lehrsatz des heiligen Augustin, daß durch die Taufe die Erbsünde aufgehoben werde, welchem auch Luther treu geblieben, erklärt die Eile, womit seit den Zeiten jenes Kirchenvaters die christliche Kirche jene Taufhandlung zu vollstrecken befiehlt. Die Besorgnis, der neugeborne Weltbürger könnte vor Erreichung des reifern Alters wieder mit Tode abgehen, und folglich eine Beute der Hölle werden, rechtfertigte die Kindertaufe, obgleich sie nicht im Sinne Jesu seyn mochte, weil der Täufling seine Aufnahme im Bunde der Kirche sich selber unbewußt erhält, und das von ihm zu fordernde Glaubensbekenntnis nur dessen Pathen an seiner Statt ablegen. Diese Lücke auszufüllen ist die Firmelung eingesetzt worden, welche in ein Lebensalter fällt, wo der junge Christ schon fähig ist, in eigener Person sein Glaubensbekenntnis abzulegen. Aber fast ganz in demselben Geiste, wenn auch der Bedeutung nach etwas verschieden finden wir
4) Kindertaufe und Firmelung
unter den Bekennern der bei weitem ältern Zend-Religion. Gleich nach der Geburt mußte das Kind der Wasserreinigung unterzogen werden. Wer es vor dieser Ceremonie berührte, würde selber unrein *). Dies geschah aber nicht aus dem Grunde, weil vor der Ceremonie das Kind dem Ahriman verfallen war, denn die Wöchnerin bedurfte nicht minder der Reinigung; sondern weil alle krankhaften Ausflüsse lebendiger Körper, unmittelbar von Ahriman herrührend, daher verunreinigende Kraft hatten. Der Blutfluß der Mutter während der Niederkunft hatte auch das Kind unrein gemacht. Folglich war für dasselbe die Reinigungsceremonie unerläßlich. Daß sie aber, obschon zu ihrer Entstehung ein anderer Grund vorhanden war,
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*) Z. Av. B. III. p. 221.
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als in der christlichen Kirche, doch immerhin dieselbe religiöse Bedeutung hatte, geht aus dem Umstande hervor, daß der Mobed (Priester) die Amtshandlung verrichten mußte, und bei dieser Gelegenheit dem Kinde auch seinen Namen gab, gewöhnlich den eines Izeds (Engels) oder berühmten Persers *), welcher Gebrauch ebenfalls ein christlicher ist.
Durch den Homsaft, welcher dem Kinde gleich nach der Geburt gereicht wurde, und im Nareng gewaschen, erhält es dennoch seine vollständige Reinigkeit erst mittelst des Baraschnom no schabé, welches die jungen Parsen vor der ersten Anlegung des Kosti **) nehmen. Dann wird er Nozud, d. i. einer, welcher die Glaubenslehren inne hat, die Ceremonien des Gesetzes und den Izeschne auswendig weiß, und den Vendidad zu lesen vermag. Diese religiöse Handlung findet im funfzehnten Lebensjahre des Ormuzddieners statt, und gibt der Vergleichung mit der Confirmation des Christen, die ziemlich in demselben Alter vorgenommen wird, und einen gleichen Zweck verbindet, nur noch größern Spielraum. – Erst nachdem der Parse durch die Ceremonie der Anlegung des Kosti ***) ein Glied am geistigen Körper der Gemeinde Ormuzds geworden ist, wird er auch durch seinen Stand, worin er lebt, in den bürgerlichen Staat aufgenommen.
Die meisten und überraschendsten Aehnlichkeiten bietet vollends
5) die Form des Gottesdienstes
beider Religionspartheien. Die äußere Handlung bei den feierlichen Gebeten Izeschne genannt, gleicht sehr der feierlichen Messe in katholischen Kirchen. Bald betet der Priester (Dsiuli) allein, bald mit seinem Diakonus (Raspi) zusammen;
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*) Ebendas. S. 221.
**) Eine Ceremonie, die in relig. Beziehung das ist, was die Anlegung der toga virilis in polit. Beziehung dem Römer war.
***) Das Kleid des Ormuzddieners insbesondere bei religiösen Verrichtungen.
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bald ist die Liturgie in Fragen und Antworten abgefaßt, welche abwechselnd von Beiden gesprochen oder gesungen werden. Dabei werden die Hände bald zusammengelegt, bald ausgebreitet, der Barsom (geweihte Baumzweige) wird bald berührt, bald hin und her bewegt, wie die Worte des Gebetes es nothwendig machen, eben so der Teller, auf welchem das Miezd (Opferfleisch) liegt. Das Rauchfaß wird bald nach dieser, bald nach jener Weltgegend geschwungen u. s. w. Ist in dieser Schilderung
6) die Messe der Katholiken
noch zu verkennen? Die Vorschriften zu diesen Handlungen sind in Pehlwi-Sprache zwischen den alten Zendtext eingeschoben; aber sie passen genau zu den alten Worten, und liegen zum Theil offen darin; so das man sie im Wesentlichen als sehr alt und ursprünglich betrachten muß. Aber selbst aus diesen Angaben geht wieder eine neue Vergleichung hervor, daß auch die persischen Priester den Vortrag der Liturgien in einer dem Volke unbekannten todten Sprache (Zend) für wesentlich hielten, denn das Lesen der Uebersetzungen – bemerkt Anquetil – würde ohne Kraft und Wirkung seyn *). Pehlwi war aber lange vor der Entstehung des Christenthums, die an die Stelle des Zend getretene Volkssprache unter den Parsen. Weil aber dennoch das Zend als die Ursprache ihrer heiligen Urkunden in den liturgischen Verrichtungen beibehalten wurde, so kann auch in diesem Stücke der Parsismus nicht der Nachahmung christlicher Formen beschuldigt werden. – Auch der Priester Ormuzds mußte die Gebete schnell und mit einer Art von Modulation ablesen, ganz wie es der Gebrauch der katholischen Priester ist. Auch fand beim Hersagen der Gebete die Anwendung musikalischer Instrumente statt, deren Beschreibung man im Kämpfer (Amoenitat. Exot. p. 740, 741) lesen kann,
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*) Z. Av. B. III. p. 241.
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und welche die mahumedanischen Perser noch jetzt gebrauchen.
Der Daruns (kleine ungesäuerte Brode von der Größe und Dicke eines Thalers) ist schon in einem frühern Kapitel gedacht worden, wie sehr sie nicht nur ihrer Form, sondern auch ihrer Bestimmung halber an die Hostie in den christl. Kirchen erinnern. Ebenso war
7) das Weihwasser
unter dem Namen Zur den Parsen früher als den Christen bekannt. Das Gefäß, worin es enthalten, nannte man Moschrabè, und die Stelle des Sprengwedels vertrat der Barsom. Die Bereitung des Weihwassers geschah zur Nachtzeit und vom Raspi (Küster). Die dabei zu verrichtenden Gebete sind von Anquetil (Z. Av. B. III. S. 210 § 5.) umständlicher angegeben.
Ferner müssen wir der
8) priesterlichen Kleidung
gedenken. Diese bestand während des Gottesdienstes – außer dem Penom einer Kinn-Maske, welche das Fortblasen des Athems, der auch für einen Ausflu0 Ahrimans gehalten ward, verhindern sollte – auch in dem Sadere, einer Art weißes Hemd mit kurzen Aermeln, das bis zu den Knieen reicht (also an das Meßgewand des katholischen Priesters erinnert) und über den Hüften mit dem Kosti, heiligen Gürtel (das Cingulum des Mönchs) zusammengebunden ward. Im Zend hieß er Evanghuin, und die Parsen behaupten, Dschemschid habe nach Anleitung Homs, den Kosti erfunden.
Die persische Hierarchie hatte drei Orden. Unter Destur versteht man einen Mann, welcher das Gesetz bis auf seine Tiefen studirt, und die heiligen Sprachen Zend und Pehlwi versteht, also Lehrer, Schriftgelehrter, während der Mobed nur bei den Liturgien und Reinigungs-Ceremonien verwendet ward.
Das Haupt der Hierarchie war Desturan Destur, dessen
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Würde gleichsam die Fülle aller drei geistlichen Orden. Wer sie bekleidete, war Haupt und Erster aller Desturs. Er klärte die Dunkelheiten des Gesetzes auf, und entschied bis auf den letzten Punkt alle Gewissensfragen. Die Parsen mußten ihm den
9) Zehnten
aller Einkünfte geben *). Also waren sie auch mit dieser Art priesterlicher Abgaben den Juden und Christen vorangegangen.
XIII. Auch ein Schlüssel zur Apokalypse Joh.
(Vielleicht der echte.)
„Am deutlichsten“ – bemerkt Richter in seinem von uns öfter angeführten Werke – „schimmern die persischen Ideen in der Offenb. Joh. durch. Mag diese nun vom Apostel selbst oder von einem andern Johannes herrühren **), so ist doch gewiß, daß sie in den ersten Zeiten des Christenthums aufgesetzt wurde, und daß man ihre Vorstellungsart den Begriffen des Christenthums nicht wesentlich widersprechend fand. In diesem Buche nun wird ganz offenbar der Kampf zwischen dem Licht- und Nachtreiche, der scheinbare Sieg des Bösen, seine Vernichtung und der Beginn der Herrschaft des Guten, auf eben die Art geschildert, wie man vielleicht in den Mysterien des Mithra diesen Kampf und Sieg (zenisch) darstellte. In der That haben aber auch schon mehrere Gelehrte den persischen Zuschnitt dieses Buches anerkannt.
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*) Z. Av. B. III. p. 226.
**) Cerdo und Marcion bezweifelten, dem Tertullian zufolge, daß die Apokalypse ein Werk des Apostels Johannes sey. Der Grund, welchen sie vorbrachten, war, daß zu den Zeiten dieses Apostels noch keine christl. Kirche zu Thyatira gewesen sey. S. Lessings theolog. Schriften XVII. Stück.
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Zuerst bemerken wir Kap. I. V. 13. Die Menschengestalt mit dem strahlenden Antlitz, den schneeweißen Locken und den blitzenden Augen, geschmückt mit einem langen Talare und einem goldenen Gürtel um die Brust, stehend in der Mitte von 7 goldenen Leuchtern, die nachher für Symbole von 7 christlichen Gemeinen erklärt wurden, und 7 Sterne in der Rechten, im Munde aber ein zweischneidiges Schwert tragend. Unstreitig ist in diesem Gesichte die so reich mit Symbolen ausgestattete strahlende Menschengestalt die Sonne, Mithra mit dem Golddolche oder Ormuzd der König des Lichtreichs selbst, und die 7 Leuchter um sie sind die 7 Planeten, die aber hier als 7 Gemeinen angedeutet werden. Nach Josephus Flavius und Philo (bei Görres Myth. II. S. 526) symbolisirte der große goldene Armleuchter im Tempel zu Jerusalem auch das Sonnensystem, seine 7 Arme die Planeten und der Arm in der Mitte die Sonne. Als Sonne bezeichnet auch diese Menschengestalt der Ausdruck Kap. II. V. 1.: „Das sagt Der, welcher unter den 7 Leuchtern wandelt,“ und wenn er Kap. I. V. 18. von sich sagt: „Ich bin der Erste und der Letzte,“ welches mit dem andern öfter vorkommenden Ausdruck: „Ich bin das Alpha und Omega,“ einerlei ist. Die 7 Sterne in seiner Rechten werden V. 20. für die Schutzengel der als Leuchter symbolisirten Gemeinen erklärt; sie sind eigentlich dasselbe Symbol wie die 7 Leuchter, nämlich die Planeten, zugleich aber auch die Genien dieser Planeten, die erhabenen Amschaspands, welche den Thron des Lichtgotts umgeben, und von den Persern als Schutzgötter der Provinzen ihres Reiches gedacht wurden. Eben sie werden Kap. III. V. 1. als Geister Gottes, Kap. IV. V. 5. als 7 brennende Fackeln, die den Thron des Lichtgottes umgeben, und Kap. V. V. 6. als die 7 Augen des erwürgten Lammes beschrieben und gedeutet. Diese ganze Symbolik ist unverkennbar persisch. Indem nun aber die Göttergestalt, welche dem heiligen Seher sich offenbart, auch zugleich Christus der Logos, der eingeborne Sohn des Ewigen ist, wird dieser mit Mithra, Ormuzd und Hom identifizirt,
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d. h. die Eingeweihten der höhern Grade des christlichen Mysteriums dachten sich in dem Stifter desselben den ins Fleisch gekommenen Mithra oder Om *), den Mittler zwischen Ormuzd und Ahriman, den Zurückbringer des vollkommenen Lichtreichs. Daher kam es auch, daß die Christen der ersten Jahrhunderte Jesum ausdrücklich die Sonne nannten, und sein Geburtsfest zu eben der Zeit feierten, wo das Geburtsfest des Mithra begangen ward **). Darum heißt er auch ausdrücklich Amen, d. h. Om, der Anfang aller Kreatur ***). Vergleicht man die Schilderungen Kap. I. V. 12–16 und Kap. IV. V. 2–11. mit Ezech. Kap. I. V. 4–28. und X, 1–20., Dan, X, 5, 6., desgleichen mit Jes. I, 1–4 und Exod. XXIV, 10. so findet man Uebereinstimmungen in der Symbolik, welche sich vielleicht am richtigsten aus der Annahme erklären lassen, daß wirkliche Bildwerke und szenische Darstellungen in den Mysterien sie veranlaßt haben, wenigstens ist dies wahrscheinlicher als bloße Copirung. Die 4 Thiere bei Daniel und in der Offenb. Joh. haben dieselben Symbole: Menschen-, Löwen-, Stier- und Adler-Antlitz, und eben diese waren auch Symbole des Mithra. Die 24 Aeltesten (Kap. IV. V. 4) mit weißen Kleidern und goldenen Kronen könnten auf die Eingeweihten des ersten Grades in den Mithra-Mysterien deuten, die durch Kampf und Sieg die Krone des Ueberwinders davon getragen haben. Das erwürgte Lamm Kap. V. V. 6. und in mehrern
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*) Honover.
**) Man vergl. mit dieser Stelle Kap. VII. dieser Schrift.
***) Richter leitet das egyptische Amon, welches, nach ihm, Licht, Sonne bedeutet, von dem koptischen Amunin (Urlicht) ab; verwandt mit diesem findet er das hebräische ??????, Amon, welches Luther: Werkmeister übersetzt, und beruft sich auf die Stellen Nahum III. 8. und Jer. XLV1. 25. wo der thebaische Gott ausdrücklich genannt, und sein Name ebenfalls ?????? geschrieben wird. Folglich ist das hebr. ?????? (Es werde wahr, es geschehe), wovon man überdies beim Jes. XXV. 1. die Form ????? (Omen) findet, die von den Indiern angenommene Schlußformel der Gebete, die Sylbe Om, woraus die Perser Hom und Honover bildeten.
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Stellen, welches Christum symbolisirt, könnte auf den Widder, der den Thierkreis der Sonnenbahn eröffnet, gedeutet werden. Dieser ist ja als Amun, Gott der Götter, der Logos und Om, somit auch Mithra die Sonne im Aequator, in dessen Durchschnittspunkt mit der Ekliptik sich das Widderzeichen befindet. Das Buch, welches aufgethan werden soll, ist das Buch der Natur, oder auch des Schicksals, seine 7 Siegel aber könnten sich wieder auf die 7 Planeten beziehen und ihre Lösung auf astrologische Ideen. Es ist sehr zu bedauern, daß wir so wenig von den Mithras-Mysterien wissen; vielleicht würde sich aus ihnen die ganze Offenbarung, so wie die Geschichte des Daniel und anderer Propheten erklären lassen.
Von Kap. VI. an werden nun die verschiedenen Szenen des Kampfes zwischen Ahriman und Ormuzd beschrieben, insbesondre die Bemühungen, die Jener anwendet, um das Böse auf der Erde zu verbreiten und die Heiligen zu verführen. Zuerst erscheint v. 2. Mithra auf dem weißen Sonnenrosse (Persisches Symbol), bewaffnet zum Kampfe und mit der Krone des einstigen Ueberwinders geschmückt. Dann erscheinen nach einander die Dew‘s des Ahriman, Unglück und Jammer über die Erde ausgießend. Die Zahl des Bösen wird immer größer und die treuen Verehrer des Lichts werden erwürgt, aber sie erhalten auch den Trost (VI, 11.), nur noch eine kleine Zeit bis zur endlichen Entscheidung zu warten. Kap. VII. V. 1. werden 4 Engel erwähnt, die an den 4 Ecken der Erde stehen als Beherrscher der Winde, der Pflanzenwelt, der Erde und des Meeres. Da sie den Auftrag haben, die Erde, das Meer und die Pflanzen zu beschädigen, so sind sie wahrscheinlich die Dews, welche von Ahriman den Genien der Erde, des Wassers und der Pflanzen entgegengesetzt wurden. Ebenso wenn es Kap. IX. V. 14. und 15. heißt, daß die Bande der 4 Engel, welche an dem großen Wasser Euphrat gebunden sind, aufgelöst werden sollen, damit sie Jammer über die Erde verbreiten, so scheint dabei auch an 4 Dews des Ahriman zu denken zu seyn, deren Macht bisher gebunden war und die nun zum Verderben losgelassen werden.
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Der Fluß Euphrat aber zeigt geradezu nach dem Hauptsitze der Mithra-Mysterien hin. Im Kap. X. erscheint, zufolge der angegebenen Symbole, wiederum der Sonnengott Mithra als tröstender Engel, das Ende aller irdischen Zeit und die Vollendung des Geheimnisses Gottes verkündend. Der Kap. XI. V. 2. erwähnte Gott der Erde ist vielleicht der Amschaspand Sapandomad. Mit der siebenden Posaune im Kap. XII. beginnt endlich der letzte Kampf. Der Engel verkündet zuerst das nahe Beginnen des Lichtreichs und des Weltgerichts. Das Reich des Lichts wird symbolisirt als ein Weib mit der Sonne bekleidet und den Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupte eine Krone von 12 Sternen. Hierbei bemerken wir: So wie in den Szenerien der Mithra-Mysterien nicht bloß der ethische Kampf des Guten und Bösen dargestellt, sondern auch auf den physischen Kampf des Lichts und der Finsternis im Jahreslaufe hingedeutet wurde, und das Lichtreich auch den Lauf der Sonne von Süden nach Norden, das Nachtreich aber den Lauf derselben von Norden nach Süden bezeichnete: so könnten die Symbole dieser weiblichen Gestalt vielleicht von der Symbolik des Sonnenlaufes hergenommen seyn, und dann zugleich das große Weltjahr bedeuten, als den Zeitraum, in welchem der Kampf der beiden Grundprinzipien erfolgt und mit dessen Ende der Sieg über das Böse entschieden wird. Sonne und Mond sind die beiden Hauptlichter des Jahrs, die 12 Sterne sind die Zeichen des Thierkreises. Das Weib mit Sonne und Mond bekleidet, erscheint als Jah *), d. h. Als Gottheit,
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*) In der Phönizischen Theologie bezeichneten (nach Görres Mythengesch. I, 301) die Vokale A und O (α und ω) das Urlicht, höchste Intelligenz, Om und dies hing mit der mystisch- astrologischen Bezeichnung des Planetensystems zusammen, indem A den Mond, I die Sonne, H den Merkur, E die Venus, 0 den Mars, Y den Jupiter, Ω den Saturn bedeutete, so daß also A und Ω der erste und letzte Buchstabe waren. Mit dieser Vorstellungsart hängt die Stelle in der Offenb. Joh. also zusammen, wenn Christus als Logos und Om von sich sagt: „Ich bin das Alpha und Omega, der Erste und Letzte, d. h. ich umfasse die ganze Reihe der Planetengötter, bin der Gott über alle, das höchste Urlicht. Man pflegte aber auch vor A und Ω den Sonnenbuchstaben I zu setzen, und daraus entstand Jao, ein Gottesname, der bei den Gnostikern vorkommt. Wahrscheinlich ist auch Jah bei den Hebräern die Zusammensetzung des Sonnen- und Mondbuchstabens, bedeutend die Vereinigung der männl. und weibl. Zeugungskraft, also der Urgott, in dem beide Kräfte verschmolzen sind.
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welche die männliche und weibliche Zeugungskraft in sich vereinigt. Sie ist mit einem Kinde schwanger, nämlich eben mit dem Lichtreiche, dessen Geburt herannaht. Gegen sie tritt Ahriman selbst als furchtbarer Drache auf, um das Kind, welches sie gebären will, zu verschlingen. Im Himmel erhebt sich nun ein Streit zwischen dem Erzengel Michael (einem der Amschaspands) und seinen Engeln, mit Ahriman und seinen Dews. Nach hartem Kampfe wird der Drache mit seiner Schaar aus dem Himmel auf die Erde gestürzt, und hier voll Zorn über die erlittene Niederlage, verfolgt er das Weib und will sie mit einem Wasserstrom ersäufen, aber da seine Bosheit ihm nicht gelingt, so will er sie an den Bekennern der Lichtreligion auslassen, und sucht die Menschen auf der Erde zu verführen, welchen Zweck er nur zu gut erreicht, denn überall werden der Drache und seine Dews angebetet.
In dieser Schilderung sind vielleicht Anspielungen auf die Lehre vom Falle der Geister und auf ihren Sturz aus dem Himmel. Außerdem ist noch zu bemerken, daß die Vorstellung des Lichtreichs unter dem Bilde eines chwangern mit Geburtsschmerzen kämpfenden und von einem Drachen verfolgten Weibes fast unwillkürlich an den Mythus von der irrenden Latona erinnert, die nach vielen Kämpfen den Lichtgott Apoll und den Mond Artemis zur Welt bringt. Es wäre daher zu vermuthen, daß beiden Mythen einerlei persische Symbolik zu Grunde liege.
Endlich folgen die 7 letzten Plagen und die Vernichtung des Bösen. Es erscheint Mithras-Ormuzd auf dem weißen Sonnenrosse und ausdrücklich mit dem Namen Amen (Om) und Wort Gottes (Logos) bezeichnet; mit ihm das Heer der Auserwählten, der tapfern und siegreichen Kämpfer gegen Ahriman und seine Schaaren, und alle Dews mit ihren Anbetern
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werden in den feurigen Pfuhl geworfen; der Drache wird ergriffen und im Abgrunde (Duzakh) eingekerkert. Nun erfolgt die Auferstehung der treuen Verehrer des Lichtwesens (die erste Auferstehung) und sie regieren mit Christ-Ormuzd tausend Jahre im Reiche des Lichts und der Seligkeit. Dann wird der Teufel nochmals auf kurze Zeit losgelassen, um den letzten Kampf gegen die Heiligen Gottes zu beginnen. Aber auch jetzt besiegt, wird er auf ewig in den Abgrund gestoßen; alle Todten böse und gute, stehen auf (zweite Auferstehung) und es erfolgt das Weltgericht. Erde und Himmel vergehen, der Tod wird vernichtet, und es entsteht ein neuer Himmel und eine neue Erde. Auf dem Berge Gottes erscheint die heilige Stadt, das Lichtreich von der Herrlichkeit des Ewigen selbst erleuchtet, und alle Thränen werden getrocknet, jedes Leiden ist ausgelitten, und unaussprechliche Wonne ist der Antheil der Auserwählten.
Diese Lehre vom tausendjährigen Reiche und von der ersten und zweiten Auferstehung kommt bestimmt nur in der Apokalypse vor, aber doch scheint in der Stelle I Thess. IV,15, 16, 17. auch auf eine ähnliche Idee hingedeutet. Paulus sagt nämlich zu den Thessalonischen Christen: „Seyd nicht traurig wegen eurer verstorbenen Brüder und denket nicht, daß diese nun an dem durch die Wiederkunft Christi bald beginnenden Lichtreich keinen Antheil haben werden. Denn wenn Christus nun erscheinen wird, so werden wir noch Lebenden keinen offenbaren Vorzug vor den schon Gestorbenen haben; denn diese (die Todten in Christo) werden zuerst auferstehen, und dann werden auch wir noch Lebenden mit ihnen zusammen dem Herrn in der Luft entgegengerückt werden, und auf immer mit ihm vereinigt seyn. Wenn nun Paulus hier bloß von der Auferstehung der Todten in Christo, d. h. der vor der Zukunft Christi gestorbenen Christen spricht, so scheint er diese Auferstehung von der allgemeinen zu unterscheiden und damit eben das zu meinen, was in der Apokalypse die erste Auferstehung genannt wird. Alsdann ist auch in jener Stelle noch nicht vom allgemeinen Weltgerichte und der Zerstörung der sichtbaren Welt die
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Rede, sondern von einem Licht- und Messiasreiche auf Erden, an welchem nur die Auserwählten, die Christen Theil nehmen sollen, folglich möchte hier dieselbe Idee zu finden seyn, wie die in der Apokalypse vom tausendjährigen Reiche, eine Vorstellungsart, die aus der Idee des jüdischen Messiasreiches entsprungen ist. In dem persischen Religionssystem kommt zwar nichts von einer solchen irdischen Herrschaft bei Ormuzd vor; aber doch könnte die Idee daraus abstammen, welche leicht in einem der verlorengegangenen Zendbücher sich vorfinden mochte. Mit dem letzten Viertel, nämlich des großen Weltjahres beginnt die Vernichtung des Bösen und der sieg des Guten, doch erst mit dem Ende desselben die völlige Vernichtung Ahrimans. Aber so wie der Sieg des Guten nur beginnt, muß auch schon für seine treuen Verehrer ein seliges Lichtreich auf der Erde anfangen; sie haben schon nicht mehr von dem Bösen zu leiden, für sie ist Ahriman gefesselt. Das wäre also für die Auserwählten in der That ein Reich des Glückes unter ihrem Könige Mithra, welches bis zu Ende des großen Weltjahrs dauern würden und wohl ein tausendjähriges Reich heißen könnte, wenn man Ahrimans Fesselung etwa ins zweite Jahrtausend des letzten Viertels setzt. Außerdem kann man auch die bestimmte Zahl tausend überhaupt für eine unbestimmte lange Zeit nehmen. Dann könnte auch die Idee persisch seyn, daß die verstorbenen Ormuzdverehrer als Auferstandene an diesem Lichtreiche Theil nehmen sollen.
Noch eine Abweichung in der Offenbarung von der persischen Lehre ist die Schilderung vom Schicksale des bösen Prinzips. Denn nach der gewöhnlichen Meinung ward Ahriman endlich ein Lichtwesen, mit Ormuzd ausgesöhnt, und das Böse vertilgt, indem es (durch Ausbrennung in dem Metallstrom im Duzakh) in das Gute verwandelt wurde. Aber es gab noch ein zweites System in Persien, nach welchem diese Aussöhnung nicht Statt fand, denn die Bücher Izeschne, Vispered, und am ausführlichsten der Sadder Bundehesch, geben zu verstehen, daß nach der Auferstehung alle Menschen, selbst die bösesten,
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noch errettet werden, aber Ahriman mit seiner Schaar ist von dieser allgemeinen Erbarmung ausgeschlossen; er muß mit ihr in die Urfinsternis zurück, ohne die geringste Hoffnung, das Volk der Heiligen je wieder beunruhigen zu können. Auf dieses System, so wie auf die Lehre vom Indischen Moisasur stützt sich die jüdisch-christliche Lehre vom Teufel und seiner ewigen Verdammnis und darnach ist der Mythos in der Apokalypse gebildet.
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Schlußwort.
Leicht könnten die in der vorhergehenden Schrift aufgestellten Parallelen, und noch mehr das stete Hinweisen auf der Zend-Religion höheres Alterthum als eine versteckte Anklage des Christenthums: heidnische Elemente in sich aufgenommen zu haben, von Uebelwollenden gedeutet werden; eine Besorgniß, von welcher sich der Verfasser um so weniger zu befreien vermag, als die in der Einleitung zu diesem Werkchen enthaltenen Andeutungen, wie die Vorzüge des Christenthums vor andern Religionen auch ohne die Annahme einer übernatürlichen Offenbarung *) zugestanden werden dürfen, allein schon eine gewisse Klasse von Lesern zu mißbilligenden Urtheilen gegen den Verfasser verleiten mögen. Diese Vermuthung bestimmte daher denselben, sich öffentlich für die Meinung des Abbé Foucher,
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*) Die vornehmsten Einwendungen, welche freisinnige Theologen gegen die Lehre von der Offenbarung vorzubringen wagten, sind folgende: 1) kann bei dem fortschreitenden Bildungsgange der Völker nicht gut angenommen werden, daß, wenn die Bibel als Lehrbuch vor zwei Jahrtausenden schon genügen mochte, sie auch den geistigen Bedürfnissen unsrer Zeitgenossen sich ebenfalls anpassen lasse, deren wissenschaftliche Reife sie die mythische Einkleidung der Schöpfungsgeschichte, der Eigenschaften Gottes u. s. w. längst durchschauen ließ, und somit den Zweifel gebären mußte, ob die Bibel unmittelbar Gottes Wort seyn könne. 2) wenn von der Annahme der Offenb. die Erlangung unseres Seelenheils ausschließlich abhängen soll, so wäre der Schöpfer, welcher Millionen Menschen vor Christi Geburt in die Welt schickte, und eben so viele noch jetzt in Gegenden geboren werden läßt, wo das Christenthum noch nicht hingedrungen ist, der höchsten Ungerechtigkeit anzuklagen, das Millionen Seelen ohne ihre Schuld der ewigen Verdammniß überliefert worden waren, und noch werden.
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von dem eigentlichen Werthe der Zend-Religion hier auszusprechen, welche, wie aus den nachfolgend angeführten Sätzen unzweideutig hervorleuchtet, nicht die – günstigste war. Dieser Gelehrte stellt in seiner „hist. Abhandl. über die Rel. der Perser“ unter andern folgende Fragen auf:
„Man rühmt die Moral der Zendbücher, ihre Reinheit und Richtigkeit, verdient sie aber dieses Lob?: Wie soll ich einer Religion, welche alle menschliche Freiheit aufhebt, moralischen Werth zugestehen? Zoroasters System giebt dem Menschen zwei Seelen, einen Feruer und einen Dew. Jener ist des Bösen dieser des Guten unfähig. Für welche unter diesen beiden sollen also die Vorschriften, Aufmunterungen und Drohungen des Gesetzes seyn? - Der Feruer braucht sie nicht und auf den Dew können sie keinen Eindruck machen. Wer hat also Schuld, wenn das Gesetz übertreten ist? Keiner von bei den, denn jeder handelt nach seiner Natur. Nach diesem Grundsatze können also die Leiden der Menschen nichts als Reinigungen seyn, und werden nie eigentliche Strafen.
Es ist nicht zu glauben, das Zoroasters Gesetz im Stande war, Jemand von einem Verbrechen abzuhalten. Wenn wir, die wir dem Menschen doch nur eine Seele geben, unsre Fehler durch zu große Gewalt der Versuchungen zu entschuldigen geneigt sind; wie leicht wurde es dem Parsen, die seinigen zu entschuldigen, wenn er sie einer ihm ganz fremden Seele zuschreiben konnte! Kann ich dafür, würde er sagen, wenn der Dew mich zu Vergehungen zwingt, und mein Feruer nicht stark genug ist, ihm Widerstand zu thun?
Verdient die Moral der Zendbücher unsere Bewunderung? Das Erhabenste, was man darin findet, ist, daß man allezeit rein in Gedanken, rein in Worten und rein in Handlungen seyn soll. Dieses Grundgesetz wird auf allen Seiten wiederholt, ohne daß der Verfasser je daran dachte, es näher zu entwickeln; und so wird es kindisch, ohne weitern Eindruck zu machen. Es müßte erklärt werden, was Reinigkeit des Gedankens, der Rede und That sey, was aber die Zendbücher nicht thun.
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Wir sagen zu den Kindern, sie müssen folgsam seyn. Dieser Grundsatz faßt, wenn sein ganzer Inhalt entwickelt wird, alle Pflichten und Tugenden in sich; wenn man ihnen aber, so wie sie mit den Jahren zunehmen, diesen Grundsatz immer ohne weitere Anweisungen wiederholte, so dürften sie sich mit Recht über ihre Lehrer lustig machen.
„Endlich hätten die Parsen auch einen ganz falschen Begriff von der Güte Gottes. Sie schrieben alle Uebel und alle Unordnung in der Welt dem Ahriman und seiner Schaar zu. Gott sollte nicht einmal durch bloße Zulassung daran Theil haben, sondern sich über diese Geißeln noch mehr als die Menschen selbst betrüben, weil sie die Schönheit seines Werkes entstellen. Daher waren die Perser so sehr geneigt, bösen Genien zu dienen, weil man nur von ihnen zu befürchten hatte, und sie also durch diese Bedienung unschädlich oder doch sanfter zu machen hoffte. Man war dieser Lehre so sehr ergeben, daß Gott sich beim Jesaias (XLVII.) geradezu für den Urheber des Uebels wie des Guten erklären mußte: „Ich allein bin Herr, sonst Keiner; ich schaffe Licht und Finsterniß, mache Frieden und bringe Uebel. Ich bin der Herr, der dies alles thut.“ Solche Belehrungen brauchten die Perser im Jahrhundert des Cyrus. Indem sie Gott die Eigenschaft der Gerechtigkeit nahmen, ließen sie ihm bloß eine schwache Güte. Eine Religion aber, die nicht Gott als Rächer des Lasters vorstellt, ist verabscheuungswerth.
„Die bloßen Zendbücher können uns also von den moralischen Kenntnissen der Perser nur eine sehr magere Idee geben. Und doch liefern die griechischen Philosophen, und Xenophon insbesondre ein vortheilhaftes Gemälde davon; hätten sie das Bild auch verschönert, so muß doch einige Aehnlichkeit da seyn. Was ist daraus zu schließen, als daß die alten Perser noch andre Quellen der Moral als den Avesta hatten, oder daß dieses Werk, wovon wir nur noch schwache Auszüge in den Zendbüchern haben, noch andre wichtigere Theile hatte, die uns verloren gegangen sind.“
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So strenge dieses Urtheil jenes Abbé über Zoroaster auch lauten mag, so muß doch zugegeben werden, daß seine hier vorgebrachten Einwürfe gegen die gerühmten Eigenthümlichkeiten dieses Religionssystems ziemlichen Grund haben. Dennoch war der Parsismus die einzige aller positiven Religionen der vorchristlichen Periode, die ihre Bekenner vor dem Bilderdienste zu bewahren strebte. Sie war aus der indischen Trimurti hervorgegangen zu einer Zeit, wo die reine Lehre Brama‘s noch nicht in einen Polytheism ausgeartet seyn mochte, und hatte sich in einen Dualismus veredelt, welcher aber erst späterhin, zufolge der langsamen Entwicklungsperiode des menschlichen Geistes in den reinern Monotheismus der Israeliten sich ausbilden konnte. Aber selbst dieses Volk hatte noch sehr unvollkommene Begriffe von dem Schöpfer. Jehovah war immer noch ein bloß strafender, rächender, zerstörender Gott, und das passendste Gegenbild des schwächlich guten Ormuzd. Man durfte daher von Moses, wenn er seinem Volke ein besseres Bild von der Gottheit entworfen zu haben glaubte, füglich sagen:
„Incidit in Scyllam, qui vult vitare Charybdin!“
Da trat zu einer Zeit, als in Judäa persische Religionsbegriffe mit den mosaischen eine Mischung eingegangen hatten, jener Prophet von Nazareth auf, welcher in der Schule der Essäer auch mit der alexandrinischen Philosophie vertraut geworden, aus den verschiedenen Systemen, die sich längst überlebt hatten, ein halt- und brauchbareres aufführte, für dessen Trefflichkeit die schnelle Ausbreitung über einen großen Theil des Erdkreises, als auch seine zweitausendjährige Dauer das glänzendste Zeugnis in dem Buche der Geschichte niedergelegt haben.
Doch nur, wenn der Vernunft, dieser edelsten Gottesgabe, auch im Bereiche der Theologie, die längst von allen echten Nachfolgern Luthers gewünschte vollständige Emancipation zugestanden, wenn ausschließlich ihr das Missionsgeschäft anvertraut werden sollte, dann endlich dürften
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die Hoffnungen eines v. Ammon und anderer mit gleichem Rechte gefeierten Gottesgelehrten, von der Ausbildung des Christenthums zu einer Weltreligion sich verwirklichen, und der Spruch des Propheten in Erfüllung gehen (Jes. XXXV., 5.): „Es werden aufgethan werden der Blinden Augen und der Tauben Ohren werden geöffnet werden.“ – Amen!
Quelle:
Mythen der alten Perser als Quellen christlicher Glaubenslehren und Ritualien. Nach den einzelnen Andeutungen der Kirchenväter und einiger neuern Gelehrten. zum Erstenmale systematisch aneinandergereiht von F. Nork. S. I – VII, 1 - 172
Leipzig, Verlag von Ludwig Schumann. 1835.
Das Werk liegt in der Bayerischen Staatsbibliothek digital vor:
Mythen der alten Perser als Quellen christlicher Glaubenslehren und Ritualien : nach den einzelnen Andeutungen der Kirchenväter und mehrerer neuerer Gelehrten
Autor / Hrsg.: Korn, Friedrich ; Bach, Joseph
Verlagsort: Leipzig | Erscheinungsjahr: 1835 | Verlag: Schumann
Signatur: H.g.hum. 166 u
Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10435591-2
Bildnachweis:
Die beiden Zeichnungen Bild 1 und Bild 2 der Titelseiten sind unter folgenden Links zugänglich:
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G. Weil 1843: Mohammed der Prophet, sein Leben und seine Lehre.
Mohammed der Prophet, sein Leben und seine Lehre.
Aus handschriftlichen Quellen und dem Koran geschöpft und dargestellt
von Dr. Gustav Weil,
Bibliothekar an der Universität zu Heidelberg, Mitglied der asiatischen Gesellschaft zu Paris,
Mit Beilagen und einer Stammtafel.
Stuttgart. Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung. 1843.
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Seiner königlichen Hoheit dem Großherzog Leopold von Baden
in tiefster Ehrfurcht gewidmet vom Verfasser.
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Durchlauchtigster Großherzog !
Gnädigster Fürst und Herr!
Euer königlichen Hoheit gnädigste Erlaubniß Höchstdenselben dieses Werk zueignen zu dürfen, ist mir eine willkommene Gelegenheit, mein reinstes Dankgefühl für die huldreichste Förderung meines wissenschaftlichen Strebens öffentlich auszusprechen. Das Bewußtsein, eine Arbeit vollbracht zu haben, welche ein Bedürfniß unserer Zeit war, und Spuren eines ernsten Studiums an sich trägt, gab mir den Muth, sie Euer königlichen Hoheit, als eine Huldigung meiner unbegrenztesten Ergebenheit, darzubringen. Möge sie den Anforderungen der deutschen Wissenschaft entsprechen und somit Höchstdero gnädigsten Entgegennahme nicht unwürdig erscheinen!
Ich beharre in tiefster Ehrfurcht
Euer Königlichen Hoheit unterthänigster, treugehorsamster
G. Weil.
Heidelberg, den 10. Sept. 1843.
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Vorrede.
Es gehört zu den wesentlichen Fortschritten der neueren Zeit, daß die historische Kritik die überkommenen Anschauungen welthistorischer Charaktere aus den Quellen revidirt, berichtigt und sodann in ihrer Totalität von Neuem darstellt. Auffallend ist es, daß Mohammed, der Sohn Abd Allah's, dessen politische und religiöse Umwälzung so tief eingriff und so weit um sich griff, bis jetzt hierin so sehr vernachläßigt wurde. Gewiß verdient doch ein Mann, der ein Reich gründete, das bald nach seinem Tode das persische verschlang und dem byzantinischen die tiefsten Wunden schlug, der eine Religion gestiftet, die noch jetzt den schönsten Theil der alten Welt zu Bekennern zählt, von allen Seiten, sowohl in den geschichtlichen Thatsachen, als in den über ihn cursirenden Mythen, genau gekannt zu werden. Als ich im Jahre 1837 zum Behufe meiner Vorlesungen das Leben Mohammeds bearbeitete, fand ich nur ein einziges Werk vor, das mir nach koranischem Ausdrucke einigermaßen als „Leitung“ dienen konnte. Es war die umfassende Biographie des arabischen Propheten von Gagnier, welche schon im Jahre 1732 erschien. Dieser französische Gelehrte hatte sich aber keineswegs die Aufgabe gestellt, Mohammed zu schildern, wie er war, sondern bloß, was auch schon durch
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VIII
den Titel * angedeutet wird, die Europäer mit dem bekannt zu machen, was die orthodoxen Muselmänner von ihm erzählen und glauben. Er begnügte sich daher damit, orientalische Texte zu übersetzen, bei denen aber manche Lücke auszufüllen blieb, die häufig nicht fehlerfrei waren, und auch hie und da von ihm mißverstanden wurden. Demungeachtet bildete dieses Werk die Grundlage aller spätern Biographien Mohammeds. Niemanden fiel es ein, die darin gegebenen Uebersetzungen mit den Originaltexten zu vergleichen, noch ihren Inhalt einer historischen Kritik zu unterwerfen. Jeder nahm, je nach dem Umfang seiner Biographie, mehr oder weniger daraus auf, stützte seine Arbeit, je nach seinem politischen oder kirchlichen Partheigeiste, bald auf dieses, bald auf jenes Bruchstück aus diesem kolossalen Lebensgebäude, und ließ, was seinem Buche eine zu große Ausdehnung gegeben hätte, oder mit seiner Ansicht nicht übereinstimmte, als unbrauchbaren Schutt liegen. Wurden auch später noch andere Quellen als die, welche Gagnier zu Gebote standen, zu einer Biographie Mohammeds benützt, so geschah dieß mit einer der Geschichte unwürdigen Oberflächlichkeit und Nachlässigkeit; auch ward das wenige neu Entdeckte, wie aus den Anmerkungen zu vorliegendem Werke ersichtlich, um recht ausposaunt werden zu können, durch manche Uebertreibungen und grundlose Zusätze entstellt. Hiedurch mußte man gegen das Ganze alles Vertrauen verlieren. Selbst in der neuesten Zeit wurden noch, nicht nur, wie bei Gagnier, historische Fakta mit fabelhafter Dichtung, welche schon der gesunde Menschenverstand verwerfen muß, bunt durch einander gemischt, sondern sogar Widersprüche aller Art,
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* La vie de Mahomet; traduite et compilée de l'Alcoran des traditions authentiques de la sonna et des meilleurs auteurs arabes etc.
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IX
Anachronismen, welche kaum Arabern verziehen werden können, und sonstige geschichtliche Unmöglichkeiten in solcher Masse aufgehäuft, daß der Leser sogar über die wichtigsten Momente im Leben des arabischen Propheten vergebens eine Aufklärung sucht.
Je weiter ich daher in der Ausarbeitung meines Collegienheftes voranschritt, um so fester ward in mir der Entschluß, das Leben und die Lehre dieses außerordentlichen Mannes zum besondern Gegenstande meines Studiums zu machen und die Resultate einst schriftlich einem größern gelehrten Publikum vorzutragen, um, so viel es in meiner Kraft liegt, eine Lücke auszufüllen, deren Vorhandenseyn ungefähr um dieselbe Zeit Herr Prof. Ewald öffentlich bedauerte. *
Indessen war es mir, bei der Nothwendigkeit, einen Theil meiner Zeit meinem Amte zu widmen, und die damals noch nicht weit vorgerückte Uebersetzung der „Tausend und eine Nacht“ zuerst zu vollenden, nicht möglich, mich so ausschließlich, als ich es wünschte, dieser Arbeit hinzugeben. Doch blieb seit jener
Zeit Mohammed der vertraute Gefährte meiner Gedanken und der Koran mit dem Commentare des Djalalein und den gelehrten, wenn auch nicht immer richtigen Anmerkungen des Maraccius und Sale, fortwährender Gegenstand meines Studiums. Von Neuem las ich dann den Abulfeda wieder, um den sich Herr Noel des Vergers als Herausgeber sowohl, wie auch als Uebersetzer und Erläuterer sehr verdient gemacht, — obschon er vielleicht, da Abulfeda doch nur magere Auszüge aus ältern Quellen liefert, seine Bemühungen eher einem andern Autor hätte zuwenden sollen, — dann auch noch verschiedene kleinere europäische Biographieen, unter denen die des Herrn
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* S. Zeitschrift für Kunde des Morgenlandes, Bd. I, S, 89.
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Reinaud im ersten Bande der „monumens Arabes, Persans et Turcs du cabinet de M. le Duc de Blacas“ (p. 189—299.) eine besondere Erwähnung verdient, ferner die rühmlich bekannten Schriften Geigers und Gerocks über das Verhältniß des Mohammedanismus zum Juden- und Christenthum, und sammelte nach und nach, was die Werke von Hottinger, Reland, Pococke, die Mém. de l'Académie de Paris, die Tübinger Zeitschrift für Theologie und andere ähnliche Schriften über Mohammed enthalten.
Obschon aber diese der europäischen Wissenschaft erschlossenen Materialien, nach einer sorgfältigen Prüfung und kritischen Sichtung, einem Historiker hätten genügen können, um ein ziemlich vollständiges, wenn auch nicht ganz treues Bild von dem Stifter des Islams zu entwerfen, so durfte doch ein Orientalist, von dem man mehr als eine selbst gelungene Compilation zu fordern berechtigt ist, es nicht wagen, das Gebiet der Geschichte öffentlich zu betreten, ohne dasselbe aus bisher noch gar nicht oder schlecht benutzten Quellen mit neuen Thatsachen und Aufschlüssen zu bereichern. Ich unternahm daher im Sommer 1840 eine Reise nach Gotha, dem freundlichen Wallfahrtsorte so vieler Orientalisten, denen dort mit derselben Bereitwilligkeit und Zuvorkommenheit geistige Nahrung gereicht wird, wie einst den Pilgern in Mekka Brod und versüßtes Wasser, als wäre gleichsam mit den aus dem Oriente eingeführten literarischen Schätzen auch die den Morgenländer auszeichnende Liberalität auf ihre neuen Besitzer und Hüter übergegangen. Nach einer nähern Prüfung der verschiedenen Handschriften über Mohammed, welche die dortige Bibliothek besitzt, schien mir das Brauchbarste zu meinem Zwecke, das „Insan Alujun“ von Ali Halebi, in vier, und das „Chamis“
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von Husein Ibn Muhammed Ibn Alhasan Addiarbekri, in zwei Foliobänden. (Nro. 279., 280. u. 285—288. des Möllerischen Katalogs.) Beide Verfasser lebten zwar erst in dem sechzehnten Jahrhundert; * da sie aber nicht nur dem Inhalte, sondern sogar dem Worte nach, aus den ältesten Quellen schöpfen, und eigentlich nur Alles, was sie bei ihren Vorgängern, so wohl bei den Monographen, als bei den Universalhistorikern, Koranauslegern und Traditionssammlern, vom zweiten Jahrhundert der Hidjrah an, bis auf ihre Zeit, gefunden, mit der größten Gewissenhaftigkeit und mit Angabe der Autoritäten zusammentrugen, so können sie in Bezug auf ihre Glaubwürdigkeit den ältesten Autoren zur Seite, wegen ihrer Vollständigkeit aber noch über sie gestellt werden. Der Verf. des „Chamis“ führt in der Vorrede über hundert Werke an, aus denen er das Seinige, welches fast gar keine eigene Betrachtung enthält, compilirt. Ali Halebi hingegen sucht sehr häufig bald mit mehr, bald mit weniger Talent die Widersprüche zu lösen, die sich in den verschiedenen Berichten, besonders in den ältern Traditionen finden. Die Grundlage seines Werkes bildet, nach seiner Erklärung in der Vorrede, das „Ujun Al-athri“ von Abu-l-Fath Ibn Sejjid Annas (gestorben im J. 734. der Hidjrah) und die Sirat Asschamsi, Asschamijji, denen er noch ausführlichere Auszüge aus Ibn Hischam und Verse von dem Verfasser der Burda und einigen andern spätern Biographen Mohammeds beigefügt. Durch die Vergleichung dieser beiden Werke unter einander gelangte ich zur Gewißheit über ihre ____
* Der Vers. des „Chamis“ starb im J. 966, der Hidjrah. Das Todesjahr Ali Halebi's ist nicht bekannt, daß er aber im 16. Jahrhundert gelebt, geht daraus hervor, daß er zuweilen den „Chamis“ anführt und doch von Hadji Chalfa erwähnt wird. (S. „Wiener Jahrb. der Literatur“, Bd. 69. Seite 18.)
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treue Benutzung der frühern Quellen, auch ward es mir dadurch möglich, die in Beiden ziemlich zahlreichen Schreibfehler zu verbessern. Von ihrer Vollständigkeit konnte ich mich am besten durch den Abschnitt über das Treffen von Bedr überzeugen, welcher fast wörtlich mit der in jeder Beziehung meisterhaften Darstellung desselben durch Hrn. Caussin de Perceval nach dem Sirar Arrasul und dem Kitab Alaghani übereinstimmt, * so wie auch durch den über den Verrath der Stämme Avhal und Kara, welcher ebenso gelungen, nach derselben Quelle, aus der Feder des Hrn. Ewald hervorging. **
Nach diesen Quellen arbeitete ich, bis ich an das Abenteuer Aïscha's kam, mit dem der erste Band des „Chamis“ aufhört, und Hr. Bibliothekar Möller mir schrieb, daß er den zweiten, welcher auch noch von den Ommejjaden und Abbasiden handelt, und den v. Platen zu seiner Geschichte der Tödtung Omars benützt, nicht finden könne. Ich wußte zwar aus bisheriger Erfahrung sowohl, wie aus dem Inhaltsverzeichnisse des ganzen Werkes, das dem ersten Bande vorangeht, daß ich bei Ali Halebi, von dem ich gleich alle vier Bände mitgenommen, dasselbe finden würde; aber gerade die letzten Bände sind so schlecht und fehlerhaft, mit ganz weißer Tinte geschrieben, daß mir zur Vergleichung mancher Stellen eine zweite Biographie, in welcher dieselben Begebenheiten erzählt und fast dieselben Traditionen angeführt werden, dringendes Bedürfniß ward. Ich wendete mich daher an den Hrn. Prof. Ewald nach Tübingen, welcher Besitzer einer Handschrift ist, die den Scheich Imad Eddin, Abul Abbas, Ahmed Ibn Ibrahim, Ibn Abd Arrahman aus Wasit zum Verfasser hat, und den
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* s. Journal asiatique T. VII. p. 97. u. ff.
** s. Zeitschrift für Kunde des Morgenlandes, Bd. I. S. 16, u. ff.
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bescheidenen Titel: „Muchtassaru sirati, Ibni Hischami“ führt, in der aber, wie mir durch die Zusammenstellung mit vielen aus dem Pariser Exemplare des Ibn Hischam gedruckten und andern bei Ali Halebi und im Chamis angeführten Stellen klar ward, und wie übrigens auch in der Vorrede versichert wird, von dem eigentlichen Sirat Arrasul nur die jedesmalige lange Aufzählung der Gewährsmänner der Traditionen (asnâd), so wie ein Theil der Gedichte und einige auf die vorislamitische Zeit sich beziehende Abschnitte, ausgelassen sind. Hr. Prof. Ewald war so gütig, mir diese kostbare, wie er mir später schrieb, zu seinem eigenen Gebrauche angekaufte Handschrift ohne Verzug zuzusenden, und so ward es mir möglich, nicht nur die begonnene Arbeit mit derselben Sicherheit zu vollenden, sondern auch noch den schon bearbeiteten Theil mit manchen schätzbaren Zusätzen aus dieser ältesten Biographie Mohammeds zu bereichern. Dieses sehr zierlich und korrekt, größtentheils mit Bezeichnung der Vokale geschriebene Manuskript, dem ein ausführliches Inhaltsverzeichniß vorangeht, bildet einen Hochquartband von 282 Folien, und zerfällt in zwei Theile. Der erste erstreckt sich bis zur Krankheit der Ausgewanderten in Medina, und ward am 28. Radjab des J. 752. der Hidjra, der zweite am 27. Dsu'l Kaada desselben Jahres vollendet. Am 13. Radjab des folgenden Jahres ward es auch noch einmal mit der Urschrift collationirt. Später wurden noch von einer andern Hand viele Randglossen hinzugesetzt, aus dem Buche „Raudhat Al Unusi“, dem Commentare zu Ibn Hischam, von Abd Arrahman Abul Kasim Assuheili, der im Jahre 581. d. H. starb.
Zuletzt suchte ich mir auch noch den in Bulak im J. 1248. d. H. gedruckten und dem Sultan Selim III. gewidmeten,
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türkischen Commentar der in dreiundsechzig Strophen zusammengedrängten arabischen Lebensbeschreibung Mohammeds von Ibrahim Halebi zu verschaffen. Zwar konnte ich zu diesem Werke, das schon als Übersetzung minder zuverläßig ist als die arabischen Urquellen, und dessen Stoff durch die Einkleidung in Verse nicht einmal streng chronologisch geordnet ist, kein besonderes Vertrauen fassen, durfte es jedoch nicht übergehen, weil zuweilen bei Behauptungen, welche den besten ältesten Quellen geradezu widersprechen, darauf verwiesen wird. Ich gelangte aber bald zur Ueberzeugung , daß Ibrahim Halebi frei ist von den gröbsten Irrthümern, die in seinem Namen verbreitet worden, und daß nicht bloß schwer zu lesende arabische Handschriften, sondern auch der herrlich gedruckte türkische Text dieses Autors mit der größten Oberflächlichkeit benutzt wurde. Der Gefälligkeit des Hrn. Prof. Reinaud verdanke ich das der bibliothèque de l'Institut royal de France gehörende Exemplar, das ich aber leider so spät erhielt, daß ich im Werke selbst keinen Gebrauch mehr davon machen konnte und mich genöthigt sah, die Beweise für diese hier ausgesprochene Ueberzeugung als Nachträge beizufügen.
So mit den besten Hülfsmitteln zur Ausführung des Unternehmens ausgestattet, blieb dennoch die Lösung der Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, noch äußerst schwierig, weil ich nicht bloß nachfolgenden Historikern zuverläßige Materialien zur Lebensbeschreibung Mohammeds und der Gründung des Islams liefern, sondern selbst die innere und äußere Geschichte dieses außerordentlichen Mannes und seiner Lehre schreiben wollte. Ich durfte daher nicht bloß die Quellen übertragen, oder je nach Gutdünken excerpiren, sondern mußte ihre Angaben vorher einer strengen Kritik unterwerfen; denn wenn man
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überhaupt gegen alle orientalischen Schriftsteller mißtrauisch seyn muß, so hat man hier doppelten Grund dazu, weil sie nicht nur von ihrer Leidenschaft und ihrer Phantasie, sondern auch von ihrer religiösen Schwärmerei geleitet waren. Schon im zweiten Jahrhundert, als die ersten Biographen Mohammeds auftraten, die ihre Erzählungen noch auf Aussage seiner Zeitgenossen zurückzuführen wagen, war sein ganzes Leben, nicht nur von seiner Geburt, sondern schon von seiner Zeugung an, bis zu seinem Tode, von einem Gewebe von Mährchen und Legenden umsponnen, das auch das nüchternste europäische Auge nicht immer ganz zu durchschauen und abzulösen vermag, ohne Gefahr zu laufen, aus allzu großer Aengstlichkeit auch wirkliche historische Facta als fromme Dichtung anzusehen. Selbst der bald nach Mohammeds Tode gesammelte Koran ist kein zuverläßiger Führer, denn abgesehen davon, daß er in chronologischer Beziehung ganz unbrauchbar ist, und daß Mohammed am allerwenigsten als eine historische Autorität über sich selbst angesehen werden kann, so ist auch erwiesen, und im letzten Hauptstücke dargethan worden, daß er selbst in seinem Leben Manches zurücknahm, und daß nach seinem Tode sowohl Auslassungen, als Zusätze vorkamen.
Nachdem die Aufgabe der Geschichtforschung nach Kräften beendigt war, kam die zweite und weit schwierigere der Geschichtschreibung: aus den ermittelten Thatsachen ein Ganzes zu gestalten. Doppelt schwierig, weil einzelne Partieen so mangelhaft sind, daß der organische Verlauf dadurch unterbrochen
wird. Durch den Mangel an zusammenhängenden Nachrichten aus dem Jugendalter und dem ersten Mannesleben des Propheten ist eine in sich gegliederte genetische Entwicklung desselben kaum mehr aufzuzeigen. Andererseits ist auch aus der
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spätern Zeit, als Mohammed bereits als Prophet aufgetreten war, von den ältesten Historikern hauptsächlich auf das äußere Leben und allmälige Wachsen seiner Macht, und weniger auf seine innere Fortbildung Rücksicht genommen worden. Ich habe das thatenreiche Leben Mohammeds ohne Vorurtheil irgend einer Art forschend und prüfend Schritt für Schritt in den Quellen verfolgt und eifrigst darnach gestrebt, die historische Wahrheit aus dem Nimbus, in den sie gehüllt ist, hervorzuziehen, und wo sich kein sicherer Boden gewinnen ließ, dem Leser meine Zweifel offen dargelegt. Ob mir aber die Sonderung der Legende von der Geschichte und die Auffassung und Schilderung dieses räthselhaften Charakters ebenso gelungen ist, wie die Ergründung der Quellen, für die mir mein eigenes Bewußtseyn Zeugniß ablegt, muß ich dem Urtheile unbefangener Kenner überlassen. Damit diese Beurtheilung aber möglich werde, habe ich bei jeder Modifikation oder gänzlichen Weglassung einer von den Arabern gegebenen historischen Nachricht dieselbe in den Noten treu übersetzt und bei zweifelhaften Stellen sogar in der Ursprache angeführt. Der Text kann daher als das Resultat meiner Forschungen und ein Theil der Noten als die Erörterung und Begründung desselben angesehen werden. Andere enthalten Erläuterungen, welche zum Theil für Orientalisten überflüssig sind, die jedoch, da bei Bearbeitung des vorliegenden Werkes auch das größere gelehrte Publikum berücksichtigt ward, nicht unterbleiben konnten. Aus demselben Grunde mußten auch manche Stellen aus dem Koran, den ich immer nach Maraccius' Verseintheilung citirt, vollständig mitgetheilt werden, denn bei dem Mangel an einer ganz zuverläßigen Uebersetzung desselben hätte ich nur diejenigen, welchen der Originaltext
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zugänglich ist, darauf verweisen können. Wenn aber dieses Buch auch für einen größern Kreis von Lesern bestimmt ist, so durfte dieß doch nicht abhalten, in andern Noten zunächst die Orientalisten im Auge zu haben, und häufig bei Berichtigungen früherer Irrthümer Gründe anzugeben, die nur sie erwägen können. Diejenigen, welche mich etwa über den polemischen Theil der Anmerkungen tadeln, wären gewiß die Ersten gewesen, mich als anmaßend zu schildern, wenn ich auf abweichende Ansichten, besonders angesehener oder neuerer Schriftsteller, keine Rücksicht genommen hätte.
Im letzten Hauptstücke, welches allgemeine Betrachtungen über den Charakter Mohammeds und Aufschlüsse über Entstehen, Eintheilung und Schreibart des Korans enthält, konnte natürlich Forschung und Resultat nicht so scharf getrennt, überhaupt konnten letztere Untersuchungen hier nicht mit der ihnen gebührenden Ausführlichkeit behandelt werden; vielleicht entschließe ich mich später, das hier nur Angedeutete weiter zu entwickeln, und als historisch kritische Einleitung in den Koran besonders zu bearbeiten.
In der Darstellung schloß ich mich so viel als möglich den Quellen an, aus denen ich geschöpft, und die in ihrer Klarheit und Einfachheit hoch über den spätern orientalischen Historikern stehen, welche auch durch eine bilderreiche, häufig in das Schwülstige ausartende Sprache zu glänzen suchten. Wissen wir doch aus den neuesten Werken mancher abendländischen Geschichtschreiber, daß nicht selten schön gerundete und auf Eindruck berechnete Phrasen durch Aufopferung historischer Genauigkeit erkauft werden.
Was die Schreibart arabischer Namen mit europäischer Schrift betrifft, so habe ich den neunten arabischen Buchstaben
Leben Mohammeds.
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durch ds wiedergegeben, den eilften und siebzehnten durch z, den vierzehnten in der Mitte eines deutsch geschriebenen Wortes durch ß. Nicht-Orientalisten mache ich darauf aufmerksam, daß das z überall französisch und das dj wie das italienische g vor i und e auszusprechen ist. Wo für Orientalisten bei arabischen Wörtern Zweifel entstehen können, sind die Buchstaben nach orientalischer Weise mit Namen bezeichnet worden.
Einige Ungleichheiten in Betreff des o und u, oder a und e werden Orientalisten, welche wohl wissen, daß die Araber eigentlich nur drei Vokale haben, mir nicht zur Schuld anrechnen, eben so wenig das häufige Auslassen des punktirten ha finale oder des vokallosen nin. Einige Eigennamen sind noch im Register verbessert worden. Uebrigens beziehe ich mich auf das, was ich in der Vorrede zu meiner poetischen Literatur der Araber gesagt, und hoffe, daß in unserer, an wissenschaftlichen Kongressen so fruchtbaren Zeit, auch einmal ein Verein von Orientalisten in's Leben treten wird, in welchem unter Anderem auch endlich über die Art, orientalische Buchstaben durch europäische wiederzugeben, eine Verständigung stattfinden könnte, damit durch ihre zunehmende Zahl andere Gelehrten statt in's Klare zu kommen, nicht immer mehr irre geführt werden.
Das Insan Al Ujun ist im Laufe des Werkes mit dem Buchstaben I., das Chamis mit Ch., das Sirat Arrasul mit S. und Ibrahim Halebi in den Nachträgen mit Ibr. H. bezeichnet.
Gerne hätte ich, wenn dadurch meinem Verleger nicht allzu große Opfer auferlegt worden wären, mehr Auszüge in der Ursprache und Schrift aus diesen Quellen geliefert, als in der kleinen Beilage geschehen; indessen glaubte ich darauf um so weniger bestehen zu müssen, als ich durch Hrn. Reinaud
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vernommen, daß Hr. Caussin de Perceval sich mit einer Ausgabe des Ibn Hischam beschäftigt, dieses Anführers aller spätern Biographen Mohammeds, aus welchem sich dann das Zeugniß ergeben wird, daß ich durchgängig den Quellen gefolgt bin, und nicht, wie häufig geschieht, sie bloß statt späterer Schriftsteller zur Parade angeführt. Meine Wahl bei der Ausfüllung des engen Raumes, den ich zu Textesstellen benutzen durfte, wird gewiß von unparteiischen Richtern nicht getadelt werden, denn nachdem ich die wichtigsten Belege über die Epilepsie Mohammeds schon im Journal asiatique * mitgetheilt hatte, erforderte kein Irrthum eine so dringende und unabweisbare Wiederlegung als die, gegen welche die Beilagen zu Anmerk. 52., 230., 252. und 263. zeugen. **
Wie bald hätte man als eine über allen Zweifel erhabene Thatsache angenommen, daß Mohammed eine Uebersetzung des „ganzen alten und neuen Testaments“ vor sich gehabt, und in den Einleitungen der biblischen Schriften sie als die älteste arabische genannt! Wie leicht hätte in einer Geschichte der Krankenhäuser, das Zelt, unter welchem eine mildthätige Frau in Medina arme Verwundete pflegte, dem großen Spital neben dem Tempel zu Jerusalem an die Seite gestellt werden können! Welcher Historiker würde es in einer Geschichte des Chalifats unterlassen haben, Aïscha's Haß gegen Ali aus dessen
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* Juillet 1842.
**Hiernach sind die Zahlen auf S. A., B. und C. der Beilagen zu berichtigen, welche in Leipzig gedruckt wurden, während bei dem Drucke des Werkes selbst sich herausstellte, daß ich einige Anmerkungen falsch numerirt hatte, und daher die ganze Reihenfolge verändert ward. So ist auch S. F. 433. statt 415. und S. H. 533. statt 524. zu lesen. Die vorletzte Beilage sollte gleich auf S. B. beginnen. Da sie aber minder wichtig als die vorhergehenden ist, und ich zweifelte, ob ein halber Bogen sie alle fassen würde, ließ ich sie lieber später setzen.
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verdammendem Ausspruch über ihre Untreue zu erklären? Wie viele Hypothesen hätten die Alterthumsforscher aufgestellt, um darzuthun, wer wohl die Allat zu Alexandrien gewesen seyn mochte? Der Irrthum über Mohammeds Gebet auf Abd Allah Ibn Ubejj's Grab, der durch die Beilage zu Anmerk. 433. widerlegt wird, hätte zwar schwerlich den Kreis der Orientalisten überschritten oder zu weitern grundlosen Folgerungen Veranlassung gegeben; aber die Wahrheit über diesen Punkt ist so bezeichnend für den Charakter Mohammeds und seiner spätern Offenbarungen, so wie für sein Verhältnis zu Omar und zu den Heuchlern in Medina, daß es mir daran liegen mußte, auch hier die evidentesten Beweise für meine Behauptung aus derselben Quelle darzulegen, aus welcher gerade der entgegengesetzte hervorgehen sollte. Die Beilage zu Anmerk. 215. u. 220. soll ganz besonders das Verhältniß Abulfeda's zu den von ihm gebrauchten ältern Autoren und die Nothwendigkeit, diese nachzulesen, um Jenen vollkommen zu verstehen, darthun. Die letzte Beilage, aus der sich für den Kritiker ergibt, daß uns der Koran keineswegs ebenso gewiß für das Wort Mohammeds, als den Muselmännern für das Gottes gelten darf, wie bisher behauptet worden, bedarf gar keiner Einführung.
Bei der Verwandlung des arabischen Datums in die christliche Zeitrechnung bin ich, in der Angabe des Jahresanfangs, dem „art de vérifier les dates“ gefolgt und in der Berechnung der einzelnen Tage, den von Ideler in seiner „mathematischen und technischen Chronologie“ gegebenen Regeln. Ueber die Aera der Hidjrah, das heißt, nicht der wirklichen Auswanderung Mohammeds, sondern des ersten Muharrams jenes Jahrs, hat gewiß auch Ideler ganz richtig bemerkt, daß der 15. Juli 622 anzunehmen ist, wo es sich von astronomischen Beobachtungen
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handelt, der 16. aber, wenn die cyklische Rechnung mit den Mondeserscheinungen und dem arabischen Volkskalender übereinstimmen soll, denn da die Mondsichel im ersten Jahre der Hidjrah erst am Abend des 15. in Mekka sichtbar ward, so begann für die Araber das Jahr wahrscheinlich auch erst mit diesem Abend. Dieß ergibt sich auch aus manchen spätern Daten, in welchen zugleich der Tag der Woche oder des christlichen Monats angegeben wird. *
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* Mein Werk war längst vollendet, als ich den Aufsatz des Hrn. Caussin de Perceval im Journal Asiatique (AvriI 1843.) über die frühere Zeitrechnung der Araber zu Gesicht bekam. Es ist hier nicht der Ort, diesen Gegenstand ausführlich zu erörtern, doch kann ich nicht umhin, zu bemerken, daß ich mich keineswegs bewogen finde, von dem befolgten Systeme abzuweichen. Zwar stimme ich in der Hauptsache mit ihm überein, daß nämlich die Araber auch eine Zeit lang, wie die Juden, alle drei Jahre einen Monat einschalteten, ich glaube aber nicht, wie er, daß dieser Gebrauch bis zu Mohammeds letzter Wallfahrt fortbestand. Folgende drei Gründe mögen hier genügen, um meine Ansicht zu rechtfertigen: 1) Mohammed verlor nach den ältesten Quellen in seinem achten Lebensjahre seinen Großvater Abd Almuttalib, welcher nach allen Berichten in demselben Jahre wie Chosroes Nuschirwan, also im J. 579. n. Chr. starb. Seine Geburt fällt also ohne Zweifel in das J. 571., auch über seinen Tod im Juni 632. herrscht Stimmeneinheit. Wenn also die zuverläßigsten Biographen ihm ein Alter von 63 Jahren beilegen, so geht daraus hervor, daß die Araber schon zur Zeit seiner Geburt reine Mondjahre hatten, von denen 63 sich ungefähr auf 61 Sonnenjahre reduciren, 2) Nach einer alten Tradition, welche das Insan Alujun, auch Pokock (specimen hist. Arab. ed. White, p. 301.) anführt, fasteten die Juden gerade ihren Jom Kipur oder Aschur, als Mohammed in Medina ankam. Nach den meisten Berichten fand Mohammeds Ankunft in Medina, oder wenigstens in Kuba, am 8. Rabia-I-Awwal (vergl. Anmerkung 101. u. Ideler a. a. O. Bd. II. S. 486.) statt. Dieses Datum entspricht dem 20. September, an welchem in der That die Juden ihren Jom Kipur feierten, denn der erste Tischri jenes Jahres war nach Kornicks System der Zeitrechnung S. 112. am 11. September, während nach Hrn. C. de Perceval's System Mohammed Anfangs Juli nach Medina gekommen wäre. 3) Das Treffen von Ohod fand nach allen Quellen an einem Samstag statt, nach Einigen den 7. Schawwal des dritten Jahrs
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Die dem Werke vorausgeschickte Einleitung bedarf noch einer kleinen Erörterung. Ich sehe selbst ein, daß sie recht gut den doppelten Umfang haben und mehr in's Einzelne der Geschichte, Kultur und Sitten der ältern Araber gehen dürfte. Da ich aber nicht schon Bekanntes, zu dem meine Quellen wenig Neues liefern, auftischen wollte, übrigens auch die vorhandenen Umrisse sich noch zu keinem vollständigen Gemälde eignen, faßte ich mich lieber so kurz als möglich, und zog vor, manche mit Mohammeds Leben in engerer Beziehung stehende und weniger ausgebeutete Nachrichten über die Stadt Mekka und das Geschlecht der Kureischiten mitzutheilen.
Nachdem ich ohne Furcht, als unbescheiden zu gelten, auf das, was ich geleistet, aufmerksam gemacht, weil doch im Grunde jeder wissenschaftlich gebildete Orientalist mit aufrichtigem Streben und unverdrossenem Fleiße dasselbe thun könnte, gestehe ich ganz offen, daß mir auch die Schattenseite meiner Arbeit keineswegs verborgen geblieben, und ich wohl einsehe, daß sie besonders in formeller Beziehung viel zu wünschen
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d. H., nach Andern den 15. Ersteres Datum entspricht, wenn man den Anfang des Muharram des ersten Jahrs d. H. auf den 16. Juli setzt, dem 23. März, welcher wirklich ein Samstag war, letzteres, die Aera der Hidjrah vom 15. Juli berechnet, dem 30., während es nach C. de Perceval, der den 26. April zum Anfang des dritten Jahres macht, dem 16. Januar entspräche, der ein Mittwoch war. Aus dem Umstande, daß Mohammed „während einer großen Hitze“ nach Medina kam, kann nicht geschlossen werden, daß die Auswanderung in einem Sommermonat war, denn auch bei dem Feldzug von Tabuk ist von einer großen Hitze die Rede (s. Abulfeda, ed. N. de V., S. 103.), der doch im Radjab des neunten Jahrs d. H. angeordnet ward, welcher auch nach C. de P. mit dem 13. Okt. begann. Eben sowenig beweisen die kalten und mehr noch stürmischen Tage während der Belagerung von Medina, daß sie im Winter stattfand, denn auch im März, dem der Schawwal des fünften Jahrs nach meiner Berechnung entspricht, ist die Witterung im nördlichen Arabien oft noch sehr unfreundlich.
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übrig läßt. Ich glaube aber um so eher auf Nachsicht rechnen zu dürfen, als dieß mein erster historischer Versuch ist, und ich hier zum Theil aus der Sphäre meines eigentlichen Berufs heraustreten mußte. Dazu vermochte mich aber die innigste Ueberzeugung, daß es für die Wissenschaft förderlicher ist, wenn die morgenländische Geschichte von einem, wenn auch nur mit geringen historiographischen Fähigkeiten begabten Orientalisten, als von dem talentvollsten Historiker von Fach geschrieben wird, der nicht unmittelbar aus den Quellen schöpfen kann.
Mögen daher diejenigen, welche bei dem Uebergange dieses Buches über die Siratsbrücke der Kritik, dessen Vorzüge und Mängel gegen einander abwägen, den Stab nicht über dasselbe brechen, wenn sie glauben, daß zu einer vollkommenen Ausführung eines solchen Werkes meine Kräfte nicht ganz ausreichten.
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Inhaltsverzeichniß.
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Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I-XXIII
Einleitung.
Ursprung der Bewohner von Hedjas. Mekka von den Amalekiten gegründet. Die Kaaba von Abraham und Ismael erbaut. Djorham und Katura vertreiben die Amalekiten. Die Djorhamiden Alleinherrscher. Amru ben Lohai besiegt sie . . . . . . 1—3
Kußei unterwirft die Chuzaiten. Seine Privilegien. Er theilt sein Geschlecht in zwölf Stämme. Erhält den Beinamen Mudjmiun, wahrscheinlich auch Kureisch . . . . . 4
Abb Aldar folgt seinem Vater Kußei. Empörung seines Bruders Abd Menaf. Theilung der Herrschaft. Feindschaft zwischen Haschim und Ommejia. Letzterer muß Mekka verlassen. Naufal usurpirt Abd Almuttalibs Rechte. Diesem leisten die Beni Nadjar Hülfe . . . 5—6
Ueber den letzten König der Djorhamiden, Abd Almuttalib entdeckt die Zemzemquelle. Will seinen Sohn Abd Allah opfern. Sage von seiner Gesandtschaftsreise nach Sanaa . . . . . 7—8
Herrschaft der Juden in Jemen. Einfall der Abyssinier, Abraba's Zug nach Mekka. Untergang seiner Armee. Abu Talib verkauft seine Rechte an Abbas . . . . . 9—10
Mohammeds Stammbaum . . . . 11
Mekka zur Zeit Mohammeds. Unabhängigkeit der Araber. Ihre innern Fehden, Züge der Egyptier, Perser, Griechen und Römer . . . 12
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XXV
Seite
Der Krieg von Dahes und Ghabra. Der von Basus. Zweckmäßigkeit der vier heiligen Monate. Die Messe von Okaz, Wettstreit und Ansehen der Dichter. Ueber Aascha's Nichtbekehrung zum Islam . . . . 13—10
Die Wahrsager in Arabien. Götzendienst und Glaube an ein höchstes Wesen. Juden, Christen, Sabäer und Magier in Arabien. Unsterblichkeit der Seele. Seelenwanderung, Menschenopfer, Töchtermord, Sittenlosigkeit . . . . 17—20
Erstes Hauptstück.
Mohammeds Geburt und Wunder, die sie begleiten. Tod seines Vaters und dessen Verlassenschaft. Er wird auf dem Lande erzogen. Legende vom Spalten der Brust. Seine Mutter reist mit ihm nach Medina. Ihr Tod. Sein Großvater nimmt ihn zu sich. Nach dessen Tod sein Oheim Abu Talib . . . . . 21—27
Reise nach Boßra. Legende von Bahira . . . 28—29
Sein erster Feldzug. Veranlassung zum vierten lasterhaften Kriege. Bund der Edlen Mekka's gegen Gewaltthäter. Abb Allah Ibn Djudan . . . . 30- 32
Mohammeds Hirtenleben. Handelsreise nach Hajascha. Bekanntschaft mit Hakim . . . 33—34
Er tritt in Chadidja's Dienst. Reise nach Syrien, Legende vom Mönche Nestor. Chadidja bietet ihm ihre Hand an. Trauungsformel . . . . 35—38
Mohammeds Kinder. Verlust seines Vermögens. Er wird zum Schiedsrichter ernannt . . . 38—40
Sagen von der Kaaba und dem schwarzen Steine. Mohammeds Aufenthalt in der Höhle Hara. Seine Betrachtungen über Juden- und Christenthum. Seine epileptischen Anfälle . . . . 40—44
Zweites Hauptstück.
Mohammeds Erklärung seiner Offenbarungen. Seine erste Vision. Zweifel an sich selbst. Waraka und seine Bibelübersetzung. Die ersten Koransverse . . . . 44—49
Die ersten Muselmänner, Versammlungen in Arkams Hans . . 49—51
Mohammed tritt öffentlich als Prophet auf. Abu Lahab verspottet ihn . . . . . . 51—53
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XXVI
Seite
Seine Anrede an seine Verwandten. Verfolgungen der Kureischiten. Abu Talib und die übrigen Haschimiten beschützen ihn. Er und Abu Bekr werden mißhandelt . . . . . . 53—56
Auswanderung einiger Muselmänner nach Abyssinien. Gerücht von Mohammeds Verständigung mit den Kureischiten. Letztere fordern die Auslieferung der Muselmänner von dem Nadjaschi. Djafars Rede vor demselben . . . . . 56—57
Hamza's und Omars Bekehrung. Sie bewegen Mohammed den Tempel zu besuchen. Omar entsagt dem Schutze seines Oheims. Ebenso Othman Ibn Mazun . . . . . 58—61
Die Kureischiten trachten Mohammed nach dem Leben. Er wird auf Abu Talibs Schloß gebracht. Die Söhne Haschims und Muttalibs werden in Acht erklärt. Sie schließen sich mit Mohammed ein. Zernichtung der Urkunde und Aufhebung des Banns . . . .61—64
Bekehrung einer christlichen Karawane und eines Teufelbeschwörers. Voraussagung des Sieges der Griechen über die Perser. Abu Bekrs Wette . . . 64—65
Legende vom gespaltenen Monde . . . 65—66
Abu Talibs Tod. Seine letzten Worte. Chadidja's Tod . . . 66—67
Mohammed heirathet Sauda und verlobt sich mit Aïscha. Reise nach Taïf. Ungünstige Aufnahme. Rückkehr nach Mekka. Vision von der Bekehrung der Djinn. Nächtliche Reise nach Mekka und Jerusalem. Himmelfahrt. Gebet der Muselmänner . . . . 68—70
Bekehrung der ersten acht Chazradjiten. Ihr Verhältniß zu den Juden Medina's. Huldigung von zwölf Medinensern. Mußab predigt in Medina. Erste Freitagsversammlungen. Bündniß mit 73 Medinensern. Verfolgung der Kureischiten. Allgemeine Auswanderung der Muselmänner nach Medina. Mohammed wird zum Tode verurtheilt. Seine Flucht und Ali's Verkleidung. Aufenthalt in der Höhle Thaur mit Abu Bekr . . . . 71-79
Drittes Hauptstück.
Suraka verfolgt Mohammed und bekehrt sich. Legende über Suraka. Bureida schließt sich ihm an. Die erste Fahne . . . . 79—81
Mohammeds Ankunft in Kuba. Seine erste Predigt . . . . 81
Er reitet nach Medina, steigt bei Abu Ajub ab . . . . 82
Ali's Ankunft in Medina. Die von Mohammeds Töchtern und Braut. Krankheit der Mekkaner. Verbrüderung derselben mit den Medinensern. Aufhebung derselben nach dem Treffen von Bedr . . . 83—84
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XXVII
Seite
Bau der Moschee zu Medina. Ihre Beleuchtung. Die erste Kanzel. Legende von dem Stamme, an den sich Mohammed gelehnt. Spätere Veränderungen der Moschee und ihre jetzige Gestalt. Die Chalifen Walid, Mahdi und Mamun . . . . 84—87
Vermählung Mohammeds mit Aïscha. Ali's mit Fatima. Aussteuer und Heirathsgut . . . . 88—89
Mohammeds Verhältniß zu den Juden. Gebote über die Kibla, Fasten und das Gebetausrufen, Almosen, Wallfahrtsfest. Bekehrung Abd Allah Ibn Salams. Zauber Lebids, Sohn Aaßams . . . . 90-94
Die ersten Kriegesgebote. Feldzug von Abwa. Vertrag mit den Beni Dhamrah. Feldzug von Buwat und Uscheira. Bündniß mit den Beni Mudlidj . . . 95—97
Zug gegen Kurz Ibn Djibir, oder der erste von Bedr . . . 98
Abd Allah Ibn Dschahsch's Raubzug. Mobammed gibt ihm einen versiegelten Brief. Nennt ihn „Emir Al Mu'minin.“ Inhalt des Briefes. Abd Allah überfällt eine mekkanische Karawane während des Monats Radjab. Seine Rückkehr nach Medina. Mohammed macht ihm Vorwürfe. Er gestattet dann den Krieg während der heiligen Monate . . . . 98 —102
Auszug der Muselmänner aus Medina. Abu Sosian sendet Dhamdham nach Mekka . . . 102—103
Die Mekkaner ziehen der Karawane entgegen. Mohammed nimmt die Richtung von Bedr. Abu Sosian weicht ihm aus. Otba räth vom Kampfe ab. Ein Theil der Mekkaner kehrt wieder um . . . . 104—105
Verschiedenheit der Ansichten unter den Muselmännern. Ankunft in Bedr. Zweikampf zwischen Muselmännern und Ungläubigen. Treffen, Mohammeds Gebet. Sieg der Muselmänner . . . . 105—109
Abu Djahls Tod. Abbas wird gefangen. Mohammed sendet Siegesboten nach Medina. Hinrichtung zwei Gefangener. Theilung der Beute . . . 109—111
Folgen des Treffens. Todesverachtung der Muselmänner. Omeir. Maad und Abu Hudseifa . . . 111—112
Tapferkeit einzelner Kureischiten. Aswad. Abul Bahtari . . . 112
Mohammed schreibt seinen Sieg der Hülfe von Engeln zu . . . . 113
Abbas' Bekehrung und Rückkehr als Mohammeds Spion . . . 114
Abu Lahabs Krankheit und Tod . . . 115
Viertes Hauptstück.
Rukejja's Tod. Mohammed heirathet Hafßa und Zeinab bint Chuzeima, Othman heirathet Umm Kolthum. Zeinab kommt nach Medina . . . . 115—116
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XXVIII
Seite
Die Ermordung Aßma's, Mohammed billigt sie . . . 117
Die Ermordung Abu Asaks . . . 118
Krieg gegen die Beni Keinukaa. Sie ergeben sich. Mohammed will sie hinrichten lassen, Abd Allah Ibn Ubejj verhindert es. Ihr Exil. Verbot mit Juden und Christen ein Bündniß zu schließen . . . 118—119
Mohammed läßt Kaab Ibn Alaschraf ermorden . . . 119
Zug gegen die Beni Suleim und Ghatafan, Der Zug von Sawik gegen Abu Sosian. Zweiter gegen die Beni Ghatafan. Duthur will Mohammed ermorden. Bekehrt sich. Zweiter Zug gegen die Beni Suleim . . . 120—122
Die Mekkaner rücken gegen Medina, Abbas gibt Mohammed Kunde davon. Er will sich in Medina verschanzen. Wird zum Auszug bewogen. Will keine jüdischen Hülfsgenossen. Abd Allah Ibn Ubejj verläßt ihn . . . 122—124
Treffen bei Ohod. Abu Dudjana kämpft mit Mohammeds Schwert. Hind ermuthigt die Truppen. Die Schützen verlassen ihre Stellung. Chalid fällt in den Rücken der Muselmänner. Ihre Niederlage. Mohammed wird verwundet. Hamza's und Mußabs Tod. Mohammed flieht auf eine Anhöhe. Grausamkeiten der Mekkaner . . . 125—129
Mohammed verbietet das Verstümmeln der Leichen und die Trauer um die Erschlagenen . . . . 129—130
Zug nach Hamra Al Asad. Mibad hintergeht die Mekkaner. Angebliche Unterredung Abu Sosians mit Omar 130—131
Mohammeds Rückkehr nach Medina, Hinrichtung Abul Azza's und Muawia's Ibn Mughira . . . 132
Ermordung der Koranlehrer durch die Stämme Adhal und Kara, Verrath bei Mauna . . . 133
Amru Ibn Ommejja soll Abu Sosian ermorden. Derselbe ermordet Sosian Ibn Chalid. Mohammed schenkt ihm einen Stock. Zug gegen die Beni Asad . . . 133—134
Veranlassung zum Kriege gegen die Beni Nadhir. Sie wollen Mohammed steinigen. Er flieht nach Medina und erklärt ihnen den Krieg. Abd Allah reizt sie zum Widerstand. Mohammed belagert ihre Schlösser. Capitulation. Besondere Theilung der Beute . . . 134—136
Koranverse über diesen Zug . . . . . 136—139
Verbot des Weines und der Hazardspiele . . . 139—140
Zeid Ibn Thabit muß die jüdische Schrift lernen . . . 140
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XXIX
Seite
Zug von Dsat Arrika, Gebot des Furchtgebets . . . 141
Dritter Zug nach Bedr. Zug nach Daumat Aldjandal . . . . 142—143
Zug gegen die Beni Mußtalik. Barra erfleht ihre Freiheit von Mohammed. Gebot über Loskaufen eines Sklavens. Mohammed heirathet Barra . . . . 144—145
Vermählung mit Umm Salma, um die Omar und Abu Bekr geworben, und mit Zeinab bint Dschahsch, von der sich Zeid scheiden läßt . . . 145
Koransverse über diese Heirath. Erlaubniß Frauen der Adoptivsöhne zu heirathen . . . 146—147
Abd Allah Ibn Ubejj's Aeußerungen gegen Mohammed. Omar will ihn erschlagen. Mohammeds Benehmen bei dieser Angelegenheit. Koransverse gegen die Heuchler . . . 148 - 150
Aïscha's Abentheuer mit Safwan. Mohammeds Verbote in Betreff seiner Frauen, Koransverse über den Haupt- und Gesichts-Schleier . . . 151—154
Usama's, Ali's, Omars und Othmans Ansichten über Aïscha . . . . 155— 156
Mohammeds Erklärung in Betreff Aïscha's und die darauf bezüglichen Koransverse. Eine Klage gegen Ehebruch muß von vier Zeugen bestätigt werden 157—158
Mistah. Hasan und Hamnah werden gegeißelt, Abd Allah bleibt verschont . . . . 158
Gebot des Reibens mit Sand statt der Waschung . . . 159—160
Zug der Kureischiten und ihrer Verbündeten gegen Medina. Mohammed befestigt die Stadt. Arbeitet selbst am Graben . . . . 160—161
Mohammed will von den Beni Ghatafan den Frieden erkaufen. Wird von den Häuptern der Ausiten und Chazradjiten abgehalten. Er sendet Nueim, um zwischen den Feinden Zwietracht zu stiften. Aufhebung der Belagerung . . . 162—164
Koransverse über diesen Krieg . . . 165
Adu Sosians Brief an Mohammed. Mohammeds Antwort . . . . 166—167
Zug gegen die Beni Kureiza. Sie ergeben sich Mohammed . . . 167—168
Saad Ibn Maads' Entscheidung über ihr Schicksal. Ihre Hinrichtung . . . 169—170
Mohammed heirathet Rihana . . . 170
Koransverse über den Krieg gegen die Beni Kureiza. Ermordung Sulams Ibn Abi-I-Hakik und Juseirs . . . 171
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XXX
Fünftes Hauptstück.
Seite
Folgen der Belagerung von Medina. Zug gegen die Beni Lahjan . . . 172
Pilgerfahrt nach Mekka oder Zug von Hudeibia. Chalid zieht den Muselmännern entgegen. Mohammed umgeht ihn und lagert in Hudeibia . . . 173—174
Die Gesandten der Mekkaner an Mohammed, Urwa und Mughira . . . . 175—176
Mohammed sendet Hirasch. den Sohn Ommejja's, nach Mekka, dann Othman, und läßt sich huldigen . . . . 177
Friedensschluß mit Suheil. Omars Widerspruch. Streit über die Form des Vertrags . . . 178—179
Abu Djandal flüchtet sich zu Mohammed; dieser liefert ihn dessen Vater aus. Unzufriedenheit und Ungehorsam der Muselmänner. Folgen des Friedens von Hudeibia . . . 179—180
Koransverse über diesen Zug . . . 181—182
Abu Baßir flüchtet zu Mohammed. Er liefert ihn aus. Aufhebung der Klausel die Auslieferung der Ungläubigen betreffend. Prüfung der sich zum Islam bekehrenden Frauen . . . . 183
Koransverse über den Ausdruck „sey mir wie der Rücken meiner Mutter!“ . . . 184
Zug gegen die Juden von Cheibar. Mohammeds Gebet daselbst. Erstürmung von Naim, Kamuß, Kulla, Bara, Ubejj und Sab. Capitulation der Bewohner von Watih, Sulalim und Fadak . . . . 185 —186
Mohammed heirathet Sasia. Die Jüdin Zeinab reicht ihm einen vergifteten Braten. Ein Beispiel von Mohammeds Rechtlichkeit selbst gegen Feinde . . . 186—188
Gebote die Reinigung des erbeuteten Küchengeräths, Theilung der Beute, Genuß des Eselfleisches, reißender Thiere und Raubvögel, so wie den Beischlaf erbeuteter Frauen betreffend . . . . . 188
Unterjochung der Juden von Teima und Wadi-I-Kura. Rückkehr der letzten Auswanderer aus Abyssinien. Mohammed heirathet Umm Habiba . . . 189
Mohammed faßt den Entschluß seinen Glauben auch außerhalb Arabien zu verbreiten . . . . 190
Seine Lehre über Christus und Maria . . . . 190—195
Seine Rede an die Missionäre . . . . 195
Mohammeds Siegel. Schreiben an den Fürsten von Abyssinien . . . 196
Dessen Antwort . . . . . 197
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XXXI
Seite
Mohammeds Schreiben an Chosroes II. Dieser will ihn hinrichten lassen . . . . 198
Mohammeds Schreiben an Heraklius. Ueber die Zeit dieser Sendung und Heraklius' Reise nach Jerusalem . . . . 199
Gesandtschaft an den Statthalter von Egypten; an den von Jamama und der syrischen Araber. Heraklius' Unterredung mit Abu Sosian . . . . 200—201
Mohammeds Pilgerfahrt nach Mekka und Vermählung mit Meimuna . . . . 201—203
Bekehrung Chalids Ibn Walid und Amru's Ibn Aaß . . . . 204
Amru's Zug nach Dsat Sulasil. Benehmen gegen Abu Ubeida . . . . 204—205
Krieg bei Muta. Zeid, Djafar. Abd Allah Ibn Rawaha und Chalid . . . 206—207
Sechstes Hauptstück.
Die Kureischiten verletzen den Frieden von Hudeibia. Abu Sosian reist nach Mekka, um ihn wieder herzustellen, wird aber abgewiesen . . . . . . 208
Mohammed versammelt seine Truppen, um nach Mekka zu ziehen, Hatib will die Mekkaner davon benachrichtigen. Sara, die Trägerin seines Schreibens wird angehalten . . . . . 209—210
Koransverse über Freundschaftsverhältnisse der Muselmänner zu Ungläubigen . . . . 211
Bekehrung Abu Sosians Ibn Harith, Abd Allahs Ibn Ommejja und Abu Sosians Ibn Harb . . . . 212—216
Einzug der Muselmänner nach Mekka . . . . 217
Mohammed besucht den Tempel und zerstört die Götzenbilder. Bekehrung Othmans Ibn Talha . . . . 218—219
Die fünfzehn von der Begnadigung Ausgeschlossenen : Abd Allah Ibn Saad, Abd Allah Ibn Chatal und seine beiden Sklavinnen, Huweirath Ibn Nufeil, Mikjas Ibn Subaba, Habbar Ibn Aswad, Alrama Ibn Abu Djahl, Safman Ibn Ommejja, Harith Ibn Hischam, Zuheir Ibn Ommejja, Kaab Ibn Zuheir, Wahschi, Hind und Sara . . . . 220—223
Die Medinenser befürchten, Mohammed möchte in Mekka bleiben . . . 224
Mohammed beruhigt sie; läßt sich von den Mekkanern huldigen. Huldigungsformel. Hinds Bemerkungen . . . . . 225
Mohammeds Rede über die Heiligkeit der Stadt Mekka und ihres Gebiets . . . . . 225-220
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XXXII
Seite
Koransverse über Bestrafung einer Mordthat und körperliche Ver letzung . . . . 226-227
Verordnung über Erbrecht zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Verbot Tante und Nichte zu heirathen, Frauen dürfen nicht ohne Begleitung eines Verwandten reisen. Verbot des Fastens an Festtagen. Verordnungen über Streit zwischen Gläubigern und Schuldnern. Eine Art Miethehe wieder erlaubt . . . 227—228
Amru Ibn Aaß zerstört den Götzen Suwa, Saab Ibn Zeid Mana und Chalid Uzza . . . . . . 228
Chalids Zug gegen die Beni Djadsima, Mohammeds Bedauern über dessen Grausamkeit. Er sendet Ali um sie zu entschädigen. Weist Chalid zurecht . . . . . 229—231
Feldzug von Honein; Flucht der Muselmänner, Schadenfreude der Kureischiten, Mohammeds Nothruf, Sieg der Muselmänner . . . . . 232—233
Treffen von Autas. Dureids Tod. Koransverse über das Treffen von Honein . . . . 234—235
Belagerung von Taïf . . . . . 236
Unterwerfung der Beni Hawazin, Mohammed schenkt ihnen die gemachte Beute. Unterwerfung Maliks . . . . 237—238
Unzufriedenheit der Muselmänner wegen Vertheilung der Beute, Mohammed wird verfolgt, seine Rechtfertigung, er verschenkt seinen Antheil an die Häupter der Kureischiten, neues Murren der Hülfsgenossen. Seine Vertheidigung . . . . . 239—242
Mohammeds Rückkehr nach Mekka. Ernennung Attabs zum Statthalter und Maads' zum geistlichen Oberhaupte. Heimkehr nach Medina. Zeinabs Tod. Ibrahims Geburt . . . . 242
Siebentes Hauptstück.
Deputationen der Araber nach Medina. Die Abgeordneten der Beni Tamim. Utarids Prahlerei, Thabit Ibn Keis' Antwort. Dichterkampf zwischen Amru Ibn Ahtam und Hasan Ibn Thabit; Gedichte Zibirkans Ibn Bedr und Akraa's Ibn Habis. Bekehrung dieser Abgeordneten; Koransverse über ihr unanständiges Benehmen . . . . 243 —247
Bekehrungsgeschichte Adij's Ibn Hatim . . . 247—250
Huldigung der Beni Harith. Mohammeds Schreiben an Amru Ibn Hazm . . . . 250
Verbot den Koran mit unreinen Händen zu berühren, in fremden Kleidern zu beten, die Haare in Flechten zu tragen, seine Stammgenossen zu Hülfe zu rufen. Die Freitagsfeier . . . . . 251
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XXXIII
Seite
Armensteuer, vom Ertrag der Erde, von Kameelen, Rindvieh, Kleinvieh, Gold und Silber. Kopfsteuer der Ungläubigen . . . . . . 252—253
Deputation der Beni Fazara . . . . 253
Gebet um Regen . . . . . 254
Unterwerfung der Thakisiten 255—256
Deputation der Beni Amir . . . . . 256—257
Feldzug von Tabuk, Ungehorsam der Muselmänner, Freigebigkeit Othmans, Omars, Abu Bekrs und Anderer . . . . . 258—259
Ali muß auf Mohammeds Befehl in Medina bleiben . . . . 260
Koransverse gegen die Zurückbleibenden . . . . . 261
Legende von den Thamuditen . . . . . 262
Mohammeds Schreiben an den Fürsten von Eila .. . . . 263
Chalids Zug gegen Ukeidar und des Letztern Huldigung . . . 264
Mohammeds Abentheuer auf der Heimkehr und die darauf bezüglichen Koransverse . . . . 265—266
Sprüche aus einer Predigt Mohammeds . . . . . 267
Befehl die Moschee der Beni Ghanim zu zerstören. Koransverse darüber . . . . . 267—268
Bestrafung der Zurückgebliebenen. Besondere Härte gegen Kaab Ibn Malik, Murara Ibn Rabia und Hilal Ibn Ommejja . . . . . 269—270
Sieben Muselmänner legen sich selbst Fesseln an . . . . . 271—272
Koransveese in Betreff derselben . . . . . . 273
Mohammeds Urtheil über eine Ehebruchklage und die darauf bezüglichen Koransverse . . . . . 273—274
Mohammeds Trennung von seinen Frauen, Abentheuer mit Maria, Koransverse gegen Aïscha und Hafßa. Beweise der Sunniten für die Rechtmäßigkeit der Nachfolge Abu Bekrs . . . . 274—277
Mohammed ernennt Abu Bekr zum Anführer der Pilger; sendet ihm Ali nach , um ein neues Völkerrecht zu verkündigen. Koransverse über das neue Recht gegen Nicht-Muselmänner. Abb Allah Ibn Ubejj's Tod . . . . . . 277—278
Uebersicht der neunten Sura; Verbot für Ungläubige das Gebiet von Mekka zu betreten. Aenderungen in Betreff der vier heiligen Monate. Ueber das Schaltjahr der Araber. Verbot für Ungläubige zu beten . . . . . . 278—285
Verschiedene Huldigungsdeputationen aus Südarabien und Syrien; Museilama's Schreiben an Mohammed. Seine Antwort. Um Kolthums und Ibrahims Tod. Mohammeds Zweifel über Maria's Treue. Verhör der Engel 285—287
Leben Mohammeds. III
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XXXIV
Achtes Hauptstück.
Seite
Mohammeds Pilgerfahrt nach Mekka, die fünf Grundpfeiler des Islams . . . . . 288
Gebot der Wallfahrt und Pilgerfahrt . . . . . . 289
Mohammeds Absicht bei der Pilgerfahrt und verschiedene Gebete . . . . 290—293
Vorschriften, Gebräuche und Ceremonien der Pilgerfahrt . . . 294—299
Verbot des Wuchers und der Blutrache . . . . 299—300
Pflichten des Mannes gegen seine Frau, die Scheidungsgesetze . . . 301—302
Das Erbrecht der Mohammedaner . . . . 303—307
Frühere und spätere Strafe der Buhlerei . . . . 307—308
Verbotene Ehen . . . . . . 309
Ehe mit einer Sklavin und Bestrafung ihrer Untreue . . . . 310
Züchtigung der widerspenstigen Frauen . . . 311
Mohammeds Rede an das Volk 312—313
Verbotene Thiere. Schlachten des Viehes, erlaubte Jagd . . . 313—315
Ehe mit Jüdinnen und Christinnen, Speisen der Juden und Christen . . . 316
Mohammeds Gebet . . . 316—317
Fernere Ceremonien der Pilgerfahrt 317—319
Mohammeds Rückkehr nach Medina und Rede am Teiche Chum in Betreff Ali's . . . 320—321
Mohammed ordnet einen Feldzug nach Syrien an, ernennt Usama Ibn Zeid zum Anführer der Truppen . . . . 321
Mohammed erkrankt, besucht den Begräbnißplatz, sein Gebet daselbst, Unterhaltung mit Aïscha, Rede in der Moschee . . . 321—323
Er erlaubt nur Abu Bekr oder Ali eine Communikation mit der Moschee . . . . 324
Er empfiehlt Usama dem Volke; biographische Notizen über dessen Vater Zeid . . . . 325—326
Er läßt Abu Bekr vorbeten und nennt Aïscha eine Heuchlerin . . . . 327
Er verkündet dem Volke seinen nahen Tod und ermahnt es zur Eintracht und Beharrlichkeit im Glauben . . . . 328—329
Er will sein Testament machen, wird aber von Omar abgehalten . . . 320
Seine letzten Worte und Tod . . . . 331
Omar will nicht an Mohammeds Tod glauben, aber Abu Bekr widerspricht ihm und führt einen unbekannten Koransvers darüber an . . . . 332—333
Hergang bei der Chalifenwahl . . . . 334—336
Omar widerruft seine Erklärung in Betreff der Unsterblichkeit Mohammeds . . . . . 337
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XXXV
Seite
Abu Bekrs Rede nach der Huldigung . . . . 337—338
Mohammeds Beerdigung, Gebet der Muselmänner auf seinem Grabe . . . . . . 338—339
Neuntes Hauptstück.
Mohammeds Aeußeres . . . . 340—341
Benehmen gegen Freunde und Diener, Schonung für Thiere, Mäßigkeit, Aberglaube, physische Kraft, Reizbarkeit, Kleidung, Eitelkeit, Freigebigkeit und Wohlthätigkeit . . . . 342—347
Sammlung der Koransfragmente nach dem Kriege mit Museilama . . . . 348
Zweite Redaktion desselben unter Othman, die sieben Lesearten . . . . . 349
Wahrscheinlichkeit der Zusätze und Auslassungen im Koran . . . . 350—352
Wiederholungen im Koran, Erklärung des Wortes mathani . . . . . 353—354
Widersprüche im Koran, wie sie Mohammed entschuldigt . . . 355
Lehre vom Zustande der Nichtmuselmänner in jenem Leben . . . . . 356
Widersprechende Koransverse in Betreff Mohammeds Privilegiums sein Harem nach Lust zu vermehren. Gesammtzahl seiner Frauen, Verlobten und Sklavinnen . . . 357—360
Unordnung in der Reihefolge der Verse und Suren, über die Bedeutung des Wortes Sura, mekkanische und medinensische Suren . . . 360—364
Namen und chronologische Ordnung der mekkanischen Suren . . 364—370
Namen und chronologische Ordnung der medinensischen Suren . . . . 370—371
Medinensische Verse in mekkanischen Suren . . . 371—372
Der in Djohfa geoffenbarte Vers . . . . 373
In dem Gesichte der Reise nach Jerusalem und auf der Flucht von Taïf erschienener Vers . . . . 374
Beim Friedensschlusse von Hudeibia erschienener Vers . . . 375
Offenbarung gegen Museilama, Aswad und Abb Allah Ibn Saad . . . . 376
Kern der Religion . . . . 376—377
Mekkanische Verse in medinensischen Suren . . . 378
Theile des Korans, welche von Mekka nach Medina gesandt werden, die Surat Joseph . . . . . 379—380
Verse, welche von Medina nach Mekka und Abyssinien gebracht worden . . . . . . 381—382
Widerrufende und widerrufene Verse, Wahrscheinlichkeit der Zernichtung der ältesten Offenbarungen . . . . 383—386
Mohammed ändert seinen Styl, um nicht als Besessener, Wahrsager und Dichter zu gelten . . . 387
Unterschied in der Schreibart zwischen den mekkanischen und medinensischen Suren und Gründe desselben . . . . 387—388
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XXXVI
Seite
Schilderung der Allmacht Gottes . . . . 388
Schilderung der Gerechtigkeit Gottes, des Paradieses und der Hölle . . . . 389—391
Mohammed in Medina mehr Redner als Dichter und Prophet . . . . 392—393
Sein Charakter entlarvt durch den Raubzug Abd Allahs und die Surat Joseph . . . . . . 394
Mohammeds in Medina hervortretende Mängel . . . . . 395
Ursachen der Gründung und Ausdehnung seiner Macht . . . 396
Der Glaube an ihn befestigt sich erst unter Abu Bekr und Omar . . . . 397
Ergebung und Willensfreiheit . . . . 398—399
Mohammeds Verdienste . . . . 400—402
Erläuterung der Beilagen und Nachträge größtentheils aus Ibrahim Halebi.
Zu Anmerk. I. S. 8. Ueber Abd Almuttalibs Gesandtschaftsreise nach Jemen . . . . 403—406
Zu A. 9. Die Dauer von Mohammeds Aufenthalt bei Halima . . . . 406—407
Zu A. 17. Mohammeds Alter zur Zeit des 4. lasterhaften Kriegs . . . 407
Zu A. 38. Ueber das von Chadidja vor Mohammed ausgebreitete Tuch . . . 407
Zu A. 40. Ueber die Vermählung Rukejja's mit den Söhnen Abu Lahabs . . . . 407
Zu A. 48. Bedeutung des Wortes rakju . . . . 407—408
Zu A. 52. Waraka Ibn Naufal und seine Bibelübersetzung . . . . 408
Zu A. 57. Ueber den Namen von Bilals Vater . . . 408
Zu A. 64. Zeit der ersten Rückkehr der Ausgewanderten aus Abyssinien nach Mekka . . . . 409
Zu A. 82. Koransverse über die Djinn . . . . 409
Zu A. 86. Abkunft der Ausiten und Chazradjiten und ihr Verhältniß zu den Juden . . . . . . 409—411
Zu A. 101. Ueber Mohammeds Ankunft zu Kuba und Medina . . . 412
Zu A. 106. Daß der Stamm, an den sich Mohammed gelehnt, nicht nach Cordova gekommen . . . 412
Zu A. 118. Gebot der Almosen am Ende des Monats Ramadhan . . . 413
Zu A. 125. Ueber Mohammeds Schreiben an die Beni Dhamra . . . 413
Zu A. 130. Aechtheit des Briefes an Abd Allah Ibn Djahsch, die von ihm gemachten Gefangenen und Mohammeds Zug gegen Kurz Ibn Djabir . . . . 413
Zu A. 144. Ueber die Bedeutung des Wortes Aliah . . . . 413
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XXXVII
Seite
Zu A. 149. Ueber Abbas' Lösegeld, die Zeit seiner Bekehrung, Okba's und Nadhrs Hinrichtung . . . 414—415
Zu A. 171 und 172. Ueber Abd Allah Ibn Ubejj und der Juden Rückkehr vor dem Treffen von Ohod . . . . . . 415
Zu A. 174. Bedeutung des Wortes Amit 415 Zu A. 177. Ueber die von Mohammed verlorenen Zähne . . . . . 415
Zu A. 185. Anfang der Aera der Hidjrah . . . . 416
Zu A. 187. Hinrichtung Chubeibs und Zeids Ibn Aldathna . . . . 416
Zu A. 215 und 220. Djuweiria's Bitte und Befreiung der Gefangenen durch sie . . . . . 416—417
Zu A. 230. Ali's Erklärung über Aïscha's Untreue . . . . 417—418
Zu A. 242. Ueber den Verfasser der Verse, die Mohammed am Graben gesungen . . . . . 418
Zu A. 252. Ueber das Zelt, in welchem Saad gepflegt worden . . . . 418
Zu A. 263. Ueber Mughira's Ermordung der Latdiener . . . 419—420
Zu A. 268. Wer die Ueberschrift des Vertrags von Hudeibia gestrichen und ob Mohammed lesen konnte . . . . 421
Zu A. 283. Ob Watih und Sulam Privateigenthum Mohammeds geworden . . . . 421
Zu A. 290. Ueber die Bekehrung des Fürsten von Abyssinien . . . 421—422
Zu A. 309. Mohammeds Gesandtschaft an Heraklius . . . . 422
Zu A. 310. Wie der Statthalter von Jamama hieß und Mohammeds Brief an denselben 422—423
Zu A. 318. Zeit des Kriegszugs von Muta . . . . . 423
Zu A. 330. Verschiedene Bekehrung der beiden Abu Sosian . . . . 423—424
Zu A. 353. Ueber die Sängerin Sara, daß sie nicht zusammengehauen worden . . . . . 424
Zu A. 357. Das Verbot der Miethehe . . . . 425
Zu A. 366. Ueber den von Mohammed improvisirten Vers . . 425—426
Zu A. 371. Daß Mohammed Taïf nicht durch Sturm genommen . . . . 426—427
Zu A. 398. Ueber die in Saweilams Haus versammelten Heuchler . . . . 427
Zu A. 404. Mohammeds Schreiben an den Fürsten von Eila . . 427—428
Zu A. 411. Bedeutung der Koransverse in Betreff Abu Amirs . . . 428
Zu A. 415. Abu Lubaba und die Beni Kureiza . . . . . 428—429
Zu A. 433. Daß Mohammed für Abd Allah gebetet . . . . 429—430
Zu A. 515. Mohammeds Worte auf dem Begräbnißplatze . . . 430
Zu A. 533. Ueber Abu Hureira . . . 430—431
Zu A. 535. Bedeutung des Wortes „Sakifatun“ 431
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XXXVIII
Beilagen.
Seite
Ueber Waraka Ibn Naufal . . . . a
Ueber Ali's Erklärung in Betreff Aïscha's . . . . b
Ueber das Zelt, in welchem Saad gepflegt worden . . . c
Ueber Mughira's Ermordung arabischer Latdiener . . . . c—e
Ueber Mohammeds Gebet für Abb Allah Ibn Ubejj . . . . f—g
Ueber die Befreiung der Gefangenen durch Mohammeds Vermählung mit Djuweiria . . . . . g—h
Ueber den erst durch Abu Bekr bekannt gewordenen Koransvers . . . . h
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1
Einleitung.
Aelteste Geschichte der Stadt Mekka. Mohammeds Ahnen. Erste Feindseligkeit zwischen dem Geschlechte Ommejja und Abbas. Religion, Sitten, Cultur und politischer Zustand Arabiens im sechsten Jahrhundert.
Wenn es zur richtigen Auffassung des Lebens eines jeden großen Mannes nothwendig ist, die allgemeinen Zustände seiner Zeit sowohl, als die besonderen Verhältnisse seiner Umgebung zu kennen, so wird dieß bei einem Religionsstifter, Gesetzgeber und Reichsgründer wie Mohammed, dessen ganzes Leben ein fortwährender Kampf gegen einen Theil seiner eigenen Familie, seines eigenen Vaterlandes, und in religiöser Beziehung wenigstens, gegen die ganze damalige Welt war, um so unentbehrlicher. Da aber für denjenigen, welcher nach dem ersten Keime zur allmähligen Entwicklung des arabischen Propheten forscht, eine nähere Bekanntschaft mit seinen Ahnen sowohl als mit der Geschichte und den Sagen seiner Vaterstadt Mekka nicht minder wesentlich ist, so werden wir, ehe wir den Zustand Arabiens zu seiner Zeit in einigen allgemeinen Zügen schildern, über Beide das Wichtigste vorausschicken.
Die Bewohner Mittelarabiens, besonders die der Provinz Hedjas, zu denen Mohammeds Ahnen gehören, sehen — vielleicht erst seit ihrer Bekanntschaft mit den Juden und ihren Schriften — Ismael den Sohn Abrahams, als ihren Stammvater an, obschon selbst die orthodoxesten Muselmänner Mohammeds Väter nur bis zum zwanzigsten Gliede rückwärts, bis Adnan nehmlich, mit Bestimmtheit anzugeben wissen.
Leben Mohammeds.
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2
In Ismaels Jugend soll die Stadt Mekka von dem uralten Riesenstamme der Amalekiten 1), unter denen er aufwuchs, gegründet worden sein, er selbst wird aber im Vereine mit seinem Vater Abraham, als der Erbauer des heiligen Tempels (Kaaba) genannt, nach welchem von uralter Zeit her viele Pilger aus der ganzen arabischen Halbinsel wallfahrten. Die Amalekiten wurden noch bei Ismaels Lebzeit von den Stämmen Djorham und Katura, welche von Südarabien ausgewandert waren, aus Mekka vertrieben 2). Mudhadh und Sameida, die Häupter dieser beiden Stämme, herrschten eine Zeit lang friedlich neben einander, aber bald entzweiten sie sich, es kam zu einem Kampfe, in welchem Letzterer unterlag, so daß die Djorhamiden unbeschränkte Herrscher der Stadt Mekka blieben. Die Verwaltung des heiligen Tempels behielt indessen Ismael, welcher eine Tochter des Königs Mudhadh heirathete, daher seine Nachkommen den Namen Arab
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1) Nach dem Chamis und dem Insân Alujûn, welche hier nur ältern Quellen folgen, suchten zwei Amalekiten ein Kameel in der Gegend des jetzigen Mekka, welche ehedem ganz öde und wasserlos war. Als sie die Quelle Zemzem entdeckten, welche ein Engel für Hagar und Ismael aus der Erde hervorgerufen, benachrichtigten sie einige ihrer Stammgenossen davon, welche wenige Stunden von Mekka ihr Lager aufgeschlagen hatten, und ließen sich mit ihnen in der Nähe dieser Quelle nieder.
2) Dieß und das folgende aus Ch. und J. übereinstimmend mit Sirat Arrasul in den mém. de Pacad. des insciptions, T. 48, S. 727—735 und dem Kitab al Aghâni im journal Asiatique, 3me série, T. VI. p. 196 u. ff. Ich theile aber nicht die Ansicht meines Freundes H. Fresnel, welcher (S. 207) die in dieser Tradition erwähnten Amalekiten für Römer hält. Der ganze dort angeführte Satz befindet sich auch bei I. und Ch., bezieht sich aber nur auf den frühern Untergang der Amalekiten, welche nicht blos durch die Waffen der Djorhamiden, sondern auch durch eine Art Ameise, vielleicht auch pestartige Geschwüre, die ebenfalls „nami“ heißen, genöthigt wurden, Mekka zu verlassen; dieselbe Strafe Gottes kommt auch wieder bei der Niederlage der Djorhamiden vor.
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3
Mustaraba, das heißt durch Verschwägerung gewordene Araber erhielten, im Gegensatze zu den von Kahtan abstammenden Urarabern (Arab al Araba) oder den Völkerschaften Südarabiens. Ismaels Sohn, Nabit oder Thabit, erbte noch die geistliche Würde seines Vaters, später rissen aber die Djorbamiden auch diese an sich, und wurden bald so gewaltthätig, daß die Ismaeliten nur auf eine günstige Gelegenheit warteten, um ihr Joch abzuschütteln. Diese bot sich ihnen aber erst im Anfang des dritten Jahrhunderts nach Chr. dar, als eine große Überschwemmung in Südarabien, zu welcher sich auch wahrscheinlich innere Zwistigkeiten gesellten, zahlreiche Stämme zu einer Auswanderung nach dem Norden veranlaßte. Damals unterstützten sie 1) Amru ben Lohai, den Häuptling mehrerer eingewanderten Stämme, welche in der Nähe von Mekka ihr Lager hatten, und mit ihrer Hilfe gelang es ihm, die Djorhamiden aus Mekka zu vertreiben. Diese neuen Eroberer erhielten später den Namen Chuzaiten (die Getrennten), weil sie allein in Mekka blieben, während andere Stämme entweder wieder nach dem Süden zurückkehrten, oder unter der Oberherrschaft der Griechen und Perser kleine Königreiche südöstlich von Damask und im Irak gründeten. Die Ismaeliten blieben zwar wieder von der Regierung ausgeschlossen, doch erhielten sie 2) das nicht unbedeutende Recht, einen der vier heiligen Monate, während derer in Arabien kein Krieg geführt werden durfte, je nach Gutachten auf eine andere Zeit zu verlegen, wodurch sie gewiß großen Einfluß über die kriegerischen Stämme
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1) Daß die Ismaeliten im Einverständnisse mit den Chozaiten waren, vermuthet schon de Sacy im angeführten mem. S. 547, und diese Vermuthung wird durch Ch. bestätigt, welcher berichtet: „Nach Einigen wurden die Djorhamiden von den Chozaiten im Vereine mit den Beni Bekr, nach Andern von den Ismaeliten vertrieben.“ Wahrscheinlich also von Beiden zusammen.
2) Dieses Privilegium hatten die Nachkommen Kinanah's, vierzehnter Ahnherr Mohammeds; über die Zeit, in welcher sie es erhielten, weiß man nichts Näheres.
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des nördlichen Arabiens ausübten. Aber erst Kußai, der vierte Ahnherr Mohammeds, welcher eine Tochter Hulails, des letzten Fürsten aus dem Geschlechte der Chuzaiten zur Frau hatte, bemächtigte sich, nach seines Schwiegervaters Tod 1), mit Hülfe seiner väterlichen und mütterlichen 2) Verwandten, sowohl der weltlichen als der geistlichen Herrschaft über Mekka. Er allein hatte das Recht, die Pilger mit Lebensmitteln und süßem Wasser zu versorgen, das in der Nähe von Mekka selten ist. Um seine Fahne mußten sich alle Krieger versammeln, und ihm als Feldherrn folgen. Dabei erhob er den Zehnten von allen nach Mekka eingeführten Gütern, war Verwalter des Tempels und führte den Vorsitz im Rathhause, wo nicht nur alle Staatsangelegenheiten besprochen, sondern auch jede feierliche Handlung, wie Vermählungen, Beschneidungen und dergleichen begangen wurde 3). Da Kußai, sowohl um zur Herrschaft zu gelangen, als um sie zu behaupten, alle seine Verwandten, die er in zwölf Stämme theilte, um sich vereinigte, erhielt er den Beinamen „Sammler“ 4). Als er,
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1) Dieser hinterließ zwar einen Sohn, welcher Abu Ghubschan hieß, aber nach Einigen ward er enterbt, nach Andern verkaufte er sein Recht an der Regierung Mekkas, für Wein, Kleider oder Kameele. Die Aehnlichkeit mit Esaus Linsengericht ist so groß, daß man diese Nachricht gerne für eine Copie derselben hatten möchte; indessen hat dieses Mährchen zu dem noch jetzt üblichen Sprichworte Veranlassung gegeben: „Reuiger als der (wegen seines schlechten Handels) die Hände übereinander schlagende Abu Ghubschan.“
2) Nach I. die Beni Kinanah, die Kureischiten, d.h. die Nachkommen Fahrs, des elften Ahnherrn Mohammeds, und die Beni Kudhaa, zu denen entweder seine Mutter gehörte, oder mit denen sie durch eine zweite Ehe verwandt geworden. I. und Ch.
3) Auch wurden die Jungfrauen mit ihrem ersten Oberhemde im Rathhause bekleidet.
4) Auf Arabisch mudjmiun, nach Einigen aber auch Kureisch, ein Name, der gewöhnlich schon den Nachkommen Fahr's beigelegt, und auf verschiedene, nicht sehr befriedigende Weise gedeutet wird. Fast möchte man glauben, Kußai habe wirklich aus angeführtem Grunde zuerst diesen Beinamen erhalten, und erst unter Abu Bekr und Omar, welche nicht von Kußai abstammen, sondern erst durch Fahrs Urenkel Kaab, und des Letztern Sohn Murra sich an Mohammeds Geschlechtslinie anreihen, habe man den Namen Kureisch weiter rückwärts ausgedehnt, und ihm eine andere Bedeutung zu geben gesucht, damit auch diese Chalifen des Kureischitischen Adels theilhaftig werden. Dieß mußte für die Sunniten um so wesentlicher sein, als Mohammed zu wiederholten Malen die Kureischiten als die würdigsten der Nachfolge erklärte. I. nennt daher diejenigen, welche behaupten, Kußai habe den Beinamen Kureisch erhalten, Keßer, d.h. Schiiten, als wäre dieß zu Gunsten Alis erdichtet worden, der von Kußai abstammt. Er mag als Sunnite ganz recht haben, dem europäischen Kritiker ist aber das Gegentheil viel wahrscheinlicher.
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ohngefähr hundert Jahre vor Mohammeds Geburt, starb, setzte er seinen ältesten Sohn, Abd Al Dar, in seine Rechte ein, aber bald empörte sich sein Bruder Abd Menaf mit seinen Söhnen Hâschim, Muttalib, Abd Schems und Naufal gegen ihn, und ein großer Theil der Kureischiten, das heißt der mit Kußai verwandten Araber, die keine erbliche an Monarchie grenzende Regierung aufkommen lassen wollten, schlossen sich den Empörern an. Bald wäre es im Angesichte des heiligen Tempels zu einem blutigen Gefechte zwischen den Bewohnern Mekkas gekommen 1), wenn nicht Abd Aldar die Rechte der Bewirthung an Hâschim, das Feldherrnamt an Abd Schems abgetreten, und nach Einigen auch auf einen Theil der an den Vorsitz im Rathhause geknüpften Rechte verzichtet hätte. Zwischen Hâschim, dessen eigentlicher Name Amru'l Ula war,
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1) Beide Partheien versammelten sich vor der Kaaba, die der Söhne Abd Menafs tauchten ihre Hände in Weihrauch und die des Abd Dar in Opferblut, sie schwuren, sich gegenseitig beizustehen, „so lange das Meer Wasser genug hat, um ein Wollflöckchen zu benetzen, so lange die Sonne den Berg Thabir bescheint, so lange ein Kameel durch die Wüste trappt, so lange Abu Kubeis und der rothe Berg stehen und Mekka von Menschen bewohnt bleibt.“
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und der nur wegen seiner Freigebigkeit, besonders gegen Pilger, Hâschim (Brotbrecher) genannt wurde, und seinem Zwillingsbruder Abd Schems, von dem die Ommejjaden abstammen, und dessen Geschlechtslinie auch der Chalif Othman angehörte, floß schon bei ihrer Geburt Blut, denn sie waren an der Stirne zusammengewachsen und mußten durch ein schneidendes Instrument von einander getrennt werden. Dieser auf Feindschaft zwischen den beiden Brüdern deutende Zufall, fand seine Bestätigung nicht nur in den späteren Kriegen zwischen den Kureischiten unter dem Oberbefehle Abu Sosians, ein Urenkel des Abd Schems, und Mohammed, dessen Urgroßvater Hâschim war, und in denen, welche die Ommejjaden gegen Aliden und Abbasiden führten, welche ebenfalls von Hâschim abstammen, sondern Hâschim selbst ward schon von seinem Neffen Ommejja, dem Sohne des Abd Schems wegen seines hohen Ranges beneidet und zu einem Ehrenkampfe vor einem Priester aus dem Stamme Chuzaa herausgefordert 1). Da dieser Hâschim den Vorzug einräumte, so mußte Ommejja, der eingegangenen Wette zufolge, fünfzig schwarzäugige Kameele opfern und zehn Jahre außerhalb Mekka zubringen. Auch Hâschims Sohn, Abd Al Muttalib, wurde von den Söhnen des Abd Schems angefeindet, denn im Bunde mit ihnen entriß ihm sein Oheim Naufal das Recht, die Pilger zu bewirthen, und übte es so lange aus, bis die Beni Nadjar aus Medina, aus deren Familie Abd Al Muttalibs Mutter war, ihrem Verwandten Beistand leisteten 2). Abd Al Muttalib fiel es um so schwerer,
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1) Diese und die folgenden höchst wichtigen Nachrichten über die ersten Feindseligkeiten zwischen dem Hause Hâschim und Ommejja habe ich aus I. geschöpft.
2) „Abu Saad, Abd Almuttalibs Oheim, kam mit 80 Mann von den Beni Nadjar nach Mekka. Abd Almuttalib gieng ihm entgegen und wollte ihn in seine Wohnung führen; Abu Saad schwur aber, nicht eher zu ruhen, bis er Naufal zu Recht gewiesen. Als Abd Almuttalib ihm sagte, er habe ihn im Tempel bei den Häuptern der Kureischiten verlassen, begab sich Abu Saad mit seinem Gefolge zu ihnen. Naufal stand vor ihm auf und grüßte ihn. Abu Saad erwiederte: Gott gebe dir keinen guten Morgen! Dann zog er sein Schwert und fuhr fort: Bei dem Herrn dieses Heiligthums , ich färbe mein Schwert mit deinem Blute, wenn du meinem Neffen nicht zurückgibst, was ihm gebührt. Naufal mußte nachgeben und in Gegenwart der Häupter der Kureischiten auf seine usurpirten Rechte verzichten.“ I.
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das Ansehen seines Vaters zu behaupten, als er lange Zeit nur einen Sohn hatte. Auch ward er zum Gespötte, als er mit diesem einzigen Sohne, welcher Harith hieß, den Brunnen Zemzem wieder aufgrub, welchen der letzte König der Djorhamiden, vor der Eroberung Mekkas durch die Chuzaiten, verschüttet hatte. Als er endlich die alte Quelle wieder entdeckte und im Brunnen zwei goldene Gazellen, einige Waffen und andere kostbare Gegenstände fand, welche derselbe König darin verborgen hatte 1), forderten die Kureischiten ihren Antheil daran, und er war genöthigt, mit ihnen über deren Besitz vor dem Götzen Hobal zu losen 2). Diese und andere ähnliche
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1) Nach allen Berichten bei I. und Ch. sowohl, als im Sirat Arrasul bei de Sacy und bei Abulfeda hieß der letzte König der Djorhamiden Amru ben Harith, nur nach einer Stelle des Kitab Alaghani, welche H. Fresnel in einer Uebersetzung, im journal Asiat. (3me S., T. 6, S. 212) mittheilt, wäre Mudhadh der letzte König der Djorhamiden gewesen. Bei Ch. heißt auch der König, welcher die Djorhamiden vor dem Untergang warnte, Mudhadh; aber seine Warnung ging erst unter der Regierung seines Enkels in Erfüllung. Amru oder sein Großvater Mudhadh ist es auch, der in den bei Abulfeda angeführten Versen über seine Verbannung aus Mekka klagt. H. v. H. der (S. 18 seines Gemäldesaals, Bd. I.) diese, von ihm auch unrichtig übersetzten, Verse, Aamir dem Bruder Amrus zuschreibt, hätte wohl, wenn es kein Versehen von ihm ist, seine Quelle und Gründe für diese Behauptung angeben sollen.
2) Er machte drei Loose, eines für die Kaabah, eines für sich und eines für die Kureischiten. Die Gazellen kamen für die Kaaba heraus, die Waffen und andere Kostbarkeiten gewann er und die Kureischiten kamen mit einer Null heraus. Die Gazellen, welche zuerst im Tempel hiengen, wurden später, nachdem sie entwendet und wieder gefunden worden waren, als Beschläge zum Thore der Kaaba verwendet. I. Ch, u. S. fol. 14.
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Kränkungen vermochten ihn zu geloben, daß wenn Gott ihm noch zehn Söhne bescheeren würde, er einen derselben opfern wollte. Als er aber Vater von zwölf, nach Einigen von dreizehn Söhnen ward und diesem Gelübde zufolge seinen Sohn Abd Allah, Mohammeds Vater, opfern wollte, hielten ihn die Kureischiten von seinem grausamen Vorhaben ab, worauf er dem Ausspruche einer Priesterin zufolge hundert Kameele als Sühne schlachtete. Diese zwölf oder dreizehn Söhne, von denen wir hier nur noch Abbas, den Stammvater der Abbasiden und Abu Talib, Mohammeds Erzieher und Alis Vater erwähnen, vielleicht auch die im Brunnen Zemzem gefundenen Schätze, mochten Abd Al Muttalib wieder mehr Ansehen unter den Kureischiten verschaffen, denn er stand an ihrer Spitze, als im Geburtsjahre Mohammeds der Abyssinier Abraha, Statthalter von Jemen, mit einem christlichen Heere nach Mekka zog 1). Das alte Geschlecht der Könige von Jemen, welches
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1) H. v. H. a. a. O. S. 27 läßt nach Ibrahim Halebi, Abd Al Muttalib im 7. Jahre nach Mohammeds Geburt, als Gesandten nach Sanaa reisen, um dem Könige der Homeir, Seif Si Jesen zur Wiederoberung Jemens aus den Händen der Abyssinier Glück zu wünschen, und führt sogar einen Theil ihrer Gespräche an. Aber nicht nur dieses Gespräch, welches damit endet, daß Seif es bedauert, zur Zeit der Sendung Mohammeds nicht mehr am Leben zu sein, weil er sonst seine Residenz in Jathrib (Medina) aufschlagen würde, um ihm gegen seine Feinde beizustehen, sondern das ganze Factum, das zwar auch I. und Ch. für baare Münze geben, gehört in das Gebiet der Legende. Wie konnte Abd Al Muttalib im siebenten Jahre nach Mohammeds Geburt, also im J. 576 oder 578 Seif Dsu Jesen zur Wiedereroberung Abyssiniens Glück wünschen, die erst im Anfang des siebenten Jahrhunderts nach Chr. statt fand? Vergl. de Sacy im anges. mem. S. 544. Schlosser, Weltgesch. II. 1, S. 204 und die Beweise hierüber aus dem Zeitgenossen Procopius und andern Byzantinern, so wie aus Ludolf nach Abyssinischen und aus Assemani nach syrischen Quellen, bei Guthrie und Gray, deutsch v. Ritter V, 2. S. 284 u. ff. Selbst nach den Arabischen Nachrichten hat die Herrschaft der Abyssinier in Arabien 72 Jahre gedauert, wenn sie also gegen das J. 530 begonnen, so kann sie nicht vor 601 aufgehört haben. Seif gelangte übrigens wieder zur Regierung durch die Hülfe des Chosru Perviz (Chosroes II.), während Abdal Muttalib selbst nach H. v. H. in demselben Jahre, wie Chosroes I. starb. Ferner berichtet Ch. und I. nach dem Sirat Arrasul (fol. 12), Seif habe bei Numan, dem Statthalter von Hira, gegen die Christen Hülfe gesucht, und dieser habe ihn zu Chosru geschickt — dieß Alles mußte sich aber lange nach Abd Almuttalibs Tod zugetragen haben, denn Numan ward nicht vor 588 Statthalter. Wollte man übrigens auch gegen alle angeführten Beweise, um Abd Al Muttalibs Gratulationsreise möglich zu machen, Seif im achten Lebensjahre Mohammeds zur Regierung gelangen lassen, so kann doch Abrahas Zug nach Mekka nicht in Mohammeds Geburtsjahr gesetzt werden, was ebenfalls H. v. H. S. 23 als eine geschichtliche Thatsache annimmt, da zwischen Abraba und Seif, Jaksum siebzehn und Masruk zwölf Jahre in Jemen regierte. Offenbar war es daher den Arabern bei Erdichtung dieses Mährchens nur um das Finale zu thun, worin Seif aus geheimen Büchern Mohammeds Größe prophezeit, und da sie mit sich selbst in Widerspruch sind, so kann man wohl nicht länger sich besinnen, ob man ihren oder den griechischen Nachrichten über diese Begebenheiten folgen soll. Hingegen melden sie, übereinstimmend mit Procopius (de bello persico I, 20) , bei dem nur die Namen anders lauten, daß Abraba durch eine Empörung der Truppen an seines Vorgängers Ariats Stelle gesetzt ward, und zwar, nicht wie gewöhnlich angenommen wird, nach zwanzig, sondern nach zwei Jahren, was auch eher zu Procopius Worten χρόνω ού πολλϖ paßt; demnach müßte Abraha's Herrschaft fast 40 Jahre gedauert haben.
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sich im Anfang des vierten Jahrhunderts nach Chr. zum Judenthume bekehrt hatte, ward nämlich wegen seiner Grausamkeit gegen die Christen von Nadjran, von den Abyssiniern, den Glaubensbrüdern der Verfolgten, ohngefähr 40 Jahre vor Mohammeds Geburt, vom Throne verdrängt und in Sanaa, der Hauptstadt von Südarabien, ward eine Kirche gebaut,
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welche den Tempel zu Mekka noch an Pracht und Größe überstrahlte. Diese Kirche ward nach einigen von einem Mekkaner verunreinigt, nach andern in Brand gesteckt, worauf Abraha, der christliche Fürst von Jemen, mit einem starken Heere gegen Mekka aufbrach, um dessen Tempel zu zerstören. Die Mekkaner, die ihm nur wenig Truppen entgegen zu stellen hatten, verließen die Stadt und verschanzten sich im Gebirge. Abd Al Muttalib sorgte dafür, daß ihm das von Abrahas Truppen geraubte Vieh wieder erstattet wurde, überließ aber die Vertheidigung des Tempels Gott, dem er geweiht war. Als aber Abraha seinen Racheplan ausführen wollte, brachen die Pocken unter seinen Truppen aus und rafften den größten Theil derselben hinweg. Dieser Untergang der abyssinischen Armee, durch eine bis dahin in Arabien unbekannte Krankheit, welche vielleicht auch noch mit einem ungewöhnlich starken Hagelwetter zusammentraf, gab zu der auch in den Koran 1) aufgenommenen Sage Veranlassung: die Christen seien wegen ihres frevelhaften Unternehmens gegen die heilige Kaaba, von einem Schwarm Vögel, mit kleinen Steinchen durchbohrt und getödtet worden. Nach Abd Al Muttalibs Tod ging das Recht, die Pilger zu bewirthen, an seinen Sohn Abu Talib über, der aber bald so arm ward, daß er es seinem Bruder Abbas überließ, welcher dazu auch noch die polizeiliche Aufsicht über den Tempel erhielt 2). Die eigentliche Tempelhut sowohl, als der Vorsitz im Rathhause und das Recht die Fahne zu tragen, blieb aber unter den Söhnen Abd Dars und das noch wichtigere Feldherrnamt unter den Nachkommen des Abd
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1) Die 105. Sura.
2) Nach I. und Ch. war er beauftragt zu verhüten, daß Niemand im Tempel Spott- oder Liebesgedichte recitire. Um den Ueberblick über Mohammeds Geschlecht zu erleichtern, lasse ich hier das Verzeichniß seiner Ahnen folgen, mit Angabe derjenigen Seitenverwandten, die mit seinem Leben in enger Beziehung stehen. Ich beginne mit Fahr, welcher nach vielen Berichten zuerst den Beinamen Kureisch erhielt.
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Fahr
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Ghalib
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Luwei
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Kaab
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Murra Adij.
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Theim. Kilad |
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Saad. Zuhra. Kußei |
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Kaab. | Abd Aluzza. Abd Menaf. Abd Aldar. |
|Abd Menaf. | ____________________|____________________________________________ |
| | | Almuttalib. Naufal. Haschim. Abd Schems. |
Amru.Wahb. Asad. | | |
| | | Abd Almuttalib. Ommejja. |
Amir | Chuweilab. _______________|_________________________ ___________|_______ |
| Amina | Abu Talib. Abu Lahab. Abd Allah. Abbas. Hamza. Abu Aaß. Harb. |
Abu Kudafa. | | | | | |
| | | | Assan. Abu Sosian. Chattab.
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Abu Bekr. Chadidja. Ali. Mohammed. Othman. Muawia. Omer
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Scheins, so daß die Regierung der Stadt Mekka zur Zeit Mohammeds zwar in den Händen seiner Familie war, die Linie aber, der er angehörte, besonders nach seines Großvaters Abd Almuttalibs Tod, am wenigsten Antheil daran hatte. Ueber die angrenzenden Provinzen mochte wohl Mekka als Wallfahrtsort und bedeutende Handelsstadt großen Einfluß üben, nie aber eine eigentliche Herrschaft über die freien Wüstenbewohner geltend machen, eben so wenig als die Byzantiner, Sassaniden und Abyssinier, obschon sie im sechsten Jahrhunderte einen Theil des Nordens, den Südosten und Südwesten Arabiens unterjocht hatten. In Mittelarabien behaupteten auch jetzt noch die Söhne Ismaels die alte Freiheit und Unabhängigkeit, derer weder die mächtigen Pharaonen Egyptens, noch die alten Perser und Römer sie zu berauben im Stande waren. Denn fassen wir alles zusammen, was uns die klassischen Historiker über die glücklichen Unternehmungen fremder Eroberer gegen das Innere Arabiens berichten, von Sesostris und Cambyses bis zu Crassus, Aelius Gallus und Trajan, so ergibt sich daraus, was sich auch heutigen Tages in Algier wiederholt, daß es ihren disciplinirten Heeren allerdings leicht war, die zwar tapfern, aber ungeordneten und in der höhern Kriegskunst unerfahrenen Beduinenhorden zurückzuschlagen, daß diese aber damit noch keineswegs unterjocht waren, denn sie fanden stets in ihren Bergen oder Wüsten, wohin ihnen der Feind nicht folgen konnte, eine sichere Zuflucht, aus denen sie dann beim ersten günstigen Augenblick wie ein Blitz über die unwachsamen, zerstreuten oder Mangel leidenden Truppen herfielen. Je seltener aber die Araber der inneren Provinzen in fremde Kriege verwickelt waren, um so häufiger befehdeten sich die verschiedenen Stämme, in die sie getheilt waren, unter sich selbst. Die Rache einer individuellen Beleidigung ward bald ein Ehrenpunkt für den ganzen Stamm, dem der Gekränkte angehörte, an den sich dann auch noch häufig viele Bundesgenossen anschlossen. So verursachte ein
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Pferderennen 1) einen vierzigjährigen Krieg zwischen den Stämmen Abs und Dsubian, welcher den Namen der beiden Pferde Dahes und Gabra erhielt, und an dem auch der berühmte Dichter Antar Theil nahm. Ein verwundetes Kameel 2) ward die Veranlassung eines andern nicht minder blutigen, der Krieg von Basus genannt, zwischen den Stämmen Bekr und Taghlib. Bei diesem kriegerischen Zustande Arabiens war es daher höchst zweckmäßig für Handel und Gewerbe, sowohl als für geistige Kultur, daß vier Monate im Jahre, der erste 3), siebente, elfte und zwölfte von allen Bewohnern der Halbinsel als
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1) Keis aus dem Stamme Abs, wettete mit Hammal, aus dem Stamme Dsubian um hundert Kameele, daß sein Renner Dahes vor dessen Stute Gabra eine gewisse Strecke durchlaufen würde. Er war nahe daran die Wette zu gewinnen, als einige Freunde Hammals, welche sich in der Nähe des festgesetzten Ziels verborgen hatten, hervorsprangen und Dahes zurücktrieben, so daß Hammal vor Keis das Ziel erreichte. Als aber am folgenden Tage Hammals Neffe von Keis die hundert Kameele verlangte, durchbohrte ihn Keis mit seiner Lanze.
2) Kuleib hatte als Feldherr den Söhnen Maads, oder Abkömmlingen Ismaels, so viele Dienste gegen die Südaraber oder Söhne Kahtans, welche mehr als einmal ihre Herrschaft über ganz Arabien auszudehnen suchten, geleistet, daß er wie ein König verehrt ward. Er mißbrauchte aber bald seine Gewalt und erlaubte sich allerlei Ungerechtigkeit gegen seine Unterthanen. Unter Andern nahm er immer die besten Waideplätze für seine eigene Heerde in Anspruch, auch blieben die besten Quellen und Brunnen jedem Andern als seinen Günstlingen verschlossen. Eines Tages bemerkte er unter seiner Heerde ein fremdes Kameel — es gehörte einer Frau, welche Basus hieß, und war ohne ihren Willen Kuleibs Kameelen nachgelaufen — sogleich spannte er den Bogen und schoß ihm einen Pfeil in die Brust. Djassas, bei dem Basus sich aufhielt, tödtete Kuleib, worauf ihre Stammgenossen einander den Krieg erklärten, mem. de l'acad. des inscript. de Paris T. 50, S. 378 u. 392.
3) Nicht wie bei H. v. H. S. 104, welcher statt des ersten, den zweiten unter den heiligen Monaten zählt.
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heilig angesehen wurden und während derselben kein Krieg geführt werden durfte. So ward es allen heidnischen Arabern möglich, nach Mekka zu pilgern, dessen Tempel allen heilig war, so verschieden auch, wie wir in der Folge sehen werden, ihre Religionsansichten sein mochten, und die große Messe von Okaz, einer Stadt in der Nähe von Mekka, zwischen Taïf und Nachla und einige andere Handelsplätze zu besuchen, ohne einen Ueberfall von feindlichen Stämmen befürchten zu müssen. Von diesen vier heiligen Monaten war der elfte (Dsu‘l Kaada) der Zusammenkunft in Okaz bestimmt 1), und der zwölfte den Wallfahrtsceremonien in Mekka, von denen Mohammed einen großen Theil beibehielt, weil sie die Sage an seine Stammväter Abraham und Ismael knüpft. 2). Nur der erste Monat des Jahres, der letzte der drei auf einander folgenden heiligen Monate ward zuweilen, wenn die Araber zu viele Fehden unter sich zu schlichten hatten, um das Schwert ein Vierteljahr lang in der Scheide zu lassen, nach Vollendung der Wallfahrtsfeierlichkeiten auf den folgenden verlegt, bis Mohammed sich dagegen erklärte. Er hob indessen später dieses ganze Gesetz auf, indem er den Krieg unter Muselmännern zu jeder Zeit verbot, den gegen Ungläubige aber fortwährend gestattete. Der vierte vereinzelte heilige Monat, mitten im Jahre, war ganz besonders dazu geeignet, jeden längern Krieg zu unterbrechen, und während des harmlosen Zusammentreffens einen dauernden Frieden vorzubereiten. Was die ebenfalls von
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1) So bei Fresnel (lettre sur l'hist. des Arabes) nach dem Kamus. Bei I. wird hingegen berichtet, daß die Pilger den Monat Schawwal in Okaz zubrachten, dann zwanzig Tage in Madjannat, in der Nähe von Mekka, von hier bezogen sie die Messe von Dsu'l Madjaz bei Arafa, wo sie bis zum Pilgerfeste blieben.
2) Dahin gehört das Steinwerfen, zum Andenken an Abraham, der damit Satan vertrieb, welcher ihn abhalten wollte, seinen Sohn zu opfern; das siebenmalige Hin- und Herlaufen von Safa nach Merwa, was Hagar gethan haben soll, als sie mit ihrem Sohne Ismael Hunger und Durst litt; ferner der Ausruf der Pilger: wir gehorchen deinem Befehle, o Gott! u. a. m.
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Mohammed abgeschaffte Versammlung zu Okaz betrifft, so bestand sie nicht allein aus Kaufleuten, welche die Erzeugnisse des Ostens und Südens gegen die des Westens und Nordens vertauschten, sondern auch aus ritterlichen Dichtern, und das waren sie Alle in jener Zeit, welche ihre Heldenthaten den vereinigten Stammhäuptern unter dem Vorsitze eines Dichterkönigs in Versen vortrugen. Dieser literarische Congreß zu Okaz unterhielt einen edlen Wetteifer an Tugend und Beredtsamkeit unter den verschiedenen Stämmen Arabiens, denn die Schilderung eigener Tugenden oder des Stammes, zu dem der Dichter gehörte, bildete den Hauptstoff der in Okaz vorgetragenen Gedichte 1). Man mußte daher groß und edel handeln, um sich seiner Thaten in schönen Versen rühmen und den Preis erlangen zu können, der darin bestand, daß das gekrönte Gedicht mit goldnen Verzierungen an den Tempel zu Mekka geheftet werden durfte. Freilich hatten die Wüstenbewohner Arabiens vor Mohammed ganz eigene Begriffe von Ehre und Tugend, welche indessen von denen unserer Ritter im Mittelalter nicht sehr verschieden waren. Tapferkeit im Kriege, Großmuth gegen den Besiegten, Freigebigkeit und Gastfreundschaft gegen Arme und Fremde, Nachsicht und Langmuth gegen Stammgenossen, Geduld und Ausdauer im Unglück, gewissenhafte Erfüllung des gegebenen Worts, das waren die Eigenschaften, welche dem Beduinen bei seinen Landesgenossen Achtung verschafften, wenn gleich Diebstahl, Raub, Mord und Ehebruch auf ihm lasteten; diese Verbrechen wurden ihm nicht nur verziehen, sondern er durfte sich ihrer sogar rühmen, wenn er sie nur nicht gegen Stammverwandte und Verbündete ausübte 2).
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1) Dieß beweisen am besten die sieben Muallakett, sowohl als das berühmte Gedicht Schanfaras, und die Aascha's und Nabigha's, welche von Einigen auch zu den Muallakat gezählt werden.
2) Für die drei ersten bedarf es keines Beweises, das ganze Leben der Beduinen war damit ausgefüllt, Raub- und Kriegszug waren bei ihnen, wie auch noch bei Mohammed ganz identisch. Seines Glücks als Ehebrecher rühmt sich Amrulkeis im 14. und 15. Verse seines Gedichts. (Vergl. Amrul Keisi Moallakah ed. Hengstenberg, Bonn 1823, S. 19).
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Das höchste Ansehen genoß aber derjenige, welcher nicht nur alle diese Tugenden besaß, sondern sie auch lebendig und klar in gereimten Versen darzustellen und gut vorzutragen verstand. Ein solcher Mann war im letzten Jahrhunderte vor der Hidjrah gewissermaßen der König seines Stammes und hatte durch sein Wort den größten Einfluß auf den Volksgeist. Aascha brauchte nur in wenigen Versen die Gastfreundschaft eines armen Beduinen zu preisen und es war hinreichend, um dessen acht Töchtern an einem Tage Männer zu verschaffen. Auch schenkten die Kureischiten diesem Dichter hundert Kameele, als sie vernommen hatten, er wolle sich zu Mohammed begeben, nur um ihn zu bewegen, seinen Uebergang zum Islamismus um ein Jahr zu verschieben 1). Der Dichter vor Mohammed war auch zugleich der Anwalt seines Stammes bei innern Streitigkeiten, deren Schlichtung dem Spruche eines Schiedsrichters anheimgestellt wurde. So ward nach dem schon erwähnten vierzigjährigen Kriege, als ein neuer Zwist zwischen den Stämmen Bekr und Taghlib ausbrach, ein König 2)
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1) So bei de Sacy nach dem Kitab Alaghani und bei Sujuti zum Mughni (s. meine poetische Literatur der Araber, S. 49). Nach S. fol. 75 sagte er, als er hörte, Mohammed verbiete den Genuß des Weines: Bei Gott, das Gemüth wird doch oft dadurch erheitert, darum gehe ich und labe mich noch ein Jahr daran, dann kehre ich wieder und werde Muselmann.
2) Dieser König war Amru den Hind, der im J. 564 den Thron bestieg. Harith durfte, weil er aussätzig war, sich dem Könige nicht nähern und mußte sein Gedicht von einem Andern vortragen lassen; da er aber mit dessen Vortrag nicht zufrieden war, sagte er: obschon ich sehr ungern vor einem Fürsten spreche, der sich hinter sieben Vorhänge vor mir zurück zieht, will ich es doch der guten Sache willen, thun. Er hatte aber kaum begonnen, als die Königin, welche ihn hörte, ausrief: ich habe nie einen so beredten Mann gehört. Der König ließ hierauf eine Scheidewand wegnehmen. Da aber die Bewunderung der Königin immer stieg, ließ ihn Amru immer näher treten, aß zuletzt mit ihm aus einer Schüssel und fand sein Gedicht so erhaben, daß er ihm sagte: er sollte es nie recitiren, ohne sich vorher zu waschen, (Tibrizi in den mém. de I'acad. T. 50, S. 386).
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von Hira als Schiedsrichter und die beiden Dichter Amru und Harith, Ersterer von den Taghlibiten und Letzterer von den Bekriten, als Vertheidiger ihrer Stämme gewählt. Auch die Wahrsager Arabiens (Kahin im sing.), welche nicht nur über die Zukunft, sondern auch über vergangene Dinge Auskunft ertheilten, und zuweilen bei Streitigkeiten als Orakel galten, waren meistens Dichter oder Dichterinnen, die aber, um ihren Gedanken keinen Zwang anzuthun, wie Mohammed selbst später, eine poetische gereimte Prosa an die Stelle des metrisch gebauten Verses setzten. Dem Orakelspruche eines Wahrsagers, der für Eingebung unsichtbarer Geister angesehen ward, zogen die Araber zuweilen eine Entscheidung durch das Loos vor, welches zu Mekka im Angesichte Hobals, des größten Götzen der Kaaba geworfen ward. Hobal selbst hielt sieben Pfeile in der Hand; zwei derselben enthielten die Antwort ja und nein, und wurden bei jeder beliebigen Frage gebraucht 1); zwei die Worte „von euch“ und „nicht von euch“, wenn Ungewißheit über den rechtmäßigen Vater oder Stamm eines Kindes herrschte; zwei mit der Inschrift: (es befindet sich) „darin“ und „nicht darin“, wenn man wissen wollte, ob in einer Gegend Wasser zu finden. Auf dem siebenten befand
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1) Bei Zweifeln über das Gelingen einer Reise wurde auch der Flug eines Vogels beobachtet; wendete er sich zur Rechten, so durfte man sie ohne Sorge unternehmen, wendete er sich aber zur Linken, so war ein Unglück zu befürchten. Wünschte ein Gatte sich auf längere Zeit in die Fremde zu begeben, und bei seiner Rückkehr zu erfahren, ob seine Gattin ihm während seiner Abwesenheit treu war, so flocht er die Zweige eines Baumes auf eine eigene Weise zusammen; fand er sie bei seiner Heimkehr noch in demselben Zustande, so war er ihrer Treue gewiß, im entgegengesetzten Falle war sie ihm verdächtig. (Vergl. Pocock specimen hist. Arab. ed. White, S. 311 u. ff.).
Leben Mohammeds.
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sich das Wort „Verstand“ und entschied bei getheilter Ansicht über irgend eine Frage zu Gunsten desjenigen, mit dessen Namen er herauskam 1). Den Götzen Hobal soll Amru ben Lohai, der Gründer des Fürstenhauses der Chuzaiten, dem überhaupt die Einführung des Götzendienstes in Arabien zugeschrieben wird, aus Mesopotamien gebracht haben. Uebrigens betrachteten die Araber vor Mohammed ihre Götzen, welche theils Menschen- oder Thiergestalt hatten, theils aus rohen, von dem Tempel zu Mekka herrührenden Steinen bestanden, nur als Götter zweiten Ranges, hörten aber dabei nicht auf, an ein höchstes Wesen zu glauben, welches vor Mohammed schon Allahu taala genannt ward. Die bedeutendsten der vielen Götzen, welche theils im Tempel zu Mekka und um denselben, theils in andern Kapellen Arabiens aufgestellt wurden, und die man entweder für die Wohnung unsichtbarer Götter, oder für selbst von einem göttlichen Geiste belebte Wesen hielt, waren: Allat, Uzza und Mana, alle drei weiblichen Geschlechts, zu denen später noch Isaf und Naïla kamen, welche der Sage nach zwei versteinerte Sünder waren, die man nach einigen Berichten erst unter Kußai auf den Hügeln Safa und Merwa als Götter verehrte. Allen diesen, wahrscheinlich aus Syrien eingeführten Götzen, von denen der Eine diesem, der Andere jenem Stamme heiliger war, wurde aber nicht von sämmtlichen Bewohnern Arabiens gehuldigt, denn es hielten sich von der frühesten Zeit her viele Juden und Christen in diesem Lande auf, auch waren viele Urbewohner Arabiens Verehrer der Sonne, des Mondes und anderer Himmelskörper, während manche sich mehr zur Religion der Magier hinneigten, von der sich noch in den zum Theil von Mohammed sanctionirten Wallfahrtsceremonien, selbst nach der Deutung muselmännischer Interpretatoren , unverläugbare
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1) So bei I. Nach Pocock (a. a. O. S. 316) enthielten die Pfeile nur drei Antworten: Gott befiehlt es, Gott verbietet es, und unbestimmt.
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Spuren finden 1). Der Glaube an Unsterblichkeit der Seele scheint zwar bei den heidnischen Arabern keine tiefe Wurzel gefaßt zu haben, doch konnte er ihnen, nach den Einwanderungen der Juden und Christen, nicht mehr fremd sein und mußte wohl, wie dieß auch namentlich von Abd Al Muttalib 2) berichtet wird, bei manchen schon vor Mohammeds Sendung Eingang gefunden haben. Bei einigen Stämmen war es sogar Sitte, daß wenn jemand starb, man eines seiner Kameele auf seinem Grabe verhungern ließ, weil sie glaubten, daß es dann am Auferstehungstage wieder mit seinem Herrn zum Leben zurückkehren und ihm als Reitthier dienen würde. Ein anderer Volksglaube der Beduinen, der nämlich, daß aus dem Gehirne eines Erschlagenen sich ein Vogel bilde, welcher nach dem Blute des Mörders schreit, läßt auch wohl vermuthen, daß sie mit der Idee einer gewissen Seelenwanderung vertraut waren. Menschenopfer kamen vor Mohammed in Arabien entweder gar nicht oder doch höchst selten vor, doch mußten sie, wie dieß aus der schon erwähnten Erzählung von Mohammeds Großvater hervorgeht, als der höchste Beweis von Verehrung gegen die Götter und als ein Mittel ihre Huld zu erlangen, angesehen werden. Nicht so selten, obgleich von den Bessern ebenfalls getadelt, ward der Töchtermord, und zwar
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1) Dahin gehört besonders das schon erwähnte Steinigen des Satans.
2) Die Stelle bei I., nach Ibn Djuzi, lautet: „Abd Al Muttalib pflegte oft zu sagen: ein Uebelthäter geht nie unbestraft aus der Welt. Einst starb aber ein großer Bösewicht, dem vor seinem Tode gar nichts Schlimmes widerfahren war. Da sagte er: bei Gott! nach dieser Welt ist noch eine andere, wo der Gute belohnt und der Böse bestraft wird. Auch erkannte er in seinen letzten Jahren die Einheit Gottes an und lehrte Manches, was nachher durch den Koran zum Gesetze ward. Unter Anderm gebot er, daß man sein Gelübde halte und einem Diebe die Hand abschneide, auch verbot er den Wein, den Töchtermord, die Blutschande und die Buhlerei.“
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nicht um den Göttern ein Opfer zu bringen, sondern um sich selbst vor Armuth oder Schande zu bewahren geübt 1).
Manches ließe sich noch über die Zustände der Araber vor Mohammed hinzusetzen, doch genüge zum Schlüsse der Einleitung die allgemeine Bemerkung: daß Arabien im sechsten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung in religiöser und sittlicher sowohl, als in politischer Beziehung, tief gesunken und vielfach zersplittert war; daß es eben so sehr eines Propheten bedurfte mit einem reinern Glauben, zu dem sich das ganze Land bekennen, und mit einem Gesetze, das die rohe Gewalt verdrängen sollte, als eines Staatsmannes und Feldherrn, der dessen zersplitterte Kräfte zu vereinigen, und dessen kriegerischen Geist nach Außen zu lenken verstand. Nur dann begreifen wir, wie es einem Manne gelang, eine Religion zu gründen, zu der sich noch bei seinem Leben fast ganz Arabien bekannte, und ein Reich, das bald nach ihm an Macht und Ausdehnung dem römischen Weltreiche gleich kam. Dieser Mann war Mohammed.
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1) Letztere mochte ihnen wohl nicht selten zu Theil geworden sein, denn wie weit die Unsittlichkeit damals in Arabien gekommen war, beweist schon der Umstand, daß der älteste Sohn die hinterlassenen Frauen seines Vaters wie sein anderes Gut erbte (eine solche Blutschande beging Kinanab, einer der Ahnen Mohammeds), und daß die öffentlichen Häuser nicht nur geduldet, sondern sogar mit eigenen Fahnen als Kennzeichen versehen waren. Andere Mädchen wurden zuweilen von mehreren Männern zugleich unterhalten, und wenn sie ein Kind gebaren, ließen sie alle Männer kommen und wählten einen derselben als Vater. Amru, der Eroberer Egyptens, ist der Sohn eines solchen Mädchens, das außer Aaß, den es als Vater bezeichnete, noch Abu Sosian, Abu Lahab und Ommejja Ibn Challaf besucht hatten. I.
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Erstes Hauptstück.
Mohammeds Geburt und Erziehung. Tod seiner Eltern. Sein Großvater und sein Oheim. Reisen nach Syrien und Südarabien. Erster Feldzug mit seinem Oheim. Hirtenleben. Handelsreise für Chadidja. Vermählung mit derselben.
Mohammed, besser Muhammad (der Vielgepriesene), geboren im April 1) des Jahres fünfhundert ein und siebenzig nach Chr. war der Sohn des zum Opfer bestimmten Abd Allah, zehnter oder elfter Sohn Abdalmuttalibs, und Amina's 2), Tochter Wahbs 3), aus dem Geschlechte Zuhra, dessen Stammherr
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1) Dieses Datum nimmt auch de Sacy in den mem. de l'acad T. 48, p. 530 an. Den Tag wollte ich nicht näher bestimmen, da selbst die Muselmänner darüber nicht einig sind. Nach Abulfeda wäre Mohammed am 20. geboren, nach Ibn Hischam (S. fol. 18) den 12. Rabial-Awwal, also den 22. H. v. H. nimmt das Jahr 569 als das Geburtsjahr Mohammeds an und schreibt (S. 22): „S. de Sacy gibt den 20. April 771 als den Geburtstag Mohammeds an, was aber nicht sein kann, wenn Mohammed, der im Jahr 632 gestorben, 63 Jahre alt war, wie alle Biographen versichern.“ H. v. H. hätte aber bedenken sollen, daß wenn die Araber Mohammeds Lebensdauer bestimmten, sie dieß nach arabischen Jahren, d. h. nach Mondjahren thaten, von denen sich 63 ohngefähr auf 61 Sonnenjahre reduciren. (Vergl. Ideler, Handb. der mathematischen und technischen Chronologie, II. S. 499). S. auch Anm. 13.
2) Nach dem Kamus wie Sâhiba, also nicht Emine, wie bei H. v. H. (S. 21), selbst wenn man, nach türkischer Aussprache, das kurze fatha durch e wiedergeben wollte. Die Eigennamen sind fast durchgängig bei H. v. H. so unrichtig geschrieben, daß ich ihn in Betreff derselben gar nicht mehr citiren werde. So z. B. gleich in den nächsten Seiten: Abd Al Motallib für Abd Al Mottalib, Wehib (Aminas Vater und Oheim) für Wahb und Wuheib, Hadjim (der Hügel bei Mekka) für Hadjun, Kabis (der Berg bei Mekka) für Kubeis, Koßa für Kußai, Homeir für Himjar, Irwe für Urwa, Naaman für Nu'man etc. e.tc.
3) Ob Wahb noch lebte und Abd Al Muttalib bei ihm um Amina warb, oder nach dessen Tod bei ihrem Oheim Wuheib, darüber weichen die Nachrichten von einander ab, gewiß ist aber, daß Abd Menaf, Wahbs Vater nicht wie bei H. v. H. (S. 21) mit Abd Menaf, dem Großvater Abd Al Muttalibs verwechselt werden darf, denn nach allen Berichten war erst Kilab der Vereinigungspunkt von Mohammeds und Aminas Ahnen. Abd Menaf, der Vater Wahbs und Wuheibs, war der Sohn Zuhra's, Sohn Kilabs, während Abd Menaf, der Großvater Abd Al Muttalibs, ein Sohn Kußais war (I. und Ch. S. fol. 16 und Abulfeda ed. N. p. 2).
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Kilab, Kußais Vater war. Von seinen Eltern wissen wir sehr wenig; Abdallah wird als ein ausgezeichnet schöner und Amina als eine höchst tugendhafte Frau gepriesen. Von beiden sind zwar einige Gedichte erhalten, welche, wenn sie wirklich von ihnen wären, was aber sehr bezweifelt werden muß 4), auf einen gewissen Grad von Bildung hindeuten würden. Abdallah konnte indessen auf Mahommed gar keinen Einfluß ausüben, denn er starb schon zwei Monate nach dessen Geburt, oder gar zwei Monate vor derselben auf einer Reise nach Medina, wo er auch begraben ward. Er hinterließ ein Haus, eine abyssinische Sklavin, fünf Kameele, einige Schafe und nach einigen Berichten auch einen Sklaven 5). Trotz der
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4) Die Abd Allah's bei I. und Ch., in denen er die Anträge einer Wahrsagerin zurückweist, die ihm hundert Kameele für seine Umarmung anbot, weil sie wußte, daß er der Vater eines Propheten sein würde, sind gewiß ein späteres Machwerk, eben so die Aminas, in welchen sie Mohammed in ihrer Todesstunde als Propheten anredet. Zweifelhaft sind einige Verse, in denen Abd Allah den Adel seines Geschlechts preist und den Ruhm seines Vaters, so wie die, welche Amina bei Abd Allah's Tode gedichtet haben soll. Bekanntlich werden bei den muselmännischen Historikern schon Adam arabische Verse untergeschoben, man darf daher nie zu viel darauf bauen.
5) Abulfeda und nach ihm alle Europäer sprechen nur von fünf Kameelen und einer Sklavin; aber I. und Ch. erwähnen auch eine Heerde Schafe, ersterer Kilat Ghanam und letzterer Katiat Ghanam, eben so das Haus, in welchem Mohammed geboren ward , und das er bei seiner Auswanderung seinem Vetter Akil schenkte. Harun Arraschids Mutter, oder nach einigen seine Gemahlin Zubeida, ließ, als sie nach Mekka pilgerte, eine Moschee daraus bauen. Nur über den Sklaven, welcher Schukran hieß, und dem er nach dem Treffen von Bedr die Freiheit schenkte, sind die Meinungen getheilt, da Einige behaupten, er habe ihn nicht geerbt, sondern erst später von Abd Arrahman gekauft oder als Geschenk erhalten.
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vielen Wunder 6), mit welchen die Legende Mohammeds Geburt überschüttet, konnte daher Amina nur mit Mühe für ihr
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6) Was diese Wunder angeht, so werden sie zum Theil selbst von Muselmännern allegorisch gedeutet. Dahin gehört, daß Cosroes Palast sich spaltete, und vierzehn Zinnen herunterstürzten (nicht „stehen blieben“, wie bei H. v. H.), daß das heilige Feuer der Perser erlosch, die Götzen in den Tempeln zu Boden stürzten, die bösen Geister aus der Nähe des Himmels vertrieben wurden, wo sie die Engel belauschten, um den Wahrsagern von den göttlichen Geheimnissen Kunde zu bringen. Zwar wäre, da die Zahl vierzehn auf die noch folgenden persischen Regenten sich bezieht, allerdings die Deutung natürlicher, wenn so viele stehen geblieben wären, aber alle Quellen berichten das Gegentheil. Uebrigens nennt uns die Geschichte nach Cosroes I. nur noch neun, und wenn wir den Usurpator Bahram mitrechnen, zehn Könige und zwei Königinnen der Sassaniden. Ich übergehe einige andere Wunder, wie das Austrocknen des Sees von Sawa, die Ueberschwemmung der Wüste von Samawa, so wie auch Cosroes Traum und dessen Deutung durch Satih, worüber man das Weitere bei Gagnier und Abulfeda nachlesen kann, und theile lieber aus Ch. Einiges von dem mit, was Amina erzählt haben soll: Als meine Geburtszeit herannahte, besuchten mich Asia, die Gemahlin Pharaons und Mariam, die Schwester Moses mit einigen Huris, und reichten mir einen Trank, welcher wie Milch aussah und süßer war als Honig; alsbald öffnete Gott meine Augen, und ich sah drei Fahnen aufgepflanzt, die eine im äußersten Osten der Erde, die andere im Westen und die dritte auf der Kaaba. Sobald aber Mohammed zur Welt kam, verbreitete sich ein Licht über die ganze Erde, daß ich die Schlösser von Damaskus hell beleuchtet sah, dann ließ sich eine weiße Wolke herab, welche Mohammed umhüllte und eine Stimme rief: machet mit Mohammed den Kreis um die Welt und stellt ihn allen Engeln, Genien, Menschen und Thieren vor! Gebet ihm Adams Gestalt, Seths Wissenschaft, Noahs Tapferkeit, Abrahams Liebe (Gottes zu ihm), Ismaels Zunge, Isaks Wohlgefallen, Salechs Beredtsamkeit , Lots Weisheit, Jakobs Fröhlichkeit (bei Josephs Wiederfinden), Moses' Kraft, Hiobs Geduld, Jonas Unterwürfigkeit, Josuas Kriegskunst, Davids Stimme, Daniels Liebe (zu Gott) , Ilias' (einer der Ahnen Mohammeds) Ehrwürde, Johannes' Festigkeit und Jesus' Enthaltsamkeit. Die Wolke zog sich dann wieder zurück und ich erblickte drei Männer, von denen der eine eine silberne Kanne, der andere ein smaragdenes Waschbecken und der dritte ein weißes seidenes Tuch in der Hand hielt, in welches ein Siegel eingewickelt war. Sie wuschen ihn siebenmal, dann drückten sie ihm das Siegel des Prophetenthums auf den Rücken und hüllten ihn in das Tuch, das sie mitgebracht hatten u. s. w.
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vaterloses, im Verhältnisse zu den reichen Kaufmannssöhnen Mekkas unbemitteltes Kind, eine Amme finden 7). Erst als alle andere Kinder vergriffen waren, entschloß sich Halima, eine Frau aus dem Stamme Saad, welche mit vielen anderen Beduininnen nach Mekka gekommen war, um einen Säugling zu suchen, lieber Mohammed anzunehmen, als leer nach Hause zurückzukehren. Mohammed war indessen schon mehrere Monate alt, als er Halima übergeben wurde, denn die Ammen vom Lande pflegten nur zweimal im Jahre, im Frühling und im Herbste nach Mekka zu kommen. Vor Halima stillte ihn
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7) Die Mekkanerinnen , heißt es bei Ch., gaben ihre Kinder aufs Land, nicht nur um mehr Kinder bekommen zu können und sich besser zu conserviren, sondern weil sie sie dadurch vor manchen Krankheiten bewahrten, und glaubten, daß eine gesunde Landluft viel zur Entwicklung des Rednertalents beitrage. Mohammed sagte auch einst (S. fol. 21): Ich bin der beredteste von euch, denn ich bin als Kureischite geboren und bei den Beni Saad erzogen worden. Nach Burckhardt lassen die vornehmen Mekkanerinnen noch jetzt ihre Kinder auf dem Lande unter dem Zelte irgend eines Beduinen bis zu einem Alter von acht oder zehn Jahren.
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zuerst seine Mutter, dann Thuweiba, eine Sklavin seines Oheims Abu Lahab 8). Halimas Verhältnisse hatten sich — vielleicht durch die Geschenke, die sie von Mohammeds Familie erhielt — so sehr gebessert, daß sie, als Mohammed das zweite Jahr zurückgelegt hatte, und schon entwöhnt war, seine Mutter bat, ihn ihr noch zu lassen bis er stärker geworden. Amina, welche für ihr Kind die schlechte Luft und die Krankheiten Mekkas fürchtete, gab gerne ihre Einwilligung dazu. Nach einigen Monaten 9) indessen, als er krampfhafte Anfälle hatte,
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8) Seine Mutter soll ihn drei Tage, dann Thuweiba vier Monate gestillt haben, nach andern Thuweiba sieben Monate und seine Mutter einige Tage. Ist Abd Allah zwei Monate nach Mohammeds Geburt gestorben, so muß Mohammed, der im April geboren, wenigstens vier Monate in Mekka gestillt worden sein; denn nach allen Berichten war er Waise, als Halima ihn zu sich nahm, und diese kam doch mit den andern Beduininnen entweder im Frühling oder im Herbste. H. v. H. nemit (S. 25) die Sklavin Barakat (Baraka) als die erste Amme Mohammeds, aber sowohl bei Ch. als bei I. wird diese Tradition eine schwache genannt, die ein Europäer um so weniger hätte aufnehmen sollen, als Barakat damals noch unverheiratet war, und selbst nach I. nur durch ein göttliches Wunder hätte Mohammed stillen können. Wahrscheinlich, so wird bei I. und Ch. bemerkt, ward Barakat, welche nach Amina's Tod Mohammeds Pflegemutter war, hâdhina genannt, und da dieses Wort zuweilen auch Amme bedeutet, wurde sie fälschlich auch zu dessen Ammen gerechnet.
9) So ausdrücklich bei S. fol. 20 (ba'd makdamina bihi biaschhurin) nicht wie bei H. v. H. (S. 27). „Bis zum vollendeten dritten Jahre blieb Mohammed in den Händen Halima's unter den Beni Saad.“ Wie hätte Amina sich wundern können, daß er sobald zurückgebracht wird, wenn ihn Halima noch ein volles Jahr behalten hätte? Daß sie das erstemal nach zwei Jahren mit ihm zu seiner Mutter reiste, liest man ebenfalls bei S. a. a. O. Auch sind zwei Jahre die noch jetzt bei den Muselmännern festgesetzte Frist zum Entwöhnen der Kinder (S. Lane modern Egyptians, I, 59). Nur eine Tradition, die aber I. schon verwirft, gibt Mohammed, aIs ihn Halima zum zweitenmale seiner Mutter zurückbrachte, ein Alter von vier oder sechs Jahren.
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welche Halima bösen Geistern zuschrieb, reiste sie wieder mit ihm nach Mekka zurück. Am Thore verlor sie ihn aber, während sie ein Geschäft verrichtete, und erst nach langem Suchen, fand ihn Abd Almuttalib unter einem Baume in dem obern Theile der Stadt wieder 10). Amina war erstaunt, als Halima ihr sobald ihren Sohn zurückbrachte, nachdem sie doch gebeten hatte, ihn noch länger behalten zu dürfen; sie drang so lange in Halima, bis sie ihr den wahren Grund angab, den sie jedoch als zärtliche Mutter nicht gelten lassen konnte 11).
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10) Ch. u. S. fol. 21.
11) Dieser Vorfall erzeugte das Mährchen, nach welchem zwei Engel Mohammeds Brust spalteten, das schwarze Korn der Lust herauszogen und sie mit dem prophetischen Lichte füllten. Ein Mährchen, das mit der 94. Sura in Zusammenhang gebracht wird, die aber recht gut bildlich gedeutet werden kann. Manche Traditionen lassen ihm auch bei dieser Gelegenheit das Siegel des Prophetenthums aufdrücken, so daß man vermuthen könnte, es sei ihm von den Verletzungen, die er bei einem Anfalle erhielt, ein Mal auf dem Rücken geblieben. Das Wort „Ußiba,“ welches bei Abulfeda und S. (fol. 20) vorkommt, bedeutet überhaupt: von einem Unglück getroffen, tödtlich verletzt werden, wird aber besonders auch von epileptischen Anfällen gebraucht, von denen Mohammed, wie wir dieß aus arabischen Quellen bewiesen haben (S. journal asiat. Juillet 1842) heimgesucht war. Da Halima sein Uebel den Teufeln zuschreibt, und ihr Gatte bei S. a. a. O, sagt: ich fürchte, dieser Junge „Ußiba,“ bringe ihn seinen Leuten, ehe dieß merkbar wird, so zweifle ich nicht, daß hier von krampfhaften Anfällen die Rede ist. Gagnier läßt ihn (S. 91) fälschlich an einem hypochondrischen Uebel leiden und Noel des Vergers (S. 8) gar närrisch (atteint de folie) werden. (S. auch meine Anmerk. zu Mohammeds erster Offenbarung). Außer obigem Mährchen werden noch folgende Wunder auf Halimas Autorität erzählt:
1) Ihr Maulesel, welcher auf ihrer ersten Reise nach Mekka kaum die Kraft zum Gehen hatte, sprang beim Heimgehen, als Mohammed darauf ritt, mit einer solchen Schnelligkeit, daß alle andere Ammen, welche Halima begleiteten, nicht glauben konnten, daß es derselbe Maulesel sei, bis er ausrief: o ihr Frauen aus dem Stamme Saad! erwachet aus eurer Unwissenheit! Gott hat mich wieder belebt und mir neue Kraft gegeben, denn auf meinem Rücken befindet sich der Beste aller Propheten, der Herr aller Gesandten, der Vorzüglichste aller Vorangegangenen und Folgenden, der Liebling des Herrn der Welt.
2) So oft Schafe an Mohammed vorübergingen, verbeugten sie sich vor ihm.
3) Wenn er in der Wiege lag und dem Monde zuwinkte, neigte er sich zu ihm herunter.
4) Schon im 3. Jahre pflegte er den Knaben, die ihn zum Spiele aufforderten, zu sagen: Wir sind nicht dazu geschaffen.
5) Zu drei Monaten konnte er stehen, zu vier an der Wand und zu fünf schon frei, zu sechs ganz schnell und zu sieben schon auf der Straße laufen. Zu acht Monaten konnte er sich schon verständlich machen, zu neun mit vieler Leichtigkeit vollkommen richtig sprechen und zu zehn mit den Knaben Pfeile schleudern. Nach Andern rief er schon, als er zum erstenmale gestillt ward, aus: Gott ist der höchste, gepriesen sei er des Morgens und des Abends, es gibt nur einen Gott, heilig! heilig! Menschenaugen schlafen, er aber schläft und schlummert nicht. Das Sprechen gleich nach der Geburt hatte er mit Jesu und einigen anderen gemein, welche nach muselmännischer Tradition ebenfalls bald nach ihrer Geburt redeten. Jesu soll nach einigen sogar schon im Mutterleibe gesprochen haben. Als nämlich Joseph Marias Schwangerschaft erfuhr und sie fragte: Bringt denn die Erde Gewächse hervor, wenn sie nicht besäet worden? da soll er ihm zugerufen haben: geh und bete zu Gott, daß er dir den Verdacht verzeihe, der in dein Herz Eingang gefunden.
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Mohammed blieb nun bei seiner Mutter bis zu seinem sechsten Jahre. Da reiste sie mit ihm nach Medina, um seine Verwandten, die Beni Adijj, daselbst zu besuchen, aus deren Geschlechte Abd Al Muttalibs Mutter war. Auf ihrer Heimreise starb sie in Abwa 12), einem Orte, der etwas näher
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12) So bei I. und Ch. Auch Abulfeda (S. 11) und S. (fol. 21). Ueber ihren Begräbnißplatz sind die Nachrichten von einander abweichend, da einige auch Abwa nennen, andere den Hügel Hadjun bei Mekka. H. v. H. läßt sie (S. 27) in Medina sterben und am Hügel Hadjun (bei ihm Hadschim) begraben werden. Ersteres gegen alle Quellen, und letzteres im Widerspruche mit sich selbst; denn S. 123 liest man bei ihm: „Als sie (die Kureischiten) zu Abwa vorbeizogen, wollte Hind, die Gemahlin Ebi Sosians, die Tochter des in der Schlacht von Bedr von Hamsa erschlagenen Otbe, eines der rachsüchtigsten und blutdürstigsten Weiber, deren die Geschichte des Islams erwähnt, die Gebeine der Mutter Mohammeds aus dem Grabe aufwühlen u. s. w.“
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gegen Medina als gegen Mekka liegt. Die Sklavin Barakat pflegte ihn dann als Mutter, und brachte ihn seinem Großvater, Abd Al Muttalib, der ihn als Sohn zu sich nahm, und bald darauf wegen einer Augenkrankheit, die man in Mekka nicht heilen konnte, mit ihm zu einem Mönche reiste, der in der Nähe von Okaz wohnte und ihn von seinem Uebel heilte.
Als nach zwei Jahren auch sein Großvater Abd Al Muttalib in einem Alter von wenigstens zweiundachtzig Jahren 13) starb , nahm ihn sein Oheim Abu Talib zu sich 14). Diesen begleitete Mohammed auf einer Handelsreise nach Boßra, in einem Alter von zwölf, nach einigen aber schon von neun
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13) Abd Al Muttalibs Todesjahr wird von den Arabern in das des Cosroes Nuschirwan gesetzt. Dieß erwähnt auch H. v. H. S. 29; eben so daß Mohammed damals im achten Lebensjahre war. Da nun Nuschirwan bekanntlich im Jahr 579 starb (S. Rühs Handb. der Geschichte des Mittelalters, S. 136. Schlossers Weltgesch. II. 1, S. 195), muß doch Mohammeds Geburtsjahr nothwendigerweise in das Jahr 571, und nicht wie von H. v. H. in das Jahr 569 gesetzt werden.
14) Nach einigen Berichten bei I. und Ch. übernahm sein Oheim Zubeir einige Zeit die Vormundschaft; andere nennen diesen gemeinschaftlich mit Abu Talib seinen Pflegevater. Letzteres ist um so unwahrscheinlicher, da bald darauf berichtet wird: „Als Abu Talib nach Syrien reiste, wollte er Mohammed in Mekka lassen. Dieser hielt aber das Kameel an und sagte: wer soll sich in deiner Abwesenheit meiner annehmen?“
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Jahren. In der Nähe dieser Stadt wurde die Karawane, unter welcher sich Abu Talib und Mohammed befanden, von einem christlichen Mönche bewirthet, den einige Bahira 15), andere Serdjis oder Djerdjis (Georgius) nennen. Dieser fand so viel Wohlgefallen an Mohammed, und entdeckte so große Geistesgaben an ihm, daß er Abu Talib empfahl, ihn wohl in Acht zu nehmen, und ihm prophezeite, daß er zu einem ausgezeichneten Manne heranwachsen würde 16).
In seinem sechzehnten Lebensjahre begleitete Mohammed seinen Oheim Zubeir auf einer Handelsreise nach Südarabien,
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15) Bahira soll nach dem Sirat Al Zuhra bei Ch. früher Jude gewesen sein, dieß erklärt seinen doppelten Namen. Er hieß wahrscheinlich als Jude Bahir (XXXX oder YYYY), und nahm dann bei der Taufe den Namen Georgius an, den die Araber in Serdjis oder Djerdjis verwandelten. Dem sei, wie ihm wolle, so kommt in allen Quellen hier nur ein Mönch vor, über dessen Name und Wohnort — da einige die Stadt Boßra selbst als solchen bezeichnen (Abuls. S. 12, Sir. f. 22) , andere (bei Ch. und I.) ein Dorf, sechs Meilen von der Stadt entfernt — die Meinungen getheilt sind. Nur H. v. H. läßt (S. 30) die Karawane von den Mönchen Sergius und Bahira bewirthen. Als Grund der Einladung erzählt die Legende, Bahira habe Mohammed, sobald er in die Nähe seines Klosters kam, als einen zukünftigen Propheten erkannt, weil eine Wolke über seinem Haupte schwebte, die ihn überall beschatte, auch die Zweige der Bäume, unter denen er sich niederließ, sich zu ihm hinneigten, oder nach einer andern Leseart (tahassarat oder Achdhalat) zu grünen anfingen, u. dergl. m.
16) Nach Abulfeda, S. und andern warnte er ihn besonders vor den Juden. Aehnliche Warnungen kommen schon früher vor, sowohl bei seiner Geburt, als während seines Aufenthaltes bei Halima und seinem Großvater. Die Legende läßt ihn überall von Juden verfolgen, die seine Sendung aus ihren heiligen Büchern gewußt haben sollen, theils wegen der Kriege, die er später gegen sie zu führen hatte, theils weil ein vergifteter Braten, den ihm eine Jüdin gereicht, seinen Tod beschleunigt.
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und als er sein zwanzigstes Jahr 17) zurückgelegt hatte, wohnte er mit demselben Oheime und mit Abbas einem Kriege bei, welchen die mit den Beni Kinanah verbündeten Kureischiten gegen den Stamm Hawazin führten. Manche Biographen lassen ihn selbst mitkämpfen, oder wenigstens Pfeile gegen den Feind schleudern, nach andern aber reichte er nur seinen Oheimen Pfeile, und beschirmte sie gegen die des Feindes. Da dieser Krieg, oder wenigstens die erste feindselige Handlung, in einen heiligen Monat fiel 18), ward er der Lasterhafte genannt. Folgendes war die Veranlassung dazu: Nu'man, der Sohn Mundsirs, Statthalter von Hira, schickte eine Ladung Weihrauch und Getreide auf die Messe von Okaz, und vertraute sie dem Schutze Urwa's, ein Mann aus dem Stamme Hawazin, an. Barradh, ein Mann aus dem Stamme der Beni Kinanah, welcher zugegen war, als Nu'man seine Waaren
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17) Einige nehmen das fünfzehnte Lebensjahr an, die meisten aber das vierzehnte oder zwanzigste (I. Ch. S. fol. 23). Ich kann nicht anstehen, letzterer Meinung zu folgen, welche auch die Ibn Ishaks ist, da, wie wir gleich sehen werden, dieser Krieg unter der Regierung Nu'mans stattfand, welcher erst 588 den Thron bestieg. H. v. H. setzt (S. 31) gegen alle Quellen, diesen Krieg in Mohammeds siebenzehntes Lebensjahr.
18) I. behauptet, der Krieg selbst könne nicht in den heiligen Monaten stattgefunden haben, denn nach den meisten Berichten verfolgten die Hawazin die Beni Kinanah, als ihnen Kunde von dieser Mordthat zukam, bis an das heilige Gebiet, in der Nähe von Mekka; hier hielten sie aber ein, weil auf diesem Gebiete kein Blut vergossen werden durfte. Wären daher die heiligen Monate nicht zu Ende gewesen, so hätten sie ja, wenn sie sich doch an das Gesetz hielten, nicht wieder ein Paar Tage nachher Krieg führen dürfen. Gegen diese Beweisführung läßt sich zwar einwenden, daß entweder die Hawazin die Entweihung des mekkanischen Gebiets für eine größere Sünde hielten, als die in den heiligen Monaten Krieg zu führen, oder daß sie nicht aus Frömmigkeit, sondern aus einem andern Grunde, wahrscheinlich weil sie die Kureischiten fürchteten, den Feind nicht weiter verfolgten.
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Urwa übergab, und ihm dabei bemerkte, daß er namentlich die Beduinen der Provinzen Nedjd und Tehama fürchte, sagte zu diesem: wärest du auch wohl im Stande, sie gegen die Beni Kinanah zu schützen? Urwa antwortete : gegen die ganze Welt. Barradh machte sich sogleich auf den Weg, und überfiel Urwa in einem Augenblicke, als er in der Trunkenheit eingeschlafen war und tödtete ihn 19). Sobald die Nachricht von diesem Morde zu den Beni Hawazin gelangte, bekriegten sie die Beni Kinanah und verfolgten sie bis in die Nähe von Mekka. Die Kureischiten, an deren Spitze damals Harb, der Sohn Ommejjas, stand, nahmen sich ihrer Verwandten, der Beni Kinanah an. Nach einigen Gefechten, in welchen bald diese, bald jene die Oberhand behielten, ward der Friede durch ein von den Beni Kinanah entrichtetes Lösegeld wieder hergestellt. Unmittelbar nach Beendigung dieses Krieges, als ein anderer Mekkaner einem Kaufmanne aus Zebid das ihm schuldige Geld vorenthielt, und dieser vom Berge Kubeis aus nach Hülfe rief, verbanden sich die edelsten Mekkaner, welche nicht
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19) Die Veranlassung zu diesem Kriege habe ich wörtlich nach Ch. und I. erzählt. Bei H. v. H. (a. a. O.) liest man: „Der Anlaß war folgender: Der persische Statthalter zu Hira, Naaman B. Monser, der alljährlich Waaren auf den Markt von Okaz sandte, um sie dort für Safran von Taïf umzusetzen, vertraute die Karawane immer der Hut eines arabischen Stammes, diesmal dem Irwe aus dem Stamme der Beni Hewasin, zum Aerger des Beradh, aus dem Stamme der Beni Kenane, welcher der Sicherheit, so die Beni Kenane gewähren könnten, spottete, die Karawane am Flusse Surchab überfiel und ihn tödtete.“ Dieser Krieg ist der vierte lasterhafte; ich übergehe die drei vorhergegangenen, da doch Mohammed keinen Antheil daran nahm, und bemerke nur, daß H. v. H. S. 30 den zweiten dieser Kriege mit einem der in Medina zwischen Juden und Muselmännern, aus einer ähnlichen Veranlassung entstand, verwechselt; denn nur dort war der muthwillige Bube ein Jude, hier aber nach I. und Ch, ein Mann aus dem Stamme Kinanah, der nichts mit den Juden gemein hatte.
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dulden wollten, daß die Unverletzlichkeit ihrer Stadt Gewalttätern zu Nutzen komme, und schwuren bei Gott, mit vereinten Kräften jedem Unterdrückten gegen den Uebermuth der Gewaltigen beizustehen. Dieser Versammlung 20), an deren Spitze Zubeir stand, wohnte auch Mohammed bei; er freute sich dessen noch in seinen spätern Jahren, und erklärte sich noch immer bereit, gegen jeden Gewaltthäter in Mekka das Schwert
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20) Sie ward in dem Hause des wegen seiner Freigebigkeit und seiner unermeßlichen Reichthümer berühmten Abd Allah ben Djudsan (so bei I. und Ch. im Kamus Abd Arrahman ben Djudan) einem Vetter Aïschas, der spätern Gemahlin Mohammeds, gehalten. Dieser Abd Allah soll in seiner Jugend ein so lockeres Leben geführt haben, daß er von seiner Familie und seinem ganzen Stamme verstoßen ward. Einst irrte er, das Leben verwünschend, im Gebirge umher, als er in einer Höhle ungeheure Schätze entdeckte, welche eine Schlange bewachte; da er aber den Tod nicht fürchtete, ging er auf sie zu, und fand, daß sie aus Gold war und diamantene Augen hatte, so daß sie wie eine natürliche Schlange aussah. Bei den vielen Kostbarkeiten fand er auch eine marmorne Tafel mit der Inschrift : „Ich bin Nuphaila, Sohn Djorhams, Sohn Kahtans, Sohn des Propheten Hud; ich habe mein ganzes Leben hindurch Reichthümer gesammelt, sie konnten mich aber nicht vom Tode retten.“ Im Besitze dieser Schätze ward es ihm um so leichter, sich mit den Seinigen zu versöhnen, als er auch von nun an einen tugendhaften Lebenswandel führte, und sie zu edlen Zwecken gebrauchte. Die Schüssel mit Speisen und Getränken, welche vor seiner Thüre stand, war so groß, daß sie Mohammed auf dem Feldzuge von Bedr Schutz gegen die Sonnenhitze gewährte, und daß ein Mann auf seinem Kameele ohne abzusteigen, daraus essen konnte. Auch soll Aïscha einst ihren Gatten gefragt haben: Wird wohl Abd Allah, der so viele Arme gespeist, so viele Gäste bewirthet und so viel Edles vollbracht, am Auferstehungstage dafür belohnt werden? worauf Mohammed antwortete: Das Alles wird ihm nichts nützen, denn er hat nie ausgerufen: Gott verzeihe mir meine Sünden am Gerichtstage!“ Mit andern Worten: er war kein Muselmann.
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zu ergreifen, wenn ein Unterdrückter ihn als Bundesgenossen 21) dazu aufforderte 22).
Wir hören nun nichts mehr über Mohammed bis zu seinem fünfundzwanzigsten Jahre, wenn nicht, daß er einige Zeit als Hirt in der Nähe von Mekka lebte, und vom Lohne, den er als solcher von den Mekkanern erhielt, sich seinen Lebensunterhalt verschaffte 23), und daß er später in Gemeinschaft mit
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21) Der Bund, der hier geschlossen ward, heißt Hilf Alfudhûl. Ueber die Bedeutung von fudhûl sind die Meinungen verschieden, entweder es heißt: der Bund gegen die Gewaltthat, oder ähnlich dem, welchen drei Manner, mit Namen Fadhl, schon früher gestiftet hatten, oder weil die Stifter das Uebrige ihres Vermögens den Gästen opferten, oder weil unter ihnen selbst drei thätige Männer Fadhl hießen, oder endlich wäre den Verbündeten dieser Name von denen, die keinen Antheil daran genommen, gegeben worden, indem sie gleichsam sagten : die Leute mischen sich in Dinge, die sie nichts angehen.
22) I. bemerkt, daß zwar ein solcher Aufruf im Islam verboten (weil natürlich das Gesetz an die Stelle der Selbst- oder Verbündetenhülfe getreten ist (so bei S. fol. 260), doch findet hier eine Ausnahme statt, weil der Zweck des Bundes ein so edler war.
23) Dieser, so viel ich glaube, noch von keinem Europäer beachtete Umstand, der doch für die Lebensgeschichte Mohammeds von sehr großer Bedeutung ist, wird von I. und Ch. aus dem Sirat Mughlatai und dem Buchari berichtet. Aus letzterem auch in einer Randglosse zu S. fol. 20. Wie lange er dieses Hirtenleben führte, wird nicht angegeben, doch läßt sich schon daraus, daß es seinen Nahrungszweig bildete, schließen, daß es von einiger Dauer war. Ferner spricht noch dafür, daß eine Tradition es den Begebenheiten seines dreizehnten Lebensjahres zuzählt, und eine andere, denen seines einundzwanzigsten. Man darf also wohl um sie zu vereinigen, annehmen, daß er zu verschiedenen Lebensepochen die Weide besuchte. Der Ort heißt bei den einen Adjjad, es ist der Abhang in der Nähe von Mekka, dessen Name von den Pferden, mit welchen Sameida gegen Mudhadh heranzog , abgeleitet wird (S. journal Asiatique, T. VI. P. 198), bei andern kararît, das aber manche nicht für einen Ortsnamen, sondern für den plur. von kirât nehmen, und die Tradition so deuten: Mohammed führte die Schafe der Bewohner Mekkas auf die Weide für Karate (ala kararit), was um so wahrscheinlicher ist, da kein Ort dieses Namens bekannt ist. Doch dem sei wie ihm wolle, so bleibt immerhin das Factum unbestritten, daß Mohammed einige Zeit als Schafhirt gelebt, und es wird sogar ein großer Werth darauf gelegt, daß er auch darin Moses und andern Propheten glich. Die Verschiedenheit der Traditionen betrifft nur den Namen des Ortes, des Geldes, für welches, und der Leute, deren Schafe er auf die Weide führte.
Leben Mohammeds.
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einem Manne, welcher Saïb hieß, mit Leinwand handelte 24), und als Kaufmann den Markt von Hajâscha 25), sechs Tagreisen südlich von Mekka, besuchte. Hier ward er mit Hakim, dem Sohne Chuzeimas (oder Chizams) bekannt, der ihn seiner Tante, der reichen und angesehenen Wittwe Chadidja, welche, wie Mohammed, von Kußai abstammte 26), als einen redlichen, aufrichtigen jungen Mann empfahl, der seiner Ehrlichkeit und Biederkeit willen den Beinamen Amin (der Zuverlässige) erhalten. Außer seinem guten Namen scheint aber auch der für
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24) Auch dieses bisher noch in Europa unbekannte Factum, wird von I., nach dem Ujun Alathr von Hafiz Abul Fath, berichtet, und erklärt, wie Chadidja auf den Gedanken kam, Mohammed in ihren Dienst zu nehmen, und warum sie ihm doppelten Lohn zugesagt.
25) Hajascha soll nach einigen bei I. auch Djorasch geheißen haben, wohin er später noch für Chadidja zwei, oder nach einigen drei Handelsreisen gemacht. Es ist ein Dorf in Jemen, wo eine dreitägige Messe anfangs Radjab gehalten wurde, und wo die Mekkaner ihre Leinwand einkauften.
26) Ihr Vater hieß Chuwailad, Sohn Asads, Sohn Abd Al Uzzas, Sohn Kußais. Nach I. hatte sie zuerst Atik, den Sohn Abids oder Ajids geheirathet, und dann Hind, welcher von seinem Sohne Halat den Beinamen Abu Halat (Vater Halats) führte. Diesem gebar sie noch einen Sohn, welcher Hind hieß, und ihrem ersten Gatten eine Tochter gleichen Namens. Bei Ch. werden noch verschiedene andere Traditionen angeführt, in welchen sowohl die Namen, als das Geschlecht und die Zahl ihrer Kinder von den frühern Ehen anders lauten.
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einen Kaufmann damals wenigstens noch zu wahrhaftige Mohammed nichts erworben zu haben, denn nach einem Hungerjahre, welches das fünfundzwanzigste seines Lebens war, sah er sich genöthigt, dem Rathe seines Oheims, Abu Talib, zu folgen und sich Chadidja, welche gerade damals viele Waaren nach Syrien sandte, als Geschäftsführer anzubieten. Chadidja war ihrerseits so froh, einen sichern Mann, wie Mohammed, an die Spitze ihrer Karawane stellen zu können, daß sie ihm gerne doppelt so viel Lohn zusagte, als sie andern zu gewähren pflegte, und zwar nach einigen zwei Kühe, nach andern zwei weibliche Kameele. Mohammed brachte so großen Gewinn von seiner Reise zurück, und Meisara, Chadidjas Sklave sowohl, als Cbuzeima, ihr Verwandter, welche ihn begleitet hatten, erzählten ihr so Außerordentliches von seinem Glück und seiner Gewandtheit, daß sie ihm das Doppelte des Versprochenen schenkte, und ihn kurz nachher mehrere andere Reisen nach dem südlichen Arabien machen ließ 27). Ihre Achtung und Liebe zu Mohammed erreichte aber bald einen solchen Grad, daß sie ihm trotz der großen Verschiedenheit des Alters, da sie nach den meisten Berichten damals schon vierzig 28),
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27) Natürlich werden bei den muselmännischen Biographen auch von dieser Reise wieder manche Wunder erzählt. Mohammed trifft in Boßra abermals mit einem Mönche zusammen, welcher Nestor hieß. Dieser erkennt ihn wieder als Propheten, weil er nicht bei den Götzen der Kaaba schwören will, weil er eine gewisse Röthe in seinen Augen hatte, die nur Propheten eigen ist, weil eine Wolke, oder zwei Engelsfittige ihn überall beschatten, und weil ein verdorrter Baum, unter den er sich gesetzt, plötzlich zu grünen und zu blühen anfing , und bald darauf sogar reife Früchte hervorbrachte. Auch heilte er auf der Reise zwei Kameele, welche nicht mehr vorwärts wollten, dadurch, daß er die Hand auf ihre Füße legte , worauf sie dann stets die Vordersten von der Karawane waren. Chadidja sah von ihrer Terrasse aus, wie ihn bei seiner Rückkehr zwei Engel mit ihren Fittigen beschatteten und dergl. mehr.
28) Nach einer andern Tradition war Mohammed damals gerade 25 Jahre alt, nach andern 29, 30 oder 37. Chadidja hingegen 28, 30 oder 45.
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Mohammed aber nur ein Paar Monate über fünfundzwanzig Jahre alt war, und trotz der Einreden ihres Vaters, welcher keinen armen Waisen zum Eidam haben wollte, dennoch durch die Vermittelung einer Sklavin 29), oder seines Oheims, ihre Hand anbieten ließ. Da Mohammed weit entfernt war, einen solchen Antrag auszuschlagen, ward die Trauung an dem dazu festgesetzten Tage förmlich vollzogen. Chadidja ließ eine große Mahlzeit zubereiten, und lud dazu ihren Vater und ihre übrigen Verwandten, Mohammed, seine Oheime Abu Talib und Hamza und einige andere Kureischiten ein. Ersterem schenkte sie dann so lange Wein ein, bis er im Rausche seine Einwilligung zu ihrer Verbindung mit Mohammed gab 30). Als die Gäste beisammen waren, nahm Abu Talib als Vormund Mohammeds das Wort und sprach: „Gelobt sei Gott, der uns aus dem Geschlechte Abrahams, aus dem Samen Ismaels, aus dem Schachte Maads und dem Stamme 31) Mudhars entspringen ließ, der uns zu Beschützern seines Hauses und Wächtern seines Heiligthums eingesetzt, der jenes zu einem
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29) Sie hieß Nasisa, und soll Mohammed gefragt haben: Mohammed! warum heirathest du nicht? Er antwortete: ich habe nicht die Mittel dazu. „Wenn dich aber eine reiche Frau heirathen wollte, welche zugleich schön und von hoher Ankunft ist?“ Und wer ist die? „Chadidja,“ Wie ist das möglich? „Laß nur mich gewähren.“ Sie brachte dann Chadidja Mohammeds Antwort, worauf diese ihm eine Stunde bestimmte, wo er sie besuchen sollte. Nach einer andern Tradition war Meisara der Liebesbote Chadidjas.
30) Nach einigen Berichten (S. fol. 273) lebte damals Chuweilad nicht mehr, sondern ihr Oheim oder Bruder Amru und ihr Vetter Waraka, der Sohn Naufals, vertraten die Stelle des Vaters bei ihr.
31) Mudhar ist der Sohn Nizars, Sohn Maads, der siebenzehnte Ahnherr Mohammeds, dem einige schon den Beinamen Kureisch zuschreiben wollen. Diese Worte fehlen bei Gagnier und H. v. H.
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Wallfahrtshause 32), dieses zu einem sichern Zufluchtsorte, und uns zu Richtern über die Menschen bestimmt. Dieser, mein Neffe Mohammed, der Sohn Abdallahs, der jeden Mann aus Kureisch (an 33) Seelen- und Geschlechtsadel, Tugend und Verstand) überwiegt, wenn auch arm an Gut, das nur ein wandelbares Ding, ein vergänglicher Schatten (ein Anlehen, das wieder erstattet werden muß), Mohammed, dessen Verwandtschaft Ihr wohl kennt, hat geworben um Chadidja, die Tochter Chuweilads, und ihr von meinem Vermögen (als Morgengabe), theils gleich gegeben 34), theils versprochen, so und so viel (zwölf und ein halb 35) Okk). Und bei Gott, er 36)
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32) Statt dieser bei Gagnier ganz fehlenden Worte, heißt es bei H. v. H. (S. 34) „der uns das Haus verschleiert“, er hat wahrscheinlich „mahdjub“ für mahdjudj gelesen, welches doch einen bessern Sinn gibt.
33) Alles Eingeklammerte ist aus I. hinzugesetzt, während das Uebrige aus Ch. übersetzt ist.
34) Bei H. v. H. a. a. O. „Und ihr versagt, was er besitzt an Gut, gleich oder später fälligem.“ Die Worte des Textes lauten : „ma adjalahu waâdjalahu“ (ersteres mit Alif, letzteres mit Ain).
35) Das Okk betrug 40 Dirham, also im Ganzen 500, nicht wie bei Ch. 400 Drachmen. Nach andern betrug die Morgengabe zwölf Kühe, nach S. (fol. 24) zwanzig Kühe. Vielleicht, bemerkt I. ganz richtig, war das Geld von Abu Talibs, und die Kühe von seinem eigenen Vermögen.
36) Der Text lautet bei I. und Ch.: wahuwa wallâhi baad hadsa lahu nab'un azimun wachatarun djalîlun djasîmun. Dieß übersetzt H. v. H. „Und dieß ist bei Gott große Kunde und wichtiges Geschäft.“ Der Sinn nach meiner Uebersetzung, für welche das wahuwa und lahu spricht, wäre: durch diese reiche Heirath wird Mohammed einer der angesehensten Männer Mekkas werden, oder, wenn diese ganze Rede ein späteres Machwerk ist, was ich deshalb vermuthe, weil sonst nicht recht begreiflich wäre, warum diese Verwandten, welche alle von Kußai abstammen, so viel Schönes über ihr Geschlecht aufzutischen brauchen, so könnten diese Worte eine Hindeutung auf Mohammeds künftige Größe sein, wie man sie häufig in den Legenden findet. Daß nab'un die Bedeutung von irtifaun und chatar die von kadarun hat, findet man im Kamus.
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wird nunmehr einen großen Rang und eine hohe mächtige Stellung einnehmen.“ Waraka, der Sohn Naufals, antwortete hierauf: „Gelobt sei Gott, der uns gestellt, wie du gesagt und uns ausgezeichnet durch das, was du erwähnt. Wir sind die Herrn der Araber und ihre Führer, und Ihr seid aller dieser Vorzüge würdig. Nicht die Geschlechtsverwandten (kein Araber) läugnen eure Vortrefflichkeit und kein Mensch verwirft euern Adel und euern Ruhm (darum wünschen wir uns mit demselben zu verbinden). So bezeuge mir, Gemeinde Kureisch! daß ich Chadidja, die Tochter Chuweilads, mit Mohammed, dem Sohne Abd Allahs, gegen eine Morgengabe von 400 Dinaren vermähle.“ Abu Talib 37) wünschte, daß Chadidjas Oheim gemeinschaftlich mit Waraka die Trauungsformel ausspreche, worauf Amru wiederholte: Bezeuge mir, Gemeinde Kureisch! daß ich Mohammed, dem Sohne Abd Allahs, Chadidja, die Tochter Chuweilads, zur Frau gebe.
Mohammed ließ dann vor seiner Thüre ein Kameel schlachten und den Armen vertheilen; des Abends wurde wieder ein Mahl gegeben 38), nach welchem Chadidjas Sklavinnen tanzten und Cymbel spielten. Aus dieser Ehe hatte Mohammed nach sämmtlichen Traditionen einen Sohn, welcher Kasim hieß, weßhalb er den Beinamen Abul Kasim (Kasims Vater)
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37) Diese Worte fehlen bei H. v. H., welcher daher Abu Talib statt Chadidjas Oheim diese Formel noch einmal wiederholen läßt, was ganz überflüssig und gegen allen Gebrauch wäre.
38) Daß Chadidja vor Mohammed ein mit Safran gefärbtes Kleid ausbreitete, wie H. v. H. berichtet, habe ich nirgends gefunden; wohl aber bei I. und Ch., daß sie ein solches ihrem Vater angezogen, wobei bemerkt wird, daß es Sitte war, daß die Braut damit in der Hochzeitsnacht ihren Vater beschenkte. Es wird dann noch hinzugesetzt: Als Chuweilad aus seinem Rausche erwachte, war er ganz erstaunt darüber, und wollte sogar die Heirath als ungültig erklären.
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erhielt, und vier Töchter, deren Namen: Zeinab, Rukejja, Um Kolthum 39) und Fatima. Erstere beirathete ihren Vetter, Abul Aaß, die beiden mittleren wurden zuerst mit zwei Söhnen Abu Lahabs 40), und dann nach einander mit dem spätern Chalifen Othman vermählt, und letztere, die einzige durch welche Mohammeds Geschlecht sich verewigte, mit dem nachherigen Chalifen Ali. Nach andern Traditionen gebar Chadidja noch sechs 41) Söhne, welche: Tajjib, Tahir, Abd Menaf, Abd Allah, Mutajjab und Mutahhar hießen, und alle, so wie auch der älteste, Kasim, in zarter Jugend starben. Mohammed fuhr fort, als Kaufmann zu leben 42), büßte aber nach und nach sein erheirathetes Vermögen ein 43); hingegen war er von so anerkannter Biederkeit, daß er häufig bei Streitigkeiten unter den Mekkanern zum Schiedsrichter ernannt ward. Als solcher trat er auch nach den meisten Berichten, und zwar dießmal nur zufällig, in seinem fünfunddreißigsten Lebensjahre 44) auf, als die
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39) Um Kolthum (Mutter Kolthums) ist nur ein Beiname, ihr Eigenname ist nicht bekannt. Nach S. (fol. 24) war Rukejja die Aelteste.
40) Nicht Abu Lahab selbst, wie bei H. v. H. S. 113. I. und Ch., der eine hieß Otba und der andere Uteiba.
41) S. (fol. 24) erwähnt außer Kasim nur die beiden erstgenannten Söhne.
42) Darüber folgende Stelle bei I.: Mohammed kaufte und verkaufte auch noch als Prophet; nur besorgte er als solcher mehr Einkäufe als Verkäufe. Selbst nach der Hidjrah finden wir ihn noch häufig als Käufer, aber nur dreimal als Verkäufer.
43) Dieß habe ich aus I. entnommen, der bei der Verschiedenheit der Meinungen über Mohammeds Aufenthalt in der Höhle des Berges Hara sagt: Er konnte nicht einen Monat anhaltend darin verweilen, denn er befand sich in keinen so günstigen Vermögensumständen, um auf einen Monat Lebensvorrath mitnehmen zu können. Auch mußte Abu Bekr bei seiner Auswanderung aus Mekka die Reisekosten vorstrecken.
44) S. fol. 25. Nach andern Traditionen bei I, und Ch. war er damals erst 23 Jahre alt.
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Stammhäupter Mekkas beim Wiederaufbau 45) des durch einen Brand und eine darauf folgende Ueberschwemmung zerstörten Tempels, mit einander um den Vorzug stritten, wer von ihnen den heiligen schwarzen Stein wieder an seine frühere Stelle bringen sollte. Er wußte den Streit zur allgemeinen Zufriedenheit zu schlichten, indem er ihn auf ein Tuch legte, das er von den vier Prätendenten an dessen vier Ecken aufheben ließ, und ihn dann selbst wieder einmauerte.
Wir hören nun in den nächst folgenden fünf Jahren von Mohammed nichts weiter, als daß er immer mehr die Einsamkeit liebte, und sich daher manche Tage, theils allein, theils mit Chadidja, in eine Höhle des Berges Hara zurückzog, in der er auch, dem Beispiele seines Großvaters Abd Almuttalib folgend, den ganzen Monat Ramadhan, mit frommen Handlungen beschäftigt, und in religiöse Betrachtungen versunken, zubrachte 46). Hier mochte er über die verschiedenen herrschenden
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45) Nach muselmännischer Tradition ward die Kaaba zuerst von Engeln oder von Adam, dann von Abraham und Ismael gebaut, hernach von den Amalekiten und später von den Djorhamiden wieder vergrößert. Dießmal lieferte ein bei Djidda gestrandetes Schiff die Baumaterialien dazu, und ein griechischer Baumeister, welcher Bakum hieß, leitete den Bau. I. und Ch. geben hier die verschiedenen Sagen vom schwarzen Steine. Adam brachte ihn mit aus dem Paradiese; während der Sündfluth blieb er im Berge Kubeis verborgen. Ein Engel brachte ihn Abraham wieder, als er die Kaaba baute. H. Fresnel zweifelt, ob es ein roher Stein ist, oder ob er Menschengestalt hat, und neigt sich zu letzterer Ansicht hin (s. journal Asiat. 3me série, T. VI. S. 205). Folgende Stelle aus I. und Ch. läßt mich das Gegentheil glauben: „Der schwarze Stein war ursprünglich ein Engel, der Adam im Paradiese bewachen sollte, und von Gott nach Adams Sünde in einen Stein verwandelt ward. Er wird aber am Auferstehungstage sich mit Hand, Ohren, Zunge und Augen erheben , und den frommen Pilgern als Zeuge beistehen.“
46) Daß Mohammed nicht nur während des Monats Ramadhan, wie bisher nach Abulfeda von allen Europäern berichtet worden, sondern auch sonst im Jahre manche Tage in der Höhle des Berges Hara zubrachte, wird ausdrücklich von I. bemerkt: „Mohammed pflegte mehrere Nächte nacheinander in der Höhle Hara zuzubringen, manchmal drei, manchmal neun, zuweilen den ganzen Monat Ramadhan, oder sonst einen.“ (Au Ghairahu). Derselbe citirt auch eine Stelle aus Ibn Alathir, die man auch bei S. fol. 36 findet, nach welcher schon Mohammeds Großvater im Ramadhan den Berg Hara bestieg, und daselbst die Armen speiste. Das Gleiche, so fährt I. fort, that jetzt auch Mohammed, zog sich aber dann zurück, war andächtig und verehrte Gott nach der Weise Abrahams, dessen Glauben er befolgte, bis er selbst zum Propheten erkoren ward. Die letzten Worte dieser Stelle, für welche auch viele Verse des Korans zeugen, machen die im Texte folgenden Vermuthungen zur Gewißheit.
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Religionen seiner Zeit nachgedacht, und die an ihnen haftenden Mängel entdeckt haben. Leicht konnte er, auf seinen Reisen sowohl, als in Arabien selbst, wo sich zahlreiche Juden 47) und Christen aufhielten, mit dem Juden- und Christenthum bekannt worden seyn, ohne gerade die heilige Schrift selbst gelesen zu haben. Durch seinen Umgang mit beiden sowohl, als durch eigenes Nachdenken mußte der Götzen- oder Sternendienft, welcher in Mekka vorherrschend war, ihm als Irrthum und Aberglaube erscheinen, doch konnte ihm auch die Schattenseite der beiden geoffenbarten Religionen, wie sie zu seiner Zeit gelehrt wurden, nicht verborgen bleiben. Er mußte die Juden tadeln, welche Jesus verkannten, der von Gott gesandt war, um das entartete Judenthum zu reformiren, und statt seiner Esdras und die Rabbinen wie Götter verehrten; die Christen aber, die, wie er sich später ausdrückt, dem einzigen Gotte einen Sohn und Gefährten zur Seite stellten. Da mochte er, wenn er auf Abraham zurückblickte, der weder
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47) Abd Al Muttalib war sogar Beschützer eines Juden. Dieser wurde, so erzählt I. gleich auf der ersten Seite seiner Biographie, auf einem Markte in Tebama, auf Anstiften Harbs, Sohn Ommejja's, in Folge eines Wortwechsels erschlagen, worauf Abd Al Muttalib jeden Umgang mit Harb vermied, bis er den Verwandten des Juden hundert Kameele als Sühne bezahlte.
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Jude noch Christ war, und doch als wahrer gläubiger, Gott ergebener (muslim) Mann, nicht nur bei den Juden und Christen als ein heiliger Prophet galt, sondern auch von den Arabern als Vater Ismaels und Erbauer der Kaaba verehrt ward, auf den später häufig ausgesprochenen Gedanken kommen, daß die heilige Schrift von Juden und Christen theils verfälscht, theils falsch gedeutet worden, und sich berufen fühlen, wieder einen reinen Glauben herzustellen, wie wir ihn bei Abraham noch im alten Testamente finden. Hatte aber Mohammed einmal auf dem Wege der Reflexion diesen Punkt erreicht, so konnte auch seine lebhafte Phantasie nicht mehr lange unthätig bleiben, und er mußte bald, sei es träumend oder in aufgeregtem Gemüthszustande, einen Engel mit göttlicher Offenbarung sehen, der das, was er für wahr erkannte, sanctionirte. Eine solche Selbsttäuschung ist bei Mobammed um so begreiflicher, da er sich früher als Epileptiker 48) den
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48) Daß Mohammed Epileptiker war, wissen wir nicht nur aus Theophanes und den ihm folgenden christlichen Schriftstellern, welche daher die moderne Kritik der Verläumdung anklagen konnte, auch nicht aus einzelnen darauf hindeutenden Stellen des Korans und der Ueberlieferung, die sich zur Noth anders interpretiren lassen, sondern aus den ältesten und zuverläßigsten muselmännischen Biographen. Da indessen dieser Punkt schon von Gagnier bestritten worden, und in der neuesten Zeit, selbst von Orientalisten, denen so viele Quellen zu Gebote stehen, nicht einmal mehr erwähnt ward, so wird es nicht überflüssig sein, einige darauf bezügliche Stellen aus I. und Ch. wörtlich wiederzugeben. Es heißt bei Ersterem: Ibn Ishak berichtet nach dem was er von seinen Meistern gehört hat: (an Schujûchibi). Mohammed wurde wegen des bösen Auges behandelt, als er in Mekka war, bevor ihm der Koran geoffenbart ward. Als der Koran zu ihm herunter kam, hatte er dieselben Anfälle (asâbahu), die er früher gehabt. Er hatte nämlich auch früher schon eine Art Ohnmacht (ma juschbiu' l'ighmâa) nach heftigem Zittern; seine Augen schloßen sich, sein Gesicht schäumte und er brüllte wie ein junges Kameel. Da sagte ihm Chadidja: (Gott sei ihr gnädig!) Ich will dir jemanden bringen, der dich heilt (einen Teufelsbeschwörer); er antwortete aber: ich brauche jetzt Niemanden (s. den arabischen Text im journ. Asiatique, Juillet 1842). Auf der vorhergehenden Seite liest man bei I., auch bei S. fol. 37: Chadidja sagte zu Mohammed (nach dessen erster Vision), wenn dir der Engel wieder erscheint, so benachrichtige mich davon. Da erschien ihm Gabriel wieder und er sagte ihr: ich sehe ihn. Da setzte sie ihn zuerst auf ihren linken, dann auf ihren rechten Schenkel und fragte: siehst du ihn noch? er antwortete: ja. Da sagte sie: drehe dich um und setze dich auf meinen Schooß. Als er dieß gethan, fragte sie wieder: siehst du ihn? er antwortete: ja. Da nahm sie ihren Schleier vom Haupte und fragte: siehst du ihn noch immer? dießmal antwortete er: nein. Da sagte sie: bei Gott! es ist wahr, es ist wahr, es war ein Engel und kein Teufel. Auf diese Tradition stützt sich der Verfasser der Hamzijjah (Scharaf Eddin Abußiri, der auch die bekannte Burda verfaßt) in folgenden Worten: Darauf kam Gabriel in ihr (Chadidjas) Haus, denn der Verständige wünscht die (zweifelhaften) Dinge wohl zu prüfen; da warf sie ihren Schleier weg, um zu erkennen, ob es wahre Offenbarung oder Ohnmacht (ighmaû) u. s. w. Darauf bemerkt I.: Chadidja wußte von Waraka, daß ein reiner Engel vor dem Anblick eines entblößten Frauenkopfes entfliehen müßte, während Teufel ihn recht gut ertragen. Zu dem Worte ighmâu bemerkt I., das ist eine gewisse Krankheit, welche Mohammed zuweilen anfiel. Der Dichter meint aber besonders die Ohnmacht, welche durch Djinn hervorgerufen wird, wie dieß auch bei den Wahrsagern der Fall ist, weshalb auch Mohammed selbst zu Chadidja sagte: „ich fürchte für meine Seele,“ denn nichts war ihm verhaßter als die Wahrsager. Es wird übrigens weiter unten gesagt werden, daß der Prophet schon früher in Mekka dieselben Anfälle hatte, wie zur Zeit, als ihm der Koran geoffenbart ward. Uebrigens waren keineswegs alle Visionen Mohammeds Folgen epileptischer Anfälle. I. und Ch. haben über die verschiedenen Arten, wie ihm der Koran geoffenbart worden, folgende merkwürdige Stellen: „Harith Ibn Hischam fragte einst den Propheten: auf welche Weise kommt dir die Offenbarung zu? Er antwortete: manchmal erscheint mir ein Engel in Menschengestalt (gewöhnlich in der seines Freundes Dihja) und spricht mit mir; manchmal vernehme ich aber (ohne Jemanden zu sehen) Töne, wie von einer Schelle oder Glocke (bekanntlich gehört heftiges Ohrensausen auch zu den Symptomen der Epilepsie), da wird es mir sehr arg; wenn er (der unsichtbare Engel) mich dann verläßt, habe ich aufgenommen, was er mir geoffenbart.“ Bei I. heißt es dann noch: „Manche Offenbarungen hatte auch Mohammed unmittelbar von Gott, so die in der Nacht der Himmelfahrt, andere im Traume, denn er sagte oft: der Traum eines Propheten ist Offenbarung. Wieder andere legte ihm Gott nach eigenem Nachdenken in sein Herz (alilmu-l-ladzi julkihi allahu taala fi kalbihi inda-l-idjtihadi).“ Ueber die mit Fallsucht zusammenhängenden Visionen liest man noch bei I. „Eine Tradition, welche auf Aïschas Aussage sich gründet, lautet: Der Prophet ward ungeheuer schwer, so oft ihm der Engel erschien; bei der größten Kälte strömte der Schweiß von seiner Stirne, seine Augen wurden roth und zuweilen brüllte er wie ein junges Kameel.“ Ferner: „Zeid Ibn Thabit erzählt: wenn die Offenbarung zu dem Propheten herabkam, ward er sehr schwer; einst fiel sein Schenkel auf den meinigen, und bei Gott, es gibt keinen so schweren Schenkel, wie der des Gesandten Gottes war. Zuweilen ward ihm eine Offenbarung, wenn er sich auf seinem Kameele befand, da zitterte es, daß man glaubte, es würde zusammenbrechen und gewöhnlich kniete es nieder.“ Ferner: „So oft der Prophet eine Offenbarung erhielt, glaubte man, seine Seele würde ihm genommen, da hatte er immer eine Art Ohnmacht und sah wie ein Betrunkener aus.“ Zum Schlusse dieser Anmerkung nur noch eine Stelle aus der Traditionssammlung Muslims. Abu Hureira erzählt: „Wenn die Offenbarung zu Mohammed herabkam, konnte keiner von uns sein Auge zu ihm erheben nach einem anderen Berichte ward er böse, wenn man ihn ansah, sein Gesicht war mit Schaum bedeckt, seine Augen schlossen sich und manchmal brüllte er wie ein Kameel.“ Nach allen diesen Berichten wird wohl Niemand bezweifeln, daß Mohammeds Visionen größtentheils mit epileptischen Anfällen in Verbindung standen. Ich glaube aber nicht wie Theophanes, daß er, um seine Krankheit zu verbergen, die Erscheinung Gabriels vorschob, sondern im Gegentheil, daß er durch dieses Uebel selbst veranlaßt ward, daran zu glauben.
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Vorurtheilen seiner Zeit gemäß, von bösen Geistern besessen hielt, und jetzt leicht diese Bewußtlosigkeit, welche wahrscheinlich
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am häufigsten nach großen Geistesanstrengungen über irgend eine wichtige Frage wiederkehrte, dem überirdischen
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Zusammenleben mit Engeln zuschreiben, und das, was nach dem Erwachen klar vor seiner Seele lag, als eine himmlische Offenbarung betrachten konnte.
Zweites Hauptstück.
Mohammeds Sendung. Die ersten Muselmänner. Ihre Leiden und Auswanderung nach Abyssinen. Hamza und Omar. Verfolgungen der Kureischiten, Chadidjas und Abu Talibs Tod. Ausflug nach Taïf, Nächtliche Reise nach Jerusalem. Huldigung der Medinenser. Verlobung mit Sauda und Aïscha.
In seinem vierzigsten Jahre 49) hatte Mohammed die erste Viston, in welcher der Engel Gabriel ihm als Ueberbringer
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49) Ueber den Tag und Monat weichen die Traditionen von einander ab, doch nehmen die meisten, darunter auch S. (fol. 37) den Monat Ramadhan an. H. v. Hammer bestimmt den 27. Ramadhan, und setzt (S. 40) hinzu: „Indessen sollte hierüber um so weniger ein Zweifel obwalten, als im Koran selbst ausdrücklich gesagt ist, daß er in der Nacht Kadr, d. i. in der 27. des Mondes Ramadhan, vom Himmel gesendet worden.“ Dieß erinnert mich an einen Scheich in Egypten, der mir sagte: wie kannst du an Mohammed zweifeln, da doch sein Name über der Pforte des Paradieses geschrieben steht? Es sind ja die Ausleger des Korans gerade darüber uneinig, wann die Nacht Kadr war. Nicht-Orientalisten könnten geradezu glauben, Kadr, d. h. Macht, oder göttliche Bestimmung, sei identisch mit 27. Ramadhan. Wenn aber auch im Orient diese Nacht jetzt als Ieilat Alkadr gefeiert wird, so sind damit diejenigen, welche eine andere Nacht dafür halten, noch nicht widerlegt; übrigens ist man selbst in Bezug auf die Feier dieser Nacht nicht im Reinen. (Vergl Lane modern Egypt. II. S. 238 und Abulfeda ed. Nocl des Vergers, p. 107.) Auch ist H. v. H. mit sich selbst in Widerspruch, da er Mohammeds Geburt in den Monat Rabial Awwal setzt, die erste Offenbarung aber in den Monat Ramadhan und doch sie (S. 38) „mit der Vollendung seines vierzigsten Jahres“ statt finden läßt. Wo bleiben denn die sechs Monate vom 12. Rabial Awwal bis zum 27. Ramadban?
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einer göttlichen Offenbarung nahte, die er ihm im Namen des Herrn und Schöpfers, der den Menschen durch die Feder gelehrt , was er nicht weiß , zu lesen befahl 50). Schweißbedeckt und zerschlagen von diesem Gesichte und der darauf folgenden Ohnmacht kam er zu Chadidja, ließ sich von ihr zudecken, und erzählte ihr, was er gesehen, noch immer ungewiß 51), ob nicht irgend ein böser Geist sein Spiel mit
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50) Die darauf bezüglichen Verse, im Anfang der 96. Sura, werden von den meisten Biographen Mohammeds, als die ihm zuerst geoffenbarten angesehen, wozu nöthig zu wissen ist, daß nach muselmännischer Tradition der Engel ihm wirklich ein seidenes Tuch, auf welchem diese Verse geschrieben waren, vorhielt, bis er durch das Lesen derselben sie auswendig gelernt. Schon de Sacy (mém de l'académie des inscriptions, T. L. p. 295) bemerkt richtig , daß die natürliche Deutung dieser Worte dafür spricht, daß Mohammed lesen konnte; nur die Tradition, nach welcher Mohammed auf den ersten Befehl zu lesen, antwortete: „ich kann nicht lesen“ nimmt das Gegentheil an. Indessen wird auch diese nicht allgemein anerkannt, da nach einigen Berichten Mohammed antwortete: „ich kann nicht gut lesen“ (la uhsinul kirâata), womit nur gesagt sein soll, daß Mohammed vorher keine Bücher gelesen, was auch in der 29. Sura, Vers 45 und 47 ausdrücklich bemerkt wird, um den Verdacht zu entfernen, als hätte er das, was er als unmittelbare Offenbarung des Himmels verkündete, aus andern Quellen geschöpft.
51) Darüber, außer der schon in der vorletzten Anmerkung citirten Stelle, noch folgende: „Nachdem der Engel Gabriel Mohammed zum ersten Male erschienen war, kam er zitternd nach Hause und rief: deckt mich zu, ich fürchte für meine Seele; nach einer andern Tradition, für meinen Verstand. Chadidja sagte ihm: sei froh! Gott wird dich nicht beschämen, du bist ja liebevoll gegen deine Verwandten, aufrichtig in deinen Worten, scheuest keine Beschwerde, um deinem Nächsten zu dienen, unterstützest die Armen, bewirthest freundlich jeden Gast und die Wahrheit findet stets bei dir einen Verfechter.“ Sie ging dann mit ihm zu Waraka, nach andern auch zu einem Mönche aus Ninive, welcher Addas hieß, und Beide erkannten ihn als einen in der heiligen Schrift angekündigten Propheten an.
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ihm treibe. Chadidja und ihr Vetter Waraka52), der Sohn Naufals, ein getaufter Jude, welcher das alte und neue Testament gelesen, und von letzterem sogar Einiges ins Arabische übersetzt hatte, bemühten sich seine Zweifel an seiner göttlichen Sendung zu zerstreuen, und bald darauf erschien ihm Gabriel
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52) Nach dem Kamus mit zwei Fatha, und Naufal wie Djauhar, also nicht Werka und Naufil. H. v. Hammer behauptet S. 57, man habe vor ihm von Waraka in Europa keine Kunde gehabt. Da er sonst häufig Gagnier citirt, so hätte er S. 100 lesen sollen, daß Waraka schon vor Mohammeds Sendung an ihn glaubte, und S. 107, daß er ein in der heiligen Schrift bewanderter Mann war und bei Gott schwur, Mohammed sei der schon von Moses prophezeite Gesandte Gottes, was man übrigens auch bei Abulfeda ed. Reiske, S. 28 findet. Nur nennt ihn Gagnier „oncle“ statt „cousin“ des Propheten, auch bemerkt er nicht dabei, daß er ein Christ und Priester war, der das alte und neue Testament ins Arabische übersetzt. Was die beiden ersten Punkte betrifft, so muß man noch hinzusetzen, daß er früher Jude gewesen, was I. ausdrücklich bemerkt, und für seine Kenntniß und Beurtheilung des alten Testaments von historischer Wichtigkeit ist. Was den letzten Punkt angeht, so hat ihn H. v. H. bedeutend vergrößert. Die darauf bezügliche Stelle bei Ch. aus Buchari lautet wörtlich: Chadidja ging dann mit ihm (Mohammed) zu Waraka, dem Sohne Naufals, welcher ein Vetter Chadidjas war, und im Heidenthume (vor Mohammeds Sendung) zum Christenthume übergegangen war. Er schrieb arabisch, nach einer andern Leseart hebräisch ; er schrieb arabisch aus dem Evangelium, so viel es Gott gefiel. (Mit andern Worten: Gott weiß wie viel): wakâna iaktubul kitab Alarabijja, wafi riwâjatin Alibranijja iaktubu bilarabijjati min alindjil ma schâallahu an iaktuba.) Was H. v. H. vollends von einem achtzehnjährigen innigsten Umgange Warakas mit Mohammed berichtet, mag wohl wahr sein, bleibt aber, da keine Quelle dafür spricht, nichts als eine Vermuthung.
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wieder mit den Worten : „Bei 53) der Feder und dem was (von den Engeln) damit aufgezeichnet wird, du bist durch die Huld deines Herrn nicht von Genien besessen, sondern dir wird einst ein unaufhörlicher Lohn werden, denn dein Glaube ist erhaben.“
Unmittelbar nachher, oder vielleicht gleichzeitig mit dieser Versicherung erhielt er dann den Befehl in der Nacht, mit den Offenbarungen des Himmels sich zu beschäftigen, und seinen Glauben weiter zu verbreiten. Die hierauf bezüglichen Verse des Korans lauten: „O du, der du dich einhüllst, durchwache die Nacht bis auf einen Theil derselben, die Hälfte, oder etwas mehr oder etwas weniger, und lies aufmerksam die (von Gott geoffenbarte) Schrift, denn wir werden dir ein schweres Wort zusenden. Das Aufstehen in der Nacht bahnt den laut ausgesprochenen Worten den Eingang ins Herz 54).“ Dann: „O du, der du dich zudeckst, stehe auf und predige, verkünde die Größe deines Herrn, reinige dein Gewand, bleibe fern vom Götzendienste und spende keine Gaben, in der Absicht mehr dafür zu erhalten.“
Endlich wurden Mohammed, nach den meisten Commentatoren des Korans, folgende noch immer den Eingang zu
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53) Diese Verse bilden den Anfang des 68. und die folgenden den Anfang des 73. und 74. Kapitels des Korans. Die Traditionen weichen sowohl über die Reihefolge derselben, als über die Zeit, welche zwischen jeder dieser Offenbarungen lag, von einander ab; die von mir als die natürlichste angenommene, ist nach einer Tradition bei I. von Djabir Ibn Zeid, mit der noch eine andere übereinstimmt, welche Mohammed den Anfang der 68. Sura lesen läßt, als Chadidja von Waraka zurückkam. Die 74. Sura, welche ihm als Prediger aufzutreten befiehlt, dürfte wohl erst drei Jahre später erschienen sein, wo er öffentlich als Prophet auftrat, da sich dieser Befehl nicht füglich als ein heimliches Proselytenmachen deuten läßt.
54) Ich habe diesen Vers etwas frei nach dem Commentare des Djalalein übersetzt, da der wörtliche Sinn nicht zum Zusammenhange paßt.
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jedem Gebete und den Anfang des Korans bildenden Verse gleich in den ersten Tagen seines Prophetenthums mitgetheilt :
Im Namen Gottes, des Allmilden, des Allbarmherzigen. Lob sei Gott, dem Herrn der Welten. Dem Allmilden, Allbarmberzigen. Dem Herrn des Gerichtstages. Dich beten wir an und bei dir suchen wir Hülfe. Leite uns auf den geraden Pfad, den Pfad derer, denen du gnädig bist und nicht derer, denen du zürnst und die im Irrthume sind.“
Mohammed forderte in den ersten drei Jahren nach der Erscheinung Gabriels nur seine intimen Freunde und Hausgenossen auf, ihn als einen Propheten anzuerkennen. Unter jenen war Abu Bekr, der nachherige Chalif, der nur zwei Jahre jünger war, als Mohammed, der erste, und unter diesen Mohammeds Sklave Zeid 54) und sein Vetter Ali, den er als Kind in einem Hungersjahre, um dessen Vater Abu Talib einige Erleichterung zu verschaffen, zu sich genommen, welcher aber auch jetzt noch nicht einmal das Jünglingsalter erreicht hatte 55). Durch Abu Bekr ward der spätere Chalif Othman ____
54) Zeid ward in einem Kriege zwischen dem Stamme Kalb, zu dem er gehörte, und dem Stamm Tai, in zarter Jugend als Beute weggeführt und als Sklave verkauft. Sein Vater erkannte ihn einst in Mekka wieder, und bot Mohammed ein Lösegeld für ihn an. Mohammed wollte ihn frei abziehen lassen, aber Zeid hatte ihn so lieb gewonnen, daß er ihn seinem Vater vorzog. I. und S. fol. 40.
55) Es ist schwer, Ali's Alter näher zu bestimmen, da die Berichte darüber von acht bis elf Jahren von einander abweichen; nur so viel ist gewiß, daß er nicht älter als elf Jahre war, indem er in einem noch erhaltenen Verse sich rühmt, schon als Knabe sich zum Islamismus bekehrt zu haben. Da indessen manche Muselmänner das Knabenalter nur bis zu neun Jahren rechnen, und den Chalifen Râschid billahi als Beispiel anführen, der in seinem neunten Jahre schon einen Sohn zeugte, so nehmen die meisten Biographen an, Ali sei damals erst acht Jahre alt gewesen. Bei S. fol. 39 wird er zehnjährig genannt. Auch Zubeir, Saad und Talha waren nicht viel älter als Ali. I.
Leben Mohammeds
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für den neuen Glauben gewonnen, ferner Abdurrabman Ibn Auf, Saad Ibn Abu Wakkaß, ein Vetter Mohammeds, Talha, der Freigebige und Zubeir, ein Neffe Chadidjas. Die drei erstgenannten waren, wie Abu Bekr selbst, Kaufleute, Saad war Waffenschmied und Talba Metzger. Zu den ersten Muselmännern gehört auch Arkam, in dessen Haus sie ihre heimlichen Zusammenkünfte hielten, nachdem sie in einer Höhle in der Nähe von Mekka, wo sie zuerst sich zum Gebete versammelt hatten, von Ungläubigen überrascht und mißhandelt worden waren 56), auch der Zwerg Abd Allah Ibn Masud, von dem Mohammed sagte: verspottet ihn nicht, denn er überwiegt doch jeden andern auf der Wage der Frömmigkeit, ferner Abu Dsurr, der Enthaltsame, welcher zuerst den Propheten mit den Worten Salām Alaika (Friede oder Heil sei mit dir) anredete, und der später berühmte Feldherr Abu Ubeida. Einige zählen noch Bilal 57) , den ersten Muaddsin (Gebetausrufer)
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56) S. Ende fol. 41. Bei diesem Vorfalle ward das erste Blut durch Mohammeds Lehre vergossen, indem Saad einen Ungläubigen mit einem Kameelkinn verwundete. Arkams Haus ist jetzt unter dem Namen Cheizaran's Haus bekannt, so hieß nämlich die Sklavin, welcher der Chalif Mahdi es schenkte, nicht Mahdi selbst wie bei Gagnier, S. 123.
57) Bilal war nach S. (fol. 54) ein Sohn Rubahs und ward als Sklave der Beni Djumah geboren. Ommejja, der Sohn Challafs, einer der Häupter der Beni Djumah, ließ ihn, als er erfuhr, daß er Muslim geworden, vierundzwanzig Stunden hungern und dursten, dann führte er ihn zur Mittagsstunde in die Wüste und ließ ihn auf den Sand hinstrecken, der so heiß war, daß man Fleisch darin braten konnte, dann legte er ihm einen großen Stein auf die Brust und sagte ihm: du kommst nicht von der Stelle, bis du stirbst oder Mohammed verläugnest und Lat und Uzza anbetest, er aber rief immer: Gott ist einzig, ich werde Allah keine Gefährten zur Seite stellen. Eines Tages ging Abu Bekr an ihm vorüber, als er in diesem Zustande sich befand. Da sagte er zu Ommejja: wie lange wirst du diesen Armen noch foltern? fürchtest du Gott nicht? ich habe einen Schwarzen, der viel stärker ist als Bilal und deinen Glauben theilt, ich will dir ihn statt seiner geben. Ommejja nahm den Tausch an, worauf Abu Bekr Bilal die Freiheit schenkte.“
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zu den frühesten Muselmännern, so wie auch Chalid, den Sohn Saids, welcher sich im Traume am Eingang der Hölle befand, von der ihn Mohammed befreite, und Suheib, den Sohn eines persischen Statthalters, welcher in griechische Gefangenschaft gerathen, auf der Messe von Okaz als Sklave verkauft worden war, und gleichzeitig mit Ammar sich zu Mohammed begab. Zu den ersten Frauen, welche dem neuen Glauben huldigten, gehören Um Afdhal, die Gemahlin des Abbas, die Abyssinerin Baraka oder Um Eiman, und Asma, die Tochter Abu Bekrs. Ueber einige andere sind ebenfalls die Berichte nicht gleichlautend, die jedoch darin mit einander übereinstimmen, daß die Zahl der Gläubigen in den ersten drei Jahren nicht vierzig überstieg, und daß es meistens junge Leute, Fremde, oder Sklaven waren. Mohammed faßte daher im vierten, oder nach Einigen im fünften Jahre, den Entschluß, öffentlich als Prophet aufzutreten und zunächst seine Verwandten für seinen neuen Glauben zu gewinnen, worauf folgende Verse des Korans geoffenbart wurden: „Verkündige laut, was dir befohlen worden, denn wir (Gott) genügen dir (als Schutz) gegen die Spötter, welche Gott noch andere Götter beigesellen, sie werden es einst erfahren. Wir wissen wohl, daß ihre Reden dir die Brust beengen werden, aber preise und lobe den Herrn, falle vor ihm nieder und bete ihn an, bis dich der Tod 58) heimsucht.“
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58) H. v. H. übersetzt (S. 58) „bis die Ueberzeugung der Wahrheit wird kommen.“ Nicht-Orientalisten könnten etwa diese Worte auf die Ungläubigen beziehen, im Texte heißt es aber ausdrücklich „bis zu dir gelangen wird“ (ja'tika), also nicht die Ueberzeugung, die hatte er ja schon, sondern der Tod, wie Djalal Eddin ausdrücklich bemerkt, Sura 15, Vers 94-99. Die folgenden Verse, Sura 26, Vers 213-222.
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Dann noch folgende , in welcher abermals die Meinung, als sei er von Dämonen besessen, widerlegt wird:
„Predige deinen nächsten Geschlechtsverwandten und breite deine Flügel über die Gläubigen aus, die dir folgen. Sage denen, die dir kein Gehör schenken: ich bin nicht mehr verantwortlich für eure Thaten und vertraue auf den Erhabenen, den Allbarmherzigen, der dich sieht, wenn du stehst oder dich drehst unter denen, die ihn anbeten, denn er hört und weiß Alles. Soll ich euch sagen, zu wem sich die bösen Geister herablassen? zu den Lügnern und Frevlern 59). Diesen theilen sie das (von Engeln) Gehörte mit, aber die Meisten lügen noch dazu.“
Mohammed kostete es indessen einen großen Kampf, bis er den einmal gefaßten Entschluß ausführte; denn selbst nach dem er den Gläubigen die angeführten Verse als eine göttliche Offenbarung mitgetheilt hatte, wartete er noch einen ganzen Monat, bevor er den erhaltenen Befehl vollzog; er sah in dieser Zeit so übel aus, daß sein Oheim glaubte, er sei krank, und gewiß mußte es ihm bei dem geringen Erfolg, den er wahrscheinlich von seiner Predigt voraussah, etwas bedenklich scheinen, sich öffentlich dem Spott und dem Haß der Ungläubigen preis zu geben. Doch eines Morgens bestieg er den Hügel Safa, ließ alle seine Verwandten zu sich rufen und bedrohte sie mit dem Feuer der Hölle, wenn sie nicht ihrem Unglauben entsagen würden. Da sagte sein Oheim Abu Lahab, welcher eine Schwester Abu Sosians zur Frau hatte, dem Mohammed sowohl aus altem Familienhasse, als weil er seiner Herrschaft gefährlich werden konnte, ein Dorn im Auge
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59) Abermals ein rabbinisches Vorurtheil, nach welchem die Djinn die Engel belauschen, und dann das Gehörte den Zauberern und Wahrsagern mittheilen. Da indessen nach der muselmännischen Legende die Djinn in Mohammeds Geburtsnacht aus ihren Vesten vertrieben wurden, und mit Sternschnuppen verfolgt werden, wenn sie sich wieder den Ritzen des Himmels nähern, so werden diese Verse auf die Vergangenheit bezogen.
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sein mußte: Verderben über dich! Hast du uns dazu rufen lassen? Noch niemals hat jemand seinen Verwandten so schlimme Botschaft gebracht als du. Er hob dann einen Stein auf und wollte ihn nach Mohammed werfen. Dieser rief: Verderben mögen die Hände Abu Lahabs, Verderben über ihn! Nichts hilft ihm sein Geld, noch sonstiger Erwerb, flammendes Feuer wird ihn verzehren, auch sein Weib, das mir 60) Dornen streut, wird mit einem Strick aus Palmenfasern am Halse zur Hölle geführt.“
Einige Tage nach diesem Vorfalle versammelte Mohammed seine Verwandten wieder 61) und sagte ihnen: Wenn ich die ganze Welt anlügen wollte, so würde ich doch euch, meinen Verwandten, die Wahrheit nicht vorenthalten, aber Gott der Einzige sendet mich zur ganzen Welt und zu euch insbesondere
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60) So erklären nicht nur I. und Ch., sondern auch Djelaladdin die Worte hammâlat alchatab, dieselben nehmen auch, wie es übrigens schon der Sinn erfordert, das Wort tabbat als Fluch. Nicht wie H. v. H. (S. 61) „Verdorben sind die Hände“; dann: „sein Weib wird das Holz dazu tragen.“
61) Nach Einigen bei seinem Oheim Abu Talib, nach Andern in seinem eigenen Hause. Ich folge hier lieber Tabari bei I. und Ch., als Abulfeda, welcher Mohammed seine Verwandten zwei Tage nacheinander zu Milch und Hammelfleisch einladen, und dann Ali zu seinem Vezier erklären läßt, weil dieß, wie I. ganz richtig bemerkt, einem von Schiiten erfundenen Mährchen gleich sieht, da doch Ali nach einigen Traditionen damals erst elf, und in keinem Falle noch vierzehn Jahre alt war. Die Worte „waana ahdathuhum u. s. w., welche Noel deses Vergers richtig nach Reiske übersetzt: „J'etais parmi eux le plus jeune d'années, mes yeux étaient chassieux, mon ventre gros, mes jambes gréles“ H. v. H. aber unrichtig: „Ich will ihnen die Zähne brechen, und die Augen ausstechen und den Bauch aufschlitzen und die Schenkel verstümmeln,“ fehlen ganz bei I. Bei S. fol. 41 wird auch nichts von einer Mahlzeit erwähnt, sondern blos gesagt, daß Mohammed, nachdem er drei Jahre lang im Stillen den Islam gepredigt, von Gott den Befehl erhielt, ihn laut und öffentlich zu verkündigen.
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als seinen Apostel. Bei Gott, ihr werdet einst sterben, so wie ihr jetzt einschlafet; und wie ihr wieder erwachet, so werdet ihr einst auferstehen; dann müßt ihr von euern Thaten Rechenschaft geben, und werdet belohnt für eure Tugend im Paradiese und bestraft wegen eurer Laster in der Hölle. Bei Gott, o Söhne Abd Al Muttalibs, niemals brachte jemand den Seinigen wichtigere Kunde als ich, sowohl in Betreff des jenseitigen, als des diesseitigen Lebens. Abermals erhob sich Abu Lahab und rief: „O Söhne Abd Almuttalibs! Bei Gott! dieser Mensch bringt Unheil über euch, ergreifet ihn, ehe andere ihn anfeinden. Liefert ihr ihn dann aus, so begehet ihr eine Feigheit, nehmet ihr euch aber seiner an, so werdet ihr unterliegen gegen die übrigen Stammglieder Kureischs sowohl, als gegen andere arabische Stämme.“
Da indessen Abu Lahabs Rede eben so wenig als die Mohammeds Eindruck auf die Versammlung machte, und dessen Verwandten, obgleich in ihrem Unglauben verharrend, ihm dennoch ihren Schutz nicht entzogen, so bestieg er abermals den Hügel Safa, nach Einigen den Berg Kubeis, und forderte mit lauter Stimme sämmtliche Kureischiten zu seinem Glauben aus. Mohammeds Predigten fanden kein Gehör bei ihnen, doch begnügten sie sich damit, ihn zu verspotten 62), bis er
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62) Wenn Mohammed vor Kureischiten vorüberging, deuteten sie mit den Fingern nach ihm und sagten: hier ist der Enkel Abdalmuttalibs, welcher weiß, was, im Himmel vorgeht. Wenn er irgendwo saß und Stellen aus dem Koran las, kam ein anderer und erzählte ein Mährchen, ein dritter recitirte ein Gedicht und ein vierter musicirte. Zuweilen gingen ihm auch Leute nach, welche sich fortwährend räusperten. Eines Tages, als er in der Kaaba betete, ward sein Kleid mit allerlei Unrath, der vor dem Tempel lag, bedeckt. Ein anderes Mal kam ein Kureischite zu ihm und sagte: gib deinen Glauben auf! willst du Geld, schöne Frauen, oder gelüstest du nach Herrschaft? Sage, was du willst, es soll dir gewährt werden, siehst du einen Geist, von dem du dich nicht befreien kannst, so wollen wir den Arzt von unserem Gelde bezahlen (S. fol. 47 und 48). Als er alles ausschlug, forderte man verschiedene Wunder von ihm, worauf er stets antwortete: ich bin nicht dazu gesandt, sondern nur um euch das mir von Gott geoffenbarte Buch zu bringen u. s. w.
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ihre Götzen ohnmächtig, ihre Väter unwissend und sie selbst albern nannte, da begaben sich Manche von ihnen zu Abu Talib und baten ihn, entweder Mohammed zu entfernen, oder ihn von seinen Lästerungen abzuhalten. Den Bitten, welche unerhört blieben, folgten bald Drohungen von Seiten der Kureischiten, welche zum Theil wirklich noch an ihren Göttern hiengen, zum Theil aber auch voraussehen mußten, daß wenn Mohammed einmal als Prophet anerkannt sein wird, er der aristokratischen Herrschaft in Mekka bald ein Ende setzen würde. Abu Talib beschwor Mohammed, sich und ihn in keine so schwierige Lage zu versetzen, und stellte ihm vor, daß er nicht mehr lange im Stande sein würde, ihn gegen so mächtige und so erbitterte Feinde zu beschützen. Aber Mohammed antwortete ihm: „Bei Gott, wenn sie die Sonne zu meiner Rechten und den Mond zu meiner Linken setzen, werde ich auch von meinem Vorhaben nicht abstehen, bis Gott mich eines Bessern überzeugt, oder nur den Tod sendet.“ Nach diesen Worten ging er weinend weg, denn er glaubte, sein Oheim habe ihn schon verlassen; aber dieser rief ihn zurück und sagte ihm: geh wohin und sprich was du willst, bei Gott, ich liefere dich deinen Feinden nicht aus. Da indessen Abu Talib wirklich zu schwach war, um Mohammed länger allein vor Mißhandlungen zu bewahren, bat er die übrigen Söhne Hâschims und Al Muttalibs, Mohammed in Schutz zu nehmen, und Abu Lahab war der einzige, der sich nicht als dessen Beschützer erklärte 63). Wenn es aber auch die Kureischiten nicht wagten,
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63) Nach I. begaben sich die Kureischiten ein drittes Mal zu Abu Talib, und boten ihm an Mohammeds Stelle einen andern jungen Mann (bei S. fol. 43 Umara Ibn Walid) als Pflegesohn an, worauf er sagte: habt ihr je ein Kameelweiblein gesehen, das seine Zärtlichkeit einem andern als seinem Jungen schenkt? Bei S. antwortete er: ein schöner Vorschlag! ich soll einen der Eurigen ernähren und ihr wollt meinen Sohn tödten.
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Mohammed geradezu mit offener Gewalt aus der Welt zu schaffen, so scheuten sie sich doch nicht, ihn auf jede Weise zu kränken, und wenn sie ihn allein trafen, zu mißhandeln; wenig fehlte, so wäre er sogar einmal in der Kaaba erwürgt worden. Sein Freund Abu Bekr, der ihm zu Hülfe kam, ward so lange mit Sandalen geschlagen, bis seine Nase ganz flach ward.
Noch gefährlicher ward aber die Lage derjenigen Gläubigen, welche zu minder angesehenen Familien gehörten, so daß Mohammed im fünften Jahre seiner Sendung ihnen rieth, ihre Heimath zu verlassen. Als sie ihn fragten, wohin sie flüchten sollten? deutete er nach Abyssinien hin und sagte: dort regiert ein Fürst, der kein Unrecht duldet, bleibet dort, bis Gott uns seine Hülfe sendet. Elf Männer und vier Frauen, darunter der spätere Chalif Othman mit seiner Gattin, der Tochter Mohammeds, folgten zuerst diesem Befehle und gingen im Monate Radjab an das Meer, wo gerade zwei abyssinische Schiffe vor Anker lagen, die sie für vier Dinare aufnahmen. Die Muselmänner, deren Zahl sich durch neue Auswanderer immer vermehrte, lebten glücklich in Abyssinien, als im Monat Schawal 64) sich das Gerücht verbreitete, Mohammed sei mit
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64) So bei I. und Eh., auch bei Gagnier, S. 121, nicht wie bei H. v. H., der sie vor ihrer Einschiffung nach Mekka zurückkehren läßt. S. fol. 69 zählt sogar dreiunddreißig Zurückgekehrte auf, woraus zu schließen ist, daß ihre Rückkehr nicht unmittelbar nach der ersten Auswanderung stattfand, die nur aus elf Männern und vier Frauen bestand. Die Veranlassung zu diesem Gerüchte war nach I. und Ch., wie auch bei Gagnier a. a. O.: daß die Kureischiten mit Mohammed niederfielen , als er die 53. Sura vollendet hatte, in welcher von den Götzen Allat, Uzza und Mana die Rede ist. Das Mährchen, welches schon Maraccius S. 466 anführt, nach welchem, als Mohammed diese Götzen erwähnte, der Teufel seine Stimme nachahmte und ausrief: „es sind erhabene Jungfrauen (eigentlich Schwäne), deren Fürbitte wünschenswerth,“ worauf der 53. Vers der 22. Sura sich beziehen soll, erklärt I. im Namen verschiedener Theologen und Biographen als eine Erfindung von Ketzern, die daher auch Beidhawi nicht in seinen Commentar aufnahm. Es läßt sich nicht annehmen, sagt er, daß Mohammed so ungläubige Worte ausgestoßen, noch, daß Satan die Macht habe, sich in göttliche Offenbarung zu mischen. I. mag als Muselmann ganz recht haben, einem Ungläubigen ist es aber wohl erlaubt, zu vermuthen, daß Mohammed, der vielen Verfolgungen müde, und an dem Erfolg seiner Bemühungen verzweifelnd, einen Augenblick mit den Kureischiten zu capituliren gesonnen war, und wirklich ihre Götter als vermittelnde Wesen zwischen Gott und den Menschen anerkannte, was er aber bald nachher als einen teuflischen Gedanken erklärte. Meine Vermuthung wird fast zur Gewißheit durch folgende Stelle bei I.: Hasiz Addamjati erzählt: „Eines Tages, als Mohammed allein war, und darüber nachdachte, wie sein Volk sich gänzlich von ihm losgesagt, wünschte er, aus Verlangen nach ihrer Bekehrung, Gott möchte ihm doch etwas offenbaren, das eine Annäherung zwischen ihm und den Mekkanern zu Stande bringe.“
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den Kureischiten ausgesöhnt, worauf sich wieder Manche nach Arabien einschifften. Aber als sie nur noch eine Stunde von Mekka waren, hörten sie, daß die zu ihnen gelangte Kunde ungegründet war. Einige kehrten daher wieder nach Abyssinien zurück, andere begaben sich heimlich oder von Kureischiten geschützt, nach Mekka, verließen aber zum Theil auch die Stadt bald wieder mit neuen Glaubensgenossen. Da die Kureischiten, denen es nicht gleichgültig sein konnte, daß die Muselmänner einen sichern Zufluchtsort fanden, die Auswanderer vergebens bis an das Meer verfolgen ließen, sandten sie später Amru, den Eroberer Egyptens und Abd Allah ibn Rabia mit vielen Geschenken an den Fürsten von Abyssinien, um deren Auslieferung zu erwirken, aber ihre Bemühungen waren fruchtlos, denn der Nadjaschi, wie die Araber die Fürsten von Abyssinien nennen, sah bald ein, daß die Muselmänner dem wahren Glauben viel näher waren, als die Kureischiten 65). Noch
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65) Djafar soll nach Ch. und S. fol. 20 folgende Rede gehalten haben, von der aber gewiß ein Theil späterer Zusatz ist: Wir waren unwissend, wußten nichts von Gott und seinen Gesandten, wir aßen Leichen, begingen allerlei Schändlichkeiten, verletzten das Schutzrecht und die den Verwandten gebührende Liebe, der Starke fraß den Schwachen auf, bis uns Gott einen Propheten sandte, dessen Geschlecht, Wahrhaftigkeit und Tugend wir kennen; der forderte uns auf, Gott allein anzubeten und die Götzen zu verabscheuen, er empfahl uns das Gute und verbot uns das Schlechte, wir sollen wahr in unsern Worten und treu in unseren Handlungen sein, unsere Verwandten lieben und die Schwachen beschützen. Er verpflichtete uns zum Gebet, zu Almosen, Fasten und anderen frommen Werken, und hielt uns fern von Lüge, Unzucht und sonstigem Unrecht u. s. w. Ueber die Zeit dieser Mission sind die Traditionen von einander abweichend, S. fol. 22 setzt sie vor Omars Bekehrung, manche setzen sie erst in das Jahr, wo Mohammed sich in Abu Talibs Veste einschloß, und die Zahl der Auswanderer zunahm. Andere lassen Othman diese Rede halten.
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schmerzlicher als diese verfehlte Mission war den Kureischiten die bald darauf folgende Bekehrung Hamza's, Ohejm des Propheten, und des nachherigen Chalifen Omars, Neffe Abu Djahl's, der Mohammed nicht weniger als Abu Lahab auf jede Weise zu kränken suchte. Hamza's Uebergang zum Islam fand weniger aus Ueberzeugung, als aus Theilnahme an dem Schicksal seines Neffen statt. Er kam eines Tages von der Jagd mit umhängtem Pfeilbogen, als er hörte, Mohammed sei, ohne die mindeste Veranlassung gegeben zu haben, von Abu Djahl beschimpft, mit Koth beworfen und mit Füßen getreten worden. Hamza lief außer sich vor Zorn in den Tempel, wo Abu Djahl mit einigen anderen Kureischiten sich befand, und versetzte ihm einige Schläge mit seinem Bogen. Als Abu Djahl von Mohammeds Unglauben sprach, sagte er: Nun, auch ich glaube nicht an eure steinernen Götter, könnt ihr mich wohl zwingen? Bei diesen Worten wollten die Beni Mahzum, zu denen Abu Djahl gehörte, ihrem Verwandten zu Hülfe kommen, aber Abu Djahl, der entweder den Zorn eines Mannes fürchtete, welcher später wegen seiner Tapferkeit und seiner Stärke den Beinamen „Löwe Gottes“ erhielt,
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oder vielleicht hoffte, er würde nach der an ihm genommenen Rache sich wieder besänftigen und dem alten Glauben treu bleiben, hielt sie zurück, indem er ihnen sagte: Lasset ihn! denn ich habe wahrlich seinen Neffen schwer mißhandelt. Da indessen, trotz dieser Nachgiebigkeit Abu Djahls, Hamza dennoch zu Mohammed überging, waren die Kureischiten so sehr erbittert, daß sie diesen heimlich aus der Welt zu schaffen beschlossen, und dessen Mörder hundert Kameele und tausend Unzen Silber versprachen. Drei Tage nach Hamzas Bekehrung, erbot sich ihnen der 26jährige Omar als solcher. Er war schon auf dem Wege nach Mohammeds Wohnung, um die Mordthat zu vollbringen, als er Nueim, oder nach Einigen Saad, einem heimlich bekehrten Muselmanne begegnete, der, um ihn von der Ausführung seines Vorhabens abzuhalten, ihm sagte: Ehe du Mohammed tödtest, den gewiß seine Verwandten rächen werden, suche zuerst die Deinigen zu deinem Glauben zurückzuführen. Ist Jemand von den Meinigen abtrünnig 66)? fragte Omar erstaunt. Deine Schwester Fatima, antwortete Nueim, und ihr Gatte 67). Omar lief sogleich in
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66) Das Wort, dessen sich die Kureischiten bedienten (saba), um den Uebergang zu Mohammed auszudrücken, bedeutet überhaupt: sich von seinem Glauben ab- und einem andern zuwenden, es ward aber besonders im gehässigen Sinne gebraucht, so daß der Sâbi, wie Omar Mohammed nannte, unserem Apostat, oder dem französischen renégat entsprach.
67) Bei H. v. Hammer (S. 67) sagte Saad, als Omar es nicht glauben wollte : „Du wirst dich überzeugen, wenn du zu ihnen zu Tische gehest, weil sie mit dir nicht werden essen wollen.“ Dazu in einer Note: „Raudhatol-Ahbab und Chamis.“ Bei letzterem habe ich davon keine Spur gefunden, ich erlaube mir daher auch zu zweifeln, ob ersterer richtig citirt oder verstanden worden, da auch nirgends etwas davon erwähnt wird, daß es den Muselmännern verboten war, mit Nicht-Muselmännern zu speisen, besonders wenn die Speisen von Muselmännern zubereitet worden. Wie konnte Mohammed seine Verwandten zu sich einladen? Wie hätten denn so Manche ihren Glauben vor den Ihrigen verborgen halten können? Daß jetzt kein Gesetz den Muselmännern verbietet, mit Christen oder Juden zu speisen, bedarf kaum einer Erwähnung.
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die Wohnung seiner Schwester, welche gerade mit ihrem Gatten Said sich von Chabbab die zwanzigste Sura lehren ließ. Als Omar an der Thüre klopfte, verbarg sich Chabbab schnell, ließ aber in der Eile das Blatt zurück, auf welchem das genannte Kapitel geschrieben war. Fâtima konnte daher nicht länger ihren Glauben verläugnen, sie wiederholte sogar, als Omar sie und ihren Gatten mißhandelte, in seiner Gegenwart das mohammedanische Glaubensbekenntniß: „Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Gott, und daß Mohammed sein Gesandter.“ Nachdem aber Omar seiner Wuth Luft gemacht, bereute er seine Rohheit, und wünschte das zurückgebliebene Blatt zu lesen. Fâtima gab es ihm aber nicht, bis er sich wusch 68) und ihr versprach, es ihr unversehrt zurückzugeben.
Omar las mit zunehmender Bewunderung die ersten vierzehn Verse dieses Kapitels, in denen von Gottes Größe und Einheit, und von Moses Sendung die Rede ist; die zwei folgenden Verse vollendeten seine Bekehrung. Sie lauten: „Die Stunde wird kommen, die ich den Menschen verbergen will, damit einem jeden Vergeltung werde für sein Streben. Lasse dich in deinem Glauben daran nicht stören durch Ungläubige, die nur ihrer Leidenschaft folgen, sonst bist du verloren.“ Er begab sich hierauf zu Mohammed , der in Arkams Haus 69)
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68) Schon vor Mohammed war es Sitte, sich die Hände zu waschen, ehe man nicht nur etwas Heiliges, sondern nur etwas Erhabenes berührte, oder überhaupt irgend eine feierliche Handlung beging. So berichtet Tibrizi: als der Dichter Harith seine Muallakah dem König Amru vorgetragen hatte, sagte ihm dieser: Recitire sie nie wieder, ohne dir vorher die Hände zu waschen.
69) Nach einer anderen Tradition befand sich Mohammed schon im Tempel, Omar schlich leise in seine Nähe, und hörte, wie er die 61., und nach einigen die 69. Sura las. Als er das Kapitel vollendet hatte, und Omar vor sich stehen sah, fragte er ihn erschrocken: in welcher Absicht bist du hierher gekommen? Um zu bekennen, antwortete Omar, daß es nur einen Gott gibt, und daß du dessen Gesandter. Den Anfang des 14. Verses habe ich nach dem Kamus übersetzt, nicht wie Maroccius und A. „prope sum ut revelam eam.“
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verborgen war, bekannte sich zu seinem Glauben, und bewog ihn unter seinem und Hamzas Schutz öffentlich nach dem Tempel zu ziehen 70). Die Muselmänner, nach einigen vierzig, nach andern fünfundvierzig an der Zahl, theilten sich in zwei Reihen, deren eine Omar und die andere Hamza anführte, machten zum großen Aerger der Kureischiten den Kreis um die Kaaba, und verrichteten ihr Gebet darin. Omar durfte am folgenden Tage wieder in der Kaaba ungestört beten, denn Abu Djahl, so sehr er auch Mohammed als Lästerer verfolgte, ließ doch seinem Neffen nichts zu Leide thun. Da aber ein anderer Muselmann in der Kaaba mißhandelt ward, sagte Omar: bei Gott, ich will nicht besser sein, als meine armen Glaubensgefährten. Er ging hierauf zu seinem Oheim und sagte ihm : „ich entbinde dich von deinem Schutze,“ und begann sogleich sich selbst gegen seine und seiner Glaubensgenossen Feinde zu vertheidigen. Seinem Beispiele folgte auch Othman Ibn Mazun, welcher unter dem Schutze seines Oheims Walid Ibn Mughira gestanden war.
Da indessen die Kureischiten immer neue Mordpläne gegen Mohammed und seine Anhänger schmiedeten, hielt es Abu Talib für gerathen, ihn mit einem Theile der Gläubigen aus Mekka zu entfernen, und in ein wohlbefestigtes Schloß außerhalb Mekka zu bringen, während andere Muselmänner zu ihren Glaubensbrüdern nach Abyssinien auswanderten, die jetzt eine Gemeinde von 83 Männern und 18 Frauen bildeten 71). Noch
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70) S., I. und Ch. Nach einem anderen Berichte soll ihn früher schon Abu Bekr zu einem öffentlichen Zuge nach der Kaaba veranlaßt haben. Aus beiden geht hervor, daß Mohammed selbst viel verzagter, als seine beiden Anhänger war.
71) So bei I., Ch., nach Ibn Ishak nimmt 33 Männer an, ich vermuthe aber hier einen Schreibfehler, da im Arabischen 30 und 80 sich leicht verwechseln lassen, weil weder I. noch Ch. eine Verschiedenheit der Tradition anführen, und I., wie auch Abulfeda, bei dem oben erwähnten falschen Gerüchte 33 Mann nach Mekka zurückkehren läßt, die sich doch zum Theil wieder nach Abyssinien einschifften, und zu denen sich auch nach Ch. später viele neue Auswanderer (chalk Kathir) gesellten. Die mir später zugekommene Handschrift des S. macht meine Vermuthung zur Gewißheit, denn es heißt fol. 58: „Die Gesammtzahl der Auswanderer war 83, wenn man Ammar Ibn Jasir, an dessen Auswanderung gezweifelt wird, mitrechnet.“
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einmal forderten die Kureischiten Mohammeds Auslieferung von Abu Talib, sie erboten sich die doppelte Sühne für ihn zu entrichten, und schlugen vor, damit sie nicht als dessen Mörder vor ihm erscheinen 72), jemand, der nicht zu ihrem Stamme gehöre, solle ihn aus der Welt schaffen. Da aber Abu Talib unerschütterlich war, und seine nächsten Verwandten, die Söhne Haschims, so wie die Muttalibs 73), sowohl Muselmänner, als Heiden, ihm schützend zur Seite standen, so wurden sie alle von den beiden andern Hauptzweigen der Kureischiten, d. h. von den Söhnen Naufals und Abd Schems in Acht erklärt. Die Urkunde, in welcher sich letztere verbindlich machten, Mohammeds Beschützer als Feinde anzusehen, und jeden Verkehr mit ihnen abzuschneiden, bis sie ihn ausliefern würden, ward am ersten Muharram des siebenten Jahres nach der Sendung Mohammeds 74) im Innern der Kaaba aufgehangen, und den Geächteten blieb keine andere Wahl, als sich gleichfalls zu Mohammed zu begeben, wo sie durch die Unzugänglichkeit
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72) Bekanntlich galt es bei den alten Arabern für die größte Feigheit, für den Tod eines Verwandten an dessen Mörder keine Rache zu nehmen.
73) Nicht Abd Almuttalib wie bei H. v. H. (S. 70), dieser war ja selbst ein Sohn Haschims, sondern Muttalib, der wie Naufal und Abd Schems ein Bruder Haschims war.
74) Ch., auch Gagnier, S. 132. Demnach war Mohammed, als er sich einschloß, noch nicht volle 47 Jahre alt. Das folgende findet man bei I.
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der Schlucht, in welcher das Schloß lag, vor ihren Feinden geschützt waren. Doch fürchtete Abu Talib selbst hier so sehr irgend einen Verrath, daß Niemand wissen durfte, wo Mohammed schlief; er mußte jede Nacht das Bett, welches man für das seinige hielt, verlassen, und sich in ein anderes legen. In dieser Schlucht brachten sie nahe an drei Jahren zu, obschon sie selbst an den nothwendigsten Lebensbedürfnissen Mangel litten, indem sie selbst nur während der heiligen Monate 75) nach Mekka kommen durften, und die Kureischiten alles aufboten, damit ihnen keiner ihrer heimlichen Freunde etwas zuführe. Als endlich die Feinde Mohammeds sahen, daß derselbe unerschütterlich in seinem Glauben, und daß seine Verwandten lieber jeden Mangel ertragen, als ihn ausliefern wollten, und als in Mekka selbst viele Stimmen sich gegen ihre Härte vernehmen ließen 76), so waren sie geneigt, den Bann aufzuheben. Da indessen die in der Kaaba aufbewahrte Urkunde, in welcher ausdrücklich gesagt war, „sie würden mit den Haschimiten keinen Frieden schließen, bis sie Mohammed
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75) Während derselben wurde gewiß damals noch jede Feindseligkeit eingestellt; dem sei aber wie ihm wolle, so bemerkt Ch. ausdrücklich, daß sie während der Feste (mausam) nach Mekka kamen, so auch Gagnier 132 nach Djannabi. H. v. H., der (S. 70) behauptet, sie seien sogar verhindert worden, die Pflichten der Wallfahrt zu vollziehen, hätte wenigstens eine Quelle anführen sollen.
76) Selbst Abu Sosian gestand nach I. ein, daß es Unrecht von ihnen wäre, ihre Vetter in solcher Noth zu lassen. Auch erzählt er, was man auch bei S. sol. 71 findet, daß einige andere Mekkaner, meistens Verwandte Mohammeds, sich verbanden, um die Aufhebung des Banns zu erwirken. Die Legende läßt nun Mohammed seinem Oheime sagen: Die Würmer haben die Urkunde bis auf den Namen Gottes, oder nach einigen den Namen Gottes aufgefressen. Abu Talib begab sich hierauf nach Mekka und begehrte die Urkunde zu sehen, um wo möglich einen Frieden zu schließen, und da sie zum Theil zernichtet war, so drang die Ansicht derjenigen, welche schon vorher zu seinen Gunsten gesprochen hatten, durch.
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ausliefern,“ sie fesselte, so zernichteten dieselbe in der Nacht wahrscheinlich einige Freunde Mohammeds, so daß der Befreiung der Abgeschlossenen kein Hinderniß mehr im Wege stand.
Nicht lange nach Mohammeds Rückkehr nach Mekka besuchte ihn eine christliche Karawane aus Nadjran 77), ein Städtchen, sieben Tagereisen südlich von Mekka, im Tempel, und ward so sehr von seinen Reden eingenommen, daß sie, trotz der sie verspottenden Kureischiten, sich dennoch zu seinem Glauben bekannte. Das Gleiche that Djammâd, ein Teufelsbeschwörer aus dem Stamme Azd, der in Mekka gehört hatte, Mohammed sei von Dämonen besessen, und sich in der Absicht, ihn zu heilen, zu ihm begeben hatte. Mohammed sagte ihm aber: „Du behauptest, Menschen von Dämonen befreien zu können? Nur Gott dürfen wir um Hülfe anflehen, wen er leitet, kann Niemand irre führen, wen er aber im Irrthum läßt, den kann niemand davon befreien. Bekenne, daß es nur einen Gott gibt, der mich zu seinem Gesandten erwählt.“
In diese Zeit, wo die Perser Syrien und einen Theil Egyptens eroberten, fällt die Offenbarung der dreißigsten Sura des Korans, in welcher Mohammed voraussagt, daß die jetzt von den Persern geschlagenen Griechen nach einigen Jahren wieder die Oberhand über dieselben gewinnen würden. Mohammed, der wahrscheinlich die Unzufriedenheit der Perser mit Chosru Perwiz kannte, und die daraus entsprungenen Unruhen voraussah, beruhigte damit die Muselmänner, welche natürlich als Männer der Schrift, wie sie der Koran nennt, das heißt als solche, die an eine Offenbarung glauben, an dem Schicksal der Christen innigen Antheil nahmen, während die heidnischen Mekkaner die Kunde von dem Siege der Perser mit Frohlocken aufnahmen. Nach der Offenbarung dieses Kapitels ging Abu
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77) Diese und die folgende bisher noch unbekannte Bekehrung erzählt I. aus dem Ujûn Alathr. Die erstere auch S. fol. 76, wobei aber bemerkt wird, daß nach einer andern Tradition diese Christen nicht aus Nadjran, sondern aus Abyssinien waren. Nach fol. 123 kamen sie erst in Medina zu Mohammed.
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Bekr mit einem Kureischiten eine Wette um zehn Kameele ein, daß die Griechen in drei Jahren wieder über die Perser siegen würden. Als Mohammed davon hörte, sagte er zu Abu Bekr: „gehe eine größere Wette ein, aber setze noch einige Jahre hinzu.“ Abu Bekr wettete dann um hundert Kameele, daß die Perser vor Verlauf von neun Jahren wieder besiegt werden. Als er die Wette gewann und Mohammed den Erlös der Kameele brachte, ließ ihn dieser unter die Armen vertheilen 78).
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78) Ch. Derselbe läßt aber Abu Bekr die Wette erst nach der Schlacht von Ohod (624) gewinnen, was mit den sonstigen Nachrichten über den Krieg zwischen den Persern und Griechen nicht übereinstimmt, auch den übrigen muselmännischen Traditionen widerspricht, welche die Griechen am Schlachttage von Bedr zu gleicher Zeit mit den Muselmännern über ihre heidnischen Feinde siegen lassen. Das von Manchen in diese Zeit gesetzte Wunder des getheilten Mondes verdient um so weniger im Texte eine Aufnahme, als selbst viele Muselmänner das dieser Legende zum Grunde liegende 54. Kapitel des Korans auf den jüngsten Tag beziehen. Doch mag folgende Legende aus I. hier an ihrem Platze sein: Ein Reisender erzählt: „Ich machte einst mit meinem Oheim und meinem Vater eine Geschäftsreise von Chorasan nach Indien, da kamen wir gleich an der Grenze Indiens in die Nähe eines Dorfes, aufdas sogleich die mit uns reisenden Kaufleute zuliefen. Wir fragten sie nach dem Namen dieses Dorfes, sie antworteten uns: es ist das Dorf des Scheich Zein Eddin Almuammir. Wir folgten ihnen bis zu einem Baume, der vor dem Dorfe stand, unter dem sich viele Leute schatteten, die uns willkommen hießen. Als wir unter dem Baume saßen, sahen wir einen Korb an einem der Zweige aufgehängt, und als wir fragten, was er enthalte, hörten wir, der Scheich Zein Eddin halte sich in diesem Korbe auf, der noch den Propheten gesehen und jetzt über 600 Jahre alt ist. Auf unser Verlangen, den Scheich zu sehen, und einiges von ihm über Mohammed zu hören, ließ ein anderer Alter den Korb herunter, und siehe da, er war mit Baumwolle gefüllt, und der Scheich saß darin, wie ein Huhn auf ihrem Neste. Der Alte, der ihn heruntergelassen , sagte ihm dann etwas ins Ohr, worauf jener in persischer Sprache, die wir verstanden, mit einer Stimme, welche nicht stärker als Bienengesumme war, begann: Als ich einst im Jünglingsalter mit rneinem Vater eine Handelsreise nach dem Hedjas machte, und in einem der Thäler Mekkas mich befand, sah ich einen sanften Knaben, der Kameele hütete, und durch einen starken Regenbach von denselben getrennt ward. Sobald ich seine Verlegenheit bemerkte, näherte ich mich ihm und trug ihn auf meinen Schultern über den Bach, setzte ihn bei seinen Kameelen nieder, worauf er mich dankend verließ. Nach vielen Jahren, als wir in unserem Dorfe eines Nachts beisammen saßen, sahen wir, wie sich der Mond spaltete, und die eine Hälfte nach Westen, die andere nach Osten zog; hierauf trat eine Weile eine große Finsternis ein, bis endlich wieder die eine Mondhälfte von Osten und die andere von Westen kam, und sich wieder mitten im Himmel vereinigten. Diese Erscheinung setzte uns alle in Erstaunen, bis wir endlich von einer Karawane vernahmen, ein Mann, aus dem Geschlechte Haschim, sei als Prophet aufgetreten, und die Bewohner Mekkas seien so lange in ihn gedrungen, er möchte sie doch durch ein Wunder überzeugen, bis auf sein Gebet sich der Mond spaltete. Da ich diesen Propheten auch zu sehen wünschte, reiste ich nach Mekka, und bat, bei ihm vorgelassen zu werden. Sobald er mich erblickte, lächelte er, und fragte mich, ob ich ihn nicht erkenne? ich antwortete: nein. Da sagte er: erinnerst du dich nicht, einst in der Nähe dieser Stadt einen Knaben über einen Bach getragen zu haben? Dieser Knabe war ich. Er ließ mir dann Datteln vorstellen, und als ich einige gegessen, reichte er mir die Hand und forderte mich auf, das mohammedanische Glaubensbekenntniß abzulegen; als ich dieß gethan, freute er sich, und sagte mir beim Weggehen sechs Mal: „Gott segne dein Leben!“ Nun hat mir Gott für jedes Mal hundert Jahre geschenkt; ich befinde mich jetzt in meinem sechsten Jahrhunderte und erwarte dessen Ende.“
Leben Mohammeds.
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Betrübender als die Nachricht von der Niederlage der Griechen war für Mohammed, der im zehnten Jahre seiner Sendung erfolgte Tod seines Oheims und Beschützers, Abu Talib, welchem auch bald seine Gattin Chadidja ins Grab folgte. Abu Talibs Beharrlichkeit im Glauben seiner Väter — denn noch in den letzten Zügen, als die ihn umgebenden Muselmänner ihm das mohammedanische Glaubensbekenntniß auspressen wollten,
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sagte er: ich sterbe in dem Glauben Abd Almuttalibs 79) — widerlegt am besten die vielen Wunder, welche die Legende um Mohammeds bisheriges Leben ausstreut, so wie aber auch auf der andern Seite, die Liebe, mit der er an ihm hieng und die Opfer, die er ihm brachte, uns nicht gestatten, Mohammed für einen Lügner oder Betrüger zu halten. Sei es nun, daß Abu Talib seinen Neffen für einen Geisteskranken oder von Dämonen geplagten Menschen hielt, so war er gewiß von dessen reiner Absicht überzeugt, und ist die von Sebt Ibn Djuzi angeführte Tradition, nach welcher schon Abd Almuttalib in seinen letzten Jahren den Götzendienst aufgab, wahr, so konnte auch Abu Talib im Glauben an die Einheit Gottes gelebt haben und gestorben sein, ohne deshalb seinen Neffen als einen Propheten anzuerkennen. Mohammed beweinte ihn und erflehte, trotz seines Unglaubens, Gottes Gnade für ihn. Die Todtenwaschung und übrigen damals üblichen Leichenceremonien besorgte 80) Ali auf Mohammeds Befehl. Weniger als Abu Talib betrauerte Mohammed seine Gattin Chadidja, gegen die er zwar so rücksichtsvoll war, daß er, so lange sie lebte, keine andere Frau zu ihr heirathete, obschon er dieß nach den damals herrschenden Gesetzen und Sitten recht gut gekonnt hätte, und obschon sie erst in einem Alter von fünfundsechzig Jahren starb. Aber noch war kein
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79) Diese Tradition bei I. und Ch. scheint mir glaubwürdiger, als die andere, welche man bei S. fol. 83 und Abulfeda findet, der zu Folge Abu Talib gesagt haben soll: „ich würde mich gerne bekehren, aber ich fürchte, man möchte glauben, ich thue es aus Furcht vor der Todesstunde.“ Man sieht doch wahrlich nicht ein, wenn er wirklich von Mohammeds Sendung überzeugt war, warum er nicht früher Muselmann geworden. Die Verse, welche auch für Abu Talibs Ueberzeugung sprechen, gehören in eine Kategorie mit denen, welche Amina vor ihrem Tode dichtete. Vergl. die Anmerkung 4.
80) So bei I. und Ch. nicht Mohammed selbst. Ueber die Zeit zwischen Abu Talibs und Chadidjas Tod stimmen die Berichte nicht überein, doch geben die meisten nur drei Tage an.
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Monat nach ihrem Tode verflossen 81), so heirathete er Sauda, eine gläubige Wittwe, die ihren Gatten, mit dem sie nach Abyssinien ausgewandert war, kurz vorher verloren hatte, und bald darauf verlobte er sich auch mit der siebenjährigen Aïscha, der Tochter Abu Bekrs. Mohammeds Honigwochen waren aber von kurzer Dauer, denn die Kureischiten, die seit Abu Talibs Tod wieder gehässiger gegen ihn geworden waren, nöthigten ihn bald, abermals Mekka zu verlassen. Er wandte sich nach Taïf, einem zwei Tagereisen östlich von Mekka gelegenen Städtchen, dessen Bewohner, die Thakisiten, mit ihm verwandt waren. Aber nicht nur sein Versuch, sie zu seinem Glauben zu bekehren, mißlang, sondern sie versagten ihm auch sogar ihren Schutz. Auch seine Bitte bei den Häuptern des Städtchens, seinen Besuch bei ihnen geheim zu halten, ward ihm nicht gewährt. Sie schickten ihm Sklaven und Kinder nach, die ihn bis zum Städtchen hinaus, mit Steinen verfolgten, von denen ihn einige schwer verwundeten, trotz der Bemühungen seines Sklaven Zeid, der ihn auf dieser Reise begleitete, sie von ihm abzuwehren. Aeußerst niedergeschlagen kehrte er nach Mekka zurück, durfte es jedoch nicht wagen, die Stadt zu betreten, bis Mutim, der Sohn Adij's, ihn unter seinen Schutz nahm. Je weniger aber Mohammed bei den verstockten Arabern Gehör fand, je größer die Schwierigkeiten wurden, mit denen er zu kämpfen hatte, um so inniger mußte sein Verhältniß zu Gott und der Geisterwelt werden, und um so höher in seinen eigenen Augen die Stufe, auf welche ihn Gott gestellt, der ihn zu einer so schwierigen Sendung erkohren. So begreift man, daß er auf seiner Rückkehr von Taïf eine Vision hatte, in
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81) So ausdrücklich bei I. Die Verlobung mit Aïscha, die er erst in Medina heirathete, soll im folgenden Monate, nach einigen aber noch vor seiner Vermählung mit Sauda stattgefunden haben. Chadidja starb nach I. und Ch. im Ramadhan, und vor Ende Schawwal (des darauf folgenden Monats) verließ Mohammed Mekka, also nicht drei Monate nach Chadidjas und Abu Talibs Tod, wie bei H. v. H. (S. 74).
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welcher die Genien 82) ihm als Propheten huldigten, wie dieß in dem damals geoffenbarten zweiundsiebenzigsten Kapitel des Korans erzählt wird, und daß er bald darauf 83), dem Anfang
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82) Der Glaube an Genien , welchen die Juden aus der Babolonischen Gefangenschaft nach Palästina verpflanzt, wurde wahrscheinlich auch durch sie, wenigstens in der Gestalt, die er durch Mohammed erhielt, in Arabien einheimisch. In den rabbinischen Schriften ist häufig von diesen Djinn, unter dem Namen Schedim die Rede. Es sind Mittelgeschöpfe zwischen Engeln und Menschen, die essen, trinken, sich begatten und sterben, die aber sehr lange leben und sich vor den Menschen unsichtbar machen, oder jede beliebige Gestalt annehmen können. Sie sind auch in gute und Böse, Gläubige und Ungläubige getheilt, die häufig mit einander Krieg führen. (S. Lane modern Egypt. I. 283 u. ff. und Eisenmenger, T. II. Kap. VIII).
83) Ueber Jahr, Monat und Tag dieser Nachtreise und Himmelfahrt weichen die Traditionen von einander ab, doch nehmen die meisten das dritte Jahr vor der Hidjrah an. Die wunderbare Reise von Mekka nach Jerusalem ist im Koran angedeutet, obschon sich allerdings der erste Vers der dreizehnten Sura auf irgend eine natürliche Reise des Propheten nach Palästina beziehen ließe. Die Himmelfahrt aber beruht blos auf mündlicher Tradition, denn werden auch an andern Stellen des Korans Quellen und andere Gegenstände des Paradieses erwähnt, so konnte, selbst nach mohammedanischen Begriffen, Mohammed auf gewöhnlichem Wege der Offenbarung davon Kunde erhalten haben, ohne daß er selbst mit eigenen Augen in dieser Nacht dieß alles gesehen habe. Viele Muselmänner, die an die Nachtreise glauben, läugnen daher die Himmelfahrt, und Manche wollen sogar in der Nachtreise nur einen Traum oder eine Vision erkennen. Die ganze, poetisch ausgeschmückte, aber auch furchtbar überladene Legende kann man bei Gagnier, II, S. 195—251 nachlesen. Daß Mohammed absichtlich diese sonderbare Reise erzählte, um seine Lehre durch ein Wunder zu begründen, wie H. v. H. (S. 79) glaubt, ist mir ganz unwahrscheinlich, denn wenn die Kureischiten durch ein Wunder überzeugt zu werden wünschten, so war es gewiß ein solches, dessen sie Augenzeugen sein konnten, wie etwa das des gespalteten Mondes, nicht aber durch die Erzählung unglaublicher Begebenheiten, die wieder nur auf Mohammeds Aussage beruhten. Sollen wir etwa der Legende Glauben schenken, welche Mohammed die Zweifler dadurch überzeugen läßt, daß er ihnen ein treues Bild von Jerusalem und dessen Tempel entwirft, nach einem Modell, das ihm der Engel Gabriel vorhält, und daß er ihnen verschiedene Nachrichten von Karawanen bringt, die auf dem Wege zwischen Mekka und Syrien waren?? — Noch unwahrscheinlicher ist, daß er dieses Wunder erdichtete, um das zweite Kapitel des Korans dadurch zu sanctioniren, wie H. v. H. (S. 88) vermuthet, denn sind auch, der Legende zufolge, die letzten Verse dieses Kapitels während der Himmelfahrt geoffenbart worden, so ist doch nach allen Interpretatoren des Korans der übrige gesetzgebende Theil, welcher nach H. v. H. einer besondern Sanction bedurfte, erst mehrere Jahre später in Medina erschienen.
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der siebenzehnten Sura zufolge, in einer anderen Vision von einem nur für Propheten geschaffenen geflügelten Pferde (Borak) nach dem Tempel von Jerusalem, und von da bis über den siebenten Himmel hinauf in die Nähe Gottes getragen wurde, wo nicht nur die Patriarchen und früheren Propheten ihn als den geliebtesten Gesandten Gottes begrüßen, sondern auch die Engel ihm den Vorzug vor ihnen einräumen mußten, und Gott selbst ihn als die Perle und Zweck der Schöpfung verkündete. Diese letzte Vision, in welcher ihm auch das Gebot des fünfmaligen täglichen Gebets 84) geoffenbart ward,
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64) Die Zeit der Gebete ist: 1) Sonnenuntergang. 2) ungefähr 5/4 Stunden nachher. 3) Tagesanbruch. 4) Mittagsstunde. 5) Ungefähr die Mitte zwischen letzterer und dem Beginn der Nacht. Das eigentliche Gebet besteht nur aus mehrmaliger Wiederholung, je nach den verschiedenen Tageszeiten, der Worte: „Gott ist allmächtig, sei gepriesen höchster Gott! Gott erhöre den, welcher ihn lobpreist! Das höchste Lob gebührt dir, o Herr! Zu dir beten wir und für dich üben mir gute Werke, Friede sei mit dir, o Prophet! und Gottes Gnade und Segen, mit dir und allen wahren Verehrern Gottes.“ Dazu kommt noch das mohammedanische Glaubensbekenntniß, die Begrüßung der Engel und das Hersagen mehrerer kleinerer Kapitel des Korans.
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erschien selbst seiner gläubigen Cousine, Um Hani, so unglaubwürdig, daß sie ihn am Kleide festhielt, und bei Gott beschwor, sich doch ja nicht durch deren weitere Mittheilung bei den Kureischiten lächerlich zu machen. Mohammed, bei dem auch dießmal Traumbild, Vision und Wirklichkeit sich in einander auflösten, gab ihr kein Gehör, und die Folge war, daß nicht nur die Kureischiten ihn mehr als je verlachten, sondern selbst einige Gläubige von ihm abfielen. Während aber für Mohammed jede Hoffnung, als Prophet anerkannt zu werden, verloren schien, ward noch in demselben Jahre der Grund zu seiner künftigen Größe gelegt. Nachdem er nämlich während der heiligen Festmonate auf den verschiedenen Messen sowohl, als in Mekka selbst, vergebens bei vielen Stämmen Schutz gesucht, aber kein Gehör gesunden hatte, weil es immer hieß: „deine eigenen Leute müssen dich doch am besten kennen,“ wendete er sich zuletzt noch an sechs oder acht Medinenser, und lud sie auf dem nördlich von Mekka sich erhebenden Hügel Akaba 85) ein, sich zu ihm zu setzen und ihn anzuhören. Er fragte sie, zu welchem Stamme sie gehören, und als sie ihm sagten, sie seien Chazradjiten, ein früher mit den jüdischen Bewohnern Medinas verbündeter 86), und damals sie beherrschender Stamm,
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85) Dieser Hügel liegt auf der linken Seite der Straße von Mekka nach Mina, wo später eine Moschee gebaut ward, welche „die Huldigungsmoschee“ genannt ward. I.
86) So bei I. und Ch. nach Kastalani. Abulfeda nennt sie blos Bundesgenossen, daß aber die weit zahlreicheren Chazradjiten damals abhängig von den Juden waren, wie H. v. H. S. 78 berichtet, ist gewiß ein Irrthum. Auch gehören die Stämme Tasm und Djadis, welche H. v. H. als Verbündete der Juden von Medina nennt, bekanntlich zu den längst untergegangenen, wie Aad und Thamud. Was die Feindschaft der Chazradjiten und der Ausiten betrifft, so erzählt I. und Ch., daß nicht lange vorher die Schlacht von Buath oder Bugbath, ein Ort, zwei Tagereisen von Medina, zwischen diesen beiden Stämmen vorgefallen war. Die Veranlassung zum Kriege war nach I., daß ein Ausite einen Schützling der Chazradjiten erschlug. Nach den damaligen Gebräuchen sollte der Mörder die bestimmte Sühne zu entrichten, angehalten, aber nicht wegen des Mordes eines Schützlings wieder getödtet werden. Da aber dennoch ein Chazradjite Blutrache nahm, brach der Krieg zwischen ihnen und den Ausiten aus.
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aus dem auch die Haschimiten von mütterlicher Seite her abstammen, trug er ihnen die Grundlehren des Islams vor. Mohammed fand bei diesen Leuten um so leichter Gehör, als sie ihn für den Propheten oder Messias halten konnten, den, wie sie wohl wußten, die Juden täglich erwarteten. Als er sie aber fragte, ob sie ihn bei sich aufnehmen und ihn beschützen wollten, antworteten sie: „Das können wir jetzt noch nicht, denn noch leben wir in Zwiespalt mit den Ausiten, die einen Theil unserer Stadt bewohnen; warte daher bis zum nächsten Jahre, vielleicht wird Gott bis dahin den Frieden wieder unter uns herstellen, dann können wir vereint dir einen sichern Zufluchtsort anbieten.“ Es sei aber, daß die Feindschaft zwischen den beiden Stämmen bis gegen Ende des Jahres fortdauerte, oder daß die bekehrten Medinenser in ihrer Heimath weniger Anklang fanden, als sie gehofft hatten, so ist gewiß, daß der Islamismus in diesem Jahre in Medina noch wenig Fortschritte machte, denn auf dem folgenden Pilgerfeste (621 nach Chr.) erschienen nur zwölf Muselmänner aus Medina, worunter fünf, welche schon im vorigen Jahre Mohammed als Propheten anerkannt hatten. Von den sieben neuen Proselyten gehörten nach den meisten Berichten fünf den Chazradjiten und zwei den Ausiten an. Sie hatten wieder eine Zusammenkunft mit Mohammed auf dem Hügel Akaba, wo sie ihm die Huldigung darbrachten, welche er dem Koran zufolge nach der Eroberung von Mekka von den zum Islamismus sich bekehrenden Frauen verlangte. Sie mußten nämlich geloben, daß sie Gott keinen Gefährten geben, nicht stehlen, keine Unzucht treiben, keinen Kindermord begehen, nicht lügen und von den guten Vorschriften Mohammeds nicht abweichen wollten. Sie waren aber noch zu schwach, um sich anheischig zu machen, ihn gegen seine Feinde in Schutz zu nehmen.
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Zwar flüchteten sich schon in diesem Jahre manche Muselmänner nach Medina 87), aber die bekehrten Medinenser selbst mußten ihren neuen Glauben verheimlichen, wenn sie sich nicht manche Verfolgungen von den Heiden zuziehen wollten 88). Indessen verbreitete sich der Islam im Stillen immer mehr in Medina, besonders seitdem Mohammed den gelehrten Mußab dahin sandte, dessen Predigten und Koransvorlesungen vielen Beifall fanden. Dieser war es auch, welcher nach vielen einzelnen Bekehrungen die neuen Glaubensbrüder jeden Freitag zum Gebete und zu religiösen Besprechungen vereinigte, daher auch dieser Tag später zum Feiertage eingesetzt ward. Im nächsten Jahre endlich, als Mohammed 53 Mondjahre alt war, befanden sich unter den medinensischen Pilgern dreiundsiebenzig 89) Muselmänner und zwei Muselmänninnen, welche
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87) I. und Ch., auch S. fol. 96 bemerken ausdrücklich, daß Abu Salama und einige andere bald nach der ersten Huldigung, nach Medina auswanderten; wahrscheinlich mußten sie aber ihren Glauben so gut wie die Medinenser selbst bis nach der zweiten Huldigung geheim halten, was ebenfalls von I. berichtet wird, nicht wie bei Gagnier (S. 281), der sie erst nach der zweiten Huldigung abreisen läßt. Nach letzterer ward die Auswanderung aber allgemein und von Mohammed geboten.
88) Daß auch in Medina die Muselmänner in der ersten Zeit vielen Widerstand fanden, geht schon aus dem, was Abulfeda (nach S. fol. 88), von Useid erzählt, hervor, welcher mit seinem Schwerte auf Mußab zuging und ihm sagte: „was kommst du hierher, um unsere Schwachköpfe irre zu führen? entferne dich, wenn dir dein Leben theuer ist.“
89) So bei Abulfeda, auch bei I. und Ch. nach Ibn Hischam (S. fol. 90), andere zählen 70, wieder andere 71 oder 72 Männer. Sie kamen mit 300, nach Einigen sogar mit 500 heidnischen Pilgern aus Medina, welche noch gar nicht wußten, daß sich Muselmänner unter ihnen befanden, denn nach S. fol. 92 kamen die Kureischiten am Morgen nach der Huldigung zu einigen von ihnen, um ihnen Vorwürfe zu machen, sie schwuren aber bei Gott, sie wüßten von dem ganzen Vorfalle nichts. Einer sah den andern an, denn sie wußten in der That nichts davon (so bemerkt S.), und hatten nicht falsch geschworen.
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auf Akaba mitten in der Nacht mit Mohammed ein förmliches Schutz- und Trutzbündniß schlossen, und ihn einluden, mit den Seinigen nach Medina auszuwandern. Abbas, der zwar, wie Abu Talib, seinen Glauben damals noch nicht geändert hatte, aber dennoch seinen Neffen beschützte, und ihn auch zu dieser Versammlung begleitete, machte die Medinenser auf die Folgen dieses Bündnisses aufmerksam; er stellte ihnen vor, daß sie dadurch gewissermaßen ganz Arabien den Krieg erklären, und bat sie, da doch Mohammed unter seinem Schutze in Mekka noch sicher wäre, ihn nicht zu sich zu rufen, wenn sie nicht den festen Entschluß gefaßt und Macht genug hätten, ihn gegen seine Feinde zu vertheidigen 90). Sie waren aber unerschütterlich und sagten zu Mohammed: „Mache nur deine Bedingungen, und fordere für Gott, für dich und deine Anhänger, was wir zu leisten haben.“ Darauf erwiederte Mohammed: „Für Gott
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90) So bei Abulfeda und noch ausführlicher bei I. und Ch., nach S. fol. 91. H. v. H. läßt (S. 90) Abbas sagen: „Daß nachdem Mohammed von der Gemeine der Kureisch ausgeschlossen sei, er nichts besseres thun könne, als sich nach Medina zu begeben“; er citirt dazu in einer Note: „Abulfeda vita, S. 43.“ So lauten Abbas' Worte allerdings nach der fehlerhaften Uebersetzung Gagnier's: „mohammedem nostis undenam sit. Et quidem eum a populo nostro jam seclusimus: ille enim in se habet ea, ob quae a patria sua exulare mereatur“ u. s. w. Der Fehler rührt von der falschen Deutung des Wortes manaa her, welches hier vertheidigen und nicht ausschließen bedeutet. Aber schon Reiske und nach ihm Noel des Vergers haben diese Stelle richtig wiedergegeben. Sie lautet bei letzterem: „Nous l‘avons défendu contre nos compatriotes et il trouve dans son pays estime et protection. Cependant il veut absolument se réunir à vous et dévenir un des votres etc.“ Die folgenden arabischen Worte, über welche Reiske so verschiedene Lesearten anführt, lauten bei I. wie bei Noel des Vergers in seiner Anmerkung, S. 114, eben so bei S. fol. 91. Der Hauptfehler besteht in der Verwechslung von wafuna oder tuwafuna mit takifuna.
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begehre ich, daß Ihr ihn allein, ohne Gefährten anbetet, für mich und meine Glaubensgenossen aber, daß Ihr uns wie euer eigenes Leben und das eurer Frauen und Kinder beschützet, daß Ihr mir gehorchet in Freud und Leid, und stets die Wahrheit bekennet, ohne einen Tadel zu fürchten.“ Da riefen sie einstimmig, wir schwören dir es, und gaben ihm den Handschlag der Huldigung. Mohammed ernannte dann, dem Beispiele Jesu folgend, ehe sie aus einander gingen, zwölf von ihnen als Vorsteher. Den Kureischiten blieb aber diese Zusammenkunft nicht verborgen; schon in der Nacht vernahm man eine Stimme von der Höhe des Hügels, welche den Mekkanern zurief: „Wollt Ihr den Getadelten sammt den Abtrünnigen haben, die ein Bündniß geschlossen, um euch zu bekriegen 91)?“ Und gleich am folgenden Morgen wurde den Verbündeten nachgesetzt und einer derselben unter vielen Mißhandlungen nach Mekka zurückgebracht, wo er so lange gefoltert ward,
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91) Nach der Ansicht der muselmännischen Biographen kam diese Stimme vom Teufel und Mohammed soll darauf geantwortet haben: „Teuflischer Zwerg (Izb oder Azab) Akabas, du Feind Gottes, bei Gott ich mache dir ein Ende.“ Mohammed (der Preiswürdige) wird in diesem Satze bei Ch. und I., nach S. fol. 92 mudsammam (Tadelnswerthe) genannt, die Muselmänner wie gewöhnlich Subat (plur. von Sâbi, Abtrünniger) und die Bewohner der Umgebung Mekkas: Ahl Al djabadjib, welches nach dem Kamus unter anderem die Hügel und Plätze Mekkas, oder einen Ort bei Mina bedeutet. Gagnier hat diese ganze Stelle mißverstanden. Sie lautet bei ihm (S. 278): „O vous qui logez dans des hotelleries, ne vous déflez vous point de Mohammed le Sabien? Les Sabiens sont d‘intelligence avec lui. Ils s‘assemblent sous main pour vous faire la guerre.“ Es heißt dann bei I. noch nach einer andern Tradition: „Eine Stimme rief: Gemeinde Kureisch, die Austien und Chazradjiten haben geschworen, euch zu bekriegen. Da erschracken die Verbündeten. Mohammed sagte ihnen aber: Fürchtet nichts! es ist Iblis, der Feind Gottes, niemand von euern Feinden hört ihn.“ I. setzt dann noch hinzu: „Diese beiden Traditionen widersprechen sich nicht, denn Izb gehört auch zur Gattung der Iblis.“
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bis ihn ein alter Handelsfreund unter seinen Schutz nahm. Von dieser Stunde an wurden auch die Muselmänner in Mekka, welche manche bisher als Neuerer mehr bedauert und verachtet, als gehaßt hatten, als wahre Feinde angesehen und als solche behandelt, so daß ein jeder, sobald er es nur konnte, nach Medina zu flüchten suchte. Mohammed selbst blieb indessen noch fast drei 92) Monate in Mekka, entweder weil er so lange als möglich es verhüten wollte, sich zu einem Flüchtlinge zu machen, wahrscheinlicher, weil er warten wollte, bis sein Anhang in Medina, wo noch immer die Heiden die Mehrzahl bildeten, und nicht selten Streitigkeiten zwischen ihnen und den Muselmännern vorfielen, noch festeren Fuß gefaßt haben würde. Er behielt auch seine zuverläßigsten Freunde Ali und Abu Bekr bei sich, mit denen er im Nothfalle auszuwandern gedachte. Letzterer hielt immer zwei Kameele zur Reise bereit, um auf den ersten Wink Mohammeds die Stadt
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92) Ueber die Zeit zwischen der zweiten Huldigung und Mohammeds Flucht weichen die Nachrichten von einander ab. Die Huldigung wird indessen allgemein auf einen der drei Tage (Ajjam Attaschrîk) nach dem Opferfeste (11—13. Dsul Hudjab) gesetzt; der Tag der Flucht aus Mekka aber von manchen auf den 12. Rabial Awwal, von andern auf den 8., wieder von andern auf den ersten. Nach Einigen kam er sogar am 1. schon in Medina an. Auch über die Dauer seines Aufenthalts in der Höhle sind die Meinungen getheilt, da Manche die Nacht seiner Ankunft zu den drei Nächten zählen, andere nicht. Die zuverläßigsten Traditionen bei Ch. lassen ihn am ersten Rabial Awwal Mekka verlassen, und am 12. in Medina anlangen. Demnach hätte die eigentliche Auswanderung am 13. September 622 stattgefunden, statt am 20. nach Abulfeda, welcher den 8. Rabial Awwal als den Tag der Flucht angibt. Keinesfalls aber am 22. Juli, wie bei H. v. H. (S. 92). Bekanntlich ist die Flucht Mohammeds von der Aera der Hidjrah verschieden, die mit dem ersten Muharram jenes Jahres beginnt. S. Abulfeda I. 62 in der Ausg. von Reiste und Ideler's mathemat. und technol. Chronologie II, 486. (Vergleiche auch Anmerk. 101).
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verlassen zu können. Den Kureischiten könnte aber, nachdem alle übrigen Muselmänner ausgewandert waren, Mohammeds Absicht nicht verborgen bleiben; sie beschlossen daher abermals in einer Sitzung, welche sie in dem an den Tempel anstoßenden Rathhause hielten, auf den Vorschlag Abu Djahls, welchen ein Unbekannter, der sich für einen Mann aus der mit ihnen befreundeten und verwandten Provinz Nedjd ausgab, unterstützte, Mohammed in der Nacht zu ermorden. Die mit der Mordthat beauftragten Kureischiten umzingelten sein Haus gleich beim Anbruch der Nacht, wollten aber, wahrscheinlich um den Kampf mit den Haschimiten zu vermeiden, mit der Ausführung ihres Planes eine spätere Nachtstunde abwarten 93). Mohammed hatte aber, vielleicht durch denselben Unbekannten, der, um seine Sympathie für ihn um so sicherer zu verbergen, am heftigsten gegen ihn gesprochen hatte, von dem Beschlusse seiner Feinde Kunde erhalten 94), er ließ daher Ali in seinem Gewande, und unter seiner Decke sich so niederlegen, daß ihn die Kureischiten von Außen sehen konnten, aber natürlich für
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93) Nach einigen unwahrscheinlichen Berichten wollten sie den Morgen abwarten, sie fürchteten keine Rache, denn es war ein Mann aus jeder Familie dabei; sie beschlossen daher die That gemeinschaftlich bei hellem Tage auszuführen. Bei S. fol. 101 heißt es, sie wollten warten, bis er eingeschlafen sein würde. Auf der andern Seite heißt es dann aber: „als Mohammed sie durch eine Hand voll Staub geblendet hatte und weggegangen war, kam jemand zu ihnen und sagte ihnen, daß sie Mohammed vergebens auflauern. Da sie aber Ali in seinem Gewande für ihn hielten, glaubten sie es nicht, und blieben bis zum Morgen stehen. Erst als Ali aufstand, sahen sie, daß sie überlistet worden.“ Solche Widersprüche rühren von der Verschiedenheit der Traditionen her.
94) Die muselmännischen Biographen halten diesen Unbekannten für den Teufel, weil er den Vorschlag Abu Djahls unterstützte; ich halte ihn viel eher für Mohammeds Engel, der, um als Fremder in das Rathhaus eingelassen zu werden, sich ein Redjdi, d. h. nach I. Bewohner einer gegen Mohammed feindselig gestimmten und mit den Kureischiten verwandten Provinz, nannte.
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Mohammed halten mußten. Während sie aber, die Augen stets auf den verkleideten Ali geheftet, an dem Gelingen ihres Vorhabens nicht zweifelten, und es daher für überflüssig hielten, die andern Theile des Hauses zu bewachen, stieg Mohammed von der entgegengesetzten Seite über eine Mauer herunter 95), und flüchtete sich zu Abu Bekr. Mit diesem begab er sich nicht gleich auf den Weg nach Medina, weil er wohl wußte, daß seine Feinde, sobald sie ihre Täuschung einsehen, ihn dahin verfolgen würden, sondern er ging mit ihm in eine Höhle 96)
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95) Dieser zur Erklärung der Flucht so wesentliche Umstand ward bisher von keinem Europäer noch erwähnt, ich habe ihn auch blos bei I. gefunden, der eine Tradition anführt, nach welcher Mohammeds Dienerin, Um Rubab, sich vor ihm hinneigte, damit er über sie auf die Mauer steigen konnte; er sagt dann: „Freilich widerspricht diese Tradition einer andern, der zufolge Mohammed alle die vor seiner Thüre standen, mit Staub bestreute, doch wäre es möglich, daß er dieß that, wenn er auch aus irgend einem uns unbekannten (?) Grunde nicht zur Thüre hinausgehen wollte.“ Möglich wäre es auch, daß Mohammed schon Nachmittag, sobald er von dem Vorsatze seiner Feinde Kunde erhielt, sein Haus verließ und sich zu Abu Bekr begab, dafür spricht ebenfalls eine Tradition bei I. und Ch., auch bei S. fol. 102, in welcher Aïscha sagt: „Der Prophet pflegte uns immer Morgens oder Abends zu besuchen, an diesem Tage aber kam er während der stärksten Sonnenhitze, und mein Vater sagte gleich, es muß was Wichtiges vorgefallen sein.“ Mohammed wünschte dann mit Abu Bekr allein zu bleiben, und gab ihm die Nachricht, daß Gott ihm auszuwandern befohlen u. s. w. Sollen wir etwa glauben, er sei noch einmal nach Hause gegangen, damit die Rettung um so wunderbarer scheine?? Ali's Verkleidung kann deßhalb doch stattgefunden haben, damit Mohammed des Nachts um so sicherer aus Abu Bekrs Haus entkommen konnte, das gewiß auch bewacht war, denn nach allen Traditionen stiegen sie mit einander durch ein Fenster im Hinterhause auf die Straße herab. Bei S. a. a. O. Facharadjâ min chauchatin liabi bekrin fi zahri beitihi.
96) Die Legende von der Spinne, welche, damit man Mohammed nicht in der Grotte suche, ihr Gewebe vor die Oeffnung zog, und den Tauben, welche ein Nest davor bauten und Eier hinein legten, ist bekannt; weniger die des Baumes, welcher auf Mohammeds Befehl sich vor derselben erhob, um ihn zu beschatten und die Oeffnung ganz zu verbergen, und der Quelle, welche der über die Flüsse des Paradieses gesetzte Engel mit Wasser versehen mußte. Andere ähnliche Wunder, mit denen die Legende diese Reise ausschmückt, übergehe ich.
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des ungefähr eine Stunde östlich von Mekka gelegenen Berges Thaur. Abu Bekr bestellte vorher jemanden, der ihm seine Kameele vor die Höhle führen und ihm als Wegweiser dienen sollte, und beauftragte seine Kinder, ihm jede Nacht Lebensmittel und Nachricht von dem, was sich in der Stadt ereignet, zu bringen.
Die heilige Schrift der Muselmänner 97) spricht ziemlich deutlich dafür, daß Mohammed mehr durch List oder Gewandtheit, als durch ein Wunder gerettet worden, denn man liest dann: „(Gedenke o Mohammed!) als die Ungläubigen eine List ersannen gegen dich, um dich festzunehmen, zu tödten oder zu verbannen, da waren sie recht schlau, aber Gott setzte ihrer List eine andere entgegen, denn keine List vermag etwas gegen ihn.“
Drittes Haupstück.
Mohammeds Flucht nach Medina. Die erste Moschee. Brüderschaft unter den Muselmännern. Sein Verhältniß zu den Juden. Die Kibla, Idsan und Ramadhan. Ali's Hochzeit mit Fatima. Verschiedene Raubzüge. Entweihung der heiligen Monate. Das Treffen von Bedr.
Mohammed blieb mit Abu Bekr drei Tage und drei Nächte in der Höhle des Berges Thaur. In der vierten Nacht,
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97) Sura VIII. Vers 29. Manche beziehen auch den 9. Vers des 36. Kapitels auf Mohammeds Flucht, und dieser Vers gab wahrscheinlich zur Legende Veranlassung, als habe Mohammed die Verschworenen mit Staub bestreut, so daß er mitten durch sie gehen konnte, ohne von ihnen gesehen zu werden, doch ist eine allgemeinere Deutung, nach welcher die Verstocktheit der Ungläubigen recht sinnlich dargestellt wird, viel natürlicher und dem Zusammenhange entsprechender.
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als sie wahrscheinlich hörten, daß diejenigen, welche sie verfolgten, zurückgekehrt waren, machten sie sich auf den Weg nach Medina, folgten aber nicht der gewöhnlichen Karawanenstraße, sondern hielten sich mehr in der Nähe des rothen Meeres 98). Noch war indessen nicht alle Gefahr für Mohammed vorüber, denn die hundert Kameele, welche die Kureischiten auf seinen Kopf setzten, als sie statt seiner Ali in seinem Gewande fanden, lockten immer neue Verfolger herbei. Er ward noch von Surâka eingeholt, der ihn aber, weil sein Pferd bis an den Bauch einsank, und das Pfeil-Loos, das er über sein Unternehmen befragte, zu Gunsten Mohammeds entschied, verschonte. Nachher begegnete er Bureida 99), der ihm
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98) I. und Ch., auch S. fol. 104. Bei letzterem fol. 102 findet man auch, was ich von Abu Bekrs Kindern gesagt.
99) So die glaubwürdige Tradition bei I.; nach einer anderen, die auch Ch. anführt, war Bureida auch ausgezogen, um ihn zu tödten. Als er Mohammed eingeholt hatte, fragte ihn dieser: „Wie heißt du?“ Er antwortete: Bureida. Da sagte Mohammed zu Abu Bekr: „Unsere Sache steht gut (weil nämlich die Wurzel dieses Wortes im Arabischen frisch und gut sein, bedeutet).“ Er fragte dann wieder: aus welchem Stamme? „Aus dem Stamme Aslam.“ So sind wir gerettet, sagte Mohammed zu Abu Bekr (ebenfalls nach der Grundbedeutung des arabischen Wortes). „Und aus welchem Zweig?“ aus dem Zweig Sahm (Loos und Pfeil), „so hat dein Loos getroffen,“ sagte Mohammed zu Abu Bekr (nicht wie bei H. v. H. S. 95 „charadj semek jaani charadj nassibek, wörtlich: „ruck' mit deinem Antheil heraus;“ es heißt charadja und nicht charadj). Bureida fragte dann Mohammed, wie er heiße? und als er seinen Namen nannte, sprach Bureida sein Glaubensbekenntniß aus. Man sieht erstens nicht ein, warum er sich bekehrte, denn Mohammeds Wortspiele waren doch kein genügender Grund dazu, dann begreift man nicht, wie er Mohammed verfolgte, ohne ihn zu kennen. S. fol. 104 erwähnt nur die Verfolgung Suraka's, aber die Bureida's nicht. Dem Suraka verspricht Mohammed nach der Legende Chosroe's Armbänder, und Bureida die Stelle eines Kadhi in Meru, was sie auch Beide erhalten haben sollen, denn auch Suraka bekehrte sich nach der Eroberung von Mekka.
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aber nicht nur nichts zu Leid that, sondern sich sogar mit seinen Stammgenossen, den Beni Sahm, zum Islamismus bekehrte, die Binde von seinem Turban als Fahne an seine Lanze knüpfte und ihn nach Medina begleitete. In der Nähe dieser Stadt, welche damals noch Jatbrib hieß, traf er die längst schon ausgewanderten Gläubigen Talha und Zubeir, welche ihm sowohl, als Abu Bekr einen weißen Obermantel schenkten 100), und bald nachher, als die ihn mit Sehnsucht erwartenden Muselmänner von seinem Anzug Nachricht erhielten, bewaffneten sie sich und zogen ihm entgegen. Mohammed begab sich aber nicht gleich in die Stadt, sondern stieg in dem drei Viertelstunden südlich von derselben gelegenen Dorfe Kuba bei dem Ausiten Kolthum, Scheich der Beni Amru, ab, wo ihm sogleich einige frische Datteln zur Erquickung gereicht wurden. In diesem Dorfe blieb Mohammed vier Tage, und gründete daselbst die noch jetzt bestehende Moschee der Gottesfurcht, welche indessen nach andern Berichten schon vor seiner Ankunft bestanden hatte, und nur später von ihm verändert ward. Am ersten Freitag, nach den zuverläßigsten Berichten am fünften Tage 101) nach seiner Ankunft in Kuba, versammelte er die Muselmänner zum Gebete, und hielt die erste Predigt, in welcher er der Gemeinde die wichtigsten dogmatischen Theile seiner Religion auseinandersetzte 102). Nach dem
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100) I. und Ch.
101) Hier ist S. und nach ihm Abulfeda mit sich selbst im Widerspruch, denn er läßt fol. 105 Mohammed am 12. in Kuba ankommen, und sagt doch: es war ein Montag, während der 12. ein Freitag war. Diesem Irrthume liegt wahrscheinlich eine Verwechslung von Kuba mit Medina zum Grunde, da er nach andern Traditionen (S. Anmerk. 92) am 8. in Kuba ankam und am 12. in Medina einzog.
102) Nach anderen Berichten verließ er Kuba vor dem Gebete und betete erst in Medina. Ch. führt die Predigt nach dem Muntaka des Tabari an. Ich theile sie in einer Uebersetzung mit, obschon ich deren Aechtheit nicht verbürgen möchte: „Preis sei Gott und Lob, bei ihm suche ich Hülfe, ihn flehe ich um Gnade an, ich glaube an ihn, und erkläre mich als Feind aller derer, die ihn läugnen. Ich bekenne, daß es nur einen Gott gibt, der keinen Gefährten hat. Mohammed (warum in der dritten Person??) ist sein Diener und Gesandter; er bringt euch Leitung, Licht und Belehrung, nachdem lange kein Prophet erschienen ist, die Erkenntniß des Wahren abgenommen, der Irrthum sich verbreitet und der Untergang der Menschen sich genähert hat. Ich weiß euch aber nichts angelegentlicher zu predigen, als Gott zu fürchten und für jenes Leben zu sorgen. Wer mit reinem Herzen im Verborgenen und öffentlich nach Gottes Willen lebt, der findet jetzt schon Hülfe bei ihm, und einst reichen Vorrath. Vertrauet auf Gott, der von sich selbst sagt: „Bei mir wird das Beschlossene nicht mehr abgeändert, und ich thue meinen Dienern kein Unrecht.“ Sündiget nicht! denn Gott hat euch auf seinen Pfad geleitet und sein Buch gelehrt, um zu unterscheiden den Wahrhaftigen vom Lügner. Seid wohlthätig, wie er es gegen euch ist, und entfernt euch von seinen Feinden. Kämpfet eifrig für die Sache Gottes, der euch durch den Namen Muselmänner ausgezeichnet hat, von denen, die seine Zeichen nicht erkennen und sich ins Verderben stürzen. Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei Gott dem Erhabenen. Denket stets an Gott und arbeitet für jenes Leben, das diesem irdischen vorzuziehen ist. Es gibt keinen Schutz und keine Macht außer bei ihm.“
Leben Mohammeds.
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Gebete ritt er nach Medina und stieg bei dem Chazradjiten Abu Ajub ab, der zum Zweige der Beni Nadjar gehörte, mit denen er durch Abd Al Muttalibs Mutter verwandt war. Abu Ajub, der später unter Muawia's Chalifat mit dessen Sohn Jezid gegen die Griechen zog, und vor den Mauern von Konstantinopel starb, räumte ihm den unteren Theil seiner Wohnung ein, und zog sich mit seiner Familie in den oberen zurück. Nach einigen Tagen wollte er Mohammed den obern Stock abtreten, dieser blieb aber wegen der vielen Besuche lieber unten wohnen. Am dritten Tage nach Mohammeds Ankunft
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in Medina traf auch Ali von Mekka ein, der nur ein Paar Stunden wegen seiner Mitwirkung zu Mohammeds Flucht eingesperrt geblieben war 103). Die Mekkaner scheinen sich weiter nicht mehr viel um Mohammed gekümmert zu haben, denn sie ließen nicht nur Ali, seinen eifrigsten Anhänger, zu ihm ziehen, sondern auch bald nachher seine Töchter Fatima und Um Kolthum, seine Gattin Sauda und seine Erzieherin Um Eiman. Rukejja war schon vorher mit ihrem Gatten Othman ausgewandert, und nur Zeinab ward von ihrem ungläubigen Gatten Abul Aaß in Mekka zurückgehalten. Auch seine Braut Aïscha und die übrigen Angehörigen Abu Bekrs kamen mit der Familie Mohammeds, geleitet von Mohammeds Sklaven, Zeid, und Abu Bekrs Diener, Abdallah, wohl erhalten in Medina an. Aber sowohl Mohammeds nächste Verwandten, als die meisten anderen Auswanderer konnten in der ersten Zeit das Klima von Medina nicht gut ertragen, sie litten an Fieber und mitunter auch an Heimweh. Um letzterem Uebel so viel als möglich zu steuern, suchte ihnen Mohammed die aufgegebene Familie durch eine neue zu ersetzen, indem er eine förmliche Verbrüderung zwischen fünfundvierzig Ausgewanderten und
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103) Nach einigen Berichten geschah ihm gar nichts, dieß wäre möglich, weil wahrscheinlich die Kureischiten im Augenblicke ihrer Enttäuschung nur daran dachten, Mohammed nachzusetzen. Auf der anderen Seite wird hingegen berichtet: Ali kam mit blutenden Füßen in Mekka an, weil er aus Furcht vor den Kureischiten nur des Nachts reiste und den Tag über sich verbarg, woraus man schließen dürfte, er sei heimlich entflohen. Wie kam es aber, daß man Mohammeds und Abu Bekrs Familie in Frieden ziehen ließ? ich glaube fast, daß die muselmannischen Biographen die Leiden und Gefahren der ersten Gläubigen viel größer darstellten, als sie wirklich waren, und daß die Kureischiten recht froh waren, sie alle los zu werden.
104) Sowohl den Zweck, als die Dauer der Verbrüderung habe ich nach I. und Ch. angegeben, die Erklärung des letzten Verses der 8. Sura gibt auch Djalalein so an. Er bemerkt gleich beim 75. Vers, wo es heißt: die Auswanderer und Hülfsgenossen sind einander am Nächsten, mit Ausnahme der nicht ausgewanderten Gläubigen: „Dieses wird am Schlusse der Sura aufgehoben.“ Und zum Schlusse der Sura bemerkt er, was ich im Texte eingeklammert habe (fi‘I irtki min attawâruthi bilîmani). Vergl. auch Sale's Koran in der Uebersetzung von Arnold, S. 210. H. v. Hammer hat (S. 97) den Zweck dieser Verbrüderung verkannt, und den Vers, wodurch sie aufgehoben ward, falsch erklärt. Der Leser urtheile aus seinen eigenen Worten: „Zugleich kam die Verbindung von fünfundvierzig Männern, theils Ausgewanderten (von Mekka), theils Hülfsgenossen (von Medina) zu Stande, vermöge dessen sie sich verbanden, dem Propheten in allen Gefahren mit gewaffneter Hand und Aufopferung ihres Lebens beizustehen. Viele derselben besiegelten diesen Bund in der Schlacht von Bedr mit ihrem Blute, und auf dieselben bezieht sich der nach dieser Schlacht gesandte Vers des Korans: „Die da glauben und auswanderten und kämpften mit euch, diese sind von den Euern. Von den Verwandten stehen Einige (die Verbündeten) höher, als die andern im Buche Gottes, der alle Dinge weiß.“
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eben so vielen gläubigen Medinensern zu Stande brachte, welche so weit ging, daß jedes verbrüderte Paar mit Hintansetzung der Blutsverwandten sich beerbte. Diese Brüderschaft bestand bis nach dem Treffen von Bedr, welches den Muselmännern so viele Achtung verschaffte, und ihr Leben in Medina so angenehm machte, daß sie keiner besonderen Verbindung mehr bedurften; da kehrte jeder wieder zu seiner Familie zurück, und die Verwandten wurden durch den Schluß des achten Kapitels des Korans wieder in ihr früheres Erbrecht eingesetzt. Die Stelle lautet: Diejenigen, die Verwandten haben, stehen einander näher (bei Erbschaften, als die Glaubensverwandten) im Buche Gottes, der alles weiß.
Noch vor dieser Verbrüderung, welche nach den meisten Berichten im fünften Monate nach Mohammeds Ankunft in Medina stattfand, ward der Bau der Moschee begonnen, welche noch heute Mohammeds Grab umschließt, und von den meisten Pilgern nach der Wallfahrt nach Mekka besucht wird. Der dazu gekaufte Platz war ehedem ein mit Dattelbäumen bepflanzter
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Begräbnißort gewesen; man mußte daher zuerst die Todten ausgraben und die Bäume abbauen, deren Holz indessen zum Bau verwendet ward. Es war ein äußerst einfaches Gebäude, nur sieben, nach Einigen sogar nur fünf Ellen hoch, die Wände waren größtentheils aus Backsteinen, der Boden ward erst später mit Kies belegt und Palmzweige bildeten das Dach. Die Moschee hatte hundert Ellen im Gevierte, und drei Thore; das hintere Thor oder das südliche, wo jetzt die Kibla ist, das Thor Atika, welches auch das der Barmherzigkeit genannt ward, und das Thor Gabriels, auch unter dem Namen „Thor der Familie Othmans“ bekannt. Ein Theil der Moschee diente den armen Muselmännern zur Wohnung und hieß Soffat 105). Des Nachts wurde sie mit Spahn von Dattelnbäumen beleuchtet, bis Tamim Addâri nach Medina kam und einige Oellampen stiftete. Mohammed stand in der ersten Zeit auf dem Boden, den Rücken an einen Palmstamm gelehnt, erst später, als die Zahl der Muselmänner sich vermehrte, bestieg er, um während des Gebets und der Predigt von seinen Zuhörern gesehen zu werden, eine Erhöhung (minbar) von drei Stufen 106). Auf dieser Tribüne predigte
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105) Alle Einzelnheiten dieser Moschee habe ich aus I. und Ch. geschöpft. Die für die damalige Zahl der Gläubigen unverhältnißmäßige Größe der Moschee erklärt sich dadurch, daß sie gewissermaßen auch zugleich ein Armenhaus war, was man auch am Schlusse von Abulfeda's Leben Mohammeds findet.
106) Als Mohammed zum ersten Mal diese Tribüne bestieg, so lautet die Legende, stieß der Stamm, an den er bisher seinen Rücken gelehnt hatte, ein Wehegeschrei aus, gleich dem eines Kameels, dem man sein Junges entreißt. Mohammed rief ihn dann zu sich und sagte ihm: „Wenn du willst, lasse ich dich in einen Garten pflanzen, wo du wieder frisch aufleben kannst, oder ich erhebe dich einst ins Paradies, damit Gottes Freunde sich an deinen Früchten laben.“ Der Stamm zog letzteres vor und ward einstweilen unter die Tribüne begraben. Daß dieser Stamm oder Stock nach Cordova gebracht worden sei, wie H. v. H. (S 97) berichtet, habe ich bei I., aus dem es Ibrahim Halebi geschöpft haben soll, nicht gefunden. I. erzählt nur bald darauf: „Die schönste Kanzel der Welt war die von Cordova. Sieben Meister arbeiteten sieben Jahre lang daran, und erhielten 10050 Mithkal Gold für ihren Taglohn. Dort wurden auch vier Blätter von Othmans Koran aufbewahrt, die mit seinem Blute befleckt waren.“
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er 107) zuweilen sitzend, zuweilen stehend an einen Stock gelehnt. Abu Bekr scheute sich nach Mohammeds Tod die dritte Stufe zu ersteigen, und Omar blieb sogar auf der ersten Stufe stehen. Othman ward es daher sehr übel genommen, als er die Stelle des Propheten zu betreten wagte, und sie mit Seidenstoffen belegte. Indessen ließ sich schon Muawia eine Tribüne oder Kanzel von fünfzehn Stufen errichten. Auch die ganze Moschee ward von den spätern Chalifen umgestaltet, und aus einem einfachen Bethause in einen glanzvollen Tempel verwandelt. Schon Omar war genöthigt, sie zu vergrößern, doch ließ er ihr die alte Einfachheit, und gebrauchte die selben Baumaterialen, welche zu ihrer ersten Gründung angewandt wurden. Unter Othman erhielt sie eine Länge von 160 und eine Breite von 150 Ellen, an die Stelle der gebrannten Erde mit hölzernen Pfosten, traten Steine und bemalte Säulen, und ein Plafond von Ebenholz verdrängte die über Balken hingeworfenen Palmzweige. Unter Walid 108) ward sie bis auf 200 Ellen verlängert, ihre Breite war auf der Vorderseite ebenfalls 200 Ellen und auf der Hinterseite 180 Ellen. Damals wurden die Häuser der Gemahlinnen Mohammeds,
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107) S. fol. 107 gibt die zwei ersten Anreden, welche Mohammed in dieser Moschee hielt, sie lauten zusammen dem Inhalte nach übereinstimmend mit der in Anmerkung 102 angeführten, und scheinen mir eben so unächt, als Jene.
108) Der Chalif Walid, der im Jahr 705 den Thron bestieg, und unter dessen Regierung Musa und Tarik Spanien unterjochten, während andere Feldherrn bis an die Grenze von China drangen, spielt in der Geschichte der arabischen Architektur keine geringere Rolle, als in der, muselmännischer Eroberungen. Das erste Minaret aus der großen Moschee zu Damaskus ward auch unter seinem Chalifate erbaut. Herbelot.
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welche dieser in der Nähe der Moschee bauen ließ, umgerissen, und der Moschee einverleibt. Unter Mahdi 109) und Mamun 110) ward sie um das Doppelte vergrößert, später aber zwei Mal vom Feuer zerstört, und ist jetzt nur etwa 160 Ellen lang und 130 breit. Die sechs Thore , welche sie unter Omar erhielt, sind wieder auf vier reducirt worden, und heißen: Gabriels-, Frauen-, Barmherzigkeits- und Friedens-Thor. Das erste Häuschen oder besser die erste Hütte, welche Mohammed neben die Moschee bauen ließ, war die seiner Gattin Sauda, dann seiner Braut Aïscha, welche er nach einigen Berichten schon im siebenten, nach anderen erst im siebenzehnten Monate nach seiner Ankunft in Medina heirathete. Sie erzählt diese
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109) Harun Arraschids Vater, Mahdi, war nicht weniger prachtliebend, als der eben genannte Walid, und seine Freigebigkeit grenzte an Verschwendung. Eine Wallfahrt nach Mekka soll ihn 6 Millionen Dinare gekostet haben, was nicht unglaublich ist, wenn man weiß, daß er unter Anderem zur Reise so viele Kameele mit Eis beladen ließ, daß er während seines ganzen Aufenthalts in Mekka seine Getränke damit erfrischen konnte. Er starb auf der Jagd im Jahr 785 nach einer zehnjährigen glanzvollen Regierung, ibid.
110) Mamun, der Sohn Harun Arraschids, sollte nach den Bestimmungen seines Vaters Chorasan verwalten, und als nächster Thronerbe mit seinem jüngern Bruder Amin im Gebete erwähnt werden. Da aber Amin diesen Bestimmungen zuwider handelte, erklärte ihm Mamun den Krieg. Amins Truppen wurden geschlagen, und schon im Jahr 812 beschränkte sich seine Herrschaft nur noch auf die Stadt Bagdad. Im folgenden Jahre ward er von einem von Tahirs Soldaten ermordet. Mamun hatte indessen noch viele Empörungen zu bekämpfen, zuerst der Aliden, und als er diesen zu Gefallen einen Abkömmling Ali's zu seinem Nachfolger ernannte, der Abassiden, welche Ibrahim, Mahdi's Sohn, als Chalifen ausriefen. Im Jahr 816 brach er endlich nach Bagdad auf; Ibrahim mußte fliehen und der Vezier Fadhl mit seinem Aliden wurde dem Volkshasse geopfert. Mamun starb auf einem Kriegszuge gegen den Kaiser Theophilus im Jahr 833. War er auch als Regent nicht lobenswerth, so hat er sich als Beschützer der Künste und Wissenschaften unsterblich gemacht.
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Begebenheit selbst mit folgenden Worten 111): „Als wir nach Medina kamen, stiegen wir bei dem Chazradjiten Harith ab, da ward ich fieberkrank und verlor meine Haare. Eines Tages, als ich noch in einer Schaukel lag und einige Freundinnen bei mir waren, kam meine Mutter, und hieß mich aufstehen; ich folgte ihr, ohne zu wissen, was sie von mir wollte, bis an unsere Hausthüre. Da nahm sie etwas Wasser und wusch mir Gesicht und Kopf. Dann führte sie mich in die Wohnung, und siehe da! es befanden sich viele Frauen der Hilfsgenossen darin, die mir entgegenriefen: zum Glück und zum Segen! Diese Frauen putzten mich dann ein wenig auf, und stellten mich dem Gesandten Gottes vor. Ich war damals erst neun Jahre alt 112).“ Der Hochzeitsschmaus bestand aus einem Becher Milch, den Mohammed aus dem Hause Saads erhielt, der ihn abwechselnd mit Asad speiste, und das ihr zugesagte Heirathsgut aus zwölf Okk Silber, welche ihm sein Schwiegervater geschenkt hatte. Reihen wir an diese Hochzeit die Trauung Ali's mit Mohammeds Tochter, Fatima, welche einige
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111) Diese Erzählung ist aus I. und Ch. nach Buchari und Muslim; bei I. kommen einige andere noch vor, welche aber im Wesentlichen mit dieser übereinstimmen. Nach den Meisten fand diese Ceremonie in der Wohnung Abu Bekrs statt, nach einigen in Aïschas Haus.
112) Aïscha hatte nach einer Tradition stets zwei ihrer Gespielinnen bei sich. Eines Tages, als Mohammed von einem Feldzuge heimkehrte, sah er sie mit einem papierenen Pferde spielen, das Flügel hatte; da fragte er sie: „Hast du je ein Pferd mit Flügeln gesehen?“ Ich habe noch kein solches gesehen, antwortete sie, wohl aber gehört, daß der Prophet Salomen ein solches besaß; da lachte Mohammed so heftig, daß man seine Stockzähne sehen konnte. Aïscha erreichte nach den zuverläßigsten Berichten ein Alter von 63 Jahren, ihr Tod ist daher in das Jahr 56 der Hidjrah zu setzen. Man hat von ihr 2210 Traditionen, von denen nach I. 174 allgemeine Anerkennung gefunden. Sie ward aber dennoch nicht neben Mohammed begraben. Darnach ist D‘Herbelot im Artikel Aïscha zu berichtigen.
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Monate später stattfand, über deren eigentliche Zeit aber die Traditionen eben so sehr von einander abweichen, wie über die Vermählung Mohammeds mit Aïscha. Auch über das Alter des Bräutigams stimmen die Ueberlieferungen nicht mit einander überein, doch nehmen die Meisten an, Ali sei damals noch nicht zweiundzwanzig 113) und Fatima erst fünfzehn Jahre und sechs Monate alt gewesen. Um ein Heirathsgut von 400 Drachmen aufzubringen, mußte Ali nach Einigen sein Panzerhemd, nach Andern sein Kameel verkaufen. Die eigentliche Hochzeit ward aber nach sämmtlichen orientalischen Quellen erst am Ende des zweiten Jahres der Hidjrah gefeiert 114). In der Hochzeitsnacht ließ sich Mohammed Wasser bringen und verrichtete damit die Waschung, welche vor dem Gebete üblich ist, dann goß er von diesem Wasser über Ali und Fatima, und sagte: Gottes Segen in sie, Gottes Segen über sie, Gottes Segen zu ihnen, bei ihrer Vereinigung. Ihre Aussteuer bildeten zwei Röcke, ein Kohelapparat, zwei silberne Armbänder, ein ledernes Kopfkissen mit Palmenlaub gefüllt, ein Becher, eine Handmühle, zwei große Wassergefäße und ein Krug; als Bett hatten sie nur ein Hammelfell und eine Decke, welche so kurz war, daß sie nur die Hälfte ihres Körpers bedeckte.
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113) Dieses Alter stimmt mit der Meinung derjenigen überein, welche behaupten, Ali sei erst acht Jahre alt gewesen, als er zum Islam übertrat; nur müßte dann seine Trauung in das erste Jahre der Hidjrah gesetzt werden.
114) Nicht wie bei H. v. Hammer, welcher die Trauung von der eigentlichen Hochzeit (Bina) nicht unterscheidet. Ch. gibt auch hier die Trauungsformel, die aber wahrscheinlich einer späteren Zeit angehört und keiner besondern Erwähnung verdient, eben so wenig, als einige andere Traditionen, die von der, welcher ich gefolgt bin, in Kleinigkeiten abweichen. Im Eingang zur eigentlichen Trauungsformel sagt Mohammed unter anderem: „Gelobt sei Gott, der die Menschen erhoben durch seine Religion, und geehrt durch seinen Propheten Mohammed.“ Dieser Satz allein wird wohl genügen, um meine Zweifel an dem Alter dieser Chutbah, wie sie die Araber nennen, zu rechtfertigen.
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Diesen ärmlichen Hausmobilien entsprach auch der Hochzeitsschmauß, welcher in einer Schüssel voll Datteln und Oliven bestand.
Fassen wir, um nachher Mohammeds Kriegszüge nicht zu unterbrechen, hier noch die verschiedenen Gebote zusammen, die Mohammed in den ersten zwei Jahren nach der Hidjrah an die Gläubigen erließ, so lassen sie sich am leichtesten an sein Verhältniß zu den Juden knüpfen und aus demselben erklären. Mohammed scheint in der ersten Zeit große Hoffnungen auf sie gebaut zu haben, dieß konnte er mit einigem Recht, da die Dogmen der jüdischen und mohammedanischen Religion so ziemlich mit einander übereinstimmen, und die Erscheinung eines Propheten nach Moses sogar von diesem ausdrücklich angezeigt war. Er schloß bald nach seiner Ankunft in Medina mit ihnen so gut wie mit den Stämmen Aus und Chazradj ein förmliches Bündniß, und um sie noch mehr an sich zu fesseln, machte er ihnen manche Concessionen, die er später widerrief. Er bestimmte Anfangs Jerusalem zur Kibla, das heißt zu der Seite, welcher man beim Gebete das Gesicht zuwenden sollte, ließ den Juden, die den Islam annahmen, ihre Sabbathfeier 115) und andere mosaischen Gesetze, und beobachtete sogar selbst das Fasten des Jom Kipur, d. h. des zehnten Tages im Monat
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115) Darüber hat I. folgende merkwürdige Stelle: Es wird berichtet: „Als Abdallah ben Salâm und einige andere Juden sich zum Islam bekehrten, beharrten sie bei der Verehrung des Sabbat und der Verabscheuung des Kameelfleisches und der Kameelmilch. Dieß fiel den übrigen Muselmännern auf, und sie sagten zu Mohammed: Ist die Tora ein göttliches Buch, so laß auch uns deren Vorschriften befolgen. Hierauf sandte der erhabene Gott den Koransvers (II.208): „Ihr, die ihr glaubet, gebet euch vollkommen dem Islam hin! Folget nicht den Schritten Satans, er ist euer offenbarer Feind!“ Mohammed blieb natürlich keine andere Wahl übrig, denn hätte er den Gläubigen den Genuß des Kameelsleisches oder dessen Milch verbieten wollen, so wäre ihnen geradezu Arabien zur unmöglichen Heimath geworden.
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Tischri, mit welchem das jüdische Jahr beginnt 116). Als er sich aber in seinen Hoffnungen getäuscht sah, und nur Wenige sich ihm anschlossen, die Meisten aber, theils weil sie einen Messias aus dem Geschlechte Davids erwarteten, theils weil sie alle mosaischen Gesetze beibehalten wollten, ihm nicht nur kein Gehör schenkten, sondern ihn sogar zum Gegenstande ihres Spottes machten, da näherte er sich wieder mehr dem alten arabischen Glauben. In der Moschee zu Medina sowohl, als zu Kuba ward die Kibla, nach den besten Berichten siebenzehn Monate nach der Auswanderung, nach Mekka gerichtet, und ein Monat später ward an die Stelle des Aschur, wie die Muselmänner den jüdischen Fasttag nannten, der den Arabern heilige Monat Ramadhan zum Fastmonate bestimmt. Die darauf bezüglichen Verse des Korans lauten 117): „O ihr, die ihr glaubet! Es sind euch Fasten vorgeschrieben, wie sie es Andern vor euch waren, o möchtet ihr (dadurch) gottesfürchtig werden! Eine bestimmte Zahl Tage (habt ihr zu fasten), wer aber (während derselben) krank oder auf der Reise ist, der hat
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116) Außer diesem Fasttage fasteten die Muselmänner, ehe der Ramadhan geboten ward, auch noch den 13., 14. und 15. Tag eines jeden Monats, und diese Tage wurden nach I. „die weißen Tage“ genannt. Nach einigen Traditionen auch den zehnten Tag des Monats Muharram, des ersten muselmännischen Monats, welcher auch für die Kureischiten ein Fasttag gewesen sein soll. Wahrscheinlich hatten die Kureischiten schon, dem Beispiele der Juden folgend, den zehnten Tag des ersten Monats des arabischen Jahres zum Fasttage bestimmt. Als aber Mohammed im September nach Medina kam, und die Juden, welche durch ihre Schaltmonate stets mit dem Sonnenjahre in Einklang bleiben, gerade ihren Fasttag hatten, während die Araber damals im Monate Rabial Awwal, d. h. im dritten Monate ihres reinen Mondjahres sich befanden, ließ Mohammed diesen Fasttag an dem den Juden heiligen Tage beobachten. So bei I. (Vergl. darüber auch Pocock spec. Hist. Arab. ed. White, S. 301).
117) Surat II. Vers 184-186. Ueber die verschiedenen anderen Interpretationen des Wortes jutikunahu. Vergl. Maraccius S. 68.
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sie durch so viele andere Tage zu ersetzen; wem es aber zu schwer fällt, der muß als Sühne einen Armen speisen, wer gerne noch mehr thun will, dem kommt es zu gute, doch ist es noch besser, wenn ihr fastet. Wenn ihr das wisset (so befolget es auch), der Monat Ramadhan (ist der Fastmonat), an welchem der Koran herabgestiegen, als Leitung für die Menschen und klare Zeichen des Lichts und der Scheidung (des Wahren vom Falschen) u. s. w.“ An die Faste des Ramadhan schließt sich das Gebot der Almosen am Ende des Monats 118), ebenfalls eine Annäherung an die Gebräuche der heidnischen Araber, welche, wie wir schon bei Abd Almuttalib gesehen, während dieses ganzen Monats eine besondere Mildthätigkeit gegen die Armen ausübten. Auch feierte er im zweiten Jahre in Medina zum ersten Male das eigentliche Wallfahrtsfest, opferte dabei einen Widder, von dem er einen Theil mit den Seinigen verzehrte und das Uebrige den Armen verschenkte, und gebot allen Gläubigen das Gleiche zu thun. Auch wurde, um nichts mit Juden und Christen gemein zu haben, welche durch Trompeten und Glocken die Gebetsstunde anzeigten, das Idsan 119) eingeführt, d. h. das Ausrufen derselben durch eine Menschenstimme zuerst von der Kanzel, dann von der Terrasse und später vom Minaret der Moscheen herab. Die hiebei noch
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118) Nach diesem Gebote muß für jeden Muselmann ohne Unterschied des Geschlechts und Alters, ja sogar für den Sklaven ein Maaß von ungefähr 51/3 Pfund von den gewöhnlichen Lebensmitteln des Ortes, in welchem man sich befindet, den Armen gegeben werden. Dieses Gebot, welches nach allen Berichten im zweiten Jahre der Hidjrah erschien, darf nicht (wie bei H. v. H. S. 111) mit dem allgemeinen Gebote der Almosen verwechselt werden, das nach Einigen erst später mitgetheilt ward. Letzteres ist eine Art Armensteuer von Vieh, Getreide, Früchten, Geld und Handelsgegenständen, je nach dem Betrag derselben.
119) Ueber die Zeit, in welchem das Idsan eingeführt ward, weichen die Traditionen von einander ab, einige nehmen das erste Jahr der Hidjrah an, andere, und dieß ist wahrscheinlicher, erst nach der Veränderung der Kibla.
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jetzt üblichen Worte sind: „Gott ist der Höchste, ich bekenne, daß es nur einen einzigen Gott gibt, daß Mohammed Gottes Gesandter ist. Kommet zum Gebete! Erscheinet zum Heil! Gott ist der Höchste. Es gibt nur einen einzigen Gott.“ Bei dem Frühgebete wird noch hinzugesetzt: „Beten ist besser als Schlafen.“
Unter den wenigen Juden, welche Mohammed huldigten, wird besonders der schriftgelehrte Abd Allah ben Salam genannt, der an ihn drei talmudische Fragen gerichtet, und durch deren Beantwortung sich von dessen prophetischem Geiste überzeugt haben soll. Die erste dieser Fragen betrifft die Geschlechtsähnlichkeit des Kindes mit Vater oder Mutter, die zweite die Speise der Frommen im Paradiese, und die dritte das Wahrzeichen des jüngsten Tages 120).
Die Glaubensänderung dieses gelehrten Mannes, so wie einiger andern, welche Mohammed in den Stand setzten, mit der ganzen talmudischen Dialektik und Spitzfindigkeit gegen die Juden zu polemisiren, mehr aber noch die durch den Islam sich wieder allmählig herstellende Einigkeit zwischen den Stämmen Aus und Chazradj, aus deren Unfrieden sie so viele Vortheile gezogen hatten, mußte die Juden Medinas zu wahren Feinden der Muselmänner machen. Obschon sie aber Mohammed auf jede Weise herabzusetzen und die noch heidnischen
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120) Die Antwort auf die erste Frage, die ich in keiner Ubersetzung wiedergeben kann, lautet nach einer Tradition bei I.: Idsa ala mâu-r-radjuli mâal marati djâal-wâladu dsakaran, waidsa ala mâul marati mâa-r-radjuli djâa untha. Diese Antwort stimmt ganz mit dem überein, was Ibn Esra zum dritten B. M. 12,2 berichtet, nur darf das Wort ala nicht wie bei I. durch Sabaka, sondern im Gegentheil im wörtlichen Sinne „daraufkommen“ genommen werden. Auf die zweite Frage antwortete Mohammed: Die Leber desSeeungeheuers, wobei er wahrscheinlich den großen Fisch Liwjatan meinte, worüber man das Nähere bei Eisenmenger, II. S. 873 und 74 findet. Die Antwort auf die dritte war: ein großes Feuer, ebenfalls übereinstimmend mit jüdischen Sagen. Vergl. Eisenmenger, II, S. 700.
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Araber ihm zu entfremden suchten, obschon Mohammed sogar eine langwierige Krankheit, an welcher er darniederlag, ihrem Zauber zuschrieb 121), so ließ er es doch zu keinem offenen Bruch mit ihnen kommen, denn er wendete lieber die wenigen Kräfte, die ihm damals zu Gebote standen, gegen seine gefährlicheren Feinde, die mächtigen Kureischiten, welche ihn genöthigt hatten, seine Heimath zu verlassen.
Schon im ersten Jahre nach seiner Ankunft in Medina hatte nämlich Mohammed den Krieg gegen Diejenigen, welche sich feindselig gegen ihn und die Gläubigen benahmen, im Namen Gottes erlaubt, und ihnen den Beistand des Himmels zugesagt. Bald darauf ward ihnen sogar der Krieg gegen ihre Verfolger geboten, und mit Ausnahme der vier heiligen Monate gegen alle Ungläubigen erlaubt 122). Die ersten
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121) Darüber hat I. Folgendes: Der Jude Lebid, Sohn Aaßams, suchte sich durch einen jüdischen Knaben, welcher Mohammed bediente, von seinen Haaren zu verschaffen, und knüpfte sie an Mohammeds Bild, das er nach Einigen aus Wachs, nach Andern aus Teig verfertigte. In diese Wachs- oder Teigsigur steckte er eine Nadel und spannte eine Bogensehne darüber, in die er elf Knoten knüpfte, und begrub sie in einen Brunnen. Mohammed ward aber durch den Engel Gabriel davon benachrichtigt; er sandte Ali, um die Figur auszugraben, die Knoten wurden nach einander gelöst, Mohammed fühlte sich immer besser und ward ganz hergestellt, als der letzte Knoten verschwand. Nach Einigen hatten die Töchter Lebids diese Figur in ein Grab verborgen. Als Talisman gegen Zauber erschienen dann die beiden letzten Kapitelchen des Korans, in welchen Gott als Schutz gegen böse Menschen und Geister angerufen wird.
122) Der erste in Bezug auf den Krieg erschienene Vers lautet: „Erlaube denjenigen, welche bekriegt werden, daß auch sie Krieg führen, denn man thut ihnen Unrecht, und Gott ist mächtig genug sie zu beschützen (XXII.41).“ Zum Gebot ward der Vertheidigungskrieg hierauf durch folgenden Vers (II. 191): „Kämpfet auf dem Pfade Gottes gegen diejenigen, die euch bekämpfen, überschreitet aber nicht das Maaß, denn Gott liebt die Uebelthäter nicht.“ Dieser Vers ward später durch den folgenden aufgehoben: „Bekämpfet sie (die Ungläubigen), wo ihr sie findet, und vertreibt sie aus dem Orte, wo sie euch vertrieben haben,“ ferner durch den 6. der 9. Sura, welcher lautet: „Sobald die heiligen Monate vorüber sind, bekämpfet die Götzendiener, wo ihr sie findet, nehmet sie gefangen, belagert sie und lauert ihnen überall auf; wenn sie sich aber bekehren, das Gebet beobachten und Almosen geben, so lasset sie ihrer Wege gehen, denn Gott vergibt gerne und ist barmherzig.“ Ueber die Erlaubniß, auch während der heiligen Monate Krieg zu führen, weiter unten.
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Kriegszüge der Muselmänner, welche damals kaum ein paar hundert Mann ins Feld zu stellen hatten, konnten natürlich nur gegen mekkanische Karawanen gerichtet sein; sie waren aber doch nicht ohne Bedeutung, wenn man bedenkt, daß der von Wüsten umgebenen und blos durch den Handel blühenden Stadt Mekka, kein schwererer Schlag versetzt werden konnte, als wenn die von ihr ausgesandten Karawanen, die auf ihrem Zuge nach Syrien ziemlich nahe an Medina vorüberkommen mußten, keine Sicherheit mehr fanden 123). Den ersten Feldzug an der Spitze von sechzig oder siebenzig Ausgewanderten unternahm Mohammed selbst nach den meisten Berichten gerade elf Monate nach seiner Ankunft in Medina. Er galt einer Karawane
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123) Es ist nicht schwer, diese ersten Züge der Muselmänner vor den Augen europäischer Leser herabzuziehen, und sie zu verdammen, wer aber die damaligen Sitten der Araber, oder nur das jetzige Beduinenleben kennt, dem erscheinen sie in einem ganz andern Lichte. Einen feindlichen Stamm überfallen und berauben, war und ist noch eben so wenig entehrend, als bei uns die Wegnahme eines Schiffes zwischen zwei gegen einander Krieg führenden Völkern. Einer Kriegserklärung bedarf es bei den Arabern nicht mehr, wo einmal Feindseligkeiten stattgefunden. Den Namen Kriegszug (Ghazwat) verdienen solche Züge immerhin, weil doch die meisten Karawanen ein bewaffnetes Geleite hatten, gegen das man sich schlagen mußte. Daß Mohammed als Prophet sich für eben so berechtigt halten konnte, gegen die Ungläubigen zu kämpfen, die dazu noch seine Feinde waren, wie Moses gegen die Bewohner Palästinas, wird jeder Unparteiische gerne einräumen.
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der Kureischiten, welche Mohammed in dem ungefähr zwei Stunden von Abwa, zwischen Mekka und Medina gelegenen Städtchen Waddan zu überraschen hoffte. Aber der Scheich der Beni Dhamrah 124), denen ein Theil der Waaren gehörte, welche die Kureischiten nach Syrien schicken wollten, kam ihm mit Friedensvorschlägen entgegen, und er zog ein Bündniß mit diesem Stamme der Beraubung der Karawane vor. Der zwischen ihnen geschlossene Vertrag lautet: „Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, Allgnädigen. Dieses ist die Schrift von Mohammed, dem Gesandten Gottes (dem Gott gnädig sei) an die Beni Dhamrah. Ihnen werde Sicherheit an ihren Gütern und ihrem Leben, und Beistand gegen, diejenigen, welche sie anfeinden 125); hingegen sollen sie kämpfen für den Glauben Gottes, so lange das Meer ein Wollflöckchen benetzt, und wenn der Prophet dem Gott gnädig sei, sie zu seinem Schutze auffordert, müssen sie seinem Aufrufe folgen. Hiedurch erlangen sie den Schutz Gottes und seines Gesandten, dem Gott gnädig sei.“
Im folgenden Monate zog er an der Spitze von zweihundert Mann gegen eine zweitausend fünfhundert Kameele starke mekkanische Karawane bis gegen den Berg 126) Buwat,
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124) Die Beni Dhamrah stammen von Bekr, dem Sohne Abd Mana, dem Sohne Kinanah's, ab. (Vergleiche Sujutis Lud Allubab S. 165).
125) H. v. H. theilt S. 103 auch diesen Brief mit; bis hieher ist seine Uebersetzung richtig; statt des folgenden liest man aber bei ihm: „Denn kämpfen sie nicht auf Gottes Wegen? der ihnen gnädig; und wenn sie ihn um Hülfe anrufen, so erhört er sie. Dieses ist Gottes Gewähr und seines Gesandten Gewähr zu ihrer Sicherheit.“ Die Worte des Textes lauten bei I.: „Illa an juharibu fi dîni-l-lâhi ma balla barum sufatan waanma-l-nabijja salla allahu alaihi wasallama idsa daarum linassratin adjâbuhu alaihim bidsalika dsimmatu-l-lahi wadsimmatu rasulihi salla allahu alaihi wasallama.“
126) Buwat ist nach dem Kamus ein Berg, welcher einige Tagereisen von Mekka im Gebiete des Stammes Djuheina liegt. Bei Ch.: Buwat oder Bawat, ist ein Berg in der Nähe von Radhwa, eine Tagereise von Janbu und vier von Medina, hier ist der Anfang der Provinz Tehama.
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welcher an der Grenze von Tehama, vier Tagereisen von Metta liegt, aber sein Unternehmen blieb fruchtlos, denn als er dahin kam, war die Karawane schon vorübergezogen. Auch sein dritter Zug, zwei Monate später, gegen eine tausend Kameele starke und von Abu Sosian angeführte Karawane, welche in Syrien für 50,000 Dinare Waaren einkaufen sollte, war nicht glücklicher, denn als er nach Uscheirah, ein Dorf in der Nähe der Hafenstadt Janbu, kam, vernahm er, daß auch diese Karawane schon vorübergezogen. Es war dieselbe, welcher er bei ihrer Heimkehr auflauerte, und die das Treffen bei Bedr veranlaßte. Doch schloß er auch auf diesem Zuge ein Bündniß mit dem Stamme der Beni Mudlidj 127). Hier gab er Ali den Beinamen Abu Turâh (Vater des Staubes), weil er ihn mit Ammâr, dem Sohne Jâsir's, in der Wüste schlafend, und so mit Staub bedeckt fand, daß man ihn kaum noch sah 128). Wenige Tage nachher unternahm Mohammed 129) seinen vierten
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127) Auch die Beni Mudlidj, welche im Gebiete von Janbu sich aufhielten, sind ein Zweig der Beni Kinanah, und waren nach S. fol. 128 Bundesgenossen der Beni Dhamrah.
128) Nach andern Berichten gab er Ali diesen Beinamen, weil er, so oft er mit seiner Gattin uneinig war, in die Moschee ging und sich Staub auf den Kopf streute. Der von mir angegebene Grund ist nach S. a. a. O.
129) Nach allen Berichten bei I., Ch. und S. a. a. O. verfolgte Mohammed selbst den Räuber Kurz, und ernannte für die Dauer seiner Abwesenheit Zeid Ibn Haritha zum Statthalter von Medina, nur bei H. v. H. (S. 104) sandte er dem Räuber den Seid B. Harise nach. Diesem Irrthum zufolge schreibt er auch S. 113: „Nach fünf sogenannten Feldzügen und drei sogenannten Frohnkämpfen, bei welchen allen nur einmal gefochten und Einer erschlagen ward, hatte endlich das Treffen bei Bedr statt.“ H. v. H. nennt nämlich diejenigen Züge, welche Mohammed selbst anführte „Frohnkämpfe,“ und die übrigen „Feldzüge.“ Was die arabischen Benennungen dafür betrifft, so gebrauchen sie für erstere „Ghazwat“ vom Zeitwort „ghaza,“ welches nichts anderes als „zu einem Kampfe ausziehen“ bedeutet, folglich auch auf den unbedeutedsten Zug gegen eine bewaffnete Karawane recht gut paßt. Die andern nennen sie „Sarijjat“ vom Zeitworte „sara,“ „bei Nacht gehen,“ weil diese kleinern Abtheilungen größtentheils heimlich bei Nacht marschirten. Züge von weniger als fünf Mann werden auch „Baath“ (Sendung, Gesandtschaft) genannt. Mohammed selbst unternahm nach den meisten Berichten siebenundzwanzig Züge, und achtunddreißig fanden unter anderen Anführern statt.
Leben Mohammeds.
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Zug gegen Kurz Ibn Djabir, welcher eine medinensische Viehheerde weggetrieben hatte; er setzte ihm bis nach dem Thale Safwan, in der Nähe von Bedr, weshalb auch dieser Zug der erste von Bedr heißt, nach, konnte ihn aber nicht einholen. Mohammed hatte schon auf den drei letzten Zügen eine weiße Fahne bei sich, welche er im ersten Saad Ibn Abi Wakkaß, im zweiten seinem Oheim Hamza und im dritten Ali anvertraute. Auch ernannte er jedesmal, ehe er Medina verließ, einen Stellvertreter, und zwar zuerst Saad Ibn Ibâdah, dann Saïb Ibn Othman, hierauf Abu Salma Ibn Abd Alasad und während des vierten Zuges Zeid Ibn Hâritha. Außer diesen vier Zügen, welche Mohammed selbst anführte, fanden vor dem Treffen von Bedr noch mehrere andere auf seinen Befehl statt, aber nur der letzte derselben verdient einzelner merkwürdigen Umstände und des nachher erschienenen Koranverses willen, eine besondere Erwähnung. Mohammed ließ nämlich Abd Allah Ibn Djahsch zu sich kommen, und sagte ihm, er möge mit acht, nach einigen mit zwölf Mann, welche früher unter Ubeida's Befehl gestanden waren, den Weg nach Südarabien einschlagen. Um aber jede weitere Erörterung über den Krieg während des heiligen Monats Radjab, in welchem dieser Zug stattfand, zu vermeiden, vielleicht auch, um desto eher Gehorsam zu finden, bei einer so gefahrvollen Sendung, gab er ihm statt aller weitern Verhaltungsbesehle einen versiegelten Brief, mit der Weisung: ihn erst am dritten Tage seiner Reise zu öffnen, und verlieh ihm als Lohn den ehrenvollen
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Titel Befehlshaber der Gläubigen (Emir Al Mu'minin), den später Omar zuerst als Chalif führte 130). Abd Allah vollzog den Willen des Propheten, und als er am dritten Tage dessen Brief erbrach, fand er darin den Befehl, mit seinen Waffengefährten in das Thal von Nachla, zwischen Mekka und Taïf zu ziehen, und daselbst einer Karawane der Kureischiten aufzupassen. Abd Allah theilte den Inhalt dieses Schreibens seinen Gefährten mit, und fragte sie, wer ihm folgen wolle, denn, setzte er hinzu, der Prophet hat mir ausdrücklich verboten, jemanden mit Gewalt mitzunehmen, was
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130) Die bisher unbekannten näheren Umstände dieses Zuges habe ich aus I. und Ch. nach den ältesten Biographien Mohammeds, darunter auch S. fol. 129. Der Brief, welchen Abd Allah erhielt, lautete: „Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Allgnädigen. Ziehe mit deinen Gefährten (Gottes Segen sei mit dir!) in das Thal von Nachla, und lauere daselbst den Karawanen der Kureischiten auf, vielleicht kannst du uns einige Nachricht über sie bringen.“ Das Factum des Briefs hat man keinen Grund zu läugnen, denn aus den beiden im Texte angegebenen Gründen, mochte Mohammed diesen Befehl lieber schriftlich, als mündlich ertheilen; er war auch gewiß so diplomatisch gefaßt, daß Mohammed je nach den Folgen Abd Allah's Verfahren gutheißen oder tadeln konnte; nur der letzte Satz des Briefes scheint mir ein späterer muselmännischer Zusatz, erfunden, um Mohammed von dem Verdachte zu reinigen, als habe er die heiligen Monate, noch ehe sie durch ein göttliches Gebot aufgehoben worden, entweiht; denn da Nachla südöstlich von Mekka, auf dem Wege nach Jemen liegt, so begreift man nicht, was Mohammed daran liegen konnte, Nachricht über die Bewegungen der Karawanen zwischen Südarabien und Mekka zu erhalten, da doch, bis sie zu ihm gelangen und er sich rüsten konnte, die Waaren längst den Ort ihrer Bestimmung erreicht haben mußten. Um Mohammed zu entschuldigen, setzen einige seiner Biographen wahrscheinlich auch den Kampf auf den ersten Radjab, während andere den letzten des Monats angeben, so daß nach seiner Absicht der Zweck dieses Zuges vor oder nach dem heiligen Monate hätte erreicht werden können.
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mich betrifft, ich bin entschlossen, auch allein den Befehl des Gesandten Gottes zu vollziehen. Er setzte hierauf seinen Weg weiter fort, und alle seine Gefährten folgten ihm. Unterwegs entlief aber das Kameel, auf welchem zwei seiner Soldaten (Saad und Otba) ritten, sie blieben daher zurück, um es aufzusuchen, während Abd Allah mit seinen übrigen sechs oder zehn Mann den Weg nach dem Thale Nachla fortsetzte. Hier angelangt, sahen sie Kameele der Kureischiten vorüberziehen, welche mit Zibeben, Leder und andern Waaren beladen, und nur von vier Mann begleitet waren. Abd Allah folgte ihnen in einiger Entfernung, bis sie Halt machten, und da er bemerkte, daß er ihnen verdächtig erschien, ließ er einem der Seinigen das Haupthaar abscheeren und in ihrer Nähe umhergehen, so daß sie glaubten, es seien Pilger, welche in Mekka die Pflicht der Unna erfüllt hätten 131). Während sie aber, keine Gefahr ahnend, und auf die Heiligkeit des Monats Radjab vertrauend, in welchem sie sich befanden, keine weitere Vorsicht mehr gebrauchten, überfiel sie Abd Allah mit den Seinigen, tödtete Einen von ihnen (es war der erste Araber, welcher durch die Hand eines Muselmannes fiel), nahm zwei 132)
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131) Nach I. war der Monat Nadjas darum heilig, damit die nicht allzu weit von Mekka wohnenden Araber den Tempel besuchen konnten, denn schon vor Mohammed war außer der großen Wallfahrt noch ein zweiter Besuch des Tempels, Umra genannt, üblich. Die entfernteren Araber aber entledigten sich dieser Pflicht einige Tage vor oder nach dem Pilgerfeste, was auch noch heut zu Tage die meisten muselmännischen Pilger thun. Vergl. über die Umra, Muradja d‘Ohsson tableau de l‘Empire Ottoman. Nach der Uebersetzung von Beck, II, S. 64—66.
132) H. v. H., welcher doch auch den Chamis benutzt haben will, erwähnt nicht nur von Mohammeds Brief, von dem Zurückbleiben Saads und Otba's, so wie von Abd Allab's List nichts, sondern er spricht auch (S. 104 u. 105) nur von einem Gefangenen, obschon im Chamis, wie auch bei S. a. a. O. sogar ihre Namen (Hikam Ibn Keisan und Othman Ibn Abdallah) genannt werden. Erschlagen wurde nur Amru Ibn Alhadhrami. Ob dieß H. v. H. auch zugibt, weiß man nicht , denn S. 104 heißt es bei ihm : „Die neun Moslimen überfielen sie (die Karawane) in dieser Sicherheit (des heiligen Monats), schlugen die Anführer todt, und nahmen einen der Begleiter der Karawane gefangen.“ Dann liest man aber auf der folgenden Seite : „Abdallah B. Hadschesch, der Anführer, der erste, welcher mit seinen acht Mann nach acht frühern blutlos abgelaufenen Frohnkämpfen und Feldzügen endlich einen Mann erschlagen und einen gefangen u. f. w.“ Auch Gagnier (S. 309) spricht von zwei Gefangenen, nennt aber den einen „Nasir fils de Wagja.“
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gefangen und nur der vierte entkam, und suchte Hülfe. Er konnte aber Abd Allah, der sogleich mit den beiden Gefangenen und allem Gute der Ueberwundenen seine Rückkehr antrat, nicht mehr einholen, und dieser kam glücklich in Medina an.
Die erste Nachricht von der Entweihung des heiligsten Monats erregte aber eine solche Unzufriedenheit selbst unter den Muselmännern in Medina, daß auch Mohammed sich mißbilligend darüber gegen Abd Allah äußerte, und ihm sagte, er habe ihm doch nicht befohlen, während des heiligen Monates Blut zu vergießen; auch weigerte er sich, den ihm angebotenen fünften Theil der Beute anzunehmen. Da indessen diese wackern Soldaten allzu sehr gekränkt wurden, und übrigens, obgleich Mohammed behauptete, sie haben gegen seinen Willen gehandelt, es doch in ganz Arabien hieß: die Muselmänner erlauben Raub und Mord, während der heiligen Monate, da ferner Mohammed, um den Handel der Mekkaner zu zernichten, ihnen nicht gerne vier sichere Monate im Jahre gönnte, erschien folgender Vers des Korans 133): „Sie werden dich fragen (so spricht Gott zu Mohammed) über den heiligen Monat (nämlich) über den Krieg während desselben. Antworte! Der Krieg ist eine schwere Sache, aber die Leute von Gottes Pfad abhalten, ihn läugnen, und die Gläubigen aus seinem heiligen Tempel vertreiben, ist eine weit größere Sünde in den Augen Gottes; Empörung (gegen ihn) ist schlimmer, als Mord. Sie werden doch nicht aufhören, euch zu bekämpfen,
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133) Sura 2, Vers 217.
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bis sie euch von eurem Glauben abtrünnig machen, wenn sie es können. Wer von euch aber seinen Glauben abschwört, und als Ungläubiger stirbt, dessen Werke sind in dieser und jener Welt zwecklos, er wird zum Gefährten der Hölle, in der er ewig verbleibt.“
Nach der Sendung dieses Verses nahm dann Mohammed seinen Theil von der Beute. Für die beiden Gefangenen wurde ihm von den Kureischiten ein Lösegeld von achtzig Okk Silber geboten, einer derselben bekehrte sich aber zum Islam, den andern sandte er nicht eher nach Mekka, bis Saad und Otba, welche zurückgeblieben, wieder in Medina angelangt waren.
Im Ramadhan 134) des zweiten Jahres der Hidjrah unternahm
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134) Ueber den Tag, an welchem Mohammed Medina verließ, weichen die Nachrichten von einander ab, bei S. fol. 131 ist gar kein Tag bestimmt, nach Tabari und Kastalani war es der zwölfte, nach Ibn Hischam der achte, nach Abulfeda und dem Kitab Alaghani (s. Journal Asiatique, 3me série, T., VIl. p. 107) der dritte. Da der 17. Ramadhan ziemlich allgemein für den Schlachttag gehalten wird, so ist letzteres Datum das Unwahrscheinlichste, denn Mohammed brachte gewiß nicht vierzehn Tage auf dem Wege von Medina nach Bedr zu. Ob übrigens die Angabe des Schlachttages richtig ist, muß auch noch bezweifelt werden, denn nach allen Berichten soll die Schlacht an einem Freitag vorgefallen sein, der 17. Ramadhan aber war an einem Dienstag, wenn man, wie es ganz richtig ist, den ersten Muharram des ersten Jahres der Hidjrah auf Freitag den 16. Juli 622 setzt, oder an einem Montag, wenn man den 15. Juli als den Anfang der Aera der Hidjrah annimmt. Wie wenig übrigens auf solche Tagbestimmungen zu bauen ist, haben wir schon bei Mohammeds Ankunft in Medina gesehen, und zeigt sich hier wieder deutlich denn derselbe Ibn Hischam, der die Schlacht von Bedr auf Freitag den 17. Ramadhan setzt, sagt auch nach dem Chamis, Mohammed habe Medina am Montag den 8. Ramadhan verlassen. Die guten Leute haben eben die verschiedenen Traditionen wiedergegeben, ohne sich viel darum zu kümmern, ob sie sich widersprechen, oder nicht.
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Mohammed selbst den ersten größern Zug, in der Absicht, die aus Syrien zurückkehrende, große Karawane der Kureischiten auszuplündern, welcher er auf ihrer Hinreise vergebens in Uscheira aufgelauert hatte. Die Aussicht auf eine reiche Beute lockte dießmal eine größere Mannschaft unter seine Fahne als bisher, denn es schlossen sich zum ersten Male den dreiundachtzig 135) Ausgewanderten auch einundsechzig Ausiten und hundertundsiebenzig Chazradjiten an, und jede dieser drei Truppenabtheilungen hatte ihren besondern Fahnenträger. Doch hatten diese dreihundert und vierzehn Mann nur siebenzig Kameele und zwei oder drei Pferde bei sich, die sie abwechselnd bestiegen. Da aber Abu Sosian, welcher die mekkanische Karawane anführte, sobald er die Grenze des Hedjas erreichte, von Mohammeds Absicht Kunde erhielt, sandte er einen Eilboten nach Mekka, um Truppen zu seiner Vertheidigung herbeizurufen. Dhamdham, welcher diese Botschaft übernahm, eilte auf einem Dromedare nach Mekka. In der Nähe des Tempels machte er Halt, schnitt seinem Reitthiere, als Zeichen der Verzweiflung, die Nase und die Ohren ab, kehrte dessen Sattel um, zerriß sein Gewand, und rief: Gemeinde Kureisch! die Karawane 136)! die Karawane! Mohammed ist mit seinen Gefährten euern Gütern entgegengezogen, welche ihr Abu
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135) Die hier angegebene Zahl ist nach Ibn Ishak, bei I. und Ch., S. fol. 148 und bei Caussin de Perceval (im angef. Bd. des l. A.). Andere zählen nur 313 Muselmänner, worunter 73 oder 80 Muhadjirin und die übrigen Anßâr. Von diesen 313 ziehen Manche noch acht Mann ab, welche sich gerüstet hatten, aber wegen verschiedener Abhaltungen zurückbleiben mußten. Auch über die Zahl der Pferde, von eins bis fünf, sind die Berichte verschieden, doch nehmen die Meisten nur zwei oder drei an. Nach Ch. hatten sie nur sechs Panzer und acht Schwerter bei sich, ihre Waffen bestanden demnach nur aus Pfeilbogen und Lanzen.
136) Das heißt nach I. so viel, als „eilet zur Karawane !“ Das hier gebrauchte arabische Wort Latimah bedeutet eigentlich nach dem Kamus eine Karawane, welche Moschus transportirt. H. v. H. hat dafür (S. 114) „die Ohrfeige, die Ohrfeige!“
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Sosian anvertraut, ich weiß nicht, ob ihr sie noch einholet. Hülfe! Hülfe! Abu Diahl wiederholte dann diesen Nothruf auf dem Dache der Kaaba, und sogleich bewaffneten sich die Kureischiten, und schlugen den Weg nach Syrien ein. Sie waren neunhundert fünfzig, nach Einigen tausend Mann stark mit hundert Pferden und siebenhundert Kameelen. Mohammed, welcher von dem Auszuge der Mekkaner noch keine Ahnung hatte, verfolgte eine Strecke weit die Straße nach Mekka, ließ sie aber dann zu seiner Linken liegen und wendete sich rechts, dem rothen Meere zu, nach der Richtung des Brunnens Bedr, welcher achtundzwanzig Pharasangen südwestlich von Medina liegt, und an welchem die Karawane der Kureischiten vorüberzukommen pflegte. Da aber Abu Sosian, welcher seiner Karawane vorausgeeilt war, in Bedr die Spuren von Mohammeds Kundschaftern entdeckte 137), wich er vom gewöhnlichen Wege ab, und zog in aller Eile längs der Küste des rothen Meeres fort, bis er einen so großen Vorsprung vor Mohammed gewann, daß er außer aller Gefahr war. Er sandte dann den Kureischiten einen Boten, um sie von seinem glücklichen Durchzuge zu benachrichtigen, und zur Rückkehr nach Mekka zu bewegen. Als diese in Djohfa 138) hörten, daß ihre Karawane in Sicherheit gebracht, wollten Manche, die nur zur Vertheidigung derselben ausgezogen waren, wieder nach Mekka zurückkehren. Andere riethen von einem Kampfe mit Menschen, die nichts zu verlieren haben, ab 139), wieder Andere schlugen
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137) Man erkannte Mohammeds Kundschafter an den Dattelkernen, welche sie weggeworfen, denn die aus der Gegend von Medina waren kleiner, als die übrigen. (Ch. bei dem Feldzuge von Radji, wo die Muselmänner auf dieselbe Weise erkannt wurden.)
138) Djohfa ist nach dem Kamus der Standplatz der syrischen Pilger und liegt 82 Meilen von Mekka.
139) Omair, welcher als Kundschafter in die Nähe von Mohammeds Truppen gesandt wurde, sagte: „Sie sind nur etwas über 300 Mann stark, aber sie führen den Tod mit sich, es sind Leute, die kein anderes Gewerbe, und keine andere Stütze, als ihre Waffen haben, bei Gott, es wird keiner von ihnen fallen, ehe er seinen Mann getödtet.“ Otba sagte: „Gemeinde Kureisch! Bei Gott! führet keinen Krieg gegen Mohammed und seine Gefährten! denn habt ihr sie besiegt, wird keiner von euch dem andern mehr ohne Groll ins Gesicht sehen können, denn einer wird des anderen Stammgenossen oder Verwandten erschlagen. Drum kehret zurück, und überlasset den andern Arabern den Kampf mit Mohammed, besiegen sie ihn, so ist ja euer Wunsch erfüllt, wo nicht, so macht er auch euch zu Schanden, und ihr erreichet euern Zweck nicht. O ihr Männer! lasset die Schande (der Rückkehr) an meinem Haupte haften. Man sage: Otba ist ein Feigling. Ihr wisset aber wohl, daß ich es sonst nicht bin.“ I. und Ch., auch S. fol. 135. Der Anfang auch bei C. de P. Otba's Rede, heißt es bei S., den auch Hakim, Chadidjas Neffe, unterstützte, blieb nicht ohne Eindruck, aber Abu Djahl hetzte den Bruder des bei Nachla getödteten Kureischiten auf, welcher laut nach Rache schrie, bis der Kampf beschlossen ward.
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sich nicht gerne mit Truppen, unter denen sich so viele Landsleute, ja sogar viele nahe Verwandten befanden. Dazu kamen noch verschiedene düstere Träume, welche großen Schrecken verbreiteten. Doch drang endlich der Vorschlag Abu Djahls durch, welcher dahin ging, ihren Zug bis Bedr fortzusetzen, um hier frisches Wasser zu nehmen, und für die Rettung der Karawane einige Tage der Freude und Belustigung zu widmen. Die Truppen aus dem Stamme Zuhra kehrten jedoch dreihundert Mann stark 140) nach Mekka um, denen sich auch viele andere Mekkaner anschlossen. Auch im Lager der Muselmänner bei Dsasiran waren indessen die Stimmen getheilt, als sie von dem Anzüge der Kureischiten Kunde erhielten; denn die meisten Muselmänner waren nur in der Aussicht, eine schwach vertheidigte Karawane auszuplündern, Mohammed gefolgt, keineswegs aber, um sich mit einem ihnen an Zahl weit überlegenen Feinde
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140) Ch. gibt die Zahl der Zuhriten auf dreihundert an, bei I. heißt es: “Es waren gegen hundert, nach Andern dreihundert.“ H. Caussin de Perceval schweigt über ihre Zahl; auch ist sie bei S. fol. 134 nicht angegeben. Letzterer setzt dann hinzu, es flohen dann auch Einzelne aus allen übrigen Zweigen Kureischs, nur von den Beni Adij Ibn Kaab, kehrte Niemand zurück.
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zu messen. Aber nicht wir die Häupter der Ausgewanderten erklärten sich bereit, ihm überall hin zu folgen, sondern auch Saad und Mikdad, welche am meisten Einfluß auf die Medinenser hatten, ergaben sich vollkommen in Mohammeds Willen, worauf dieser, von der veränderten Richtung der Karawane noch nicht unterrichtet, ausrief: „Folget mir, und seid frohen Muths! wir werden entweder die Karawane ausplündern oder die Truppen der Kureischiten schlagen. Der Himmel hat mir es versprochen 141).“ So brachen denn die Muselmänner auf,
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141) Bei Gagnier, dem auch H. v. H. folgt, berathet sich Mohammed mit den Häuptern seiner Truppen, ob er den Kureischiten oder der Karawane entgegenziehen solle. Dieß mag als Legende ganz gut klingen, ist aber vor einer gesunden Kritik nicht haltbar, und wird aus diesen eigenen Worten Mohammeds bei I. und Ch. und S. fol. 132, so wie bei C. de P. widerlegt. Mohammed konnte, um die Karawane auszuplündern, keinen besseren Weg, als den von Bedr einschlagen, wo sie, wie er von seinen Kundschaftern vernommen, am folgenden Tage hätte eintreffen müssen, wenn sie nicht ihre Richtung verändert hätte. Daß aber die Mohammedaner dieß erst nach dem Aufbruche von Dsasiran erfuhren, geht aus folgendem hervor. „Mohammed ließ in der folgenden Nacht (so erzählt I., Ch., S. fol. 133 und C. de P.) Ali, Zubeir und Saad die Gegend von Bedr auskundschaften. Sie kamen mit zwei Gefangenen zurück, welche aussagten, sie gehörten zu den Truppen der Kureischiten, für die sie Wasser holen wollten. Die Muselmänner, welche glaubten, sie gehören zur Karawane, ließen sie, in der Hoffnung, ihnen ein anderes Geständniß auszupressen, so lange prügeln, bis sie sagten: wir gehören zu Abu Sosians Karawane. Mohammed, der während dieser Untersuchung betete, sagte nach vollendetem Gebete: „Ihr habt diese Leute geschlagen, als sie die Wahrheit sagten, und in Ruhe gelassen, als sie logen.“ Von diesen Leuten erfuhr dann Mohammed erst die Nähe und die Zahl der Kureischiten, welche hinter einem Hügel südlich von Bedr gelagert waren. In Dsasiran konnte er noch immer hoffen, die Karawane werde vor den Kureischiten in Bedr eintreffen, und es handelte sich nur darum, ob man es darauf ankommen lassen sollte, zuerst den Truppen zu begegnen und ein Treffen zu wagen. Die obige Legende, welche S. nicht aufgenommen hat, hat übrigens auch I. und Ch. aus dem Kaschaf. Sie lautet: „Als Mohammed im Thale Dsasiran war, sagte ihm der Engel Gabriel: Gott verspricht dir entweder die Karawane oder die Kureischiten. Mohammed sagte hierauf zu seinen Gefährten: Die Kureischiten sind in aller Eile von Mekka ausgezogen, was ist euch lieber, die Karawane oder der Krieg? Da antworteten sie (einige von ihnen?): Die Karawane ist uns lieber. Mohammed ward blaß und fuhr fort: die Karawane ist schon längs der Meeresküste fortgezogen, und Abu Djahl rückt heran (dieß widerspricht dem Anfang der Legende). Da sagten sie: O Gesandter Gottes! verfolge die Karawane und lasse den Feind! Der Prophet gerieth in Zorn. Da hielt Abu Bekr eine schöne Rede (für den Krieg), dann Omar, dann Saad und zuletzt Mikdad.“ Diese Legende stützt sich übrigens auf den 7. Vers des 8. Kapitels des Korans , welcher lautet : „Als euch Gott eine der beiden Abtheilungen verhieß, wünschtet ihr, daß es die schwächere sei, Gott wollte aber, daß die Wahrheit durch sein Wort offenbar werde, und die Ungläubigen ausgerottet werden.“ Dieser Vers beweist aber nichts, da er sich recht gut so deuten läßt, daß sie wünschten, zuerst der Karawane zu begegnen.
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und zogen gegen Bedr, das sie am folgenden Tage vor den Kureischiten erreichten, weil in der Nacht ein heftiges Gewitter den schlammigen Boden, welchen diese durchziehen mußten, erweicht hatte, während Jene durch den auf ihrer Seite minder starken Regen nur um so leichter den fester gewordenen Sandboden überschreiten konnten. Mohammed nahm sogleich von allen Brunnen Besitz, und ließ in der Nähe des letzten ein Becken graben und füllen, so daß die Seinigen Ueberfluß an Wasser hatten. Einige Kureischiten, welchen es daran mangelte, wurden sogleich mit Pfeilen empfangen, als sie sich dem Brunnen näherten, um welchen die Muselmänner sich gelagert hatten. Hierauf traten drei Kureischiten aus den Reihen, und forderten die Muselmänner zum Zweikampfe aus. Drei Medinenser nahmen die Herausforderung an; da aber jene sich nur mit ihnen ebenbürtigen Mekkanern schlagen wollten, sandte ihnen Mohammed Ubeida, Hamza und Ali als Kämpen
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entgegen 142). Die beiden letzten waren bald mit ihren Gegnern fertig, als sie aber hierauf Ubeida, welcher verwundet ward, zu Hülfe eilten, und auch seinen Gegner tödteten, sprangen die Kureischiten herbei, und das Handgemenge ward allgemein. Mohammed gab den Muselmännern Ahad (einzig) zum Losungsworte, und begab sich dann mit Abu Bekr in eine Hütte, welche man ihm auf einer kleinen Anhöhe, in der Nähe des Kampfplatzes errichtet hatte, uud vor welcher einige Dromedare bereit standen, auf denen er, im Falle einer Niederlage, nach Medina hätte entfliehen können. Hier betete er: „Gott, erfülle jetzt dein Versprechen! geht dieses Häuflein heute zu Grunde, so wirst du auf der Erde nicht mehr angebetet.“ Die Muselmänner beobachteten auf Mohammeds Befehl einige Zeit nur die Defensive, und wehrten den Angriff der Kureischiten mit ihren Pfeilbogen ab. Erst als diese vom Kampfe ermüdet, vom Durste ermattet und durch den Tod einiger ihrer Krieger bestürzt waren, fielen sie auf Mohammeds Geheiß 143) über
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142) In einem Gedichte über das Treffen von Bedr von Ibn Djabir heißt es, weil diese drei den ersten Sieg errungen: „Frage Ubeida nach ihnen (den Kureischiten) und Hamza, und laß dir von Ali erzählen, was ihnen widerfahren an diesem Schlachttage!“ (Ubeida sal anhum wahamza fastami‘ hadithahum fi dsaliki-l-jaumi min Ali). Bei H. v. H., der dieses ganze Gedicht nach seiner Art übersetzt, lautet dieser Vers (S. 119):
„Obeide zog vom Leder und Hamsa zog das Schwert,
Hier ward die Ueberlieferung vom Ali ganz bewährt.“
Ubeida ward zu gleicher Zeit mit seinem Gegner verwundet und starb auf der Heimkehr nach Medina. Hamza und Ali aber gebührt der größte Antheil an dem Siege von Bedr. Ersterer, welcher einen Straußfedernbusch auf der Brust trug, tödtete allein neun Feinde und letzterer elf. Drei oder vier erschlugen sie gemeinschaftlich.
143) Mohammed betete inbrünstig, so lauten die muselmännischen Berichte, bis ihm sein Mantel von den Schultern fiel. Abu Bekr, der bei ihm im Zelte war, hob ihn auf und sagte ihm: „Du hast genug gebetet, Gott wird seine Verheißung erfüllen.“ Mohammed hatte dann eine Art Ohnmacht (vielleicht wieder einen epileptischen Anfall); als er wieder zu sich kam, sagte er lächelnd zu Abu Bekr: „Sei frohen Muths, Abu Bekr! Gottes Hülfe ist gekommen. Gabriel hat die Zügel seines Rosses ergriffen und dieser Wüste zugelenkt und mir Gottes Beistand zugesagt.“ Mohammed trat dann aus dem Zelte, ermuthigte seine Truppen durch die Hinweisung auf das Paradies für jeden, der im Kriege gegen die Ungläubigen fällt, schleuderte eine Hand voll Kies gegen den Feind, und rief: „Schmach über ihr Angesicht!“ und gab den Seinigen den Befehl zum Angriff. Von den Wundern, welche der von Mohammed geschleuderte Kies geübt, so wie von den ihm zu Hülfe gekommenen Engelschaaren erzählen die Biographen gar Vieles. Ich übergehe diese Sagen, welche gar kein historisches Interesse haben, und verweise auf Gagnier, S. 326, 327 und C. de P. a. a. O., S. 129, 130. Von den sich darauf beziehen den Koransversen weiter unten.
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ihren Feind, und erfochten über ihn einen vollständigen Sieg. Nur vierzehn Muselmänner blieben in dem Treffen, während die Mekkaner siebenzig Todte zählten und vierundvierzig, nach einigen ebenfalls siebenzig der Ihrigen gefangen wurden. Unter den Gefallenen war auch Abu Djahl, von Mohammed der Pharaon seines Volkes genannt, auf dessen Anstiften dieses Treffen stattgefunden, und unter den Gefangenen Abbas, der reiche Oheim Mohammeds. Die getödteten Heiden wurden zusammen in einen Brunnen geworfen. Mohammed rief dann die Angesehensten unter ihnen bei ihren Namen, und sagte: „Wehe euch, ihr Stammgenossen des Propheten! Ihr habt mich für einen Lügner erklärt, während Fremde mir glaubten, ihr habt mich vertrieben, Andere haben mich aufgenommen, ihr habt mich angefeindet, während Andere mich beschützt; hat sich nun die Zusage eures Herrn bestätigt? Mein Herr hat erfüllt, was er mir verheißen.“ Auf die Frage der Umstehenden, wie so er Leichen anrede? antwortete er: „Sie hören mich wohl, obgleich sie nicht antworten können.“ Mohammed sandte hierauf zwei Eilboten nach Medina 144), um den Sieg der Muselmänner
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144) Es heißt im Texte, S. fol. 140 : Er sandte Abd Allah Ibn Rawâha und Zeid Ibn Harith zu den Leuten der obern und untern Theile (ila Ahli-l-âlijah und Assâfilah). H. C. de P. übersetzt (S. 133) ersteres durch „partie méridionale du Hédjaz, ou contrée supérieure,“ und letzteres durch „Médine et le Hédjaz septentrional ou inférieur.“ Ich folge lieber dem Kamus, nach welchem mehrere Ortschaften außerhalb Medina Aliah hießen, weil es gleich darauf heißt: „Abd Allah rief: O ihr Gemeinde der Hülfsgenossen! empfanget die frohe Botschaft u. s. w.,“ woraus hervorgeht, daß auch er in der Nähe von Medina war. Auch liest man bei S. fol. 150 bei Gelegenheit des Mordbefehls gegen Kaab Ibn Alaschraf: „Von Kaab wird erzählt: Als die Kämpfer von Bedr geschlagen wurden, und Zeid Ibn Haritha zu den Bewohnern des Safilah und Abd Allah Ibn Rawâha zu den Bewohnern des Aliah kamen als Glücksboten, welche der Gesandte Gottes den Muselmännern Medinas gesandt (ila man bilmadinati min almuslimina) sagte er: wenn das Alles wahr ist, so ist das Innere der Erde (der Tod) besser, als ihre Oberfläche u. s. w.“ Ich vermuthe daher, daß mehrere Dörfer oder Vorstädte auf der einen Seite von Medina Sasilah, und auf der entgegengesetzten, wie dieß auch bei Mekka war, Aliah hießen, auch liest man bei Ch. am Anfang des Feldzuges gegen die Beni Keinukaa: „Diese Juden wohnten nach dem Kamus in Medina. Im Wafa liest man: Ihre Wohnung war bei der Brücke Buthan, welche an das Aliah stößt.“ Buthan oder Batihan ist aber auch nach dem Kamus ein Platz in Medina selbst.
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in der Stadt und deren Umgebung zu verkünden; er blieb noch drei Tage in Bedr, dann trat er auch den Rückweg nach Medina an. Unterwegs ließ er zwei der Gefangenen hinrichten; der Eine, Nadhr, hatte häufig den Koran als eine Kopie persischer Mährchen und Legenden verspottet, der Andere, Okba, hatte in der ersten Zeit, als Mohammed seinen neuen Glauben predigte, ihn einst im Tempel überfallen, und hätte ihn wahrscheinlich ohne das Dazwischentreten Abu Bekrs erwürgt. Die übrigen Gefangenen ließ Mohammed mit Schonung behandeln. Auch theilte er, noch vor der Ankunft in Medina, die nach dem Treffen gemachte Beute in gleiche Theile unter Alle, die ihn auf diesem Zuge begleitet hatten, ohne zwischen denen, welche viel oder wenig, oder auch gar nichts erbeutet hatten,
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zu unterscheiden, und er selbst begnügte sich mit dem Antheile eines gemeinen Soldaten. Erst nach seiner Rückkehr nach Medina erschien das Gebot des Korans, wonach der fünfte Theil jeder Beute dem Propheten, für ihn selbst, seine Verwandten, die Armen, Waisen und Wanderer zufallen sollte 145).
Dieses Treffen bei Bedr, so unbedeutend es auch scheinen mag , bildete doch die Grundlage zu Mohammeds künftiger Größe, und hätte ihm auch die Plünderung der reichen Karawane mehr materiellen Vortheil gebracht, so war doch die moralische Kraft und das erhöhte Vertrauen, welche er durch diesen glänzenden Sieg über einen ihm etwa um das Doppelte überlegenen Feind gewonnen, für ihn von weit größerer Wichtigkeit. Uebrigens beweisen einzelne Züge, welche uns seine Biographen überliefert haben, daß schon in dieser Schlacht der Glaube an ihn bei manchen Muselmännern den höchsten Grad erreicht hatte. Als er aus seiner Hütte trat, und den Kämpfern das Paradies verhieß, sagte Omeir, welcher gerade einige Datteln verzehrte: „Bach! Bach! 146) wenn zwischen mir und dem Paradiese nur der Tod von Feindeshand liegt, so hoffe ich, es bald zu bewohnen.“ Er warf sogleich seine Datteln aus der Hand, ergriff sein Schwert, stürzte sich in die Mitte des Feindes und kämpfte bis zum Tode.
Maads, dem Sohne Amru's, ward die Hand abgeschlagen, doch war sie noch durch die Haut am Arme befestigt; er schleifte sie eine Weile nach, und kämpfte immer fort; als ihn der Schmerz überwältigte, trat er sie mit dem Fuße ab und stürzte sich von Neuem ins Schlachtgetümmel.
Als man die erschlagenen Kureischiten, unter denen auch Otba, der Sohn Rabia's, war, in den Brunnen warf, ward
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145) Sura 8, Vers 41. Vor Mohammed war es Sitte in Arabien, daß die Stammhäupter oder Feldherrn den Vierttheil der Beute für sich behielten. I. und S. fol. 255. Dieses Gesetz muß daher von dem Volke günstig aufgenommen worden sein.
146) Bach ist ein Ausruf der Verwunderung über etwas Schönes und Angenehmes, S. fol. 136.
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dessen Sohn, Abu Hudseifa, welcher zugegen war, blaß. Da fragte ihn Mohammed: „Glaubst du, dein Vater habe ein besseres Loos verdient?“ Nein, antwortete Abu Hudseifa, aber ich hoffte, sein Verstand, seine Ueberlegung und seine Tugend würden ihn zum Islam führen, und ich bin nur darüber betrübt, daß er als Ungläubiger umgekommen.
Auch die Kureischiten hatten ihre Heroen. Aswad, der Sohn Abd Alasads, schwur, obgleich vor dem Zweikampfe ein jeder Kureischite, der sich dem Wasserbehälter näherte, dem sichern Tode entgegenging: „Bei Gott, ich werde aus eurem Behälter trinken, oder ihn einreißen oder darin sterben.“ Hamza trat ihm entgegen, und hieb ihm ein Bein ab, aber er schleppte sich auf der Erde bis an das Becken hin, sprang hinein, trank davon, und suchte es mit dem noch übrigen Fuße zu zerstören, bis endlich Hamza ihm den Todesstoß versetzte.
Abul Bahtari, den Mohammed seinen Soldaten zu verschonen befahl, weil er ihn häufig in Mekka beschützt hatte, und mit zu denen gehörte, welche die Zernichtung der Urkunde begehrten, die den Bann der Familie Haschim enthielt, wollte die Gnade nur unter der Bedingung annehmen, daß sie auch Djunade, welcher hinter ihm auf dem Kameele saß, zu Theil werde, und als ihm diese Bitte nicht gewährt ward, sagte er: „Lieber mit meinem Freunde sterben, als mir von den Frauen Mekkas nachreden zu lassen, ich habe ihn, um mein Leben zu retten, geopfert;“ sie vertheidigten sich dann noch, so lange sie konnten, und fielen zu gleicher Zeit. Die günstige Stellung der Muselmänner, an eine Anhöhe gelehnt, und in der Nähe eines Brunnens, scheint, so viel sich aus den einseitigen Berichten, welche zu uns gelangt sind, urtheilen läßt, am meisten dazu beigetragen zu haben, daß ihnen die Ehre des Tages blieb, obschon auch der mühsame Weg, welchen die Kureischiten vor der Schlacht zurückzulegen hatten, und besonders der Abfall der Zuhriten mit vielen andern, also mehr als des dritten Theils der Truppen, nicht außer Acht gelassen werden darf.
Mohammed schrieb indessen den errungenen Sieg der Hülfe
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Gottes allem zu, welcher Engel vom Himmel gesandt, um die schwache Zahl seiner Truppen zu verstärken. So heißt es im achten Kapitel des Korans, wo manche Begebenheiten dieser Schlacht mehr oder minder deutlich erwähnt werden: „Als ihr euern Herrn um Hülfe anriefet, antwortete er euch: ich werde euch eine Verstärkung von tausend 147) auf einander folgenden Engeln senden. Gott that dieß aber nur, um euch eine frohe Botschaft zu geben, damit euer Herz sich beruhige, aber die Hülfe kommt nur von ihm allein.“
Aber auch der materielle Gewinn dieses Feldzugs war nicht unbedeutend für die Muselmänner, denn außer vielen Waffen und Kameelen, die sie erbeuteten, erhielten sie auch eine beträchtliche Geldsumme als Lösegeld für die Gefangenen 148). Selbst Abbas mußte sich loskaufen 149), obgleich er sich dadurch
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147) In der dritten Sura, Vers 124 und 125 ist von dreitausend und fünftausend Engeln die Rede, wobei Djalalein bemerkt, Gott habe zuerst tausend, dann dreitausend, dann fünftausend Engel gesandt.
148) Es wurde je nach ihrem Vermögen von tausend bis viertausend Drachmen für den Mann bezahlt.
149) So bei I., Ch. und C. de P., S. 136. Nicht wie bei H. v. H., bei dem es S. 117 heißt: „Lieber, als das von ihm (Abbas) geforderte Lösegeld zu zahlen, bekannte er sich zum Islam.“ Mohammed antwortete ihm, bei I. und Ch., auf seine Einrede: „Wir haben dich einmal in den Reihen unserer Feinde gefunden, und behandeln dich als solchen.“ Dann sagte er ihm zum Troste den Koransvers : „Verkünde, o Prophet! deinen Gefangenen, daß wenn Gott weiß, daß ihr Inneres gut ist, er ihnen besseres geben wird, als das, was ihnen (als Lösegeld) abgenommen worden ist.“ (Sura 8, Vers 73). H. v. H. nennt auch a. a. O. statt Nadhr und Okba (s. Abulfeda ed. N. S. 51, Gagnier, S. 332) Moßaab und Ebi Chalef als die beiden Gefangenen, welche Mohammed hinrichten ließ, während Nadhr nach I. Mußab, einen der angesehensten Muselmänner, den H. v. H. selbst S. 125 als Fahnenträger in der folgenden Schlacht von Ohod nennt, anflehte, er möchte Fürbitte für ihn einlegen. Ubejj Ibn Challaf war ein Freund Okba's, den Mohammed in der Schlacht von Ohod tödtete. S. Anmerk. 178.
Leben Mohammeds.
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zu entschuldigen suchte, daß er in seinem Innern ein Gläubiger und gezwungen worden sei, an dem Kriege Theil zu nehmen. Hingegen ließ Mohammed mehrere Gefangenen, die armen Familien angehörten, ohne Lösegeld wieder in ihre Heimath zurückkehren, und begnügte sich mit ihrem Schwure, daß sie nie mehr an irgend einem feindlichen Unternehmen gegen Muselmänner Theil nehmen würden. Auch Abbas reiste wieder nach Mekka zurück, obschon er nach manchen Traditionen sich wirklich heimlich zum Islam bekehrt hatte, und diente Mohammed fortan als Spion 150). Abu Lahab, ein anderer Oheim Mohammeds, welcher in seinem Hasse gegen den neuen Glauben verharrte, und nur aus Unpäßlichkeit nicht nach Bedr ziehen konnte, jedoch statt seiner Aßi, den Sohn Hischams, gestellt hatte, überlebte die Niederlage von Bedr nicht lange. Als die Kunde davon nach Mekka gelangte, ward er von Abbas' Gattin im Vorhofe des Tempels mißhandelt, und
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150) Ueber Abbas' Bekehrung sind die Traditionen sehr verschieden von einander. Man liest bei Ch.: „Die Gelehrten behaupten in ihren Geschichtsbüchern Abbas sei schon sehr früh Muselmann geworden, habe aber seinen Glauben geheim gehalten.“ Mohammed sagte den Muselmännern am Schlachttage von Bedr: „Wenn ihr Abbas begegnet, so tödtet ihn nicht, denn er ist den Götzendienern nur gezwungen gefolgt.“ Abul Iusri nahm ihn gefangen; er kaufte sich aber los, kehrte nach Mekka zurück, und wanderte später nach Medina aus, so berichtet Abu Said: Andere behaupten, er habe erst am Schlachttage von Bedr den Islam angenommen, und sei am Tage der Eroberung von Mekka dem Propheten entgegen gekommen. Abu Amru sagt: „Er ist vor der Eroberung von Cheibar Muselmann geworden, aber erst bei der Eroberung von Mekka bekannte er seinen Glauben öffentlich, und wohnte dann den Feldzügen von Honein , Taïf und Tabuk bei.“ Ferner wird gesagt: „Er war vor der Schlacht von Bedr schon Muselmann, und gab dem Propheten Nachricht von dem, was sich in Mekka zutrug. Auch wollte er schon früher nach Medina auswandern, aber der Prophet schrieb ihm: Dein Aufenthalt in Mekka ist zweckmäßiger u. s. w.“
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sieben Tage darauf starb er an einer blatternartigen Seuche 151), welche man für so ansteckend hielt, daß sich ihm niemand während seiner Krankheit näherte und seine Leiche drei Tage unbeerdigt liegen blieb; erst am vierten Tage stießen sie ihn mit langen Stangen in eine Grube, und warfen einen Haufen Steine über ihn.
Viertes Hauptstück.
Der Krieg mit den Beni Keinukaa. Einige andere Scharmützel. Das Treffen von Ohod. Mehrere Sendungen auf Meuchelmord. Krieg mit den Benu Nadhir. Verbot des Weines. Hochzeit mit Hafßa und Zeinab, Tochter Chuzeimas. Belagerung von Medina. Hinrichtung der Beni Kureiza. Vermählung mit Um Salma, Zeinab bint Djahsch und Djuweiria. Aïscha's Abentheuer.
Mohammeds Freude über den Sieg bei Bedr ward bald durch die Nachricht vom Tode seiner Tochter Nukejja getrübt, welche man gerade beerdigte, als Zeid den Medinensern den glücklichen Ausgang des Treffens verkündete. Sie war schon krank, als Mohammed Medina verließ, weßhalb auch ihr Gatte, Othman, zu Hause blieb. Omar ließ ihm später seine Tochter Hafßa antragen, aber Othman wollte sie nicht heirathen. Als Omar sich hierüber bei Mohammed beklagte, sagte dieser: Othman ist eine edlere Gattin als deine Tochter, und dieser ein edlerer Gatte als Othman bestimmt.“ Er gab hierauf Othman seine Tochter Um Kolthum zur Frau, und heirathete
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151) Diese Krankheit heißt wörtlich: die Linse. Nach dem türkischen Kamus besteht sie in schwarzen Flecken, welche, wie die Blattern, an irgend einem Theile des Körpers hervortreten und den Tod verursachen. Bei I. liest man: Adsa ist eine pestartige Krankheit, welche die Araber für sehr ansteckend halten, so daß, als Abu Lahab davon befallen ward, seine eigenen Söhne ihn verließen, es sind kleine Geschwüre (bathra), welche wie Linsen aussehen. Bei Ch. aus dem Tabari dasselbe, nur nennt er es nicht bathra, sondern karha, also mehr eine Beule.
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selbst Omars 152) Tochter Hafßa. Bald darauf vermählte er sich auch mit Zeinab, Tochter Chuzeima's, welche wie Hafßa, vorher einen seiner Gefährten zum Gatten gehabt. Wenige Wochen nach Rukejjas Tod sah Mohammed seine Tochter Zeinab wieder, denn ihr ungläubiger Gatte, Abul Aaß, der sie in Mekka zurückgehalten, war auch unter den Gefangenen von Bedr, und erhielt die Freiheit nur unter der Bedingung, daß er sie auch seiner Gattin Zeinab schenke 153).
Die nächste Folge des errungenen Sieges war, daß Mohammed es endlich wagte, seinem Hasse gegen die Juden, mit
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152) Nicht wie bei H. v. H., S. l35, welcher Hafßa zur Tochter Othman's macht. S. Abulfeda ed. N. S. 117 des arabischen Textes und S. 194 in der Ausgabe von Reiske. Diese Ehe schloß er erst im Monat Schaaban, des dritten Jahres der Hidjrah.
153) I. und Ch. erzählen nach S. fol. 143: Mohammed schickte dann Zeid mit einem Medinenser, um sie abzuholen. Sie warteten an einem bestimmten Orte (bei S. im Thale Jadjidj) außerhalb Mekka, wohin sie Kinanah, ein Bruder des Abul Aaß, führen sollte. Als er aber unterwegs mit ihr war, verfolgten ihn einige Kureischiten, worunter auch Habbar, der mit einer Lanze nach ihrer Sänfte stieß; aber Kinanah trieb sie mit seinem Pfeilbogen zurück. Endlich kam auch Abu Sosian herbei, welcher zu Kinanah sagte: „Du thust sehr Unrecht, so bei hellem Tage vor aller Welt Zeinab ihrem Vater zuzuführen, du weißt doch, in welcher Lage wir Mohammed gegenüber uns befinden, sollen wir nun noch unsere Demüthigung und Schwäche zur Schau tragen, und ihm so öffentlich seine Tochter zurückschicken? Bei Gott! ich mag sie nicht hier behalten, kehre nur jetzt mit ihr um, daß man sage, wir haben sie nicht fortziehen lassen, dann kannst du des Nachts heimlich mit ihr davon gehen.“ Kinanah billigte diesen Vorschlag; ging wieder mit Zeinab in die Stadt zurück, und übergab sie Zeid erst in einer der folgenden Nächte. Als Mohammed Habbar's Rohheit gegen seine Tochter vernahm, sagte er zu den Seinigen: „Wenn ihr Habbar findet, so verbrennet ihn!“ Am folgenden Tage sagte er aber: „Es ziemt nur Gott, die Menschen durch Feuer zu züchtigen, wenn ihr ihn findet, so tödtet ihn mit dem Schwerte !“
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denen er schon lange in gespannten Verhältnissen lebte, durch Mordbefehle und Krieg Luft zu machen. Aßma, die Tochter Merwans 154), welche einige Satyren gegen ihn geschrieben, ward gleich nach seiner Rückkehr nach Medina auf seinen Befehl oder wenigstens mit seinem Wissen von Omeir, dem Sohne Adij‘s, einem alten Blinden, aus dem Stamme der Chatmiten, zu welchem auch Aßma's Gatte gehört hatte, in der Nacht auf ihrem Ruhebette ermordet, und als der Mörder am folgenden Morgen nach dem Gebete Mohammed davon in Kenntniß setzte, sagte dieser: „Es stoßen sich nicht zwei Ziegen darum.“ Er fuhr dann, zu den anwesenden Muselmännern sich wendend, fort: „Wer von euch einen Mann sehen will, der Gott 155) und seinem Gesandten Beistand leistete, der betrachte Omeir, den Sohn Adijs.“ Omar fragte erstaunt: „Hat dieser Blinde einen Weg gefunden Gottes Gebot (des heiligen Kriegs) zu vollziehen ?“ „Schweige Omar !“ versetzte Mohammed, „er heißt nicht der Blinde, sondern der Hellsehende.“ Einige Tage nachher,
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154) Merwan, welcher bei H. v. H. (S. 112), der diese Mordthat vor dem Treffen von Bedr erzählt, Mewar heißt, war ein Jude. Der Stamm der Chatmiten aber, dem der Gatte der Gemordeten und der Mörder selbst angehörte, war nach I., Ch. und Lub Allubab kein jüdischer, wie H. v. H. (S. 113) glaubt. Nach dem Suheili bei I. mochte leicht ein persönlicher Haß mit im Spiele gewesen sein, denn der Mörder Omeir wird bei ihm als Aßma's erster Gatte genannt.
155) Diese Worte Mohammeds und noch mehr sein Gebet bei dem folgenden Mordbefehle gegen Kaab lassen glauben, daß Mohammed wirklich nach dem Willen Gottes zu handeln glaubte, wenn er die Feinde des Islams auf jede mögliche Weise aus der Welt schaffen ließ. Die Koransverse, welche ihre Vertilgung längst ausgesprochen, gaben diesen Mordbefehlen eine gewisse gesetzliche Form, und lassen sie sich auch vom moralischen Standpunkte aus nicht entschuldigen, so dürfen sie doch auch nicht in die gewöhnliche Klasse eines Meuchelmordes gesetzt werden, besonders wenn man auf die arabischen Sitten Rücksicht nimmt, nach welchen zwischen feindlichen Stämmen jede Mordthat erlaubt ist.
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nach Andern einige Tage vorher, ward der Jude Abu Afak 156), ein hundertundzwanzigjähriger Greis, welcher , wie Aßma die Muselmänner verächtlich und verhaßt zu machen suchte, von Salim, dem Sohne Omeirs, ermordet. Hierauf 157) ward die nächste Veranlassung ergriffen, den Beni Keinukaa, einem der drei jüdischen Stämme, welche Medina und dessen Umgebung bewohnten, den Krieg zu erklären. Ein Jude heftete einer muselmännischen Milchfrau, welche sich weigerte, ihr Gesicht zu entschleiern, ohne daß sie es merkte, ihr Kleid mit einer Stecknadel an den Rücken, so daß sie zum allgemeinen Gelächter ward. Dieß sah ein Muselmann und tödtete auf der Stelle den muthwilligen Juden. Des letztern Stammgenossen fielen dann über den Muselmann her, und erschlugen ihn. Sobald Mohammed davon in Kenntniß gesetzt ward, forderte er die Beni Keinukaa auf, sich zum Islam zu bekehren, und auf ihre Weigerung zog er gegen sie ins Feld, und belagerte die festen Schlösser, in welche sie sich eingeschlossen hatten. Fünfzehn Tage hielten sie die Belagerung aus, als ihnen aber von ihren Glaubensgenossen keine Hülfe ward, ergaben sie sich dem Feinde. Mohammed ließ sie fesseln, um sie desto leichter erschlagen zu können, aber Abd Allah, der Sohn Ubejj's, der Sohn Saluls, ein angesehener Chazradjite 158),
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156) Diesen Juden, welcher nicht nur bei I. und Ch., sondern auch im Kamus Abu Afak heißt, nennt H. v. H. (S. 121 „Abu Aaß,“ und setzt noch hinzu, „d. i. der Vater der Dummheit,“ eine Bedeutung, die nur auf Afak paßt.
157) Nach den meisten Berichten zog Mohammed am 14. Schawwal, also nicht ganz ein Monat nach dem Treffen von Bedr, gegen die Beni Keinukaa ins Feld. Andere setzen diesen Feldzug einige Monate später.
158) Er war ein Beschützer der Juden, aber nicht ihr Glaubensgenosse, wie H. v. H. ihn S. 137 nennt. Nach I. und Ch., auch Abulfeda, S. 51 und S. Fol. 124 gehörte er zu den Heuchlern (munafikîn), von denen häufig im Koran die Rede, und war in seinem Innern stets ein Feind Mohammeds, weil vor dessen Ankunft in Medina man auf dem Punkte war, ihn zum Könige zu erwählen.
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unter dessen Schutz die Juden standen, brachte es durch seine Bitten, vielleicht auch durch seine Drohungen 159) endlich dahin, daß ihnen Mohammed das Leben schenkte, und sich damit begnügte, sie, von all ihrer Habe beraubt, nach Syrien zu exiliren. Einige Monate nachher ward wieder ein Mordbefehl gegen den Juden Kaab, den Sohn Aschrafs ertheilt, welcher die Erschlagenen von Bedr in Elegien betrauert, und die Mekkaner zur Rache angespornt hatte. Mohammed begleitete die Mörder, welche sich in seinem Hause versammelten, und unter denen sich ein Neffe 160) und ein Milchbruder Kaabs befand, die ihn ins Freie zu locken wußten, eine Strecke Wegs, und entließ sie dann mit den Worten: „Gehet in Gottes Namen! Gott stehe ihnen bei!“ und als sie ihm am folgenden Morgen
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159) Es heißt bei I. und Ch. nach S. a. a. O. Abb Allah bat Mohammed um Gnade für die Gefangenen, Mohammed schenkte ihm aber kein Gehör. Er faßte dann Mohammed an seinem Panzerhemde. Mohammed gerieth in Zorn und sagte: „Wehe dir Abdallah! laß mich los!“ Abdallah versetzte: „Bei Gott! ich lasse dich nicht los, bis du mir meine Bitte gewährst, denn sie bilden meine Stärke, sie haben mich gegen die Schwarzen und die Rothen (gegen Jedermann) vertheidigt, bei Gott, ich bin ein Mann, der das Schicksal fürchtet.“ Darauf rief Mohammed : „Lasset sie frei! Gott verdamme sie und ihn (Abd Allah) mit ihnen!“ Unmittelbar nachher erschien der 59. und 60. Vers des 5. Kapitels, welche lauten: „O ihr, die ihr glaubet, wählet keine Juden und keine Christen zu euern Schutzgenossen, sie mögen sich selbst unter einander beschützen, wer von euch sich mit ihnen befreundet, der gehört zu ihnen; Gott leitet kein sündhaftes Volk. Du siehst, wie diejenigen (Muselmänner), die ein krankes Herz haben, sich ihrer annehmen und sagen : „Wir fürchten, es möchte uns ein Unglück begegnen u. s. w.“
160) Kaabs Vater war ein Ausite, der in Medina sich mit einer Jüdin verheirathete. Mohammed ben Maslama, der an der Spitze der Mörder stand, war ein Schwestersohn Kaabs, und Abu Naila, welcher unter dem Vorwande, seine Waffen gegen einige Lebensmittel zu verpfänden, zu Kaab ging, war sein Milchbruder. I. und S. fol. 151.
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Kaabs Kopf brachten, rief er: „Gelobt sei Gott!“ Nach dieser Sendung erklärte Mohammed alle Juden gewissermaßen für vogelfrei 161).
Die übrigen Unternehmungen Mohammeds während der dreizehn Monate zwischen dem Treffen bei Bedr und dem bei Ohod, von dem sogleich die Rede sein wird, bestehen theils aus Zügen gegen Feinde, welche keinen Kampf wagten, theils aus Sendungen gegen mekkanische Karawanen, die vergebens statt des gewöhnlichen Weges längs des rothen Meeres einen mehr östlichen nach Syrien einschlugen. Was die Feldzüge betrifft, so war der Erste gegen die Beni Suleim und Ghatafan gerichtet, welche feindliche Absichten gegen ihn hegten 162); er setzte ihnen aber vergebens bis zu einer Quelle nach, welche Karkarat Alkadar 163) hieß, und acht Stationen weit von Medina liegt. Hier fand er einen Hirten mit fünfhundert Kameelen, die er als Beute mit sich nach Medina schleppte, von
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161) So bei Ch. nach Jbn Ishak a. a. O. Ein Muselmann erschlug dann gleich darauf einen jüdischen Kaufmann, der stets sein Wohlthäter gewesen. Der Bruder des Mörders schlug diesen, und sagte ihm: „Feind Gottes! warum bringst du diesen Mann um? Bei Gott, das meiste Fett an deinem Leibe kommt von seinen Geschenken.“ Darauf erwiederte der Mörder: „Bei Gott, wenn derjenige, der mir befohlen hat, ihn zu tödten, mich heißen würde dir den Kopf abzuschlagen, ich würde es auch thun.“ Jener sagte dann: „Bei Gott, der Glaube hat einen wunderbaren Grad bei dir erreicht!“ und ward auch Muselmann. (Der Mörder hieß Mucheißa und sein Bruder Chuweißa.)
162) Diesen Feldzug unternahm Mohammed schon acht Tage nach seiner Rückkehr von Bedr; ich habe ihn nur, um das was seine Fehden mit den Juden betrifft, nicht zu unterbrechen, nach dem gegen die Beni Keinukaa erzählt. Doch sind über die Reihefolge dieses und der drei folgenden Feldzüge die Nachrichten sehr verschieden.
163) Diese Quelle in dem Gebiete der Beni Suleim heißt nach I. und Ch. Kadar, weil viele Vögel von dunkler Farbe dieses Namens sich dort versammeln.
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der er zum ersten Male nach dem neuen Gesetze den fünften Theil für sich behielt.
Der zweite Zug galt zweihundert Kureischiten, welche Abu Sofian 164) bis in das Gebiet von Ureidh, drei Meilen von Medina geführt hatte, wo sie zwei Leute erschlugen und einige Dattelnbäume abbrannten. Sobald aber Mohammed gegen sie auszog, ergriffen sie die Flucht, und ließen, um desto schneller zu entkommen, ihren Mehlvorrath im Stich, daher auch dieser Feldzug der des Mehls (Sawik) 166) hieß.
Der dritte Zug war gegen die Beni Ghatafan, welche sich abermals gegen Mohammed gerüstet und mit einigen anderen Stämmen verbündet hatten. Er zog ihnen bis nach Dsu Amarr in die Provinz Nedjd entgegen, und nöthigte sie sich ins Gebirge zu flüchten. Auf diesem Zuge gerieth Mohammed in große Lebensgefahr, denn als er, auf die Entfernung des Feindes vertrauend, allein im Freien schlief, ward er plötzlich von Duthur, dem Häuptlinge seiner Feinde, überfallen. Dieser stellte sich mit gezücktem Schwert vor ihn, und
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164) Abu Sosian schwur nach der Schlacht von Bedr, weder ein Frauenzimmer, noch Weihrauch zu berühren, bis er einen Zug gegen die Muselmänner unternommen. Sein Schwur lautete nach I. und S. fol. 148: „Kein reinigendes Wasser sollte seine Haut berühren,“ woraus zu schließen ist, daß bei den Arabern auch vor Mohammed schon gewisse Waschungen nach dem Beischlafe üblich waren.
165) Es war nach I., Ch. und S. fol. 149 ein Hülfsgenosse, und einer, der unter dessen Schutz stand.
166) Sawik heißt eigentlich Mehl von gerösteter Frucht, die man vorher wohl gewaschen, damit sie sich besser halte. Dieses Mehl mit Wasser, Butter oder Honig gekocht, bildete die gewöhnliche Nahrung der Araber. H. v. H., welcher statt Sawik Soweik liest, macht daraus den Namen eines Ortes. Es heißt bei ihm S. 120: „Das zweite Mal (zog der Prophet) wider einen Haufen von Mekka, welcher zu Soweik, im Gebiete von Aridh, unter Ebi Sosians Anführung, Saaten der Moslimen von Medina verbrannt und Einen derselben getödtet hatte.“
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fragte ihn: „Wer beschützt dich jetzt gegen mich?“ Gott, antwortete Mohammed. Bei dieser Antwort entfiel Duthur das Schwert Mohammed ergriff es schnell, und fragte : „Wer beschützt dich jetzt gegen mich?“ Niemand, antwortete Duthur. Mohammed begnadigte ihn aber, worauf jener ausrief: „Bei Gott, du bist besser als ich, ich bekenne, daß es nur einen Gott gibt, und daß Mohammed sein Gesandter 168).“
Der vierte Kriegszug galt wieder, wie der erste, den Beni Suleim, die aber auch dießmal bei der Nachricht von Mohammeds Heranrücken das Weite suchten 169).
Wichtiger als diese kleinen Excursionen ist der nächstfolgende Feldzug im Schawwal des dritten Jahres der Hidjrah gegen dreitausend Mekkaner und andere Feinde des Islams, welche gegen Medina heranzogen. Bei diesen Truppen waren siebenhundert Bepanzerte, zweihundert Reiter und fünfzehn der vornehmsten Frauen Mekkas, welche die Krieger durch ihr Wehegeschrei über die Erschlagenen bei Bedr zur Rache anspornten.
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167) Nach I. fiel Duthur selbst um. Die Legende läßt den Engel Gabriel Duthur das Schwert aus der Hand stoßen. Nicht unmöglich wäre es, daß Mohammeds Antwort ihm den Muth zur Ausführung seines Mordes genommen hätte, wahrscheinlicher aber, daß er stolperte, und wie I. berichtet, wirklich umfiel, oder wie nach einer andern Tradition bei Ch., daß ihn beim Ausholen ein Schmerz an den Schultern (ein Krampf?) überfiel. Nach dieser Tradition hieß der Mörder Ghaweirath, der Sohn Harith's. Aehnliche Mordversuche mit wunderbarer Vereitlung derselben werden noch bei andern Gelegenheiten erzählt, ich fand sie aber nicht mehr der Erwähnung werth.
168) Nach anderen Traditionen bei Ch. forderte ihn Mohammed auf, sich zu seinem Glauben zu bekennen, er weigerte sich aber, und machte sich nur verbindlich, nie mehr mit dessen Feinden gemeine Sache zu machen.
169) Dieser Zug, welchen einige für denselben, wie den von Karkarat Alkadar halten, heißt der von Bahran oder Bohran, ein Ort nach I. und Ch. im Hedjas, acht Stationen von Medina, in der Nähe von Furu. Bei S. fol. 149 heißt dieser Zug der von Furu.
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Als Mohammed durch seinen Oheim Abbas 170) von dem Auszuge der Kureischiten und ihrer Bundesgenossen, an deren Spitze Abu Sosian stand, Kunde erhielt, versammelte er seine Gefährten, theilte ihnen den Brief seines Oheims mit, und schlug ihnen vor, den Feind in Medina zu erwarten. Bleiben sie in ihrem Lager, sagte er, so haben sie einen schlechten Standpunkt; versuchen sie es in die Stadt zu dringen, so wird es uns leicht, sie zu vertheidigen, denn während wir mit unseren Schwertern ihnen den Weg versperren, werden unsere Frauen und Kinder sie von den Terrassen unserer Häuser aus mit Steinen todt werfen 171). Mohammeds Vorschlag ward
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170) Mohammed — so heißt es bei I. und Ch. - nach dem Wafa, war im Dorfe Kuba, als ihm ein Bote, welcher den Weg von Mekka nach Medina in drei Tagen zurücklegen mußte, den Brief seines Oheims brachte; er ließ sich ihn von Ibn Kaab vorlesen, und theilte ihn Saad Ibn Rabia mit, befahl aber beiden, dessen Inhalt zu verschweigen, bis er selbst nach Medina zurückgekehrt war, wo er die Häupter der Muselmänner zu einer Berathung versammelte.
171) Bei S. fol. 154 heißt es nur: „Kommen sie zu uns, so bekämpfen wir sie;“ dann folgt: „Dieß war auch die Ansicht Abdallah Ibn Ubejj's.“ Die im Texte angeführten Worte sind nach I. und Ch., welche übrigens bemerken, daß nach einer andern Tradition diese Vertheidigungsweise von Abd Allah, dem Sohne Ubejj's, angerathen ward, und daß er noch hinzusetzte: „Bei Gott, wir sind nie gegen einen Feind ausgezogen, ohne einen Verlust erlitten zu haben, während noch Niemand unsere Stadt angegriffen hat, ohne von uns geschlagen worden zu sein.“ Einige behaupten — so fährt I. fort — Abd Allah habe für den Auszug gestimmt, diese Behauptung ist aber falsch, denn als er später mit dreihundert Mann zurückkehrte, sagte er: (diese Worte finden sich auch bei Abulfeda und im Sirat Arrasul, fol. 153) „Mohammed hat meinen Rath verworfen und den Anderer angenommen, kommt ihr Leute, wozu sollen wir uns hier schlagen lassen?“ H. v. H, folgt (S. 124) geradezu dieser von I. verworfenen Ansicht, ohne auch nur die andere richtige zu erwähnen, die man doch schon bei Abulfeda und bei Gagnier S. 355 findet.
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von den Aeltesten seiner Gefährten gut geheißen, aber die Jüngern, Kampflustigen, besonders die, welche an dem Treffen bei Bedr keinen Antheil genommen, erklärten eine solche Vertheidigung für eine Feigheit, und forderten gegen den Feind ins Feld geführt zu werden. Mohammed mußte nachgeben und den Befehl zum Auszuge ertheilen. Als er gerüstet an der Spitze der Muselmänner stand, wollten zwar diejenigen, welche für den Auszug gestimmt, sich seinem Willen ergeben, und in der Stadt bleiben, jetzt sagte er aber: „Es ziemt einem Propheten nicht, wenn er sich einmal zum Kampfe gerüstet, die Waffen niederzulegen, bis Gott zwischen ihm und seinen Feinden entschieden hat.“ Er verließ daher Medina mit tausend, nach Einigen nur mit neunhundert Mann, und zog gegen den zwei bis drei Meilen von Medina gelegenen Berg Ohod, gegenüber dem Feinde, welcher im Dorfe Dsu Huleifa, im Thale Ureidh, ungefähr eine Stunde davon sein Lager aufgeschlagen hatte. Unterwegs stieß Mohammed auf eine jüdische Truppenabtheilung von sechshundert Mann, welche Bundesgenossen des Abd Allah Ibn Ubejj Ibn Saluls waren; er forderte sie auf, sich zum Islamismus zu bekennen, und als sie sich weigerten, wollte er sie nicht zu Kampfgenossen, und nöthigte sie, nach Medina zurückzukehren, worauf dann auch Abd Allah mit dreihundert Mann Chazradjiten sich zurückzog,
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172) Nicht mit dreihundert Juden, wie bei H. v. H. S. 125. I. bemerkt ausdrücklich, eben so Abulfeda, S. 55, daß Abd Allah mit dreihundert Heuchlern gegen Mohammeds Willen bei dem Garten Schaut zwischen Ohod und Medina umkehrte; die Juden, seine Bundesgenossen aber, schickte Mohammed selbst schon vor Schaut nach der Stadt zurück. Bei S. a. a. O. liest man: „Ibn Ishak berichtet: als Mohammed in Schaut anlangte, zwischen Medina und Ohod, trennte sich von ihm Abd Allah, der Sohn Ubejj's, mit dem dritten Theile der Mannschaft und sagte : Er (Mohammed) hat andere angehört und meinen Rath verworfen, wir wissen nicht, wozu wir hier unser Leben hingeben sollen; er kehrte dann zurück mit seinen Anhängern aus seinem Volke (min kaumihi), den Heuchlern und Zweiflern. Abd Allah, der Sohn Amru's, folgte ihnen, und rief ihnen zu: „Denket an Gott und verlasset euer Volk und euern Propheten nicht im Angesicht ihres Feindes!“ Sie erwiederten: „Wüßten wir, daß es zu einem Gefechte käme, so würden wir euch nicht überliefern (dem Feinde), aber wir glauben dieß nicht.“ Er rief ihnen dann nach : „Gott verstoße euch, ihr Feinde Gottes, und mache euch seinem Propheten entbehrlich!“ Die Hilfsgenossen sagten dann: „O Prophet Gottes! sollen wir nicht die mit uns verbündeten Juden zu Hülfe rufen?“ Er antwortete: „Wir brauchen sie nicht.“
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so daß nur siebenhundert Mann bei Mohammed blieben, von denen viele mit verzagtem Herzen einem Kampfe entgegen sahen 173). Mohammed stellte diese Truppen am Fuße des Berges Ohod auf, und verbot ihnen, den Angriff zu beginnen; den fünfzig Bogenschützen aber, welche die einzige offene Seite des Berges gegen den Feind vertheidigen sollten, gab er den bestimmtesten Befehl, keinen weitern Antheil am Kampfe zu nehmen, sondern blos, sowohl im Falle einer Niederlage, als eines Sieges, die Muselmänner vor einem Ueberfalle der feindlichen Reiterei von dieser Seite her zu bewahren. Das Losungswort der Muselmänner war: tödte! tödte! 174) das der Kureischiten, unter deren Anführern die später so berühmt gewordenen Feldherrn Chalid und Amru Ibn Aaß waren, lautete:
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173) Ein Theil der Truppen, so berichtet I. und Ch. nach dem Wafa, wollte nach Abd Allah's Rückkehr nicht weiter ziehen, während ein Anderer auf dem Kampfe bestand; wenig fehlte, so wäre es zwischen diesen beiden Partheien der Muselmänner zu Thätlichkeiten gekommen.
174) Bei I. liest man anta (du), vielleicht ein Ausruf zu Gott. Bei Ch. aber, und bei S. (fol. 154) heißt es: Amit, Amit, tödte! Nicht wie bei H. v. H. (S. 126) „Volk!“ Er scheint Ummat gelesen zu haben, aber das mim hat kein Teschdid, und der letzte Buchstabe ist ein ta, nicht ein ha mit zwei Punkten. Uebrigens kommt dasselbe Wort bei dem Feldzuge gegen die Beni Mußtalik vor, dort war das Losungswort: Ja mansur amit (Sieggekröntes Volk tödte!) wo doch gewiß nicht Ummat gelesen werden kann. Auch bemerkt dort J.: mit diesem Losungsworte deuteten sie ihren Sieg vorher an, durch die Niederlage ihrer Feinde.
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O Uzza! O Hobal! Mohammed übergab sein Schwert dem Abu Dudjana, welcher sich verbindlich machte, es nicht eher niederzulegen, bis es zerschlagen oder krumm gebogen. Es hatte die Inschrift: „Feigheit bringt Schande, vorwärts rücken Ehre, nicht durch Feigheit entrinnt der Mann seinem Schicksal.“ Er band dann eine rothe Binde um sein Haupt, welche die Inschrift hatte : „Hülfe kommt von Gott, der Sieg ist nahe. Feigheit im Kriege ist Schande, wer entflieht, kann doch der Hölle nicht entrinnen.“ Er kämpfte in der vordersten Reihe, und rief: „Ich bin es, dem mein Freund das Versprechen abnahm — weil wir im Kampfe stets bei den Edlen — daß ich niemals in den hintern Reihen weilen werde, so lange ich fechte mit dem Schwerte Gottes und seines Gesandten 175).“ Hind durchlief die Reihen der Ungläubigen und rief: „Muthig! Ihr Söhne Abd Dars 176), Beschützer
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175) Diese arabischen Verse, die ich der Treue willen lieber in Prosa wiedergegeben, lauten bei H. v. H. :
„Ich bin der auf den Freund vertraut,
Der mir dem Schwert im Palmenhaine haut.
Daß diese Welt besteh', ist nicht gewährt.
Denn ich, ich schlage sie mit Gottes Schwert.“
Die arabischen Worte bei Ch. lauten:
„Ana-I-Iadsi âhadani Chalifi, wanahnu bissafhi lada-n-nachili
An lâ akûma-d-dahra fi-l-kajjûli, adhrib biseifi-I-lâhi warrasûli.“
Sie stehen auch bei S. fol. 154, nur liest man kubul statt kajjul.
176) Die Söhne Abd Dars hatten, wie schon in der Einleitung erwähnt worden, das Recht, die Fahne im Kriege zu tragen, und waren also die Vorkämpfer der folgenden Truppen, welche daher im Texte bei Abulfeda adbar heißen, was Noel des Vergers unrichtig (S. 45) durch „familles“ übersetzt. Reiske übersetzt S. 93: „Defensores tergorum vestrorum (et earum quae vobis a tergo sunt).“ Dazu in einer Note: „Tergora sunt hoc loco feminae quas retro habebant viri bellatores.“ Dann noch am Schlusse des Bandes (S. 19): „Terga vestra: honesta ratio dicendi pro: uxores vestrae. Nam verecundantur nomen expressum uxor et filia, sed circumlocutionibus et metaphoris designant etc.“ Diese Bemerkung ist richtig, auch wird nach dem Kamus das Wort „zahrun“ (Rücken) für „Familie“ gebraucht, aber niemals „adbâr“. I., der Hinds Kriegsruf erklärt, sagt zu dem Worte „adbâr“ ai aakabu-n (mit Alif und Aïn) nâsi. Das heißt: die hinten folgenden Leute.
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der Truppen, hauet zu mit scharfen Klingen, wir sind die Töchter der Sterne, wir wandeln auf Teppichen, wie leichte Kata's, unser Haar duftet Moschus aus, Perlen schmücken unsern Hals, schreitet ihr vorwärts, so umarmen wir euch, fliehet ihr aber, so scheiden wir von einander, und zwar nicht wie Liebende.“ Das erste Zusammentreffen war zu Gunsten der Muselmänner, deren Bogenschützen die feindliche Reiterei zurücktrieben, und deren Vorkämpfer sieben Fahnenträger einen nach dem andern niedermähten. Schon begannen die Mekkaner zu fliehen, und die Muselmänner verließen ihre Stellung am Berge Ohod und verfolgten sie mit dem Schwerte in der Hand. Als aber auch über vierzig Bogenschützen den ihnen von Mohammed angewiesenen Platz verließen, aus Furcht, sie möchten bei der Beute zu kurz kommen, da erneute Chalid seinen Angriff mit der Reiterei, überwand leicht die wenigen zurückgebliebenen Schützen, und fiel in den Rücken der Muselmänner, welche sehr bald in die größte Verwirrung geriethen, und die Ihrigen vom Feinde nicht mehr zu unterscheiden wußten. Mohammed selbst ward an den Wangen und den Lippen verwundet, verlor einen 177) der Vorderzähne, und stürzte in einen Graben. Hamza ward von einem abyssinischen Sklaven getödtet, auch der Fahnenträger Mußab, der Sohn Omeirs, fiel, und da er von derselben Gestalt wie Mohammed war,
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177) Nicht vier, wie bei H. v. H., S. 128, welcher wahrscheinlich rabaijat mit arba verwechselt. Schon bei Abulfeda ist nur von einem Zahne die Rede, und Noel des Vergers bemerkt mit Recht (S. 121), daß nur einer von den zwei in Konstantinopel aufbewahrten Zähnen wirklich Mohammed angehören konnte. Auch bei S. fol. 156 ist nur von einem Zahne die Rede, ebenso bei I. und Ch. Von vier Zähnen ist nirgends eine Spur zu finden. Auch Reiske (S. 95) übersetzt unrichtig : „Dentes ejus incisores.“
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hieß es: „Mohammed ist todt!“ Dieß erhöhte noch den Mutb der Ungläubigen, während die Muselmänner nur um so eiliger die Flucht ergriffen, und zum Theil nach Medina flüchteten, um die Vermittlung Abd Allah's nachzusuchen. Vergebens rief Uns, der Sohn Nadhrs: „Ist auch Mohammed todt, so lebt doch Mohammeds Gott, und stirbt nie, kämpfet und sterbet für das, wofür er gekämpft hat und gestorben ist!“ Seine Worte fanden kein Gehör, und hätte nicht Kaab, der Sohn Maliks, den mit einem doppelten Panzerhemde und einem Helme bedeckten Propheten unter den Verwundeten an seinen Augen erkannt, so wäre er, wahrscheinlich auf dem Schlachtfelde geblieben 178). Sobald dieser Abu Bekr, Omar und zehn oder
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178) Diese bisher noch unbekannten nähern Umstände von Mohammeds Rettung habe ich aus S., I. und Ch. Bei Ersterem heißt es fol. 157: „Der Erste, der den Gesandten Gottes wieder erkannte, nachdem die Muselmänner geschlagen waren, und den Propheten für todt hielten, war Kaab, der Sohn Maliks. Dieser sagte: Ich erkannte ihn an seinen Augen, welche unter seiner Sturmhaube hervorleuchteten. Da rief ich mit lauter Stimme: Gemeinde der Muselmänner! freuet euch! hier ist der Gesandte Gottes. Mohammed befahl mir aber durch einen Wink zu schweigen (wahrscheinlich aus Furcht, die Kureischiten möchten aufs Neue gegen ihn herandringen). Als die Muselmänner den Gesandten Gottes erkannten, richteten sie ihn auf, und führten ihn an eine Höhle auf einer Anhöhe. Unter seinen Begleitern waren Abu Bekr, Omar, Talha, Zubeir und einige andere. Hier wurde er von Ubejj Ibn Challaf verfolgt, der schon längst ein Pferd besonders gut fütterte, um es einst im Kampfe gegen Mohammed zu gebrauchen. Mohammed versetzte ihm aber einen Hieb in den Nacken, woran er später starb. (Dieß ist das einzige Mal, wo Mohammed thätigen Antheil am Kampfe nahm.) Ali brachte dann Wasser, das Mohammed so schlecht fand, daß er es nicht trinken konnte, jener wusch ihm daher Gesicht und Kopf damit. Auf einmal kam Chalid mit einigen anderen Kureischiten den Hügel heran, auf dem Mohammed mit den Seinigen sich befand. Mohammed betete, und Omar mit den übrigen Ausgewanderten trieben sie zurück. Mohammed wollte dann einen Felsen erglimmen, der auf dieser Anhöhe sich erhob, da er aber sehr schwach, und von zwei Panzerhemden umkleidet war, konnte er nicht hinaufkommen. Talha nahm ihn daher auf die Schultern, und trug ihn hinauf.“
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zwölf andere semer Gefährten davon benachrichtigte, daß der Prophet noch am Leben, sammelten sie sich um ihn, und bahnten sich mit dem Schwerte in der Hand einen Weg zu einer Höhle auf einer Anhöhe. Als sie aber auch hier verfolgt wurden, bestiegen sie einen Felsen auf dem Gipfel dieser Anhöhe, wo sie sich leicht gegen den Feind vertheidigen konmen, der übrigens, weil Mohammed für todt galt, sich um die übrigen Muselmänner wenig mehr kümmerte, sondern statt die Lebenden weiter zu verfolgen, die Todten verhöhnte und verstümmelte. Hind und die übrigen mekkanischen Frauen gingen in ihrer Unmenschlichkeit so weit, daß sie abgeschnittene Nasen und Ohren wie Perlen zusammenreihten, und als Halsketten und Armbänder trugen; erstere versuchte es sogar, Hamza's Herz zu fressen, was ihr jedoch nicht möglich war 179).
Als die Ungläubigen den Rückzug antraten, verließ auch Mohammed seinen Felsen wieder, sorgte für die Beerdigung
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179) Hamza war so verstümmelt, daß man ihn kaum mehr erkannte. Mohammed gerieth bei seinem Anblick in solche Wuth, daß er sagte, wenn ihm Gott wieder einen Sieg über die Kureischiten verleihe, er siebenzig (nach einer andern Tradition dreißig) der Ihrigen ebenso verstümmeln würde. Nicht wie bei H. v. H., S. 129: „Als Mohammed auf die Frage, wo Hamza? dessen Tod erfuhr, schwor er denselben mit dem Tode von siedenzig Koreisch zu vergelten.“ Auch Noel des Vergers hat das bei Abulfeda vorkommende Wort laumaththilanna unrichtig durch : „Je vengerai sur trente des leurs la mort de Hamza“ übersetzt. Mohammeds Gefährten riefen dann: „Bei Gott! wenn uns Gott je wieder einen Sieg über die Kureischiten verschafft, so wollen wir sie auf eine Weise verstümmeln, wie es nie ein Araber gethan.“ Später erschien aber der Vers des Korans: „Strafet ihr, so seid gerecht in eurer Vergeltung, ertraget ihr das Schlimme aber mit Geduld, so kommt es den Duldenden zu gut (S. 16, V. 126),“ worauf Mohammed das Verstümmeln gänzlich verbot. Ch., I. u. S. fol. 161.
Leben Mohammeds.
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der Getödteten, tröstete die Verwandten der Gebliebenen durch die Versicherung, daß sie ein besseres Leben fortleben 180), und verbot ihnen daher auch sich ins Gesicht zu schlagen, das Haupthaar abzuscheeren, die Kleider aufzureißen und alle andere damals übliche Trauerbezeugungen; er gestattete ihnen nur die Todten zu beweinen, weil „die Thränen dem betrübten Herzen Erleichterung verschaffen.“
Die Nacht nach der Schlacht war indessen für die Muselmänner noch eine sehr unruhige, denn sie fürchteten jeden Augenblick, die Kureischiten möchten umkehren und Medina überfallen. Auch zog Mohammed am folgenden Tage 181) mit seinen Truppen bis nach Hamra-al-Asad , acht Meilen weit von Medina, um dadurch den Mekkanern zu zeigen, daß sein Muth noch nicht gebrochen und er ein zweites Treffen nicht scheue. Diese hatten in der That, als sie in in Rauha, ungefähr vierzig Meilen von Medina anlangten — vielleicht weil sie dort erst vernahmen, daß Mohammed noch beim Leben 182) —
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180) Ch. berichtet aus Maâlim Attanzil: „Der Gesandte Gottes sagte: als eure Brüder am Schlachttage von Ohod fielen, legte Gott, der Erhabene, ihre Seelen in den Körper grüner Vögel, welche an den Flüssen und Früchten des Paradieses sich labten, und in allen Theilen des Paradieses unter dem Schatten des himmlischen Thrones lustwandelten. Aber in ihrer Seligkeit über die köstlichen Speisen und Getränke, und ihren herrlichen Aufenthaltsort riefen sie: O wüßten doch unsere Brüder, was uns Gott erwiesen, damit sie nicht ablassen vom heiligen Kriege! Da sagte Gott, der Erhabene: ich will ihnen Nachricht von euch geben, und sandte den Vers herab: Glaubet nicht, daß diejenigen, welche auf dem Pfade Gottes erschlagen worden, todt sind, denn sie leben fort u. s. w.“ (S. 3, Vers 170).
181) Das Nähere über diesen Zug, den Abulfeda ganz übergeht, aus I., Ch. und S. fol. 162 u. 163.
182) Dieß ist wohl das Wahrscheinlichste, obschon nach einer Tradition bei S. (fol. 160.) Abu Sosian schon vor seinem Abzuge von Omar erfahren haben soll, daß Mohammed noch am Leben. Das Ganze klingt aber so mährchenhaft, daß es keinen Glauben verdient. Der Leser beurtheile selbst diese Stelle: „Als Abu Sosian weggehen wollte, bestieg er einen Berg, und rief mit lauter Stimme: Wohl gethan! Laß mich! Der Krieg ist unbeständig, dieser Tag für den von Bedr, erhebe dich Hobal! Der Gesandte Gottes sagte zu Omar: Antworte ihm! Dieser rief: Gott allein ist erhaben und gepriesen! Kein Vergleich zwischen uns! Unsere Erschlagenen sind im Paradiese, die Eurigen in der Hölle. Als Abu Sosian dieß hörte, rief er: Komm her, Omar! Der Gesandte Gottes sagte zu Omar: Geh zu ihm hin, und sieh, was er will. Als Omar zu ihm kam, sagte Jener: Ich beschwöre dich bei Gott, sage mir, haben wir Mohammed erschlagen? Omar antwortete: Bei Gott, nein, er vernimmt sogar deine Worte. Da sagte Abu Sosian: Ich glaube dir eher, als Ibn Kamia, welcher behauptete, Mohammed getödtet zu haben. Dann rief Abu Sosian: Es sind von euren Todten verstümmelt worden, bei Gott, es geschah weder mit meinem Willen, noch gegen denselben, ich habe es nicht ge-, auch nicht verboten; beim Weggehen rief er dann: Stellt euch das nächste Jahr in Bedr ein! Da sagte Mohammed zu einem seiner Gefährten: antworte ihm: Es sei so!“
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beschlossen, nach Medina zurückzukehren, gaben aber diesen Vorsatz auf, als Mibad, ein Ungläubiger aus dem Stamme Chuzaah, der es jedoch mit Mohammed besser als mit den Mekkanern meinte, ihnen berichtete, er sei Mohammed mit einem zahlreichen Heere auf dem Wege begegnet. Drei Tage lagerte Mohammed in Hamra Alasad, und ließ des Nachts, um den Feind über die Zahl seiner Truppen, welche mit Inbegriff vieler schwer Verwundeten kaum noch sechshundert Mann stark waren 183), zu täuschen, eine große Anzahl Wachfeuer anzünden. Erst als er durch einen Boten, welchen ihm Mibad sandte,
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183) Die Zahl der bei Ohod gebliebenen Muselmänner wird von den meisten Biographen auf siebenzig angegeben, vielleicht aber nur, um sie mit der Zahl der bei Bedr gefangenen Kureischiten in Einklang zu bringen, weil diese Niederlage als eine Strafe für das Lösegeld, das damals von den Ungläubigen angenommen wurde, betrachtet wird; einige nehmen jedoch nur vier bis sechsundsechzig an. Von den Kureischiten blieben zwei oder dreiundzwanzig, darunter Ubejj, der Sohn Challafs, den Mohammed selbst erschlug.
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erfuhr, daß die Kureischiten durch die ihnen gegebene falsche Nachricht erschreckt, statt eine zweite Schlacht zu wagen, weiter nach Mekka gezogen seien, hob er das Lager auf, und kehrte nach Medina zurück. Auf diesem Zuge fielen den Musel männern zwei nach dem Treffen von Ohod zurückgebliebene Kureischiten in die Hand, welche beide getödtet wurden. Der eine war der Dichter Abul Azza, welcher schon in der Schlacht von Bedr gefangen worden war, den aber Mohammed, weil er ein armer Familienvater war, begnadigt hatte, unter der Bedingung, daß er nie mehr an irgend einer Feindseligkeit gegen die Muselmänner Theil nehmen würde. Als er auch dießmal Mohammed um Gnade anflehte, erwiederte dieser: „Du sollst nicht im Rathhause zu Mekka deinen Bart streichen und sagen: ich habe Mohammed zwei Mal hintergangen. Der Gläubige wird nicht zwei Mal von einem Schlangenneste gestochen.“ 184) Der andere war Muawia, der Sohn Mughira's, Großvater von mütterlicher Seite des späteren Chalifen Abdul Malik Ibn Merwan. Diesem wurden zwar auf Othmans Fürbitte drei Tage zu seiner Rettung gegönnt, da man ihn aber am vierten Tage noch in Medina fand, ward auch er wie Abul Azza von Zeid erschlagen.
Auf die Schlacht von Ohod, welche einige auf den siebenten, andere auf den vierzehnten Schawwal des dritten Jahres der Hidjrah setzen, folgten mehrere andere unglückliche Ereignisse für die Muselmänner. Von sechs Koranlesern, welche Mohammed den Stämmen Adhal und Kara auf ihr Verlangen
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184) Die arabischen Worte lauten: Almuminu la juldaghu min djuhrin marratein. Dafür hat H. v. H. (S. 130) : „der Gläubige wird von einem Streiche nicht zweimal verletzt.“
185) Der Schlachttag war nach allen Traditionen ein Samstag, nach Abulfeda den 7., nach S. (fol. 162) den 15. Schawwal. Zählt man die Hidjrab von Freitag dem 16. Juli 622 an, so war der 7. Schawwal richtig ein Samstag, der 15. aber ein Sonntag. Dieses Datum entspricht dem 23. oder 31. März 625, nicht wie bei H. v. H. (S. 129) dem 22. April 624.
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geschieht, um sie in den Lehren des Islams zu unterrichten 186), wurden vier bei der den Hudseiliten gehörenden Quelle Radji getödtet, und zwei nach Mekka verkauft, wo sie bis zu Ende der heiligen Monate eingesperrt, dann öffentlich hingerichtet wurden, und einer derselben so lange unbeerdigt blieb, bis zwei Muselmänner 187) des Nachts ihn wegtrugen. Bei dem Brunnen Mauna, vier Tagereisen von Medina, in der Provinz Nedjd, kamen ungefähr zu gleicher Zeit achtunddreißig, nach einigen sogar achtundsechzig 188) andere gelehrte Muselmänner um, welche den Islam in dieser Provinz predigen sollten, und von den Beni Suleim überfallen wurden. Auch mißlang die Unternehmung Amru's, des Sohnes Ommejja's, welcher sich auf Mohammeds Befehl heimlich nach Mekka begab, um Abu Sosian meuchlings zu ermorden. Er ward von Muawia, dem Sohne Abu Sosians, entdeckt, und konnte nur mit Mühe sein eigenes Leben retten 189). Glücklicher als Amru, war Abd Allah, der Sohn Uneis', gegen Sosian, den Sohn Chalids, welcher einer der Schuldigsten an dem Verrathe bei
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186) So bei Abulfeda und S. fol. 166. Bei anderen heißt es: Mohammed sandte sie nach Mekka, um Kundschaft über das Vorhaben der Kureischiten einzuziehen. Als Häuptling dieser sechs oder nach Einigen zehn Muselmänner wird von den Einen Aßim, von den Andern Marthad genannt.
187) Zubeir und Mikdad, denen Mohammed für diese That das Paradies verhieß. Die zwei Hingerichteten hießen Zeid Ibn Addathna und Chubeib Ibn Adij (S. fol. 166 und Abulfeda) H. v. H. erwähnt (S. 133) nur letztern, den er Chabib nennt.
188) Sie waren 41, nach Einigen 71 an der Zahl, und nur zwei entkamen: Kaab, der Sohn Zeid's, welchen man für todt hielt, der aber wieder zu sich kam, und Amru, der Sohn Ommejja's, der gefangen und wieder freigelassen wurde (Abulfeda und Andere).
189) Ch. und I. aus dem Iktifa, während andere diese Sendung erst ins sechste Jahr der Hidjrah setzen. Als Grund derselben wird angegeben, Mohammed habe einen Mekkaner mit einem Dolche ertappt, welcher von Abu Sofian abgesandt war, ihn zu ermorden.
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Radji war, weßhalb Mohammed seinen Kopf verlangte. Als Abd Allah ihn Mohammed brachte, schenkte er ihm dagegen einen Stock, und sagte: „Er diene dir zur Stütze im Paradiese und als Zeichen zwischen uns am Auferstehungstage!“ 190) Auch Abu Salma's Zug an der Spitze von hundertundfünfzig Kriegern gegen die Beni Asad, welche feindliche Gesinnungen gegen den Propheten hegten, bot den Muselmännern einen kleinen Ersatz für die verschiedenen Unfälle, die sie erlitten; denn wenn er auch den Feind nicht mehr einholen konnte, so kehrte er doch mit einer sehr reichen Beute nach Medina zurück 191). Noch größer waren die Vortheile, welche der, auch in andern Beziehungen merkwürdige Zug gegen den jüdischen Stamm der Beni Nadhir, der Zuhra, einen festen Platz ganz in der Nähe von Medina inne hatte, den Muselmännern gewährte. Folgendes soll die Veranlassung zu diesem Kriege gewesen sein. Amru, der Sohn Ommejja's, der Dhamrite, der einzige Muselmann, welcher bei dem Treffen am Brunnen Mauna begnadigt worden, erschlug auf seiner Rückkehr nach Medina zwei Männer der Beni Amir. Diese waren aber Schützlinge Mohammeds, weßhalb ihre Verwandten von ihm die Sühne für die Gemordeten begehrten. Mohammed 192) wendete sich daher an die Beni Nadhir, welche seine Bundesgenossen sowohl,
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190) So wörtlich bei I., auch bei S. fol. 266 liest man: „Ich (Abd Allah) fragte den Gesandten Gottes: warum hast du mir diesen Stock geschenkt?“ Er antwortete: „Als ein Zeichen (âjatun) zwischen mir und dir am Auferstehungstage, denn sehr wenig Leute werden an jenem Tage eine Stütze haben.“ Abd Allah trennte sich dann von diesem Stock nicht mehr, und seinem letzten Willen zufolge mußte man ihn auch in sein Grab legen.
191) Sie war so bedeutend, daß nach Abzug des Fünfttheils für Mohammed doch jeder Krieger noch sieben Kameele und viele Schafe erhielt, auch drei Hirten wurden auf dem Berge Katan, im Gebiete der Beni Asad, zu Gefangenen gemacht, und als Sklaven verkauft. I.
192) Er war nur von Abu Bekr, Omar, Ali und einigen andern Muselmännern begleitet (S. a. a. O.).
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als die der Beni Amir waren, und sprach sie um ihren Beistand und ihre Vermittlung an 193). Die Häupter der Juden zeigten sich bereitwillig, ihm seine Bitte zu gewähren, und luden ihn zum Essen ein, verabredeten dann aber untereinander, ihn von der Terrasse des Hauses, vor welchem er saß, mit einem großen Mühlsteine todt zu werfen. Mohammed durchschaute ihr Vorhaben und entfloh plötzlich nach Medina, ohne auch nur seine Begleiter davon zu benachrichtigen. Diese suchten ihn daher lange vergebens, bis sie endlich einen von Medina kommenden Reisenden trafen, der ihnen sagte: er sei Mohammed am Thore der Stadt begegnet; da kehrten auch sie dahin zurück. Mohammed ließ den Beni Nadhir hierauf ankündigen, daß er ihnen zehn Tage zur Auswanderung aus ihren Wohnorten gestatte, nach Ablauf dieser Frist aber sie mit dem Tode bestrafen würde. Die Juden waren bereit, diese Bedingungen anzunehmen, aber Abdallah, der
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193) So im Sirat Arrasul (fol. 168 und 169) und bei Z. und Ch., nicht wie bei Gagnier, S. 381, nach welchem Amru zwei Juden der Beni Nadhir ermordet, und diese von Mohammed die Sühne für die Gemordeten begehrt hätten. Nach einer andern Tradition hatten sie Mohammed und drei Muselmänner zu sich geladen, um über seinen Glauben zu disputiren. Abulfeda schweigt ganz über die Veranlassung dieses Feldzugs.
194) Nach muselmännischer Legende ward er vom Engel Gabriel gewarnt; wahrscheinlich bemerkte er, daß jemand mit einem großen Steine auf die Terrasse stieg, nachdem die Juden verschiedene geheime Unterredungen mit einander gehalten. Vielleicht war auch ein Verräther unter den Juden selbst. Auf diesen Vorfall beziehen einige Koranausleger den 12. Vers der 5. Sura: „O ihr Gläubigen gedenket der Gnade eures Herrn gegen euch, als Leute ihre Hände gegen euch ausstrecken wollten, und er sie aber abhielt von euch,“ während andere ihn auf Ungläubige, welche Mohammed auf dem Zuge von Dsat Rika ermorden wollten, beziehen. (S. fol. 170). Letzteres ist um so wahrscheinlicher, da die auf diesen Feldzug sich beziehenden Begebenheiten in einem andern Kapitel beisammen stehen. Auch Dialalein bezieht diesen Vers nicht auf die Juden.
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Sohn Ubejj's, der Sohn Abi Saluls, versprach ihnen Hülfe, so daß sie es wagten, ihn zum Kriege herauszufordern. Da sie aber weder von Abd Allah, noch von ihren Glaubensgenossen, den Beni Kureiza, unterstützt wurden, so blieb ihnen nichts übrig, als sich in ihre festen Schlösser, in der Nähe von Medina, einzuschließen. Mohammed belagerte sie mit seinen Truppen, und ließ die Dattelbäume, welche ihren größten Nahrungszweig bildeten, abbrennen und ausreißen 195). Nach einer Belagerung von sechs Tagen 196) entschlossen sich endlich die Juden zu einer Auswanderung, unter der Bedingung, daß ein Jeder, mit Ausnahme der Waffen, so viel Habe mit sich führen durfte, als ein Kameel tragen könnte. Mohammed genehmigte diesen Vorschlag, und ließ einen Theil von ihnen nach Syrien, einen andern nach Cheibar ziehen.
Die hier gemachte Beute, so wie die von den Juden verlassenen Güter, erklärte Mohammed, weil sie ohne Schwertstreich erobert worden, als sein Eigenthum, mit dem er nach Willen verfahren könnte. Er theilte sie daher unter die Ausgewanderten, und nur wenige arme Hülfsgenossen erhielten etwas davon.
Ueber diesen Feldzug spricht sich der Koran folgenderweise aus:
„Gott preiset was im Himmel und auf Erden ist, er ist der Allverehrte, der Allweise. Er ist es, der die Ungläubigen unter den Schriftbesitzern aus ihren Wohnungen vertrieb zu
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195) Dieß erregte selbst unter den Muselmännern eine solche Unzufriedenheit, daß sie durch folgenden Koransvers beschwichtigt werden mußten: „Was ihr abschneidet an Dattelnbäumen, oder was ihr auf ihren Wurzeln bestehen lasset, das erlaubt Gott, er wird die Ruchlosen (die des Propheten Anordnungen tadeln) beschämen (oder auch die Juden auf diese Weise bestrafen).“ Dieser Vers ist der 5. des 59. Kapitels, welches unmittelbar nach diesem Feldzuge erschien. (S. fol. 169, auch I. und Ch.).
196) So bei S. (im Rabial Awwal des 4. Jahres). Nach anderen bei I. und Ch. dauerte die Belagerung von fünfzehn bis fünfundzwanzig Tagen.
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den schon früher Ausgewanderten 197). Ihr dachtet nicht, daß sie auswandern würden, sie selbst glaubten, ihre festen Plätze würden sie gegen Gott (Gottes Strafe) beschützen, aber Gott fiel über sie her von einer ganz unerwarteten Seite, und warf Schrecken in ihr Herz, so daß ihre Häuser von ihren eigenen Händen 198) sowohl, als von denen der (sie bekriegenden) Gläubigen verwüstet wurden. Nehmet dieß zur Belehrung, ihr, die ihr Augen habt. Hätte Gott nicht Verbannung über sie verhängt, so hätte er sie schon in dieser Welt gezüchtigt 199), doch in jener harrt ihrer die Pein der Hölle. Dieses (ist ihr Loos) weil sie sich Gott und seinem Gesandten widersetzten; 200) wer sich Gott widersetzt, den bestraft er mit Strenge. Sowohl euer Abhauen einiger (ihrer) Dattelbäume, als eure Schonung Anderer geschah mit der Erlaubniß Gottes, denn er straft
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197) Dieser Vers wird gewöhnlich anders gedeutet. Nach Djalalein wäre die Rede von der ersten Verbannung, im Gegensatze zu der zweiten, welche unter Omar stattfand; aber abgesehen davon, daß der gesunde Menschenverstand eine solche wunderbare Auslegung nicht zuläßt, paßt sie auch gar nicht zur Präposition li. Maraccius übersetzt: „lpse est, qui ejecit eos . . . . e domibus suis ad primam congregationem (eorum in Syriam). Ullmann übersetzt: „Er ist es, der die ungläubigen Schriftbesitzer bei ihrer ersten Auswanderung aus ihren Wohnungen vertrieb,“ ebenfalls gegen den gewöhnlichen Gebrauch des li, und, wie er dieß in der Note nach Maraccius erklärt, mit Rücksicht auf die zweite Vertreibung unter Omar. Nach meiner Uebersetzung ist der massdar im Sinne mafuI zunehmen, und mit den früher Ausgewanderten meint er die Beni Keinukaa, welche nach dem Treffen von Bedr verbannt wurden.
198) Um schnell alles, was sich mitschleppen ließ, hinwegzunehmen.
199) D. h. nach Djalalein durch Todschlag und Gefangenschaft. Mohammed will durch diesen Vers sagen, daß die eingegangene Capitulation nach Gottes Willen war.
200) Widerspricht dieser Vers nicht gewissermaßen dem, was die muselmännischen Biographen von einem Mordversuche der Juden erzählen? Würde sich Mohammed so gelind ausdrücken, wenn sie wirklich ihm nach dem Leben getrachtet hatten??
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damit (mit dem Abhauen) die Uebelthäter. Die Beute, die Gott von dem Ihrigen seinem Gesandten zugewendet (wird nicht wie sonst getheilt), denn ihr seid weder zu Pferd, noch mit Kameelen gegen sie ausgezogen 201), aber Gott, der Allmächtige, verleiht seinem Gesandten die Herrschaft über was er will. Auch die Beute, welche Gott seinem Gesandten von den Bewohnern der (sich freiwillig unterwerfenden) Städte gewährt, gehört Gott, seinem Gesandten, dessen Verwandten, den Waisen, den Armen und den Wanderern 202), (dieß befiehlt Gott), damit sie nicht immer den Reichen 203) unter euch abwechselnd zufalle. Nehmet an, was euch der Gesandte gibt, und enthaltet euch dessen, was er euch versagt, fürchtet Gott, denn seine Strafe ist hart. (Sie gehört besonders) den Armen unter den Ausgewanderten, welche sich von ihrer Heimath und ihren Gütern getrennt haben, um damit Gottes Gnade und Wohlgefallen zu erlangen; diese sind die wahren Gläubigen! 204) Hast du nicht gesehen, wie die Heuchler ihren ungläubigen Freunden unter den Schriftbesitzern sagten: werdet ihr vertrieben, so wandern wir mit euch aus, wir werden Niemanden gegen euch gehorchen, werdet ihr bekriegt, so stehen wir euch bei. Aber Gott bezeugt, daß sie Lügner sind. Wenn jene
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201) Damit will Mohammed nicht sagen, daß überhaupt dem Fußvolk kein Antheil an Beute gebühre, sondern er meint nur damit, sie haben keinerlei Kriegsbeschwerden gehabt, wodurch sie einen Theil der Beute verdient hätten, indem sie ihre Heimath nicht verließen, und die Juden sich ohne Kampf unterwarfen.
202) Der Prophet erhielt nach Djalalein 21/25 der ganzen Beute, und 4/25 werden unter seinen Verwandten, den Armen, Waisen und Reisenden vertheilt, während, wie schon bemerkt, bei gewöhnlicher Beute 4/5 unter den Truppen vertheilt ward, und der Prophet für sich nur 1/25 erhielt.
203) Weil damals wahrscheinlich die Unbemittelten, welche weder für Lebensmittel sorgen, noch ein Kameel, um sie in der Wüste nachzuschleppen, herbeischaffen konnten, nicht oft an den Kriegszügen, besonders an den entfernteren, Theil nehmen konnten.
204) Sura 59, Vers 1-8.
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vertrieben werden, so ziehen sie nicht mit ihnen weg, werden sie bekämpft, so leisten sie ihnen keinen Beistand, und thäten sie es auch, so würden sie bald den Rücken kehren, und jene blieben hülflos. Wahrlich, sie (die Heuchler) fürchten euch mehr, als Gott in ihrem Innern, denn sie sind unverständige Leute 205). Sie (die Juden) werden euch nicht vereint bekämpfen, sondern (einzeln) in ihren festen Plätzen oder hinter ihren Mauern. Sie besitzen eine so bedeutende Macht, daß du glaubst, sie werden sich vereinen, aber ihre Herzen sind getheilt, denn es ist ein thörichtes Volk. Es wird ihnen wie andern 206) kurz vor ihnen ergehen, welche auch die Züchtigung für ihre Unternehmung fühlen mußten, und die einst noch schwere Pein trifft. Jene aber (die Heuchler) gleichen dem Satan, welcher die Menschen zum Unglauben verleitet, und wenn sie ungläubig geworden, ihnen sagt: ich theile eure Schuld nicht; ich fürchte den Herrn der Welt.“ 207)
Um diese Zeit ward auch den Muselmännern der Genuß des Weines als sündhaft erklärt 208), weil er mehr Unheil, als Nutzen
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205) Diesen Vers habe ich nach Djalalein übersetzt, welcher ihn auf die Heuchler bezieht, und als Grund angibt, „weil Gottes Strafe erst später (als die eurige) erfolgt;“ auch hier hat das nomen actionis wieder eine passive Bedeutung. Maraccius übersetzt diesen Vers unrichtig: „Cerie vos (fuistis) robustiores (illis) ob metum (immissum) in pectora eorum a Deo. . .“ Ullmann ebenso: „Wahrlich, ihr seid stärker, denn sie, weil Gott einen Schrecken in ihr Herz geworfen, deßwegen, weil sie unverständige Menschen sind.“
206) Wie den Juden vom Stamme Keinukaa, oder nach Djalalein, wie den Ungläubigen bei Bedr.
207) Dieselbe Sura, Vers 11-16.
208) Ueber den Genuß des Weines spricht sich der Koran folgendermaßen aus: Zuerst Sura II. Vers 119: „Man wird dich fragen in Betreff des Weines und des Spiels, sage: in Beiden liegt eine große Sünde, doch auch einiger Nutzen für die Menschen; die Sünde, zu der sie Veranlassung geben, ist aber größer, als der Nutzen, den sie gewähren.“ Dann Sura IV. Vers 42: „O ihr Gläubigen! kommet nicht zum Gebete, wenn ihr betrunken seid, damit ihr wisset, was ihr betet.“ Endlich Sura V. Vers 99 und 100: „O ihr, die ihr glaubet! der Wein, das Spiel, die Bildsäulen (für Götzen) und das Pfeilerloos sind Abscheulichkeiten von den Werken Satans, haltet euch fern davon! vielleicht werdet ihr dadurch vor Unheil bewahrt. Der Satan will durch den Wein und das Spiel nur Haß und Feindschaft unter euch ausstreuen, und euch von frommer Andacht und dem Gebete abhalten, werdet ihr (diesen Lastern) wohl entsagen?“ Von diesen vier Versen erschienen wahrscheinlich die beiden letzten nach dem ersten, daher auch manche Biographen und Commentatoren das absolute Verbot des Weines erst in das sechste Jahr der Flucht setzen. Vers 42 der 4. Sura mochte noch später erschienen sein, weil in demselben Verse auch das Reiben mit Sand bei Ermanglung des Wassers geboten ist, das erst auf einem der folgenden Züge gegeben ward. Aus dem Verbote, nicht betrunken zu beten, kann nicht gefolgert werden, daß das Betrinken überhaupt erlaubt sei, sondern höchstens, daß auch nach dem Verbote des Weines noch Fälle von Trunkenheit vorkamen.
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bringt, und wahrscheinlich war die Gefahr, in welcher Mohammed schwebte, während seine Begleiter sich vielleicht diesem Getränke ergaben, die Veranlassung zu diesem Verbote. Auch befahl Mohammed nach dem Feldzuge gegen die Beni Nadhir seinem Secretäre Zeid Ibn Thabit, die jüdische Schrift zu lernen, weil er seine Correspondenz mit den noch übrigen Juden Medinas und der Umgebung keinem Juden mehr anvertrauen wollte 209).
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209) Ch. aus dem Aßl Alaßil und Tirmedsi. In der Tradition, welche Ch. wörtlich anführt, heißt es: jüdische Schrift oder Schrift der Juden (Kitab al Jahûd). Bei Ch. selbst aber, im Anfang des Artikels liest man: „In diesem Jahre befahl der Gesandte Gottes dem Zeid, Sohn Thabits, das Syrische zu lernen“ (bitaallumi Assirjanijah), woraus man schließen könnte, daß die Juden Arabiens sich der syrischen Schrift bedienten. Auch bei I. im Kapitel von den Secretären Mohammeds (Bd. IV.) liest man: „Zeid Ibn Thabit erzählt: der Gesandte Gottes (über den Heil) befahl mir das Syrische zu lernen, indem er sagte: ich vertraue den Juden meine Briefe (oder Schrift kitâbi) nicht an, und es verging kein halber Monat, als ich sie vollkommen gelernt hatte; ich schrieb dann für den Propheten an sie, und las ihm ihre Briefe vor.
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Nicht ganz zwei 210) Monate nach dem Kriege mit den Juden war Mohammeds Leben auf dem Feldzuge gegen die Beni Muharib und Thalaba, in der Provinz Nedjd, wieder in Gefahr, indem ihm ein Araber plötzlich das Schwert entriß, und ihn damit tödten wollte. Dieser Feldzug heißt darum der des Wunders, weil Mohammed, wie auf dem von Dsu Amarr auf eine wunderbare Weise gerettet worden sein, und auf der Rückkehr noch manches Außerordentliche vollbracht haben soll. Er heißt aber auch Dsat Arrika (der Fetzen), entweder nach dem Namen des Berges, welcher das Ziel dieses Zuges war, oder weil die Truppen ihre verwundeten Füße mit Lumpen umbanden, oder weil sie auf dem Wege ihre zerfetzten Fahnen ausbesserten. Einige leiten den Namen dieses Feldzugs auch von einem Baume ab, welcher so heißt, und in jener Gegend einheimisch ist. Zu einem Kampfe kam es auf diesem Zuge nicht, nur einige Frauen wurden weggenommen, die Männer nahmen aber eine feste Stellung auf dem Berge ein, wo die Muselmänner, nach Einigen vier, nach Andern sieben bis achthundert Mann stark, es nicht nur nicht wagten, sie anzugreifen, sondern sogar einen feindlichen Ueberfall befürchteten. Darum ward auch hier zum ersten Male das so genannte Furchtgebet (Salat Alchauf) angeordnet, welches abwechselnd von einem Theile der Truppen nach dem andern gebetet wird 211).
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210) So bei S. fol. 169 und Andern. Buchari hingegen behauptet, dieser Feldzug könne erst nach dem von Cheibar stattgefunden haben, denn Abu Musa wohnte ihm bei, und erzählt, wie er mit wunden Füßen zurückkam, weil sie nur zu sechs ein Kameel hatten. Abu Musa kehrte aber erst nach dem Feldzuge von Cheibar aus Abyssinien zurück.
211) Ist der Feind auf der Seite, nach welcher man beim Gebete das Gesicht hinwenden soll, so dürfen alle Truppen zusammen beten, nur nicht zu gleicher Zeit niederfallen; ist der Feind aber auf einer andern Seite, so betet der Imam abwechslungsweise mit der Hälfte der Armee, während die andere Hälfte den Feind beobachtet. Siehe Sura IV. Vers 101, welcher nach den Koransauslegern auf diesem Feldzüge erschien, wo der Feind nicht auf der Seite der Kibla war. Was die Wunder angeht, welche Mohammed geübt haben soll, so erzählt I. und S., daß er ein Kameel, welches gar nicht mehr vorwärts wollte, nur mit seinem Stock stieß, und es lief sogleich schneller, als alle übrigen. Ferner erzählt I.: „Eine Beduinin brachte ihm einen von Teufeln besessenen Sohn, er spuckte ihm in den Mund, und jener ward befreit. Djabir bereitete ihm drei Eier zu, er aß davon mit allen seinen Gefährten, sie waren alle satt, obschon sie kein Brod dazu gegessen hatten, und als Djabir die leere Schüssel wegnehmen wollte, waren noch alle drei Eier darin. Ein Kameel kam stöhnend und schäumend auf ihn zu gelaufen, da sagte er zu seinen Gefährten: wisset ihr, was mir dieses Kameel sagt? es fleht meine Hülfe an gegen seinen Herrn, der es schon mehrere Jahre an den Pflug spannt, und nun gar schlachten will; er befahl dann Djabir, den Eigenthümer des Kameels, zu rufen; die Sache verhielt sich, wie Mohammed voraus gewußt, und er überredete den Eigenthümer des Kameels, daß er es verschonte.“ Man wird mir es wohl nicht verargen, wenn ich derartige Mährchen, mit denen die Orientalen ihre Geschichte würzen, die sie aber mit demselben Ernste, wie die unbestrittenen historischen Facta auftragen, nur selten anführe.
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Auch die zwei folgenden Feldzüge, nach Bedr und nach Danmat Aldjandal, einem Orte an der syrischen Grenze, in der Nähe von Tabuk, fünf Tagereisen von Damaskus, liefen ohne Blutvergießen ab. Ersteren unternahm Mohammed im Monat Schawwal 212), des vierten Jahres der Hidjrah, mit fünfzehnhundert Mann, worunter aber nur zehn Reiter, in der Erwartung daselbst Abu Sosian 213) zu treffen; dieser war in
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212) Nach S. fol. 171 im Schaaban, ich folge aber lieber andern bei I., welche Schawwal annehmen, weil man eine andere Tradition findet, nach welcher er mit dem Neumonde des Dful Kaada in Bedr ankam, und doch gewiß nicht über zwei Monate auf dem Wege war.
213) Nach den muselmännischen Biographen hatte Abu Sosian am Schlusse seiner Unterredung mit Omar, nach der Schlacht von Ohod, demselben gesagt: „Wir treffen uns das nächste Jahr in Bedr.“ S. Anmerkung 182. Da mir aber jene ganze Unterredung verdächtig vorkommt, so ist es mir wahrscheinlicher, daß Mohammed es für eine Ehrensache hielt, vielleicht auch seinen Vortheil dabei fand, die Messe von Bedr zu besuchen, welche alljährlich mit Anfang des Dsu-l-Kaada acht Tage lang gehalten ward, und daß Abu Sosian mit den Mekkanern dasselbe thun wollte, es aber unterließ, als er hörte, daß Mohammed von so vielen Truppen begleitet war. An einen Krieg im Monate Dsul Kaada konnte gewiß Abu Sosian niemals gedacht haben, da dieser Monat einer der vier Heiligen ist, welche doch die Mekkaner noch immer streng beobachteten.
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der That schon auf dem Wege nach Bedr, kehrte aber, als er von Mohammeds Auszug Nachricht erhielt, wieder nach Mekka zurück. Letzterer war einen Monat später gegen die Bewohner von Daumat Aldjandal gerichtet, welche mehrere Karawanen ausgeplündert und sich mit Mohammeds Feinden verbündet hatten. Sie ergriffen die Flucht, sobald Mohammed mit tausend Mann herannahte, und überließen ihm ihre Heerden und einige Hirten, welche sie nicht zu retten im Stande waren. Mohammed begnügte sich mit dieser Beute, und kehrte, ohne bis Daumat Aldjandal vorgerückt zu sein, nach Medina zurück.
Von größerer Bedeutung, besonders wegen einiger Vorfälle auf der Heimkehr, ist der nächstfolgende Feldzug, welchen Mohammed im folgenden Jahre 214) gegen die Beni Mustalik unternahm, die sich an der Quelle Mureisi, in der Gegend von Kudeid, zu einer kriegerischen Unternehmung gegen ihn versammelt hatten. Er fiel so unerwartet über sie her, daß sie keine Gegenwehr zu leisten im Stande waren. Zehn Mann blieben beim ersten Angriff der Muselmännner, worauf die Uebrigen entweder die Flucht ergriffen, oder sich gefangen
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214) Im Schaaban des fünften Jahres der Hidjrah. So bei I. und Ch. nach Ibn Djuzi. Andere, worunter Buchari, setzen diesen Zug noch in das vierte Jahr, während wieder andere, worunter Ibn Hischam, dem auch Abulfeda folgt, ihn erst in das sechste Jahr der Hidjrah setzen.
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nehmen ließen; auch eine Heerde von tausend Kameelen und fünftausend Schafen fiel in die Hande der Mohammedaner. Unter den Gefangenen, welche sich auf zweihundert Familien beliefen, und unter den Siegern als Sklaven und Sklavinnen vertheilt wurden, war auch Barra, Tochter Harith's, Häuptling der Beni Mußtalik. Diese fiel Thabit Ibn Keis zu, und forderte ihn auf, ihr das Lösegeld zu bestimmen, durch welches sie sich loskaufen könne. Da er aber einen allzu hohen Preis setzte, kam sie zu Mohammed, und bat ihn, ihren Herrn zu bestimmen, daß er ihr ein geringeres Lösegeld festsetze 215).
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215) Nicht wie bei H. v. H., S. 147, „um in ihres Vaters Namen eine Bitte vorzutragen.“ Bei S. fol. 189 heißt es: „sie flehte seine Hülfe an wegen ihres Lösegeldvertrags (tastaïnuhu fi kitâbatihâ). Bei I. ausführlicher: „Thabit bestimmte neun Okk Gold als ihr Lösegeld, da ging sie zum Gesandten Gottes, und sagte ihm: Thabit hat meine Freiheit an ein Lösegeld geknüpft, das ich nicht auftreiben kann, ich bitte dich daher um deinen Beistand.“ Der Koransvers (S. 24, Vers 34), welcher dem Sklaven oder der Sklavin das Recht gibt, ihren Freiheitsbrief gegen ein bestimmtes Lösegeld zu fordern, und es dem Herrn sogar zur Pflicht macht, nachher noch etwas von dem festgesetzten Lösegelde nachzulassen, lautet:
„Diejenigen, die (aus Armuth) nicht heirathen können, sollen enthaltsam leben, bis ihnen Gott von seiner Gnade Vermögen schenkt. Fordern diejenigen, die eure Rechte erworben (Sklaven oder Sklavinnen) einen Freiheitsvertrag von euch, so setzet ihn auf, wenn ihr Gutes von ihnen wisset (d. h. wenn sie die festgesetzte Summe auf eine ehrliche Weise aufzutreiben im Stande sind), und schenket ihnen von den Gütern, die euch Gott geschenkt. Auch sollt ihr eure Mädchen (Sklavinnen), welche einen tugendhaften Lebenswandel führen wollen, aus Verlangen nach irdischen Gütern nicht dem Laster Preis geben. Thut ihr ihnen Gewalt an, so vergibt ihnen Gott und erbarmt sich ihrer.“ Letzteres Verbot, welches nach Djalalein auf die Klage einer Sklavin Abd- allah's Ibn Ubejj erschien, die ihr Herr aus Gewinnsucht prostituiren wollte, beweist, daß die Medinenser den Mekkanern wegen ihrer Unsittlichkeit nicht viel Vorwürfe machen konnten.
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Barra war aber von so ausgezeichneter Schönheit, daß Mohammed ihr sagte: „Ich weiß dir etwas besseres, als dir zu einem mäßigern Lösegeld zu verhelfen, ich will es ganz für dich entrichten. Werde meine Gattin!“ Da sie diesen Antrag annahm, heirathete sie Mohammed, obschon er zu den schon genannten Frauen im vierten Jahre der Hidjrah Um Talma 216), die reizende Wittwe eines aus Abyssinien zurückgekehrten Muselmannes, und kurz vor diesem Feldzuge auch noch Zeinab, die Tochter Djahsch's, geheirathet hatte, von der sich sein freigelassener Sklave und Adoptivsohn Zeid, wahrscheinlich ihm zu Gefallen, scheiden ließ. Letztere Heirath, welche auch noch darum getadelt ward, weil ein Adoptivsohn bisher wie ein Sohn betrachtet ward, dessen Gattin dem Vater stets verboten
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216) Ihr Eigenname war Hind. Sie war so liebenswürdig, daß, als ihr Gatte starb, Omar und Abu Bekr um sie warben, aber ihre Anträge wurden zurückgewiesen. Als Mohammed um sie werben ließ, gab sie zur Antwort: „Ich sehe drei Hindernisse: ich bin sehr eifersüchtig, von krampfhaften Anfällen heimgesucht (mussâba), und habe keinen Verwandten, der mich dir antraue.“ Mohammed begab sich dann selbst zu ihr, und sagte ihr: „Ich werde zu Gott beten, daß er dir die Eifersucht aus dem Herzen nehme, und dich von deinen Anfällen heile, und hast du keinen Verwandten, der dich mir antraut, so ist auch keiner da, der unserem Bündnisse ein Hinderniß in den Weg lege.“ Sie ward ihm dann von ihrem Sohne, welcher noch sehr jung war, angetraut. Ch. Bei I. liest man: „Als Mohammed um sie werben ließ, antwortete sie: Der Gesandte Gottes ist mir ein willkommener Gatte, aber ich bin keine junge Frau mehr, habe vier kleine Kinder und bin sehr eifersüchtig.“ Mohammed erwiederte hierauf: „Was dein Alter betrifft, so bist du doch viel jünger als ich, und setzest dich daher keinem Tadel aus, wenn du mich heirathest. Für die vaterlosen Kinder wird Gott und sein Gesandter sorgen, und ich werde zu Gott beten, daß er dir deine Eifersucht aus dem Herzen nehme.“ Er heirathete sie dann, und führte sie in die Wohnung seiner verstorbenen Gattin, Zeinab, Tochter Chuzeima's, in welcher noch ein Säckchen mit Gerste, eine Handmühle, eine Pfanne und ein Topf mit Schmalz war.
Leben Mohammeds
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bleibt, rief folgende Koransverse hervor: „Gott hat keinem Menschen zwei Herzen in sein Inneres gegeben, eben so wenig eure Gattinnen (die ihr bei Scheidungsformeln wie den Rücken eurer Mütter betrachtet) zu euren Müttern geschaffen, auch sind eure angenommenen Söhne nicht eure wahren Söhne; dieß sind nur Worte, die ihr so mit eurem Munde aussprecht, aber Gott sagt die Wahrheit und leitet auf den rechten Pfad. Nennet sie nach ihren Vätern, das findet Gott billiger, und kennet ihr ihre Väter nicht, so betrachtet sie als Brüder im Glauben und als Freunde. Euer Irrthum hierin wird euch nicht als Sünde angerechnet, wohl aber die (schlimme) Absicht eures Herzens. Gott ist gnädig und barmherzig.“ 217). Damit man aber nicht glaube, Mohammed habe Zeid veranlaßt, sich von Zeinab scheiden zu lassen, erschien auch noch folgender Vers: „(Gedenke) wie du (Mohammed) demjenigen, welchen Gott und du selbst mit Wohlthaten überhäuft, (Zeid) sagtest: behalte deine Gattin und fürchte Gott! dabei aber in deinem Innern verbargst, was Gott bekannt machte (deine Absicht sie zu heirathen, wenn er sie entläßt), und die Menschen fürchtetest, während Gott allein gefürchtet zu werden verdient. Wir gaben dir sie dann zur Gattin, sobald Zeid seinen Entschluß (sich von ihr zu scheiden) vollführt hatte, damit die Gläubigen kein Bedenken mehr tragen, sich mit den Frauen ihrer Adoptivsöhne zu vermählen, sobald diese von ihnen geschieden sind, und Gottes Befehl ward vollzogen.“ 218) Um endlich auch diejenigen zu widerlegen, welche behaupten mochten: Mohammed gebe um seinetwillen neue Gesetze, fährt er also fort: „Der Prophet beging kein Unrecht, indem er nach Gottes Lehre handelte, die schon von andern (Propheten) vor ihm befolgt ward. Gottes Befehl mußte der Bestimmung gemäß vollzogen werden (wie er es von andern ward), welche die Botschaften Gottes gebracht, und nur ihn allein, keinen andern fürchteten. Außer Gott braucht man Niemanden Rechenschaft abzulegen.
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217) Sura 33, Vers 4 u. 5.
218) Dieselbe Sura, Vers 36.
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Mohammed war nie der Vater eines eurer Männer; er ist der Gesandte Gottes und das Siegel (der Letzte) der Propheten.“ 219). Mohammeds Vermählung mit Barra war segenbringend für alle ihre Stammgenossen, denn sobald sie unter den Muselmännern bekannt ward, schenkten viele von ihnen den Gefangenen, welche mit ihr verwandt waren, die Freiheit 220).
Während aber ein Theil der Muselmänner, welche Mohammed begleiteten,
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219) Vers 37—39. Man wird sich nicht wundern, daß Maraccius seine Refutationes zu dieser Sura beginnt: „lnter alia quae manifeste demonstrant Alcoranum non esse a Deo, illud est praeciptum, quod in eo Mahometus omnia fere ad commodum suum metitur.“ Doch wir enthalten uns unseres Urtheils über Mohammed bis zum Schlusse des Werks, und bemerken hier nur, daß Mohammed selbst, freilich ehe er sie gesehen, für Zeid um Zeinab hatte werben lassen, welche, so wie auch ihre Verwandten, glaubten, Mohammed werbe für sich, und ihre Einwilligung wieder zurücknehmen wollten, als sie vernahmen, daß er für Zeid geworben; darauf bezieht sich der 35. Vers dieser Sura, worin gesagt ist, daß wenn einmal Gott und sein Gesandter etwas beschlossen, niemand etwas anderes wählen darf. Maraccius hat Djalalein's Commentar zu diesem Vers, den er S. 561 anführt, gänzlich mißverstanden, auch hat er falsch gelesen alimahu (im Singul.) statt alimâhu (mit Alif). Djalalein sagt : „Dieser Vers erschien in Betreff Abd Allah's Ibn Djahsch und seiner Schwester Zeinab, um die der Prophet warb, dabei aber Zeid Ibn Haritha meinte. Ihnen Beiden (Zeinab und ihrem Bruder) war es aber nicht recht, als sie es erfuhren, denn sie hatten früher (bei der Werbung) geglaubt, der Prophet werbe um sie für sich selbst.“
220) So bei I. und Ch., auch schon bei Gagnier, S. 438. Nicht wie bei Reiske, S. 117 und Noel des Vergers, S. 57, nach welchen Mohammed hundert Familienhäuptern die Freiheit schenkte. (Sie haben unrichtig faa‘taka, statt fau‘tika gelesen). Bei S. a. a. O. heißt es ausführlich: „Als sie erfuhren . . . ließen sie frei, was in ihren Händen war, und es wurden durch Mohammeds Ehe mit ihr hundert Familien befreit,“ ebenso bei I. und Ch. (faarsalu ma biaidihim falakad u‘tika bitazwidjihri ijjaha mi‘atu ahi beitin etc.).
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alles aufbot, um ihn zu ehren, war ein anderer, an dessen Spitze der schon oft erwähnte Abd Allah Ibn Ubejj stand, stets eifersüchtig auf Mohammeds immer wachsendes Ansehen, und benützte jeden Vorfall, um ihn verhaßt zu machen. Eine Rauferei zwischen einem Diener Omars und einem Schützlinge der Chazradjiten, bei welcher Letzterer eine Ohrfeige erhielt, die ohne Mohammeds Dazwischenkunft bald zu einem allgemeinen blutigen Kampfe zwischen den Ausgewanderten und Hülfsgenossen geführt hätte, veranlaßte Abd Allah zu sagen : „Eine solche Schmach ist uns noch nie widerfahren, haben sie das wirklich gethan? 221) Sie sind bald mächtiger und zahlreicher, als wir. Auf uns und diese geflüchteten Kureischiten paßt das alte Sprüchwort: Mästest du deinen Hund, so frißt er dich auf. Aber bei Gott, wenn wir nach Medina zurückkehren, soll der Starke den Verächtlichen (Mohammed) vertreiben.“ Zu seiner Umgebung gewendet, fuhr er dann fort: „Das habt ihr euch selbst gethan. Ihr habt sie bei euch aufgenommen und mit ihnen euer Vermögen getheilt, bei Gott! hättet ihr ihnen nichts von dem Eurigen gegeben, so wären sie in ein anderes Land gezogen.“
Als diese Worte Mohammed hinterbracht wurden, gab er trotz der brennenden Mittagshitze den Befehl zum Aufbruch, und ließ, aus Furcht das Vorgefallene möchte bei müßigem Zusammensitzen neue Reibungen veranlassen, die Truppen die ganze Nacht durch bis zum folgenden Mittag marschiren, so daß zur Zeit, wo er Halt machen ließ, sie so ermattet waren,
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221) Sowohl bei I., nach welchem ich diese Aeußerungen Abd Allah's angeführt, als bei Ch. und S. (fol. 188) liest man statt des „lafaaluha“ bei Abulfeda, das schon Reiske aufgefallen ist, akad faaluha, wobei das Fürwort auf das, was er vernommen (daß nämlich sein Schützling geschlagen worden), zu beziehen ist. Da Abulfeda die ältern Quellen abkürzte, und doch gerne so viel als möglich ihre eigenen Worte beibehielt, wird er häufig etwas unklar, wie dieß auch aus der vorangegangenen Anmerkung zu ersehen ist.
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daß sie sich nur nach Ruhe und Schlaf sehnten 222). Omar wollte zwar nach seiner Weise der Sache ein kurzes Ende machen , und entweder selbst Abd Allah erschlagen, oder, um keine allgemeine Feindschaft zwischen den Hülfsgenossen und Ausgewanderten zu erregen, ihn von Abbad Ibn Baschir, einem Mohammed ergebenen Hülfsgenossen, erschlagen lassen 223). Mohammed wagte es aber nicht, aus Furcht vor den zahlreichen und mächtigen Freunden Abd Allah's 224). Dieser hatte seinerseits, als ihn Mohammed in Medina wegen seiner Aeußerung zur Rede stellte, nicht den Muth sie einzugestehen, sondern
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222) Mohammed selbst sagte zu Useid, welcher ihn fragte, warum er zur ungewöhnlichen Stunde den Befehl zum Ausbruch ertheilt: „Hast du nicht gehört, was Abd Allah gesagt?“ Nicht wie bei Gagnier, S. 439, welcher Mohammed zurückbleiben, und Useid ihm sagen läßt: „Vous demeurez derrière, lorsque ce n‘est point le tems de demeurer.“ Useid sagte dann zu Mohammed: „Verzeihe ihm, denn man war auf dem Punkte ihn zu krönen, als du nach Medina kamst.“
223) Auch Abd Allah's eigener Sohn soll zu Mohammed gesagt haben: „Willst du meinen Vater mit dem Tode bestrafen, so beauftrage mich mit seiner Hinrichtung, denn tödtet ihn ein anderer, so werde ich als zärtlicher Sohn Blutrache an ihm nehmen, und einen Gläubigen für einen Ungläubigen tödten.“
224) Bei S. a. a. O. sagt er zu Omar: „Wie soll ich das thun? Da werden die Leute sagen: Mohammed läßt seine Gefährten erschlagen.“ Er fürchtete also das Gerede, und gewiß noch mehr die Thaten der Leute, wo es sich handelte, einen Empörer zu bestrafen. Dieß geht noch besonders aus folgenden Worten bei S. fol. 189 hervor: „Später, wenn er (Abd Allah) sich etwas gegen Mohammed erlaubte, machten ihm seine eigenen Leute Vorwürfe darüber, und wiesen ihn zurecht. Als der Gesandte Gottes davon unterrichtet ward, sagte er zu Omar: Bei Gott! hätte ich an dem Tage, wo du mir riethest, ihn erschlagen zu lassen, deinen Rath befolgt, so wären manche Leute in Wuth gerathen, die ihn heute auf meinen Befehl selbst erschlagen würden. Ich sehe wohl ein, erwiederte Omar, daß deine Anordnungen mehr Heil bringen, als die meinigen.“
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nannte den Hinterbringer einen Lügner; doch war er, selbst als eine göttliche Offenbarung ihn wirklich für schuldig erklärte, nicht feig genug, Mohammed um Verzeihung zu bitten, und als einige seiner Stammgenossen ihn dazu bereden wollten, sagte er: „Ihr habt mich aufgefordert Gläubiger zu werden, ich ward Gläubiger; ihr habt mir befohlen die Armensteuer von meinem Vermögen zu geben, ich gab sie; nun fehlt nichts mehr, als daß ich noch vor Mohammed niederfalle.“
Diese Vorfälle waren die Veranlassung zu der theils auf dem Heimweg, theils nach Mohammeds Rückkehr nach Medina erschienenen Sura, der Heuchler, aus der folgende Verse hier als Bestätigung der Tradition eine Erwähnung verdienen:
„Wenn die Heuchler zu dir kommen, sagen sie: wir bekennen, daß du der Gesandte Gottes bist, und Gott weiß, daß du sein Gesandter bist, aber Gott bezeugt, daß die Heuchler Lügner sind. Sie nehmen ihren Eid (mit dem sie ihren Glauben beschwören) nur als Schutzmittel, und halten dadurch (Andere) vom Pfade Gottes ab . . . . Sagt man ihnen: kommet (entschuldiget euch!) der Gesandte Gottes wird (Gott) um Gnade für euch bitten, so wenden sie ihren Kopf weg, und du siehst, wie sie sich mit Hochmuth zurückziehen . . . . Sie sind es, die (zu ihren Freunden) sagen: Gewähret denjenigen, die bei dem Gesandten Gottes sind (den Ausgewanderten), keine Unterstützung, damit sie ihn verlassen. Aber Gottes sind die Schätze der Himmel und der Erde, es fehlt jedoch den Heuchlern an Einsicht. Sie sagen: wenn wir nach Medina zurückkehren, soll der Mächtige von uns den Verächtlichen vertreiben. Aber Gott allein besitzt Macht und sein Gesandter und die wahren Gläubigen, doch die Heuchler wissen das nicht. 225)
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225) Sura 63, Vers 1, 2, 5, 7 und 8. Diese Offenbarung hängt wieder mit einem epileptischen Anfalle zusammen. Man liest bei I.: Zeid Ibn Arkam (derselbe Jüngling, welcher Abd Allah‘s Rede Mohammed hinterbrachte) erzählt: „Ich sah, wie der Gesandte Gottes einen heftigen Anfall hatte (achadsathu burhâ), Schweißtropfen seine edle Stirne bedeckten, und die Vorderbeine seines Kameels schwer wurden, da sagte ich: der Gesandte Gottes erhält gewiß eine Offenbarung, und hoffte, Gott werde meine Worte als wahr erklären. Als der Gesandte Gottes wieder zu sich kam, faßte er mich an den Ohren, hob mich in die Höhe, und sagte: Junger! deine Ohren haben gut gehört; Gott hat deine Worte bestätigt und die der Heuchler Lügen gestraft.“ Von diesem Tage an hieß Zeid: der mit aufmerkenden Ohren Begabte.
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Ein anderer, eben so unangenehmer Vorfall, welcher sich auf der Heimkehr nach Medina ereignete, veranlaßt eine entgegengesetzte Offenbarung, eine solche nämlich, welche die Angeklagten für unschuldig erklärte. Dieses Ereigniß ist für den Charakter Mohammeds und die Art seiner Offenbarungen so wichtig, und wegen verschiedener Nebenumstände so merkwürdig, daß es hier wohl eine ausführlichere Darstellung, nach Aïscha's eigener Erzählung, finden mag 226).
So oft der Gesandte Gottes eine Reise machte (so berichtet seine Gattin Aïscha), pflegte er zwischen seinen Frauen zu loosen, und diejenige, welche das Loos traf, durfte ihn begleiten. Auf dem Feldzuge gegen die Beni Mußtalik war ich Mohammeds Begleiterin. Auf solchen Reisen führte man mir immer mein Kameel vor, ich setzte mich in meine Sänfte, die dann meine Leute auf das Kameel hoben und festbanden, dann ging einer derselben vor dem Kameele her und führte es an
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226) Die folgende Darstellung ist fast wörtlich nach S. fol. 190—192, mit einigen Zusätzen aus I. Es ist die einzige Tradition, welche über diese Begebenheit zu uns gelangt ist, und nur nach diesem Actenstücke können wir ein Urtheil fällen. Es muß jedem Leser selbst überlassen bleiben, was er von Aïscha's Treue denken will, nur vergesse er nicht, daß von den vier Urhebern der Anklage gegen sie drei verdächtig sind. Abd Allah, als bekannter Heuchler und innerer Feind Mohammeds, Hamnah, als Schwester Zeinabs, Aïscha's gefährliche Nebenbuhlerin und der Dichter Hasan, der eigentlich nur das Gerede der Leute zu einigen pikanten Versen benützte. Der einzige, so viel wir wissen, unpartheiische Ankläger war Mistah, welcher nicht nur Abu Bekrs Vetter war, sondern auch von ihm verpflegt ward.
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einem Strick. Auf der Heimkehr, als wir nicht weit von Medina unser Lager hatten, gab Mohammed in der Nacht den Befehl zum Aufbruch. Man führte wie gewöhnlich ein Kameel vor mein Zelt und stellte meine Sänfte daneben. Schon wollte ich einsteigen 227) als ich mein Halsband von Dhafarischen Muscheln vermißte; da ging ich wieder zurück, an die Stelle, wo ich es verloren hatte, und suchte es, bis ich es wiederfand. Inzwischen kamen aber meine Leute, welche glaubten, ich sei schon eingestiegen, luden meine Sänfte auf das Kameel, ohne zu bemerken, daß sie leer war — denn damals waren die Frauen nicht stark, weil sie kein Fleisch aßen — und zogen damit fort. Als ich daher wieder an die Stelle kam, wo ich einsteigen wollte, sah und hörte ich Niemanden mehr. Ich hüllte mich in mein Tuch ein und setzte mich nieder, weil ich dachte, sobald man mich vermißt, wird man mich hier suchen. Da kam Safwan, der Sohn Muattals vorüber, welcher wegen eines Geschäftes hinter den Truppen zurückgeblieben war 228). Als er mich bemerkte und erkannte — denn er hatte uns früher schon gesehen, ehe uns ein Vorhang den Männern entzog 229) — rief er: Wir sind Gottes,
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227) Nicht wie bei H. v. H., welcher (S. 144) sie aus der Sänfte steigen läßt, um ihr Halsband zu suchen. Wie konnte Aïscha aussteigen, ohne daß der Kameeltreiber das Kameel anhielt und niederknieen ließ?? H. v. H. setzt noch hinzu: „Da ich schmächtig und leicht, wurden die Kameeltreiber der Erleichterung der Sänfte nicht gewahr und zogen fort.“ Diese Bemerkung ist nothwendig, wenn die Sänfte noch auf der Erde war, und die Treiber sie leer auf das Kameel hoben, war sie aber schon aufgebunden, da hätte höchstens das Kameel die Erleichterung wahrnehmen müssen. S. auch Djalalein zu Sura 24, Vers 11.
228) Nach Andern gehörte er zur Nachhut der Truppen. Als solcher kommt er auch bei der letzten Pilgerfahrt Mohammeds vor.
229) Nach dem 50. Verse der 33. Sura, welcher lautet: „O ihr, die ihr glaubet! Betretet die Häuser des Propheten nicht, außer wenn es euch erlaubt wird zu einer Mahlzeit, wartet aber nicht (in seinen Häusern) bis sie zubereitet ist, sondern tretet erst hinein, wenn ihr gerufen werdet; entfernt euch wieder, sobald ihr gegessen habt, und verweilet nicht zu traulicher Unterhaltung, denn damit werdet ihr dem Propheten lästig, der sich vor euch schämet (euch weggehen zu heißen), aber Gott schämt sich nicht vor der Wahrheit. Begehret ihr etwas von den Frauen des Propheten, so redet sie hinter einem Vorhange deßhalb an, dieß erhält euer und ihr Herz reiner. Ihr dürfet dem Gesandten Gottes auf keine Weise beschwerlich fallen, auch seine Frauen niemals nach seinem Tode heirathen, denn dieß wäre in den Augen Gottes eine große Sünde.“ Dieser Vers erschien nach I. an dem Abende, als Mohammed zu seiner Hochzeit mit Zeinab, der geschiedenen Gattin Zeids, viele Gäste eingeladen hatte, die sich, selbst als Mohammed aufstand, noch nicht entfernten und bis spät in die Nacht in seiner Wohnung verweilten. Dieses Gebot, welches nur Mohammeds Frauen angeht, hat mit dem der Verschleierung des Hauptes, das ein allgemeines ist, nichts gemein. Letzteres befindet sich im 32. Verse der 24. Sura, welcher lautet: „Sage den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Augen niederschlagen, und von ihrer Zierde (Schönheit) nichts sehen lassen, als was (nothwendig) sichtbar werden muß. Sie sollen ihren Schleier um ihren Busen schlagen, und ihre Zierde nur ihren Männern zeigen, oder ihren Vätern, oder ihren Schwiegervätern, Söhnen, Stiefsöhnen, Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder oder Schwestern, ihren Frauen, ihren Sklavinnen und den Männern ihres Gefolges, die leidenschaftlos sind, oder Kindern, welche die Blöße der Frauen nicht beachten. Auch sollen sie mit ihren Füßen nicht so auftreten, daß man ihren Schmuck (Fußschellen) bemerke. Bekehret euch alle zu Gott, ihr Gläubige, damit es euch wohl ergehe.“ Von einem Verschleiern des Gesichtes ist in diesem Verse keine Rede. Djalalein bemerkt ausdrücklich zu den Worten: „was nothwendig erscheinen muß,“ „das ist das Gesicht und die Hände.“ Zu den Worten: „Sie sollen ihren Schleier um ihren Busen werfen,“ bemerkt er: „das heißt: ihr Haupt, ihren Hals und ihre Brust mit einem Schleier bedecken.“ Vom Verschleiern des Gesichtes handelt der Koran nach Djalalein im 56. Verse dieser Sura, welcher lautet: „O Prophet! sage deinen Gattinnen, deinen Töchtern und den (übrigen) Frauen der Gläubigen, sie sollen einen Theil ihres Uebertuches über sich herabhängen lassen (d. h. nach Djalalein sie sollen das große Tuch „mulâtun,“ welches sie beim Ausgehen umwerfen, über das Gesicht herabhängen lassen, so daß nur ein Auge unbedeckt bleibe), dadurch werden sie eher erkannt (als freie Frauen), und nicht beleidigt (wie Sklavinnen, die mit freiem Gesicht ausgehen).“ Nach dieser Erklärung wäre das djilbâb des Textes nichts anderes, als was jetzt noch die Egyptierinnen „milâja“ oder auch Chabara nennen, worüber man Lane modern Egyptians, I. 53 vergleichen kann. Lane scheint diesen Vers nicht gekannt zu haben, denn er führt an zwei Stellen (S. 56 und 223) als eine Eigenheit der Egyptierinnen an, daß die Frauen mehr Anstand nehmen, ihren Kopf als ihr Gesicht sehen zu lassen, was doch ganz schriftgemäß ist, da dieses nur beim Ausgehen bedeckt werden muß.
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und kehren einst zu ihm zurück. Die Gattin des Gesandten Gottes! Wie so bist du zurückgeblieben? Ich antwortete ihm nicht.
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Da führte er mir sein Kameel vor, und trat zurück, bis ich aufgestiegen war, dann trieb er es fort, und eilte so sehr er konnte, um die Truppen einzuholen; aber die Sonne stand schon hoch am Himmel , als wir ihr Lager außerhalb der Stadt erreichten, und da man mich allein mit Safwan ankommen sah, ersannen die bösen Menschen allerlei Lügen. Bald nach meiner Ankunft in Medina erkrankte ich, so daß mir von dem Gerede der Leute, das bis zum Gesandten Gottes und zu meinen Eltern gelangte, nichts zu Ohren kam. Doch vermißte ich bei Ersterem die Zärtlichkeit und Theilnahme, die er mir bei anderen Unpäßlichkeiten bewies; denn als er mich besuchte, während meine Mutter bei mir war, die mich pflegte, fragte er blos, wie wir uns befinden, und sagte sonst kein Wort. Sobald ich daher wieder etwas gestärkt war, hielt ich bei ihm um die Erlaubniß an, zu meiner Mutter zu gehen, damit sie mich bis zu voller Genesung in ihrem Hause pflege, und meine Bitte ward mir gewährt. Nach mehr als zwanzig Tagen, als ich wieder genas, ging ich eines Abends mit meiner Großtante, Um Mistah, aus; unterwegs stolperte sie und verwünschte ihren Sohn; als ich sie deßbalb tadelte, fragte sie: Weißt du denn nichts? und als ich ihre Frage verneinte,
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erzählte sie mir, was die Lügner, unter denen ihr Sohn Mistah war, mir nachgeredet. Sobald ich dieß hörte, ging ich nach Hause, und weinte so lange, daß ich glaubte, mein Herz würde zerspringen. Dann sagte ich zu meiner Mutter: Gott verzeihe dir! die Leute reden mir so viel Schlimmes nach, und du sagst mir kein Wort davon? Sie antwortete mir: Nimm das nicht zu schwer, meine Tochter! es gibt wenig schöne, von ihrem Gatten geliebte Frauen, denen nicht ihre Nebenbuhlerinnen Manches nachreden. Bei diesen Worten kam der Gesandte Gottes in unser Haus, und ließ Ali und Usama rufen, um ihre Ansicht über diese Sache zu vernehmen. Letzterer erklärte mich für rein und das Gerede der Leute für eitle Verläumdung. Ersterer aber sagte: Gesandter Gottes! es gibt ja viele andere Frauen 230), du kannst an Aïscha's Stelle eine andere heirathen,
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230) Nicht wie bei Gagnier (S. 447), welcher Ali sagen läßt : „Vous n‘êtes pas le seul, o Apôtre de Dieu à qui Dieu envoie de pareilles afflictions; il y a bien d‘autres femmes qui ressemblent à la votre.“ Ueberhaupt hat Gagnier in dieser Erzählung so viel Mangelhaftes, daß es zu umständlich wäre, alles zu erwähnen. Nach einer andern Tradition bei I. sagte Ali: „Aïscha ist gewiß unschuldig, denn als du einst mit einem unreinen Schuhe betetest, hieß dich der Engel Gabriel ihn ausziehen; wie sollte Gott dir eine unreine Gattin lassen?“ Nicht wie bei H. v. H. (S. 145), welcher Ali's Antwort anführt und dann hinzusetzt: „Diese Antwort, welche die Meinung Ali‘s, daß sich Mohammed vom verdächtigen Weibe scheiden müsse, klar an den Tag legte, verzieh ihm Aïscha nie.“ Es heißt im Anfang der Antwort: „achadstu baraat aïscha min“ (ich entnehme Aïscha's Unschuld daraus u. s. w.), und nach derselben: „fasurra salla Allahu alaihi wasallama bidsalika“ (Mohammed, über den Heil, freute sich damit), gerade wie bei der Antwort Omars, welcher sagte: „Hast du nicht Aïscha nach Gottes Bestimmung geheirathet, und glaubst du, daß dir Gott ein unkeusches Weib bestimmt?“ Oder nach einer andern Tradition: „Läßt doch Gott keine Mücke, denn es möchte etwas Unreines an ihr sein, deinem Körper nahe kommen, wie sollte er ihn nicht vor einem unreinen Weibe bewahren?“ Eben so sagt Othman: „Bewahrt Gott deinen Schatten sogar, daß er nicht die Erde berühre, wie sollte er dein Weib so tief sinken lassen?“ Eben so unrichtig ist die folgende Phrase: „Wenn Mohammed aber Aïscha's und seine Ehre durch die vom Himmel gesandten Verse in den Augen der Gläubigen für alle Zeiten gerettet .... so bestrafte er doch das untreue Weib, indem er ihr zwei neue Nebenbuhlerinnen gab, die erste in der Tochter des Haris, des gefangenen Stammherrn der Beni Moßtalak“ (als die zweite nennt H. v. H. dann Seineb, die Tochter des Hadschesch, Seids Weib), da Mohammed nach allen Berichten Letztere schon vor diesem Feldzuge und Barra, wie schon Abulfeda berichtet, während desselben heirathete, während das Abentheuer mit Aïscha erst auf der Heimreise in der Nähe von Medina vorflel, und Mohammed erst in Medina selbst Kunde davon erhielt. Ueber die Zeit der Vermählung Mohammeds mit Zeinab kann man Gagnier, S. 416 vergleichen, und S. fol. 191, wo es heißt: Zeinabs Schwester redete Aïscha Böses nach, in der Absicht, Mohammeds Liebe zu jener dadurch zu vermehren.
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doch frage einmal ihre Sklavin aus, da magst du die Wahrheit erfahren. Mohammed ließ die Sklavin rufen, und sobald sie hereintrat, fiel Ali mit einer Tracht Prügel über sie her, und schrie sie an: Berichte dem Gesandten Gottes die Wahrheit über deine Herrin! Sie antwortete: bei Gott, ich weiß nur Gutes von ihr; der einzige Fehler, den sie je beging, war, daß sie einst, als ich meinen Teig geknetet hatte, und beim Weggehen sie bat, darauf Acht zu geben, einschlief, so daß ihn unser Schaf fraß. Hierauf kam Mohammed in das Gemach, in welchem ich weinend bei meinen Eltern und einer Freundin saß, die mit mir weinten, und nachdem er Gott gepriesen, sagte er: Du weißt wohl Aïscha, was die Leute von dir sagen, fürchte Gott! und hast du wirklich gesündigt, so gestehe deine Sünde ein und bekehre dich zu Gott, welcher die Buße seiner Sklaven annimmt. Als er mir dieß sagte, konnte ich keine Thränen mehr vergießen, ich schwieg eine Weile, dann sagte ich zu meinen Eltern: Warum antwortet ihr nicht, statt meiner, dem Gesandten Gottes? Sie geriethen in die größte Bestürzung, und sagten: Wir wissen nicht, was wir antworten sollen.
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Da sagte ich, nachdem ich wieder durch viele Thränen mein Herz erleichtert hatte: Ein solches Unglück ist noch über kein Haus hereingebrochen. Bei Gott, ich kann wegen der erwähnten Sünde keine Buße thun; Gott weiß, daß ich unschuldig bin, wie kann ich ein Verbrechen gestehen, das ich nicht begangen? Läugne ich aber, was die Leute sagen, so glaubet ihr mir doch nicht; ich kann daher nur wie Josephs Vater 231) ausrufen: Geduld ist eine schöne Tugend, und Gott will ich um Hülfe anflehen. Dabei hoffte ich aber keineswegs, daß wegen eines schwachen Geschöpfes meinesgleichen eine Offenbarung stattfinden würde; doch dachte ich, vielleicht wird der Gesandte Gottes im Schlafe ein Gesicht haben, das ihn von meiner Unschuld überzeugt. Aber plötzlich fiel der Gesandte Gottes in Ohnmacht, wie dieß gewöhnlich vor einer Offenbarung der Fall war, man hüllte ihn in sein Gewand, und legte ein ledernes Kissen unter seinen Kopf. Sobald ich dieß sah, war meine ganze Unruhe vorüber, denn da ich meine Unschuld kannte, so wußte ich wohl, daß Gott mir nicht Unrecht thun würde. Meine Eltern aber waren in der größten Angst, bis der Gesandte Gottes wieder zu sich kam, weil sie fürchteten, das böse Gerede möchte von Gott bestätigt werden. Als Mohammed endlich wieder zu sich kam, setzte er sich aufrecht, und trocknete die Schweißtropfen von seiner Stirne, die wie Perlen herabrollten, obschon wir in einem Wintertage waren. Dann sagte er: Freue dich Aïscha! Gott hat mir deine Unschuld geoffenbart. Er ging dann in die Moschee, machte den Leuten Vorwürfe, die seiner tugendhaften Gattin und dem nicht minder tadellosen Safwan Böses nachgeredet, und verkündete ihnen folgende Koransverse: „Haltet es für kein Unglück, daß einige unter euch mit Lügen auftraten, denn es bringt euch manches Gute.
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231) Im 19. Vers des 12. Kapitels, als seine Söhne ihm Josephs blutiges Hemd brachten. Es heißt im Texte bei S.: „Ich wollte Jakob sagen, konnte aber nicht auf diesen Namen kommen, da sagte ich Josephs Vater.“
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Ein jeder von ihnen hat für seine Schuld zu büßen, und wer sich die größte aufgeladen 232) , den trifft schwere Pein. Warum hatten nicht, als diese Verläumdung zu euch gelangte, die gläubigen Männer und Frauen die beste Meinung einer vom Andern 233), und (darum auch) gesagt : das ist eine offenbare Lüge? Haben sie etwa vier Zeugen beigebracht? Da sie keine Zeugen aufbringen konnten, so erscheinen sie vor Gott als Lügner. Waltete nicht Gottes Gnade und Barmherzigkeit über euch, so hätte euch in dieser und jener Welt, wegen eurer Reden schwere Pein getroffen, denn ihr habt mit euren Zungen ausgestreut und mit eurem Munde ausgesagt, was ihr nicht wisset; ihr hieltet dieß für eine geringe Sache, sie ist aber in den Augen Gottes sehr wichtig. Habt ihr doch nicht, als ihr sie hörtet, gesagt: es ziemt uns nicht darüber zu sprechen, sei gepriesen (o Herr!) das ist eine große Lüge. Gott warnt euch daher, nie mehr zu derartigem zurückzukehren, wenn ihr wahre Gläubige sein wollet. Gott offenbart euch seine Verse, er der Allwissende, Allweise. Diejenigen, welche wünschen, daß sich Schändlichkeiten gegen Gläubige verbreiten, trifft schwere Pein in dieser und jener Welt, Gott weiß Alles, ihr wisset nichts u. s. w.“ 234)
„Wer eine tugendhafte Frau verläumdet und nicht vier Zeugen beibringt, den geißelt mit achtzig Schlägen, und nehmt nie mehr ein Zeugniß von ihm an, denn er ist ein Bösewicht.
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232) Damit ist Abd Allah Ibn Ubejj gemeint, welchen er nicht geißeln ließ.
233) Bei S. sagte Abu Ajub zu seiner Gattin, welche von Aïscha's Schuld sprach: Würdest du eine solche Schuld begehen? Sie antwortete: nein. Nun, fuhr er fort, so wird auch Aïscha verläumdet, welche besser ist, als du. Mohammed macht daher den Leuten Vorwürfe darüber, daß sie nicht eben so gedacht. H. Ullmann hat diesen Vers unrichtig übersetzt: „Haben nicht die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen, als ihr das hörtet, das beste davon in ihrem Herzen gedacht, und gesagt: dies ist offenbare Lüge.“
234) Sura 24, Vers 11-20.
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Eine Ausnahme machen diejenigen, welche sich nachher bekehren und Gutes üben, denn Gott ist gnädig und barmherzig. 235)
Diesen letzten Versen zufolge ließ Mohammed Mistah, den Dichter Hasan und Hamnah, die Schwester seiner Gattin Zeinab, geißeln; Abd Allah, der Sohn Ubejj's aber, der Erste, welcher Aïscha's Schuld aussprach, ward wegen seines hohen Ansehens auch dießmal verschont, und, um überhaupt die ganze Sache sobald als möglich in Vergessenheit zu bringen, ermahnte Mohammed die reichen Muselmänner, den Bedürftigen wegen ihrer Theilnahme an Aïscha's Verläumdung, nichts zu entziehen 236). Auch beschenkte er den Dichter Hasan, welcher zu seinen Prügeln auch noch einen Schwerthieb von Safwan selbst erhalten hatte, so reichlich, daß er seine Satyre gegen Aïscha in einem sie bis zum Himmel erhebenden Lobgedichte widerrief.
Nach einigen Traditionen hatte Aïscha auf diesem Feldzuge schon einmal ihr Halsband verloren; die Truppen wurden dadurch so lange aufgehalten, daß sie zur Betstunde die Quelle nicht erreicht hatten, zu der sie ohne diese Verspätigung gelangt wären, und konnten sich daher vor dem Gebete nicht waschen. Da erschien der Koransvers 237), welcher, wie nach
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235) Sura 24, Vers 4 u. 5.
236) Abu Bekr schwur, seinem Vetter Mistah jede Unterstützung zu entziehen. Da erschien der 23. Vers derselben Sura, welcher lautet: „Die Begüterten und Bemittelten unter euch sollen nicht schwören, daß sie den Verwandten, den Armen und den frommen Auswanderern nichts mehr geben wollen, sondern sie sollen ihnen verzeihen, und ihr Vergehen vergessen; wollt ihr denn nicht auch, daß Gott euch verzeihe? Gott ist auch gnädig und barmherzig.“
237) Sura IV. Vers 42 und Sura V. Vers 7. Letzterer, welcher zugleich das Nähere über das Gebot der Waschung enthält, lautet: „O ihr, die ihr glaubet! wenn ihr euch zum Gebete erhebet, so waschet euer Gesicht und eure Hände bis zu den Ellbogen, und berühret euern Kopf und eure Füße bis zu den Knöcheln; wenn ihr unrein seid, so reiniget euch; seid ihr aber krank oder auf der Reise und kommt von einem unreinen Orte, oder seid mit einer Frau in Berührung gekommen, und findet kein Wasser, so reibet euer Gesicht und eure Hände mit gutem Sande. Gott will euch keine Last aufbürden, sondern euch nur reinigen, damit seine Huld euch vollkommen werde; vielleicht seid ihr dankbar dafür.“
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jüdischem Gesetze, in solchen Fällen gestattet, statt der Waschung sich mit Sand oder Erde zu reiben.
Mohammed konnte sich zu seiner nochmaligen Nachsicht gegen Abd Allah, den Sohn Ubejj's, dessen Bestrafung ihm viele Feinde unter den Chazradjiten zugezogen hätte, nur Glück wünschen, denn ungefähr zwei Monate 238) nach dem Zuge gegen die Beni Mußtalik hatte er einen Kampf zu bestehen, in dem er bei größerer Opposition im Innern Medinas, hätte unterliegen müssen. Auf das Anstiften der Häupter der vertriebenen Juden von dem Stamme Nadhir, verbanden sich gegen ihn die Kureischiten, die Stämme Ghatafan, Murra, Laschdja, Fazara und einige andere aus Tehama und Nedjd, denen sich auch zuletzt noch die in der Nähe von Medina wohnenden Juden Beni Kureiza 239) anschlossen, und zogen, zehntausend Mann stark, gegen Mohammed. Dieser ward aber durch ihm befreundete Chozaiten früh genug von dem Vorhaben der Verbündeten unterrichtet, um Anstalten zu seiner Vertheidung treffen zu können. Das unglückliche Treffen von Ohod war bei den Muselmännern noch in allzu frischem Andenken, als daß sie dießmal einem noch zahlreichern Feinde auf offenem Felde entgegen zu treten gewünscht hätten. Man beschloß einstimmig, nicht nur keine Schlacht zu wagen, sondern auch, um Medina vor einem Angriffe zu schützen, die Stadt mit einem breiten Graben zu umgeben, eine Vertheidigungsmaßregel,
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238) Im Schawwal des 5. Jahres. März 627.
239) Ihr Häuptling, Kaab Ibn Asad, zögerte lange, ehe er mit den Verbündeten gemeine Sache machte. Er wollte zuerst Hujeii, den vertriebenen Nadhiriten, gar nicht in sein Haus lassen, weil er wohl wußte, daß er ihn zum Kriege reizen würde. Erst als Hujeii seine Gastfreundschaft in Zweifel zog, öffnete er ihm die Thilre. S. fol. 173.
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welche bisher in Arabien unerhört war, und die auf den Rath eines zum Islam bekehrten Persers angewendet ward 240). Um die Muselmänner zur Arbeit anzuspornen, legte Mohammed selbst Hand ans Werk, und während Manche sich der Verzweiflung hingaben, prophezeite er, als seine Haue drei Mal einem Steine Funken entlockte, die Eroberung des Südens aus den Händen der Araber, des Ostens, aus denen der Perser und des Nordens und Westens, aus denen der Byzantiner 241), ohne sich um das Gespötte der Ungläubigen
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240) Nach einer Tradition bei I. ward nicht die ganze Stadt von einem Graben umgeben, sondern nur die eine offene Seite derselben, von der man am meisten einen feindlichen Angriff befürchtete. Dieß ist höchst wahrscheinlich, da aus allem, besonders aus Sura XXXIII. Vers 13, hervorgeht, daß Mohammed außer den Truppen, welche ihm gegenüber jenseits des Grabens lagen, auch noch die Stadt zu bewachen hatte, und von dieser Seite her besonders einen Ueberfall der Juden befürchtete. Bei I. heißt es ausdrücklich, Mohammed sandte Salma, den Sohn Aslams mit 200 und Zeid Ibn Haritha mit 300 Mann nach Medina, um die Frauen und Kinder vor einem Ueberfalle der Beni Kureiza zu schützen, als er hörte, daß diese den Bund gebrochen. Auch bei S. fol. 176 erzählt Safia: „Als ich in einem festen Schlosse mit anderen Frauen und Kindern und dem Dichter Hasan Ibn Thabit war, da ging ein Jude um das Schloß herum; es war zur Zeit, als die Beni Kureiza schon zu dem Feinde übergegangen waren, und zwischen ihnen und uns war niemand, der uns beschützte, denn der Gesandte Gottes stand den Verbündeten gegenüber, und konnte nicht von seiner Stelle weichen. Da sagte ich zu Hasan: ich fürchte, dieser Jude möchte seinen Glaubensgenossen unsere schwache Seite zeigen, während der Gesandte Gottes anderwärts beschäftigt ist; geh hinunter und tödte ihn!“ u. s. w. Wahrscheinlich war dieß vor der Ankunft Salma's und Zeid's mit ihren Truppen.
241) Die Legende verwandelt diese Funken in ein großes Licht, bei welchem Mohammed die fürstlichen Paläste von Damask, Sanaa und Madain sah. Auch werden hier wieder mehrere wunderbare Speisevermehrungen erzählt.
Leben Mohammeds
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zu kümmern. Während der Arbeit sang er einige Verse des Dichters Abd Allah Ibn Rawaha 242), in denen er Gott für seine Leitung dankte, seinen Schutz anflehte, und seinen festen Entschluß aussprach, den Verführungen der Ungläubigen zu widerstehen. Die Muselmänner sagten ihm in einem anderen Verse ihren fortwährenden Beistand zu, und obschon einige sich von der Arbeit zurückzogen, war doch, als der Feind heran nahte, der Graben vollendet, und von dreitausend Mann, mit denen Mohammed aus Medina auszog, vertheidigt. Ueber zwanzig Tage lagerten die Verbündeten vor dem Graben, und wechselten nur einige Pfeilschüsse mit den Muselmännern. Von den Kureischiten, welche an einer Stelle, wo der Graben etwas schmaler war, über denselben setzten, fiel einer hinein und ward getödtet, ein anderer blieb in einem Zweikampfe mit Ali, worauf dann die Uebrigen so schnell als möglich zu den Ihrigen zurückkehrten. Mohammeds Lage ward indessen immer bedenklicher, denn die Bewachung des Grabens und der außerhalb desselben gelegenen festen Schlösser nahm die Kräfte seiner Truppen so sehr in Anspruch, daß ihre Zahl sich immer verminderte. Er wollte daher von den Beni Ghatafan durch Aufopferung des Drittheils der Datteln Medina's den Frieden erkaufen. Als aber der Friedensvertrag unterzeichnet werden sollte, sagte Saad Ibn Ibada und Saad Ibn Maads, damals Häupter der Ausiten und Chazradjiten , die Mohammed noch zuvor befragte: „Thust du dieß in Folge einer Offenbarung, oder ist es dein bestimmter Befehl, so müssen wir gehorchen. Handelst du aber nur so um unsertwillen, so unterlasse es!“ Mohammed antwortete: Hätte mir Gott etwas befohlen, so würde ich euch nicht um Rath fragen, aber bei Gott, ich that
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242) So bei I., es waren nicht „aus dem Stegreife hergesagte Verse,“ wie H. v. H. S. 139 glaubt, der daraus beweisen will, „daß Mohammed das Sylbenmaaß wohl verstand,“ während alle muselmännische Biographen das Gegentheil behaupten, oder wenigstens darin übereinstimmen, daß er nie eigentliche Verse gedichtet. S. meine poetische Literatur der Araber, S. 59 und 60.
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dieß nur, weil ich sah, daß die Araber gleichsam aus einem Bogen Pfeile gegen euch schleudern und euch von allen Seiten bedrängen, da wollte ich ihre Kräfte doch einigermaßen zersplittern.“ Saad Ilm Maads erwiederte hierauf: „O Gesandter Gottes! einst hatten wir und die Beni Ghatafan dieselben Götter und denselben Glauben, und doch aßen sie keine unserer Datteln, die sie nicht kauften oder wir ihnen aus Gastfreundschaft vorstellten, und jetzt, wo uns Gott durch den Islam und durch dich geehrt hat, sollen wir ihnen unsere Habe umsonst geben? Das wollen wir nicht, bei Gott, sie sollen nur unsere Schwerter haben !“ 243) Saad zernichtete hierauf den Vertrag, und Mohammed nahm zur List seine Zuflucht, indem er Nueim, einem Araber aus dem Stamme Ghatafan, welcher heimlich zum Islam übergegangen war, den Auftrag gab, gegenseitiges Mißtrauen zwischen den Verbündeten zu erwecken 244). Nueim begab sich zuerst zu den Beni Kureiza, seinen alten Freunden, und machte sie auf die Verschiedenheit ihrer Lage, von der der Kureischiten und Beni Ghatafan aufmerksam. Diese können
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243) I. und S. (fol. 174). Eine ähnliche Frage, wie die Saad's, kommt auch bei dem Treffen von Bedr vor, als Mohammed zuerst bei einem Brunnen, welcher mehr nach Medina zu lag, lagern wollte, da sagte ihm Chabbab: „Hat dir Gott diesen Ort als Lager angewiesen, so dürfen wir ihn nicht überschreiten, ist es aber blos deine eigene Ansicht, so laß uns lieber bis zum äußersten Brunnen ziehen“ (S. fol. 134 und Andere), was dann auch geschah. Auch auf dem Feldzuge von Tabuk kommt eine ähnliche Frage seiner Rathgeber und dieselbe Antwort Mohammeds vor. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen Mohammed und Christus, der nie besondere Offenbarungen hatte, dessen ganzes Wesen vielmehr als eine Sendung des Himmels angesehen seyn sollte.
244) Diese bisher noch von keinem Europäer beschriebenen näheren Umstände von Nueims List, sind aus I. und S. fol. 176. Wahrscheinlich versäumte er es auch nicht, die Beni Ghatafan und Kureisch einander gegenseitig verdächtig zu machen, wozu ihm der Separatfrieden, welchen erstere mit Mohammed schließen wollten, eine gute Gelegenheit bot.
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schon einen Krieg gegen Mohammed wagen — sagte er ihnen — denn werden sie auch geschlagen, so können sie in ihre Heimath fliehen, wo sie ihre Frauen, ihre Kinder und ihre Güter haben. Was wollt ihr aber dann beginnen, da ihr doch allein zu schwach seid, den Krieg mit Mohammed fortzusetzen? Wollt ihr in ein anderes Land fliehen und eure Familie und eure Habe hier zurücklassen? Darum rathe ich euch, mit den Verbündeten nicht eher gemeine Sache zu machen, bis sie euch einige der Vornehmsten unter ihnen als Geißeln ausliefern und euch die Versicherung geben, daß sie nicht eher abziehen, bis Mohammeds Macht gebrochen sein würde.“ Als seine Worte den gewünschten Eindruck gemacht hatten, verließ er die Juden und begab sich zu den Kureischiten und Beni Ghatafan, und sagte ihnen: „Ich habe vernommen, die Beni Kureiza bereuen es, mit euch ein Bündniß geschlossen zu haben, sie haben schon Mohammed Friedensanträge gemacht und ihm versprochen, die Edelsten unter euch in seine Hände zu liefern; seid daher auf eurer Hut, falls sie Geißeln von euch verlangen.“ Diese List hatte den besten Erfolg, denn als an einem Freitag Abend die Juden aufgefordert wurden, ihre Truppen Samstag früh zu senden, um gemeinschaftlich einen Sturm gegen Medina zu unternehmen, erklärten sie: „Wir ziehen an unserem Ruhetage nicht in den Krieg, und werden überhaupt keinen thätigen Antheil daran nehmen, bis uns Geißeln überliefert werden.“ Die Kureischiten und Beni Ghatafan sahen in dieser Antwort nur eine Bestätigung der Aussage Nueims, und blieben unthätig in ihrem Lager, aus Furcht vor einem Verrathe von Seiten der Juden. Da um diese Zeit auch noch eine so kalte, stürmische Witterung eintrat, daß sie weder ein Feuer anzuzünden, noch ein Zelt aufrecht zu erhalten im Stande waren, hoben sie die Belagerung auf 245), und zogen ein Jeder wieder in seine Heimath zurück.
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245) Abu Sosian gab zuerst den Befehl zum Aufbruch, und beeilte sich so sehr, daß er sein Kameel bestieg, noch ehe es losgebunden war; ihm folgten dann die Beni Ghatafan.
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Folgende Koransverse schildern die bedenkliche Lage der Medinenser während dieser Belagerung:
„O ihr Gläubigen! gedenket der Gnade Gottes, als euch (kriegerische) Schaaren überfielen, wir aber einen Sturm und unsichtbare (Engel) Schaaren gegen sie sandten, denn Gott sah ihr Unternehmen. Als sie euch von der Höhe und der Tiefe her bedrängten, und eure Augen nichts anderes mehr (als Feinde) sahen und euer Herz bis in die Kehle stieg, und ihr auf verschiedene Weise von Gott dachtet. Dort wurden die Gläubigen geprüft und ein heftiges Zittern ergriff sie. Als die Heuchler und die Schwachherzigen sagten: Gottes und seines Gesandten Verheißungen waren nur Täuschung, und ein Theil von ihnen sagte: O Bewohner Jathribs! hier (am Graben) ist kein Bleiben für euch, geht (in die Stadt) zurück, und ein Theil von ihnen wirklich bei dem Propheten um die Erlaubnis? (zurückzukehren) anhielt, indem sie sagten: unsere Häuser sind blosgestellt; sie waren aber nicht ohne Schutz, sondern sie wollten nur (vor dem Feinde) fliehen. Und wäre der Feind aus der Umgebung zu ihnen in die Stadt gezogen, und hätte sie zur Empörung aufgefordert, so hätten sie sich empört und (um gegen die Gläubigen zu kämpfen) sie bald wieder verlassen ...... Sie glaubten, die Verbündeten würden nie mehr wegziehen, und wenn sie je wiederkämen, würden sie sich zu den Arabern der Wüste versetzt wünschen, und (nur aus der Ferne) sich nach euch erkundigen, doch wären sie auch in eurer Mitte geblieben, so hätten sie doch nur einen geringen Antheil am Kampfe genommen Gott hat aber die Ungläubigen mit ihrer Wuth zurückgetrieben, sie haben keinen Vortheil errungen. Gott der Mächtige und Starke hat sogar die Gläubigen vor einem Kampfe bewahrt.“ 246)
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246) Sura 33, Vers 9-14, 20 und 25. In der Uebersetzung des 14. Verses bin ich von Maraccius abgewichen, bei welchem er lautet: „Quodsi entratum fuisset ad eos ab extremis partibus ejus (nempe Medinae) et rogati fuissent (ut amplectarentur) schisma: certe accessissent ad illud; sed non permansissent (Medina) nisi modicum (tempus) (quia scilicet Deus perdidisset eos).“ H. Ullmann hat in seiner wortgetreuen Uebersetzung für das einzige Wort „Alfitnatu,“ das Maraccius durch „schisma“ und ich durch „Empörung“ wiedergegeben: „Die Gläubigen zu verlassen und wider sie zu kämpfen,“ und doch setzt er am Schlusse des Verses, wie Maraccius, die Note hinzu: „Indem die Strafe Gottes sie daraus vertrieben haben würde.“ Der 20. Vers lautet bei U.: „Sie glaubten, daß die Verschworenen nicht nach Mekka kommen würden, und wenn die Empörer kämen, so würden sie wünschen u. s. w.“ Im 25. Verse übersetzt er das Wort ghaiz, welches Wuth oder Zorn bedeutet, durch „Muth“ Derartige Unrichtigkeiten in der neuesten deutschen Koransübersetzung nöthigten mich, fast durchgängig die Koransverse selbst anzuführen, statt blos darauf zu verweisen.
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Abu Sofian soll nach seinem Abzuge folgenden Brief an Mohammed geschrieben haben: „In deinem Namen, o Gott! Ich schwöre bei Lat, Uzza, Isaf, Naïla und Hobal, ich zog gegen dich mit einem Heere und wollte dich ausrotten, um nie mehr zu dir zurückkehren zu müssen, aber ich sah, daß du ein Treffen scheutest und dich durch einen Graben schütztest, eine List, welche die Araber nie kannten; sie kennen nur den Schutz ihrer Lanzen und die Schärfe ihrer Schwerter; dieß thateft du nur, um unseren Schwertern nicht zu begegnen; doch steht dir noch ein Schlachttag bevor, wie der von Ohod.“
Mohammed soll darauf geantwortet haben: „Von Mohammed, dem Gesandten Gottes, an Sachr 247), den Sohn Harbs.
„Nach meiner Erwähnung Gottes, in dessen Namen ich alles vollbringe 248), wisse, daß dein Brief mir zugekommen.
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247) Sachr war der eigentliche Name Abu Sofians (S. fol. 42), welches nur „Sofians Vater“ bedeutet. Daß sein Vater Harb hieß, welcher ein Sohn Ommejja's war, ist bekannt. Für diese beiden Eigennamen hat H. v. H. (S. 142) „an den Felsen, den Sohn des Krieges.“ Ein Compliment, das Abu Sofian nicht verdiente, und gewiß Mohammed ihm nicht machen wollte.
248) Es heißt im Terte wie gewöhnlich in muselmännischen Briefen: amma baadu, das, wie I. bemerkt, so viel bedeutet, als: nach dem Spruche: Im Namen Gottes, des Gnädigen und Barmherzigen.
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Bei Gott, du gibst dich vielen Täuschungen hin. Was deine Züge gegen uns betrifft, und deinen Wunsch uns auszurotten, so ist das eine Sache, welche Gott nach seinem Willen lenken wird, indem er uns ein gutes Ende verleiht. Ueber dich wird aber ein Tag kommen, an dem ich Lat, Uzza, Isaf, Naïla und Hobal zerbrechen werde, um dich daran (an die eben ausgesprochene Ueberzeugung , daß wir zuletzt den Sieg davon tragen) zu erinnern; du Blödsinniger unter den Söhnen Ghalibs.“ 249)
Gleich am Tage 250) nach dem Abzuge der Verbündeten zog Mohammed, angeblich in Folge einer göttlichen Offenbarung 251), an der Spitze von dreitausend Mann, gegen die
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249) Es heißt im Texte: „Hatta udsakkiraka dsalika ja safihu baniGhalib.“ Ghalib ist bekanntlich der neunte Ahnherr Mohammeds, von dem auch Abu Sofian abstammte. Diesen letzten Satz übersetzt H. v. H. a. a. O.: „Für dich wird der Tag kommen, wo zerbrochen liegen werden Allat und Asa und Asaf und Nail und Hobal, bis deiner sich erinnern werden, o Blöder! die Söhne des Ueberwältigenden.“
250) So bei allen Biographen, also Ende März oder April 627. Daß dieser Feldzug im fünften Jahr der Hidjrah, welches mit dem 2. Juni 626 beginnt, stattfand, gibt auch H. v. H. zu, denn S. 147 heißt es bei ihm : „Das Jahr, das zwischen dem Frohnzuge wider die Beni Karisa (so heißen bei ihm die Kureiza) und dem nächsten mit dem Frieden von Hodaibe endenden verfloß u. s. w.,“ dazu in einer Note : „VI. Jahr der Hidjrah.“ Auch gibt er (S. 120) zu, daß das Treffen bei Bedr im 2. Jahr der Hidirah stattfand; und dennoch heißt es bei ihm S. 142, bei dem Zuge gegen die Beni Kureiza: „Er zog mit nicht weniger als dreitausend Mann wider sie aus, so hatte sich seine Macht in dem seit der Schlacht von Bedr verflossenen Jahre verzehnfacht.“
251) Dießmal erschien ihm Gabriel in der Gestalt Dihjas, aus dem Stamme Kalb. Diese Art Offenbarung wird auch von I. erwähnt (s. Anmerk. 48). Dihja mochte in der That als Freund und Rathgeber Mohammeds guter Engel gewesen sein. Merkwürdig ist, daß hier nach muselmännischer Tradition der Engel, oder Dihja, nicht blos von Mohammed allein, sondern auch von andern gesehen ward. Man liest bei S. fol. 178: „Gegen Mittag kam Gabriel auf einem Maulesel geritten; er hatte ein seidenes Tuch als Kopfbinde, und über den Sattel seines Maulesels war eine sammtne Decke ausgebreitet. Er sagte zum Gesandten Gottes: hast du die Waffen schon niederglegt, Gesandter Gottes? Er antwortete: ja. Aber die Engel, versetzte Gabriel, haben die Waffen noch nicht niedergelegt. Wir, haben bis jetzt die Verbündeten verfolgt, nun befiehlt dir Gott gegen die Beni Kureiza zu ziehen, auch ich gehe dahin, um Schrecken unter sie zu verbreiten. Mohammed ließ sogleich ausrufen: wer gehorsam ist, der bete das Aßrgebet nirgends anders, als bei den Beni Kureiza.“ Auf der folgenden Seite liest man: „Als Mohammed in Sauzein, ehe er zu den Beni Kureiza gelangte, einige seiner Gefährten traf, fragte er sie: ist jemand an euch vorüber gekommen? Sie antworteten: o Gesandter Gottes! Dihja, der Sohn Chalifa's, der Kalbite, ist auf einem weißen Maulesel vorüber geritten, dessen Sattel mit Sammt bedeckt war. Der Gesandte Gottes sagte: es war Gabriel, welcher zu den Beni Kureiza gesandt ward, um ihre festen Schlösser zu erschüttern und ihr Herz mit Schrecken zu erfüllen.“
Mohammeds Bekanntmachung in Betreff des Aßrgebets, womit er andeuten wollte, daß ein Jeder sich ohne Verzug vor den Schlössern der Beni Kureiza einfinden sollte, hat Gagnier mißverstanden, denn bei ihm heißt es (S. 406): „Quiconque entendra cet ordre et voudra se montrer obeissant qu‘il ne dirige son intention à la prière du soir, que contre les enfants de Koreidha.“
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Beni Kureiza ins Feld, um sie für ihre Treulosigkeit zu bestrafen. Sie waren, wie ihnen Nueim richtig vorausgesagt, viel zu schwach, um sich mit den Muselmännern auf offenem Schlachtfelde zu messen; es blieb ihnen daher nichts übrig, als in ihren festen Schlössern Schutz zu suchen. Mohammed umzingelte sie aber von allen Seiten, und beschloß nicht eher zu weichen, bis sie sich ihm ergeben oder vor Hunger umkommen
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würden. Während der Belagerung, welche fünfundzwanzig Tage dauerte , suchten sie auf jede Weise eine Capitulation zu erhalten, Mohammed verwarf aber alle ihre Anerbietungen, und bestand auf eine Uebergabe auf Gnade und Ungnade. Die Juden, im Vertrauen auf die Fürbitte der Ausiten, ihrer Bundesgenossen, verließen endlich ihre Schlösser und ließen sich von den Muselmännern fesseln. Die Ausiten beschworen in der That Mohammed, diese Juden nicht härter zu behandeln, als die Beni Keinukaa, denen er auf die Fürbitte der Chazradjiten das Leben geschenkt. Mohammed, der ihnen keine Gnade widerfahren lassen wollte, schlug den Bittenden vor, ihren Häuptling Saad als Schiedsrichter über das Schicksal der Gefangenen anzuerkennen. Die Ausiten fügten sich gern in diesen Ausspruch, weil sie glaubten, Saad würde gewiß das Leben seiner ehemaligen Bundesgenossen verschonen. Mohammed war aber vom Gegentheile überzeugt, weil er wußte, daß Saad an einer Wunde, die er bei der Vertheidigung des Grabens erhielt, schwer darniederlag, und daher nicht zur Milde gegen die Juden, welche diesen Krieg angefacht, gestimmt sein würde. Saad, welcher in der Moschee zu Medina unter einem Zelte lag, in welchem Rufeida, eine wohlthätige Frau aus dem Stamme Aslam, die hülflosen Verwundeten pflegte und aus Frömmigkeit selbst bediente 252) ward auf einem Esel
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252) So bei I., auch bei S. fol. 180, wo noch hinzugesetzt wird: „Der Gesandte Gottes hatte nämlich, als Saad am Graben von einem Pfeile getroffen ward, seinen Leuten gesagt: bringet ihn in das Zelt Rufeidas, ich werde ihn bald besuchen.“ Die Worte des Textes bei S. lauten: „Wakana rasulu-l-lahi salla-l-lahu alaihi wasallama kad djaala sa‘da-bna Maadsin fi chaimatin liimraatin min aslam jukalu laha Rufaidah fi masdjadihi kanat tudâwi Aldjarha watahtasibu binafsiha ala chidmati man kanat fihi dhaiatun min almuslimina. Wakana rasulu-l-lahi kad kâla likaumihi hina asâbahu-s-sahmu bilchandaki idjalûhu fi cheimati Rufeidata hatta audahu min karibin.“ Der letzte Satz soll nämlich erklären, warum Saad sich in diesem Zelte befand, das doch für Verlassene, „derer sich niemand unter den Muselmännern annahm,“ bestimmt war. Die Bedeutung des tahtasibu, im Sinne „sich irgend ein Opfer oder ein Unglück, als etwas in jenem Leben zu vergeltende anrechnen, findet man im Kamus.“ Ein Zelt in der Moschee kommt auch noch nach S. fol. 246, bei den Abgeordneten der Thakisiten vor; es kann nicht befremden, wenn man sich erinnert, daß die erste Moschee zu Medina nur mit einigen Palmzweigen bedeckt war, und daß ein Theil derselben, Soffat genannt, den Armen zur Wohnung diente (s. Abulfeda am Schlusse des Lebens Mohammeds). Wie ganz anders klingt dieß in folgendem Satze des H. v. H. (S. 143) „Saad ben Moas, der in der Verschanzung Medinas verwundet, in dem Zelte des Spitals lag, welches unmittelbar an der Moschee des Propheten zu Medina (also vierhundert Jahre früher ein Spital am Tempel zu Medina, als an dem zu Jerusalem).“ Bei Gagnier (S. 410) liest man über Saad: „Il etait allité sous la garde d‘une certaine femme du bourg da Rafida, qui s‘employait à guérir les playes, et l‘apôtre de Dieu l‘avait fait mettre dans la mosquée de Medine, afiu qu‘étant proche de lui, il put le visiter souvent.“
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ins Lager geholt. Als er vernahm, wozu er gerufen worden, ließ er alle Anwesenden schwören, daß sie sein Urtheil, wie es auch sein mag, vollziehen würden, und nachdem dieß geschehen, sagte er: „Ich verurtheile alle Männer zum Tode, Frauen und Kinder zur Gefangenschaft, und erkläre all ihre Habe als eine Beute der Muselmänner.“ Mohammed ließ dieses Urtheil, das er ein göttliches nannte, auf einem öffentlichen Platze in Medina vollziehen, und die Geschlachteten, ungefähr siebenhundert an der Zahl, denen auch noch eine Frau zugesellt ward, die einen Muselmann mit einem Mühlsteine todt geworfen, in große Gruben werfen, welche zu diesem Behufe auf dem Hinrichtungsplatze gegraben wurden. Die Beute ward wie gewöhnlich vertheilt, nur erhielten hier zum ersten Male die Reiter, deren sechsunddreißig bei den Truppen waren, das Dreifache eines Fußgängers. Unter den Frauen, welche zum Theil in der Provinz Nedjd gegen Pferde und Waffen vertauscht wurden, befand sich Rihâna, welche Mohammed für
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sich behielt, und die er nach einigen Berichten, als sie später das Judenthum abschwor, heirathete 253). Der Koran resumirt die Resultate dieses Zuges in folgendem Verse: „Gott vertrieb diejenigen der Schriftbesitzer (Juden), welche ihnen (den Verbündeten) beigestanden aus ihren festen Plätzen, und warf Schrecken in ihr Herz. Einen Theil von ihnen habt ihr erschlagen, und einen andern gefangen genommen; er hat euch ihr Land, ihre Wohnungen, ihre Güter, so wie ein anderes Land, das ihr vorher nie betreten, zum Erbtheil gegeben. Gott ist allmächtig.“ 254) Bald nach diesem großen Gemetzel ward auch noch ein einzelner Jude 255) aus Cheibar, wegen seiner feindseligen Unternehmungen gegen Mohammed, auf dessen Befehl von einigen Chazradjiten meuchlings ermordet, die nicht hinter den Ausiten zurückbleiben wollten, welche den Juden Kaab aus der Welt geschafft.
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253) Nach andern zog sie auch dann noch vor seine Sklavin zu bleiben.
254) Dieselbe Sura, Vers 26. Was das andere Land betrifft, das hier noch erwähnt wird, so ist nach Djalalein, das von Cheibar darunter zu verstehen, das sie später eroberten. Den Anfang dieses Verses übersetzt U.: „Er veranlaßte auch, daß von den Schriftbesitzern Mehrere aus ihren Festungen herabkamen, um ihnen, den Verschworenen, Beistand zu leisten u. s. w.“
255) Sein Name war Sulam Ibn Abi-l-Hakik, sein Beiname Abu Râfii. Bei S. (fol. 265) wird auch noch ein Jude aus Cheibar, welcher Juseir hieß, und die Beni Ghatafan gegen Mohammed aufhetzte, mit einigen andern meuchlings ermordet. Mohammed sandte nämlich den Dichter Abd Allah Ibn Rawaha mit einigen Muselmännern nach Cheibar, und ließ ihn einladen zu ihm nach Medina zu kommen, damit er ihn zum Häuptlinge seines Bezirks ernenne, gab jenem aber den Befehl, ihn unterwegs mit seinen Begleitern zu ermorden. Bei I. sollte er unter einem anderen Vorwande nach Medina gelockt werden.
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Fünftes Hauptstück.
Mohammed unternimmt eine Wallfahrt nach Mekka. Die Mekkaner widersetzen sich. Friedensschluß mit den Kureischiten. Feldzug von Cheibar. Mohammed soll vergiftet werden. Er heirathet Sasia und Um Habiba. Sein Bekehrungsschreiben an den Fürsten von Abyssinien. An Chosroes II. Heraklius und Andere. Vertragsmäßige Wallfahrt nach Mekka. Vermählung mit Meimuna. Bekehrung Amru's und Chalid's. Feldzug von Muta.
Hatte aber auch Mohammed die Belagerung der Verbündeten glücklich überstanden, und an einem Theile derselben eine furchtbare Rache genommen, so mußten doch die in den Augen der Araber verächtlichen Vertheidigungsanstalten, zu denen er genöthigt ward, ihm einen Theil seines Ansehens rauben, so daß er in dem ganzen darauf folgenden Jahre an keine bedeutende Unternehmung denken konnte. Er selbst stellte sich nur zwei Mal an die Spitze einiger hundert Soldaten; einmal ohne Erfolg, um die Beni Lahjan, welche an dem Verrathe von Radji Theil genommen, zu züchtigen, und einmal, um die Räuber seiner Kameele zu verfolgen. Seine Sendungen in diesem Jahre hatten größtentheils Karawanenraub, Meuchelmord oder Ueberrumpelung zerstreuter Horden feindlicher Stämme zum Zweck, und verdienen gar keine besondere Erwähnung.
Wie sehr sein Ansehen um diese Zeit gesunken sein mußte, geht am Besten daraus hervor, daß höchstens vierzehn, nach zuverlässigen Berichten aber nur siebenhundert Mann dem Aufrufe zu einer Wallfahrt nach Mekka, die er an alle Gläubigen im Monate Dsul Kaada des sechsten Jahres 256) ergehen ließ, Folge leisteten 257). Diesen Entschluß faßte
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256) April 627.
257) Es heißt bei S. (S. 193): „Mohammed fürchtete sich vor den Kureischiten, sie möchten ihn bekriegen, oder ihm den Zutritt zum Tempel nicht gestatten, darum forderte er alle Araber der Umgegend auf, ihm zu folgen; aber viele der Araber blieben zurück, und er zog mit den Ausgewanderten und Hülfsgenossen, und denen, die sich ihm angeschlossen hatten u. s. w.“ Bei I. noch deutlicher: „Die Araber sagten: sollen wir ihm zu Leuten folgen, die ihn in seinem eigenen Hause in Medina bekriegt und seine Gefährten getödtet haben? Sie entschuldigten sich daher durch Geschäfte, Familienangelegenheiten u. dergl., aber Gott, der Erhabene, strafte ihre Entschuldigungen Lügen, durch die Worte: Sie sprechen mit ihren Zungen, was nicht in ihrem Herzen ist.“ (Sura 48, Vers 11). Dadurch läßt sich auch die verschiedene Angabe der Zahl der Muselmänner, welche Mohammed folgten, erklären, da vielleicht anfangs so viele beisammen waren, dann aber nach und nach sich die Hälfte zurückzog.
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Mohammed angeblich in Folge eines Traumes, in welchem er sich mit seinen Gefährten in voller Sicherheit beim Pilgerfeste in Mekka befand, wobei ihm auch die Schlüssel der Stadt überreicht wurden. Sobald er diesen Traum, welcher für eine Offenbarung galt 258), seinen Gefährten mitgetheilt hatte, konnte er, obgleich sein Aufruf nicht den erwünschten Anklang fand, dennoch nicht mehr von seinem Vorsatze abstehen. Uebrigens durfte er, im Vertrauen auf die Scheu der Kureischiten während der heiligen Monate, oder auf heiligem Gebiete Krieg zu führen, auch mit dieser geringen Truppenzahl einen Zug nach Mekka wagen. Damit man ihn aber als einen Pilger und nicht als einen Krieger ansehe, legte er in Dsu Huleifa seine gewöhnlichen Kleider ab, und warf das Pilgergewand um, ließ seine Leute keine andere Waffen tragen, als ein Schwert in der Scheide; auch führte er siebenzig Kameele mit, die er als Opferthiere bezeichnen ließ 259). In Osfan, einem Orte zwei Tagereisen von Mekka angelangt, kam ihm Baschr, den er als Kundschafter nach Mekka gesandt hatte, entgegen, und sagte ihm, die Kureischiten haben von seinem Zuge Kunde erhalten, sich sogleich zum Kriege
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258) S. die Anmerk. 48.
259) Dieses Zeichen bestand darin, daß man einen Einschnitt in den Höcker machte, und ihnen ein Stück Leder oder eine alte Sandale um den Hals hieng. Ersteres heißt ischâr und letzteres taklid. I., auch im Kamus, nur nicht so bestimmt.
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gerüstet 260), und Chalid an der Spitze der Reiterei nach Kura Alghanimi 261) vorausgeschickt, um ihm den Weg nach Mekka zu versperren. Als Mohammed dieß vernahm, fragte er, ob Niemand ihn einen Weg nach Mekka führen könnte, auf welchem er den feindlichen Truppen nicht begegnen würde? und da ein Mann aus dem Stamme Aslam sich dazu erbot, verließ er den geraden Weg nach Mekka, schlug einen andern sehr beschwerlichen über Hügel und Schluchten ein, und kam erst wieder bei Hudeibia, einem Orte in der Nähe von Mekka, wo das heilige Gebiet beginnt, und er weniger einen Krieg befürchtete, aus dem Gebirge hervor. Hier ließ er die Zelte aufschlagen, zum Erstaunen und zur Unzufriedenheit seiner Begleiter, welche geradezu nach Mekka zu ziehen wünschten 262) Mohammed hatte sich kaum niedergelassen, als schon ein Gesandter der Mekkaner erschien, um ihn nach seiner Absicht zu fragen, und als er hörte, er wolle nur die Pflichten der Pilgerfahrt vollziehen, kehrte er in die Stadt zurück, und rieth
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260) Es heißt im Texte bei S. und I.: „Sie haben Tigerhäute angezogen, sie lagern in Dsu Tawa, haben Mutterkameele mit ihren Jungen bei sich, und rufen Gott zum Zeugen an, daß sie dich nicht nach Mekka kommen lassen.“ Dsu Tawa ist nach dem Kamus ein Ort in der Nähe von Mekka, welcher jetzt den Namen Zahir führt. Was die Mutterkameele angeht, so heißt dieß nach I. so viel als: sie sind mit gehörigem Proviant versehen, da sie Fleisch und Milch haben, und werden daher, wegen Mangel an Lebensmitteln, nicht ihr Lager zu verlassen genöthigt seyn.
261) Dieses Thal liegt nach dem Kamus zwei Tagereisen von Mekka, doch sind diese Tagereisen wahrscheinlich kleiner, als die von Osfan nach Mekka, so daß Kura Alghanimi zwischen Osfan und Mekka läge.
262) Als sein Kameel sich niederließ, sagte Mohammed: „Derjenige, welcher den Elephanten (welchen Abraha ritt) zurückhielt, ließ auch mein Kameel nicht weiter ziehen. Bei dem, in dessen Hand Mohammeds Seele ist, die Kureischiten werden heute nichts von mir fordern, das ich ihnen nicht gewähren werde, um den Krieg zwischen Verwandten in heiliger Zeit und auf heiligem Gebiete zu vermeiden.“ I. u. S.
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den Häuptern derselben, ihm dieß zu gestatten. Da dieser Bote aber ein Chozaite war, und sie wohl wußten, daß die Chozaiten ihnen nicht sehr zugethan, so machten seine Worte keinen Eindruck, und einstimmig riefen sie: „Wenn Mohammed keinen Krieg will, so kehre er zurück, bei Gott, er soll nicht uns zum Trotze in die Stadt ziehen! das sollen uns die Araber nicht nachreden!“ Djalis, einem andern zu Mohammed gesandten Araber vom Lande, welcher des Chozaiten Ansicht theilte, und es für eine Sünde hielt, einem Pilger, der mit Opferthieren erscheint, den Zutritt zur Stadt und zum Tempel zu versagen, antworteten die Kureischiten: „Schweige du, Beduine! du kennst Mohammeds List noch nicht.“ Als Urwa, der Thakisite, ein mütterlicher Verwandter Abu Sosians, diese verführerischen Reden der Gesandten hörte, erbot er sich, ins muselmännische Lager zu gehen, um Mohammed zur Rückkehr zu bewegen. „Du hast allerlei Gesindel um dich versammelt,“ sagte er ihm unter Anderem, „und bist damit gegen deine
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263) Urwa berührte während der Unterhaltung, wie dieß oft bei den Arabern geschieht, Mohammeds Bart, da schlug ihm sein Neffe Mughira auf die Hand. Als er ihn erkannte, sagte er ihm: „Verräther! habe ich nicht erst vor Kurzem deine Schlechtigkeit abgewaschen?“ Mughira hatte nämlich, ehe er zum Islam überging, dreizehn Mann von den Beni Malik, ein Zweig der Thakisiten, ermordet. Die Verwandten der Ermordeten forderten Genugthuung von Mughira's Familie, und Urwa war genöthigt, die Sühne der Ermordeten zu bezahlen. So bei S. fol. 195. Ausführlicher bei J., wo noch hinzugesetzt wird: „Die Ermordeten seien Tempeldiener der Lat gewesen, und Mughira habe sich ihnen auf einer Reise nach Egypten angeschlossen, wohin sie Geschenke für den dortigen Statthalter zu bringen hatten.“ Dafür liest man bei H. v. H. S. 151, : „Mughira hatte nämlich kurz vorher zu Alexandrien dreizehn Tempeldiener der Allat aus den Beni Malik, getödtet, ihre Habe geraubt u. s. w.“ Dazu in einer Note: „Die Allat zu Alexandrien wird wohl die ägyptische Neith gewesen sein, welche eines mit der persischen Anaitis oder der weiblichen Mitra.“ Wahrlich viele Mühe umsonst, denn die erschlagenen Beni Malik waren nicht in Alexandrien, sondern in ihrer Heimath, in Arabien, Diener der arabischen Göttin Lat. Sie wurden übrigens nicht in Egypten, sondern nach I. auf der Heimreise von Mughira erschlagen. H. v. H. läßt auch unrichtigerweise Mohammed statt Urwa zu Mughira sagen: „Kaum habe ich dein erstes Unrecht gut gemacht, so begehst du schon ein neues,“ und, diesem Irrthume zufolge, auch Mohammed statt Urwa den Frieden herstellen. Die Worte des Textes lauten bei S. : „Kala (Urwa) ai ghudaru wahal ghasaltu sauataka illa bilamsi kala-bnu Schu‘bah kabla islamihi katala thalathata aschra radjulan min bani malikin min thakifin fatahajadja-l-hajjani min thakifin banu malikin rahtu-l-maktulina walahlafu rahtu-l-mughirah fawadda urwah-l-maktulina thalatha aschrata dijjatin waaßlaha dsalika-l-amra.“
Bei I. wird erzählt: Der Statthalter von Egypten beschenkte die Gesandten, Mughira, der aber nicht zu ihnen gehörte, erhielt nichts, dies erregte seinen Neid; er beschloß daher sie umzubringen, und gab ihnen so viel Wein zu trinken, bis sie bewußtlos niedersanken, dann fiel er über sie her, ermordete sie, plünderte sie aus, flüchtete zu Mohammed und ward Muselmann.
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Stammgenossen gezogen, um sie zu beschämen, aber bei Gott, mir ist, als sähe ich dich schon verlassen von deinen Leuten, denn die Kureischiten haben ihre Tigerhäute angezogen und geschworen, du dürftest ihre Stadt nicht betreten.“ Aber auch Urwa verließ das Lager der Muselmänner mit anderen Gesinnungen, denn er hatte sich überzeugt, daß Mohammed zwar keine kriegerischen Absichten hege, daß aber, wenn man ihn angriffe, seine Bekenner ihn bis zum Tode vertheidigen würden 264).
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264) Urwa sagte: „Ich habe die persischen Chosroen, die griechischen Kaiser und die abyssinischen Nadjaschi gesehen, aber bei Gott, so wird kein Fürst von seinen Unterthanen verehrt, wie Mohammed von seinen Gefährten. Wascht er sich, so möchte ein jeder sich mit seinem Wasser benetzen, entfällt ihm ein Haar, so springen sie in die Wette, um es wie etwas Heiliges aufzubewahren, selbst was er ausspuckt, ist ein Gegenstand der Verehrung für sie, spricht er, so schweigen alle, ja man wagt es kaum den Blick zu ihm zu erheben.“ Abulfeda, S. u. I.
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Mohammed sandte einen Chuzaiten 265) nach Mekka , um mit Abu Sosian zu unterhandeln, aber die Mekkaner lähmten sein Kameel, und hätten ihn, ohne das Dazwischentreten fremder 266) Araber, ermordet. Jetzt sollte Omar sich nach Mekka begeben, da er aber keinen Beschützer daselbst hatte, lehnte er den Auftrag ab, und an seine Stelle ward Othman nach Mekka gesandt. Dieser wurde mehrere Tage in Mekka zurückgehalten, so daß sich im Lager der Muselmänner das Gerücht verbreitete, er sei getödtet worden. Mohammed, der nunmehr das Schlimmste erwartete, ließ sich von seinen Truppen nochmals huldigen, und Treue und Ausdauer bis zum Tode schwören, und nur ein einziger (Djadd Ibn Keis) verbarg sich hinter seinem Kameele, um nicht zu schwören. Man vernahm indessen bald, daß Othman noch beim Leben; auch erschien Suheil, der Sohn Amru's, als Bevollmächtigter der Kureischiten, um mit Mohammed einen Frieden zu schließen, der auch nach einiger Discussion, trotz der heftigsten Opposition von Seiten Omars 267), zu Stande kam. Die deßhalb von Ali ausgestellte Urkunde lautet:
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265) Sein Name bei S. und I. Hirasch, der Sohn Ommejja's, er ritt auf einem Kameele, das Mohammed gehörte, und Tha'lab (Fuchs) hieß.
266) Es heißt im Texte bei S. und I. Ahabisch, worunter einige mit den Kureischiten verbündete auswärtige arabische Stämme zu verstehen sind, welche so heißen, weil der Bund auf dem Berge Habschi, in der Nähe von Mekka, geschlossen worden. Da schwuren sie einander gegenseitigen Beistand, „so lange eine Nacht dunkel wird, ein Tag leuchtet, und der Berg Habschi fest steht.“ I. und Kamus. Nach I. waren es die Beni Hun, Harith und Mußtalik, nach dem Kamus die Beni Kinanah, Chuzeima und Chuzaa, was dasselbe ist, da die Beni Hun von Chuzeima, die Beni Harith von Kinanah und die Beni Mußtalik von Chuzaa abstammen; nur sind die Benennungen im Kamus allgemeiner. Die Chuzaiten fielen gleich nach dem Friedensschlusse von den Kureischiten ab.
267) Omar sagte zu Abu Bekr: Ist er nicht der Gesandte Gottes? ja; sind wir nicht Gläubige? ja; sind sie nicht Ungläubige? ja. Warum sollen wir denn unsern Glauben auf eine solche Weise erniedrigen lassen? Omar, widersetze dich nicht dem Willen des Propheten! (wörtlich halte fest an seinem Steigbügel!) Omar wiederholte dann dieselben Fragen vor Mohammed selbst, der ihm antwortete: ich bin der Gesandte Gottes und sein Knecht, ich werde seine Befehle stets vollziehen, er wird mich nicht verderben. Später sagte dann Omar: ich habe viel gebetet und gefastet, Almosen gegeben und Sklaven befreit, aus Furcht, mich mit diesen Worten versündigt zu haben. S. fol. 196.
Leben Mohammeds.
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„In deinem Namen, o Gott! 268) Folgendes ist der Friedensvertrag zwischen Mohammed, dem Sohne Abd Allah's,
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268) Auch über diese Formel ward noch gestritten, da Ali statt derselben die bei den Mohammedanern übliche: „Im Namen Gottes, des Allmilden, Allbarmherzigen“ schreiben wollte. Noch heftiger ward aber die Debatte, als Ali dem Namen Mohammeds die Worte „Gesandter Gottes“ beifügte, die Suheil nicht lassen konnte. Wenn Mohammed in meinen Augen ein Gesandter Gottes wäre, sagte er, so würde ich ihm nicht den Zutritt zum Tempel versagen. Ali konnte sich nicht dazu entschließen, diese Worte wieder auszulöschen, und Mohammed mußte es mit eigener Hand thun. Derselbe Streit kam später vor, als Ali mit Muawia einen Waffenstillstand schloß, und sich „Fürst der Gläubigen“ nannte, da sagte Muawia: wenn ich ihn dafür halten könnte, so würde ich keinen Krieg mit ihm führen. Nach einer Tradition, welche I. aus Buchari anführt, hätte nicht Ali, sondern Mohammed selbst diesen Friedensvertrag geschrieben. Die Gelehrten Spaniens nehmen diese Tradition als wahr an, und behaupten, sie widerspräche nicht dem 48. Verse der 29. Sura, in welcher Gott zu Mohammed sagt: „Du hast früher keine Schrift gelesen und keine mit deiner Rechten geschrieben,“ indem ja in diesem Verse nicht gesagt ist, daß nicht Mohammed nach der Offenbarung des Korans ohne Lehrer, ebenfalls auf wunderbare Weise schreiben und lesen lernte, denn wenn er sich die Eigenschaft eines „ungelehrten“ beilegt, so bezieht sich dieß nur auf die Zeit seiner Sendung. Nach einer andern Tradition weigerte sich Ali statt der Worte „Gesandter Gottes“ blos den Namen von Mohammeds Vater zu setzen, und bei dem Wortwechsel darüber wurden die Muselmänner so erbittert, daß sie bald Suheil und die ihn begleitenden Mekkaner mißhandelt hätten. Mohammed, um der Sache ein kurzes Ende zu machen, schrieb selbst „Abd Allah“ statt „Gesandter Gottes.“ Man kann demnach glauben, daß Mohammed wirklich später schreiben und lesen gelernt, daraus aber ein Geheimniß gemacht; hier indessen, aus Furcht es möchte zu Tätlichkeiten kommen, welche zu einem Krieg geführt hätten, sich lieber verrieth.
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und Suheil, dem Sohne Amru's: der Krieg soll zehn Jahre lang zwischen beiden Partheien aufhören, so daß keiner von dem Andern etwas zu fürchten habe. Kommt einer von den Kureischiten ohne Erlaubniß seines Herrn zu Mohammed, so muß er ihn ausliefern, während die Kureischiten mohammedanische Ueberläufer nicht auszuliefern haben. Jede Feindseligkeit unterbleibe zwischen ihnen; es finde weder Diebstahl, noch irgend ein Betrug zwischen ihnen statt. Es steht jedem frei, mit Mohammed oder den Kureischiten ein Bündniß zu schließen. Mohammed kehrt dieses Jahr zurück, ohne die Stadt Mekka zu betreten; das künftige Jahr aber verlassen die Kureischiten die Stadt, und Mohammed kann mit den Seinigen drei Tage darin zubringen, jedoch nur mit den Waffen eines Reisenden, nämlich mit einem Schwerte in der Scheide 269).
Kaum war dieser Vertrag von Ali's Hand geschrieben, als Abu Djandal, Suheil's Sohn, herbeigesprungen kam, welcher wegen seines Uebertrittes zum Islamismus gefesselt worden war, und nunmehr Mohammeds Schutz anflehte. Dieser sah sich aber, zum großen Aergerniß der Muselmänner, welche überhaupt mit diesem schmählichen Frieden höchst unzufrieden waren 270), genöthigt, ihn auf Verlangen seines Vaters zurück-
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269) So bei S., bei I. heißt es „und einem Bogen,“ wornach also blos die Lanze ausgeschlossen wäre.
270) Niemand hatte an der Eroberung Mekka's gezweifelt, heißt es bei S. fol. 197 wegen des Gesichts, das der Prophet in Medina gehabt, sie waren daher sehr niedergeschlagen über diesen Vertrag und ihre Heimkehr. Als man ihn bei seiner Rückkehr deßhalb zur Rede stellte, sagte er: habe ich denn vorausgesagt, daß ich in diesem Jahre nach Mekka kommen werde?
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zuweisen und der Züchtigung der Kureischiten preis zu geben. Mohammed stieß auf förmlichen Ungehorsam, als er seinen Leuten befahl, die Opferthiere zu schlachten und sich die Haare abzuscheeren, wodurch er gleichsam zeigte, daß er an keine Pilgerfahrt mehr denke. Er selbst mußte den Anfang machen, und auch dann ließen sich noch Manche nicht ganz abscheeren, sondern begnügten sich, ihre Haare ein wenig abzustutzen.
So traurig auch dieser Zug endete, mochte doch Mohammed jetzt schon die günstigen Folgen dieses Friedensschlusses voraussehen, und vielleicht war auch sein ganzes Streben nur dahin gegangen, irgend einen Friedensschluß mit seinen Feinden zu Stande zu bringen, weil er nur dann eine schnellere Verbreitung seines Glaubens hoffen konnte. Während früher Kureischiten und Mohammedaner sich nur mit dem Schwerte in der Hand begegneten , konnten sie jetzt sich ohne Gefahr unter einander vermengen und Gespräche über den Glauben anknüpfen, welche fast immer ein für den Islam günstiges Resultat haben mußten. Die raschen Fortschritte, welche der neue Glaube nunmehr machte, beweist, daß Mohammed sich nicht getäuscht; daß er aber diese Ueberzeugung schon bei seiner damaligen Rückkehr nach Medina hatte, geht aus folgenden Koransversen hervor, die er auf dem Wege nach Medina verkündete : „Wahrlich, wir haben dir einen offenbaren Sieg bestimmt 271), dadurch (durch den heiligen Krieg) wird dir Gott
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271) Dieser Vers kann auf verschiedene andere Weise erklärt werden. Man kann das Wort fath als Hülfe oder Beistand deuten, und den Vers auf den Zug von Hudeibia beziehen, auf welchem Gott Mohammed beigestanden; man kann dieses Wort auch mehr nach seiner allgemeinen Bedeutung „öffnen“ nehmen, und an die im Friedensvertrage bedungene Erlaubnis nach Mekka zu ziehen denken, oder endlich, wie dieß muselmännische Interpretatoren wollen (s. Samachschari bei Maraccius, S. 662) den ganzen Vers als eine Verkündigung der einstigen Eroberung Mekka's, und den Gebrauch der vergangenen Zeit als eine prophetische Licenz ansehen.
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deine vergangenen und zukünftigen Sünden vergeben, seine Gnade an dir vollenden, und dich den geraden Weg führen. Gott wird dir einen mächtigen Beistand leisten. Er ist es, der seine Sekina 272) in die Herzen der Gläubigen herabgesandt, damit ihr Glaube noch stärker werde, denn Gottes sind die Schaaren des Himmels und der Erde. Er ist allwissend und allweise 273). . . . Diejenigen, die dir huldigten (in Hudeibia) huldigten Gott. Gottes Hand (schwebte) über den Ihrigen (als sie sie Mohammed zur Huldigung hinstreckten), wer seinen Eid bricht, der begeht einen Verrath an sich selbst, wer aber treu erfüllt, was er Gott gelobt, dem wird er einen schönen Lohn geben. Die Araber, welche zurückgeblieben, werden dir (bei deiner Rückkehr nach Medina) sagen: unsere Güter und unsere Familie haben uns abgehalten , bete zu Gott, daß er uns vergebe! Aber sie sprechen mit ihren Zungen, was sie nicht im Herzen haben. Sage (ihnen aber), wer vermag etwas für euch bei Gott, wenn er euch etwas Gutes oder Schlimmes zufügen will? Gott kennt stets eure Handlungsweise. (Ihr waret nicht verhindert), sondern ihr habt geglaubt,
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272) Dieses aus dem Rabbinischen aufgenommene, und daher in seiner wahren Bedeutung den spätern Koranauslegern und Lexicographen unbekannte Wort, hat schon Geiger in seiner Schrift: Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? S. 54 u. 53, und nach ihm noch ausführlicher Dettinger in der Tübinger Zeitschritt für Theologie, 1834, l. S. 17 u. ff. erläutert. Es drückt die unmittelbare Anwesenheit eines hülfreichen Ausflusses der Gottheit aus, welcher, dem menschlichen Herzen zuströmend, seinen Glauben stärkt, und ihm dadurch eine innere Gemüthsruhe verleiht, welche ihn bei allen äußeren Stürmen und Versuchungen aufrecht erhält. Die hier folgenden Worte: Gottes sind die Schaaren u. s. w., lassen an einen Engel als Träger dieses himmlischen Geistes denken; oder vielleicht stellte sich Mohammed die Schechina selbst als einen Engel vor, wie ja auch Gabriel und der heilige Geist von ihm häufig als gleichbedeutend gebraucht werden.
273) Sura 48, Vers 1-4.
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der Gesandte und die Gläubigen würden nie mehr zu ihren Familien zurückkehren. Ihr hattet eine schlimme Meinung (von diesem Zuge) und stürztet euch dadurch ins Verderben 274). Wir haben ein großes Feuer bereitet für die Ungläubigen, die nicht an Gott und seinen Gesandten glauben 275). . . . Gott hatte Wohlgefallen an den Gläubigen, als sie dir huldigten unter dem Baume, er wußte, was in ihrem Herzen vorging, er sandte seine Sekina über sie herab und belohnt sie durch baldigen Sieg 276). . . . Er (Gott) ist es, der eure Hände von ihnen (den Mekkanern) und die ihrigen von euch abgehalten im Thale Mekkas, nachdem er euch über sie den Sieg verliehen, Gott kannte ihr Unternehmen 277) . . . . Als die Herzen der Ungläubigen mit Grimm und heidnischer Heftigkeit erfüllt waren, sandte Gott über den Gesandten und die Gläubigen seine Sekina herab, und verband sie zum Worte der Gottesfurcht, dessen sie würdiger waren (als die Ungläubigen), Gott ist allwissend. Gott hat in Wahrheit das Gesicht seines Gesandten bestätigt: Ihr sollet, so Gott will, in den heiligen
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274) D. h. zoget euch durch euern Ungehorsam die Strafe Gottes zu. Es heißt wörtlich im Texte: und wurdet ein zu Grunde gehen des Volk.
275) Dieselbe Sura, Vers 10-13.
276) Dieselbe Sura, Vers 18. Dieser baldige Sieg war die unmittelbar nach diesem Zuge folgende Eroberung von Cheibar; man kann diese Worte nicht wie die des ersten Verses deuten, weil gleich darauf folgt „und vieler Beute,“ was weder auf dem Zuge nach Hudeibia, noch bei der Eroberung von Mekka der Fall war. Ungewiß ist aber, ob dieser Vers auch auf der Heimkehr nach Medina erschien, und Mohammed seinen Sieg über die Juden von Cheibar mit Gewißheit voraussah, oder ob erst nach der Eroberung von Cheibar.
277) Dieselbe Sura, Vers 24. Dieser Vers bezieht sich auf eine auch von S. Ende fol. 196 gepriesene Großmuth Mohammeds, dem man vierzig bis fünfzig (nach Djalalein achtzig) Kureischiten brachte, welche im Lager der Muselmänner bei Hudeibia gefangen wurden, und die er wieder frei abziehen ließ.
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Tempel einziehen, in Sicherheit, theils mit abrasirtem, theils mit kurz geschorenem Haupte; fürchtet nichts, er weiß, was ihr nicht wisset, und bestimmt euch ohnedieß noch einen nahen Sieg.“ 278)
Mohammed erfüllte pünktlich die in Hudeibia eingegangenen Bedingungen, indem er Abu Baßir, welcher wie Abu Djandal als verfolgter Muselmann seinen Schutz suchte, den Mekkanern, die ihn reclamirten, wieder auslieferte. Da aber Abu Baßir auf dem Wege einen der Mekkaner, die ihn abholten, erschlug, und abermals zu Mohammed kam, nahm ihn dieser zwar nicht bei sich auf, doch hielt er sich auch nicht verpflichtet, ihn abermals auszuliefern. Abu Baßir trieb sich daher an der syrischen Grenze herum und übte mit vielen andern Flüchtlingen, die sich ihm nach und nach zugesellten, Straßenraub gegen die Karawanen der Kureischiten. Um ihren Handel zu sichern, räumten diese daher Mohammed für die Zukunft auch das Recht ein, die zu ihm übergehenden Männer bei sich aufzunehmen, nachdem er schon früher eine göttliche Offenbarung verkündet hatte 279), derzufolge es nicht gestattet ward, muselmännische
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278) Dieselbe Sura, Vers 26 und 27. Der letzte Vers sollte dem Vorwurfe begegnen, als sei sein Traumgesicht unerfüllt geblieben.
279) Den zehnten Vers der 60. Sura, welcher lautet: „O ihr, die ihr glaubet! wenn gläubige Frauen zu euch flüchten, so prüfet sie — Gott kennt wohl ihren Glauben am besten — habt ihr sie als wahrhaft gläubig erkannt, so sendet sie nicht den Ungläubigen zurück, sie gehören ihnen nicht gesetzmäßig zu, so wie ungläubige Männer gläubigen Frauen gesetzlich untersagt sind. Gebet nur den Männern, was sie für sie (an Heirathsgut) ausgegeben. Ihr begeht keine Sünde, wenn ihr sie heirathet, sobald ihr ihnen ihren Lohn (Heirathsgut) gebet. Haltet nicht das Gut der Ungläubigen zurück, fordert zurück, was ihr ausgegeben, und sie mögen zurückfordern, was sie ausgegeben; dieß ist ein Urtheil Gottes, der so richtet zwischen euch. Er ist allwissend, allweise.“ Was die Prüfung angeht, so bestand sie in einem Eide, daß sie weder aus Liebe zu einem andern Lande, noch aus Haß zu ihrem Gatten, noch aus Leidenschaft zu einem Muselmanne, sondern aus reiner Liebe zu Gott und seinem Gesandten ausgewandert.
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Frauen auszuliefern, welche des Glaubens willen zu ihm flüchteten.
Noch in demselben Jahre erschien auf eine besondere Veranlassung 280) eine andere, die Ehe betreffende Offenbarung, derzufolge der heidnische Ausdruck: „Sey mir wie der Rücken meiner Mutter!“ der bisher, von einem Gatten an seine Gattin gerichtet, eine Scheidung zur Folge haben mußte, als eine unsinnige Formel erklärt ward, die durch Freilassung eines Sklaven, Speisevertheilung an sechzig Arme oder zweimonatliches Fasten unwirksam gemacht werden könne.
Obschon aber Mohammed keinen Grund hatte, seinen Zug nach Mekka zu bereuen, mußte er doch auch dießmal wieder, wie nach dem Treffen bei Ohod und der Belagerung von Medina, um die Klagen der Unzufriedenen und Kurzsichtigen zu stillen, einen Feldzug gegen die Juden anordnen, der eine reiche Beute versprach. Dießmal galt es denjenigen, welche das Gebiet von Cheibar 281), vier bis fünf Tagereisen nord-
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280) Chaula, die Tochter Thalaba's, zu der ihr Gatte Aus, der Sohn Samit's, gesagt hatte: „Sey mir wie der Rücken meiner Mutter!“ kam zu Aïscha und bat sie, Mohammed zu fragen, ob dieß nach muselmännischem Gesetze als eine Scheidungsformel anzusehen wäre. Mohammed bejahte Aïscha's Frage. Erst als Chaula schon wieder nach Hause gegangen war, wurden ihm die vier ersten Verse der 58. Sura geoffenbart. Da indessen Aus keinen Sklaven hatte, und arm und kränklich war, so daß er weder Speisen vertheilen, noch fasten konnte, schenkte ihm Mohammed das Nöthige, um seinen Schwur zu lösen. I. Hier sieht man aus dem Koran selbst, daß diese Offenbarung auf besondere Veranlassung stattfand, denn der erste der vier genannten Verse lautet: „Gott hat die Worte der Frau, die dich wegen ihres Gatten anging, und (ihre Noth) zu Gott klagte, gehört, denn Gott, der alles sieht und alles hört, vernimmt eure Bitte.“
281) Cheibar liegt nach I. aus Sirat Alhasiz Aldamjati, acht Stationen von Medina. Die Station oder Post (Barida), setzt I. hinzu, hat bekanntlich vier Pharasangen (farsach), eine jede zu drei Meilen. S. gibt die Entfernung nicht näher an, doch zählt er (fol. 200) drei Nachtlager, bevor Mohammed nach Cheibar kam: Ußr, Sahba und Radji. Er lagerte zwischen letzterem Orte und Cheibar, fährt dann S. fort, um die Beni Ghatafan abzuhalten, den Juden, welche ihre Bundesgenossen waren, zu Hülfe zu kommen. Cheibar scheint nach Abulfeda nicht der Name eines einzelnen Ortes, sondern des ganzen Bezirks, in welchem die Juden ihre Niederlassungen hatten, gewesen zu sein. Er bedeutet wahrscheinlich nicht Festung, wie Abulfeda glaubt, sondern Conföderation, obschon das Wort XXX allerdings Ps. 122, Vers 3 in diesem Sinne vorkommt. Auch nach dem Marasid-al-Ittila (bei Noel des Verges S. 120) lag Cheibar acht Stationen weit von Medina. Die von mir angegebene Entfernung ist nach Burckhardt. Fadak liegt nach I. sechs Tagereisen von Medina; nach dem Kamus in der Gegend von Cheibar.
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östlich von Medina, inne hatten. Mohammed zog im ersten Monate des siebenten Jahres, ungefähr sechs Wochen nach seiner Rückkehr von Hudeibia, mit vierzehnhundert Mann 282), worunter zweihundert Reiter, gegen sie aus, und betete, als er vor den befestigten Schlössern anlangte, in die sie sich bei der Nachricht von seinem Herannahen geflüchtet hatten: „O Gott! Herr der Himmel, mit allem, was sie bedecken, Herr
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282) Nicht wie bei H. v. H. (S. 163) „aus zweitausend Fußgängern und zweihundert Reitern.“ Er selbst schreibt übrigens weiter unten: „Das ihnen zufallende vierte Fünftel der Beute (die drei ersten sind dem öffentlichen Schatze zum Unterhalte der Wittwen, Waisen und Reisenden, zur Verpflegung der Armen, heilig, das fünfte gehörte dem Propheten) ward in achtzehn Theile getheilt, wovon die zwölfhundert Fußgänger zwölf Theile, die zweihundert Reiter aber sechs, d. i. das Dreifache der Fußgänger erhielten.“ Ich würde ein solches Versehen gar nicht der Rüge Werth gehalten haben, wenn nicht ohnedieß die ganze Stelle einer Berichtigung bedürfte, da bekanntlich die Truppen vier Fünftheile der Beute erhielten, die Armen, die Verwandten Mohammeds, die Waisen und Reisenden aber von dem übrigen Fünftel, das Mohammed zufiel, verpflegt werden mußten, so daß Mohammed für sich eigentlich nur 1/25 der Beute behielt.
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der Erde, mit allem, was sie trägt, Herr der Winde, mit allem, was sie anwehen, wir flehen dich an um das Gute dieser Plätze, nebst allem, was sie enthalten und bitten dich uns zu bewahren vor dem Schlimmen dieser Plätze und ihrer Bewohner.“ Mohammeds Gebet ward erhört, die Schlösser Naim, Kamuß, Kulla, Bara, Ubejj, Sab wurden erstürmt, Watih und Sulâlim öffneten nach einer hartnäckigen Vertheidigung ihre Thore, unter der Bedingung, daß der Mannschaft freier Abzug gestattet werde; diese Bedingung ward dann dahin geändert, daß sie im Besitze ihrer liegenden Güter bleiben, Mohammed aber die Hälfte ihres Ertrags als Tribut bezahlen sollten. Unter dieser Bedingung ergaben sich auch, ohne einen Angriff abzuwarten, die Bewohner von Fadak, weßhalb auch die Güter Fadaks nicht unter den Truppen vertheilt, sondern wie die der Beni Nadhir, Privateigenthum Mohammeds wurden 283). Nicht zufrieden mit den Gütern von Fadak und dem Fünftel der übrigen Beute, wählte Mohammed noch für sich die im Schlosse Kamuß erbeutete Jüdin Safia, Tochter Hujeii's, welche er auf der Rückkehr heirathete, denn sie bekehrte sich zum Islam, und ward eine zärtliche Gattin Mohammeds, ob gleich sie ihre nächsten Verwandten durch ihn verloren hatte 284).
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283) So bei I., S. (fol. 203) und Abulfeda, S. 81. Nicht wie bei H. v. H. a. a. O. , welcher auch Watih und Selam zum Prophetengute zählt. Abulfeda würde zwar nicht gegen den H. v. H. zeugen, da nach seiner Angabe auch Watih und Sulalim mit dem Schwerte erobert wurden, aber bei S. heißt es ausdrücklich, daß diese beiden Schlösser capitulirten, eben so bei I., und dennoch wurde die Beute getheilt, weil sie erst nach langem Kriege sich ergaben, während Fadak es gar nicht zur Belagerung kommen ließ.
284) Unter diesen war auch Kinanah, der nach Einigen ihr Gatte, nach Andern ihr Bruder war. Mohammed ließ ihn erschlagen, weil er einen Theil der Schätze verborgen hatte (S. fol. 203). Diesen Juden Kinanah verwandelt H. v. H. a. a. O. in „Beni Kenana, welche Freunde der Juden von Cheibar.“ S. auch Gagnier II. S. 57.
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Die Hochzeitsnacht feierte er unter einem Zelte, das Abu Ajub bewachte. Zeinab hingegen, eine andere Jüdin, die Nichte Marhabs, einer der jüdischen Häuptlinge, welcher in einem Zweikampfe mit einem Muselmanne 285) fiel , wollte den Tod der ihrigen rächen, und reichte Mohammed, der sich in einem der eroberten Schlösser von ihr bewirthen ließ, einen vergifteten Braten. Mohammed spie zwar den ersten Bissen, an dem er wahrscheinlich einen fremdartigen Geschmack bemerkte, wieder aus; doch soll er in seiner Sterbestunde zur Schwester eines seiner Tischgenossen, welcher von diesem Braten gegessen hatte und sogleich daran starb, gesagt haben: „In dieser Stunde fühle ich, wie mir die Herzader von dem Bissen zerspringt, den ich mit deinem Bruder in Cheibar genommen.“ 286) Als Zeinab wegen ihres Verbrechens von Mohammed zur Rede gestellt ward, sagte sie: „Du weißt, wie mein Volk von dir behandelt ward, ich dachte daher: bist du blos ein Fürst, so schaffe ich ihm Ruhe vor dir; bist du ein Prophet, so wirst du davon unterrichtet.“ 287)
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285) Nach Abulfeda und Andern war Ali sein Gegner, nach S. (fol. 201) Mohammed Ibn Maslama.
286) So wörtlich bei S. (fol. 203), bei Abulfeda sagt er: „Der Bissen von Cheibar kehrte mir immer wieder, und zu dieser Stunde zerspringt meine Herzader.“ Ich habe auch nach S. Zeinab eine Nichte, und nicht eine Schwester Marhabs genannt, wie Gagnier S. 60 und H. v. H. S. 164. Ersterer läßt auch Mohammed die angeführten Worte an die Mutter des Verstorbenen richten. Dieser Irrthum rührt daher, daß er Baschr hieß, und sie den Beinamen Um Baschr führte, weil sie auch einen Sohn gleichen Namens hatte.
287) Die Traditionen stimmen nicht mit einander überein, ob sie hingerichtet oder begnadigt ward. Nach S. fol. 203 verzieh ihr Mohammed. Als Seitenstück zu diesem Gnadenakte, welcher mit andern Mordbefehlen in Widerspruch steht, berichtet S. (fol. 205) noch einen andern Zug Mohammeds, der, wenn er wahr ist, uns doch nicht zweifeln läßt, daß er selbst bei seinen Raubzügen nach bestimmten Grundsätzen handelte : Als Mohammed vor einer der Festungen Cheibar's lagerte, kam der Hirt Aswad zu ihm, welcher für einen Juden von Cheibar eine Heerde Schafe auf die Weide führte, und ließ sich von ihm im islamitischen Glauben belehren, den er auch alsbald annahm. Er fragte dann Mohammed: „Was soll ich mit meiner Heerde beginnen, die mir ein Jude anvertraut?“ Mohammed antwortete: „Schlage den Schafen ins Gesicht, daß sie umkehren.“ Aswad hob eine Hand voll Kieselsteine auf und warf sie der Heerde ins Gesicht, und sie lief wieder zurück in das Schloß, das ihr Eigenthümer bewohnte. Als die Heerde darin war, näherte sich Aswad mit andern Muselmännern diesem Schlosse, um es zu erstürmen, aber er ward von einem Steine getroffen, der ihn tödtete, noch ehe er ein einziges Gebet verrichtet hatte. Man hüllte ihn in ein Tuch und brachte ihn vor Mohammed. Dieser warf einen Blick auf ihn, wendete ihn aber sogleich wieder von ihm ab. Als seine Gefährten ihn fragten, warum er sich sogleich von ihm abwende? sagte er: „Seine beiden Gattinnen von den schwarzäugigen Huri sind jetzt bei ihm und schütteln den Staub von seinem Gesichte und rufen: Gott bestaube das Gesicht dessen, der dich bestaubt und tödte den, der dich getödtet!“
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Dieser Vorfall ward wahrscheinlich die Veranlassung des Verbots, das Mohammed an die Truppen ergehen ließ, kein von den Juden erbeutetes Küchengeräthe und sonstiges Geschirr zu gebrauchen, wenn es nicht vorher mit Wasser ausgekocht worden. Mit diesem Verbote erschienen noch vier andere: der Genuß des zahmen Eselfleisches, der reißenden Thiere und Raubvögel, der Beischlaf einer erbeuteten schwangern Frau und der Verkauf der Beute vor ihrer Theilung 288). Auf der Rückkehr von dem Feldzuge von Cheibar, welcher ungefähr sechs Wochen 289) dauerte, besiegte Mohammed auch die Juden
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288) S. fol. 200 und 201, und das erste Verbot bei I.
289) Bei Abulfeda, I. und S. heißt es: Cheibar ward im Safar erobert. Bei letzterem liest man vor der folgenden Wallfahrt (fol. 208): „Als der Gesandte Gottes von Cheibar nach Medina zurückkehrte, verweilte er darin die beiden Rabia, die beiden Djumadi u. s. w.,“ woraus deutlich hervorgeht, daß er Ende Safar in Medina zurück war; der ganze Feldzug, welcher im Muharram begann, konnte also höchstens zwei Monate gedauert haben. Nur H. v. H. gibt ihm, ohne auch nur eine Quelle zu citiren (S. 157), eine Dauer von sechzehn Wochen.
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von Wâdi-l-Kura, worauf dann die von Teima sich freiwillig, unter denselben Bedingungen wie die von Fadak, unterwarfen.
In Medina stand Mohammed eine andere Freude bevor, die er selbst der, welche ihm die Eroberung von Cheibar verursachte, gleich stellte. Es war das Wiedersehen der letzten aus Abyssimen zurückgekehrten Muselmänner, unter denen auch Um Habiba, die Tochter Abu Sosians, war, um welche Mohammed nach dem Tode ihres zum Christenthume übergetretenen Gatten, durch Amru Ibn Ommejja hatte werben lassen 290).
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290) Nach I. und andern Arabern ward die Trauung schon in Abyssinien durch den Fürsten (Nadjaschi) als Bevollmächtigter Mohammeds, und durch Chalid, den Sohn Said's, als Um Habiba's Bevollmächtigter vollzogen. Man braucht aber nur die Trauungsformel zu lesen, in welcher Nadjaschi bekennt, „daß es keinen Gott gibt außer Gott, daß Mohammed der Gesandte Gottes ist den Jesus, der Sohn Maria's, verkündigt,“ um das Mährchenhafte dieser Procurationstrauung einzusehen. Dieses Bekenntniß des Nadjaschi ist sogar im offenbaren Widerspruche mit dem, was die Araber selbst von seiner Bekehrung durch Mohammeds Schreiben erzählen, wenn man, wie H. v. H. S. 165 annimmt, daß er es erst nach der Eroberung von Cheibar, an ihn sowohl, als an andere Fürsten richtete. H. v. H. glaubt ferner (S. 156), Um Sabiba mußte nahe eine Vierzigerin seyn, weil sie „eine der ersten Bekennerinnen des Islams mit ihrem Gemahle vor zwanzig Jahren nach Abyssinien ausgewandert,“ dagegen ist zu bemerken, daß die erste Auswanderung im fünften Jahre nach Mohammeds erster Offenbarung, Um Habiba's Vermählung mit Mohammed aber, wie die Eroberung von Cheibar, im Anfang des 7. Jahres der Hidjrah, also des 20. der Offenbarung stattfand, demnach die zwanzig Jahre sich auf fünfzehn reduciren; nimmt man dann ein Alter von fünfzehn Jahren für ihre erste Vermählung an, was gewiß für eine Araberin nicht zu wenig ist, so mochte sie, als Mohammed sie heirathete, erst dreißig Jahre alt gewesen seyn.
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Die gute Aufnahme, welche die Gläubigen bei dem christlichen Fürsten von Abyssinien gefunden, brachte wahrscheinlich Mohammed zuerst auf den Gedanken, den bisher nur den Arabern verkündeten neuen Glauben, durch Gesandtschaften an ausländische Fürsten zu verbreiten zu suchen, die sich auch jetzt um so leichter bewerkstelligen ließen, als die Muselmänner durch den Frieden von Hudeibia ohne Gefahr überall umherziehen konnten. Er mochte besonders viel von der Empfänglichkeit der Christen für seine Religion hoffen, da er nicht nur Jesus als Propheten, sondern auch seine Mutter als unbefleckte Jungfrau anerkannte.
Die wichtigsten Koransverse über Jesus und Mana lauten : „Und als die Engel sagten: o Mariam, Gott hat dich auserkohren und gereinigt und ausgezeichnet vor allen Frauen der Welt. O Mariam, weihe dich deinem Herrn, falle nieder und verbeuge dich mit denen, die sich (vor Gott) verbeugen. Dieß sind geheimnißvolle Begebenheiten, die wir dir (Mohammed) offenbaren. Du warst nicht zugegen, als sie das Loos warfen 291), (um zu wissen) wer von ihnen Mariam erziehen sollte, und als sie mit einander (deßhalb) stritten. Als die Engel sagten: o Mariam, Gott verkündet dir sein Wort, sein Name ist Masih, Isa, der Sohn Mariam's, angesehen in dieser, so wie in jener Welt, und (ist) von denen, die Gott nahe stehen. Er wird die Menschen in der Wiege schon anreden, und auch als Mann und wird zu den Frommen gehören. Sie sagte: o Herr, wie soll ich einen Sohn gebären, da mich ja kein Mensch berührt? Er antwortete: so wird es seyn; Gott schafft, was er will, wenn er etwas beschlossen hat, so sagt er
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291) Dieß bezieht sich auf vorhergehende Verse, in welchen erzählt wird, daß Hanna ihre Tochter Maria nach Jerusalem brachte, und, nach den Erklärungen der Commentatoren, Zakaria, der Vater Johannes' des Täufers, mit anderen Priestern stritt, wer von ihnen die von ihrer Mutter Gott geweihte Maria erziehen sollte, und endlich mit einander loosten, das Loos aber zu Gunsten Zakaria's entschied.
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nur: werde! und es wird. Wir werden ihn die Schrift lehren und die Weisheit, und die Tora und das Evangelium, er ist unser Gesandter an die Söhne Israels. (Er wird ihnen sagen:) ich komme zu euch mit einem Zeichen von euerm Herrn; ich will euch aus Thon die Gestalt eines Vogels bilden und ihn anhauchen, so wird er mit dem Willen Gottes ein (wirklicher) Vogel werden. Ich werde Blinde und Aussätzige heilen, und mit dem Willen Gottes Todte beleben, und euch sagen, was ihr esset und was ihr in euern Häusern aufbewahret. Darin liegt doch wahrlich ein Zeichen für euch, wenn ihr Gläubige seyd. Ich bestätige, was vor mir war, (nämlich) die Tora, und erlaube euch Einiges von dem, was euch verboten ist, und bringe euch ein Zeichen von eurem Herrn. Fürchtet Gott und seyd gehorsam! 292) Als Gott sagte: o Isa , ich werde dich zu mir nehmen 293) und erheben und
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292) Sura III. Vers 42-49.
293) Ich habe das Wort tawaffa nach seiner ursprünglichen Bedeutung wiedergegeben, da es eben so gut von der Seele Jesu, als von seiner ganzen Person verstanden werden kann, und diese Stelle wenigstens nicht beweist, daß Mohammed an den wirklichen Tod Jesu glaubte. Mit Recht bekämpft übrigens Dettinger (s. Tübinger Zeitschrift für Theologie, 1831, 3, S. 47) die Meinung Wahls, als spreche der Koran eine Himmelfahrt Jesu aus, und zwar nicht nur, weil mehrmals im Koran gesagt wird: „Jede Seele muß den Tod verkosten,“ und weil Jesus selbst (Sura 19, Vers 32) ausruft: „Friede über den Tag, an dem ich geboren, so wie über den, an welchem ich sterbe,“ sondern noch ganz besonders wegen des 144. Verses der dritten Sura, welcher lautet: „Mohammed ist nur ein Gesandter. Schon sind die Gesandten vor ihm gestorben, wollt ihr euch daher wieder zurückwenden (von seinem Glauben), wenn er einst stirbt oder erschlagen wird ? u. s. w.“ Mohammed hätte gewiß dieß nicht sagen können, wenn er selbst erklärt hätte, daß Jesus wirklich unsterblich im eigentlichen Sinne des Wortes war. So heißt es auch im 35. Verse der 21. Sura: „Wir haben keinem Menschen vor dir Unsterblichkeit verliehen; werden sie wohl ewig leben, da du doch sterben mußt.“ Nicht unwahrscheinlich ist aber, daß sich Mohammed, den Christen gegenüber, um sie desto leichter für sich zu gewinnen, über dessen Tod nicht deutlich aussprach.
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absondern von den Ungläubigen, und diejenigen, die dir folgen, höher stellen als die Ungläubigen, bis zum Tage der Auferstehung; dann kehret ihr alle zu mir zurück, da will ich zwischen euch richten über eure Streitfragen 294) . . . . . Vor Gott ist Isa dem Adam gleich, den er aus Erde geschaffen, ihm sagte: werde! und er ward 295). . . . Und sie (die Juden) sagen: wir haben den Mesich, Isa, den Sohn Mariam's, den Gesandten Gottes getödtet. Sie haben ihn aber nicht getödtet und nicht gekreuzigt, sondern es schien ihnen nur so; 296) diejenigen, die darüber anderer Meinung sind, zweifeln an ihm und haben keine (wahre) Kenntniß von ihm, sondern folgen nur Vermuthungen; gewiß sie haben ihn nicht getödtet, sondern Gott hat ihn zu sich erhoben, er ist mächtig und allweise . . . . . . Diejenigen, welche sagen: Gott ist Mesich, der Sohn Mariam's,
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294) Dieselbe Sura, Vers 54.
295) Dieselbe Sura, Vers 58. Dieser Vers spricht ziemlich deutlich gegen die Meinung derjenigen, welche behaupten, nach der Lehre des Korans sey Jesus vom Engel Gabriel gezeugt worden.
296) Das ist die natürliche Bedeutung der Worte schubbiha lahum, wo etwa noch Alamru (die Sache) zu suppliren wäre. Das Wort taschbîhun hat nach dem Kamus zwei Bedeutungen, entweder „vergleichen, ähnlich machen (benzitmek im türkischen) oder durch Aehnlichkeit täuschen und verwirren“ (tachlit watalbis eilemek). Will man indessen hier nach den muselmännischen Interpretatoren an eine wirkliche Verwechslung Jesu mit einer ihm ähnlichen Person denken, und das Wort schubbiha als Passivum der ersten Bedeutung nehmen, so darf man es nicht auf Jesus, sondern wie dieß Djalalein thut, auf den (freilich nicht ausgedrückten) maktuI oder Maslub (Getödteten oder Gekreuzigten) beziehen, welcher für sie (um sie zu täuschen) (von Gott) (Jesu) ähnlich gemacht wurde. Unrichtig oder wenigstens ganz frei ist daher Gerocks Uebersetzung „er wurde ihnen nachgeahmt.“ (Ich bedaure Gerocks Christologie des Korans nicht in diesem Augenblicke vor mir zu haben, das hier citirte ist nach Umbreits Recension dieses Werks, in den Studien und Kritiken, 1841, I. S. 256).
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sind Ungläubige. Der Mesich (selbst) sagte: O Söhne Israels! betet Gott an! meinen und euern Herrn. Wer Gott einen Genossen gibt, den schließt er aus dem Paradiese aus, und die Hölle wird seine Wohnung. Niemand steht den Ruchlosen bei. Diejenigen, welche sagen: Gott ist der dritte der Drei, sind Ungläubige. Es gibt nur einen Gott, und die Ungläubigen, die von solchen Worten nicht ablassen, trifft schwere Pein 297). . . . Und als Gott sagte: O Isa, Sohn Mariams! hast du zu den Menschen gesagt: nehmet mich und meine Mutter als Götter außer Gott an? antwortete er: sey gepriesen! (d. h. fern von mir eine solche Gotteslästerung !) es ziemt mir nicht zu sagen, was ich nicht in Wahrheit bin; wenn ich es gesagt hätte, so würdest du es wissen. Du kennst mein Inneres, ich aber nicht das deinige, du weißt alles Verborgene. Ich habe ihnen nur gesagt, was du mir befohlen haft: betet Gott an, meinen und euern Herrn, ich bewachte sie, so lange ich unter ihnen verweilte, und als du mich (zu dir) nahmst, beobachtetest du sie, du bist es ja, der über alles wacht 298) . . . . Gedenke Mariam's in der Schrift! (im Koran) als sie sich absonderte von ihrer Familie nach einem östlichen Orte, und sich vor ihr hinter einem Vorhang verbarg, da sandten wir ihr unsern Geist, der sich ihr in der Gestalt eines vollkommenen Menschen vorstellte. Da rief sie: ich nehme meine Zuflucht zum Barmherzigen vor dir (entferne dich!) wenn du Gott fürchtest. Er aber sagte: ich bin gesandt von deinem Herrn, um dir einen reinen Knaben zu schenken 299). Sie empfing
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297) Sura V. Vers 81 u. 82.
298) Dieselbe Sura, Vers 125 u. 126.
299) Sura XIX. Vers 16— 19. Diese Stelle soll nach Gerock dafür sprechen, daß Mohammed Gabriel für den Vater Jesu halte, aber ich stimme ganz mit Umbreit (a. a. O. S. 259) darin überein, daß dieß durchaus nicht bei einer natürlichen Auslegung dieser Verse darin zu finden ist. Daß der Engel Gabriel ihr in Menschengestalt erscheint, kann doch nicht auffallen, da er ja nach muselmännischer Tradition auch Mohammed zuweilen so erschien; eben so wenig der Ausdruck „einen Sohn schenken,“ der ja Vers 5 und Sura III. Vers 38 auch von Zakaria vorkommt, welcher zu Gott sagt: schenke mir einen Erben, wobei er doch gewiß an keine Einwirkung physischer Kräfte von Seiten der Gottheit dachte. Wenn Maria bei der Erscheinung des Engels erschrickt, so war es, ehe sie wußte, daß er wirklich ein Engel, sondern ihn wegen seiner menschlichen Gestalt für einen Menschen hielt, und wenn sie bei Jesu Geburt sich den Tod wünscht, so war es aus Furcht, Niemand möchte dessen wunderbare Empfängniß glauben.
Leben Mohammeds.
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ihn und zog sich mit ihm an einen entlegenen Ort zurück. Da befielen sie die Geburtswehen an dem Stamme eines Palmbaumes, und sie sagte: o wäre ich doch vor dieser (Stunde) gestorben und längst vergessen! Da rief es (das 300) Kind) ihr von unten herauf zu: sey nicht betrübt! Gott hat schon zu deinen Füßen ein Bächlein fließen lassen, und schüttle nur den Stamm des Palmbaums zu dir heran, so werden frische, reife Datteln zu dir herabfallen. Iß und trinke und ergötze dein Aug (an mir), und siehst du jemanden (der dich wegen meiner fragt) so sage: ich habe Gott Schweigen gelobt, ich werde heute Niemanden sprechen. Als sie dann zu ihren Leuten kam und das Kind trug, sagten sie: du hast etwas Schweres begangen. O Schwester Harons! dein Vater war kein schlechter
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300) Auch hier theile ich die Meinung Gerocks und Umbreits, und lasse lieber diese Worte aus dem Munde des Kindes, als aus dem des Engels zu ihr heraufsteigen, da jenes, wenn auch nicht gerade unter ihr, doch recht gut zu ihren Füßen liegen mochte. Mehr als der Ausdruck „unter ihr“ spricht aber noch für diese Meinung, daß Maria, als ihre Leute ihr Vorwürfe machten, auf das Kind hindeutete, gleichsam es aufforderte, statt ihrer zu sprechen, wie hätte sie das gekonnt, wenn es nicht schon vorher gesprochen hätte? In der 3. Sura wird ihr allerdings vom Engel vorausgesagt, ihr Sohn werde schon in der Wiege sprechen, diese ist aber eine medinensische und jene eine mekkanische, und wenn auch, wie wir in der Folge zeigen werden, die Ueberschrift der Sura nicht immer für deren ganzen Inhalt maßgebend ist, so spricht doch hier der Styl dafür, daß die ganze 19. Sura früher erschien.
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Mann und deine Mutter keine 301) schlechte Frau. Da gab sie ihnen durch Zeichen zu verstehen, sich an das Kind zu wenden. Sie sagten: wie sollen wir mit einem Kinde in der Wiege sprechen? Das Kind sagte aber: ich bin ein Knecht Gottes, er hat mir die Schrift gegeben und mich zum Propheten bestimmt und mich gesegnet, wo ich auch bin und mir geboten zu beten, Almosen zu geben, so lange ich lebe. Er hat mich liebevoll gegen meine Mutter geschaffen, nicht hochmüthig und nicht verworfen. Friede (Gottes) ruht über dem Tage, an dem ich geboren bin, so wie über dem, an welchem ich sterben und wieder zum Leben auferweckt werde.“ 302)
Sobald Mohammed den Entschluß gefaßt hatte, Missionäre auszusenden, redete er die Gläubigen, von der Kanzel herab, folgendermaßen an:
„Gott sendet mich aus Barmherzigkeit an alle Menschen; seyd mir nicht ungehorsam, wie es die Jünger Jesu, dem Sohne Maria's, waren, der, als er sie aufforderte, seinen Glauben zu verbreiten, nur bei denen Gehör fand, die er in die Nähe, nicht aber bei denen, die er in die Ferne senden wollte.“
Jesus klagte dieses seinem Herrn, und am folgenden Morgen sprachen diejenigen, welche Schwierigkeiten gemacht hatten, die Sprache der Völker, zu denen sie gesandt werden sollten, damit sie ihre Unkenntniß der Sprache nicht als Vorwand gebrauchen konnten 303). Sein erstes Schreiben war an den mit ihm durch die Auswanderer schon befreundeten Fürsten von Abyssinien gerichtet und lautete:
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301) Mohammed hat wahrscheinlich im Flusse der Rede Mariam, Arons Schwester, mit der Mutter Jesu verwechselt. Die muselmännischen Commentatoren wissen indessen andere Ausflüchte. Daß er aber die Jungfrau Maria für eine wirkliche Schwester Arons gehalten habe, glaube ich nicht, sondern eher, daß ihre Väter bei ihm gleiche Namen führen.
302) Dieselbe Sura, Vers 22-32.
303) S. fol. 263.
304) I., aus dem ich diesen und die folgenden Briefe übersetzt bemerkt dieß ausdrücklich. Der Ueberbringer war Amru Ibn Ommejja, welcher nach einigen Berichten zugleich Träger eines anderen Schreibens war, in welchem Mohammed um Um Habiba warb. Demzufolge wäre, wie schon in einer vorhergehenden Note bemerkt worden, dieses Schreiben jedenfalls vor den Feldzug von Cheibar zu setzen, denn bei seiner Rückkehr von Cheibar war Um Habiba mit den andern Ausgewanderten schon in Medina. Es muß aber auch, wenn es wirklich das Erste war, vor den Zug von Hudeibia gesetzt werden. S. Anmerk. 307.
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„Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Allmilden. Von Mohammed, dem Gesandten Gottes, an den Nadjaschi, König der Abyssinier:
„Werde Muselmann, ich will Gott für dich preisen, den Einzigen, den Wahrhaftigen. Bekenne immerhin, daß Jesus, der Sohn Maria's, der Geist Gottes und sein Wort, das er über die tugendhafte und keusche Jungfrau Maria geworfen (alkâha); welche dann Jesus vom göttlichen Geiste und Athem empfing, so wie der Herr Adam mit seiner Hand geschaffen. Erkenne aber Gott als den Einzigen an, der keinen Genossen hat, und glaube Du und deine Unterthanen an Gott und an mich als seinen Gesandten. Dieß ist mein wohlgemeinter Rath, nimm ihn an! Heil dem, welcher der Leitung folgt!“
Bei dieser Veranlassung ließ sich Mohammed das erste Siegel stechen, welches die Inschrift hatte: „Mohammed, Gesandter Gottes.“
Der Fürst von Abyssinien soll auf dieses Schreiben geantwortet haben: 305)
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305) Verbürgen möchte ich die Aechtheit dieses Schreibens nicht, obgleich es nichts Befremdendes enthält. Ein Christ, wie der Nadjaschi, mochte wohl Mohammed, im Verhältnisse zu seinen heidnischen Landesgenossen, für einen Gesandten Gottes halten, um so mehr, da doch allerdings manche Stellen des Evangeliums sich auf einen nach Christus erscheinenden Propheten beziehen lassen. Vielleicht trug auch Handelseifersucht zwischen den Mekkanern und Abyssiniern dazu bei, daß der Nadjaschi Mohammed gerne unterstützte. Uebrigens ist es auch schwer zu bestimmen, wer eigentlich dieser Nadjaschi war; da die Araber es nicht sehr genau mit der Verleihung ihrer Königstitel nehmen, so war es am Ende der Scheich eines kleinen Distrikts an der Arabien gegenüber liegenden afrikanischen Küste, statt des wirklichen Königs von Aethiopien. (S. auch Reinaud monumens Arabes, Turcs et Persans du cabinet de M. le Duc de Blacas, I. 230).
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„Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Allmilden. An Mohammed, den Gesandten Gottes, von dem Nadjaschi.
„Der schönste Friede komme über dich, o Prophet Gottes, von dem einzigen Gotte, der mich zum Islam geleitet. Dein Schreiben ist mir zugekommen. Bei Gott, dem Herrn des Himmels und der Erde! Jesus selbst hätte nichts hinzuzusetzen, zu dem was du von ihm sagst; darum habe ich auch deinen Vetter 306) und die übrigen Muselmänner in meine Nähe gezogen. Ich erkenne dich als wahren, frühere Verheißungen bestätigenden, Gesandten Gottes an, und huldige dir als solchem vor Djafar, dem Sohne Abu Talibs und den übrigen Muselmännern, und ergebe mich ganz dem Willen des Herrn der Welt.“
Gleichzeitig 307) mit dem Schreiben an den Fürsten von
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306) Dieß ist Djafar, Ali's Bruder.
307) Da dieser Brief vor Chosroe's Tod abging, dem Ende Februar 628 sein Sohn Siroes auf dem Throne folgte, so kann er nicht, wie S. und die andern Araber glauben und Europäer nachschreiben, nach dem Zuge von Hudeibia geschrieben worden sein, welcher im elften Monat des sechsten Jahres der Hidjrah stattfand, das mit dem 10. Mai 628 endigte. Vergleiche über Chosroe's Tod, des Kaisers Heraklius eigenen Bericht im chronicon paschale, p. 398 der Pariser Ausgabe, Assemani bibl. Oriental. III. 1. p. 416 und nach ihnen alle neuere Historiker. Biogr. universelle, Rühs, Schlosser und zuletzt noch Robinson in seiner Beschreibung Palästina's, II. 236. Bei Nikbi ben Massoud in den not. et extraits de la bibl. du roi, T. II. p. 357 muß wohl ein Fehler seyn, denn dort liest man: Mohammeds Flucht habe im 20. Jahr von Chosru's Regierung stattgefunden, während er doch sieben- oder achtunddreißig Jahre regierte, und jedenfalls mehrere Jahre vor Mohammed starb. Es soll wahrscheinlich im 30. statt im 20. heißen.
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Abyssinien ging ein anderes an Chosru Perwiz (Chosroes II.), König von Persien, folgenden Inhalts ab:
„Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Allmilden. Von Mohammed, dem Gesandten Gottes, an Chosru, den Herrn Persiens. Heil dem, welcher der Leitung folgt, an Gott und seinen Gesandten glaubt, der da bekennt, daß es nur einen einzigen Gott gibt, dessen Diener und Gesandter Mohammed ist. Ich fordere dich dazu im Namen Gottes auf, der mich gesandt allen Lebenden zu predigen, und allen Ungläubigen die Wahrheit zu verkündigen. Werde Muselmann, so wirst du gerettet, weigerst du dich, so lastet auf dir die Schuld aller Magier.“
Chosru las nur die Ueberschrift des Briefes, und sobald er Mohammeds Namen vor dem Seinigen sah, zerriß er ihn und entließ den Gesandten. Er schrieb dann seinem Statthalter Badsan, welcher in seinem Namen die Herrschaft über Jemen führte, er möchte den Kureischiten, der sich für einen Propheten ausgibt, von dieser Anmaßung zurückbringen oder ihm sein Haupt senden. Inzwischen starb aber Chosru, Mohammed sagte daher zu den Boten, durch welche Badsan ihm den Befehl seines Herrn übersandte: „Kehret zu Badsan zurück! denn Gott hat seinen Herrn getödtet.“ 308)
Im siebenten Jahre der Hidjrah 309) sandte Mohammed
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308) Bei den Arabern ward Mohammed durch den Engel Gabriel von Chosru's Tod unterrichtet. Dem Europäer ist es aber sehr begreiflich, daß Mohammed Chosru's Tod, wenn auch nicht früher als Badsan, doch vor Ankunft seiner Gesandten in Medina erfuhr.
309) Der Brief, den Mohammed an Heraklius geschrieben haben soll, so wie der an den Statthalter von Egypten trägt das Gepräge der Unächtheit; denn nach der Aufforderung zum Islam, wie die beiden Ersten, enthalten sie den 63. Vers der 3. Sura, welcher lautet: „O ihr Männer der (heiligen) Schrift! Kommt herbei zu einem Worte, das gleich sey zwischen euch und uns, daß wir nämlich nur einen Gott anbeten, und ihm keinen Genossen zufügen, daß Niemand einen andern (Menschen) an Gottes Stelle zu seinem Herrn erhebe. Wenden sie sich davon ab, so saget (ihr Gläubigen) ihnen: Bekennet wenigstens, daß wir wahre Muselmänner.“
Abgesehen davon, daß dieser Vers nach der Meinung vieler Interpretatoren erst im 9. Jahre der Hidjrah bei Gelegenheit der Bekehrung einer christlichen Karawane von Nadjran erschien, so paßt er gar nicht als Anrede an Heraklius, wenn man auch, wie bei I. das erste Wort (kul Sage) des Verses ausläßt. Die ganze Sendung möchte ich aber deßhalb nicht bezweifeln, wenn auch die Byzantiner nichts davon erwähnen, um so weniger, da Heraklius' Reise nach Jerusalem mit dem von den Persern wieder eroberten Kreuze, von der auch bei I. die Rede ist, der ihn in Folge eines Gelübdes, als Dank für den Sieg über die Perser zu Fuß von Edessa nach Jerusalem pilgern läßt, wirklich mit der Zeit der übrigen Bekehrungsversuche Mohammeds übereinstimmt. Es ist übrigens schwer, die Zeit der Reise des Heraklius nach Jerusalem zu bestimmen. Theophanes I. 504 der Ausgabe von Niebuhr läßt ihn im Frühling nach dem Jahre seines Friedensschlusses mit den Persern, also im Jahr 629 von Konstantinopel aufbrechen, um das heilige Kreuz nach Jerusalem zurückzubringen. Diesem folgte auch Pagi zu Baronius' Annalen des Jahres 627 und 628. Nach Nicephorus hingegen (p. 15 der Pariser Ausg.) reiste er nach dem Friedensschlusse zuerst nach Jerusalem, also noch im Jahr 628, und kehrte dann erst in die Hauptstadt zurück. Fragen wir nun, welchem von Beiden eher zu folgen ist, so müssen uns des Ersteren eigene Worte veranlassen, seine Angabe zu verwerfen. Er erzählt nämlich, daß Heraklius von Jerusalem nach Edessa reiste, wo er sich mit kirchlichen Angelegenheiten beschäftigte, und von hier nach Hierapolis, wo er die Nachricht von dem Tode des persischen Königs Syroes erhielt. Da doch aber eine solche Nachricht gewiß Heraklius so bald als möglich überbracht ward, und Syroes, der am 25. Februar den Thron bestieg, nach den meisten Berichten nur sieben bis acht Monate regierte, so kann Heraklius diese Reise nicht erst im Jahr 629 gemacht haben. (Vergl. über die Dauer von Syroe's Regierung Nikbi ben Massud in den not. et extraits des msc. de la bibliot. Du Roi, II. 358, Mirchond bei de Sacy mém. Sur diverses antiquités de la Perse p. 409. Elmakin, p. 12 und Eutych. annal. II. 253). Nimmt man aber selbst ein Jahr für die Dauer von Syroe's Regierung an, wie man bei Theophanes am Anfang dieses Kapitels liest, eben so bei Bar hebraeus in einer Stelle seiner Chronik (in einer andern gibt er 9 Monate an. Vergl. Assemani bibl. Orient. III. 1. p. 415), so hätte doch Heraklius jedenfalls noch im April seinen Tod erfahren sollen, während er, wenn er erst im Frühling von Konstantinopel aufbrach, und sich in Tiberias, in Jerusalem und Edessa längere Zeit aufhielt , gewiß nicht vor dem Monate Juni oder Juli in Hierapolis eintraf. Ich glaube daher, daß man nicht wie bisher alle neueren Historiker, zuletzt noch Robinson in seinem Palästina, II. S. 236 gethan, Heraklius Reise nach Jerusalem in den Frühling 629, sondern in den Herbst 628 setzen sollte, nur nicht vor den Monat September, weil Nicephorus nach Darstellung der Feierlichkeiten in Jerusalem hinzusetzt: δεντέρα δέ ήν ινδικτιϖυ, ήνικα ταϋτα επραττετο (es war die zweite Indiction, als dieß geschah) und die zweite Indiction mit dem ersten September 628 begann. Dieß stimmt dann auch mit den Kirchenhistorikern überein, nach welchen Heraklius dem Exaltationsfeste beiwohnte, das am 14. September gefeiert wird.
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ein Schreiben an den Kaiser Heraklius, welcher sich damals in Palästina aufhielt. Der muselmännische Gesandte fand eine
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gute Aufnahme bei ihm, obgleich er in seinem Glauben beharrte. Noch freundlicher wurde Mohammeds Gesandter bei dem Stadthalter von Egypten aufgenommen, der ihm zwei Sklavinnen und einige andere kostbare Gegenstände als Geschenk sandte. Auch Haudsa 310), der persische Statthalter der Provinz Jamama, der eine Aufforderung zur Annahme des Islams erhielt, suchte sich Mohammeds Gunst durch kostbare Geschenke zu erwerben, während Harith Ibn Schimar, der Byzantinische, über die syrischen Araber gebietende Statthalter, seinen Gesandten schlecht aufnahm und ihn sogar mit einem Kriege bedrohte 311).
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310) So bei I. und im Kamus (ha, waw, dsal). Der Gesandte hieß Salit Ibn Amru Al Amiri, nicht wie bei H. v. H., der (S. 165) den Statthalter Silit ben Amru nennt. S. auch Abulfeda, p. 84.
311) Nach I. wollte er schon gegen Mohammed ins Feld ziehen, aber Heraklius hielt ihn davon ab. Dieser soll auch, um über Mohammed nähere Erkundigungen einziehen zu können, befohlen haben, daß man ihm einige seiner Landsleute bringe, welche des Handels willen häufig nach Palästina kamen. Man holte Abu Sosian, welcher gerade mit einer Karawane in Gaza war, und Heraklius ließ durch seinen Dolmetscher folgende Fragen an ihn richten: „Welcher Familie gehört Mohammed an? Einer angesehenen, antwortete Abu Sosian; ist vor ihm jemand unter euch mit ähnlichen Worten aufgetreten? nein; galt er, ehe er sich einen Propheten nannte, für einen Lügner? nein; war einer aus seiner Familie vor ihm König? nein; gehören seine Anhänger der vornehmen oder der geringen Klasse an? der geringen. Nimmt ihre Zahl zu oder ab? sie nimmt immer zu; fallen manche seiner Anhänger wieder von ihm ab? nein; ist er seinem gegebenen Worte treu? ja; wir leben jetzt in Frieden mit ihm, doch wissen wir noch nicht, wie er die Verträge vollziehen wird. Habt ihr schon Krieg gegen ihn geführt? ja; wer war Sieger? bald er, bald wir; was sind denn seine Vorschriften? wir sollen die Götter unserer Väter aufgeben, und nur einen Gott anbeten, Almosen geben, unserem Worte treu seyn und sündhafte Genüsse verabscheuen.“ Heraklius soll durch diese Unterredung mit Abu Sosian sehr für den Islam eingenommen worden seyn, ihn doch, aus Furcht den Thron zu verlieren, nicht angenommen haben. Darauf läßt sich nichts anderes sagen als : „Se non e vero e ben trovato.“ Daß Abu Sosian als Heide den Islam so günstig schildert, darf nicht befremden, denn er sagt selbst bei I.: „Bei Gott, ich hätte damals gern gelogen, aber ich schämte mich vor den Arabern, die bei mir waren.“ Auch suchte er zuletzt Mohammed durch die nächtliche Himmelfahrt lächerlich zu machen.
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Diese und einige andere ähnliche Missionen an kleinere Fürsten Arabiens beschäftigten Mohammed bis in den Monat Dsul Kaada, wo es ihm, dem mit den Kureischiten geschlossenen Vertrage gemäß, gestattet war, nach Mekka zu pilgern. Da zog er, wohl bewaffnet, mit denselben Truppen, die ihn im vergangenen Jahre begleitet hatten, von Medina aus, nach dem er hundert Reiter unter der Anführung Mohammeds Ibn Maslama vorausgeschickt hatte. Als die Kureischiten Mohammeds Vortrab sahen,
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sandten sie ihm Mukriz Ibn Hafß entgegen, und ließen ihm sagen: „Du hast weder in deiner Jugend noch später irgend einen Verrath begangen, wie magst du jetzt in voller Kriegsrüstung heranziehen, da doch unser Vertrag dir nur die Waffen eines Reisenden, nämlich das Schwert in der Scheide gestattet?“ Mohammed antwortete darauf, daß im Vertrage nur der bewaffnete Einzug in das Gebiet von Mekka ihm untersagt sei, er werde daher diesen Punkt erfüllen, und an der Grenze des heiligen Gebiets die Waffen ablegen. Dieß that er auch als er vor Mekka anlangte, und ließ Aus, den Sohn Chaula's, mit einer Abtheilung Soldaten zu ihrer Bewachung zurück. Als Mohammed mit seinen Leuten einzog, sagten die in der Stadt zurückgebliebenen Mekkaner: (die vornehmsten Bewohner Mekkas hatten sich nämlich auf den Berg Keinukaa, welcher sich über die Stadt erhebt, begeben —). „Da kommen Leute, welche das Fieber von Jatbrib (Medina) geschwächt.“ 312) Da rief Mohammed, der dieß hörte. „Gott erbarme sich dessen, der den Ungläubigen heute Beweise von seiner Kraft gibt.“ 313) Darauf hüllte er sich in sein Pilgertuch, aus dem nur sein rechter Arm hervorging, und lief an der Spitze seiner Begleiter dreimal um den Tempel herum 314);
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312) So bei I. Bei S. (fol. 208) liest man auch wie bei Abulfeda (S. 85) fi usrin wadjahdin und dazu noch waschiddatin. Aber auch diese Worte bedeuten eher einen allgemeinen schlechten Zustand in Bezug auf die Gesundheit und äußere Verhältnisse, als eine Ermüdung von der Reise, wie Reiske und Noel des Vergers diese Worte Abulfeda's übersetzen.
313) So übersetzt schon N. de V. richtig, während Reiske arahum für die erste Person nimmt. Bei S. und I., wo dieselben Worte vorkommen, liest man nach arahum die Worte: aljauma min nafsihi kuwwatan.
314) So bei S. und I., auch bei Gagnier II. 81. Bei Abulfeda heißt es: er sprang vier Mal herum (ramala fi arbaat aschwât). Dieß kann nur ein Schreibfehler seyn, den seine Herausgeber hätten verbessern sollen. (S. auch Muradgea d'Ohsson Schilderung des ottoman. Reichs v. Beck, II. 47).
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die übrigen vier Umzüge machte er aber, um die Muselmänner nicht zu sehr zu ermüden, langsamen Schrittes, daher bis auf den heutigen Tag noch jeder Pilger drei von den sieben Umzügen um den Tempel zu Mekka springend zurücklegt. Mohammed wollte in der Kaaba beten, dieß ward ihm aber nicht gestattet. Er lief dann nach altarabischer Sitte dreimal von dem Hügel Safa nach dem Hügel Merwa, wie einst der Sage nach Hagar dreimal hin- und herlief, um sich nach Wasser für ihren Sohn umzusehen. Bei Merwa ließ er dann die von Medina mitgebrachten Opferthiere schlachten und sein Haupthaar abscheeren. Er brachte, dem Vertrage gemäß, drei Tage in Mekka, wahrscheinlich bei seinem Oheim Abbas, zu, der ihm seine Schwägerin Meimuna antraute. Mohammed wollte noch in Mekka die Hochzeit feiern, und die Mekkaner zum Hochzeitsschmaus einladen 315), diese erinnerten ihn aber am vierten Tage an sein gegebenes Wort, so daß er genöthigt war aufzubrechen und in Sarif, außerhalb dem Gebiete von Mekka, wohin ihm sein Sklave, Abu Rafi, Meimuna brachte, seine letzte Ehe zu vollziehen.
Dieser Verbindung mit einer einundfünfzig jährigen Wittwe verdankte Mohammed wahrscheinlich die bald darauf folgende Bekehrung ihres Neffen 316) Chalid, Sohn Walids, der später
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315) I. und S. fol. 209. Auch die Trauung während des Tempelbesuches wird von einigen Muselmännern bestritten, da sie sonst nicht erlaubt ist, während andere behaupten, Mohammed habe darin, wie in manchen anderen Dingen, eine Ausnahme machen dürfen. S. Abulfeda ed. N. de V., p. 130.
316) Diese, Chalids Uebergang zum Islamismus und Mohammeds Vermählung mit Meimuna, erklärende Verwandtschaft, gibt Ch. und I. an. Bei ersterem liest man im Kapitel „von den Gattinnen Mohammeds,“ welches gleich nach der Vermählung mit Chadidja, unter den Begebenheiten des 5. Jahres, steht: „Ferner (heirathete Mohammed) Meimuna die Tochter Hariths, aus dem Stamme Hilal. Ihre Mutter hieß Hind, Tochter Aufs, Sohn Zuheirs; ihr früherer Name war Barra, aber der Gesandte Gottes nannte sie Meimuna. Sie ist die Tante des Ibn Abbas und des Chalid, Sohn Walids. Ihre Schwestern waren Um Fadhl, die Gattin des Abbas und Lubaba die Jüngere, die Gattin Walids, Sohn Mughira's, der Machzumite, Mutter Chalids, Sohn Walids u. s. w.“ Bei I. in demselben Kapitel im 4. Bande liest man noch: „Sie war früher mit Masud, dem Sohne Amru's, verheirathet gewesen, der sich von ihr scheiden ließ, dann mit Abu Rahm (oder Dahm), den sie überlebte. Als sie der Prophet heirathete, war sie 51 Jahre alt, nach den wahrsten Berichten; sie erreichte ein Alter von 80 Jahren und ward in Sarif begraben, an der Stelle, wo Mohammed die Hochzeitsnacht feierte.“
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wegen seines kriegerischen Talents und Glücks „das Schwert Gottes“ genannt ward. Gleichzeitig mit ihm gieng auch Amru Ibn Aaß , der nachherige Eroberer Egyptens, zu Mohammed über. Dieser war gerade in Abyssinien, als Amru, Mohammeds Gesandter, dahin kam, um die dortigen Gläubigen zurückzurufen; das freundliche Benehmen des Nadjaschi gegen sie, veranlaßte ihn auch den neuen Glauben näher zu prüfen, und die Persönlichkeit Mohammeds, den er in Mekka sah, vollendete seine Bekehrung.
Amru gab in dem ersten Zuge, den er nach der syrischen Grenze unternahm, in der Hoffnung, die dortigen Araber, von denen seine Mutter herstammte, zum Islam zu bekehren, Beweise von seiner Tüchtigkeit, aber auch von seiner Klugheit und grenzenlosen Herrschsucht. Als er nämlich an den Brunnen Dsat Sulasil, im Lande der Beni Djudsam kam, fand er diese Beduinen so feindlich gegen den Islam gestimmt, daß er in aller Eile einen Boten an Mohammed sandte und ihn um Verstärkung seiner geringen Truppenzahl bat. Mohammed sandte ihm den sanftmüthigen Abu Ubeida, welcher später bei der Eroberung von Damask sich so menschenfreundlich benahm, mit vielen der ersten Ausgewanderten, worunter auch Abu Bekr und Omar. Das Erste, was Amru dem ihm zu Hülfe eilenden Veteranen Abu Ubeida sagte, war : „Du bist zur Verstärkung meiner Leute hieher gesandt, stehst folglich unter meinem Befehle.“
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Abu Ubeida erwiederte: „Du bleibst der Befehlshaber deiner Leute und ich führe die meinigen an.“ Da aber Amru auf den Oberbefehl über sämmtliche Truppen bestand, sagte ihm Abu Ubeida: „Wisse Amru! Mohammeds letzter Auftrag vor meinem Abmarsche war: im Einverständnisse mit dir zu handeln; weigerst du dich daher, mir zu gehorchen, nun so stelle ich mich unter deinen Befehl.“ Amru griff bald nachher den Feind an und schlug ihn, als ihn aber die Muselmänner weiter verfolgen wollten, hielt er sie zurück. Auch erlaubte er, trotz der strengen Kälte in der folgenden Nacht, nicht, daß man Feuer anzünde. Als einige Ausgewanderte darüber murrten, begnügte er sich, ihnen zu sagen: „habt ihr nicht den Befehl, mir zu gehorchen?“ und als sie diese Antwort bejahten, sagte er: „nun so gehorchet auch!“ Erst als er nach Medina zurückkam, und Mohammed ihn fragte, warum er kein Feuer anzünden und den Feind nicht verfolgen ließ? sagte er: „ich hielt meine Leute zurück, weil bei einem weitern Nachsetzen in das feindliche Gebiet dem Feinde leicht hätte Verstärkung zukommen können, die ihn in Stand setzte, sich wieder gegen uns zu wenden. Ich ließ auch kein Feuer anzünden, aus Furcht, der Feind möchte sehen wie gering unsere Truppenanzahl und mit erneuertem Muthe kämpfen. Als er endlich auch noch angeklagt war, das Gebet ohne Reinigung verrichtet zu haben, sagte er: „hat nicht Gott der Erhabene (im Koran) gesagt: stürzet euch nicht mit eigener Hand ins Verderben? Bei Gott, das Wasser war so kalt, daß ich an der Waschung gestorben wäre.“ Mohammed lachte über diese Antwort und entließ ihn 317).
Chalids Talent als Feldherr, ward auch gleich bei der ersten Schlacht, welche nach seiner Bekehrung zwischen den Muselmännern und den von den Griechen unterstützten Arabern,
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317) I., der Anfang auch bei S. (fol. 266), die Theologen wundern sich darüber, heißt es bei ersterem, daß Mohammed ihm nicht befahl, das Gebet nach der Reinigung zu wiederholen.
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bei Muta, in der Nähe von Krak statt fand 318), allgemein anerkannt; denn als Zeid Ibn Harith, Ali's Bruder Djafar, und der Dichter Abd Allah Ibn Rawaha, die drei von Mohammed ernannten Häupter der Truppen, gefallen waren, ward er von den noch Stand haltenden Soldaten einstimmig zu ihrem Führer erwählt 319). Er konnte zwar dem ihm an Zahl allzusehr überlegenen Feinde 320) den Sieg nicht mehr streitig machen, doch rettete er die Muselmanner vor einer gänzlichen Niederlage, und brachte die, welche sich unter seine Fahne gereiht, in guter Ordnung nach Medina zurück. 321)
Veranlassung zu diesem ersten Kriege zwischen den Bekennern des Islams und denen des Christenthums, war die Hinrichtung eines von Mohammeds Gesandten 322), auf Befehl
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318) Diese Schlacht fiel nach S. (fol. 209) I. und Abulfeda (S. 86 der Ausgabe von N. de V.) im Monat Djumadi-l-Awwal des 8. Jahres vor; nur H. v. H. setzt (S. 181) diesen Feldzug, ohne auch nur einen Grund anzuführen, nach der Eroberung von Mekka und dem Feldzuge von Honein und Taïf.
319) Vor ihm ward nach S. und I. Thabit Ibn Arkam erwählt, er lehnte aber das Feldherrnamt ab.
320) Nach den muselmännischen Berichten waren die christlichen Araber von den Stämmen Lachm, Bekr und Djudsam mit den ihnen beistehenden Griechen 10,000 Mann stark, während die Armee der Mohammedaner nur 3000 Mann zählte.
321) Chalid soll durch verschiedene Hin- und Hermärsche den Feind getäuscht haben, so daß er glaubte, es seyen neue Truppen aus Medina nachgekommen, und darum die weitere Verfolgung der Muselmänner unterließ.
322) Sein Name war Harith Ibn Omeir aus dem Stamme Azd; er war nach Einigen auf dem Wege zu dem Fürsten von Boßra, nach andern zu Heraklius. Der Zweck seiner Gesandtschaft an letztern ist nicht bekannt, denn er darf keinesfalls mit dem Ueberbringer des oben erwähnten Schreibens verwechselt werden, welcher nach allen Quellen Dihja Ibn Chuleifa Alkalbi hieß, derselbe, unter dessen Gestalt der Engel Gabriel zuweilen Mohammed erschien. Nach I. soll Mohammed den Truppen befohlen haben, die Mönche, Frauen, Kinder und Blinden zu verschonen und ihnen verboten haben, Häuser zu zerstören und Bäume abzuschneiden.
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des Ghassaniden Amru Ibn Schurahbil. Mohammed hatte wahrscheinlich gehofft, seine Truppen würden den Fürsten Amru, gegen den dieser Feldzug gerichtet war, nicht zum Kriege gerüstet finden. Als sie daher in der Gegend von Balka erfuhren, daß eine starke griechische Armee ihnen entgegen ziehe, waren sie unentschlossen, ob sie einen Kampf wagen, oder weitere Befehle von Mohammed abwarten sollten. Abd Allah Ibn Rawaha entschied für den Krieg, indem er sagte: „Kämpfen wir im Vertrauen auf unsere Zahl und unsere Stärke, oder kämpfen wir für den Glauben, mit dem uns Gott beehrt? Vorwärts! wir erringen entweder den Sieg oder den Märtyrertod !“
Mohammed war noch viel zu schwach, um den Krieg mit den Griechen fortzusetzen; er konnte nur über den Verlust seiner drei treuesten Freunde weinen, und ihre Verwandten trösten 323) aber nicht ihren Tod rächen.
Sechstes Hauptstück.
Die Kureischiten verletzen den Friedensvertrag. Abbas und Abu Sosian. Die Eroberung von Mekka. Die von der Amnestie Ausgeschlossenen. Mohammeds Predigt und verschiedene Gesetze. Zerstörung der Götzenbilder. Feldzug von Honein. Belagerung von Taïf. Unzufriedenheit bei Vertheilung der Beute. Rückkehr nach Medina. Tod einer Tochter und Geburt eines Sohnes.
Mohammeds ganze Aufmerksamkeit war bald nach dem Feldzuge von Muta wieder nach Mekka gerichtet, denn schon im Schaaban verletzten die, vielleicht durch die Niederlage der Muselmänner wieder kühner gewordenen Mekkaner, den mit ihm geschlossenen Frieden, indem sie Feindseligkeiten gegen die
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223) Den Verwandten Djafars sagte er: er habe im Traume Djafar im Paradiese mit zwei Flügeln aus Edelsteinen gesehen, als Ersatz für die beiden Arme, die er im Kampfe verloren.
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Chuzaiten begingen, welche nach dem Friedensschlusse von Hudeibia mit Mohammed den Schutz- und Trutzbund erneuerten, den schon ihre Väter mit dessen Großvater Abd Almuttalib gegen die Söhne Naufals und Abd Schems geschlossen hatten. Dieß war eine offenbare Verletzung des Friedensvertrags, welcher jedem arabischen Stamme die Wahl ließ, sich mit Mohammed oder seinen Feinden zu verbinden. Als daher die Chuzaiten Mohammed berichteten, daß sie an der ihnen gehörenden Quelle Watir, in der Nähe von Mekka, plötzlich von den Beni Bekr, denen auch Kureischiten beistanden, überfallen, und daß ihnen zwanzig Mann getödtet worden, erklärte er sich als ihren Beschützer und traf die nöthigen Anstalten zu einem Zuge gegen Mekka. Die Kureischiten, welche nur des Nachts, in der Hoffnung unerkannt zu bleiben, sich unter die Beni Bekr gemischt und sie mit Waffen versehen hatten, bereuten bald was sie gethan, denn sie konnten voraussehen, daß die Chuzaiten Mohammeds Beistand anflehen würden. Sie sandten daher Abu Sosian, den Sohn Harbs, der an dem Vorgefallenen gar keinen Antheil genommen hatte, nach Medina, um den Frieden mit Mohammed von Neuem zu befestigen und womöglich noch zu verlängern. Mohammed, der aber von dem Vorgefallenen schon unterrichtet war und aus diesem Schritte Abu Sosians seine Schwäche erkannte, schenkte seiner Bitte kein Gehör. Abu Bekr, Omar und Ali, deren Vermittlung er in Anspruch nahm, wiesen ihn ebenfalls zurück 324), und
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324) Nach S. (fol. 213) beschwor er dann Fatima, Ali's Gattin, ihrem Knaben Hasan zu sagen: er möchte sich als seinen Beschützer erklären. Sie antwortete: mein Sohn ist noch zu jung, um als Beschützer aufzutreten, auch hilft kein Schutz gegen den Willen des Gesandten Gottes. Er sagte dann zu Ali: ich sehe, daß es schlecht mit meiner Angelegenheit steht, ertheile mir doch einen Rath! Bei Gott! erwiederte Ali, ich weiß nichts, das dich retten könnte, doch du bist ja das Oberhaupt der Beni Kinanah, sage den Muselmännern die Fortdauer deines Schutzes zu, und reise wieder in deine Heimath zurück! Glaubst du, daß das etwas helfen wird? fragte dann Abu Sosian. Ich glaube nicht, antwortete Ali, doch weiß ich nichts anderes. Er ging dann in die Moschee, und erklärte den gegenseitigen Frieden als fortbestehend, dann kehrte er nach Mekka zurück. Als die Kureischiten ihn fragten, wie es ihm gegangen? sagte er: „Ich habe Mohammed gesprochen, aber er hat mir keine Antwort gegeben, ich ging dann zu Abu Bekr, und fand auch nichts Gutes an ihm; hierauf wendete ich mich an Omar, und fand ihn noch gehässiger, endlich begab ich mich zu Ali, diesen fand ich am weichsten, ich befolgte daher auch den Rath, den er mir ertheilte.“ Als er den Kureischiten hierauf erzählte, was er gethan, sagten sie ihm: „Bei Gott, man hat dich zum Besten gehabt, denn da deine Erklärung ohne Mohammeds Uebereinstimmung stattfand, so hilft sie auch nichts.“
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seine eigene Tochter Um Habiba gestattete ihm nicht, sich auf Mohammeds Teppich niederzulassen. Abu Sosian erklärte dann öffentlich, daß er seinerseits den Frieden als fortbestehend betrachte und daher jedem Muselmanne volle Sicherheit zusage, und kehrte wieder nach Mekka zurück. Die Mekkaner waren zwar sehr bestürzt als Abu Sosian unverrichteter Sache von Medina zurückkehrte, doch waren sie weit entfernt, an einen so nahen Wiederausbruch des Krieges zu denken. Mohammed, der dieß wohl wußte, bot daher Alles auf, um seine Absichten zu verheimlichen 325). Er beschied alle seine Bundesgenossen nach Medina, ohne ihnen den Zweck ihres Zusammenkommens anzuzeigen, und als der Feldzug nach Mekka beschlossen war, ließ er alle Wege dahin sperren, um die Kureischiten zu überfallen, ehe sie Zeit genug fänden, ihre Verbündeten einzuberufen. Indessen versuchte es Hatib, der Sohn Baltaa's, den Häuptern Mekka's Nachricht von Mohammeds Vorhaben zu geben. Dieser erhielt aber Kunde davon und ließ die Trägerin des Briefes, die Sängerin Sara aus Mekka, welche ihn unter den Haarflechten verborgen und einen ungewöhnlichen
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325) Auch betete er: „O Gott entziehe den Kureischiten jeden Kundschafter und jede sonstige Nachricht, damit wir sie überfallen.“ (S. fol. 214). Die arabischen Worte lauten: „Alujûna walachbara.“ S. den Kamus unter Ain.
Leben Mohammeds.
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Weg eingeschlagen hatte, anhalten und nach Medina zurückführen. Von Mohammed wegen seines Verraths zur Rede gestellt, sagte Hatib: „Mein Glaube an Gott und dich als seinen Gesandten ist immer derselbe; ich weiß, daß die Kureischiten dir nicht widerstehen können; ich bezweckte mit diesem Briefe nichts Anderes, als meiner in Mekka zurückgebliebenen Familie, derer sich Niemand annimmt, einen Beschützer zu verschaffen.“ Omar wollte diese Entschuldigung nicht gelten lassen, und forderte seinen Kopf. Mohammed schenkte ihm aber, weil er bei Bedr mitgekämpft, das Leben 326). Um indessen ähnliche Vorfälle zu verhindern, erschienen folgende Koransverse:
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326) Die Worte des Textes bei Abulfeda (S. 88) laalla Allahu kad ittalaa u. s. w. sind etwas dunkel, und haben daher zu mancherlei Mißgriffen Veranlassung gegeben. Gagnier übersetzt sie (S. 103): „Propheta autem, forte an, inquit, Deus iis qui proelio Bedrensi interfuerunt relelavit. (Dazu in einer Note, daß sie jedenfalls Mekka erobern werden). Tum subjecit: vos (Koraischitis) quidquid volueritis jam denunciate; modo vobis ignosco.“ Bei Reiske (S. 145) sagt Mohammed: „Novid quidem Deus omnia quae agunt et agent illi, qui ad Bedr strenue pugnarunt (quorum hic Hateb unus est) et nihilominus delictorum veniam ipsis in antecessum quasi dedit, dum dixit: agite pro lubitu: ego enim ignosco vobis.“ H. v. H. läßt Mohammed (S. 172) sagen: „Er war bei Bedr; was weißt du, wie Gott die Waffengefährten von Bedr ansieht! thut, was ihr wollt; (ihr Schlachtgefährten von Bedr) ich habe euch die Thaten voraus verziehen.“ Bei N. de V. (S. 72) antwortet Mohammed: „Dieu savait sans doute ce que feraient les guerriers de Bedr lorsqu‘il a dit: faites ce que vous voudrez votre pardon vous sera accordé.“ Letztere Uebersetzung ist offenbar die richtigste, nur weiß ich nicht, warum H. N. de V. das Zweifelhafte, das doch in dem Worte laalla liegt, zur Gewißheit gemacht hat? Ich würde die Stelle bei Abulfeda übersetzen: „Vielleicht hat Gott die Gefährten von Bedr erkannt (oder durchschaut) und (ihnen) gesagt: thut, was ihr wollt ! es sey euch schon zum voraus vergeben.“ Mohammed hatte wahrscheinlich schon vorher gesagt, was I. bei dem Zuge von Hudeibia erwähnt: „O ihr Leute, Gott vergibt allen denen, welche dem Kampfe von Bedr und dem Zuge von Hudeibia beigewohnt.“ Man kann vielleicht auch so übersetzen: „Vielleicht ist Gott den Kämpfern von Bedr erschienen, und hat ihnen gesagt: thut, was ihr wollt u. s. w.“ Dieselben Worte liest man bei S. (fol. 214), nur steht vorher : „wama judrika ja omar.“ Dieser Hatib wird bei S. (fol. 263) auch als Gesandter Mohammeds an den Statthalter von Egypten erwähnt.
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„O ihr, die ihr glaubet, wählet nicht meine und eure Feinde zu Freunden, indem ihr ihnen Beweise eurer Teilnahme zu geben suchet; sie haben die Wahrheit, die euch erschienen ist, geläugnet und den Gesandten vertrieben. Glaubt ihr daher an Gott, euern Herrn, so hütet euch, wenn ihr zum heiligen Kriege, auf meinem Wege und zu meinem Wohlgefallen ausziehet, ihnen mit verborgener Freundschaft entgegen zukommen — ich weiß was ihr verheimlichet und was ihr offenbaret — wer von euch so etwas thut, der ist schon vom rechten Pfade abgewichen. Haben sie euch in ihrer Gewalt, so sind sie doch eure Feinde, und strecken ihre Hände und ihre Zungen aus, um euch Schlimmes zuzufügen und suchen euch zum Unglauben zurückzubringen. Eure (ungläubigen) Verwandten und eure Kinder werden euch nichts nützen, am Auferstehungstage werdet ihr getrennt, denn Gott sieht eure Werke. Ihr hattet doch ein schönes Beispiel an Abraham und denjenigen (Gläubigen), die mit ihm waren, als sie zu ihrem Volke sagten: wir sagen uns los von euch und von dem was ihr ausser Gott anbetet; wir verläugnen euch und es bestehe Haß und Feindschaft zwischen uns und euch bis ihr an den einzigen Gott glaubet. Vielleicht wird Gott (einst) zwischen euch und euern Feinden wieder (durch ihre Bekehrung) Freundschaft herstellen. Gott ist mächtig, gnädig und barmherzig. Gott verbietet euch nicht , gegen diejenigen, die euch nicht bekriegen wegen eures Glaubens und euch nicht aus ihrem Lande verbannen, gerecht und liebevoll zu seyn; Gott liebt die Gerechten, diejenigen aber, die euch bekämpfen wegen eures Glaubens und euch aus ihrem Lande vertrieben, und die ihnen dazu geholfen haben,
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verbietet euch Gott zu Freunden zu nehmen, wer mit ihnen Freundschaft anknüpft ist ein Uebelthäter 327).
Am zehnten Ramadhan des achten Jahrs 328) zog Mohammed an der Spitze von zehntausend Mann gegen Mekka, darunter waren siebenhundert Ausgewanderte und viertausend Hilfsgenossen, welche zusammen achthundert Pferde hatten und von denen kein Einziger zurückblieb. Der Stamm Muzeina stellte tausend Mann, Aslam vierhundert, Suleim siebenhundert, Djuheina achthundert, Ghifar vierhundert, die Uebrigen gehörten den Stämmen Aschdja, Tamim, Keis, Asad, Kaab und Kinanah an 329). In der Nähe von Abwa ließen sich Abu Sosian 330) Ibn Harith und Abd Allah Ibn Abi Ommejja, beide
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327) Sura 60, Vers 1-4 u. 7-9.
328) Erster Januar 630.
329) Sowohl die Zahl der Truppen, als die Namen der mit Mohammed verbündeten Stämme habe ich nach S. und I. angegeben. Unter den Beni Kaab sind die von Amru abstammenden zu verstehen, welche einen Zweig der Chuzaiten bilden. (S. Sujuti's Lub Allubab ed. Veth. p. 223).
330) Dieser Abu Sosian darf nicht mit Abu Sosian Ibn Harb, dem Haupte der Kureischiten, wie bei H. v. H. (S. 172) verwechselt werden. Harith, Abu Sosians Vater, war Mohammeds Oheim, Bruder seines Vaters Abd Allah, für ihn legte Um Salma Fürbitte ein, nicht aber für Abu Sosian, den Sohn Harbs, den Abbas unter seinen Schutz nahm. Dieser zögerte auch mit seinem Glaubensbekenntnisse, während jener in der Absicht sich zu bekehren, sich zu Mohammed begab. Abd Allah Ibn Abi Ommejja war auch ein Vetter Mohammeds, denn seine Mutter Atika war ebenfalls eine Schwester Abd Allah's, er war auch zugleich sein Schwager, denn Um Salma war seine Schwester von väterlicher Seite, daher sagt sie ihm auch bei S. (fol. 204) : „O Gesandter Gottes! der Sohn deines Oheims und der Sohn deiner Tante und (zugleich) dein Schwager (Ibnu Ammika wa‘bnu ammatika wasihruka).“ Gagnier (II. 114) unterscheidet schon die beiden Abu Sosian, nur weiß er von der Verwandtschaft nichts, und nennt Abu Sosian blos ehemaliger Freund und Milchbruder Mohammeds.
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Vetter Mohammeds, aber bisher seine bittersten Feinde 331), bei ihm melden; er wollte ihnen aber trotz der Fürbitte seiner Gattin Um Salma, Schwester des Letztern, kein Gehör schenken. Als Abu Sosian, der auch seinen Sohn bei sich hatte, dieß hörte, schwur er, wenn Mohammed ihn nicht aufnehme, so würde er mit seinem Sohne in der Wüste umherirren, bis sie vor Hunger und Durst umkommen. Diese Worte rührten Mohamed, der sie dann zu sich rufen ließ und ihnen das Glaubensbekenntniß des Islams abnahm.
Mohammeds Maaßregeln, um seinen Zug geheim zu halten, waren so gut genommen, daß er schon in dem Thale Marr Azzahran in der Nähe von Mekka lagerte, bevor die Kureischiten davon sichere Kunde erhielten. In diesem Nachtlager ließ er zum erstenmale zehntausend Wachfeuer anzünden 332).
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331) Abd Allah hatte ihm einst in Mekka gesagt: „Bei Gott, ich werde dir nicht eher glauben, bis du vor meinen Augen eine Leiter nimmst, darauf in den Himmel steigst, dann mit vier Engeln herunter kommst, die bezeugen, daß du ein Gesandter Gottes.“ (S. fol. 49). Auf ihn und einige andere Mekkaner, welche ähnliche Wunder von Mohammed begehrten, beziehen sich folgende Koransverse: „Sie sagten: wir glauben dir nicht, bis du uns aus der Erde eine Quelle entspringen lassest, oder dir ein Garten wird mit Dattelnbäumen und Weinstöcken, aus deren Mitte du Bäche hervorströmen lassest. Oder über uns den Himmel in Stücken zusammenstürzen machest, wie du gegen uns (in deinen Drohungen) behauptetest, oder uns mit Gott und seinen Engeln entgegen kommst. Oder dir ein goldenes Haus wird, oder du in den Himmel steigst, und auch dann glauben wir nicht, bis du uns vom Himmel eine Schrift bringst, die wir lesen. Sprich! (so sagt Gott zu Mohammed) Gepriesen sey mein Herr! bin ich etwas anderes, als ein Mensch? ein Gesandter? Wenn den Leuten die Leitung zukommt, so hält sie nichts Anderes vom Glauben ab, als daß sie sagen: hat Gott wohl einen Menschen zum Gesandten genommen? Sprich! wenn Engel auf der Erde traulich umherwandelten, so würden wir ihnen vom Himmel einen Engel als Gesandten herabsenden.“ (Sura 17, Vers 91—95).
332) So bei I. und S. (fol. 215), nicht wie bei H. v. H. (S. 172) in Djohfa; letzterer Ort ist gar nicht in der Nähe von Mekka, wie H. v. H. berichtet, sondern liegt zweiundachtzig Meilen davon. (S. den Kamus, S. 732 der gedruckten Ausgabe).
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Hier dachte sein Oheim Abbas, welcher — wahrscheinlich von Allem unterrichtet — ihm schon bis nach Djohfa 333) entgegen gekommen war: wenn Mohammed als Feind nach Mekka zieht, so ist es um die Kureischiten geschehen. Er bestieg daher Mohammeds Maulthier und ritt voraus nach Arak, gegen den Berg Arafa zu, in der Hoffnung, Holzhauer oder eine Milchfrau zu treffen, durch die er den Kureischiten Nachricht von dem Lagerplatze Mohammeds geben könne, damit sie zu ihm kommen und ihn um Gnade und Sicherheit anflehen. Auf einmal hörte er Abu Sosian und des Chuzaiten Budeil's Stimme, welche die Unruhe und Ungewißheit über Mohammeds Unternehmen herausgetrieben hatte. Sie unterhielten sich gerade über die Wachfeuer, welche sie in der Ferne sahen. Budeil glaubte, die Chuzaiten ziehen heran um Rache an den Bein Bekr zu nehmen, Abu Sosian fand sie aber viel zu zahlreich, als daß sie den Chuzaiten allein angehören sollten. „Wehe dir! Abu Hantala!“ rief ihm jetzt Abbas zu: „es ist Mohammed, der mit einem zahlreichen Heere heranrückt; wenn du in seine Hand fällst, so ist es um deinen Kopf geschehen.“ „Was soll ich thun?“ fragte Abu Sosian. „Setze dich zu mir auf mein Maulthier,“ antwortete Abbas, „ich bringe dich zum Gesandten Gottes, den du um Gnade anflehen mußt.“ Abbas 334) brachte
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333) Nach Einigen bis Dsu Huleifa. Abbas war der letzte Auswanderer, Mohammed sagte ihm daher: „Deine Auswanderung ist die Letzte, so wie meine Sendung als Prophet.“ Er kam mit seiner ganzen Familie, die er nach Medina sandte, während er wieder mit Mohammed nach Mekka umkehrte. I. Vergl. über Abbas, Anmerk. 150.
334) So bei S. (fol. 215-17), dem auch Abulfeda folgt, bei I. nach Buchari, wurde Abu Sosian mit Budeil und Hakim Ibn Hizam von Mohammeds Spionen ergriffen, die sie, ohne sie zu erkennen, zu Omar führten, welcher die Nachtwache befehligte. Als dieser die Gefangenen zu Mohammed bringen ließ, begegnete ihnen Abbas, und nahm sie unter seinen Schutz.
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ihn unangefochten durch die Truppen, denn Niemand wagte es, Mohammeds Maulthier anzuhalten; als sie aber vor Omar vorüberritten, der sogleich Abu Sosian erkannte, sagte er: „Gepriesen sei Gott, der einen solchen Feind Gottes in meine Gewalt liefert, ohne daß irgend ein Vertrag mich bindet.“ Abbas erklärte sich aber als seinen Beschützer, bis Mohammed sein Urtheil gesprochen haben würde. Omar strengte sich dann an, um Mohammeds Zelt zuerst zu erreichen, Abbas kam ihm aber mit seinem Maulesel zuvor 335). Sobald Omar ins Zelt trat, forderte er Abu Sosians Kopf mit solchem Ungestüm, daß Mohammed, der zur Milde geneigt war, es für klug hielt, den Ausspruch über sein Schicksal auf den folgenden Morgen zu verschieben. Abbas bewachte Abu Sosian diese Nacht, und als er ihn des Morgens wieder vor Mohammed führte, sagte ihm dieser: „Wehe dir, Abu Sosian! siehst du endlich ein, daß es keinen Gott gibt, außer Gott?“ Abu Sosian antwortete: „Wie mild und edel bist du! bei Gott! ich glaube wohl, daß, gäbe es noch andere Götter außer Gott, sie mir beistehen würden.“ „Erkennst du auch endlich,“ fragte Mohammed ferner, „daß ich Gottes Gesandter bin?“ „Du bist mir theurer als Vater und Mutter,“ erwiederte Abu Sosian, „aber davon bin ich bis jetzt noch nicht vollkommen überzeugt.“ 336) „Wehe dir!“
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335) Es heißt ausdrücklich bei S. (fol. 216): „Er strengte sich an, um zum Gesandten Gottes zu gelangen, ich spornte aber mein Thier und kam ihm zuvor, so viel als ein schwerfälliges Thier einem schwerfälligen Manne zuvorkommen kann; ich stieg dann ab, und ging zum Gesandten Gottes, da trat auch Omar herein u. s. w.“ Bei Abulfeda heißt es blos : „Dann lief er gegen den Gesandten Gottes, ich holte ihn ein u. s. w.“
336) Die Worte des Textes lauten wörtlich übersetzt: „Aber was dieses betrifft, bei Gott, so ist in der Seele etwas davon (abziehendes) bis jetzt.“ Das Wort min muß hier in der Bedeutung von an genommen werden, wie in dem Verse: „Wehe den Hartherzigen von (d. h. sich abwendend von) der Erwähnung Gottes (min dsikri-l-lâhi).“ S. Kamus.
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schrie ihn Abbas an, „werde Muselmann und bekenne, daß es nur einen Gott giebt und daß Mohammed sein Gesandter, ehe dir der Kopf abgeschlagen wird!“ Diese Drohung vermochte ihn endlich, das islamitische Glaubensbekenntniß abzulegen. Mohammed war so sehr damit erfreut, daß er ihm auch Gnade für alle Diejenigen zusagte, die entweder zu Hause bleiben, oder sich in den Tempel, oder in Abu Sosians oder in Hakims Hause flüchten würden, und als jener da mit noch nicht zufrieden war, ließ er auch noch bekannt machen, daß wer sich zu Abu Rawaiha's Fahne flüchtet, ebenfalls Sicherheit finde. Als Abu Sosian auf diese Weise für sein Volk gesorgt hatte, wollte er zur Stadt zurückkehren, um die Einwohner zur Unterwerfung zu ermahnen, aber Mohammed wünschte sich ihm zuvor in der Mitte seines Heeres zu zeigen. Er befahl daher Abbas, mit ihm an eine enge Stelle des Thales zu gehen, wo er es am besten vorüberziehen sehen konnte. Abu Sosian war erstaunt über die Zahl und gute Haltung und Ausrüstung der mohammedanischen Truppen, und als er endlich Mohammed selbst in der Mitte einer ganz mit Eisen bedeckten Schaar Hülfsgenossen und Auswanderer sah, sagte er zu Abbas: „Diesen kann Niemand widerstehen, bei Gott, das Reich deines Neffen ist sehr groß.“ „Er ist ein großer Prophet,“ versetzte Abbas, „doch gehe jetzt und suche dein Volk zu retten!“ Abu Sosian eilte dann voraus nach Mekka und rief : „Gemeinde Kureisch! Mohammed naht heran mit einer Macht, der ihr nicht widerstehen könnt, nur wer sich in mein Haus, in das Hakims, in den Tempel, unter Abu Rawaiha's Fahne flüchtet, oder in seinem eigenen Hause bei verschlossener Thüre bleibt, wird verschont.“ Mohammed rückte inzwischen mit seinen Truppen bis Dsu Tawa 337) unmittelbar vor Mekka heran. Hier theilte er sie auf folgende Weise: Zubeir, welcher den linken Flügel befehligte,
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337) Dsu Tawa ist dem Kamus zufolge ein Ort in der Nähe von Mekka, welcher jetzt Zahir heißt.
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sollte mit einem Theile der Truppen über Kuda 338) in die Stadt ziehen; Saad Ibn Ibada, der an der Spitze der Hülfsgenossen stand, über Kadaa 339), und Chalid Ibn Walid, der General des rechten Flügels, welchem die verbündeten Stämme untergeben waren, durch die Niederung Mekka's. Er selbst begab sich, auf einem Kameele reitend, mit den Ausgewanderten über Adsachir 340) auf die Höhe 341) von Mekka, wo ihm sogleich ein Zelt aufgeschlagen ward. Da aber Saad während des Zuges ausrief: „Heute ist ein Tag des Krieges, heute wird das heilige Gebiet nicht verschont!“ ernannte Mohammed, welcher seine Heftigkeit fürchtete, dessen milderen Sohn Keis zum Generale der Hülfsgenossen. Zubeir und Keis fanden keinen Widerstand, denn die meisten Mekkaner hatten sich nach Abu Sosians Rückkehr in ihre Häuser eingeschlossen; Chalid stieß aber am Hügel Chandama auf eine Schaar Ungläubigen, an deren Spitze Safwan, der Sohn Ommejja's Akrama, der Sohn Abu Djahls, und Suheil, der Sohn Amru's, standen, welche ihm den Zugang versperren wollten; er schlug sie aber nach kurzem Kampfe zurück 342) und durfte auf Mohammeds
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338) Kuda heißt nach dem Kamus ein Berg in dem niederen Theile Mekka's auf der Straße nach Jemen.
339) Kadaa ist der Name eines Berges auf der Anhöhe von Mekka, von welcher Seite Mohammed am Tage der Eroberung einzog. I. und Kamus.
340) So bei S. (fol. 217). Ueber Adsachir findet man im Kamus blos „ein Ort in der Nähe von Mekka, wahrscheinlich am Berge Kadaa, über welchen Mohammed seinen Einzug gehalten haben soll.“
341) Nach I. auf dem Berg Hadjun, wo auch Zubeir seine Fahne aufstecken sollte.
342) Nach S. ergriffen sie die Flucht, nachdem zwölf oder dreizehn Mann getödtet worden. Nach Abulfeda verloren sie achtundzwanzig Mann. Nach andern bei I. wurden siebenzig Mann getödtet; der erste Bote, welchen Mohammed an Chalid gesandt, hatte ihm nämlich den Befehl gebracht, Alles niederzuhauen, was ihm begegnet, statt: Niemanden zu tödten, der keinen Widerstand leistet; so daß Mohammed ihn auf Abu Sosians Bitte durch einen zweiten Boten zu sich rufen ließ. Nach I. erlaubte hingegen Mohammed selbst den Chuzaiten, sich an den Beni Bekr zu rächen, doch sollte eine Stunde nach dem Einzug, welcher nach den meisten Berichten am 20. Ramadhan stattfand, kein Blut mehr vergossen werden.
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ausdrücklichen Befehl den flüchtigen Feind nicht weiter verfolgen.
Als in der ganzen Stadt die Ordnung hergestellt war, begab sich Mohammed nach dem Tempel und umkreiste ihn siebenmal auf seinem Kameele, berührte jedesmal den heiligen Stein mit einem Stabe, den er in der Hand hatte, und zerbrach die Götzen, die um die Kaaba herum standen. Hierauf ließ er sich die Pforten des Tempels öffnen 343), dankte Gott
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343) Die Traditionen weichen von einander ab, ob man die Schlüssel mit Gewalt herbeischaffen mußte, oder ob Othman Ibn Talha, der bisherige Schlüsselbewahrer, sie gern hergab, und schon früher, gleichzeitig mit Chalid, zum Islamismus übergegangen und bei ihm in Medina geblieben war. Letzteres ist nicht wahrscheinlich, da doch gewiß die Kureischiten nach seiner Auswanderung den Tempel nicht geschlossen, sondern entweder die Schlüssel in seinem Hause holen, oder neue verfertigen ließen, also entweder seine oder andere Schlüssel vorhanden seyn mußten. Ich habe darum bei der Bekehrung Chalids und Amru's, Othmans nicht erwähnt, und gebe der Tradition den Vorzug, derzufolge Ali nach der Eroberung dem Othman die Schlüssel mit Gewalt entriß. Mohammed erstattete sie aber dann in Folge des im Tempel erschienenen 56. Verses der 4. Sura, Othman, ihrem früheren Besitzer wieder worauf er den Islam annahm. H. v. H. läßt (S. 170) Osman B. Talha's Bekehrung gleichzeitig mit der Chalids stattfinden, dann schreibt er (S. 175), ohne auch nur ein Wort in einer Note hinzuzusetzen: „Osman, der Sohn Ebi Talha's, in dessen Händen bisher die Schlüssel der Kaaba, weigerte sich dieselben herzugeben. Ali entriß sie ihm mit Gewalt, und gab sie dann auf Mohammeds Befehl in dessen Hände zurück, worauf der Schlüsselbewahrer der Kaaba ihm als Moslim dankte.“ I. macht ausdrücklich auf die Unvereinbarkeit der beiden Traditionen aufmerksam, und Ibn Hischam, der (fol. 186) Othmans Bekehrung mit der Chalid's berichtet, sagt bei Mohammeds Eintritt in den Tempel (fol. 219) nur, daß Ali die Schlüssel verlangte, Mohammed aber sie Othman wiedergab und ihn zum Bewahrer derselben einsetzte, nicht aber, daß sie von ihm genommen worden, weil er sie wahrscheinlich bei seiner Auswanderung zurückgelassen hatte, auch sagt er nicht, daß er bei dieser Gelegenheit Moslim ward. Djannabi bei Gagnier (II. 132) sucht den Widerspruch der beiden Traditionen dadurch zu heben, daß er Othman, nachdem er die Schlüssel wiedererhalten, sein Glaubensbekenntniß nur erneuern läßt; aber nicht nur das Wort aslama spricht gegen eine solche Deutung, sondern auch der Anfang der Tradition, wo Othman sagt: „Wüßte ich auch, daß er der Gesandte Gottes, so würde ich doch nicht gehorchen.“ Ich dachte zuerst, daß etwa Othman Ibn Talha, Ibn Abi Talha, mit seinem Oheim Othman Ibn Abi Talha verwechselt worden, daß Letzterer sich mit Chalid bekehrte, Ersterer aber, welcher Schlüsselbewahrer war, erst nachdem ihn Mohammed in seiner Würde bestätigte, den Islam annahm. Talha, der Aeltere, hatte nämlich nach I. zwei Söhne, von denen der eine auch Talha und der andere Othman hieß. Talha der Jüngere hatte auch einen Sohn mit Namen Othman. Dieser nannte sich also Ibn Talha Ibn Abi Talha, und jener blos Ibn Abi Talha. Ich fand aber dann bei I. und S. (fol. 225), daß Othman Ibn Abi Talha schon im Treffen bei Ohod geblieben, und sein Sohn Scheiba, der nach Othman des Neffen Tod Schlüsselbewahrer ward, deßhalb in der Schlacht von Honein Mohammed tödten wollte. Als Mohammed die Schlüssel Othman geben und Ali sie behalten wollte, erschien der Koransvers: „Gott befiehlt euch das anvertraute Gut denen zurückzugeben, denen es gehört u. s. w.“
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für seinen Beistand, dann ging er hinein, ließ das Bildniß Abrahams 344) und anderer Propheten und Engel, mit denen
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344) Nach I. war auch das Bildniß der Jungfrau Maria in der Kaaba. Nach Harawis Beschreibung der Kaaba auch das von Jesus. Beide erwähnt auch Burckhardt nach der Geschichte Mekka's von Azraki. S. Abulfeda ed. N. de V., p. 132. Beim Zerstören dieser Bildnisse sagte Mohammed: „Gott verderbe ein Volk, das Bildnisse macht von Dingen, die es nicht schaffen kann; sie wußten wohl, daß Abraham und Ismael nichts mit Pfeilen des Looses zu thun hatten, wie sie diese Bilder vorstellen.“
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das Innere der Kaaba geschmückt war, verwischen; erst nachdem dieß geschehen war, mußte Bilal zum Gebete rufen. Noch vor dem Gebete trat Abu Bekrs alter, blinder Vater in den Tempel und legte sein Glaubensbekenntniß ab. Mohammed sagte ihm: er hätte wohl zu Hause bleiben dürfen, er wäre zu ihm gekommen. Abu Bekr versetzte aber: es ziemt ihm eher dich zu besuchen, als daß du dich zu ihm bemühtest. Nach vollendetem Gebete fragte Mohammed die Häupter der Kureischiten, welche bei ihm im Tempel waren: Was glaubt ihr wohl, daß ich euch jetzt thun werde? Sie antworteten: nichts als Gutes, edler Bruder und edler Oheim! Geht! sagte Mohammed, ihr seid frei. Nur elf Männer und vier Frauen hatte Mohammed bei seinem Einzüge zum Tode verurtheilt, aber nur bei drei Männern und einer Frau ward das Urtheil wirklich vollzogen. Der Erste, welcher keine Gnade finden sollte, war Abd Allah Ibn Saad Ibn Abi Sarh, ein ehemaliger Sekretär Mohammeds , der aber manches von dem, was ihm Mohammed diktirte, willkührlich verändert hattet 345) und dann wieder als Abtrünniger nach Mekka entflohen war. Sein Milchbruder Othman, zu dem er sich flüchtete, legte aber Fürbitte für ihn ein, welche auch Mohammed, nach langem Zögern, in der Hoffnung, einer seiner Getreuen würde ihn erschlagen, endlich annahm 346). Der Zweite war Abdallah Ibn Chatal,
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345) Sollte man nicht daraus schließen, daß Mohammed nicht lesen konnte? wie hätte Abd Allah es sonst wagen können, etwas zu verfälschen? Nach I. veränderte er indessen nur die Worte, welche gewöhnlich am Schlusse der Verse stehen: Wie „Gott ist allweise, allwissend“ und dergl. und sagte dann: Mohammed weiß selbst nicht, was ihm geoffenbart wird.
346) Es heißt wörtlich bei S., I. und Abulfeda: „Der Prophet schwieg lange, zuletzt begnadigte er ihn und er ward Muselmann. Dann sagte er (Mohammed) zu seinen Gefährten: ich habe geschwiegen, damit einer von euch aufstehe und ihn erschlage. Sie versetzten: warum hast du uns keinen Wink gegeben? Er antwortete: es ziemt nicht einem Propheten jemanden durch einen Wink tödten zu lassen.“ So bei S. Alnabijju la iaktulu bilischârati. Bei Abulfeda sagt er: Propheten üben keinen Verrath mit den Augen. Dafür liest man bei H. v. H. (S. 176) : „Jetzt flüchtete er zu seinem Milchbruder Othman, der zwei Mal fürbat, ohne daß Mohammeds Schweigen die Bitte gewährte; das dritte Mal gewährte er sie, aber kaum war Othman hinausgegangen, als Mohammed sagte: Ist denn keiner hier, der mich von diesem Hunde befreie? Die gewöhnliche Formel, mit welcher er Meuchelmord veranlaßte, den er nicht befohlen haben wollte. Beschrs Eifer vollzog denselben.“ Dieß ist gegen alle Quellen, welche berichten, Abd Allah habe bis zum Chalifate Othmans gelebt, der ihn zum Statthalter von Egypten ernannte, was großes Murren verursachte. Ja H. v. H. selbst schreibt im Leben Othmans (S. 304): „Noch im selben Jahre änderte Osman den Statthalter von Egypten, Amru's, des Sohnes des Aaß, Stelle dem Abdollah Ben Saab Ben Serih verleihend.“ Es heißt bei I., daß Mohammed während seines Schweigens besonders von Ammar Ibn Baschr erwartete, daß er Abdallah erschlagen würde, weil er früher es gelobt hatte.
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der ebenfalls sich früher bekehrt hatte, dann aber auf einer Reise die er machte um Almosen zu sammeln, einen andern Muselmann, den ihm Mohammed als Diener mitgegeben, weil er ihm etwas nicht gekocht, was er gewünscht hatte, erschlug und darauf wieder nach Mekka als Abtrünniger entfloh. Auch seine beiden Sängerinnen , die gemeinschaftlich mit ihm Spottgedichte gegen Mohammed dichteten, wurden zum Tode verurtheilt. Abdallah wurde aus der Kaaba geholt und umgebracht. Auch an einer der Sängerinnen ward das Todesurtheil vollzogen, die andere flehte aber um Gnade, die ihr Mohammed auch gewährte 347). Der Dritte war Huweirath, der Sohn Nufeils, welcher einer der heftigsten Verfolger Mohammeds war so lange er sich noch in Mekka aufhielt und auch das Kameel stieß und umwarf, auf welchem Fatima und Um Kolthum, die beiden Töchter Mohammeds, von Mekka
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347) S., I. und Abulfeda, die Begnadigung der Einen aber nur bei I. und S. fol. 218.
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nach Medina reisten. Ali erschlug ihn am Tage der Eroberung. Der Vierte war Mikjas, Sohn Subabas. Diesem wurde ein Bruder auf dem Feldzug gegen die Beni Mußtalik, aus Versehen, von einem andern Muselmanne getödtet. Mohammed nöthigte ihn, die gewöhnliche Sühne an Mih'as zu entrichten. Nachdem aber Mikjas das Geld empfangen, erschlug er doch meuchlings den unschuldigen Muselmann und entfloh nach Mekka. Er saß beim Weine mit einigen Kureischiten als sein Vetter Numeila ihn auf Mohammeds Befehl erschlug 348). Der Fünfte, Habbar Ibn Aswad, hatte unter andern Bosheiten, die er gegen Mohammed und seine Familie ausübte, auch einst das Kameel, auf welchem seine Tochter Zeinab ritt, zum Fallen gebracht, und Zeinab starb in Folge der bei diesem Sturze erlittenen Verletzung. Habbar ward jedoch später wieder begnadigt 349). Der Sechste war Akrama, der Sohn Abu Djah'ls, der nicht weniger als sein Vater Mohammed haßte und anfeindete und noch bei Chalids Einzug Widerstand leistete. Als er sich von seinen Truppen verlassen sah, ergriff er die Flucht, und wollte sich nach Jemen einschiffen. Aber seine Gattin Um Hakim flehte Mohammed um Gnade für ihn an und er ward bald einer der frommsten Muselmänner und der tapfersten Krieger unter den muselmännischen Truppen. Auch Safwan, der Sohn Ommejja's, welcher mit Akrama am Tage der Eroberung noch gekämpft hatte und ebenfalls von der Amnestie ausgeschlossen war, wurde durch die Fürbitte seines Vetters Omeir, Ibn Wahb von Mohammed begnadigt. Eben so die beiden
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348) I. Dafür hat H. v. H. (S. 176): „Mikjas, der Sohn Ssabades, war ein Abtrünniger, der am Tage der Eroberung Wein trank, und ihn in seinem Tode durch die Blutschuld eines Mordes büßte.“???
349) So bei I., auch bei Gagnter (N. 139), welche Mohammeds Worte bei der Begnadigung anführen. Nicht wie bei H. v. H. a. a. O., nach welchem er von einem der Gefährten erschlagen wurde. S. erwähnt Habbar gar nicht, gewiß ein Beweis, daß er nicht hingerichtet ward.
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Satyriker Harith Ibn Hischam, ein Bruder Abu Djahls und Zuheir Ibn Ommejja 350), welche Umm Hani, die Schwester Alis, unter ihren Schutz nahm. Kaab 351), der Sohn Zuheirs, ein anderer zum Tode verurtheilter Dichter, rettete sich durch die Flucht, und ward im folgenden Jahre, weil er Mohammeds Lobsänger geworden, nicht nur begnadigt, sondern auch ehrenvoll beschenkt. Wahschi war der elfte von der Begnadigung ausgeschlossene, weil er Hamza bei Ohod erschlagen hatte, doch auch er fand später Gnade bei Mohammed. 352). Die beiden Frauen, welche Mohammed außer den schon genannten Sängerinnen tödten lassen wollte, waren Hind, die Gattin Abu Sosians, und die Sängerin Sara 353), welche Hatibs
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350) So bei S. (fol. 218) und I. Letzterer bemerkt aber dabei, daß Azraki in seiner Geschichte Mekkas, an Zuheir Ibn Abi Ommejja's Stelle, den Dichter Abd Allah Ibn Rabia nennt. Sie suchten bei Um Hani Schutz, weil sie dem Stamme Mahzum angehörten, aus dem auch ihr Gatte war.
351) Nicht „Soheir, der Sohn Kaabs,“ wie bei H. v. S. (S. 177). Diesem Dichter schenkte Mohammed, während er sein Lobgedicht recitirte, seinen Mantel (burda) vom Leibe, daher auch das Gedicht, welches uns erhalten, auch gedruckt und übersetzt wurde, den Namen burda führt. (S. Caabi Ben Sohair carmen in laudem Muhammedis dictum denuo multis conjecturis emendatum, latine versum etc., ed. G. W. Freytag. Halae 1823).
352) Er kam später mit andern Bewohnern Taïfs, wohin er sich geflüchtet hatte, zu Mohammed, und legte vor ihm das Glaubensbekenntniß ab, ehe er erkannt ward. Mohammed ließ sich dann von ihm erzählen, wie er Hamza erschlagen, wollte ihn aber nachher nicht wieder sehen. Unter Omar ward er mehrere Male als Trunkenbold gegeißelt. I.
353) S. a. a. O., I. und Abulfeda (S. 94 in der Ausgabe von N. de V.) Hier liefert H. v. H. ein Seitenstück zu Abd Allah (S. die Anm. 346), indem er (S. 171) die Ueberbringerin des Briefes, die er Saa nennt , zu Sul-Halifet, wo man den Brief auf ihr fand, zusammenhauen läßt, und S. 177 schreibt: „Saa, eine Freigelassene Abd Mottalibs, litt den über sie verhängten gewaltsamen Tod, doch sind die Quellen über die Zeit desselben uneins.“ Er hätte doch schon aus Abulfeda sehen sollen, daß diese Sara dieselbe ist, welche Hatibs Brief überbrachte. Ihre Begnadigung liest man bei I. und S. Sie ward nach Letzterem unter dem Chalifate Omars von einem Pferde getreten und starb in Folge der dabei erhaltenen Verletzung.
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Brief überbringen wollte. Sie hatte sich, als der Brief bei ihr gefunden ward, zum Islam bekehrt, entfloh aber bald nachher nach Mekka und sang wieder Spottlieder gegen Mohammed. Sie wurde indessen zum zweitenmale begnadigt, und auch an Hind ward das Todesurtbeil nicht vollzogen 354).
Als Mohammed im Tempel gebetet und die Häupter der Kureischiten zur Gottesfurcht ermahnt und beruhigt hatte, bestieg er den Hügel Safa, und sah, nach einem stillen Gebete, so voller Rührung nach dem Tempel und in die Stadt hinab, daß einige Medinenser unter sich sagten: der Gesandte Gottes liebt mit ganzer Seele seine Heimath und seine Stammgenossen, wer weiß, ob er sie je wieder verlassen wird! Mohammed,
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354) Hind kam verkleidet vor Mohammed und legte das Glaubensbekenntniß ab, dann gab sie sich erst zu erkennen und ward begnadigt. Harith fand aber Gnade, noch ehe er Muslim ward, denn als Bilal von der Kaaba herab zum Gebete rief, befand er sich mit Abu Sosian und Attab Ibn Useid in einem Winkel des Tempels; da sagte Letzterer: „Gott war doch gnädig gegen meinen Vater Useid, daß er ihn dieß nicht mehr anhören ließ.“ Harith sagte darauf: „Bei Gott, wüßte ich, daß es wahr wäre (was Bilal verkündet), so würde ich ihm folgen.“ Abu Sosian sagte: „Ich schweige, denn diese Steine würden meine Worte Mohammed hinterbringen.“ Dieses Gespräch kam in der That Mohammed zu Ohren, er ging auf sie zu, und wiederholte ihnen, was sie gesagt. Da legten Harith und Attab ihr Glaubensbekenntniß ab, und sagten, setzt Ibn Hischam (fol. 219) hinzu: „Bei Gott, das konnte dir Niemand sagen, denn wir waren allein.“ Manche zählen noch einige andere zu den genannten elf Verurtheilten; gewiß ist, daß noch einige besonders um Gnade anhielten, vielleicht aber nur wegen des Bewußtseins ihrer früheren Schuld, ohne daß Mohammed sie ausdrücklich von der Begnadigung ausgeschlossen hatte.
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der dieß hörte , ging auf sie zu und sagte ihnen: ich habe bei eurer Huldigung euch geschworen mit euch zu leben und zu sterben, ich wäre nicht Gottes Diener und sein Gesandter, wenn ich euch jetzt verließe. Er ließ sich dann auf diesem Hügel nieder und empfing die Huldigung der Mekkaner, welche schaarenweise herbeiströmten, um ihn als Gesandten Gottes anzuerkennen und den Götzendienst abzuschwören. Hier sagte er einem Manne, der sich ihm zitternd nahte: sei unbefangen, ich bin kein König, ich bin der Sohn einer Frau aus dem Stamme Kureisch, welche in der Sonne getrocknetes Fleisch aß. Die Männer mußten zu dem gewöhnlichen Glaubensbekenntnisse noch hinzu setzen, daß sie jeden heiligen Krieg mitzukämpfen sich verpflichten, und die Frauen: daß sie seine Vorschriften befolgen, nicht stehlen, nicht buhlen, ihre Kinder nicht tödten, nicht lügen und bei Trauerfällen weder ihre Kleider zerreißen, noch ihre Haare ausraufen oder sich das Gesicht verkratzen wollten 355).
Am folgenden Tage, als einige Chuzaiten in Mekka einen aus dem mit den Beni Bekr verbündeten Stamme Hudseil erschlugen, begab sich Mohammed wieder in den Tempel und hielt folgende Anrede an das versammelte Volk: „O ihr Leute! Gott hat die Stadt Mekka geheiligt an dem Tage, als er Himmel und Erde, Sonne und Mond erschuf, und sie bleibt ein Heiligthum bis zum Tage der Auferstehung. Wer an Gott und den letzten Tag glaubt, darf kein Blut darin vergießen und keinen Baum fällen; es war Niemanden vor mir erlaubt und wird es
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355) So bei I. Im Koran Sura 60, Vers 12, wo Gott Mohammed vorschreibt, wie er sich von Frauen huldigen lassen soll, ist von den Beschränkungen der Trauer keine Rede. Derselbe erzählt auch, daß Hind nach ihrer Begnadigung sich manche witzige Bemerkung über diese Huldigungsformel erlaubte. Zu den Worten „buhlet nicht,“ sagte sie: „Das brauchst du einer tugendhaften Frau nicht zu verbieten, sie mag eine Gläubige oder Ungläubige seyn.“ Zu dem Verbote des Kindermordes bemerkte sie : „Sehr gut, wir sollen unsere Kinder, so lange sie noch klein sind, schonen, und er läßt sie dann umbringen, wenn sie erwachsen sind u. dgl. m.“
Leben Mohammeds.
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auch keinem mehr nach mir werden, und selbst mir war es nur am Tage der Eroberung bis zum Nachmittagsgebete gestattet. Diese Stadt bleibt aber von nun an wieder so heilig, wie sie es ehedem war, dieß verkündige der Anwesende von euch den Abwesenden. Sagt jemand: der Prophet hat doch auch Blut darin vergießen lassen, so antwortet ihm: Gott hat es seinem Gesandten erlaubt, euch aber nicht. Enthaltet euch des Mordens, ihr Chuzaiten, denn es ist schon zu viel Blut geflossen; ich werde die Blutsühne bezahlen für den Mann, den ihr jetzt erschlagen, begeht ihr aber nach dieser Stunde wieder eine Mordthat, so werde ich seinen Verwandten die Wahl lassen, ob sie den Mörder tödten oder ein Lösegeld annehmen wollen.“ 356)
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356) Dieß stimmt ganz mit dem 179. Vers der zweiten Sura überein, welcher lautet: „O ihr, die ihr glaubet! Bei Mordthaten ist euch das Vergeltungsrecht vorgeschrieben. Der Freie sterbe für die Ermordung eines Freien, der Sklave für die eines Sklaven, und ein Weib für die eines Weibes. Erlassen aber die Verwandten des Ermordeten dem Mörder die Todesstrafe, so sollen sie mit Milde ihn wegen der Sühne belangen, und er sie in Güte bezahlen; das ist eine Erleichterung von eurem Herrn und eine (gegen euch waltende) Barmherzigkeit. Wer aber nach empfangener Sühne sich dennoch rächt, den trifft schwere Pein.“ Ich habe diesen Vers etwas freier als sonst wiedergegeben, weil er wörtlich übersetzt gar keinen Sinn gibt. Zu den Worten „Weib für Weib“ bemerkt Djalalein, daß die mündliche Tradition sie nur als allgemeine Regel der Gleichheit zwischen Mörder und Ermordetem betrachtet, und besonders daraus schließt, daß kein Gläubiger für einen Ungläubigen getödtet werde, wohl aber ein Mann für die an einem Weibe begangene Mordthat. Die Sühne für ein Weib beträgt jedoch nur die Hälfte von der eines Mannes, nämlich fünfzig Kameele. Diesem Verse zufolge bleibt es demnach den Verwandten des Ermordeten überlassen, ob der Mörder mit dem Tode bestraft werden soll oder nicht, und das nennt der Koran eine „Erleichterung“ im Verhältnisse zum mosaischen Gesetze, das immer ein Leben für das andere fordert. (Vergleiche Michaelis mosaisches Recht, II. S. 421 und VI. S. 37). Auch bei Verletzung eines Gliedes läßt Mohammed dem Beschädigten die Wahl, ob der Thäter auf gleiche Weise verstümmelt werden, oder ob er eine Sühne bezahlen soll. Auch hierin war Moses strenger, indem er für alle Fälle volles Vergeltungsrecht walten ließ. Die spätern Rabbinen hingegen ließen, selbst wenn der Verletzte es begehrte, den Thäter niemals körperlich bestrafen, sondern nöthigten ihn nur so viel zu bezahlen, als der Beschädigte durch die Verstümmelung zum Verkaufe als Sklave weniger Werth geworden. Wegen dieser Abweichung vom mosaischen Gesetze tadelt der Koran die Juden im 53. Verse der 5. Sura, welcher lautet: „Wir haben ihnen (den Juden) in ihrer Schrift verordnet : Leben für Leben, Aug für Aug, Nase für Nase, Ohr für Ohr, und (überhaupt) Vergeltung für jede Wunde. Wer sie (die Vergeltung) aber freiwillig erläßt, dem wird Gott (auch) seine Sünden verzeihen, wer nicht nach den göttlichen Offenbarungen entscheidet, ist ein Frevler.“ Die Worte waman tasaddaka u.s.w. lauten wörtlich nach Djalalein bei Maraccius: „Sed qui eleemosynam fecerit de ea (idest poena) haec erit expiatio illi (idest si laesus condonet hanc injuriam laedenti, haec condonatio inserviet pro expiatione peccati laedentis seu illius qui laesus fuit.“) Ich halte aber letztere Erklärung für die allein richtige. Ganz verfehlt ist Geigers Uebersetzung (S. 200): „Wer sich mit einem Almosen abfinden läßt, so sey ihm dieß Sühnung,“ denn das Wort tasaddaka heißt etwas herschenken, hier dem Thäter die Strafe, nicht Almosen annehmen. Unverständlich ist die Ullmanns: „Sollte aber einer dasselbe als Almosen zurückgeben, so mag es zu seiner Versöhnung angenommen werden.“ (Soll sich das Fürwort dasselbe auf das Wort Leben des vorhergehenden Verses beziehen??) Nach I. soll Mohammed bei diesem Vorfalle gesagt haben: „Wollte ich einen Muselmann für einen Ungläubigen hingeben, so würde ich Hirasch (so hieß der Mörder) mit dem Tode bestrafen.“ Nach demselben gab Mohammed auch noch folgende Gesetze an diesem Tage: „Leute verschiedenen Glaubens sollen einander nicht erben. Man soll keine Tante und Nichte zugleich heirathen. Wer eine Forderung macht, muß Beweise bringen, und wer sie läugnet, soll schwören. Eine Frau darf ohne Verwandten keine dreitägige Reise machen. An den beiden Festtagen ist es verboten zu fasten.“
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Minder heilig war für Mohammed die Stadt Mekka in sittlicher Beziehung, da er wieder auf einige Zeit eine Art
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Miethehe gestattete, welche er während des Feldzugs von Cheibar verboten hatte 357). Sie bestand darin, daß ein Mann gegen einen Lohn sich aus eine bestimmte Zeit mit einer Frau ohne Ehevertrag verband, und sie nach Ablauf dieser Zeit wieder ohne weitere Formalität entließ.
Mohammed blieb fünfzehn bis achtzehn 358) Tage in Mekka und sandte während seines Aufenthalts verschiedene seiner Feldherrn in die Umgegend, um die Götzenbilder zu zerstören und die Araber zu seinem Glauben aufzufordern. Amru Ibn Aaß erhielt den Auftrag, den Götzen Suwa zu zerstören, welcher von dem Stamme Hudseil verehrt ward. Der Diener dieses Götzen bekehrte sich zum Islam, als er sah, daß er den Streichen Amru's nicht widerstehen konnte.
Saad Ibn Zeid ward an die Meeresküste gesandt, um das dort aufgestellte Götzenbild Mana, welches von den Stämmen Aus und Chazradj angebetet ward, zu Boden zu werfen; als er darauf zuging, sprang ein schwarzes, nacktes Weib hervor, mit fliegenden Haaren, schlug die Hände über einander, und schrie: Wehe! Wehe! Saad haute sie mit seinem Schwerte zusammen, und ließ die Kapelle einreißen.
Den Götzen Uzza, der in Nachla einen Hain hatte, nach welchem die Kureischiten wallfahrten, sollte Chalid Ibn Walid zernichten. Er ritt mit dreißig Mann nach Nachla und zerstörte diesen Hain mit seinem Götzen, und kehrte wieder nach Mekka zurück. Da fragte ihn Mohammed : Hast du Jemanden gesehen? Er antwortete: nein. So kehre noch einmal dahin zurück! Chalid begab sich in aller Eile noch einmal nach Nachla, und dießmal fand er die Priesterin, welche mit fliegenden Haaren umherlief, sich Erde auf den Kopf streute, und
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357) Nach I. blieb diese Art Heirath (mat‘u) das ganze Jahr hindurch erlaubt.
358) Bei S. (fol. 223) fünfzehn Tage, bei I. aus Buchari achtzehn Tage.
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rief: O Uzza! o Geliebte! Er theilte sie mit seinem Schwerte in zwei, und erstattete Mohammed Bericht davon, welcher ihm sagte: dießmal hast du Uzza zernichtet.
Kaum war er von dieser Sendung zurück, befahl ihm Mohammed, an der Spitze von dreihundertundfünfzig Mann, einen Streifzug nach der Provinz Tehama zu unternehmen, um die dortigen Araber für den Islam zu gewinnen. Als er aber das Gebiet der Beni Djadsima betrat, welche in der Gegend von Jalamlam, zwei Tagereisen südlich von Mekka, wohnten, ritten sie ihm bewaffnet entgegen; denn obgleich sie schon Muselmänner waren, trauten sie doch weder ihm, noch den Beni Suleim, aus denen ein Theil seiner Mannschaft bestand, weil sie ehedem seinen Oheim und einige Männer von den Beni Suleim, auch Auf, den Vater Abd Arrahmans, der ebenfalls bei Chalid war, erschlagen hatten. Chalid drohte ihnen, er würde sie als Feinde behandeln, wenn sie nicht absteigen; kaum war aber ein Theil von ihnen abgestiegen, als er sie von seinen Kriegern umzingeln und gefangen nehmen ließ. Er fragte sie dann: seyd ihr Gläubige oder Ungläubige? sie wollten antworten: wir sind Gläubige, statt aber den bei den Mohammedanern üblichen Ausdruck „aslamna“ (wir sind Muslim geworden) zu gebrauchen, sagten sie aus alter Gewohnheit: „Saba‘na“ (wir sind von unserm frühern Glauben abtrünnig geworden); dieses Wort genügte dem rachsüchtigen und grausamen Feldherrn, um den Befehl zu ertheilen, die Gefangenen niederzumetzeln, der jedoch nicht allgemein befolgt ward 359).
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359) Ueber diesen Zug Chalids liest man bei I.: „Als die Beni Djadsima erfuhren, daß Chalid mit den Beni Suleim heranziehe, bewaffneten sie sich, und ritten ihm entgegen. Chalid sagte ihnen: bekehret euch zum Islam! Sie antworteten: wir sind Muselmänner. „So werfet eure Waffen weg und steigt ab!“ „Das thun wir nicht, denn bei Gott, unserer harrt nur der Tod, wenn wir die Waffen ablegen, denn wir trauen weder dir, noch dem, der dich gesandt.“ „Ihr findet keine Gnade, wenn ihr nicht absteiget.“ Ein Theil von ihnen stieg dann ab, und Chalid ließ sie gefangen nehmen, die übrigen aber zerstreuten sich. Nach einer anderen Riwajat sagte ihnen Chalid: was seyd ihr? Muselmänner oder Ungläubige? sie sagten: Muselmänner, wir beten, glauben an Mohammed, haben eine Moschee gebaut und lassen zum Gebete rufen.“ Nach einem andern Ausdrucke der Ueberlieferung konnten sie nicht gut sagen: wir haben uns zum Islam bekehrt, und sagten daher, wir haben unsern frühern Glauben verändert. (Lam juhsinu an jakûlu aslamna fakálu saba‘na. Diese Worte, welche auch Gagnier zu Abulfeda S. 111 aus Buchari anführt, übersetzt er unrichtig: „At illis non placuit dicere: Islamismum amplectimur. Quin contra dicere exorsi sunt: Sabaïsmum profitemur.“) „Was wollt ihr denn mit euern Waffen?“ fragte dann Chalid. „Wir haben Feinde unter den Arabern, von denen wir einen Ueberfall besorgten.“ „So leget sie ab !“ Als sie dieß gethan, ließ sie Chalid binden und unter seine Gefährten vertheilen. Am folgenden Morgen ließ er ausrufen: wer einen Gefangenen bei sich hat, der bringe ihn um! aber die Ausgewanderten und Hülssgenossen gehorchten nicht, sondern ließen sie frei. Bei S. (fol. 222) heißt es nur: „Chalid betrat das Gebiet der Beni Djadsima, und tödtete einige von ihnen.“ Bei Abulfeda: „Die Beni Djadsima kamen ihm bewaffnet entgegen. Da sagte ihnen Chalid: legt die Waffen ab — denn diese Leute hatten sich schon zum Islam bekannt — sie legten die Waffen ab. Chalid ließ sie aber fesseln, und gab sie dem Schwerte Preis.“ Diese Stelle haben Gagnier, Reiske und Noel des Vergers unrichtig übersetzt, indem sie die Worte fainna-n-nâsa kad aslamu als Aufforderung Chalids und nicht als Zwischensatz betrachtet. Letzterer übersetzt: „Il les engagea à déposer leurs armes et à embrasser l‘Islamisme comme les autres.“ Nach den angeführten Quellen halte ich den Hergang der Sache, so wie ich ihn angegeben, für den wahrscheinlichsten.
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Als Mohammed von Chalids blutdürstigem Verfahren unterrichtet ward, hob er die Hände gen Himmel, und rief: „Gott, ich bin rein vor dir, und habe keinen Antheil an dem, was Chalid gethan.“ Er sandte dann Ali zu den Beni Djadsima, um ihnen die Sühne für die Erschlagenen zu bezahlen, und das, was ihnen geraubt worden, zu ersetzen. Chalids Arm war ihm aber zu unentbehrlich, als daß er ihn so bestraft
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hätte, wie er es verdiente 360). Als er jedoch die Schuld auf Abd Arrahman Ibn Auf, einen der ältesten Muselmänner, wälzen wollte, sagte ihm Mohammed: „Chalid, lasse meine Gefährten! denn wenn du auch einen Haufen Gold, so groß wie der Berg Ohod, für göttliche Zwecke verwenden würdest, so könntest du doch nicht das Verdienst eines einzigen ihrer Morgen- oder Abendgänge erreichen.“
Die Züge Chalids und anderer mohammedanischen Feldherrn in der Umgebung von Mekka ließen die entfernteren arabischen Stämme des Hedjas nicht mehr zweifeln, daß früh oder spät auch sie einen Angriff zu erwarten hätten, wenn sie nicht ihre Freiheit und den Glauben ihrer Väter opfern wollten. Die kriegerischen Stämme Thakif, Hawazin und einige andere 361) faßten daher den Entschluß, gegen Mohammed ins
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360) Mohammeds Nachsicht gegen Chalid ward auch von Abu Bekr nachgeahmt, als er unter dessen Chalifat Malik Ibn Nuweira erschlug, obschon er sich zum Islam bekannte, und nur Almosen verweigerte. Wie dießmal aus Privatrache, so benützte dort Chalid aus Lüsternheit zu Maliks Frau, ein einziges ihm entschlüpftes Wort, um ihn mit dem Tode zu bestrafen. Chalid sagte ihm nämlich: Gebet und Almosen gehören zusammen, das Eine wird ohne das Andere nicht angenommen. Darauf fragte Malik: „Hat das euer Herr (Mohammed) befohlen?“ „So nennst du ihn also nur unsern Herrn und nicht auch den Deinigen?“ unterbrach ihn Chalid, und ertheilte den Befehl zu dessen Hinrichtung. (S. Abulfeda ed. Reiske I. 214). Chalid nahm dann — so berichtet I. an dieser Stelle — Maliks Haupt, und gebrauchte ihn mit zwei anderen Steinen als Unterlage für den Kessel, in welchem für ihn Fleisch gekocht ward. Omar sagte nach diesem Vorfalle zu Abu Bekr: „Setze ihn ab, denn sein Schwert hat eine Scharte!“ Der Chalif antwortete aber: „Ich habe gehört, wie der Gesandte Gottes sagte: Chalid ist ein vortrefflicher Diener Gottes und Freund seiner Stammgenossen; er ist eines der Schwerter Gottes, welches Allah gegen die Ungläubigen und Heuchler gezogen.“
361) Bei S. (fol. 223) werden noch die Stämme Naßr, dem Malik Ibn Auf angehörte, Djuscham, aus welchem Dureid war, Saad, bei denen Mohammed als Säugling sich aufhielt, und ein Theil der Beni Hilal genannt. Hingegen wird bemerkt, daß die Beni Kaab und Kilab keinen Antheil am Kriege nahmen, obgleich sie auch zu Hawazin gehörten. Auch sagte Dureid, als er dieß hörte, zu Malik : „Die Schärfe und die Anstrengung fehlt (alhaddu waldjiddu), wäre es ein Tag der Ehre und des Ruhms, so würde Kaab und Kilab nicht zurückbleiben; ich wollte, ihr hättet euch an diesen Beiden ein Beispiel genommen.“
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Feld zu ziehen, bevor er durch einen längern Aufenthalt in Mekka seine Streitkräfte noch vermehre. Sie ernannten Malik Ibn Auf zu ihrem Oberhaupte, der, um der größten Anstrengung und Ausdauer seiner Leute sicher zu seyn, trotz dem Widerspruche des alten kriegskundigen Dureid, ihnen befahl, ihre Frauen und Kinder und ihre ganze Habe mitzuführen. Sobald Mohammed durch seinen Kundschafter, Abd Allah Ibn Abi Hadr, von ihrem Vorhaben Nachricht erhielt, versammelte er die Krieger, die mit ihm in Medina ausgezogen, und denen sich zweitausend Mekkaner, worunter noch achtzig Ungläubige, anschlossen, in der Absicht, gegen das Thal Autas 362) zu rücken, wo der Feind sein Lager hatte. Als er aber in das Thal Honein 363) kam, ward er so unerwartet, und mit einer solchen Heftigkeit von dem Feinde angegriffen, der sich aller Pässe bemeistert, die Hügel mit Schützen besetzt und in verschiedenen Schluchten aufgelauert hatte, daß sich ein panischer Schrecken seiner ganzen Armee bemeisterte, und jeder nur in der Flucht sein Heil suchte. Die Muselmänner, denen zwar nur drei Mann getödtet, wahrscheinlich aber sehr viele verwundet wurden, befanden sich in einer solchen Bestürzung, daß schon manche Kureischiten, welche ihm gefolgt waren, es wagten, ihre Freude über diese Niederlage laut werden zu lassen. So sagte Abu
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362) Autas, ein Thal, das den Beni Hawazin gehörte, liegt zwischen Dsat Irk und Djamra. Vergl. Abulfeda ed. N. S. 134.
363) Ueber Honein liest man bei I.: „Der Name eines Ortes in der Nähe von Taïf, nach Einigen in der Richtung von Dsu'l Madjaz, wo während des Heidenthums eine Messe gehalten wurde; nach Andern ist Honein der Name eines Bezirks zwischen Mekka und Taïf.“
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Sofian Ibn Harb: „Ich denke, sie werden bis an das Meeresufer fliehen.“ Djabala, ein Bruder Safwans, der sich noch als Heide der muselmännischen Armee angeschlossen hatte, sagte: „Heute wird Mohammeds Zauber schwinden.“ Scheiba, der Sohn Othmans Ibn Abi Talha, dessen Vater im Treffen bei Ohod geblieben, sagte: „Heute will ich Rache nehmen, heute will ich Mohammed erschlagen.“ 364) Ein kleines Häuflein 365), über dessen Zahl die Traditionen von zehn bis dreihundert von einander abweichen, harrte jedoch bei Mohammed aus, welcher zu wiederholten Malen rief: „Ich bin der Gesandte Gottes, ich bin Mohammed, der Sohn Abd Allahs, ich bin der Diener Gottes und sein Gesandter. Ich bin der Prophet, der nicht lügt, ich bin der Sohn Abd Almuttalibs.“ 366) Da Mohammeds Ruf von Niemanden gehört ward, schrie Abbas, der eine so starke Stimme hatte, daß man sie in einer Entfernung von vier Stunden vernahm, auf seinen Befehl: „O ihr Auswanderer und Hülfsgenossen, die ihr Mohammed bei Hudeibia gehuldigt! Herbei ihr Besitzer der (zuerst in Medina erschienenen) Sura der Kuh!“ Dieser Nothruf ward vernommen, die Tapfersten und Muthigsten eilten herbei, und fielen aufs Neue über den Feind her, und schlugen ihn zurück. Mohammed selbst blieb indessen in Honein, und sandte Abu Amir an der Spitze der Truppen in das Thal Autas, wo die
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364) S. fol. 225.
365) Unter ihnen war Abu Sosian Ibn Harith und sein Sohn Djafar, Abu Bekr, Omar, Ali, Abbas und sein Sohn Fadhl, Rabia Ibn Harith, Usama Ibn Zeid und Eiman. S. a. a. O.
366) Da diese Worte im Arabischen einen Vers bilden, von Mohammed aber behauptet wird, er habe nie Verse gemacht, so nehmen einige Biographen an, daß der Ausdruck Vers nur auf absichtlich gedichtete Verse paßt, nicht aber auf einen Satz, welcher zufällig einen Vers bildet. Nicht wie bei H. v. H., nach welchem (S. 179) die Biographen sich streiten, „ob sie trotz der Reime und des Sylbenmaaßes Poesie oder göttliche Eingebung.“ Es heißt bei I.: „Ma warada mauzûnun la an kassdin, la jukâlu lahu schi‘run.“
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Beni Hawazin versammelt waren. Abu Amir ward während des Kampfes tödtlich verwundet, aber sein Vetter, Abu Musa, trug einen vollständigen Sieg davon; siebenzig der Ungläubigen wurden erschlagen, die übrigen ergriffen die Flucht, und überließen einen großen Theil ihrer Frauen und Kinder und ihre ganze Habe den Muselmännern. Unter den Getödteten war auch Dureid, der in einer Sänfte der Armee gefolgt war. Der Muselmann, der dessen Kameel anhielt, schlug mit einem schlechten Schwerte auf ihn drein. Da sagte ihm Dureid: „Wie schlecht hat dich deine Mutter mit Waffen versehen! Nimm doch lieber mein eigenes Schwert, und schlage so, daß es weder die Knochen (der Brust), noch das Hirn treffe.“ Auch sagte er ihm, als er hörte, er sey einer von den Beni Suleim: „Erzähle deiner Mutter, du habest Dureid, den Sohn Simma's, getödtet, vielleicht kennt sie mich, denn ich habe wahrlich an manchem Schlachttage schon eure Frauen beschützt.“ Er hatte sich nicht geirrt, denn als der Sulamite seiner Mutter sagte, er habe Dureid erschlagen, schrie sie : „Bei Gott, der hat drei deiner Mütter 367) aus Feindes Hand befreit.“ Unter den Gefangenen war eine Milchschwester Mohammeds, welcher er die Wahl ließ, ob sie bei ihm bleiben, oder zu den Ihrigen zurückkehren wolle. Im Koran heißt es von diesem Feldzuge,
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367) So bei S. (fol. 227), wahrscheinlich seine beiden Großmütter und eine Urgroßmutter, oder drei andere Frauen seines Vaters. S. erzählt dann ferner: als er niederfiel und sich entblößte, war sein Sitzplatz und das Innere seiner Schenkel vom vielen Reiten wie Papier. (Idjanuhu wabutunu fachdseihi mithla-l-kirtâsi min rukûbi-l-cheili). Daraus entstand wahrscheinlich folgender Satz bei Gagnier (II. 169): „Le corps fut incontinent dépouillé, et les chevaux et les chariots lui passant dessus le ventre, sa carcasse demeura écrasée et applatie comme une feuille de parchemin battue.“ Das Ganze hat freilich keinen historischen Werth, es diene nur als Beispiel, wie selbst gelehrte und sonst gewissenhafte Orientalisten leicht auf Irrwege gerathen können, wenn sie sich nicht von jedem Worte des Textes Rechenschaft zu geben suchen, und sich mit einem à peu près begnügen.
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welcher der von Honein, Autas oder Hawazin genannt wird: „Gott ist euch an vielen Orten beigestanden, so auch an dem Schlachttage von Honein, als ihr stolz waret auf eure große Zahl, die euch aber nichts half. Die Erde ward euch bei all ihrer Weite zu eng, und ihr kehrtet dem Feinde den Rücken. Gott ließ dann einen Geist der Ruhe (Sekina) über seinen Gesandten und die Gläubigen herab, und sandte unsichtbare Schaaren, um die Ungläubigen zu züchtigen.“ 368)
Nachdem die Hawazin vollkommen besiegt waren, blieb Mohammed nur noch die Unterwerfung der Thakisiten übrig, welche sich in die befestigte Stadt Taïf geworfen hatten. Er ließ daher auf den Rath des Persers Salman 369) die nöthigen
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368) Sura 9, Vers 26 u. 27. Der Legende zufolge hob Mohammed auch hier, wie bei Bedr, eine Hand voll Kies von der Erde auf und schleuderte sie gegen den Feind.
369) Dieser Salman, derselbe, der auch bei der Belagerung von Medina den Rath ertheilte, die Stadt mit einem Graben zu umgeben, war nach S. fol. 30 u. ff. in einem Städtchen bei Ispahan geboren, wo er mit einigen Christen bekannt ward, deren Glauben er annahm. Er flüchtete dann auf ihren Rath nach Syrien und trat in den Dienst eines Patriarchen von Damaskus. Nach dessen Tode blieb er bei seinem Nachfolger. Als auch dieser starb, begab er sich nach Moßul, dann nach Nißibin und zuletzt nach Amuria. Hier vernahm er, daß in Arabien ein Prophet aufgetreten, der den Glauben Abrahams wieder herstellen wollte. Da ihn das Christenthum eben so wenig als der Magismus befriedigte, so schloß er sich einer arabischen Karawane an, welche des Handels willen nach Amuria gekommen war. Die Araber, welche zu den Beni Kalb gehörten, plünderten ihn aber auf dem Wege aus und verkauften ihn als Sklaven an einen Juden von Wadi-l-Kura. Dieser verkaufte ihn seinem Vetter aus Medina, einem der Beni Kureiza, bei welchem er blieb, bis Mohammed nach Medina kam, der ihm sein Lösegeld verschaffte. Die ganze Erzählung bei S. ist übrigens mit so vielen Wundern verflochten, daß ich nur so viel daraus nahm, als der Name Salmans und die Umstände, unter welchen er im Leben Mohammeds auftritt, rechtfertigen. Nach einigen Koransauslegern ist von ihm im 103. Vers der 16. Sura die Rede, welcher lautet: „Wir wissen wohl, daß sie (die Ungläubigen) sagen: ein Mensch lehrt ihn den Koran; aber derjenige, auf den sie hinweisen, spricht eine fremde Sprache, während die des Korans eine klare arabische ist.“ (S. Maraccius, p. 400). Da indessen diese Sura eine mekkanische ist, so müßte entweder Salman schon in Mekka zu Mohammed gekommen seyn, oder dieser und die andern damit zusammenhängenden Verse müßten zu einer andern Sura gehören, was, wie wir in der Folge sehen werden, nicht selten der Fall ist.
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Belagerungsmaschinen 370) verfertigen, und zog mit seinen Truppen bis vor die Mauern Taïfs. Da sie aber hier zu sehr den Pfeilen der Belagerten ausgesetzt waren, entfernten sie sich von den Mauern, und suchten sie dadurch zur Uebergabe zu bewegen, daß sie die Weinstöcke, welche zur Stadt gehörten, abhauten. Aber die Thakisiten blieben unerschütterlich, nur einige Sklaven, welchen Mohammed die Freiheit versprach, entwischten aus der Stadt, die übrige Mannschaft vereitelte alle Versuche der Muselmänner, die Mauern zu zerstören, indem sie die Schilddächer, unter deren Schutz die Belagerer sich der Stadt nähern wollten, mit glühenden Eisen durchbohrten. Mohammed blieb über zwanzig Tage vor Taïf liegen, und als er sich nicht im Stande sah, die Stadt einzunehmen, gab er den Befehl zum Aufbruch. Da aber viele Krieger über diesen
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370) Nach I. machten hier die Muselmänner zum ersten Male Gebrauch von Wurfmaschinen. Auch S. (fol. 229) berichtet: Urwa Ibn Masud und Ghilan Ibn Salma waren nicht bei dem Treffen von Honein, weil sie in Djorasch die Verfertigung und den Gebrauch von Wurfmaschinen (madjanik) und Sturmdächern (dabâbât) lernten. Zu letztern bemerkt I.: sie waren aus Ochsenleder, und die Leute gingen darunter, um sich den Mauern zu nähern und sie zu durchbrechen. Als Erfinder der Wurfmaschine gilt bei den Muselmännern der Teufel, welcher zuerst eine große Wurfmaschine für Nimrod errichtete. Dieser gottlose König hatte nämlich für Abraham einen so großen Scheiterhaufen aufthürmen lassen, daß, als er in Brand gerieth, sich niemand ihm nähern konnte, um Abraham hineinzuwerfen, da gab Satan den Plan zu einer Wurfmaschine her. Ch.
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Befehl murrten, ließ sie Mohammed noch einen Sturm versuchen, der, wie er wohl voraussah, ohne Erfolg blieb 371). Mohammed zog dann nach Djiirrana, wohin er die bei Honein und Autas gemachte Beute und Gefangenen hatte bringen lassen. Kaum war er hier angelangt, als eine Deputation der Hawazin erschien, welche die Unterwerfung ihres Stammes anzeigte, und um Rückerstattung ihrer Habe und ihrer Frauen und Kinder bat, unter denen auch die Verwandten
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371) So bei I., aber S. erwähnt nichts von einem Sturme, nach Mohammeds Befehl zum Aufbruch. Dem sey, wie ihm wolle, so ist gewiß, daß er Taïf nicht eroberte, und die Beute, von der in der Folge die Rede ist, von Honein und Autas herrührte. (Abulfeda ed. N. S. 98 und S. fol. 230). Nur bei H. v. H. (S. 180) liest man, ohne daß er eine Quelle nenne: „Trotz dieser Antwort (Mohammeds gegen die Stürmung Taïfs) gab er den Bitten der Gefährten, welche auf Sieg und Beute erpicht, nach. Viele derselben wurden im Kampfe verwundet, die Beute war glänzend. Sechstausend Männer und Weiber, vierundzwanzigtausend Kameele, vierzigtausend Schafe, viertausend Okka Silbers wurden vertheilt u. s. w.“ Alle folgenden charakteristischen Scenen bei Vertheilung der Beute übergeht H. v. H., hingegen liest man bei ihm a. a. O.: „Während der Belagerung verrichtete Mohammed sein Gebet in dem Zelte seiner beiden Gemahlinnen Omm Selma und Zeinab, welche ihn auf dieser Reise begleiteten.“ Diese wichtige Nachricht muß aber nach S. (fol. 229) dahin berichtigt werden, daß er zwischen den beiden Zelten seiner beiden Gemahlinnen betete (bein alkubbatein), was sich übrigens von selbst versteht, denn da Mohammed als Imam vorbetete, so konnte schwerlich das Zelt seiner Frauen alle Nachbetenden fassen. S. setzt noch hinzu: „Als die Thakisiten sich zum Islam bekehrten, baute Amru Ibn Ommejja an jener Stelle eine Moschee.“ Auch bei Gagnier (II. S. 176) liest man: „Tant que le siège dura eut pour coutume de faire la prière entre ces deux tentes.“
372) Djiirrana oder Dji'rana, ist nach dem Kamus der Name eines Ortes zwischen Mekka und Taïf, nach Gagnier (p. 180), der aber den Namen falsch schreibt, näher gegen Mekka hin, als gegen Taïf.
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seiner Säugamme Halima waren. Mohammed fragte sie: „Was ist euch lieber, euer Gut oder eure Familie?“ und als sie Letztere vorzogen, sagte er: „Was mich und die Söhne Abd Almuttalibs betrifft, so sind wir bereit auf unsern Antheil an den Gefangenen zu verzichten, damit ihr aber noch mehr erlanget, so erscheinet vor mir nach dem Mittaggebete, und saget: wir flehen den Gesandten Gottes an, daß er den Muselmännern zurede, uns unsere Frauen und Kinder zurückzugeben, und die Muselmänner, daß sie bei ihm Fürbitte für uns einlegen.“ Die Abgeordneten befolgten diesen Rath und kaum hatte Mohammed auf seinen und der Söhne Abd Almuttalibs Antheil verzichtet, als die Ausgewanderten ausriefen: „Was unsern Antheil betrifft, so stellen wir ihn zur Verfügung des Gesandten Gottes.“ Die Hülfsgenosfen folgten auch diesem Beispiele, nur die Beni Tamim und Fazara 373) forderten ihren Antheil, für den ihnen Mohammed einen sechsfachen Theil an den Gefangenen, welche er im nächsten Kriege erbeuten würde, versprach. Mohammed ließ auch durch einen der Abgeordneten Malik Ibn Auf, welcher sich nach Taïf geflüchtet hatte, sagen, daß wenn er sich ihm als Muslim unterwerfen wollte, er ihm ebenfalls alles, was ihm bei Honein genommen worden, zurückerstatten, und dazu noch hundert Kameele schenken würde. Malik folgte dieser Einladung, und Mohammed ernannte ihn zum Oberhaupte über einige Stämme,
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373) Im Namen der Ersteren sprach sich Akra Ibn Habis und der Letzteren Ujeina Ibn Haßan gegen die Freilassung der ihnen zukommenden Gefangenen aus. Auch Abbas Ibn Mirdas sagte: „Was mich und die Beni Suleim angeht, so bestehen wir auf unserem Antheil.“ Die übrigen Häupter der Beni Suleim riefen aber: „Nicht so, wir stellen unsern Antheil zur Verfügung des Gesandten Gottes,“ worauf Abbas sagte: „Wehe euch! ihr beschämet mich.“ I. und S. fol. 231. Nach Ersterem verbot dann Mohammed hier zum ersten Male denen, welche Sklavinnen heimführten, sie zu berühren, bis ein Monat oder eine Periode vorüber ist, und wenn sie schwanger sind, bis nach ihrer Entbindung.
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die sich mit ihm bekehrten, und an deren Spitze er von nun an fortwährend die Thakisiten beunruhigte. Die Muselmänner, welche es wahrscheinlich bald bereuten, auf ihre Gefangenen, die sich auf sechstausend Seelen beliefen, verzichtet zu haben, und befürchten konnten, Mohammeds Großmuth möchte sie zuletzt auch noch um ihren Antheil an der übrigen Beute bringen, forderten aber bald nachher mit einem solchen Ungestüm die Theilung derselben, daß er sich hinter einen Baum flüchten mußte , und ihm sein Mantel vom Leibe gerissen wurde 374). Da sagte er: „O ihr Leute! gebet mir meinen Mantel wieder! Bei Gott! hättet ihr so viel Vieh erbeutet, als die Provinz Tehama Bäume zählt, ich würde euch kein Stück davon vorenthalten. Habt ihr mich je als einen Geizhals, Lügner oder Betrüger gefunden?“ Er riß dann einem Kameele ein Haar aus, und fuhr fort: „Bei Gott, ich habe nie von eurer Beute ein Kameelhaar mehr, als meinen Fünfttheil genommen, und dieser wird stets zu eurem Besten verwendet.“ Mohammed vertheilte dann wie gewöhnlich die vier Fünfttheile unter den Truppen, seinen Fünfttheil verschenkte er aber an diejenigen Männer, deren Anhänglichkeit ihm am meisten am Herzen lag 375). Abu Sosian erhielt hundert Kameele und vierzig Okk Silber, und seine Söhne Jezid und Muawia erhielten jeder das Gleiche. Ferner schenkte er hundert Kameele an Hakim Ibn Hizam, an Harith Ibn Hischam, an Suheil Ibn
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374) So bei S. (fol. 232). I. erzählt dieß erst, nachdem Mohammed von seinem Fünfttheile so viel weggeschenkt hatte. Letzteres ist wahrscheinlicher, obgleich das Verschenken der Gefangenen und überhaupt das lange Zögern mit der Vertheilung der Beute Grund genug zur Unzufriedenheit geben mochte.
375) Es heißt bei I.: es gab drei Klassen von Leuten, deren Herz Mohammed zu gewinnen suchte, die eine, um sie zu bewegen, den Islam anzunehmen, wie Safwan Ibn Ommejja, der sich damals noch nicht bekehrt hatte; die andere, um ihren Islam zu befestigen, wie Sosian, der Sohn Harbs, der mit Widerstreben den Islam angenommen; und die dritte, um ihre Bosheit dadurch abzuwenden, wie Ujeina, Akraa und Abbas Ibn Mirdas.
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Amrn, an Safwan Ibn Ommejja und noch an mehrere einflußreiche Männer 376), die er durch seine Freigebigkeit zu gewinnen hoffte. Einige andere erhielten fünfzig oder vierzig Kameele. Unter letzteren war auch der seit Kurzem erst bekehrte Dichter Abbas Ibn Mirdas, der aber, mit diesem Geschenke unzufrieden, einige Verse dichtete, worin er darüber klagte, daß er nicht so gut bedacht worden, als andere, die doch sowohl auf dem Kampfplatze als in der Versammlung ihm nachstehen, worauf ihm Mohammed auch hundert Kameele schenkte 377). Als er aber auf diese Weise gegen Einzelne so über alle Maßen freigebig war, trat ein Mann aus dem Stamme Tamim zu ihm heran, und sagte ihm: „Du handelst heute nicht gerecht und strebst nicht nach Gottes Wohlgefallen.“ Mohammed schrie ihn an: „Wehe dir! wenn ich nicht gerecht bin, wer wäre es denn ?“ Omar war sogleich wieder bei der Hand, um dem Unzufriedenen den Kopf abzuschlagen, aber Mohammed hielt ihn zurück 378). Auch die Hülfsgenossen ließen es
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376) Sie hießen bei S. (fol. 232) Harthu Ibnu-l-Harthi, Huweitab Ibn Abd Aluzza, Ala Ibn Djaria, Ujeina Ibn Haßan, Akraa Ibn Habis. Die drei erst genannten sowohl, als Hakim Ibn Hizam fehlen bei Abulfeda.
277) Mohammeds Worte waren (S. fol. 232): „Geht und schneidet ihm die Zunge ab, und gebet ihm, bis er zufrieden ist!“ I. setzt dann hinzu: Als Abbas dieß hörte, fing er an zu zittern, und glaubte wirklich, man wolle ihn verstümmeln. Erst als man ihn an den Platz führte, wo das erbeutete Vieh aufgestellt war, und ihn wählen ließ, was er wollte, sagte er: auf diese Weise will mir Mohammed die Zunge abschneiden (wie wir zu sagen pflegen: den Mund stopfen), bei Gott! ich nehme nichts. Mohammed sandte ihm dann noch sechzig Kameele, und nach Andern auch noch ein Ehrenkleid.
378) Nach einigen Traditionen, die aber der Europäer verwerfen muß, soll Mohammed prophezeit haben, daß von diesem Manne, welcher den Beinamen Dsu-l-Chuweißara hatte, die ersten Ketzer (Charidjiten) entspringen würden, was sich allerdings bestätigte, indem sein Sohn Harkusch einer der Ersten war, welche Ali bei Saffein verließen, und eine besondere Sekte bildeten. Nach dem Kamus war Dsul Chuweißara selbst dieser Harkusch, was mit der ersten Leseart Abulfeda's nach Ibn Hischam übereinstimmt. (S. Abulfeda ed. N. de V., p. 100 u. 101).
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nicht an Klagen darüber fehlen, daß Mohammed seinen ganzen Antheil an Kureischiten und andere Araber, die nicht zu ihnen gehören, verschenkt. Ihnen sagte aber Mohammed, als ihm ihre tadelnden Reden berichtet wurden 379): „Waret ihr nicht
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379) Diese merkwürdige, noch von keinem Europäer mitgetheilte Rede Mohammeds, habe ich aus I. und S. (fol. 233). Die Worte der Unzufriedenen führt S. nicht an, sondern sagt nur: es ging so weit, daß manche sagten: Mohammed kehrt bei Gott wieder zu seinen Leuten zurück. Bei I. liest man: „Einer der Hülfsgenossen sagte: bei Gott sonderbar! während unsere Schwerter noch von dem Blute der Kureischiten triefen, verschenkt ihnen Mohammed unsere Beute; ist dieß auf Gottes Befehl geschehen, so müssen wir es geduldig ertragen, hat es aber der Gesandte Gottes aus eigenem Antrieb gethan, so soll er uns sagen, was wir begangen haben, daß er uns so zurücksetzt.“ Saad begab sich zu Mohammed, und sagte ihm: die Hülfsgenossen murren darüber, daß du alle Beute den Kureischiten und andern Arabern verschenkst und keinen von ihnen mit einem Geschenke erfreuest. Mohammed erwiederte: und du, Saad, was sagst du dazu? Saad antwortete: ich bin nicht anders, als meine Stammgenossen (d. h. ich theile ihre Unzufriedenheit). So versammle die Häupter deiner Stammgenossen in diesem Zelte, sagte Mohammed u. s. w.“ In einer Randglosse bei S. a. a. O. werden verschiedene Ansichten der Gelehrten angeführt, über das, was Mohammed verschenkte. Nach den Einen verschenkte er blos das ihm gehörende Fünfundzwanzigstel, doch hätte er darüber Niemanden Rechenschaft zu geben gehabt; nach Andern verschenkte er Alles aus der Masse der Beute, dem Anfang der 8. Sura zufolge: „Sie werden dich fragen, in Betreff der Beute, sage: die Beute gehört Gott und seinem Gesandten,“ und hierin machte Mohammed eine Ausnahme von allen ihm folgenden Feldherrn. Die letzte (und wahrscheinlichste) Ansicht ist die, daß er den Fünfttheil, von welchem vier Theile seinen Verwandten, den Armen, Waisen und Reisenden gehörten, nach Wohlgefallen verschenkte, so wie es auch fortan jedem Imam zusteht, den ganzen Fünfttheil der Beute ausnahmsweise zu einem besondern, dem Islam dienlichen, Zwecke zu verwenden, statt ihn schriftgemäß zu vertheilen.
Leben Mohammeds.
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auf Abwegen, als ich zu euch kam, und gelangtet ihr nicht durch mich zur göttlichen Leitung? waret ihr nicht arm und wurdet durch mich reich? waret ihr nicht entzweit, und wurdet durch mich vereinigt?“ Sie antworteten: „Gewiß, o Gesandter Gottes, du hast uns mit Wohlthaten überhäuft.“ Mohammed fuhr dann fort: „Seht ihr Hülfsgenossen! wenn ihr wolltet, so könntet ihr mir in aller Wahrheit entgegnen: du kamst zu uns als ein Lügner verschrien, wir glaubten dir; als ein Verfolgter, wir schützten dich; als ein Flüchtling, wir nahmen dich auf; als ein Hülfsbedürftiger, wir unterstützten dich. So denket ihr aber nicht, und doch könnt ihr euch darüber aufhalten, daß ich einigen Leuten, um ihr Herz zu gewinnen, weltlichen Tand hingegeben? Seyd ihr nicht zufrieden, ihr Hülfsgenossen! wenn diese Leute mit Schafen und Kameelen heimziehen, während ihr mit dem Gesandten Gottes in eurer Mitte heimkehret? Bei dem, in dessen Hand Mohammeds Seele! wäre nicht das Verdienst der Auswanderung, so möchte ich zu euch gehören, und wenn die ganze Welt einen Weg wandelte, und ihr einen andern, ich würde den Eurigen wählen. Gott erbarme sich eurer und eurer Kinder und Kindes Kinder!“ Bei diesen Worten brachen die Hülfsgenossen in lautes Schluchzen aus, und riefen: „Wir sind zufrieden mit unserem Loos.“
Mohammed kehrte hierauf nach Mekka zurück, besuchte den Tempel, erfüllte die übrigen Pflichten der Pilgerfahrt (Umra), ernannte den achtzehnjährigen Attab zum Statthalter von Mekka, und gesellte ihm Maads Ibn Djabal als geistliches Oberhaupt bei. Dann zog er wieder mit seinen Truppen nach Medina, wo er am vierundzwanzigsten Dsul Kaada anlangte. Bald nach seiner Ankunft ward er durch die Krankheit und den Tod seiner Tochter Zeinab tief betrübt, durch die Geburt seines Sohnes Ibrahim aber, von der koptischen Sklavin Maria, aufs höchste erfreut. Er gab Almosen, schenkte
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Sklaven die Freiheit, und ließ ihn auf dem Lande bei den Beni Mazin erziehen.
Siebentes Hauptstück.
Die Abgeordneten in Medina. Armensteuer. Gebet um Regen. Feldzug von Tabuk. Schreiben an den Fürsten von Eila. Zerstörung einer Moschee. Gesetze über den Ehebruch. Haremscenen wegen Maria. Abu Bekrs Wallfahrt. Verändertes Kriegs- und Völkerrecht. Briefwechsel mit Museilama. Ibrahims Tod.
Das folgende Jahr 380) war weniger durch glänzende Waffenthaten, als durch friedliche Unterhandlungen, und das
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380) Das neunte der Hidjrah (20. April 630 - 9. April 631). Dieses Jahr und nicht das zehnte, wie bei H. v. H. (S. 201) heißt das der Deputationen. S. Abulfeda ed. N. S. 102. S. fol. 251 (dsikru sanati tisin watusamma sanatu-l-wufûdi) und Gagnier II. S. 204. Viele Deputationen trafen allerdings auch noch im zehnten Jahre ein, doch die meisten im neunten, als Folge der Eroberung von Mekka. Ich werde daher hier die Interessantesten zumal nach S. und I. erwähnen, obschon einige davon erst einer spätern Zeit angehören. H. v. H. tadelt auch a. a. O. diejenigen, welche vor ihm das Wort wufûd durch „Gesandtschaften“ übersetzt: „Gesandschaften sind Risalat, ein Gesandter ist Resul; Wufud sind Deputationen.“ Diese Bemerkung ist nicht ganz richtig; nimmt es doch selbst der Kamus so genau nicht, welcher das Wort wafidun (sing. von wufud), wie Rasul durch Eldji (Gesandter) und das nomen actionis wufud wie risalat durch Eldjilik (Gesandtschaft) wiedergibt. Der Unterschied zwischen diesen beiden Worten liegt namentlich darin, daß wafada, gebraucht wird, wenn man in irgend einer Angelegenheit, sey es für sich selbst, oder als Abgeordneter, vor einem Fürsten erscheint, während rasala immer eine Sendung bedeutet, aber gleichviel an wen. Daß das Wort wafada nicht immer eine Deputation ausdrückt, kann man schon aus Abulfeda ersehen, welcher es auch a. a. O. von Kaab Ibn Zuheir gebraucht, der ganz allein zu Mohammed kam, und ihn nur um seine Begnadigung anflehte.
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Herbeiströmen unzähliger Deputationen ausgezeichnet, welche theils den Islam annahmen, theils wenigstens Mohammeds weltliche Oberherrschaft anerkannten. Einige derselben sind sowohl für Mohammed, als für die Sitten seiner Zeit so charakteristisch, daß sie eine besondere Erwähnung verdienen. Eine der merkwürdigsten war die der Beni Tamim, unter denen sich auch Akraa Ibn Habis befand, der schon den Feldzug von Honein mitgemacht, und von Mohammed mit hundert Kameelen beschenkt worden war. Diese Abgeordneten kamen, um die ihnen von den Muselmännern weggeführten Gefangenen zurückzufordern. Die Beni Tamim hatten nämlich einen Muselmann, der bei den Beni Kaab Almosen einsammelte, vertrieben, worauf Mohammed Ujeina gegen sie sandte, der ihnen elf Mann, einundzwanzig Frauen und dreißig Kinder entführte und nach Medina schleppte. Sobald die Abgeordneten in Medina anlangten, schrieen sie vor Mohammeds Wohnung: „Komme heraus! laß sehen, wer von uns der beste Dichter ist, und am meisten Ruhm erworben hat; denn unser Lob ist eine Zierde, unser Tadel aber ein Schandfleck.“ Sie lärmten so lange vor seinem Hause, daß er trotz der glühenden Mittagshitze zu ihnen heraustrat und auf ihre Herausforderung antwortete: „Ich bin nicht als Dichter von Gott gesandt, auch strebe ich nicht nach Ruhm.“ Sie baten ihn dann, ihre Dichter und Redner anzuhören. Als Mohammed dieß gestattete, trat Utarid Ibn Hadjib hervor, und sprach: „Gepriesen sey Gott, der allein über uns steht und dessen auch würdig ist, der uns zu Königen der Erde geschaffen, und uns unendliche Reichthümer geschenkt, die wir zu Wohlthaten verwenden; der uns das höchste Ansehen von allen Bewohnern des Ostens verliehen; kein Stamm gleicht uns an Zahl, noch an Kriegsrüstung; sind wir nicht die Häupter der Menschheit und ihre Krone? 381) Wer sich mit uns an Ruhm messen will,
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381) Ein Seitenstück zu dieser Prahlerei findet man bei dem Dichter Amru Ibn Kolthum: „Wir füllen die Erde, bis sie uns zu eng wird, und das Meer ist von unsern Schiffen bedeckt.“
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der zähle so viel Angehörigen, wie wir. Wenn wir wollten, so könnten wir noch lange so fortfahren, doch wer wagt es nur so viel von sich zu sagen!“
Als Utarid vollendet hatte, sagte Mohammed zu Thabit Ibn Keis: „Erhebe dich und antworte diesem Manne!“ Da begann Thabit: „Gepriesen sey der Herr, der Himmel und Erde geschaffen, und durch sie seinen Willen vollzogen, dessen Wissen sein ganzes Reich umfaßt, dem Alles sein Dasein zu verdanken hat, dessen Allmacht es gefiel uns zu Königen zu erheben, der von den Besten seiner Geschöpfe einen Gesandten erkohren, ausgezeichnet durch den Adel seines Geschlechts und die Wahrheit seiner Rede, dem er seine Schrift offenbarte, und den er zum Führer der Menschen bestimmte. Als dieser Gesandte die Menschen zum Glauben an ihn aufforderte, waren die Ausgewanderten die Ersten, die seinem Rufe folgten; Männer aus seinem Volke, von edelster Abkunft, schönster Gesichtsbildung und reinstem Lebenswandel. Wir aber waren das erste Volk, das dem Gesandten Gottes seinen Beistand zusagte. Wir sind die Hülfsgenossen Gottes und die Viziere seines Gesandten, wir bekriegen alle Menschen, bis sie glauben; nur wer an Gott und seinen Gesandten glaubt, rettet sein Blut und sein Gut, alle Ungläubigen befehden wir, und der Sieg wird uns immer leicht. Ich beschließe diese Rede, indem ich Gottes Gnade für mich und alle Gläubigen anflehe.“
Nach diesem rhetorischen Wettstreite begann ein poetischer zwischen Amru Ibn Ahtam, einem Dichter der Beni Tamim, und Hasan Ibn Thabit, den Mohammed als Verfechter der Muselmänner rufen ließ. Des Erstern Gedicht begann:
„Wir sind die Edlen, mit uns kann kein Stamm sich messen. Wir sind die Häupter, unter uns wird der Vierttheil vertheilt. Oft wenden wir uns trotzend von Andern ab, niemand wagt es aber uns zu trotzen, so erheben wir uns, wenn um Ruhm gestritten wird.“ Darauf erwiederte Hasan Ibn Thabit:
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„Wir stehen dem Gesandten Gottes bei und seinem Glauben, und trotzen seinen Widersachern, den Nahen und Entfernten; so lange wir auf der Erde wandeln, sind wir die Besten der Lebendigen, und unsere Todten sind die edelsten Grabbewohner.“
Hierauf begann der Dichter Zibirkan Ibn Bedr ein Gedicht, in welchem er besonders die Gastfreundschaft seines Stammes hervorhob, während Hasan abermals mit dem Schutze, welchen die Hülfsgenossen dem Propheten angedeihen ließen, sich brüstete. Endlich erhob sich noch der Tamimitische Dichter Akraa Ibn Habis, und sprach:
„Wir sind gekommen, damit unsere Vorzüge bekannt werden, wenn um die Krone des Ruhmes gestritten wird. Die Häupter aller Stämme der ganzen Menschheit sind wir, gibt es im ganzen Hedjas ein zweiter Darim?
Zum dritten Male begann jetzt Hasan:
„Prahlet nicht so, ihr Söhne Darims! denn euer Ruhm wird zu Schande, wenn wir unsere Tugenden erwähnen. Wollt ihr euern Ruhm dem unsrigen zur Seite setzen, so erscheinet ihr uns als ein Gesindel von Ammen und Knechten.“ 282)
Als Akraa diese Verse hörte, sagte er: „Bei meinem Vater! sein (Mohammeds) Redner ist besser, als der unsrige, sein Dichter ist größer, als wir, und auch ihre Stimme ist lauter, als die unsrige.“ Er legte dann sein Glaubensbekenntniß ab, die übrigen Abgeordneten folgten ihm, und Mohammed gab ihnen nicht nur ihre Angehörigen zurück, sondern entließ sie auch noch mit andern Geschenken.
Das Geschrei dieser Abgeordneten bei ihrer Ankunft, so wie der laute Dichterkampf und noch lautere Streit zwischen Omar und Abu Bekr über das Talent der verschiedenen Tamimitischen Dichter,
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382) Diese Gedichte sind nach I., bei S. fol. 252 werden noch mehrere angeführt, ihr Inhalt ist aber so sehr der Prosa ähnlich, welche ich vollständig wiedergegeben habe, daß sie keine besondere Erwähnung verdienen.
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waren die Veranlassung zu folgenden Koransversen 383): „O ihr, die ihr glaubet! erhebet eure Stimme nicht über die des Propheten, und schreiet ihn nicht an, wie ihr euch unter einander anschreiet, sonst möchten eure Werke nicht gedeihen und ihr merket es nicht. Diejenigen, die vor dem Gesandten Gottes ihre Stimme nicht laut erheben, sind es, deren Herz Gott als ihn fürchtend erprobt hat, sie finden Vergebung und großen Lohn. Die Mehrzahl derjenigen, welche dich hinter deinen Wohnungen hervorriefen, waren unverständig; hätten sie gewartet, bis du hervortratst, so wäre es besser für sie gewesen, doch Gott ist gnädig und barmherzig.“ 384)
Nicht minder anziehend ist die Bekehrungsgeschichte Adij's, aus dem Stamme Tai, Sohn des wegen seiner beispiellosen Freigebigkeit sowohl, als wegen seines Dichtertalents und ritterlicher Tugenden in ganz Arabien hochverehrten Hatim. Hören wir sie aus Adij's eigenem Munde: „Kein Araber haßte den Gesandten Gottes so sehr, wie ich; ich war ein Christ und meiner Meinung nach ein religiöser Mann, ich war der Fürst meines Volkes, und mir gehörte der vierte Theil der Beute 385). Als ich von den Feldzügen Mohammeds hörte, sagte ich zu einem jungen Beduinen, der meine Kameele auf die Weide
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383) I. und S. a. a. O., auch Djalalein zu den folgenden Koransversen. S. Maraccius, p. 668.
384) Sura 49, Vers 2-5.
385) Es heißt bei S. (fol. 255), aus dem ich diese Erzählung entnommen: „Wakuntu asiru fi kaumi bilmirbâi,“ und bei I.: „Achudsu-r-ruba min alghanïm;“ Letzterer setzt dann hinzu, was man auch im Kamus unter mirbâu findet, wo diese Tradition angeführt wird, daß es bei den heidnischen Arabern Sitte war, ihren Fürsten den vierten Theil der Beute zu überlassen. Gagnier (II. 202), der auch den Anfang dieser Erzählung nach Ibn Ishak anführt, hat mirbâu (mit.AIif nach dem ba) mit mirbau (ohne Alik) verwechselt, und übersetzt daher: „Je milieu de mon peuple sur un char trainé par quatre chevaux.“
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führte: halte mir immer einige starke, doch leichtfüßige Kameele in meiner Nähe bereit, und wenn du hörst, daß Mohammeds Truppen dieses Land betreten, so gib mir gleich Nachricht davon! Eines Morgens kam der Junge zu laufen, und sagte mir: Adij, führe jetzt aus, was du beim Herannahen mohammedanischer Truppen zu thun beschlossen, denn ich habe so eben ihre Fahnen erblickt 386). Ich ließ mir meine Kameele bringen, lud meine Frau und Kinder darauf, und flüchtete mich nach Syrien zu meinen Glaubensgenossen. Meine Schwester Saffâna (Perle) aber, welche im Städtchen war, das die Truppen überfielen, ward unter anderen Gefangenen nach Medina geschleppt. Als der Prophet an ihr vorüberging, rief sie ihm zu: o Gesandter Gottes! Mein Vater ist todt, mein Ernährer ist abwesend, begnadige mich! Gott wird dir auch gnädig seyn 387). Wer ist dein Ernährer? fragte sie Mohammed, sie antwortete: Adij, der Sohn Hatims. Mohammed versetzte: er ist vor Gott und seinem Gesandten entflohen, und ging weiter. Am folgenden Tage kam der Prophet wieder an ihr vorüber, da sagte ihr ein Mann, der hinter ihr stand: — sie erfuhr nachher, daß es Ali war — stehe auf, und rede ihn noch einmal an! Sie erhob sich und rief wieder: mein Vater ist todt und mein Ernährer abwesend, begnadige mich! Gott wird dir auch gnädig seyn. Es sey! sagte dann Mohammed, du bist frei, doch bleibe hier, bis du eine sichere Reisegesellschaft findest, der du dich anschließen kannst, um zu den Deinigen zu gelangen. Sie blieb dann in Medina, bis eine Karawane
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386) Die Muselmänner, welche gegen die Taïten heranzogen, standen unter dem Oberbefehle Ali's, welcher bei diesem Ueberfalle auch ihren Götzen Fuls zerstörte. Er hatte zwei Fahnen, eine weiße und eine schwarze bei sich. I. Nach dem Kamus hieß dieser Götze Fils.
387) Dafür hat Gagnier a. a. O.: „Faites moi, je vous prie, participante du don que Dieu vous fait.“ Die Worte des Textes lauten: „fa‘mnun alajja manna allahu alaika.“ Auch läßt er Mohammed sie gleich bei ihrer ersten Bitte begnadigen.
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der Beni Kudhaa nach Syrien reiste, da bat sie Mohammed um Erlaubniß sich ihr anzuschließen und zu mir zu reisen. Mohammed schenkte ihr Kleider, ein Kameel und das nöthige Reisegeld. Eines Tages, als ich bei meinen Leuten saß, da kam ein Kameel auf unsere Wohnung zu, und siehe da! meine Schwester saß darauf. Als sie vor mir stand, sagte sie: o Bösewicht! o Selbstsüchtiger, du denkst an die Rettung deiner Frau und deiner Kinder, und kümmerst dich nicht um die Tochter deines Vaters! Ich sagte: o Schwesterchen! du hast recht, ich weiß mich nicht zu entschuldigen, doch sprich nur Gutes! Was hältst du denn von diesem Manne (Mohammed)? Ich halte ihn für einen Propheten, der alle, die ihn aufsuchen, gut aufnimmt. Ich rathe dir alsbald zu ihm zu reisen, er wird bald König seyn, du wirst dann nicht erniedrigt, wenn Andere in Arabien durch ihn erhoben werden. Ich dachte: bei Gott! sie hat Recht, und machte mich sogleich auf, reiste nach Medina, begab mich zu ihm in die Moschee und grüßte ihn. Er fragte mich nach meinem Namen, und als ich ihn nannte, stand er auf und ging mit mir in sein Haus. Auf dem Wege hielt ihn eine schlanke, schwächliche Frau an; er blieb bei ihr stehen, und unterhielt sich mit ihr über ihre Angelegenheit. Da dachte ich: bei Gott, das ist nicht königlich. Als wir endlich in sein Haus kamen, reichte er mir einen ledernen mit Palmfasern ausgestopften Polster und hieß mich darauf sitzen; ich wollte ihn ihm selbst überlassen, aber er drang in mich, bis ich mich darauf niederließ , dann setzte er sich auf die nackte Erde. Da dachte ich wieder: bei Gott! da geht es nicht fürstlich her. Er forderte mich dann drei Mal nach einander auf, mich zum Islam zu bekehren; ich erwiederte aber immer: ich habe meinen Glauben. Da sagte er: ich kenne deinen Glauben besser als du, gehörst du nicht der Sekte der Rakusi 386) an? Nimmst du nicht deinen Leuten den Vierttheil
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386) Von dieser Sekte heißt es bei I. und im Kamus: sie steht in der Mitte zwischen dem Sabäismus und dem Christenthume.
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der Beute weg, und handelst so dem christlichen Glauben zuwider? Aus diesen Worten erkannte ich ihn als einen von Gott gesandten Propheten, der mehr als Andere weiß. Dann fuhr er fort: du wirst vielleicht nicht gern Muselmann, weil du uns so arm findest, aber bei Gott! die Zeit ist nahe, wo den Bekennern des Islams so viele Reichthümer zufließen werden, daß man sie nicht alle wird aufbewahren können; vielleicht schreckt dich die Anzahl der Feinde des Islams im Verhältniß zum kleinen Haufen seiner Bekenner ab, aber bei Gott, bald wird eine Frau allein ohne Furcht auf ihrem Kameele von Kadesia nach dem Tempel Gottes pilgern können. Denkst du vielleicht, die Herrschaft und die Macht ist in den Händen der Ungläubigen, so wisse, daß die Zeit nicht fern ist, wo wir die weißen Schlösser Babyloniens erobern werden. Als er vollendet hatte, legte ich das muselmännische Glaubensbekenntniß ab.“ 387)
Die Huldigung der Beni Harith Ibn Kaab, welche Nadjran bewohnten, und der Aufforderung Chalids zufolge, den Mohammed zu ihnen gesandt, sich zum Islam bekehrten, verdient keine besondere Erwähnung, wohl aber das Schreiben, das ihnen Mohammed nachher durch Amru Ibn Hazm sandte, weil man daraus manche einzelne im Koran nicht erwähnte Gesetze des Islams, wie sie noch heute beobachtet werden, kennen lernt. Es lautet:
„Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, Allgnädigen. Dieß ist die Unterweisung von Gott und seinem Gesandten. Ihr, die ihr glaubet, bleibet dem geschlossenen Bündnisse getreu, und handelt der Urkunde zufolge, welche Mohammed, der Prophet Gottes, Amru Ibn Hazm mitgegeben. Diesen hat er vor Allem zur Gottesfurcht ermahnt, denn Gott ist mit denen, die ihn fürchten und tugendhaft sind, und ihm befohlen,
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387) S. fol. 256 setzt noch hinzu, daß Adij später oft sagte: „Er habe die beiden letzten Voraussagungen in Erfüllung gehen sehen, und hoffe auch noch die Verwirklichung dessen, was Mohammed in Betreff der unermeßlichen Reichthümer prophezeit, zu erleben.
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nie vom Wege des Rechts abzuweichen. Der Zweck seiner Sendung ist euch Heil zu bringen und euch zu zeigen, wie ihr dessen würdig werden könnet. Er soll euch den Koran lehren, den aber Niemand berühre, der nicht rein 388), und euch erklären, was Recht und was Unrecht ist; es soll euch vor Gewaltthätigkeit warnen, die Gott haßt, er soll euch das Paradies verheißen, und mit der Hölle drohen und die Werke angeben, die euch zu dem einen oder zu dem andern führen. Er soll euch ferner in den Gebräuchen und Pflichten der Wallfahrt (hadj) und der Pilgerfahrt (Umra) unterweisen, so wie in denen des Gebets. Niemand bete in fremden Kleidern, die ihm zu kurz sind; niemand trage seine Haare in Flechten, bis zu den Schultern herab! Bricht ein Streit unter euch aus, so rufe niemand seine Stammgenossen oder seine Gemeinde zu Hülfe, sondern flehet Gottes Hülfe allein an, der keinen Genossen hat; wer dieses Verbot übertritt, der werde mit dem Tode bestraft. Ferner soll er euch die verschiedenen Waschungen zeigen, des Gesichtes, der Hände bis zu den Ellbogen, der Füße bis zu den Knöcheln und des Hauptes, wie es Gott befohlen, so wie das Verbeugen und Niederfallen beim Gebete, das zur bestimmten Zeit verrichtet werden muß, nämlich des Morgens, des Mittags, bevor die Sonne sich nach Westen zu neigen beginnt, des Nachmittags, bei Sonnenuntergang und nach dem Anbruch der Nacht. Besonders ermahne er euch das öffentliche Gebet am Versammlungstage (Freitag) 389) nicht
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388) Dieses Verbot findet sich im Koran, Sura 50, Vers 78.
389) Ueber die Feier des Freitags, welcher schon vor Mohammed, wenn auch nicht ein heiliger, doch ein öffentlichen Zusammenkünften geweihter Tag war, heißt es im Koran (Sura 62, Vers 9 bis 11): „O ihr, die ihr glaubet, wenn am Versammlungstage zum Gebete gerufen wird, so eilet hin, wo man Gottes gedenkt, und lasset die Handelsgeschäfte! Dieß ist besser für euch, wenn ihr es wissen wollt. Ist das Gebet verrichtet, dann zerstreut euch auf Gottes Erde, und suchet, was seine Güte euch gespendet, denket oft an Gott, dieß wird euch Segen bringen. Als sie (die Medinenser) Waaren sahen oder Spiel (Tamburine, welche die Karawane begleiteten), wendeten sie sich diesen zu, und ließen dich (Mohammed, in der Moschee) stehen. Sage ihnen! was bei Gott ist (der Lohn jenseits) verdient den Vorzug vor Waaren und Spiel; auch ist Gott der beste Nahrungsspender.“ Diesen Versen zufolge besteht die eigentliche Feier dieses Tages im öffentlichen Gebete zur Mittagsstunde, vor und nach demselben ist aber keine Ruhe geboten.
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zu versäumen, und euch vorher zu baden. Er hat auch die Weisung den fünften Theil der Beute in Empfang zu nehmen, so wie auch die Armensteuer, welche Gott den Gläubigen vorgeschrieben, nämlich: von dem Ertrag der Erde 390) den zehnten, wenn sie durch Quellen oder Regen, den zwanzigsten Theil aber nur, wenn sie durch Menschenhand bewässert wird; von zehn Kameelen 391) zwei Schafe und von zwanzig vier; von
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390) Darunter versteht man die verschiedenen Sorten Getreide, Datteln und Zibeben.
391) Eigentlich auch schon von fünf Kameelen ein Schaf, von 15 drei, von 20 vier, von 25 ein weibliches Kameel, das ins zweite Jahr geht, von 36 eines, das ins dritte Jahr geht, von 46 eines, das das dritte Jahr zurückgelegt hat, von 61 eines, das ins fünfte Jahr geht, von 76 zwei Kameelinnen, die das zweite Jahr zurückgelegt, von 91 zwei Kameelinnen, die das dritte Jahr zurückgelegt, von 121 drei Kameelinnen, die ins dritte Jahr gehen u. s. f. Bei Muradgea d‘Ohsson tableau de l‘empire Ottoman, deutsch von Beck, Bd. I. S. 451 ist durchweg das Alter der Kameelinnen falsch angegeben. So liest man dort „von 25—35 eine Kameelin von zwei Jahren“ für „bintu-l-mahadhin“ (bei Ibn Kasim) „eine von drei Jahren“ für „bintu labunin“ u. s. w. Auch heißt es dort (S. 452): „Von 121-125 zwei Kameelinnen von vier Jahren und einen Schöps, statt drei, die ins dritte Jahr gehen. Endlich ist noch S. 453 von einem Zehnten von Pferden die Rede, derer nicht nur dieser Brief nicht erwähnt, sondern von denen Ibn Kasim ausdrücklich bemerkt, es sey nichts dafür zu entrichten, eben so wenig als von Mauleseln und Eseln. Wahrscheinlich weichen die Schafiiten, für die Ibn Kasim sein Handbuch geschrieben, hierin von den anderen orthodoxen Lehrern des Islams ab.
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vierzig Stück Rindvieh eine Kuh, von dreißig ein ins zweite Jahr gehendes Kalb 392); von vierzig Schafen Eines 393), das ists, was Gott den Gläubigen als Almose auferlegt, wer aber mehr gibt, dem kömmt es zu gut. Jeder Jude und Christ, der zum Islam übergeht, soll als Muselmann betrachtet werden und in Allem euch gleich seyn; diejenigen aber, die bei ihrem Glauben beharren wollen, die sollen Tribut bezahlen, nämlich für jeden Erwachsenen, männlichen oder weiblichen Geschlechts, für den Freien wie für den Sklaven, einen Dinar an Geld oder an Werth. Wer diesen Tribut entrichtet, wird ein Schutzgenosse Gottes und seines Gesandten, wer ihn aber verweigert, wird als ein Feind Gottes und seines Gesandten und aller Gläubigen betrachtet.“ 394)
Die Deputation der Beni Fazara ist darum nennenswerth, weil sie nach einigen Berichten die Veranlassung zu einem Gebete um Regen ward, das noch jetzt fast wörtlich so in trockenen Jahren verrichtet wird. Als nämlich Mohammed sie fragte, wie es in ihrem Lande gehe, antworteten sie: „Unser Boden ist ausgebrannt, unser Vieh geht zu Grunde und unsere Familien hungern, drum bete doch zu deinem Herrn, daß er uns Regen sende.“ Mohammed ging in den Tempel, betete
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392) Bei weniger als dreißig findet keine Verpflichtung statt.
393) Nach Ibn Kasim entweder ein Schaf, das ins zweite, oder eine Ziege, die ins dritte Jahr geht; von 121 muß man zwei geben, von 201 drei, von 400 vier, dann für jedes folgende Hundert eins mehr. Nicht wie bei M. d'Ohsson a. a. O.: „Von 121 bis 399 muß man drei geben.“ Im Koran ist nur überhaupt an mehreren Orten geboten Almosen (zaka‘tun) zu geben, aber die nähern Bestimmungen gründen sich blos auf mündliche Tradition. Auffallend ist, daß sowohl in diesem Schreiben, als in einem andern ähnlichen, das Mohammed an die Könige Himjars sandte, von der Armensteuer, welche von Silber und Gold zu entrichten ist, nämlich eines von vierzig, keine Erwähnung geschieht, obschon sie auch durch idjmaa festgesetzt ist, und auf mündliche Tradition, nach Einigen sogar auf den Koran sich stützt.
394) Vergl. Sura 9, Vers 30.
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zwei Rikas, dann wendete er sein Obertuch um, kniete nieder, hob die Hände gen Himmel und betete: „Gott! tränke uns mit einem Regen der Barmherzigkeit, der überall reichlich fließt, lange anhält, in den Boden dringt, ihn schmückt und befruchtet und ihm gutes Futter entlockt. Gott! belebe damit den Boden und erquicke die Menschen, die unter Zelten leben, so wie die Angesiedelten. Gott! verleihe der Erde ihren Schmuck wieder und sende deine Ruhe auf uns herab! 395) Bewahre uns aber, o Gott! vor einem Regen der Ueberschwemmung, der Zerstörung und des Verderbens! O Gott! um uns (laß regnen) und nicht über uns, auf Anhöhen und Hügel, in die Tiefen der Thäler und Baumgärten.“
Auch die Beni Thakif unterwarfen sich freiwillig noch im
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395) Das folgende soll Mohammed erst nach einer Woche gebetet haben, als der Regen alle Wege um Medina ungangbar machte. Die Worte des Textes lauten: „Hawalina wala alaina ala-l-ikâmi-waz-zirâbi wabutuni-l-audiati wamanâbiti-sch-schadjari.“
Dieß übersetzt H. v. H. (S. 207): „O Gott! sey für und nicht wider uns! nicht wider die Hügel und Bühel, die Tiefen der Thäler und die Pflanzen der Bäume!“
Das Gebet, wie es Ibn Kasim anführt, und wie es noch jetzt verrichtet wird, lautet: „Gott! (schenke uns) einen Regen der Barmherzigkeit und nicht der Strafe, nicht der Verwüstung, des Verderbens, der Zerstörung und Ueberschwemmung. Gott! über Hügel und Anhöhen, Baumgärten und Tiefen der Thäler. Gott! um uns und nicht über uns! Gott! einen Regen, der reichlich fließt, einen allgemeinen, befruchtenden, anhaltenden, in den Boden dringenden und ihn schmückenden (sende solchen Regen), bis zum Tage des Gerichts. Gott! labe uns mit einem Regen, und überlasse uns nicht der Verzweiflung! Gott! die Menschen und das Erdreich sind in Noth, Hunger und Drangsal, die sie nur dir klagen können. Gott! lasse unsere Saaten wachsen und unser Vieh Milch geben. Sende uns von den Segnungen des Himmels herab, daß die Erde ihre Segnungen hervorbringe! befreie uns aus einer Noth, der nur du ein Ende machen kannst, Gott! wir flehen dich um Vergebung an, laß den Himmel uns Regen spenden, denn du bist gnädig.“
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neunten Jahre der Hidjrah, weil sie es nicht mehr wagen konnten, ihre Stadt Taïf zu verlassen, ohne von den sie um gebenden Muselmännern mißhandelt zu werden. Schon unmittelbar nach Mohammeds Abzug von Taïf folgte ihm der Thakisite Urwa Ibn Masud, und bekehrte sich zum Islam. Er kehrte dann wieder nach Taïf zurück, um seine Landsleute aufzufordern, seinem Beispiele zu folgen. Mohammed suchte ihn zwar zurückzuhalten, denn er war für sein Leben besorgt, weil er die Anhänglichkeit der Thakisiten zu ihrem Götzen wohl kannte. Urwa ließ sich aber, im Vertrauen auf das Ansehen, das er in seiner Heimath genoß, nicht abhalten, und bezahlte seinen frommen Eifer mit dem Leben. Einige Monate nachher, als die Zahl der zum Islam übergehenden Stämme immer zunahm, sahen sie doch die Nothwendigkeit ein, sich mit Mohammed zu versöhnen, und sandten ihm daher sechs, nach Einigen neunzehn Abgeordnete. In der Nähe von Medina begegneten sie Mughira, welcher die Heerde Mohammeds hütete. Er wollte ihre Ankunft Mohammed melden, aber Abu Bekr kam ihm zuvor. Mughira wollte inzwischen die Thakisiten belehren, wie sie Mohammed grüßen sollten; aber sie beharrten bei ihrem alten Gruße, welcher in einem einfachen „guten Morgen“ bestand 396). Mohammed ließ ihnen ein Zelt in einem Ecke der Moschee errichten und sie darin bewirthen; sie aßen aber, aus Furcht vergiftet zu werden, nichts, von dem
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396) Die arabischen Worte ihres Grußes: am oder im sabahan wie inam oder inim, welches der gewöhnliche Gruß der Araber vor Mohammed war. Diesen übersetzt H. v. H. S. 201 durch „guten Morgen, Vetter!“ heißt doch aber jedenfalls Oheim und nicht Vetter, und Sabah allein bedeutet doch Morgen und nicht guten Morgen. Ueber diesen Gruß, welcher im sechsten Verse der Muallakat von Zuheir vorkommt, sagt Zauzani: „Er wird auf vier verschiedene Weise gebraucht, entweder inim wie hasiba jahsibu oder inam wie alima ia‘lamu oder Am von waama jaamu oder im von waama jaimu.“ S. auch Kamus unter wa‘mu (waw ain mim), S. 576.
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nicht vorher Chalid gegessen hätte. Nach einiger Zeit erklärten sie sich bereit den Islam anzunehmen, nur sollte ihnen das Gebet erlassen und gestattet werden, ihre Göttin Lat, welche sie die große Herrin nannten, erst nach drei Jahren abzuschaffen. Mohammed sagte ihnen aber: Eine Religion ohne Gebet taugt nichts; auch über den zweiten Punkt war er unerbittlich, und gestattete nicht einmal eine Frist von einem Monate, um welche die Abgeordneten eigentlich nur darum nachsuchten, weil sie einen Aufstand der Frauen und Blödsinnigen fürchteten, wenn ihr Götze, noch ehe sie den Islam lieb gewonnen, zerstört würde. Das Einzige, was ihnen Mohammed zusagte, war, daß sie ihren Götzen nicht selbst zerstören müßten, sondern daß dieß durch Abu Sosian und Mughira, die er ihnen nachsenden wollte, geschehen könne. Die Abgeordneten gingen dann nach Taïf zurück, und machten die Einwohner der Stadt mit Mohammeds Bedingungen bekannt, ohne zu gestehen, daß sie dieselben schon angenommen hatten, und entwarfen ein so schreckliches Bild von seiner Macht und ihrer traurigen Lage, daß die Häupter der Stadt nach einigen Tagen sie bevollmächtigten, lieber Alles zu gewähren, als sich einem neuen Kriege auszusetzen. Jetzt erst gestanden die Abgeordneten, daß sie bereits den Frieden geschlossen, und nur aus Furcht, sie möchten Urwa's Schicksal theilen, es bisher verheimlicht hätten. Nicht alle Abgeordneten unterwarfen sich indessen Mohammed und seinem Glauben, manche stellten Forderungen an ihn, die er nicht gewährte, und kehrten dann wieder, ohne ein Bündniß mit ihm zu schließen, in ihre Heimath zurück. Unter diesen war Amir Ibn Tufeil, der Häuptling des mächtigen Stammes der Beni Amir. Er war einer der schönsten und angesehensten Männer Arabiens. Sein Herold pflegte auf der Messe zu Okaz auszurufen: „Wer eines Lastthieres bedarf, der findet es bei Amir; wer hungrig ist, den speiset er; wer sich fürchtet, dem verbürgt er durch seinen Schutz Sicherheit.“ So oft man ihm von einer Unterwerfung sprach, sagte er: „Ich habe geschworen nicht zu ruhen, bis
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mir alle Araber gehorchen, und ich soll jetzt diesem Kureischiten huldigen?“ Indessen entschloß er sich doch mit zwei Freunden, Arbad, dem Bruder des Dichters Lebid, und Djabbar Ibn Sulma, nach Medina zu reisen, um Mohammeds Bekanntschaft zu machen. „Willst du mein Freund werden?“ fragte er Mohammed, als er vor ihm erschien. „Nein, bei Gott,“ antwortete Mohammed, „bis du an den einzigen Gott glaubst, der keinen Gefährten hat.“ Amir wiederholte seine ersten Worte, aber Mohammed forderte ihn abermals auf, den Islam anzunehmen. Da sagte er: „Wirst du mich zu deinem Nachfolger bestimmen, wenn ich Muselmann werde?“ Mohammed antwortete: „Die Herrschaft ist Gottes, er verleiht sie wem er will.“ „So will ich Muselmann werden,“ versetzte Amir, „wenn du dich mit der Herrschaft über die Städtebewohner begnügst und mich den Beduinen gebieten lassest.“ Als Mohammed ihm auch dieß nicht gewährte, fragte er: „Was soll mir denn der Islam frommen?“ „Die Gemeinschaft mit allen andern Muselmännern,“ erwiederte Mohammed. Von einer solchen Gemeinschaft wollte aber der stolze Amir nichts wissen, er verließ daher Mohammed, ihm mit einem Kriege drohend 397).
Aber nicht nur entferntere Beduinenstämme wagten es noch Mohammed Widerstand zu leisten, sondern es bestand auch jetzt noch in Medina selbst eine mächtige Opposition gegen alle seine Unternehmungen, die er trotz der Eroberung von Mekka nicht zu unterdrücken im Stande war. Am entschiedensten trat
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397) S. fol. 253 und ausführlicher I. Auch hier wird wieder erzählt, daß Mirbad Mohammed erschlagen wollte, während er mit Amir sich unterhielt, daß er aber Amirs Gestalt stets zwischen sich und Mohammed sah, so daß er nie zuschlagen konnte. Auch soll Mohammed sie verflucht haben, und Amir an der Pest gestorben und Mirbad vom Blitze erschlagen worden seyn, Djabbar aber sich zum Islam bekehrt haben. Diese Mordpläne und ihre wunderbare Vereitlung wiederholen sich aber so oft in der Lebensgeschichte Mohammeds, daß ich es fast bereue, auch nur die Ersten als ein historisches Factum angesehen zu haben.
Leben Mohammeds.
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sie bei dem Feldzuge von Tabuk auf, welchen Mohammed im Monat Radjab des neunten Jahres noch vor der gänzlichen Unterwerfung von Taïf anordnete, weil ihm die Kunde zukam, die Griechen rüsten an der Grenze von Arabien eine große Armee gegen ihn aus. Dießmal mußte er, gegen seine bisherige Ge wohnheit, wegen der Entfernung des Kriegsschauplatzes, der Dauer des Feldzugs und der großen dazu nöthigen Rüstungen, seine Leute zum voraus mit dem Feinde, auf den es abgesehen war, bekannt machen. Das Andenken an die bei Muta erlittene Niederlage war aber noch zu frisch, als daß diese Mittheilung große Freude unter den Muselmännern hätte erregen können 398). Dazu kam noch, daß das neunte Jahr der Hidjrat)
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398) Furcht vor den Griechen mag wohl der Hauptgrund gewesen seyn, warum so viele Araber zurückblieben; es heißt ausdrücklich bei I. und S. fol. 240: Als Mohammed nach Tabuk aufbrach, sagten die Heuchler einer zum andern: „Glaubt ihr, ein Krieg gegen die Söhne der Gelben (Griechen) ist dasselbe, wie wenn Araber gegen einander Krieg führen? mir ist, als sähe ich euch (Krieger) schon mit Fesseln belegt.“ Auch Abd Allah sagte spöttisch: „Mohammed will bei dieser Hitze und allgemeinen Noth einen so großen Feldzug unternehmen, er hält einen Krieg mit den Söhnen der Gelben für ein Spiel.“ Was den Ausdruck „Söhne der Gelben“ betrifft, so bemerkt I. dazu : „Die Griechen (Rum) heißen Söhne der Gelben, weil sie von Rum, dem Sohne Esau's, dem Sohne des göttlichen Propheten Isak abstammen, welcher einen gelben Flecken hatte.“ Die Gelehrten in der alten Geschichte berichten: „Esau heirathete die Tochter seines Oheims Ismael, und sie gebar ihm Rum, der einen gelben Flecken hatte, so daß man ihn den Gelben nannte; nach Andern hatte sein Vater Esau einen gelben Flecken; wahrscheinlich soll hier gelb so viel als röthlich bedeuten, wie auch Sura II, Vers 69 die rothe Kuh gelb genannt wird, da Esau bekanntlich in der Bibel den Beinamen Edom (der Rothe) führt.“ Den sonderbarsten Vorwand, um nicht mit Mohammed zu ziehen, gebrauchte Djadd Ibn Keis, welcher nach I. zu Mohammed sagte: „O Gesandter Gottes! erlaube mir zurück zu bleiben, und bringe mich in keine Versuchung! Bei Gott, alle meine Leute wissen, daß niemand mehr das weibliche Geschlecht liebt, als ich; ich fürchte daher, wenn ich die Frauen der Griechen sehe, ihnen nicht widerstehen zu können.“ Mohammed wendete sich von ihm ab, und Gott sandte (den 51. Vers der 9. Sura) herab: „Einer von ihnen sagt: erlaube mir (zurückzubleiben) und bringe mich in keine Versuchung. Sind sie aber nicht in der Versuchung gefallen? (schon durch den Wunsch zurückzubleiben) aber die Hölle wird einst die Ungläubigen umgeben.“ Nach einer andern Tradition (diese klingt noch annehmbarer) sagte Mohammed zu Djadd oder zu andern: „Ziehet mit nach Tabuk, da könnet ihr griechische Mädchen und Frauen erbeuten.“ Darauf ward ihm geantwortet: „Erlaube uns (oder mir) zu bleiben, damit wir in keine Versuchung kommen.“ Gegen die Heuchler, welche sich im Hause des Juden Saweilam versammelt hatten, sandte Mohammed den Ammar Ibn Jasir, und beauftragte ihn, sie über ihre Reden zurechtzuweisen. Sie kamen dann zu Mohammed und sagten: „Wir haben nur gescherzt.“ Darauf bezieht sich der 66. und 67. Vers der 9. Sura, in welchen gesagt wird: „Die Heuchler fürchten, es möchte eine Sura vom Himmel kommen, welche offenbart, was sie in ihrem Herzen verbergen, sie entschuldigen sich daher und sagen, sie haben nur gescherzt, aber Gott macht ihre Heuchelei bekannt.“ Es heißt im Texte bei S. fol. 240, Mohammed sagte zu Ammar: „Idrik alkauma fainnahum kad ichtaraku fasalhum“ u.s.w. (gehe hin zu den Leuten, denn schon haben sie Lügen verbreitet und frage sie etc.) Durch die Verwechslung des ichtaraka (mit punktirtem cha) mit ihtaraka (ha ohne Punkt) läßt wahrscheinlich H. v. H. S. 133 dieses Haus verbrennen.
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kein gesegnetes war, und man daher Mühe hatte, den nöthigen Vorrath zu diesem Zuge aufzutreiben; die Hitze war noch drückend, und die Araber gerade mit der Dattelnerndte beschäftigt, so daß selbst einige, Mohammed sonst ganz ergebene und als Rechtgläubige bekannte Männer, sich weigerten an diesem Feldzuge Theil zu nehmen. Mohammed beharrte indessen auf seinem Befehle, und seine treuesten Anhänger gingen den Uebrigen mit gutem Beispiele voran. Othman schenkte tausend, nach Einigen sogar zehntausend Dinare, als Beitrag zu den Kriegskosten her, so daß Mohammed ihn deßhalb nicht nur von den
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schon begangenen, sondern auch von allen künftigen Sünden frei sprach. Abu Bekr brachte sein ganzes Vermögen herbei, das aus viertausend Drachmen bestand, und als Mohammed ihn fragte: „Was hast du denn deiner Familie gelassen?“ antwortete er: „Gott und seinen Gesandten.“ Auch Omar, Abbas und Abd Arrahman Ibn Auf schenkten große Summen her, und viele Frauen sandten ihren Schmuck als Beitrag zum heiligen Kampfe. Mit Mühe brachte jedoch Mohammed, trotz dem allgemeinen Aufgebote an alle Gläubigen und Verbündeten, eine Armee von dreißigtausend Mann zusammen, von der aber, als es zum Aufbruch kam, ein großer Theil mit Abd Allah Ibn Ubejj wieder umkehrte 399). Den in Medina Zurückgebliebenen scheint Mohammed so wenig getraut zu haben, daß er es für nöthig fand, seinen Schwiegersohn Ali, so viel er auch bei jedem bisherigen Kampfe geleistet hatte, zum Schutze seiner Familie zurückzulassen 400). Gegen diejenigen, welche
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399) Gleich am ersten Tage schlug Abb Allah mit den Truppen die unter ihm standen (wahrscheinlich ein Theil der Chazradjiten und ihrer Verbündeten), sein Lager in einiger Entfernung von dem Mohammeds, mehr nach Medina hin, auf, und als Mohammed weiter zog, blieb er zurück mit den Heuchlern und Zweiflern. Abd Allahs Truppen, heißt es bei S. (fol. 238) bildeten, nach dem, was man glaubt, nicht den geringern Theil der beiden Armeen (leisa biakalli-l-askarein), d. h. der unter ihm und unter Mohammed stehenden. I., der diese Worte anführt, bemerkt, doch ohne weitern Grund, es sey nicht wahrscheinlich, daß Abd Allahs Leute so zahlreich waren, als die Mohammeds, um wie viel weniger noch zahlreicher. Auch über die Gesammtzahl der Truppen sind die Traditionen nicht gleichlautend, da manche vierzig, andere sogar siebenzigtausend angeben, während mir selbst die Zahl dreißigtausend noch übertrieben scheint.
400) Die Heuchler, denen gewiß seine Anwesenheit lästig war, verspotteten ihn und sagten: „Mohammed habe ihn nur zurückgelassen, weil er ihm zur Last wäre“ (nicht „weil ihm der Feldzug und Mohammed lästig,“ wie bei H. v. H. S. 188), er bewaffnete sich dann, holte Mohammed noch in Djurf ein, und fragte ihn, ob das wahr wäre? Mohammed antwortete : „Sie haben gelogen, du sollst statt meiner diejenigen, die ich zurücklasse, bewachen, und mir seyn, was Aron dem Moses war, obgleich jener ein Prophet war, nach mir aber kein Prophet mehr auftreten wird. (S. fol. 238 und Abulfeda ed. N. S. 104).
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unter den verschiedenartigsten Entschuldigungen oder auch ohne allen Vorwand zu Hause blieben, erschienen später unter andern folgende Koransverse: „Die Zurückgebliebenen freuen sich mit ihrem Aufenthalte im Rücken des Gesandten Gottes und scheuen den heiligen Kampf auf dem Wege Gottes mit ihrem Gut und ihrem Blut; sie sagten (einer zum andern) ziehet nicht aus, während der Hitze! sage ihnen aber: (so befiehlt Gott Mohammed) das Feuer der Hölle ist brennender, o wären sie doch verständig! Ihr Lachen ist nur von kurzer Dauer, sie werden aber einst lange weinen, als Strafe für ihre Handlungsweise. Wenn dich Gott zu ihnen zurückführt, und sie bei dir anhalten, dich auf irgend einem andern Zug zu begleiten, so sage ihnen: ihr sollt nie mehr mit mir ausziehen, und nie mehr an meiner Seite kämpfen; ihr habt das erste Mal an der Ruhe Wohlgefallen gehabt, so bleibet auch jetzt bei den Uebrigen zurück. Stirbt einer von ihnen, so sollst du auch nie für ihn beten, noch sein Grab betreten, denn sie glaubten weder an Gott, noch an seinen Gesandten, und starben als Uebelthäter.“ 401) Mohammed setzte indessen bei der größten Hitze, bei Mangel an Wasser und den nöthigen Lebensmitteln, seinen Zug fort,
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401) S. Sura IX. Vers 83-36. Einige der Zurückgebliebenen folgten ihm jedoch später; so erzählt S. fol. 238: „Als Abu Cheithama an einem heißen Tage in seinen Garten kam, wo ihn seine beiden Frauen unter kühlen Zelten mit frischem Wasser und guten Speisen erwarteten, sagte er: der Gesandte Gottes ist dem Winde und der Hitze ausgesetzt, und Abu Cheithama soll hier im Schatten bei seinen schönen Frauen sitzen? das ist nicht recht, bei Gott! ich betrete ihr Zelt nicht.“ Er traf dann sogleich die nöthigen Anstalten zur Reise, und ritt dem Propheten bis Tabuk nach. Auf dem Wege traf er Omeir Ibn Wahb, der ebenfalls sich den Truppen anschließen wollte.
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und so oft ihm neue Ausreißer gemeldet wurden, sagte er: „Lasset sie! ist etwas Gutes an ihnen, so bringt sie Gott wieder zu uns, wo nicht, so hat uns Gott Ruhe vor ihnen geschafft.“ Als endlich die Truppen ganz erschöpft nach dem etwa sieben Tagereisen nördlich von Medina liegenden Bezirk Hadjr kamen, an den dortigen Brunnen sich laben und in den in Felsen gehauenen Wohnungen einige Ruhe genießen wollten, gestattete es ihnen Mohammed nicht, weil der vom Koran 402) sanctionirten Legende zufolge, hier der Wohnsitz des wegen seiner Gottlosigkeit untergegangenen Stammes Thamud gewesen; selbst diejenigen, welche schon Wasser genommen, und damit etwas gekocht oder Brod angeknetet hatten, mußten es
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402) Von den Thamuditen, denen Gott den Propheten Salih sandte, der, um sie von seiner himmlischen Sendung zu überzeugen, ein Kameel aus einem Felsen hervorrief, ist an mehreren Stellen des Korans die Rede. Unter andern in der 7. Sura, Vers 74 - 81, welche lauten: „An Thamud (sandte Gott) ihren Bruder Salih, welcher ihnen zurief: betet Gott an, außer dem kein anderer ist, ihr habt ja einen Beweis von eurem Herrn, dieses Kameel Gottes dient euch ja als Zeichen, lasset es weiden im Lande Gottes, und thut ihm nichts zu leid, sonst trifft euch schwere Pein. Bedenket, daß euch Gott zu Nachfolgern der (zernichteten) Söhne Aad gesetzt und euch ein Land zur Wohnung angewiesen, in dessen Ebenen ihr Schlösser bauen, und in dessen Berge ihr Häuser einhauen könnet, gedenket der Wohlthaten Gottes, und verbreitet nicht Verderben auf Erden. Da sagten die Vornehmen des Volkes zu den Geringern: wisset ihr, daß Salih von seinem Herrn gesandt ist? Sie antworteten: ja, wir glauben an seine Sendung. Die Vornehmen versetzten aber: wir glauben nicht daran. Sie lähmten dann das Kameel, waren widerspenstig gegen Gottes Befehl, und sagten zu Salih: erfülle nur deine Drohung gegen uns! wenn du ein Gottesgesandter bist. Da wurden sie von einem Erdbeben heimgesucht, und am folgenden Morgen lagen sie hingestreckt in ihren Wohnungen. Salih wendete sich aber von ihnen ab, und sagte: ich habe euch die Sendung meines Herrn gebracht, und euch treuen Rath ertheilt, ihr liebet aber treue Rathgeber nicht.“
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den Kameelen hinwerfen. Die folgende Nacht war so stürmisch, daß Mohammed Niemanden erlaubte, sich allein vom Lager zu entfernen; der Wind war dabei so glühend, daß manche Leute, um nicht vor Durst umzukommen, ihre Kameele schlachteten und alle Flüssigkeiten sammelten. Als indessen Tags darauf der Sturm sich legte, ward die Armee von einem starken Regen 403) erquickt, so daß sie ohne weitere Beschwerde ihren Marsch bis zu dem ungefähr in der Mitte zwischen Medina und Damask liegenden Städtchen Tabuk fortsetzen konnte, dessen fruchtbare Umgebung sie zum Rasten einlud. Hier empfing Mohammed die Häupter einiger Grenzstädte Syriens, so wie auch den Fürsten des am rothen Meere gelegenen Städtchens Eila, welche für einen jährlichen Tribut den Frieden erkauften. Das Schreiben, das er Letzterem ausstellte, lautet:
„Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, Allgnädigen. Dieß ist der Sicherheitsbrief von Gott und dem Propheten Mohammed, dem Gesandten Gottes, an Johanna, den Sohn Ruba's, und die Bewohner von Eila. Ihre Schiffe und Karawanen zu Land und zu Wasser stehen unter dem Schutze Gottes und seines Propheten, eben so alle diejenigen, welche zu ihnen gehören, es seyen Syrer, Südaraber oder Küstenbewohner 404). Wer von ihnen aber sich eine Neuerung erlaubt
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403) Der Legende zufolge nach Mohammeds Gebet. Als man aber durch die Erhörung dieses Gebets einen sogenannten Heuchler von Gottes Liebe zu Mohammed überzeugen wollte, sagte er: „Es zog eben gerade eine Wolke vorüber, die sich entlud.“ S. fol.239.
404) Die etwas schwierigen Worte des Textes lauten bei I. und S. fol. 240: „Faman ahdatha minhum hadathan fainnahu la jahulu maluhu duna nafsihi wainnahu latajjibun liman âhadsahu min alnasi wainnahu la jahillu an jumnau maan jaridunahu wala tarikan juridunahu min barrin au bahrin“ Dafür hat H. v. H. S. 190 „und wer hinfüro von ihnen etwas nimmt, der gefährdet nur seine Seele. Mohammed ist gut den Menschen, die ihn (zum Schutze nehmen); er erlaubt nicht, daß sie verhindert werden an ihrem Willen, sey es zu Land , sey es zu Meer.“ Gagnier, welcher diesen Brief in seiner Ausgabe des Abulfeda S. 124 anführt, wo aber nach tajjib das Wort Iiman, nach dem ra von juriduna ein ja fehlt, mâan (Wasser) für Mad und tarikan für tarifan zu lesen ist, übersetzt diese Stelle noch unrichtiger: „Quod si quis illorum novas acquisierit facultates, is opes suas non commutet pro anima sua: quod si quem hominem captivum fecerit, illum benevole tractet: neque committat ut prohibeantur a commeatu commodato, quem reddituri sunt, neque a fructibus regionis quos itidem reddituri sunt ei terra marique.“ Ich habe das Wort „hala“ in der Bedeutung von hadjasa (dazwischen treten) genommen, wörtlich: sein Gut kann nicht zwischen ihn und sein Leben treten; das Wort „tajjib“ heißt so viel als: hilaI, eine erlaubte Wegnahme, wie auch die Franzosen in diesem Sinne „bonne prise“ sagen, das Uebrige bedarf keiner Erläuterung.
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(d. h. diesem Vertrage zuwider handelt), der kann sein Leben nicht mehr durch sein Gut retten, sondern wer ihn ergreift, darf ihn als Gefangenen behandeln. Es soll ihnen kein Wasser versagt werden, von dem sie trinken, und kein Weg versperrt werden, den sie wandeln wollen, sowohl zu Land als zu Wasser.“
Hier empsing Mohammed auch die Huldigung des christlichen Fürsten Ukeidar, der von dem christlichen Fürstenhause Kinda abstammte, und in Daumat Aldjandal residirte. Chalid hatte ihm mit einer Abtheilung Reiter aufgelauert als er auf der Jagd war, seinen Bruder erschlagen und ihn gefangen genommen. Da er sich aber einen jährlichen Tribut zu entrichten erbot, durfte er wieder frei abziehen. Mit diesen sehr geringen Früchten für einen mit so vielen Schwierigkeiten verbundenen Feldzug mußte sich Mohammed begnügen, denn seine Gefährten fanden es nicht rathsam, sich mehr der syrischen Grenze zu nähern, welche von zahlreichen Truppen besetzt war 405). Nach einem Aufenthalte von fünfzehn bis zwanzig
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405) Es heißt bei I.: „Mohammed hielt Rath mit seinen Geführten, ob er Tabuk überschreiten sollte, da sagte ihm Omar: hast du den Befehl (von Gott) weiter zu ziehen, so thue es. Mohammed erwiederte hierauf: hätte ich den Befehl weiter zu ziehen, so würde ich euch nicht um Rath fragen. Da versetzte Omar: O Gesandter Gottes! die Griechen sind ein zahlreiches Volk, und es befindet sich kein einziger Muselmann unter ihnen, übrigens sind wir ihnen schon nahe gerückt und deine Nähe hat sie in Schrecken versetzt (?), wir wollen daher dieses Jahr zurückkehren, bis du es wieder angemessen findest, einen Feldzug gegen sie zu unternehmen, oder Gott irgend eine Veranlassung dazu herbeiführt.“
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Tagen brach er daher wieder nach Medina auf. Aber auch auf dem Rückwege hatte er noch mit manchen Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Sein ausdrückliches Verbot, daß niemand ihm vorauseile zu einem Brunnen, an dem er vorüber kommen mußte, blieb unbeachtet, und als er dahin kam, war schon kein Wasser mehr darin, worauf er die Ungehorsamen verwünschte, aber unbestraft ließ. Auf einer steilen Anhöhe, über welche er mit wenigem Gefolge ritt, während die Truppen in der Ebene blieben, lauerten ihm zwölf vermummte Männer in der Nacht auf 406), und er verdankte seine Rettung wahrscheinlich nur
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406) Die nähern Umstände sind bei I. nicht recht klar. Folgende sind seine Worte: „Es beschlossen zwölf Heuchler, von denen, welche Mohammed nach Tabuk begleitet hatten, auf der Anhöhe zwischen Tabuk und Medina verrätherisch gegen ihn zu handeln. Sie sagten: wenn er die Anhöhe besteigt, so stoßen wir ihn von seinem Kameele in das Thal hinab. Aber Gott benachrichtigte sei nen Gesandten von ihrem Vorhaben. Als daher die Truppen an die Anhöhe kamen, ließ er ausrufen: der Gesandte Gottes will die Anhöhe allein besteigen, die Armee folge dem bessern Weg in der Ebene (m. a. W. umgehe den Berg; aber warum that er nicht dasselbe?) Die Truppen blieben nun im Thale, und Mohammed ritt über die Anhöbe, befahl Ammar Ibn Jasir sein Kameel zu führen, und Hudseifa es von hinten zu treiben. Nach dem Buche Dalail fährte es Hudseifa und trieb es Ammar. Als er auf der Anhöhe war, hörte er einen Lärmen hinter sich und sein Kameel entfloh in solcher Eile, daß ein Theil seines Gepäcks herunter fiel. Der Gesandte Gottes gerieth in Zorn, und befahl Hudseifa die Lärmenden zurückzutreiben. Er nahm seinen Stock, und trieb damit die Kameele der Verräther zurück, welche vermummt waren, und rief ihnen zu: zurück, ihr Feinde Gottes! Da diese merkten (?), daß der Gesandte Gottes ihre List durchschaut, entflohen sie, und mischten sich unter die Truppen in der Ebene. Mohammed fragte Hudseifa: hast du jemanden erkannt von den Leuten, die du zurückgetrieben? er antwortete: nein, sie waren vermummt und die Nacht war zu dunkel. (Omar Ibn Hamza berichtet: als ich das gefallene Gepäck des Gesandten Gottes wieder sammeln wollte, leuchteten meine fünf Finger wie fünf Lichter, bis ich alles wiedergefunden). Nach einer andern Ueberlieferung antwortete Hudseifa: ich habe das Kameel des N. N. und N. N. erkannt. Weißt du, was sie beabsichtigten? fragte ihn hierauf Mohammed. Sie wollten List gebrauchen, und mich herunterstürzen machen, aber Gott hat mich von allem unterrichtet, doch verschweige ihre Namen! Am folgenden Morgen fragte Useid den Gesandten Gottes, warum bist du gestern Abend über die Anhöhe geritten und nicht lieber dem bessern Wege im Thale gefolgt? er antwortete ihm: weißt du, was die Heuchler beabsichtigten? und erzählte ihm den ganzen Vorfall. Useid forderte ihn auf sie zu nennen, und machte sich verbindlich, ihm ihre Köpfe zu bringen. Mohammed entgegnete: man sage nicht von mir, daß ich meine Leute in den Krieg führe, und dann, wenn ich siegreich heimkehre, sie hinrichten lasse. Mohammed ließ sie dann zu sich rufen, und machte ihnen Vorwürfe, aber sie läugneten Alles, und schwuren bei Gott, nichts von dem was er glaube, beabsichtigt zu haben.“
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seinem Kameele, das scheu wurde und so schnell lief, daß ein Theil seines Gepäcks herunter fiel, während einer seiner Begleiter die der Feinde aufhielt. Auf diesen Umstand bezieht sich folgender Koransvers:
„Sie schwören bei Gott, sie haben nichts gesagt, aber sie haben es gesagt das Wort des Unglaubens, und sind wieder zum Unglauben zurückgekehrt, nachdem sie Muselmänner geworden, und haben Pläne geschmiedet, die sie nicht ausführen konnten. Zwar hatten sie für nichts Rache zu nehmen, als daß Gott und sein Gesandter sie durch ihre Gnade reich gemacht 407). Doch bekehren sie sich wieder, so wird es ihnen
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407) Diese Stelle übersetzt U. unrichtig : „und ließen sie (ihre Pläne) nur deßhalb fahren, weil Gott in seiner Güte und der Prophet ihnen Reichthum gewährte.“ Meine Uebersetzung ist nach Djalalein, dem auch Maraccius folgt: «Et non reprobaverunt: nisi quod ditasset eos Deus etc.“
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gut ergehen, wenden sie aber (Gott) den Rücken, so wird sie Gott mit schwerer Strafe heimsuchen.“ 408)
Auf dem Heimwege hielt Mohammed eine Predigt, in welcher unter Andern folgende Kernsprüche vorkamen: „Die schönste Unterhaltung ist das Buch Gottes, der beste Reichthum ist der des Herzens , der schönste Vorrath ist der an frommen Handlungen, die höchste Weisheit ist Gottesfurcht; Weiber sind das Netz, mit welchen Satan die Männer umstrickt, Jugend gehört halb und halb zur Raserei; selig wird der, welcher an Andern Belehrung nimmt, und wer das Unglück mit Geduld erträgt, dem steht Gott bei.“ 409)
Als Mohammed in Dsu Arwan, nur noch eine Stunde Wegs vor Medina, anlangte, ward er von den Beni Ghanim, welche ihre Brüder, die Beni Amru Ibn Auf, wegen der zu Kuba errichteten Moschee beneidet, und daher auch eine gebaut hatten, abermals eingeladen, sie durch sein Gebet einzuweihen. Schon bei seinem Auszuge von Medina hatten sie ihn nämlich dazu aufgefordert, er konnte sich aber nicht mehr so lange aufhalten, und versprach ihnen daher bei seiner Rückkehr ihren Wunsch zu gewähren. Damals hatte aber Mohammed, der Aussage der Abgeordneten der Beni Ghanim zufolge, geglaubt, sie wollten, obschon sie ganz in der Nähe von Kuba wohnten, dennoch aus Frömmigkeit eine Moschee bauen, damit auch bei schlechtem Wetter und dunkler Nacht selbst ältere und schwächliche Leute dem öffentlichen Gebete beiwohnen könnten. Inzwischen hatte er aber vernommen, daß die Beni Ghanim keineswegs aus Religiosität, sondern um die Araber der Umgebung von Kuba abzuhalten, eine Moschee bauen ließen, und daß sie nicht nur keine frommen Muselmänner, sondern sogar mit seinem Feinde, dem Mönche Abu Amir, im Einverständnisse
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408) Sura 9, Vers 76.
409) I. nach Ibn Al Athir.
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waren, welcher sich damals in Syrien aufhielt, und die Griechen zu einem Kriege gegen die Muselmänner anspornte. Statt diese Moschee einzuweihen, sandte daher Mohammed zwei Männer dahin, mit dem Befehle sie zu verbrennen und niederzureißen. Auf diese Begebenheit beziehen sich folgende Koransverse 410): „Und (unter ihnen sind) die eine Moschee gebaut, in der Absicht zu schaden (den Bewohnern Kuba's) aus Unglauben, um eine Spaltung unter den Muselmännern hervorzurufen, und in Erwartung dessen 411), der schon früher Gott und seinen Gesandten bekämpfte. Sie schwören: wir haben nur Gutes bezweckt, aber Gottes Zeugniß erklärt sie als Lügner. Stehe nie zum Gebete darin, denn die Moschee, die auf Gottesfurcht gegründet ist vom ersten Tage an, verdient es eher, daß du dich darin aufhaltest. In dieser sind Männer, welche wünschten, gereinigt zu werden, und solche Menschen liebt Gott 412). Ist nicht der, welcher sein Gebäude auf Gottesfurcht stützt, und in der Hoffnung seines Herrn Wohlgefallen zu erlangen, besser als der, welcher es auf den Rand einer zerfallenen Mauer gründet, so daß er damit in das Feuer der Hölle stürzt? Gott leitet kein ungerechtes Volk. Der Bau, den sie (die Beni Ghanim) errichtet, wird stets ihr
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410) Sura 9, Vers 109-111.
411) Das heißt in Erwartung Abu Amirs. Dafür hat H. v. H. (S. 194): „Als eine Warte wider die, so für Gott kämpfen und seinen Gesandten,“ als wenn „haraba“ mit folgendem Accusativ „für jemanden kämpfen“ bedeutete. Maraccius, dem auch Sale und Gagnier (II. 230) folgen, hat das „haraba“ schon richtig übersetzt, aber das irsâdan (mit sad) nicht. Seine Uebersetzung lautet: „Et ad locum insidiarum pro iis, qui pugnaverunt contra Deum et legatum ejus antea.“ Meine Uebersetzung ist nach Djalalein, welcher das Wort „irsâdan“ durch „tarkiban“ interpretirt. Diese Bedeutung ist übrigens die erste, welche der Kamus angibt, nämlich „etwas in Erwartung kommender Dinge vorbereiten.“
412) Dafür hat U.: „Die Menschen sollen wünschen, in diesem sich zu reinigen, denn Gott liebt die Reinen.“
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Herz beunruhigen, bis es vergeht, Gott ist allwissend und allweise.“ 413)
Als Mohammed nach Medina zurückkam, verbot er den Muselmännern, die ihm gefolgt waren, mit denen, welche zurückgeblieben, zu sprechen. Er nahm jedoch, als sie sich bei ihm entschuldigten, sein Verbot zurück, und hielt es nur noch gegen Kaab Ibn Malik, Murara Ibn Rabia und Hilal Ibn Ommejja aufrecht, weil diese drei Männer als fromme Gläubige bekannt waren, und er daher ihren Ungehorsam strafbarer fand, als den der Heuchler. Am vierzigsten Tage befahl er ihnen sogar, sich von ihren Frauen abzusondern, und erst am fünfzigsten verzieh er ihnen im Namen Gottes, und offenbarte folgende Koransverse: „Gott wendete sich dem Propheten zu und den Ausgewanderten und Hülfsgenossen, die ihm in der Stunde der Noth folgten, nachdem das Herz Anderer schwankte; dann begnadigte er auch diese, denn er ist mild und barmherzig;
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413) Auch diesen Vers hat H. v. H. a. a. O. mißverstanden. Er lautet bei ihm: „Aber das Gebäu derer, welche mit zweifelnder Scheu im Herzen gebaut, wird bestehen, bis ihre Herzen vergehen.“ Daß aber „reib“ nicht zweifelnde Scheu, sondern gewöhnlich Zweifel des Unglaubens bedeutet, ist bekannt; auch wäre es unpassend, wenn dieser Vers sich auf die Bewohner von Kuba bezöge, ihnen zu sagen: ihr Bau wird bestehen, bis ihr Herz sich zerbröckelt, denn so heißt es wörtlich. Ich habe daher das Wort raib hier nach dem Kamus im Sinne von „kalak“ und „idhtirab“ genommen, und glaube, daß Mohammed sagen wollte: sie werden mit Furcht vor jenseitiger Strafe oder mit Gewissensbissen daran denken, bis zum Tode. Maraccius übersetzt diesen Vers: „Non deficiet aedificium eorum, quod aedificaverunt cum haesitatione (circa fidem) in cordibus suis, nisi abscindantur corda eorum (per mortem) et Deus est sciens sapiens.“ U. bemerkt in einer Anmerkung zu diesem Vers: „Dieses Gebäude wird so viele Religionszweifel an- und aufregen, daß sie über deren Lösung alle gesunde Vernunft verlieren.“ Diese Erklärung scheint mir um so unnatürlicher, da doch das Gebäude auf Mohammeds Befehl zerstört ward.
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zuletzt auch noch die drei Ausgeschlossenen (welche so lange abgesondert blieben), bis ihnen die weite Erde zu eng ward, ihr Herz sich gedrückt fühlte, und sie einsahen, daß es vor Gott keinen andern Zufluchtsort gibt, als bei ihm selbst; dann erst nahm er ihre Buße an, damit sie sich ganz zu ihm bekehren, denn Gott ist nachsichtig und barmherzig.“ 414)
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414) Sura IX. Vers 119 und 120. Bei S. fol. 242 u. ff. wird eine bis auf Kaab zurückgehende Tradition angeführt, in welcher er seine und seiner beiden Gefährten Geschichte folgenderweise erzählt: „Ich habe alle Feldzüge, welche der Gesandte Gottes angeordnet, mitgemacht, mit Ausnahme des Feldzugs von Bedr, wo es anfänglich auf gar kein Treffen, sondern nur auf einen Angriff der Karawane der Kureischiten abgesehen war, weßhalb auch Gott und sein Gesandter den Zurückgebliebenen keine Vorwürfe machten. Hingegen war ich bei der Huldigung auf Akaba, die ich nicht mit dem Feldzuge von Bedr vertauschen möchte, wenn gleich dieser berühmter geworden. Was den Feldzug von Tabuk betrifft, so muß ich gestehen, daß ich nie kräftiger und wohlhabender war, als damals, denn ich besaß zwei Kamele, was bei keinem andern Kriegszuge der Fall war. Aber bei allen andern Zügen erhielten wir den Befehl auszurücken, ohne daß wir wußten gegen wen, dießmal hingegen, weil wir bei großer Hitze einen weiten Weg zurückzulegen und einen zahlreichen Feind zu bekämpfen hatten, daher außerordentlicher Vorbereitungen bedurften, machte uns Mohammed mit seinem Vorhaben bekannt. Unzählbare Schaaren rüsteten sich zum Kriege, obschon ungern, wegen der Dattelnerndte, die sie an ihre Heimath fesselte. Auch ich beschloß dem Propheten zu folgen, verschob aber die Vorkehrungen zu einem solchen Zuge von einem Tage zum andern, bis endlich die Armee aufbrach. Ich nahm mir dann vor, sie noch einzuholen, aber auch damit zögerte ich so lange, bis es zu spät war. Ich bereute indessen bald meine Saumseligkeit, denn als ich ausging, begegneten mir nur Frauen, Kinder, Greise oder kranke Leute, oder solche rüstige Männer, welche als Heuchler bekannt waren. . . Als ich hörte, der Gesandte Gottes kehre von Tabuk zurück, fühlte ich mich beschämt; ich besann mich auf irgend eine Lüge, um meinen Ungehorsam zu bemänteln, und berieth mich mit allen meinen Familiengliedern über die beste Weise, seinem Zorne zu entgehen. Nach seiner Ankunft aber wich jeder Trug aus meinem Herzen, denn ich erkannte, daß ich nur durch Aufrichtigkeit mich retten könnte, und beschloß daher dem Gesandten Gottes die Wahrheit zu gestehen. Gleich am folgenden Tage ließ sich Mohammed nach dem Gebete in der Moschee nieder, um die Leute zu empfangen. Da kamen über achtzig der Zurückgebliebenen und entschuldigten sich bei ihm. Mohammed nahm ihre Entschuldigungen an, glaubte ihren Worten, und stellte ihr Inneres Gott anheim. Endlich trat ich vor ihn hin, da lächelte er ein Lächeln des Zornes, und fragte mich: was hat dich abgehalten? Ich antwortete : bei Gott! säße ich vor jedem andern als vor dir, ich würde durch irgend eine Entschuldigung ihn zu besänftigen suchen. Wenn ich dich aber auch heute durch eine Lüge hintergehen wollte, so könnte leicht Gott (durch eine Offenbarung) morgen deinen Zorn von Neuem gegen mich aufregen, darum will ich lieber meine Strafe dulden und offen gestehen, daß ich nie kräftiger und wohlhabender war, als zur Zeit, wo ich dir zu folgen unterließ. Da sagte der Gesandte Gottes: nun, du bist doch wenigstens aufrichtig. Mache dich auf und erwarte Gottes Entscheidung über dich! Als ich Mohammed verließ, machten mir manche Leute Vorwürfe, daß ich nicht auch wie so viele Andere irgend eine Entschuldigung vorgebracht. Schon wollte ich zu ihm zurückkehren und mich entschuldigen, als ich hörte, daß noch zwei andere fromme Muselmänner, Murara und Hilal, meinem Beispiele gefolgt; da ging ich meines Weges, und vernahm bald, daß der Gesandte Gottes jedermann verboten mit uns zu sprechen; darauf wich uns ein jeder aus, und nahm eine fremde Miene an, so daß mir mein heimathlicher Boden wie ein fremdes Land erschien. Meine beiden Gefährten verließen indessen ihr Haus nicht, ich ging aber aus, obschon niemand mit mir sprach, besuchte auch die Moschee, setzte mich neben den Gesandten Gottes und grüßte ihn, obgleich er meinen Gruß nicht erwiederte. Eines Tages, nachdem ich meinen besten Freund und Vetter Abu Kutada in seinem Garten angeredet hatte, ohne daß er mir Gehör schenkte, und in größter Betrübniß in den Straßen Medina's umherlief, kam ein Syrer, und rief: wer zeigt mir die Wohnung Kaab Ibn Maliks? die Leute deuteten auf mich hin; er trat mir näher und überreichte mir einen Brief von dem Fürsten der Ghassaniden, in welchem er mich einlud, statt bei Mohammed allerlei Kränkungen zu dulden, mich zu ihm zu begeben. Als ich dieses Schreiben gelesen hatte, dachte ich: das ist ein neues Unglück, ist es so weit mit mir gekommen, daß schon Ungläubige nach mir zu gelüsten wagen? ich warf dann den Brief ins Feuer und ging nach Hause. Am einundvierzigsten Tage kam ein Bote des Gesandten Gottes zu mir, und befahl mir in seinem Namen, mich von meiner Frau zu trennen. Ich sagte ihr: gehe zu deinen Verwandten, und bleibe dort, bis Gott über mich entscheidet. Meine beiden Gefährten erhielten denselben Befehl, da aber Hilal ein alter Mann war, gestattete Mohammed seiner Frau, ihn zu bedienen. Ich verließ nun die Stadt, und schlug mir ein Zelt auf dem Berge Sal‘u auf, und lebte zehn Tage darunter in dem Zustande, wie ihn Gott schildert: die ganze weite Erde war mir eng. Am einundfünfzigsten Tage kam ein Bote zu mir zu reiten, und wünschte mir Glück zu Mohammeds Vergebung, welcher beim Frühgebete bekannt gemacht hatte, daß Gott uns verziehen. Ich schenkte dem Glücksboten meine einzigen Kleider, entlehnte andere, und lief in die Moschee, wo der Gesandte Gottes saß. Er war von vielen Leuten umgeben, aber Niemand stand vor mir auf, außer Talha, welcher mich grüßte und beglückwünschte. Als ich den Gesandten Gottes grüßte, sagte er mir mit Freude strahlendem Gesichte: freue dich mit dem schönsten Tage, seitdem dich deine Mutter geboren! Ich fragte: kommt die Gnade von dir oder von Gott? er antwortete: Gott hat dich begnadigt. Ich schenkte dann als Buße einen Theil meines Vermögens her, und gelobte stets die Wahrheit zu sagen, weil sie mich vor dem Schicksale der übrigen Zurückgebliebenen bewahrte, welche eine göttliche Offenbarung als Lügner erklärte, und bei Gott (so schließt Kaab seine Erzählung), ich habe seit damals nie gelogen, und hoffe, daß mich Gott der Erhabene auch fortan vor Lügen bewahren wird.“
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Sieben andere, von denen welche zurückgeblieben waren, bereuten es so sehr, daß sie sich an die Mauer der Moschee
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festbanden und schwuren, nicht eher ihre Fesseln abzulegen, bis Mohammed ihnen verzeihen werde. Als er an ihnen vorüberkam, und sie in diesem Zustande sah, sagte er: und ich schwöre sie nicht eher zu befreien, bis ihnen Gott vergibt, denn sie haben ihn erzürnt, indem sie an dem heiligen Kriege keinen
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Antheil genommen. Aber sie wurden bald durch folgende Koransverse befreit:
„Was diejenigen angebt, welche ihr Vergehen bekannt und gute Werke (frühere gottgefällige Handlungen) mit schlimmen vermischten und hofften, Gott, der Gnädige und Barmherzige, werde ihnen vergeben, nimm von ihrem Gute als Almose und reinige sie dadurch von ihrer Schuld, bete auch für sie, denn dein Gebet bringt ihnen Ruhe. Gott hört und weiß Alles. Wissen sie nicht, daß Gott die Buße seiner Knechte annimmt und ihre Almosen? er ist gnädig und barmherzig.“ 415)
Nach Offenbarung dieser Verse verzieh ihnen Mohammed, band sie los und nahm ihnen den dritten Theil ihres Vermögens ab“ 416).
Bald nach seiner Rückkehr hatte Mohammed über einen Ehebruchsprozeß ein Urtheil zu fällen. Schon früher, gleich nach Aïscha's Abentheuer, hatte er zwar bestimmt, daß der Ehebruch nur dann bestraft werden dürfe, wenn er durch vier Zeugen bestätigt worden, doch dieses Gesetz war nur gegen fremde Ankläger gegeben, dießmal trat aber ein Gatte selbst als Kläger gegen seine Frau auf. Es war Uweimar, welcher ihm nach Tabuk gefolgt war, und bei seiner Rückkehr, seine Gattin, die er in vier Monaten nicht berührt zu haben behauptete, schwanger fand. Mohammed ließ die Frau rufen, und forderte sie auf, ihre Schuld zu gestehen; sie beschwor aber ihre Unschuld, und behauptete, Uweimar sey ein eifersüchtiger Mann. Da aber dieser auf seiner Anklage bestand, erschienen folgende Koransverse:
„Derjenige, der seine Frau einer Schuld anklagt, und keine andern Zeugen als sich selbst hat, soll vier Mal bei Gott schwören, daß er die Wahrheit spricht, und das fünfte Mal Gottes Fluch über sich herabrufen, wenn er gelogen. Die Strafe wird aber der Frau erlassen, wenn auch sie vier Mal
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415) Dieselbe Sura, Vers 104 - 106.
416) I. und Djalalein zu den angeführten Versen.
Leben Mohammeds.
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bei Gott schwört, daß ihr Mann ein Lügner und zum fünften Mal Gottes Fluch über sich herabruft, wenn er wahr gesprochen.“ 417) Mohammed ließ, dieser Offenbarung zufolge, beide öffentlich in der Moschee nach dem Aßrgebete schwören, und als sie dieß gethan, erklärte er sie für geschieden 418).
Ungefähr um dieselbe Zeit hatte Mohammed in seinem eigenen Harem eine unangenehme Scene, welche eine monatliche Trennung von seinen Frauen zur Folge hatte, und ebenfalls Veranlassung zu einer Offenbarung ward, die nicht alle Gläubigen, sondern nur Mohammed selbst und seine Gattinnen anging. Die Traditionen stimmen über die Einzelnheiten dieser
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417) Sura 24, Vers 6 - 10. Nach einer andern Tradition bei I. war der oben genannte Hilal Veranlassung zur Offenbarung dieser Verse. Mohammed wurde mehrmals um ein Urtheil über einen solchen Fall gebeten, er wich aber lange aus, bis er es endlich auf angegebene Weise fällte. Bekanntlich mußte auch nach mosaischem Gesetze eine von ihrem Gatten als Ehebrecherin angeklagte Frau einen sogenannten Reinigungseid schwören. Sie ward im Tempel entschleiert, der Priester nahm ein Gefäß mit Wasser, in das er Staub vom Boden des Heiligthums mischte, und sagte ihr einen Eid vor, welcher die schrecklichsten Flüche auf sie herabrief, wenn sie schuldig war, worauf sie „Amen“ sagen mußte. Diese Verwünschungen wurden dann aufgeschrieben, die Schrift wieder in dem Wasser, das der Priester in der Hand hielt, ausgelöscht, und dieses Wasser mußte die Angeklagte trinken. S. Michaelis mos. Recht, T. V. S. 270 u. ff. Ich wundere mich, daß Geiger in seiner schon angeführten Schrift diesen offenbar aus dem Judenthume entlehnten Reinigungseid nicht erwähnt.
418) Nach den Schasiiten wird eine von ihrem Gatten des Ehebruchs angeklagte Frau, sobald sie sich durch diesen Eid reinigt, als von ihm geschieden betrachtet, und es bedarf keines weitern Scheidungsprocesses; auch darf sie der Mann in seinem Leben nicht mehr berühren, und selbst wenn sie es wollte, nicht wieder heirathen. Andere behaupten, der Kläger habe im vorliegenden Falle die Scheidungsformel schon ausgesprochen gehabt, ehe er sich zu Mohammed begab. I.
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merkwürdigen Begebenheit nicht miteinander überein, doch geht aus den Zuverläßigsten so viel hervor, daß Mohammed an einem Tage, den er entweder seiner Gattin Aïscha, oder Hafßa widmen sollte, eine Zusammenkunft mit seiner Sklavin Maria hatte, und zwar in der Wohnung Letzterer, während sie ihren Vater besuchte. Als sie, wahrscheinlich früher als Mohammed vermuthete, zurückkam, und Maria aus ihrer Wohnung treten sah, gerieth sie in Zorn, und überlud Mohammed mit Vorwürfen. Dieser, um sie zu besänftigen, schwur, er werde Maria nie mehr berühren 419), bat sie aber zugleich, das Vorgefallene zu verschweigen. Hafßa bewahrte aber nicht lange ein solches Geheimniß, sondern theilte es ihrer Freundin Aïscha mit, worauf es dann wahrscheinlich auch zu Mohammeds übrigen Gattinnen gelangte, die sich so gegen ihn benahmen, daß er sich von allen trennte, und allein auf einer Matte ohne Teppich, einen ganzen Monat in einem Dachstübchen zubrachte 420). Auf diese Begebenheit beziehen sich folgende Koransverse 421): „O Prophet, warum versagst du dir deinen Gattinnen zu gefallen, was Gott dir erlaubt hat? (deine Sklavin Maria) Gott ist gnädig und barmherzig. Er hat euch vorgeschrieben, wie ihr euch eures Eides entbinden könnet 422). Gott steht euch
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419) Nach Andern machte er ihr auch Hoffnung, daß nach seinem Tode Abu Bekr und Omar ihm nachfolgen würden. I.
420) Von dem Vergehen der übrigen Gattinnen ist nichts Näheres bekannt, auch treffen die folgenden im Koran erwähnten Vorwürfe nur Hafßa und Aïscha. Doch wird bei I. erzählt, sie seyen alle zumal zu Mohammed gekommen, und haben Geld begehrt, zur Zeit, als er Mangel daran hatte. Omar bewog ihn dann sich wieder mit ihnen zu versöhnen, indem er ihm sagte : „Wir waren freilich in Mekka gewöhnt, unsere Frauen zu beherrschen, hier gelten aber die Frauen mehr als die Männer, und die Unsrigen fangen an ihrem Beispiele zu folgen.“
421) Sura 66, Vers 1 - 6.
422) Der Bemittelte soll zehn Arme speisen oder kleiden, oder einem Sklaven die Freiheit schenken, der Unbemittelte drei Tage fasten. Sura 5, Vers 98.
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bei, er ist allwissend, allweise. Als der Prophet einer seiner Gattinnen (Hafßa) ein Geheimniß anvertraute (den Schwur Maria zu entsagen), sie es aber offenbarte, und ihn Gott davon in Kenntniß setzte, da sagte er ihr 423) einen Theil von dem, was sie geoffenbart, und verschwieg einen Theil, und als sie ihn fragte: wer hat dich davon in Kenntniß gesetzt? antwortete er: derjenige, der Alles weiß und von Allem Kunde hat (Gott). Wenn ihr Beide 424) euch bekehret, denn schon
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423) D. h. Hafßa, einen Theil ihrer Worte zu Aïscha. I. bezieht aber dieses Fürwort auf Aïscha, welcher Mohammed gesagt haben soll, er wisse, daß Hafßa ihr seinen Schwur, Maria nicht mehr zu berühren, mitgetheilt, von dem Versprechen der Nachfolge Abu Bekrs und Omars erwähnte er aber nichts, aus Furcht, es möchte unter den Leuten bekannt werden; das heißt mit andern Worten: er wollte Aïscha nicht eingestehen, daß er wirklich Hafßa ein solches Versprechen gemacht. Diese Erklärung wäre so übel nicht, wenn nicht das ganze Versprechen Mohammeds, in Betreff der Nachfolge, als eine sunnitische Erfindung, noch der Bestätigung bedürfte. Meine Uebersetzung ist nach Djalalein, der auch Maraccius folgt: „Notificavit (ille Haphsae) partem illius (quod locuta fuerat cum Aisa), et reticuit partem (ejus, ne eam offenderet). Cum autem Mahometus retulisset eidem (Haphsae) hoc, dixit illa: etc.“ Aus Schonung, oder vielleicht, weil er nicht alles wieder erfahren, stellte er sie wahrscheinlich nur über einen Theil ihrer gegen ihn ausgestoßenen Worte zur Rede.
424) Hier ist im Texte der Dual gebraucht, denn diese Worte sind nur an die beiden Schuldigsten, an Hafßa und Aïscha gerichtet, welche wahrscheinlich manche Ausdrücke gegen Mohammed gebraucht, die der Koran weislich verschweigt. Vielleicht wäre von dem ganzen Vorfalle der Nachwelt nichts bekannt geworden, wenn nicht Abu Bekr, der erste Sammler des Korans, in diesen Versen einen Beweis für die Rechtmäßigkeit seiner Nachfolge gefunden hätte. Denn der bekannte Ueberlieferer Ibn Abbas sagte (heißt es bei I.): bei Gott, das Chalifat Abu Bekrs und Omars findet sich in dem Buche Gottes, und las dann diese Verse. Daß sie aber nach Djalalein nichts beweisen, ist schon in der vorhergehenden Anmerkung gesagt worden.
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hat sich euer Herz (zum Bösen) geneigt, (so ist es gut); verbündet ihr euch aber gegen ihn, so ist Gott sein Beschützer und der Engel Gabriel und die frommen Muselmänner und andere Engel. Vielleicht wird ihm Gott, wenn er sich von euch scheidet, bessere Gattinnen statt eurer geben, Gott Ergebene, Gläubige, Gehorsame, Bußfertige, Andächtige und Fastende, sowohl Wittwen als Jungfrauen.“
Da diese Haremscene wahrscheinlich in Medina zu vielem Gerede Anlaß gab, dem nur Mohammeds Gegenwart einigen Einhalt zu thun vermochte, er selbst auch nach einer Absonderung von einem Monate nicht länger seine Gattinnen sich selbst überlassen wollte, so fand er es nicht gerathen, sich zu dem herannahenden Pilgerfeste nach Mekka zu begeben, sondern ernannte an seiner Stelle Abu Bekr zum Emir der Pilger. Als aber Abu Bekr schon abgereist war, sandte ihm Mohammed, welcher durch den Tod seines politischen Rivalen, Abd Allah Ibn Ubejj, so wie durch die freiwillige Unterwerfung der mächtigsten arabischen Stämme, von denen täglich Abgeordnete eintrafen, kühner und stärker geworden, seinen Schwiegersohn Ali 425) nach, und beauftragte ihn am Tage des Opferfestes in Mina vor den versammelten Pilgern auszurufen: „Kein Ungläubiger wird in das Paradies eingelassen, kein Ungläubiger darf das künftige Jahr mehr als Pilger erscheinen, kein Nackter 426) darf mehr den Tempel umkreisen; nur wer
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425) Abu Bekr, erstaunt darüber, daß ihm nicht der Auftrag ward, die Pilger mit dieser Offenbarung bekannt zu machen, erhielt von Mohammed die Antwort, daß eine neue Offenbarung durch ihn selbst oder Jemanden von seiner Familie verkündigt werden müsse. Abulfeda und S. fol. 247.
426) Was das Verbot, nicht nackt den Tempel zu umkreisen, betrifft, so wird dieß durch das, was S. fol. 26 von den Neuerungen der Kureischiten berichtet, klar. Dort liest man, daß die Kureischiten, um den fremden Arabern recht viel Ehrfurcht vor ihrem Tempel und heiligem Gebiete einzuflößen, ihnen, wenn sie als Pilger kamen, alle Speisen verboten, welche sie aus ihrer Heimath mitgebracht; auch durften sie nicht in ihren Kleidern den Tempel umkreisen, sondern entweder ganz nackt, oder in Kleidern, die einem Mekkaner gehörten. Wollte jemand in seinen eignen Kleidern den Tempel umkreisen, so mußte er sie gleich nachher, als etwas Gott Geweihtes ablegen, und Niemand durfte sie mehr berühren. Die Araber unterwarfen sich diesen Verordnungen, legten in Arafa ihre Kleider ab, die Männer umkreisten gewöhnlich den Tempel ganz nackt und die Frauen in einem weiten Hemde. Dieß Alles schaffte Mohammed ab, durch die Worte: „O Söhne Adams, leget euern Schmuck an in der Nähe eines jeden Tempels, esset und trinket, seyd nur nicht unmäßig, denn Gott liebt die Unmäßigen nicht.“ (Sura VII. Vers 32).
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einen bestimmten Vertrag mit dem Propheten geschlossen, der kann bis zu dessen Ablauf ihn als gültig betrachten, den übrigen Ungläubigen aber sind nur noch vier Monate gegönnt, dann können sie nicht mehr auf den Schutz des Propheten zählen.“ Zugleich sollte Ali den jetzt erst erschienenen Anfang der neunten Sura des Korans in Mekka vorlesen. Diese ganze Sura ist nach der Meinung einiger mohammedanischen Interpretatoren die einzige größere, welche, mit Ausnahme einiger wenigen Verse, Mohammed auf einmal geoffenbart ward 427),
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427) Nach einer Tradition bei Maraccius (S. 306) wäre die ganze Sura zumal erschienen. Djalalein sagt blos: die ganze Sura ward in Medina geoffenbart, mit Ausnahme der beiden letzten Verse, die schon in Mekka erschienen. Als zusammenhängendes Ganzes wird sie indessen von andern Interpretatoren des Korans nur bis zu Vers 115 betrachtet, denn dieser und der folgende, in welchen von der Fürbitte für Ungläubige die Rede ist, sollen schon erschienen seyn, als Mohammed für seinen Oheim Abu Talib betete. Einzelne Verse mögen auch vor dem Feldzug von Tabuk erschienen seyn, und Andere, wie die in Betreff der heiligen Monate, erst im folgenden Jahre; wenigstens wurden sie dann erst mitgetheilt. Doch ist der Kampf gegen alles Nichtislamitische der Hauptgegenstand dieser Sura. Sie ist nach muselmännischer Tradition in chronologischer Beziehung die vorletzte des ganzen Korans, nach Einigen sogar die Letzte. H. v. H., welcher Mohammeds Mutter an zwei Orten begraben, Othman sich zwei Mal bekehren, Sara und Abdallah vom Tode auferstehen läßt, nennt auch hier einmal die neunte und einmal die fünfte Sura die Letzte. S. 200 heißt es nämlich bei ihm : „Zu Ende dieses Jahres führte Ebubekr die Wallfahrter nach Mekka, und er betete dabei die neunte . . . Sura der Reue oder der Freisprechung, welche die letzte (der Ordnung der Sendung nach) mit den Worten beginnt: Freisprechung u. s. w.“ Dann liest man S. 213: „Mohammed, welcher sein herannahendes Ende fühlen mochte, erklärte diese Wallfahrt für die Vollendung seiner Sendung und des Islams durch den Vers der letzten bei dieser Gelegenheit gesandten Sura . . . Diese letzte Sura heißt die des Tisches oder die der Verträge u. s. w.“ Das Wahrscheinlichste ist, daß die neunte Sura, als Ganzes betrachtet, wohl die letzte ist, und nur noch einzelne Verse der Fünften nachher gesandt wurden.
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während die Uebrigen aus vielen einzelnen, bei verschiedenen Gelegenheiten erschienenen Offenbarungen zusammengesetzt worden. Erlaubt uns aber auch eine gesunde Kritik nicht, dieß buchstäblich anzunehmen, so spricht doch der hier merkbare logischere Zusammenhang dafür, daß sie wenigstens ohne großen Zwischenraum geoffenbart ward. Dem Beispiele des ältesten arabischen Biographen Mohammeds folgend, geben wir daher hier eine vollständige Uebersicht dieser auch durch ihren reinen ungekünstelten Styl ausgezeichneten Sura, welche das Gepräge reifer Ueberlegung und sorgfältiger Ausarbeitung an sich trägt. Gleich am Anfang des Kapitels erklärt Mohammed jeden mit den Ungläubigen bestehenden Frieden im Namen Gottes für aufgehoben. Obschon er nämlich schon längst den Krieg während der vier heiligen Monate gestattet hatte, so war dieß doch nur gegen seine offenen Feinde. Zwischen ihm und denjenigen Ungläubigen aber, welche in Eintracht mit ihm lebten, war die Uebereinkunft getroffen, daß sie während der vier heiligen Monate keine Feindseligkeit zu befürchten hätten, und ungestört die verschiedenen Messen besuchen und die Pflichten der Pilgerfahrt erfüllen könnten 428). Jetzt kündete er ihnen den Frieden auf und erklärte, daß nach einer Frist von vier Monaten ihnen nichts übrig bleibe, als entweder den Islam anzunehmen oder
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428) S. a. a. O.
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Tribut zu bezahlen, sie jedoch in letzterem Falle das heilige Gebiet von Mekka nicht mehr betreten dürften. Nur diejenigen Verträge mit den Ungläubigen, welche auf eine bestimmte Zeit lauteten, sollten bis zum Ablauf derselben in Gültigkeit bleiben 429). Den Muselmännern ertheilt er dann den Befehl, diejenigen, die nicht an Gott und seinen Gesandten glauben, auf jede Weise zu bekriegen, und mit den nächsten Verwandten kein Bündniß zu schließen, wenn sie nicht ihre Vielgötterei abschwören. Die Polytheisten sind unrein, sagt er ihnen, sie sollen nach diesem Jahre sich nicht mehr dem heiligen Tempel nähern; Gott, der euch schon so oft, unter andern auch bei Honein beigestanden, wird euch den Verlust, den euer Handel durch das Ausbleiben der Ungläubigen erleidet, auf andere Weise ersetzen 430). Auch Juden und Christen werden hierin den Polytheisten gleichgestellt, denn jene nennen Esra, und diese den Messias „Sohn Gottes,“ und fuhren dadurch die Menschen irre. Die Juden verkaufen das Buch Gottes für geringen Preis, und die Christen glauben an den Messias, den Sohn Maria's, und an ihre Priester und Mönche, welche Schätze aufhäufen, statt sie für edle Zwecke zu verwenden, und von fremdem Gute zehren, mehr als an Gott selbst. Doch sollen Juden und Christen außerhalb dem Gebiete von Mekka geduldet werden,
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429) Die ersten fünf Verse lauten: „Sicherheit von Gott und seinem Gesandten denjenigen Ungläubigen, mit denen ihr Verträge geschlossen. Ziehet frei im Lande umher vier Monate lang, wisset aber, daß Gott mächtig ist und die Ungläubigen beschämt. Gott und sein Gesandter machen den Leuten am Tage des großen Pilgerfestes bekannt, daß sie sich lossagen von den Ungläubigen. Bekehret ihr euch, so ist es euer Heil, wendet ihr euch aber ab, so wisset, daß ihr Gottes Macht nicht entgeht. Verkündige den Ungläubigen schwere Pein. Nur bei denjenigen Ungläubigen, mit denen ihr Verträge geschlossen habt, denen sie auf keine Weise zuwider handeln, habt ihr die in denselben bestimmte Frist abzuwarten, denn Gott liebt die, welche ihn fürchten.“
430) Vers 29. Diesem Werfe zufolge ist es noch jetzt den Nicht-Muselmännern untersagt, das Gebiet von Mekka zu betreten.
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wenn sie sich demüthigen und Tribut bezahlen 431). Der Krieg gegen die Ungläubigen wird hierauf auch während der vier heiligen Monate nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten; in andern Beziehungen aber die Heiligkeit der vier Monate beibehalten, und zwar für immer der erste, siebente, elfte und zwölfte Monat des Jahres, nicht wie bei den alten Arabern, die zuweilen, um nicht drei Monate nach einander einen Waffenstillstand zu halten, statt des ersten Monats den zweiten für heilig erklärten 432). Mohammed wendet sich dann
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431) Vers 30.
432) Vers 37 und 38. De Sacy hat in den mém. De l‘academ., T. XLVIII. S. 613 aufs klarste dargethan, daß diese Verse nichts anderes bedeuten, als was ich hier angegeben, und bedürfte seine Behauptung noch eines neuen Beweises, so fände er ihn auch noch bei S. fol. 248, wo der Inhalt dieser ganzen Sura angegeben, und ebenfalls nur von dem Verlegen des ersten Monates auf den zweiten die Rede ist. Von einem Schaltjahre, wie es die Juden haben, das heißt von dem Einschalten eines dreizehnten Monates, alle drei Mondjahre, um mit dem Sonnenjahre in Einklang zu bleiben, ist im Koran gewiß nicht die Rede. Es ist wahrscheinlich, daß die Araber früher ein solches Schaltjahr hatten. Man kann aber für gewiß annehmen, daß es jedenfalls vor Mohammed schon abgeschafft war, da während seiner ganzen Lebenszeit bei keinem seiner Biographen, die doch fast alle Ereignisse seines Lebens nach Monaten bestimmen, von einem dreizehnten Monate die Rede ist. (S. auch Ideler mathem. und techn. Chronologie, II. S. 498). H. v. H., welcher S. 215 schreibt: „Bei der Gelegenheit dieser letzten . . . . Wallfahrt änderte Mohammed auch die Kalender, indem er das Schaltjahr, wodurch die Araber bisher alle dreiunddreißig Jahre ihre neuen Mondenjahre mit dem ältern Sonnenjahre ausglichen . . . . aufhob,“ hätte es wenigstens der Mühe Werth halten sollen, die von de Sacy gegen diesen alten Irrthum angeführten Beweise zu widerlegen, wenn er sich auch auf arabische Autoren stützt. Ohnehin ist der ganze Satz nicht recht klar, denn alle dreiunddreißig Jahre glichen sich die Mondjahre von selbst mit dem Sonnenjahre aus, nur während des Kreislaufs von dreiunddreißig Jahren bedurfte man der Schaltjahre, um die Uebereinstimmung herzustellen. Eine ganz neue Ansicht über das Schaltjahr der Araber vor Mohammed, von der man bei den vielen Autoren, welche de Sacy a. a. O. anführt, nichts findet, und welche einen Beweis mehr liefert, daß die spätern Gelehrten auf den Grund der genannten Verse allerlei Conjekturen entwarfen, findet man bei I. im 4. Bande bei Gelegenheit der letzten Wallfahrt Mohammeds. Dort heißt es: „Man sagt, Mohammed habe bisher keine Wallfahrt von Medina aus unternommen, weil die Ungläubigen die Wallfahrt von der rechten Zeit entrückt hatten.“ Die heidnischen Araber verschoben sie nämlich jedes Jahr um elf Tage, bis sie nach dreiunddreißig Jahren wieder zur eigentlichen Zeit zurückkehrte, und darum sagte Mohammed bei dieser Wallfahrt: „Die Zeit hat ihren Kreislauf vollendet, nach ihrer Gestalt am Tage als Gott Himmel und Erde schuf“ (nicht wie bei H. v. H. S. 216: „Die Zeit geht um wie ihre Gestalt verwandelt ward am Tage, wo Gott Himmel und Erde schuf“), weil sie in diesem Jahre wieder zu ihrer ursprünglichen Zeit zurückgekehrt war.
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zu den Gläubigen, und macht denen Vorwürfe, welche zaudern, ihm in den heiligen Krieg zu folgen und ein bequemes Leben zu Hause, der durch den Kampf für Gott und seinen Propheten zu erringenden Seligkeit im Paradiese vorziehen. „Glaubet zwar nicht,“ setzt er jedoch hinzu, „daß Gottes Gesandter eurer bedürfe. Gott, der ihm beigestanden, als er allein mit Abu Bekr aus Mekka floh, könnte ihn leicht durch die Hülfe eines andern Volkes erheben und euch zu schwerer Pein verdammen.“ Er geht dann zu denen über, die unter verschiedenen Vorwänden an dem Zuge nach Tabuk keinen Antheil nahmen, und sagt ihnen geradezu, daß wenn sie an Gott und den jüngsten Tag glaubten, sie gewiß nicht zurückgeblieben wären. Er wendet sich mit noch mehr Bitterkeit zu den Heuchlern, deren geheime Gedanken und Unterredungen ihm Gott bekannt gemacht; er weiß, daß die Einen die Truppen einzuschüchtern suchten, während andere noch schlimmere Pläne schmiedeten; wenn sie aber zur Rede gestellt werden, sagen die Einen, wir scherzten nur, und die andern schwören sogar bei Gott, sie haben nichts
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Böses im Herzen. Ihre Heuchelei ist aber Gott so verhaßt, daß sogar seine Fürbitte vergebens wäre, und daß es ihm nicht mehr erlaubt ist, nach ihrem Tode für sie zu beten 433).
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433) Der 86. Vers, welcher nach S. fol. 230, nach Djalalein u. A. erschien, nachdem Mohammed für Abdallah Ibn Ubejj, wahrscheinlich aus Rücksicht für seinen großen Anhang, noch das Todtengebet verrichtet hatte, nicht wie bei H. v. H. S. 200: „Mohammed wohnte auch dem Begräbnisse Ebi ben Seluks bei, doch verrichtete er für ihn nicht das Todtengebet, denn er war das Haupt der Opposition beim Feldzuge von Tabuk u. s. w.“ Die ganze merkwürdige Stelle lautet bei S.: „Ibn Ishak erzählt nach Zuhri, der es von Abd Allah Ibn Abd Allah Ibn Otba gehört, zu dem Ibn Abbas sagte: Ich hörte einst Omar Ibn Chattab erzählen: als Abd Allah Ibn Ubejj starb, ward der Gesandte Gottes . . . gerufen, um für ihn zu beten. Als er vor ihm stand und beten wollte, drehte ich mich um und trat ganz nahe zu ihm hin, und sagte ihm: o Gesandter Gottes! willst du für Abd Allah den Feind Gottes beten, der an diesem Tage so und an jenem so gesprochen? (wobei er die boshaften Reden Abd Allahs bei verschiedenen Gelegenheiten herzählte) Mohammed lächelte, bis ich ausgeredet, dann sagte er: Laß mich, Omar! mir ist die Wahl gelassen worden (von Gott, ob ich beten will) und ich habe gewählt. Es ist mir gesagt worden (Vers 82): Erflehe Gottes Gnade für sie (die Heuchler) oder nicht, wenn du auch siebenzig Mal für sie betest, so verzeiht ihnen Gott dennoch nicht. Wüßte ich indessen, daß wenn ich mehr als siebenzig Mal für ihn betete, Gott ihm verziehe, so würde ich es chun. Der Gesandte Gottes (so fährt Omar fort) betete dann für ihn und begleitete den Leichenzug und blieb über seinem Grabe stehen, bis alles vorüber war. Ich wunderte mich über mich selbst und meine Kühnheit gegen den Gesandten Gottes, denn Gott und sein Gesandter wissen doch mehr. Aber bei Gott, es stand nur wenig an, da erschienen diese beiden Verse (der 82. und 86.) und nachher betete er für keinen Heuchler mehr bis zu seinem Tode.“ Bei Gagnier wird diese Begebenheit ganz verkehrt dargestellt. Nachdem er den Anfang ganz so wie ich erzählt, läßt er Mohammed auf Omars Frage antworten: (II. S. 240): „Oh bien! Je lui suis propice; et je lui pardonae; quand meme je saurais que vous pourriez porter jusqu‘a soixante et dix le nombre des paroles qutrageantes d‘Abdollah, je continuerais le nombre de mes prières pour lui au delà. Le prophète pria donc pour lui, après quoi il se retira. Peu de tems après cela, descendirent du ciel ces paroles de l‘Alcoran: quand bien même tu prièrois pour eux soixante et dix fois, Dieu ne leur pardonnera pas . . . . ne prie donc point pour aucun d‘eux, lorsqu‘il viendra à mourir, et ne te tiens point de bout sur son tombeau; car ils ont été incrédules envers Dieu et envers son apôtre. Omar entendant ces paroles dit: je le croyais de ce nombre; en quoi je suis moi même étonné de ma hardiesse et de ma présomtion, à l‘apôtre de Dieu, mais Dieu et son apôtre savent mieux ce qui en est.“ Von der andern bei Gagnier angeführten, höchst unglaublichen Tradition, nach welcher Mohammed Abdallah aus dem Grabe ziehen ließ, und ihm eines seiner Hemden anzog, ist bei S. keine Spur zu finden.
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Die Schwachen, Kränklichen und Armen, die weder Lebensmittel, noch Kameele zu einem solchen Zuge auftreiben können, sind allein zu entschuldigen, aber die Reichen und Starken werden mit der Hölle bestraft. Nachdem er dann noch einige Beduinenstämme, die wahrscheinlich ihm zu folgen sich geweigert, der Verstocktheit und der Heuchelei anklagt, lobt er besonders die Auswanderer und Hülfsgenossen, und verheißt ihnen ewige Genüsse im Paradiese; auch verspricht er Gottes Gnade denen, die zwar durch ihren Ungehorsam gesündigt, doch später aufrichtige Buße gethan. Der Unterschied zwischen wahrhaft Gläubigen und Heuchlern führt ihn dann auf die schon erwähnte Moschee der Beni Ghanim. Es folgen nun einige, nach den muselmännischen Koranauslegern, schon früher erschienene Verse, die das Beten für ungläubige Verwandten betreffen, dann andere, welche noch einzelne Umstände der von Tabuk Zurückgebliebenen erwähnen, das Gebot die Heuchler zu bekriegen wiederholen und den verschiedenen Eindruck schildern, den die sie angehenden Offenbarungen auf sie machen. Den Schluß dieser Sura bilden die zwei folgenden, gewiß nicht hieher gehörenden Verse: „Es ist euch ein mächtiger Gesandter
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aus eurer Mitte erschienen, dem eure Pein am Herzen liegt, der eure Leitung wünscht und mitleidsvoll gegen die Gläubigen ist. Wenden sie sich aber (von dir) ab, so sage ihnen! Gott genügt mir, es gibt keinen Gott außer ihm, auf ihn vertraue ich, er ist der Herr des großen Thrones.“
Die Verkündigung der neunten Sura durch Ali, am Ende des neunten Jahres, hatte eben so glückliche Folgen für die Verbreitung des Islams als die Eroberung von Mekka, indem im folgenden Jahre auch wieder sehr viele Abgeordnete eintrafen, welche im Namen ihrer Fürsten oder Stämme, Mohammed als Propheten huldigten. Selbst aus Südarabien kamen Gesandte an, mit dem Glaubensbekenntnisse der himiaritischen Fürsten Harith Ibn Abd Kulal, Nu'man Dsi Ruein, Maafir, Hamdan und Nueim Ibn Abd Kulal. Mohammed sandte ihnen Maads Ibn Djabal mit einem Schreiben, ähnlich dem, welches er an die Beni Harith ergehen gelassen, und sagte ihm noch vor seiner Abreise: „Wenn dich die Leute der Schrift (Juden und Christen) nach den Schlüsseln des Paradieses fragen, so sage ihnen, sie bestehen in dem Bekenntnisse: es gibt nur einen Gott, der keinen Genossen hat.“ 434) Auch Farwa, der Sohn Amru's, Statthalter der Griechen über Maan 435) und dessen Bezirk, an der syrischen Grenze, ließ Mohammed durch einen Gesandten anzeigen, daß er sich zum Islam bekehrt und schenkte ihm einen weißen Maulesel. Er mußte aber, als die Griechen davon Kunde erhielten, seine Glaubensveränderung mit dem Tode büßen. Auch Museilama, welcher sich selbst als Propheten in der Provinz Jamama geltend machte, sandte zwei Männer nach Medina mit einem Schreiben, welches lautete:
„Von Museilama, dem Gesandten Gottes, an Mohammed, den Gesandten Gottes. Friede über dich! Wisse, daß ich dein
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434) S. fol. 258.
435) Maan ist nach dem Kamus ein Städtchen auf der Pilgerstraße von Damaskus nach Arabien. Gagnier (II. S. 252) hat Amman für Maan gelesen, und dabei an das Ammon der Bibel gedacht.
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Genosse im Prophetenthume bin. Uns (mir) gehört die eine Hälfte der Erde, und den Kureischiten die andere Hälfte. Die Kureischiten sind aber ungerecht.“ 436)
Als die Gesandten diesen Brief Mohammed überreichten, fragte er sie, nachdem er ihn gelesen hatte: „Was saget ihr dazu?“ Sie antworteten: „Wir theilen seine Ansicht.“ Da sagte Mohammed: „Bei Gott, wäret ihr nicht Gesandte, ich würde eure Köpfe abschlagen lassen.“ Er schrieb dann an Museilama:
„Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, Allgnädigen. Von Mohammed, dem Gesandten Gottes, an Museilama, den Lügner. Friede über den, welcher der Leitung folgt! Die Erde ist Gottes; er gibt sie wem er will von seinen Dienern. Ein gutes Ende wird nur den Gottesfürchtigen zu Theil.“
Der persische Statthalter über Jemen bekehrte sich auch zum Islam, und erkannte Mohammed als seinen Oberherrn an; ihm folgten bald die noch übrigen Beni Hamdan, denen Ali den neuen Glauben predigte, so daß Mohammeds Glück vollkommen gewesen wäre, wenn er nicht am Ende des neunten Jahres der Hidjrah seine Tochter Um Kolthum, und im zehnten seinen einzigen Sohn, den anderthalbjährigen Ibrahim,
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436) Nach einer anderen Tradition bei S. fol. 255 kam Museilama selbst mit den Abgeordneten der Beni Hanifa vor Mohammed, und forderte einen Antheil an der Regierung; aber Mohammed schlug ihm alles ab, bis auf einen Dattelnzweig, den er in der Hand hatte. Nach Andern, ebenfalls bei S. kam er zwar nach Medina, doch erschien er nicht vor Mohammed, sondern blieb zurück, um die Kameele zu hüten. Als Mohammed die Abgeordneten beschenkte, sagten sie ihm: „Wir haben noch einen Gefährten, welcher unsere Effekten hütet.“ Mohammed gab ihnen ein gleiches Geschenk für ihn, und sagte : „Leisa bischarrikum makanun“ d. h. es kann euch nichts Unangenehmes widerfahren. Diesen Worten gab Museilama später eine allgemeine Deutung, als bewahre er seine Leute vor jedem Uebel, und stützte darauf seine Anmaßung als Prophet, ohne jedoch die Sendung Mohammeds zu läugnen.
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den ihm seine geliebte Sklavin Marias 437) geboren, verloren hätte. Als er Letztern todt fand, sagte er: „Ich bin betrübt über dein Scheiden, mein Auge weint und mein Herz ist traurig, doch will ich keine Klagen ausstoßen, welche meinen Herrn erzürnen; wäre ich nicht überzeugt, daß ich dir nachfolge, so würde mein Kummer noch weit größer sevn, aber wir sind Gottes, und kehren einst zu ihm zurück.“ Als Abd Arrahman Ibn Auf ihn weinend fand, fragte er ihn: „Hast du nicht verboten die Todten zu beweinen?“ Er antwortete: „Nein, ich habe nur das laute Wehegeschrei, das Aufkratzen des Gesichtes und das Zerreißen der Kleider verboten. Thränen vergießen bei einem Unglücksfall ist ein Werk der Barmherzigkeit, Toben und Schreien aber teuflisch.“ Da an diesem Tage gerade eine Sonnenfinsterniß in Medina sichtbar war, sagte jemand: „Dieß ist ein Zeichen der Trauer um Ibrahim.“ Mohammed versetzte aber: „Sonne und Mond sind unter der Zahl göttlicher Zeichen (Wunder), mit denen Gott seinen Dienern droht, aber sie verfinstern sich nicht wegen des Lebens, noch wegen des Todes eines Menschen.“ Als Ibrahim beerdigt ward, stellte sich Mohammed über sein Grab, und rief ihm zu: „Mein Sohn! sage: Gott ist mein Herr, der Gesandte Gottes war mein Vater und der Islam mein Glaube.“ 438)
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437) Nach I. mußte der Engel Gabriel Mohammed von Maria's Treue, eben so gut wie früher von der Aïscha's, überzeugen, denn gerade zur Zeit ihrer Schwangerschaft ging sie viel mit einem ihrer Landesgenossen um, den Mohammed sogar schon durch Ali, nach Einigen durch Omar, aus Eifersucht wollte umbringen lassen.
438) Aus diesen Worten schließen einige Gelehrten, daß selbst Kinder in Betreff ihres Glaubens im Grabe verhört werden ; eine Meinung , welche in Bezug auf Erwachsene, auch die Juden mit den Muselmännern theilen. Bei Letztern ruft noch immer ein Geistlicher (Mulakkin) dem Verstorbenen im Grabe zu : Diener Gottes! Sohn einer Dienerin Gottes! Es werden alsbald zwei Engel zu dir niedersteigen, und dich fragen: wer ist dein Herr? Antworte: Gott ist mein Herr in Wahrheit. Fragen sie dich nach deinem Propheten oder dem von Gott Gesandten, so sage ihnen: Mohammed ist der Gesandte Gottes in Wahrheit. Fragen sie dich über deinen Glauben, so antworte: der Islam ist mein Glaube; fragen sie dich über das Buch der Leitung, so sage: der Koran ist mein Leitungsbuch und die Muselmänner sind meine Brüder; und fragen sie dich wegen der Kibla (der Seite, nach welcher man sich zum Gebete wende), so sage: die Kaaba ist meine Kibla, ich habe gelebt und bin gestorben mit dem Bekenntisse, daß es keinen Gott gibt außer Gott, und daß Mohammed sein Gesandter. Sie (die Engel) werden dir dann zurufen: schlafe Diener Gottes unter Gottes Schutz! (S. Lane an account of the manners and customs of the modern Egyptians, II. p. 302). Ich ergreife diese Gelegenheit, um auf einen kleinen Fehler aufmerksam zu machen, den H. Lane bei Uebersetzung des Todtengebets (S. 299) begangen, wo er das arabische Wort siat (sin, aïn, ha mit zwei Punkten) von dem Zeitworte wasaa, weit seyn, durch „business“ als wäre es von saa (sin, ain, ja) abzuleiten, wiedergegeben. Die weite Erde bildet doch einen bessern Gegensatz zum engen Grabe, als die Welt mit ihrer Geschäftigkeit.
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Achtes Hauptstück.
Mohammeds letzte Wallfahrt. Die Ceremonien derselben. Predigt über Blutrache und Wucher. Erb- und Eherecht. Speisegesetze. Er ordnet einen Feldzug nach Syrien an. Seine Krankheit und letzten Ermahnungen. Abu Bekr zum Imam ernannt. Mohammeds Tod. Omars Benehmen dabei. Streitigkeiten über die Nachfolge. Seine Beerdigung.
Im Monat Dsul Kaada des zehnten Jahres ließ Mohammed bekannt machen, daß er dieses Jahr nach Mekka pilgern würde, und lud die Gläubigen ein, ihm zu folgen. Schon im zweiten Jahre hatte nämlich Mohammed den Gläubigen die Pilgerfahrt 439) nach Mekka, welche von frühester Zeit her
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439) Die Pilgerfahrt gehört zu den fünf Grundpfeilern des Islams. Die vier Uebrigen sind: Glaube an Gott und an Mohammeds Sendung, Gebet, Almosen und Fasten im Ramadhan. Ueber die Zeit, in welcher die Pilgerfahrt von Mohammed zum Gesetze gemacht ward, stimmen die Traditionen nicht miteinander überein, die Meisten nehmen jedoch das sechste und nur Wenige das neunte oder zehnte Jahr an. So bei I. Da indessen die Pilgerfahrt im angeführten 97. Verse der dritten Sura bestimmt vorgeschrieben ist, und der 96., wenigstens nach Djalalein, schon zur Zeit der Aenderung der Kibla, gegen die Juden, welche Jerusalem für das älteste Heiligthum auf Erden hielten, erschien, so läßt sich nicht zweifeln, daß auch der 97. damit zusammenhängende damals schon gesandt ward. Die Meinungsverschiedenheit unter den Muselmännern kann daher nur auf die absolute Verbindlichkeit bei den damals obwaltenden Verhältnissen sich beziehen, und dieß paßt allerdings am besten zum sechsten Jahre, wo Mohammed zum ersten Male pilgern zu können glaubte.
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in Arabien gebräuchlich war, durch folgende Koransverse vorgeschrieben:
„Wahrlich der Tempel zu Mekka ist der erste, welcher für die Menschen errichtet ward, zum Heil und zur Leitung der Welt. Darin sind offenbare Zeichen, (nämlich die Stelle, auf der Abraham stand 440); auch war er stets eine sichere Zuflucht für jeden, der ihn betrat. Wer es daher vermag, ist gegen Gott verpflichtet, nach diesem Tempel zu pilgern.“ Dießmal wollte er nun selbst, vielleicht weil er sein nahes Ende fühlte, diese Pflicht erfüllen, und zugleich den versammelten Pilgern noch mündlich die wichtigsten Dogmen und Gesetze des Islams vortragen. Er reiste am fünfundzwanzigsten 441) von Medina
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440) Abraham, so lautet die Legende, besuchte einst seinen Sohn Ismael in Mekka, da er ihn aber nicht zu Hause fand, wollte er wieder zurückkehren; aber seine Gattin nöthigte ihn, sich wenigstens vorher die Füße waschen zu lassen. Er stellte einen Fuß nach dem andern auf einen Stein, der vor dem Hause lag. Dieser Stein, an welchem noch die Spuren eines Fußes sichtbar, ward später zum Tempelbau verwendet, und ist noch heute, wie der schwarze Stein, ein Gegenstand besonderer Verehrung.
441) So bei S. fol. 261 und Abulfeda. Nach I. verließ er Medina am 24.; er setzt aber hinzu, es war ein Donnerstag, was unrichtig ist, denn da der erste Muharram des 10. Jahres Dienstag den neunten April 631 war, so fiel der 24. Dsu-l-Kaada auf einen Freitag. Bei Gagnier (II. 258) liest man ganz richtig: „C‘était un samedi vingt cinquième jour du mois de Dhu‘l-kaada.“
Leben Mohammeds.
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ab, und obgleich damals in Medina die Blattern viele Muselmänner abhielten, schlossen sich ihm doch vierzig, nach Einigen sogar hundert und vierzehntausend Pilger an. Um die ungern Zurückbleibenden zu trösten, sagte er ihnen: „Ein Besuch des Tempels im Monat Ramadhan ist eben so gottgefällig, als eine Pilgerfahrt in dem dazu bestimmten Monat Dsul Hudja. Er ließ sich von seinen neun Frauen begleiten, obschon Aïscha lieber zu Hause geblieben wäre 442). Diese mußte ihn, bevor er das Pilgergewand anlegte, welches aus zwei Tüchern besteht, an denen gar nichts genäht ist, und von denen das eine über die Schultern geworfen , und das andere um die Hüften gewunden wird, beräuchern und mit wohlriechendem Oele einreiben.
Ueber die Absicht, welche Mohammed beim Antritt der Pilgerfahrt aussprach, herrschen verschiedene Meinungen; da nämlich jedem Muselmanne ein zweimaliger Besuch des Tempels obliegt, der Eine an den bestimmten Festtagen, den wir Wallfahrt nennen wollen (hadj), der Andere aber, den wir zum Unterschiede durch Pilgerfahrt bezeichnen (umra), auch zu einer andern Zeit, so weiß man nicht, ob Mohammed gleich Anfangs mit der Absicht, sich beiden Pflichten zugleich zu unterziehen, seine Reise nach Mekka antrat, und ob er zuerst die der Wallfahrt und nachher die der Pilgerfahrt erfüllte, oder umgekehrt 443). Bei der Abreise von Dsu Huleifa betete er
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442) Sie weinte, heißt es bei I., in Dsu Kulessa, und sagte: „Sie sei unrein, und wolle nicht weiter mitgehen.“ Mohammed erwiederte aber: „Das ist kein Grund, um an der Wallfahrt keinen Antheil zu nehmen, du kannst alle Pflichten des Pilgers erfüllen, nur den Tempel darfst du erst umkreisen, wenn du wieder , rein bist.“
443) Da diese Pilgerfahrt Mohammeds als Norm für alle Zukunft genommen ward, so glaubte ich sie so ausführlich als möglich nach den Traditionen von Djabir bei I. beschreiben zu müssen. Was die verschiedenen Ansichten über die Absicht Mohammeds beim Umwerfen des Pilgergewandes angeht, so glaubt Abulfeda, daß er beide Pflichten zugleich, ohne aus dem Pilgerzustande zu treten, erfüllen wollte, und zwar zuerst die des Hadj und dann der Umra; diese Art der Verbindung wird ikran genannt. Gagnier in seiner Ausgabe des Abulfeda, p. 130 führt eine Tradition des Buchari an, nach welcher Mohammed blos an die Pflicht der Wallfahrt dachte (ifrâd). Nach einer anderen Tradition bei I. sprach Mohammed gar keine Absicht aus, weil er erst eine Offenbarung deßhalb abwarten wollte. Hernach ward ihm geoffenbart, daß wer Opferthiere mit sich führe, zuerst die Pilgerfahrt beabsichtige, dann zur Festzeit die Wallfahrt; wer aber nichts opfere, der beabsichtige zuerst die Wallfahrt. Die Ceremonien und Pflichten der Umra und Hadj sind ganz dieselben, nur daß, wie schon erwähnt, Letztere zur Festzeit allein stattfinden, und Erstere das ganze Jahr hindurch; auch gehört zur Letztern der Aufenthalt zu Arafa am 9. des Wallfahrtsmonats, von dem in der Folge die Rede seyn wird, was bei Umra nicht vorkommt. Unrichtig und unverständlich ist daher, was N. de Vergers p. 139 aus d'Ohsson citirt: „Il y a à proprement parler, quatre espèces de pélerinages: le premier qu‘on appèle kiran est celui où le pélerin fait tout à la fois avec le même ihram, sans le quitter, et la visite du sanctuaire et celle de l‘Omra. Le second se nomme temettou: c‘est celui où le pélerin fait d‘abord la visite de l‘omra, et après avoir abandonné son ihram, le reprend aux approches de la fete, poar s‘acquitter avec les autres pélerins en corps de la visite de la Caaba. Le troisième est celui où l‘on ne va qu‘a la Caaba, et qu‘on appèle par cette raison ifrad bil-hadj. La quatrième enfiu, qu‘on désigne sous le nom d‘ifrad bil-omra, c‘est celui où le fidèle se borne à la visite de l‘omra.“ Die Eintheilungen und Benennungen sind ganz richtig, was aber von einer „visite du sanctuaire,“ und „visite de la Caaba“ gesagt wird, ist ganz falsch. S. auch Anmerkung 462.
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nach altem Herkommen das Gebet, welches Talbijah heißt, und lautet: „Hier bin ich zu deinem Dienste, o Gott! hier bin ich zu deinem Dienste. Du hast keinen Genossen, dir allein ziemt Lob, von dir kommen alle Wohlthaten, dein ist das Reich, niemand theilt es mit dir.“ 444) Er befahl dann Allen, die
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444) Dieses Gebet soll an Abraham erinnern, der von der Höhe des Berges Abu Kubeis, in der Nähe von Mekka, dem ganzen Menschengeschlechte den wahren Glauben predigte. Durch ein göttliches Wunder ward seine Stimme in allen Theilen der Welt gehört, und selbst Kinder im Mutterleibe antworteten: „Hier bin ich zu deinem Dienste, o Gott.“
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ihm folgten, diese Worte laut nachzubeten. Den Einzug nach Mekka hielt Mohammed von der Seite des Hügels Hadjun, wie an dem Tage der Eroberung dieser Stadt, und begab sich sogleich nach dem Tempel durch das Thor der Beni Scheiba, welches jetzt unter dem Namen „Thor des Heils“ bekannt ist. Sobald er den Tempel zu Gesicht bekam, betete er: „O Gott, vermehre das Ansehen, die Heiligkeit und Reinheit dieses Hauses und derer, welche zu ihm pilgern.“ Mohammed berührte dann den südöstlichen Pfeiler, und umkreiste die Kaaba sieben Mal, drei Mal schnellen und vier Mal langsamen Schrittes. Dann küßte er den schwarzen Stein, legte seine beiden Hände darauf und rieb sich das Gesicht damit. Während er die Kaaba auf seinem Kameele umkreiste, denn er war zu leidend, um zu Fuß zu gehen, betete er: „O Herr, laß es uns in diesem und in jenem Leben wohl ergehen, und bewahre uns vor der Pein der Hölle.“ Nachdem er den schwarzen Stein geküßt hatte, betrat er die Stätte Abrahams, betete zwei Nikas und las folgende Koransverse: „Sage: o ihr Ungläubige! ich bete nicht an, was ihr anbetet, und ihr betet nicht an, was ich anbete ; ich habe nie angebetet, was ihr angebetet, und ihr nie, was ich anbete. Ihr habt eure Religion und ich die meinige 445). Sage: Gott ist einzig, Gott ist ewig, er zeugt nicht und ist nicht gezeugt, Niemand ist ihm gleich.“ 446) Hierauf ließ er sich Wasser vom Brunnen Zemzem reichen, trank davon und wusch sich. Er machte dann sieben Mal den Weg von dem Hügel Safa nach Merwa und zurück, und sagte dabei den Koransvers: „Safa und Merwa sind von Gott geweihte Plätze, wer eine Wallfahrt oder Pilgerfahrt nach dem Tempel unternimmt, der begeht keine Sünde, wenn er sie umkreist,
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445) Sura 109.
446) Sura 112.
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wer gute Werke übt, dem wird es Gott der Allwissende lohnen.“ 447) Auf Safa sowohl, als auf Merwa sagte er: „Gott ist groß, es gibt nur einen einzigen Gott; er hat seine Verheißung erfüllt, ist seinem Diener beigestanden, und hat allein die Schaaren (der Feinde) zerstreut.“ Mohammed befahl dann denjenigen, welche keine Opferthiere bei sich hatten, das Pilgertuch bis zum achten des Pilgermonats abzulegen, und die vollbrachten Ceremonien als die der Pilgerfahrt (Umra) anzusehen 448). Er selbst, so wie die andern, welche Opferthiere mitgebracht, darunter auch Ali 449), der gerade aus Südarabien zurückkam, legten das Pilgergewand nicht ab. Am achten begab sich Mohammed an der Spitze sämmtlicher Pilger in das Thal Mina, und brachte den ganzen Tag und die Nacht daselbst zu 450). Am neunten ritt er, nach dem Morgengebete,
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447) Sura II. Vers 160. Auf diesen beiden Hügeln, von denen der erste einen Abhang des Abu Kubeis bildet, und der andere eine Erhöhung in Mekka selbst ist, standen zur Zeit des Heidenthums zwei Götzenbilder, welche die Araber verehrten; die ersten Muselmänner nahmen daher Anstand, den alten Gebrauch fortzusetzen, bis ihn Mohammed durch diesen Vers heiligte.
448) Dieser Befehl fand einigen Widerstand , denn die Leute hatten die Reise als Wallfahrt und nicht als Pilgerfahrt unternommen, auch wünschten sie in Allem Mohammed nachzuahmen. Mohammed wieß aber die Widerspenstigen zurecht, und seine eigenen Frauen legten zuerst das Pilgergewand wieder ab.
449) Nach einer anderen Tradition hatte Ali zwar Opferthiere mitgebracht, sie waren aber noch nicht in Mekka angekommen. Da er indessen beim Umwerfen des Pilgertuches die Absicht ausgesprochen hatte, sich in allem wie Mohammed zu verhalten, schlachtete dieser seine Opferthiere im Namen Beider.
450) Dieser Tag, welchen noch jetzt sämmtliche Pilger in Mina zubringen, heißt jaum attarwih, entweder Tag des Nachdenkens, weil Abraham an diesem Tage in Zweifel war, ob das Gesicht, in welchem ihm Gott befohlen, seinen Sohn zu opfern, ein wahres Gesicht, oder nur ein Traum war, oder Tag des Tränkens, weil im Thale Mina sich kein Wasser findet, und daher die Pilger, ehe sie Mekka verlassen, ihren Durst stillen und ihr Vieh tränken, oder auch um keinen Mangel zu leiden, gefüllte Wasserschläuche mitnehmen. Der folgende Tag hieß dann, ersterer Meinung zufolge, jaum Arafa, Tag der Erkenntniß, weil Abraham, durch Wiederholung des Gesichts, mehr Gewißheit über den göttlichen Befehl erhielt.
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nach dem ungefähr sechs Stunden nordöstlich von Mekka gelegenen Berg Arafa, wo man ihm vorher schon ein Zelt aufgeschlagen hatte. Hier hielt er auf seinem Kameele eine Predigt, in welcher er zuerst den Gläubigen einige auf die Pilgerfahrt bezüglichen Gebote einschärfte. Die wichtigsten Koransverse über diesen Gegenstand lauten: „Erfüllet die Pflichten der Wallfahrt und der Pilgerfahrt, und werdet ihr abgehalten, so bringet ein Opfer als Sühne; scheeret euer Haupthaar nicht ab 451), bis das Opfer seinen Bestimmungsort erreicht hat; wer von euch krank ist, oder ein Leiden am Kopf hat (so daß er die Haare nicht stehen lassen kann), der muß dafür fasten oder Almosen vertheilen, oder ein Opfer bringen. Seyd ihr in Sicherheit, und es verbindet jemand von euch die Verpflichtungen der Pilgerfahrt mit denen der Wallfahrt 452),
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451) D. h. tretet überhaupt nicht aus dem Pilgerzustande, und erlaubet euch nichts von dem, was Pilgern verboten ist, bis euer Opfer den Ort, wo es geschlachtet wird, erreicht hat.
452) Der arabische Ausdruck dafür ist tamattu‘ (mit ain am Schlusse) diesen Ausdruck hat wahrscheinlich Maraccius nicht gekannt, und daher die Erklärung des Jahia und Djalal addin, nach welchen ich diese Stelle übersetzt, mißverstanden. Die bei Maraccius (S. 77) angeführten Worte des Jahia bedeuten: „Wer in den Wallfahrtsmonaten, nämlich im Schawwal, Dsul Kaada und Dsul Hudja das Talbijah mit Absicht der Umra ausspricht, und dann in diesem Jahre die Wallfahrt vollzieht und sie mit der Umra verbindet, der muß ein leichtes Opfer (ein Lamm) bringen.“ Dafür hat Maraccius: „Qui familiam instituerit (er hat ahala für ahalla gelesen) (id est uxorem duxerit) in visitatione in mensibus peregrinatus, nempe Sceval, vel Dulcaeda, vel Dulhoggia: deinde peregrinatus fuerit, post annum illum, hujusmodi vir offeret oblationem ex facilieribus.“ Djalalein sagt nichts Anderes, nur spricht er nicht von der Absicht, sondern überhaupt von der Verbindung der Umra mit Hadj, um nicht die verschiedenen, mit dem Anlegen des Pilgertuchs (ihram) verbundenen Beschränkungen (mahzurat nicht machturat) zwei Mal zu beobachten. Auch dieß übersetzt Maraccius unrichtig: „Qui commoratus fuerit in visitatione, nimirum causa absolvendi illam in septis locorum sacrorum Meccae, usque ad peregrinationem id este usque dum compleverit ea quae requiruntur ad peregrinatinem itaut compleverit ea mensibus suis etc.“ und setzt hinzu: „Videtur sermo esse de iis, qui non potuerint complere peregrinationem tempore suo.“ H. Ullmanns Uebersetzung dieser Stelle des Korans ist wenigstens unklar: „Wenn ihr vor Feinden sicher seyd, und es verschiebt Jemand den Besuch des Gotteshauses bis zur Pilgerfahrt.“ Hier handelt es sich nicht vom Verschieben, denn die Umra kann ja auch nach dem Hadj vollzogen werden, sondern vom „Verbinden.“ Ganz falsch ist aber das Folgende: „Dasselbe soll der thun, dessen Hausleute nicht zum heiligen Tempel gewandert sind.“ Der Unterschied besteht nämlich nicht darin, ob seine Leute ihn begleiten, oder nicht, sondern ob er in Mekka ansäßig ist. Djalalein bemerkt dieß ausdrücklich, und setzt noch hinzu, daß nach den Schasiiten derjenige, der innerhalb zwei Tagereisen von Mekka wohnt, wie ein Bewohner Mekka's angesehen wird. Savary, den ich hier nur einmal citiren will, damit in Zukunft wenigstens deutsche Gelehrten keinen Gebrauch mehr davon machen (p. 36 der Ausg. v. Garcin de Tassy), übersetzt: „Lorsqu‘il n‘y aura rien à craindre, celui qui entreprendra la pélerinage de la Mecque, offrira après avoir visité les saints lieux, ce que son état lui permettra. Celui qui ne pourra rien offrir jeunera trois jours pendant la voyage et sept lorsqu‘il sera de retour. Ce jeune complet sera de dix jours. Nous imposons cette pénitence à celui qui n‘aura point de serviteurs à la Mecque. Craignez Dieu, il est terrible dans ses vengeances.“
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so soll er ein leichtes Opfer (ein Lamm) bringen, und wenn er keines findet, drei Tage während der Wallfahrtszeit fasten und sieben Tage nach seiner Heimkehr; doch gilt dieß nur von dem, dessen Familie nicht in der Nähe des heiligen Tempels wohnt. Fürchtet Gott, und wisset, daß seine Strafe hart ist. Die Wallfahrt hat ihre bekannten Monate, wer sie zu dieser Zeit auf sich nimmt, der soll sich des Beischlafs enthalten, kein
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Unrecht begehen und nicht hadern 453) während der Wallfahrt. Gott kennt das Gute, das ihr übet, sammelt viele gute Werke, denn der beste Vorrath ist der an Gottesfurcht. Fürchtet mich, ihr, die ihr mit Vernunft begabt seyd !“ 454) Ferner: „O ihr, die ihr glaubet, entweihet nicht die Denkmäler 455) Gottes, noch den heiligen Monat, noch die Opferthiere, oder das, was ihnen als Zeichen der Weihe angehängt wird; tretet Niemanden in den Weg, der nach dem heiligen Hause wallfahrt und darin die Gnade und das Wohlgefallen seines Herrn sucht, und jaget nicht bis ihr das Pilgergewand abgelegt. Lasset euch nicht durch durch den Haß der Leute, welche euch vom heiligen Tempel abgehalten, zu Gewaltthaten hinreißen. Stehet einander zu reinen und gottgefälligen Handlungen bei, aber vereiniget euch nicht zur Ungerechtigkeit und Gehässigkeit, fürchtet Gott, denn seine Strafe ist hart.“ 456) Ferner: „O ihr, die ihr glaubet, tödtet kein Wild während der Pilgerfahrt, wer aber vorsätzlich ein Wild getödtet, der soll es durch ein ähnliches zahmes Thier 457) ersetzen, nach dem Urtheile zweier rechtschaffener Männer, und vor der Kaaba opfern 458), oder
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453) Abu Bekr schlug seinen Diener, weil er ein Kameel verloren, und seine Tochter Aïscha, weil sie, aufgebracht darüber, daß Mohammed ihr Kameel mit Sasia's Gepäck beladen, ihm gesagt: „Bist du ein Gesandter Gottes, so sey auch gerecht!“ Mohammed wieß ihn zurecht, und sagte ihm: „Das verträgt sich nicht mit dem Pilgergewande.“ Die Zeit der Wallfahrt sollte eine Zeit der Buße, der Enthaltsamkeit und der Andacht seyn, daher das Verbot mancher sinnlichen Genüsse und Vergnügungen. Das verirrte Kameel brachte Safwan nach, der auch dießmal wieder, wie bei AÏscha's Halsbandgeschichte, beim Nachtrab war. I.
454) Sura II. Vers 197 u. 198.
455) Man kann auch nach Djalalein und dem Kamus: „Uebertretet nicht die Lehren oder Vorschriften Gottes“ übersetzen.
456) Sura 5, Vers 3.
457) Für einen Strauß z. B., heißt es bei Djalalein, ein Kameel, für einen wilden Stier oder wilden Esel eine Kuh, für ein Reh ein Lamm u. dgl.
458) Es muß nach Djalalein im heiligen Gebiete Mekka‘s geschlachtet und den Armen vertheilt werden. Von den freiwillig geschlachteten Opfern wird auch gewöhnlich ein Theil den Armen gespendet.
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(für dessen Werth) Arme speisen oder dafür fasten 459), damit er die Größe seines Vergehens fühle. Gott verzeiht, was vorüber ist, wer aber von Neuem sein Gebot übertritt, den bestraft er, und Gott ist mächtig zur Rache. Es ist euch erlaubt im Meere zu fischen 460) und die Fische zu genießen, oder mit auf den Weg zu nehmen, ihr dürft aber als Pilger kein Wildpret genießen; fürchtet Gott, vor dem ihr (am jüngsten Tage) versammelt werdet. Gott hat die Kaaba als heiliges Haus bestimmt, zur Erhaltung 461) der Menschen, eben so die heiligen Monate, die Opferthiere und was ihnen anhängt, damit ihr (aus seiner Fürsorge für euch) erkennet, daß Gott weiß, was im Himmel und was auf Erden geschieht, und ihm nichts verborgen ist.“ 462)
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459) Nach Djalalein für jedes Mud Korn einen Tag. Das Mud enthält etwas über ein Pfund.
460) Im Arabischen wird dasselbe Wort für Jagen und Fischen gebraucht, daher diese deutschen Lesern überflüssig scheinende Erlaubniß.
461) Sowohl um ihren Glauben aufrecht zu erhalten, sagt Djalalein, als aus Fürsorge für ihr irdisches Wohl, indem jeder Pilger während derselben Sicherheit findet, eben so, wer Opferthiere dahin bringt.
462) Sura 5, Vers 104 - 106. Diesen Versen ließen sich noch einige andere hinzufügen, ich ziehe aber vor, statt dessen hier in Kürze das Kapitel der Pilgerfahrt nach dem Handbuche der Theologie des Scheich Ahmed Ibn Husein aus Ispahan mitzutheilen, welches für die Schasiiten geschrieben und von Ibn Kasim und Scherbini commentirt worden ist.
„Um zur Wallfahrt verpflichtet zu seyn, sind sieben Dinge nothwendig. 1) Die Eigenschaft eines Muselmannes; 2) Volljährigkeit; 3) Freiheit; 4) gesunder Verstand; 5) Besitz der nöthigen Lebensmittel zur Reise; 6) ein Reitthier bei einer Entfernung von mehr als zwei Tagereisen; 7) und Sicherheit des Weges. Grundpfeiler der Wallfahrt sind: 1) das Aussprechen der Absicht dieses Gebot zu vollziehen, vor dem Eintritt in das heilige Gebiet; 2) der Aufenthalt auf dem Berg Arafa am 9. des Dsul Hudja; 3) der siebenmalige Umzug um den Tempel, am ersten Festtage und 4) das siebenmalige Hin- und Herlaufen von Safa nach Merwa. Die Grundpfeiler der Pilgerfahrt (Umra) sind dieselben, nur ist bei Letzterer kein Aufenthalt auf Arafa erforderlich. Außer diesen Grundpfeilern finden bei der Wallfahrt noch folgende Verpflichtungen statt: 1) das Umwerfen des Pilgertuchs (ihram), an dem dazu bestimmten Orte, je nach der Seite, von welcher der Pilger herkommt; 2) das dreimalige Steinwerfen zu Djamrah; 3) das Abscheeren der Haupthaare (nach der Rückkehr von Arafa, am 10.). Diesen schließen sich noch sieben durch Herkommen geheiligte Vorschriften an: 1) die Pflichten der Wallfahrt vor denen der Pilgerfahrt vollziehen; 2) das Gebet Talbijah beim Eintritt in das heilige Gebiet beten; 3) den Tempel bei der Ankunft in Mekka sieben Mal umkreisen; 4) in Muzdalifa die Nacht vom 9. auf den 10. zubringen; 5) ein Gebet von zwei Rikas nach dem Umkreisen des Tempels; 6) das Uebernachten in Mina am 8., 10., 11. und 12.; 7) ein nochmaliges Umkreisen des Tempels vor der Abreise von Mekka.
Zehn Dinge sind dem Pilger verboten: 1) etwas Genähtes anzuziehen; 2) Männern den Kopf und Frauen ihr Gesicht zu bedecken; 3) die Haare zu kämmen; 4) die Haare abzuscheeren oder sonst auf eine Weise zu vertilgen; 5) die Nägel abzuschneiden; 6) der Gebrauch aromatischer Salben, Pulver oder Flüssigkeiten; 8) einen Ehekontrakt zu schließen; 9) der Beischlaf; 10) jede sinnliche Berührung des anderen Geschlechts. Nur durch Uebertretung des Vorletzten wird indessen die Wallfahrt ungültig.
Wer den Standplatz in Arafa versäumt, der erfülle die Pflichten der Pilgerfahrt, muß aber die der Wallfahrt in einem folgenden Jahre nachholen, und als Sühne ein Lamm schlachten. Wer einen anderen Grundpfeiler der Pilgerfahrt unterläßt, muß ihn gleich nachholen. Die Vernachlässigung einer der andern Verpflichtungen wird durch ein Opfer gebüßt. Wer aber nur etwas Herkömmliches unterläßt, bedarf keiner Sühne. Die Sühne findet auf fünferlei Weise statt: 1) Wer ein mit der Wallfahrt verbundenes Gebot nicht vollzieht, muß ein Lamm opfern, wenn er keines findet, drei Tage während der Wallfahrt und sieben in der Heimath fasten; 2) wer sich die Haare abscheert oder Gebrauch von Aroma macht u. dgl., der hat die Wahl, ob er ein Lamm opfern, drei Tage fasten oder sechs Armen, jedem etwas über ein Pfund Mehl schenken will; 3) wer nicht zur rechten Zeit in Mekka eintrifft, muß ein Lamm schlachten; 4) wer als Pilger jagt, muß entweder ein dem erlegten Wilde ähnliches Thier opfern, oder für dessen Werth Lebensmittel kaufen und sie den Armen vertheilen, oder für jedes Mud Mehl, das dafür gekauft werden könnte, einen Tag fasten; 5) wer das Verbot des Beischlafs übertritt, muß ein Kameel opfern, wenn er keines findet, eine Kuh, wenn keine zu haben ist, sieben Lämmer. In Ermanglung Letzterer muß er für den Werth eines Kameels Lebensmittel kaufen und den Armen schenken, und wenn keine zu haben sind, für jedes Mud, das gekauft werden könnte, einen Tag fasten.“
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Nachdem Mohammed die Pilger in den verschiedenen Gesetzen und Ceremonien der Pilgerfahrt unterrichtet hatte, sagte
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er: „Vernehmet meine Worte! denn ich weiß nicht, ob wir nach diesem Jahre hier noch einmal zusammentreffen.“ Er warnte sie dann zuerst vor Blutvergießen und ungerechtem Erwerb, besonders durch Wucher 463). „Wer vom Wucher lebt (heißt es im Koran), wird (nach dem Tode) nicht anders auferstehen, als wie der, den Satan durch seine Berührung umstürzt 464). Das ist die Strafe derer, welche sagen: Zins nehmen ist auch eine Art Handel; aber Gott hat den Handel erlaubt und den Wucher verboten. Wer Gottes Warnung vernimmt und sich fernerhin vom Wucher enthält, der mag behalten, was er schon hat 465), und seine Angelegenheit (Vergebung) bleibt Gott überlassen. Wer aber von Neuem Zins
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463) I. und S. fol. 262.
464) Das heißt wahrscheinlich wie Fallsüchtige und halb Wahnsinnige, die von Teufeln besessen sind.
465) Die Worte des Textes lauten: „Falahu ma salafa“ dazu Djalalein: „Ai la justaraddu minhu“ (d. h. es wird ihm nicht zurückgefordert). Diesen Vers übersetzt H. Ullmann : „Wer denselben (den Wucher) nun, von Gott gewarnt, unterläßt, dem wird Vergebung des Vergangenen, wenn er seine Angelegenheiten nach Gottes Willen führet.“
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nimmt, der verfällt auf ewig der Hölle. Gott segnet den Wucher nicht, mehrt aber das Almosen (d. h. die Gitter dessen, der Almosen gibt), er liebt die Schuldigen und Ungläubigen nicht.“ 466) Ferner: „O ihr, die ihr glaubet, fürchtet Gott und erlasset (den Schuldnern), was noch von Zins übrig bleibt 467), wenn ihr wahre Gläubige seyd. Thut ihr es nicht, so wisset, daß euch Gott und sein Prophet den Krieg erklärt. Bekehret ihr euch aber, so bleibt euch das Kapital eures Vermögens. Begehet kein Unrecht, so wird auch euch kein Unrecht widerfahren. Ist der Schuldner in dürftigen Umständen, so wartet bis es ihm besser geht, schenket ihr ihm aber die Schuld, so bringt es euch Heil, o wüßtet ihr das nur!“ 468) Dieser göttlichen Offenbarung zufolge erklärte er allen aus der Zeit des Unglaubens noch rückständigen Zins für verschollen, und ich beginne, sagte er, mit dem, welchen mein Oheim Abbas noch ausstehen hat. Eben so erklärte er, es dürfe für alles früher vergossene Blut keine Rache mehr genommen werden, und die erste Mordthat, setzte er hinzu, die ohne Vergeltung bleibe, sey die an meinem Vetter Rabia Ibn Harith Ibn Abd Almuttalib begangene.
Mohammed ging dann in seiner Predigt aus die Pflichten des Mannes gegen seine Frau und auf ihre Rechte an Erbschaften, so wie überhaupt auf einige andere Punkte des Erbrechts über, und theilte ihnen die diesen Gegenstand betreffenden Offenbarungen nebst den nöthigen Erläuterungen mit, welche größtentheils in dem ersten Theile des Kapitels der Frauen enthalten sind, und folgendermaßen lauten:
„O ihr Leute! fürchtet euern Herrn, der euch von einem
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466) Sura II. Vers 276 - 277.
467) Auch diese Worte : „Wadsaru ma bakia min arriba“ hat H. Ullmann nicht richtig übersetzt, sie lauten bei ihm: „Gebet zurück den Wucher, den ihr in Händen habt,“ was gerade dem Vers 276 widerspräche.
468) Dieselbe Sura, Vers 280 u. 281. Vergl. auch Sura III. Vers 130 und Sura XXX. Vers 39.
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Menschen geschaffen, der aus diesem zuerst seine Gattin gebildet und dann aus Beiden viele Männer und Frauen entspringen ließ. Fürchtet Gott, bei dem ihr einander beschwöret 469) und (ehrfürchtet) eure Blutsverwandten, denn Gott bewachet euch. Gebet den Waisen (wenn sie das Mannesalter erreichen) ihr Vermögen heraus! tauschet nicht Schlechtes (Verbotenes) für Gutes (Erlaubtes) ein 470). Zehret nicht ihr Vermögen mit dem Eurigen auf, denn das ist eine große Sünde. Fürchtet ihr aber gegen Waisen eine Ungerechtigkeit zu begehen, so (seyd nicht minder gewissenhaft gegen das weibliche Geschlecht, und) beirathet 471) (nur) zwei, drei oder vier Frauen, die euch gefallen, fürchtet ihr aber (auch dann noch) nicht billig gegen sie handeln zu können, so heirathet nur eine, oder begnügt euch mit dem, was eure rechte Hand erworben (einer Sklavin), so wird es leichter, nicht ungerecht (gegen mehr Frauen) zu handeln. Gebet den Frauen gerne ihre Morgengabe, sind sie aber freigebig gegen euch darin, so genießet es (d. h. das, was sie euch davon schenken) in Ruhe ohne Scheu.“ 472) . . . . . Letzteres Gebot bezieht sich auf den Fall einer Ehescheidung, deren nähere Bestimmungen wir der Vollständigkeit willen auch hier in Kürze mittheilen wollen. Der Mann kann seine Frau drei Mal entlassen, und ohne neuen Ehevertrag, selbst gegen ihren Willen, sie, wenn sie schwanger ist, während ihrer ganzen Schwangerschaft, und wenn nicht,
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469) H. Ullmann unrichtig: „Zu dem ihr für einander betet.“ Man kann nach Djalalein, wenn man walarhami liest, auch so übersetzen: „Fürchtet Gott, bei dem ihr, so wie bei euern Verwandten einander beschwöret. Noch jetzt kommt der Schwur: „Beim Leben meines oder deines Vaters“ häufig vor.
470) Das heißt dadurch, daß ihr das Bessere, das den Waisen gehört, für euch nehmet, und ihnen Schlechteres dafür gebet.
471) Mohammed stellt die Pflichten des Mannes gegen seine Frau auf eine Stufe mit denen des Pflegers gegen unmündige Waisen, und richtet diese Worte an die Medinenser, welche acht bis zehn Frauen heiratheten und ganz nach Willkühr behandelten.
472) Sura 4, Vers 1 - 3.
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entweder bis zum Ablauf von drei Perioden oder drei Monaten, wieder zurücknehmen muß aber auch während dieser Frist (Iddat) für sie noch so gut, wie für seine übrigen Gattinnen sorgen 474). Nach Ablauf der Idda kann er sie bei einer ersten und zweiten Scheidung mit ihrer Einwilligung wieder heirathen, bei einer dritten aber nicht eher, bis sie inzwischen einen andern Mann gehabt, der entweder gestorben ist, oder ihr auch einen Scheidebrief gegeben hat 475). Wer seine Frau verstoßt, bevor er die Ehe vollzogen, braucht ihr nur die Hälfte der Morgengabe zu bezahlen 476). Der Mann kann seine Frau nach Willkühr entlassen, die Frau aber nur bei schweren Vergehen oder leiblichen Gebrechen des Mannes eine Scheidung verlangen 477). Während der oben genannten Idda darf natürlich eine Frau keine neue Ehe schließen. Auch bei Todesfällen darf eine schwangere Frau vor ihrer Entbindung nicht wieder heirathen, eine nicht Schwangere aber nach vier Monaten und zehn Tagen 478). Bei einer Frau, welche vor Vollzug der Ehe geschieden wird, findet gar keine Idda statt. Verstoßt jemand eine Frau, welche ein Kind an der Brust hat, so muß er, bis das Kind zwei Jahre alt ist,
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473) Nach Sura II. Vers 229-230 und Sura 65, Vers 4.
474) Nach Sura 65, Vers 6.
475) Nach Sura II. Vers 231.
476) Nach derselben Sura, Vers 238.
477) So in dem Handbuche des Scheich Ahmed. Ich wundere mich, daß Lane in seinem schon oft angeführten Werke (I. 118) von Letzterem nichts erwähnt, sondern nur von „considerable fault.“ Die im genannten Handbuche angeführten Krankheiten sind: Geisteskrankheit, Aussatz, Impotenz und zwei andere nicht näher zu bezeichnenden Uebel an den Geschlechtsteilen. Auch weiß ich nicht, worauf Lane auf der folgenden Seite seine Behauptung stützt: daß eine geschiedene Frau nach ihrer Entbindung noch vierzig Tage warten muß, bevor sie sich einem andern Mann hingibt; im Koran wird nur die Entbindung als Idda angegeben, und auch bei Scheich Ahmed wird nichts davon erwähnt.
478) Nach Sura II. Vers 235.
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(die gewöhnliche Zeit des Entwöhnens) auch für die Mutter sorgen.“ 479)
Was das Erbrecht der Frauen und Mädchen angeht, so bestimmt der Koran folgendes: „Den Männern gebührt ein Theil von dem, was ihre Eltern oder Anverwandten hinterlassen, und den Frauen gebührt ein bestimmter Theil davon, die Hinterlassenschaft sey groß oder klein! 480). . . In Betreff eurer Kinder befiehlt euch Gott, einem Sohne so viel als zwei Töchtern zu geben, hinterläßt jemand über zwei Töchter (und keinen Sohn), so erhalten sie zwei Drittheile der Verlassenschaft 481), hinterläßt jemand nur eine Tochter, so gebührt ihr die Hälfte. Die Eltern eines Verstorbenen erhalten jeder den sechsten Theil der Verlassenschaft, wenn er Kinder hat; stirbt jemand aber kinderlos, so erben ihn seine Eltern ganz, und zwar erhält die Mutter den Drittheil der Verlassenschaft (und der Vater die übrigen zwei Drittheile). Hat der Verstorbene (zwei oder mehr) Geschwister, so erhält die Mutter nur den sechsten Theil nach Abzug der Legate des Verstorbenen und seiner Schulden 482). Ihr wisset nicht, ob eure Eltern oder
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479) Dieselbe Sura Vers 231. Ueber das Schicksal der Kinder nach zwei Jahren im Falle einer Scheidung bestimmt der Koran nichts Näheres. Die Meinungen der Theologen sind darüber getheilt. Vergl. Lane a. a. O.
480) Sura IV. Vers 6.
481) Den übrigen Drittheil erhalten die andern Verwandten des Verstorbenen. H. Ullmann irrt, wenn er glaubt, das übrige Drittel floß in den öffentlichen Schatz.
482) Das Uebrige, heißt es bei Djalalein, erhält der Vater und die Geschwister bekommen nichts. Vernünftigerweise sollte man glauben, daß Letztere den sechsten Theil erhalten, welcher der Mutter entzogen wird. So liest man auch bei Lane modern Egyptians (S. 123): „If there be no children his father receives two thirds, and his mother the remaining third, or if there be brothers of the deceased, the mother has only onesixth and the said brothers have one-sixth.“ Die Worte bei Djalalein sind indessen so bestimmt, daß sie keine andere Interpretation dulden, noch sich ein Schreibfehler vermuthen läßt. Nach den Worten des Textes „faliummihi assudsu,“ lauten sie: „Walbâkiju lilabi wala schajjun lilichwati.“ Daß das Wort ichwat im Texte durch Geschwister und nicht wie bei Maraccius, Ullmann und Lane durch Brüder zu übersetzen ist, bemerkt ebenfalls Djalalein, übereinstimmend mit dem Handbuche der Theologie von Scheich Ahmed und dem Commentare des Ibn Kasim, welches in allen Schulen der Schasiiten gelehrt wird. Ueber den ersten Punkt findet sich in diesem Werke zwar nichts Bestimmtes, doch werden unter den verschiedenen Verwandten, die in gewissen Fällen ein Sechstel erben, Geschwister nicht gezählt, woraus sich schließen ließe, daß sie wirklich nur hindernd für die Mutter eintreten, ihr Antheil aber dem Vater anheimfällt.
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eure Kinder euch näher sind, darum ist alles von Gott, dem Allwissenden, Allweisen, bestimmt. Euch gehört die Hälfte von dem, was eure Frauen hinterlassen, wenn sie kinderlos sterben, hinterlassen sie aber ein Kind, so erhaltet ihr den vierten Theil der Erbschaft, nach Abzug der Legate und Schulden. Eure Gattinnen erben auch einen vierten Theil von dem, was ihr hinterlasset, wenn ihr keine Kinder habt, hinterlasset ihr aber Kinder, so erhalten sie nur den achten Theil, nach Abzug der Legate und Schulden. Stirbt ein Mann oder eine Frau kinder- und elternlos, hinterläßt aber einen Bruder oder eine Schwester 483), so erhält jeder von diesen einen sechsten Theil
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483) Hier ist nach Djalalein und Ibn Kasim die Rede von einem Bruder oder einer Schwester von mütterlicher Seite, von Geschwistern von väterlicher und von mütterlicher, oder auch nur von väterlicher Seite allein, handelt der letzte Vers dieser Sura, in welchem es heißt: „Stirbt jemand kinder- und elternlos, hinterläßt aber eine Schwester, so erbt sie die Hälfte seiner Verlassenschaft . . . hinterläßt er zwei Schwestern, so erhalten sie zwei Drittheile, hinterläßt er Brüder und Schwestern, so bekommen die Brüder das Doppelte der Schwestern.“ Ibn Masud liest sogar im Terte die Worte min ummin (von mütterlicher Seite). Maraccius, dem auch Ullmann folgt, hat diese Stelle gänzlich mißverstanden. Sie lautet! „Quod si fuerit vir aliquis, qui instituatur haeres illus, cui non sit genitor, neque proles: aut mulier (aliqua ejusdem status instituatur haeres) et hic habeat fratem aut sororem: unicuique ex his duobus (detur) sexta pars (illius quod reliquit). Quod si fuerint plures quam his (unus vel una) hi (erunt) participes in tertia parte etc.“ Auch der sonst so zuverlässige Lane hätte a. a. O. einen Unterschied zwischen Geschwistern von väterlicher und mütterlicher Seite machen sollen, und nicht ohne Weiteres schreiben: „If there be brothers and sisters of the deceased, but no parents, nor children, nor wives, the property is divided among them; the share of a male being double that of a female.“ Auch hier wird natürlich wieder was die Geschwister nicht erhalten, unter den übrigen Verwandten vertheilt.
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der Verlassenschaft, sind mehr als zwei Geschwister da, so wird ein Drittheil unter sie in gleiche Theile vertheilt, nach Abzug der (die Erben) nicht in ihren Rechten beeinträchtigenden Legate 484) und der Schulden. Das ist Gottes Befehl, des Allwissenden, Nachsichtsvollen.“ 485)
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484) Das heißt, die nicht ein Drittel des ganzen Vermögens übersteigen.
485) Dieselbe Sura, Vers 10 und 11. Als Ergänzung dieser Koransverse will ich hier, besonders für Juristen, das kurze Kapitel der Erbschaft aus Scheich Ahmed mittheilen, diese Herrn aber um Nachsicht mit meiner profanen Darstellungsweise bitten, die indessen als treue Uebersetzung des arabischen Textes, für sie auch nicht ohne Interesse seyn mag.
„Es gibt zehn Erben männlichen Geschlechts, die auf bestimmte Erbtheile Anspruch haben: 1) der Sohn; 2) der Sohn des Sohnes und weiter abwärts; 3) der Vater; 4) der Vater des Vaters und weiter aufwärts; 5) der Bruder; 6) der Sohn des Bruders und dessen weitere Nachkommen; 7) der Bruder des Vaters; 8) des Vaters Brudersohn und weitere Nachkommen; 9) der Gatte; 10) der Herr eines Sklaven, dem er die Freiheit geschenkt. Erbinnen gibt es nur sieben: 1) die Tochter; 2) des Sohnes Tochter; 3) die Mutter; 4) die Großmutter; 5) die Schwester; 6) die Gattin und 7) die Herrin eines Sklaven, dem sie die Freiheit geschenkt. Fünf der genannten erbfähigen Verwandten bleiben nie ohne Antheil: 1) der Gatte; 2) die Gattin; 3) der Vater; 4) die Mutter und 5) das leibliche Kind. Ausgeschlossen von jeder Erbschaft sind folgende sieben: 1) der Sklave (oder die Sklavin); 2) der Sklave, der durch den Tod seines Herrn frei wird; 3) die Sklavin, welche ihrem Herrn ein Kind geboren und ebenfalls durch den Tod ihres Herrn ihre Freiheit erlangt; 4) der Sklave, welcher vertragsmäßig durch das Beibringen einer bestimmten Summe in festgesetzten Terminen frei wird; 5) der Mörder (des Verstorbenen); 6) der vom Islam Abtrünnige; 7) und der eines andern Glaubens (so daß also auch kein Gläubiger Ansprüche auf die Verlassenschaft eines Ungläubigen hat). Die Verwandtschaftsgrade in Betreff der Erbrechte folgen in nachstehender Ordnung auf einander. Zuerst der Sohn, dann der Sohn des Sohnes, dann der Vater, dann des Vaters Vater, hierauf der Doppelbruder, dann der Bruder von väterlicher Seite, dann der Sohn des Doppelbruders, dann der Sohn des Bruders von väterlicher Seite, dann des Vaters Bruder nach derselben Ordnung (d. h. zuerst der Doppelbruder, dann der von väterlicher Seite), dann des Vaters Brudersohn. Bei Ermanglung von Blutsverwandten tritt der Herr eines von ihm befreiten Sklaven als dessen Erbe ein. Die verschiedenen Erben erhalten nach der göttlichen Schrift (dem Koran) entweder die Hälfte, oder ein Viertel, oder ein Achtel, oder ein Sechstel, oder ein Drittel, oder zwei Drittel der Verlassenschaft. Folgende fünf erhalten (in gewissen Fällen) die Hälfte: 1) die Tochter; 2) die Tochter des Sohnes; 3) die Doppelschwester; 4) die Schwester von väterlicher Seite und 5) der Gatte, wenn weder ein Kind, noch eines Sohnes Kind miterbt. (Die ersten zwei erhalten natürlich auch nur dann die Hälfte, wenn kein Sohn, und die andern beiden, wenn kein Bruder miterbt). Ein Viertel erhält: 1) ein Gatte, dessen Gattin ein Kind oder eines Sohnes Kind hinterläßt und 2) eine Gattin, dessen Gatte weder einen Sohn, noch eines Sohnes Kind hinterläßt, im andern Falle erhält sie nur ein Achtel. Zwei Drittheile ist das Loos folgender vier: 1) zweier oder mehr Töchter; 2) zweier oder mehr Sohnes Töchter; 3) zweier oder mehr Doppelschwestern; 4) zweier oder mehr Schwestern von väterlicher Seite. Ein Drittel ist das Erbtheil 1) der Mutter, wenn vom Verstorbenen kein Sohn, kein Sohneskind und nicht zwei oder mehr Geschwister da sind und 2) das der Geschwister von mütterlicher Seite. Den sieben folgenden Verwandten ist ein Sechstel bestimmt: 1) der Mutter, wenn ein Kind, eines Sohnes Kind, oder zwei Geschwister und darüber miterben; 2) der Großmutter, wenn keine Mutter mehr lebt; 3) der Tochter des Sohnes neben einer leiblichen Tochter; 4) der Schwester von väterlicher Seite neben einer Doppelschwester; 5) dem Vater neben einem Kinde, oder eines Sohnes Kind; 6) dem Großvater, wenn kein Vater mehr lebt und 7) einem Bruder oder einer Schwester von mütterlicher Seite. Großmütter erben nichts neben Müttern und Großväter neben Vätern. Geschwister von mütterlicher Seite erben nichts, wenn der Verstorbene ein Kind, ein Sohneskind, einen Vater oder Großvater (und weiter aufwärts) hinterläßt. Doppelgeschwister verlieren ihren Antheil, wenn ein Vater, ein Sohn oder eines Sohnes Sohn da ist. Neben den drei Genannten muß natürlich auch ein Bruder von väterlicher Seite zurückstehen, außer diesen aber auch noch neben einem Doppelbruder. Folgende vier erhalten noch einmal so viel als ihre Schwestern: 1) der Sohn; 2) der Sohn des Sohnes; 3) der Doppelbruder und 4) der Bruder von väterlicher Seite. Bei folgenden vier Verwandten sind die Schwestern ganz ausgeschlossen : 1) bei des Vaters Brüdern; 2) bei den Söhnen der Letztern; 3) bei des Bruders Söhnen und 4) bei den männlichen Verwandten eines Herrn, der seinen Sklaven befreit.“
Leben Mohammeds.
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Die weiteren Koransverse in Betreff der Frauen lauten : „Diejenigen eurer Frauenspersonen, welche eine Schändlichkeit
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begehen, gegen die vier Männer als Zeugen auftreten, sollen in euren Häusern eingesperrt werden, bis der Tod sie heisucht, oder Gott ihnen ein anderes Mittel zur Befreiung an weist.“ 486) . . . . Ferner: „O ihr, die ihr glaubet! es ist euch
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486) Vers 14. Dieser Vers, welcher keinen Unterschied zwischen Mädchen und verheiratheten Frauen macht, ward nach Djalalein in der ersten Zeit des Islams geoffenbart, später ward dann anders über sie verfügt, indem Unverheirathete zu hundert Streichen und einem Jahre Verbannung, Verheirathete aber zur Steinigung verurtheilt wurden. H. Ullmann übersetzt unrichtig: „Wenn eure Frauen sich durch Ehebruch vergehen.“ Die Strafe von hundert Stockstreichen findet sich im 2. Vers der 24. Sura, wo es ihnen auch zugleich verboten ist, sich mit züchtigen Gläubigen zu verheirathen. Die Verbannung ist nur Sunna und nicht Koransgesetz. Die Steinigung für Verheirathete soll in einem verloren gegangenen, oder wie die Muselmänner sagen: in einem widerrufenen Verse gestanden seyn, dessen Inhalt jedoch Gesetzeskraft behielt. S. Anmerk. 554.
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nicht erlaubt, Frauen (verstorbener Verwandten) gegen ihren Willen euch als Erbschaft anzueignen 487). Haltet auch eure Gattinnen 488) (an denen ihr keinen Gefallen mehr findet) nicht ab einen anderen zu heirathen, in der Absicht, einen Theil ihrer Morgengabe ihnen vorzuenthalten 489), außer wenn sie eine offenbare Schändlichkeit begehen. Behandelt sie mit Güte, selbst wenn sie euch mißfallen, vielleicht hasset ihr manches, aus dem euch Gott viel Segen bereitet. Wollt ihr eure Gattin mit einer andern vertauschen 490), so dürft ihr derselben nichts von
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487) Es ist schon in der Einleitung gesagt worden, daß bei den alten Arabern die Frauen auch gewissermaßen zur Verlassenschaft gehörten, und den nächsten Verwandten des Verstorbenen als Erbe zufielen, und zwar so, daß sie nicht einmal eines Ehekontraktes bedurften, und keine Morgengabe zu entrichten hatten, sondern gleichsam in die Rechte des Verstorbenen als Erben eintraten.
488) So bei Djalalein, nicht wie bei Maraccius und Ullmann, welche diesen Satz mit dem Obigen verbinden. Es versteht sich auch von selbst, daß wenn Männer kein Erbrecht auf die Frauen ihrer Verwandten haben, sie dieselben auch nicht hindern können, einen Andern zu heirathen.
489) Weil nämlich bei der Scheidung die Morgengabe bezahlt werden muß, von der gewöhnlich nur ein geringerer Theil bei der Vermählung entrichtet und häufig zur Aussteuer verwendet wird. Dieser Vers verbindet den Mann, welcher keine Neigung zu seiner Frau hat, so daß er die ehelichen Pflichten gegen sie nicht erfüllen will, sie zu entlassen, und verbietet ihm, ihre Freiheit gegen einen Theil ihrer Morgengabe zu verkaufen, oder sie, um ihr dieselbe nicht bezahlen zu müssen, als Gattin zu behalten. So heißt es auch Vers 128: „So sehr ihr es auch möchtet, so ist es euch doch nicht möglich, gleiche Neigung für mehrere Gattinnen zu haben, doch dürft ihr keine ganz vernachlässigen und sie gleichsam in einen Zustand versetzen, wo sie weder ledig, noch verheirathet ist.“ Vergl. auch Anmerk. 497.
490) D. h. euch von einer Gattin scheiden und eine andere heirathen.
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ihrer Morgengabe entziehen, selbst wenn sie ein Talent beträgt; möchtet ihr eine offenbare Sünde und Gewaltthat begehen? Wie wollt ihr ihnen etwas nehmen, nachdem ihr mit einander vereinigt waret, und ihr mit ihnen einen festen Vertrag geschlossen? Heirathet nicht die Frauen eurer Väter — doch wird euch das Geschehene verziehen — denn es ist eine Schändlichkeit und eine Verworfenheit. Verboten ist euch zu heirathen: eure Mütter, eure Töchter und eure Schwestern, die Schwestern eurer Väter und die eurer Mütter, die Töchter eurer Brüder und die eurer Schwestern, auch nicht eure Säugeammen, noch eure Milchschwestern, ferner weder die Mütter, noch die Töchter eurer Frauen, deren Erzieher ihr geworden, dieß Verbot tritt indessen erst dann ein, wenn ihr euren Frauen schon beigewohnt. Ferner heirathet nicht die Frauen eurer von euch abstammenden Söhne, auch nicht zwei Schwestern zusammen. Doch wird euch das Geschehene vergeben 491), denn Gott ist gnädig und barmherzig. Jede verheirathete Frau ist euch verboten, mit Ausnahme derer, welche eure Rechte (im Kriege) erwirbt. Das ist Gottes Vorschrift für euch; alle Uebrigen (Frauen) sind euch erlaubt. Wenn ihr tugendhafte züchtige Frauen gegen eine Morgengabe heirathet, so müßt ihr ihnen auch, sobald ihr sie einmal besessen, den festgesetzten Lohn geben, ihr begehet jedoch kein Unrecht, wenn ihr mit ihrer Einwilligung später andere Bestimmungen treffet. Gott ist allwissend und allweise. Wer von euch nicht die Mittel hat, eine freie Gläubige zu heirathen , der heirathe ein gläubiges Mädchen, das seine Rechte erworben (eine Sklavin). Gott kennt euern Glauben 492), ihr stammt alle einer vom andern
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491) Aus dieser Bemerkung, welche sich auch bei dem Verbote des Vaters Frauen zu heirathen findet, geht hervor, daß dieß bei den Arabern zu Mohammeds Zeit Sitte war und daher manche noch solche Gattinnen hatten, die ihnen Mohammed hiemit zu behalten erlaubte.
492) Das heißt nach Djalalein, lasset es euch nicht schwer fallen, wenn ihr eine Sklavin heirathet, Gott kennt das Innere der Menschen, und manche Sklavin ist mehr werth als eine Freie, und übrigens sind alle Menschen gleich.
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ab. Heirathet die Sklavinnen nur mit der Erlaubniß ihres Herrn, gebet ihnen in Güte ihre Morgengabe, doch heirathet nur Tugendhafte, die sowohl öffentlich, als im Verborgenen züchtig leben. Begehen sie aber als eure Gattinnen eine Schandthat, so treffe sie die Hälfte der Strafe, welche Freie trifft 493). Dieses (die Erlaubniß Sklavinnen zu heirathen) gilt für diejenigen (Unbemittelten) unter euch, welche sich vor einer Sünde 494) fürchten; enthaltet ihr euch aber davon, so ist es besser für euch. Gott ist gnädig und barmherzig 495). . . .
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493) Sie werden niemals mit dem Tode bestraft, bemerkt Djalalein, sondern erhalten fünfzig Streiche und werden auf ein halbes Jahr verbannt.
494) Das heißt, welche fürchten, sie möchten, wenn sie unverheirathet bleiben, ihre Leidenschaft auf eine sündhafte Weise befriedigen. Maraccius übersetzt unrichtig: „Hoc (conjugium cum ancillis conceditur) illi qui timuerit ex vobis flagitium (ab ingenuis).“ Nicht besser H. Ullmann: „Sklavinnen sind nur demjenigen erlaubt, welcher freie Frauen fürchtet, der Sünde wegen, in welche sie leicht verfallen.“
495) Vers 18—24. Die in Vers 20 und 21 verbotenen Ehen sind es auch nach dem mosaischen Gesetze, mit Ausnahme der Nichte, welche Moses zu heirathen erlaubt. Wenn aber Mohammed hierin von dem mosaischen Gesetze abweicht, so hat er es doch bei der Erlaubniß, die er den Frauen gegeben, nahe Verwandten unverschleiert zu sehen, (Sura XXIV. Vers 32. Vergl. Anmerk. 229) berücksichtigt, da er, wie schon Michaelis (mosaisches Recht, II. 263) bemerkt, den Männern gerade diejenigen Frauen unverschleiert zu sehen erlaubt, welche sie nach demselben nie heirathen dürfen, weil dann von einem vertraulichern Umgange keine weitere Verführung zu befürchten ist. Der wahre Grund, warum in jenem Verse der Oheim nicht auch erwähnt ist, liegt gewiß darin, daß Mohammed, als er ihn schrieb, das mosaische Gesetz im Gedächtnisse, oder vielleicht einer seiner jüdischen Mitarbeiter dasselbe vor Augen hatte, in welchem es dem Oheim nicht verboten ist, seine Nichte zu heirathen, obschon der Neffe seine Tante nicht heirathen darf. Die Nichterwähnung des Oheims bemerkt schon Lane S. 222. Aber der hier angegebene Grund ist gewiß eher anzunehmen als folgender, den er anführt: „Some think that they (uncles) are not admissible, and for this reason, lest they should descibe the persons of their nieces to their sons; for it is regarded as highly improper for a man to describe the features or person of the female to one of his own sex, by whom it is unlawful for her to be seen etc.“
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Die Männer sind über die Frauen gesetzt wegen der Vorzüge, mit denen sie Gott begabt, und weil jene diese unterhalten. Die tugendhaften Frauen sind gehorsam und bewahren auch in Abwesenheit (ihrer Männer), was ihnen Gott zu bewahren befohlen. Weiset diejenigen Frauen zurecht, von denen ihr Widerspenstigkeit befürchtet (hilft dieß nichts), so lasset sie euer Bett nicht mehr theilen, und (hat auch dieß keinen Erfolg, so) züchtiget sie, gehorchen sie euch aber, so habt ihr kein Recht, sie zu mißhandeln. Gott ist erhaben und mächtig. Fürchtet ihr Zwiespalt unter Ehegatten, so sendet ihnen einen Schiedsrichter aus seiner Familie und einen aus der Ihrigen, finden sie es für gut sie wieder mit einander zu versöhnen, so wird Gott die Eintracht unter ihnen herstellen, er ist allweise und kennt das Innere der Menschen 496).“
Nachdem Mohammed noch einige andere Ermahnungen 497)
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496) Vers 33 u. 34.
497) Hieher gehört besonders »och der 232.Vers der 2. Sura, welcher lautet: „Wenn ihr euch von euern Frauen scheidet, und sie sind der bestimmten Frist (von drei Perioden, drei Monaten, oder der Entbindung, nicht vier Monate, wie bei Ullmann) nahe gekommen, so nehmet sie entweder in Güte wieder auf, oder entlasset sie in Güte (nach Ablauf der Frist); haltet sie aber nicht böswillig zurück, um ihnen Gewalt anzuthun; wer dieß thut, schadet sich selbst . . . .“ Es heißt eigentlich im Texte: „Wenn sie ihre Frist erreicht haben,“ doch hat Djalalein ganz recht, wenn er das Wort balaghna (sie haben erreicht) durch karabna inkidhaa iddatihiuna (sie sind dem Ablauf ihrer Frist nahe gekommen) wiedergibt; denn ist sie einmal vorüber, so hat natürlich der Mann kein Recht mehr über die Frau. In diesem Verse will Mohammed den Männern verbieten, ihre Frauen durch eine solche fruchtlose Absonderung zu quälen, entweder um sie zu nöthigen, sich loszukaufen, oder um wenigstens während dieser Frist sie vernachläßigen zu dürfen. Im folgenden Verse ist dann das Wort balaghna buchstäblich zu nehmen, er ist aber nach Djalalein nicht an den Gatten gerichtet, denn der kann gewiß eine geschiedene Frau nach Ablauf der bestimmten Frist nicht mehr abhalten, einen andern Mann zu heirathen, sondern an den Vormund der Frau, welcher sie nicht hindern soll, nach einer Versöhnung ihren ersten Gatten wiederzunehmen. Djalalein bemerkt noch: „Dieser Vers erschien, als Jasar seine geschiedene Gattin wieder nehmen und ihr Bruder Mi'kal es nicht zugeben wollte. Es ist für die Unschuld und Sittenreinheit förderlicher, heißt es am Schlusse des Verses, wenn sie nach einer Versöhnung sich wieder heirathen, weil, bemerkt Djalalein, man gegen ein (gewesenes) Ehepaar mißtrauisch seyn muß, wegen der Anhänglichkeit, die zwischen ihnen besteht.“ Nicht wie bei Maraccius p. 82: „Ob suspitionem quae timetur in duobus conjugibus propter dissidium et certamen amoris inter se.“ Nach Maraccius hat auch Ullmann diesen Vers unrichtig übersetzt: „Wenn ihr euch von euern Frauen scheidet, und ihre bestimmte Zeit ist gekommen, dann hindert sie nicht einen andern Mann zu nehmen, wenn sie sich nach Billigkeit einigen wollen.“
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zu einer guten Behandlung der Frauen, welche die Männer als ihre Gehülfinnen betrachten müssen, hinzugesetzt, und die Gläubigen nochmals aufgefordert hatte, den schon erwähnten heidnischen Gebrauch, die heiligen Monate zuweilen zu verschieben, abzuschaffen, fuhr er fort: „O ihr Leute! Satan hat gewiß alle Hoffnung verloren, je mehr in diesem Lande angebetet zu werden; doch seyd fortwährend auf eurer Hut, und handelt stets eurem Glauben gemäß! Haltet fest an dem Buche Gottes! denn wer es zur Leitung nimmt, geht nicht irre. Beherziget meine Worte! denn ich habe mein Ziel erreicht. Ihr habt als Haltpunkt das klare Wort Gottes und die Lehren seines Propheten. Vernehmet meine Worte und bedenket, daß alle Muselmänner Brüder sind, daß dem Einen nicht erlaubt
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ist, was dem Andern gehört, wenn er es ihm nicht freiwillig schenkt.“
Er sagte dann zu Rabia 498) Ibn Ommejja Ibn Challaf, welcher neben ihm stand, und seine leise gesprochenen Worte dem Volke mit starker Stimme wiederholte: „Sprich! o ihr Leute! der Gesandte Gottes fragt euch: wisset ihr, in welchem Monate ihr seyd, und in welchem Lande, und welcher Tag heute ist?“ Rabia richtete diese Fragen an das Volk, welches antwortete: „Wir sind in einem heiligen Monate, und befinden uns in einem heiligen Gebiete, und heute ist das heilige Pilgerfest.“ Da sagte Mohammed : „Verkündige ihnen, daß Gott ihnen befiehlt, bis zum Tage, wo sie von ihm aufgenommen werden, das Blut und das Gut ihrer Nächsten so heilig zu halten, wie diesen Monat, dieses Gebiet und diesen Festtag.“ Mohammed beschloß seine Predigt mit folgendem Koransverse, der nach muselmännischer Tradition ihm eben geoffenbart ward, als er noch auf seinem Kameele saß, und der letzte war, der ein Gebot oder Verbot enthielt: „Ihr dürft nicht essen, was von selbst gestorben, kein Blut, kein Schweinfleisch, was nicht im Namen Gottes geschlachtet 499), was erwürgt, oder durch einen Schlag, durch einen Fall, oder durch einen Stoß getödtet, oder von einem reißenden Thiere zerrissen worden, es sey denn, ihr habt es (noch lebend gefunden und) selbst geschlachtet, und nicht was zu Ehren eines Götzen geschlachtet worden. Theilet nichts unter euch durch das Pfeilloos 500), denn alles dieß ist sündhaft. Heute werden die Ungläubigen
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498) Auf Rabia selbst scheint diese Rede keinen sehr tiefen Eindruck gemacht zu haben, denn nach I. ward er unter Omars Chalifat als Weintrinker gezüchtigt, worauf er nach Syrien auswanderte und sich zum Christenthum bekehrte.
499) Die ersten vier Verbote sind hier nicht zum ersten Male erschienen, sie finden sich schon in der 6. Sura, Vers 118 und 145 und in der 16., Vers 115, welche Beide zu den in Mekka geoffenbarten Suren gehören, ferner in der 2., Vers 175.
500) Vergleiche die Einleitung, S. 17.
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ihre Hoffnung aufgeben gegen euern Glauben 501) (etwas zu vermögen), fürchtet sie nicht, sondern fürchtet nur mich! Heute haben eure Religionslehren ihre Vollständigkeit erreicht. Meine Huld ist euch vollkommen zu Theil geworden, ich habe den Islam zu eurem Glauben gewählt. Wer jedoch durch Hunger gezwungen ist (Verbotenes zu genießen), nicht aus Hang zur Sünde, gegen den ist Gott gnädig und barmherzig.“ 502)
Da dieser Vers und die beiden folgenden, welche gewiß auch gleichzeitig mitgetheilt wurden 503), alle Speisegesetze Mohammeds enthalten,
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501) So nach Djalalein: „Sie werden nicht mehr hoffen, daß ihr abtrünnig werdet, nachdem sie dieß so sehr wünschten, weil sie nun gesehen, wie stark er ist.“ S. auch den Kamus unter ja alef sin, wo auch diesem Worte, mit min construirt, eine solche Bedeutung gegeben wird. Maraccius übersetzt unrichtig: „Hodie vae illis qui recesserunt a religione vestra,“ eben so Ullmann: „Wehe an diesem Tage denen, welche von eurer Religion abfallen.“ Sie haben das min fälschlich auf kafaru bezogen, das doch gewöhnlich mit b construirt wird, auch paßt das Wort heute gar nicht für diesen Sinn.
502) Sura 5, Vers 4. Als Mohammed diese Offenbarung erhielt, heißt es bei I., brachen fast die Vorderfüße des Kameels, auf dem er saß, zusammen, wegen der Schwere der Offenbarung. S. Anmerk. 48, S. 43. Omar weinte über den ersten Vers, und als Mohammed ihn fragte, warum er weine? antwortete er: „Da du unsern heutigen religiösen Zustand für den vollkommensten erklärt hast, so steht uns nur eine Verschlimmerung desselben in Aussicht.“ Bei Abulfeda war es Abu Bekr, der darin eine Andeutung auf Mohammeds nahen Tod sah, welcher in der That drei Monate und drei Tage nach dieser Offenbarung erfolgte.
503) Dafür spricht nicht nur der Inhalt, sondern auch ganz besonders das Wort aljauma (heute, oder nunmehr), das im vierten und im sechsten Verse vorkommt. Wir werden in der Folge sehen, daß selbst nach muselmännischer Tradition die Koransverse, eben so wenig als die Suren, chronologisch geordnet sind. So ist hier wahrscheinlich Vers 3 erst später hereingeflickt worden. Vers 5 erschien gewiß zuerst, dann Vers 6, hierauf Vers 2, welcher alles Rindvieh, worunter auch das Kameel, erlaubt, und zuletzt Vers 4.
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so will ich sie auch gleich anführen: „Sie werden dich fragen (so redet Gott oder der Engel Gabriel Mohammed an), was ihnen (zu genießen) erlaubt ist, sage (ihnen): alles, was gut schmeckt 504) ist euch erlaubt, auch das Wild, das euch von abgerichteten Jagdthieren gebracht wird, die ihr (in der Jagdkunst) eingeübt, wie es euch Gott gelehrt, dürfet ihr genießen 505); erwähnet nur den Namen Gottes dabei (d. h. wenn ihr das Jagdthier loslasset). Fürchtet Gott, denn er fordert schnell Rechenschaft. Heute wird euch alles Wohlschmeckende erlaubt, auch die Speisen der Schriftbesitzer 506)
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504) Dieses Koransgesetz ist auch von den späteren Theologen beibehalten worden, und findet sich noch buchstäblich in dem schon häufig angeführten Handbuche, wo nur wilde, reißende Thiere, wie Löwen, Tiger, Bären, Wölfe und Raubvögel, wie Raben, Adler, Geier u. dgl. verboten sind. H. Lane irrt daher, wenn er (I. S. 112) schreibt: „Most animals prohibited for food by the mosaic law are alike forbidden to the Mooslim, the camel is an exception.“ Pferdfleisch, das den Juden verboten ist, hat Mohammed bei dem Feldzuge von Cheibar ausdrücklich erlaubt, eben so wilde Esel, Hasen, Füchse u. a. m. Sura IV. Vers 159 heißt es sogar ausdrücklich: „Wir haben den Juden wegen ihrer Uebelthaten gute Speisen verboten, die ihnen früher erlaubt waren“ (und Mohammed auch den Muselmännern nicht verbietet).
505) Nach Djalalein und dem Handbuche der Theologie muß das Jagdthier so abgerichtet seyn, daß es wegläuft oder fliegt, sobald man es losläßt, zurück bleibt, wenn man es aufhält und nichts vom Wild frißt; ist es so eingeübt, daß es wenigstens drei Proben abgelegt, so darf man das von ihm getödtete Wild essen, wo nicht, nur in dem Falle, wo es noch lebend gefangen worden und geschlachtet werden kann. (Darnach ist Lane, l. S. 114 zu ergänzen). Nach einer Tradition bei Djalalein, welche zum Gesetze ward, ist ein mit einem Pfeile getödtetes Wild auch erlaubt, wenn man beim Losdrücken den Namen Gottes erwähnt, und so ward auch später ein Geschossenes erlaubt.
506) D. h. der Juden und Christen. Wahrscheinlich war es bei Letztern in Arabien auch Sitte, die Thiere mit dem Messer oder einem sonstigen schneidenden Instrumente zu schlachten, sonst hätte Mohammed, der doch geschlagenes Vieh, und was ohne Erwähnung des Namens Gottes getödtet worden, verbietet, ihre Speisen nicht erlaubt. Djalalein paraphrasirt freilich das Wort taam (Speise) durch Dsabaïh (Geschlachtetes), doch liegt dieß nicht im Worte. Heutigen Tages essen die frommen Muselmänner bei Juden, weil sie wissen, daß sie ihr Vieh und Geflügel im Namen Gottes schlachten, bei Christen aber nur, wenn sie einen muselmännischen Koch haben, der das Schlachten besorgt, und dafür bürgt, daß kein Schweinfleisch oder Schmalz auf den Tisch komme. Bei beiden enthalten sie sich auch von Speisen, die mit Wein zubereitet sind. Geiger irrt wenn er (S. 200) glaubt, der vierte Vers, in welchem Geschlagenes, Erwürgtes u. dgl. verboten ist, gehöre zu den Aufgehobenen.
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dürft ihr genießen, so wie eure Speisen ihnen erlaubt sind, eben so ist es euch gestattet, tugendhafte Frauen zu heirathen, sie mögen gläubig seyn, oder zu denen gehören, die vor euch eine Offenbarung erhalten, wenn ihr ihnen ihre Morgengabe entrichtet, doch müsset ihr sie als Gattinnen nehmen, nicht als Beischläferinnen, weder öffentlich, noch geheim. Wer vom Glauben abtrünnig wird, dessen (frühere) Werke sind vergebens, und er gehört in jener Welt zu den Untergehenden.“
Nach dieser Predigt rief Mohammed Gott drei Mal zum Zeugen auf, daß er seinen Beruf als Prophet erfüllt, dann trank er in Gegenwart des ganzen Volkes einen Becher voll Milch, den ihm die Gattin seines Oheim Abbas geschickt, um damit zu zeigen, daß der neunte Tag des Dsu-l-Hudja kein Fasttag, wie er es bei den Heiden war; dann verrichtete er auf Arafa das Mittag- und Nachmittaggebet. Hierauf betete er noch: „O Gott! du hörst meine Worte, und siehst meinen Standpunkt, kennst mein Aeußeres und mein Inneres, und nichts von meinem ganzen Wesen ist dir verborgen. Ich, der schüchterne, flehende, Schutz suchende, Gnade bedürftige und Schwache, bekenne hier meine Sünde vor dir, und flehe dich an, wie der Arme den Reichen, zittre vor dir wie ein Verbrecher vor seinem Richter, und bete zu dir mit gebeugtem Nacken und thränenvollen Augen. O Gott! lasse mein Gebet
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nicht unerhört, sey gnädig und barmherzig gegen mich, du Bester von allen, die um etwas gebeten werden, du bester Geber. Zu dir nehme ich meine Zuflucht vor der Pein des Grabes, vor der Unruhe des Gemüths, vor der Zerrüttung meiner Verhältnisse und vor der Bosheit aller Boshaften.“
Mohammed nahm dann Usama Ibn Zeid hinter sich auf sein Kameel und ritt nach Muzdalifa, wo er übernachtete. Am folgenden Morgen ritt er auf einem Kameele mit Abbas, gleich nach dem Frühgebete, wieder nach dem Thale Mina; alle erwachsenen Pilger männlichen Geschlechts folgten ihm 507), Frauen und Kindern aber hatte er, damit sie nicht ins Gedränge kommen, schon nach Mitternacht abzureisen erlaubt. Im Thale Mina, bei Djamrah Alakaba, ließ er sich von Abd Allah Ibn Abbas sieben Steinchen aufheben, warf sie mit den Worten: „Gott ist groß“ hinter sich, und befahl allen Pilgern das Gleiche zu thun; dann hielt er wieder eine Rede desselben Inhalts wie die am vorhergehenden Tage. In Mina schlachtete er mit eigener Hand die dreiundsechzig Kameele, die er von Medina mitgebracht, so viel als er Lebensjahre zählte, und befahl Ali dasselbe zu thun mit den siebenunddreißig, die er aus Jemen mitgeführt. Er ließ dann von jedem ein Stückchen abschneiden, und zusammen in einem Topfe für sich und die Seinigen kochen, das Uebrige aber unter die Armen vertheilen. Nach der Mahlzeit ließ er sich von Mi‘mar sein Haupthaar scheeren, und schenkte die Hälfte davon Abu Talha
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507) Eine Frau, die einen alten Vater hatte, welcher dem Zuge nicht weiter folgen konnte, und doch die Pflicht der Pilgerfahrt erfüllen wollte, fragte Mohammed beim Wegreiten, was er thun solle? Er antwortete: er soll einen Andern für sich die Ceremonien der Wallfahrt vollenden lassen. Manche Muselmänner lassen daher auch, wenn sie die Wallfahrt nicht selbst unternehmen können, einen Andern für sich wallfahren, dem sie die Reisekosten ersetzen. (Vergl. das Nähere über einen solchen Stellvertreter bei d‘Ohsson Schilderung des ottoman. Reichs. Deutsch von Beck, II. S. 77-83).
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die andere Hälfte gab er dem Volke preis, das kein einziges Haar verloren gehen ließ, sondern sie als Reliquie aufbewahrte 508). Er ließ sich dann von Aïscha beräuchern, ritt nach Mekka zurück auf einem Kameele mit Usama, machte abermals sieben Umkreise um den Tempel, trank von dem Wasser, das Abbas mit Datteln und Zibeben für die Pilger zubereitet, hierauf ein wenig von dem Brunnen Zemzem, las die Sura vom Berge Tur 509), und kehrte wieder, ohne abzusteigen,
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508) In der Schlacht von Jarmuk verlor Chalid die Mütze, die er unter seinem Helme trug, er suchte sie sehr lange, obschon er deren mehrere hatte und die verlorene ganz zerrissen war. Als man ihn fragte, warum ihm so viel an dieser Mütze liege, sagte er: „Ich hatte einige Haare vom Gesandten Gottes darin aufbewahrt, mit denen ich in allen Schlachten siegte.“ I.
509) Es ist die 52. Sura, welche noch zu den ältern mekkanischen gehört. Sie lautet: „Bei dem Berge Tur (Sinai) bei der Schrift auf ausgebreitetem Pergament (die Tora und der Koran), bei dem besuchten Tempel, bei dem erhöhten Himmelsdache, bei dem schwellenden Meere, die Strafe deines Herrn trifft ein, nichts kann sie abwehren, an dem Tage, wo der Himmel wankt und die Berge erschüttert werden. Wehe dann denjenigen, welche (Gottes Gesandten) Lügner nannten und mit Eitelkeiten sich zerstreuten. An dem Tage, wo sie in das Feuer der Hölle gestoßen werden (mit den Worten): das ist das Feuer, an das ihr nicht glauben wolltet. Ist das wohl auch Zauber? (wie ihr Mohammeds Offenbarung genannt) brennet nun darin! gleichviel ob mit oder ohne Geduld, ihr empfanget die Vergeltung für eure Werke. Die Gottesfürchtigen aber ergötzen sich in Gärten und Wonneplätzen an dem, was ihnen ihr Herr beschieden, und daran, daß er sie vor der Pein der Hölle bewahrt. (Ihnen wird zugerufen): Esset und trinket und genießet die Frucht eurer Werke! angelehnt auf Throne in Reihen aufgestellt. Wir geben ihnen Gattinnen mit großen Augen. Die Nachkommen der Gläubigen, die wir ihnen im Glauben folgen ließen, werden wir auch (im Paradiese) mit ihnen vereinen, und ihnen von (dem Verdienste) ihrer Werke (der Kinder willen) nichts entziehen; jedermann gilt als Unterpfand für sein Thun. Wir versorgen sie mit Früchten und Fleisch, wie sie es wünschen, sie reichen einander den Weinkelch, der weder thörichtes Geschwätz, noch Sünden hervorruft, und Knaben werden (zu ihrer Bedienung) sie umgeben (so schön und rein) wie Perlen in den Muscheln verschlossen. Es wird sich dann Einer dem Andern zuwenden und ihn (über sein früheres Leben) ausfragen. Die Einen werden sagen: Wir waren, als wir noch bei den unsrigen (in dieser Welt) lebten, besorgt (um unser jenseitiges Wohl), darum war Gott gnädig gegen uns, und bewahrt uns vor der brennenden Qual. (Andere sagen): Wir haben ihn früher angebetet; er ist der Wohlthätige, der Barmherzige.“ Die letzten 21 Verse dieser Sura stehen mit den hier angeführten 28 ersten in gar keinem Zusammenhange, ich lasse sie daher auch hier weg. Ich weiß überhaupt nicht, warum Mohammed nach I. gerade diese Sura las, wenn nicht etwa, weil er im Anfang unter Anderm auch bei dem besuchten Tempel schwört, unter welchem indessen, nach Djalalein, nicht die Kaaba, sondern ein himmlischer, täglich von siebenzigtausend Engeln besuchter Tempel, verstanden seyn soll. Ich würde auch die erste Hälfte der Sura nicht mitgetheilt haben, wenn sie nicht wegen der darin enthaltenen Schilderung der Freuden der Paradiesesbewohner und der Qualen der Sünder in der Hölle, auf die wir auch später zurückkommen werden, wichtig wäre.
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nach Mina zurück. Hier brachte er drei Tage zu, und wiederholte jeden Tag die Ceremonie des Steinwerfens , erklärte übrigens aber diese Tage als Freudentage. Am dreizehnten begab er sich in ein Zelt, das ihm Abu Rasi' in den niedern Theilen Mekka's, zwischen dem Berge Abu Kubeis und dem rothen Berge 510) aufgeschlagen, und brachte die Nacht darin zu. Vor Tagesanbruch aber machte er sich auf, und hielt noch einmal sieben Umgänge um den Tempel, wobei er die Mauer Multazim in der Nähe des schwarzen Steines berührte, und trat seine Rückkehr nach Medina an. Am achtzehnten hielt er bei dem Teiche Chum in der Nähe von Djohfa
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510) Nach einigen Traditionen versammelten sich hier einst die Kureischiten, als sie den Beschluß faßten, sich von den Haschimiten abzusondern, bis sie Mohammed ausliefern würden, nach Andern auf dem Berge Hadjun, wo Mohammed bei seiner Ankunft abgestiegen war.
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eine Rede vor den um ihn versammelten Gefährten, in welcher er unter Andrem sagte: „O ihr Leute! ich bin ein Mensch wie ihr, der Gesandte meines Herrn (der Todesengel) kann mir jeden Augenblick erscheinen, und ich muß ihm folgen, da werde ich über euch, und ihr werdet einst über mich befragt. Was werdet ihr dann antworten?“ Sie erwiederten: „Wir werden bezeugen, daß du uns die göttlichen Offenbarungen mitgetheilt, und mit vielem Eifer uns zum Guten gerathen hast. Gott vergelte es dir!“ Mohammed fuhr dann fort: „Ihr bekennet doch, daß es nur einen, Gott gibt, daß Mohammed sein Diener und sein Gesandter, daß Paradies und Hölle eine Wahrheit sind, daß der Tod und die Auferstehung nach dem Tode gewiß sind, eben so die Stunde, in welcher die den Gräbern entstiegenen Menschen vor Gericht gezogen werden.“ Als sie Alles bejahten, beschwor er sie bei diesen heiligen Dogmen, seine Familie, und besonders Ali, gegen den sich wegen seiner Verwaltung in Jemen einige Klagen erhoben hatten, stets zu lieben und zu ehren. „Wer mich liebt, sagte er, der wähle auch Ali zum Freunde. Gott stehe dem bei, der ihn beschützt, und verlasse den, der ihn anfeindet.“ Diese Worte Mohammeds, welche selbst die eifrigsten Sunniten nicht läugnen, dienten später den verschiedenen Sekten der Schiiten zum stärksten Beweis für die Rechte Ali's an das Chalifat, denn das Wort maula, das Mohammed gebrauchte, bedeutet eben so gut Herr und Gebieter, als Freund und Beschützer 511),
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511) Es ist schwer zu entscheiden, was eigentlich Mohammed damit meinte, da wir nicht genau den Zusammenhang seiner Rede kennen. Gewiß ist, daß er nicht geradezu Ali damit als seinen Nachfolger erklären wollte, sonst hätte er sich viel bestimmter ausgedrückt; es fragt sich nur, ob er es nicht wenigstens andeuten wollte, was höchst wahrscheinlich ist, wenn er diese Worte ohne besondere Veranlassung, nach der Erwähnung seines nahen Todes aussprach. Hängen sie aber, wie die Sunniten behaupten, mit einer Anklage Abu Bureida's gegen ihn zusammen, so war seine Absicht gewiß nur ihn als unschuldig zu erklären, und der Liebe aller Muselmänner zu empfehlen.
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und feiern daher noch immer den achtzehnten Dsul Hudja als einen Festtag. Ali selbst berief sich später als Chalife auf diese Worte Mohammeds, doch nicht, um damit zu beweisen, daß Abu Bekr und Omar Usurpatoren waren, sondern nur, um die Anhänger Muawia's als Feinde Mohammeds zu erklären. Mohammed setzte dann seine Reise bis Dsu Huleifa fort, wo er eine Nacht zubrachte. Am folgenden Morgen brach er nach Medina auf, und sagte, sobald er die Stadt erblickte: „Gott ist groß, es gibt nur einen einzigen Gott, er hat keinen Genossen, sein ist das Reich, ihm ziemt Lob, er ist allmächtig. Kehren wir nun in unsere Wohnungen zurück, und beten ihn an und preisen ihn! Gott hat seine Zusage erfüllt, er ist seinem Knechte beigestanden, und hat allein die Schaaren zerstreut 512).
Die Biographen Mohammeds beobachten ein vollkommenes Schweigen über die drei Monate, welche zwischen seiner Rückkehr von der letzten Wallfahrt, welche die der Vollendung, auch die des Abschieds genannt wird, und dem Ausbruch der Krankheit, an welcher er starb, verflossen; das Einzige, was sie berichten, ist, daß Mohammed wenige Tage vor seiner Krankheit einen dritten Feldzug nach Syrien anordnete, und Usama Ibn Zeid, dessen Vater bei Muta gefallen war, zum Anführer der Truppen ernannte. Dieß war gegen Ende des zweiten oder nach Andern am Anfang des dritten Monats des elften Jahres der Hidjrah 513). Bald darauf stand er in der Nacht - vielleicht schon fieberkrank - auf, weckte seinen Sklaven Abu Mauhaba 514), und sagte ihm: „Ich habe den Befehl für die, welche auf der Grabstätte Bakia-l-Gharkad ruhen,
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512) I. am Schlusse des Kapitels der Abschiedspilgerfahrt.
513) Zweite Hälfte des Monats Mai 632.
514) Da weder bei I., noch bei Gagnier, wo alle Sklaven Mohammeds aufgezählt sind (II. p. 344 - 346), dieser Beiname vorkommt, so läßt sich nicht genau bestimmen, welcher Sklave es war, von dem diese Tradition herrührt. Bei S. heißt er: „Abu Muweihabat.“
Leben Mohammeds.
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zu beten, begleite mich dahin!“ Abu Mauhaba folgte ihm nach diesem großen Begräbnißplatze Medina's. Als Mohammed mitten unter den Gräbern war, sagte er: „Friede über euch, ihr Bewohner der Gräber! Euer Zustand ist besser, als der anderer (noch lebenden) Menschen. Wüßtet ihr nur, vor was euch Gott bewahrt hat! Es nahen Stürme (politische Unruhen und Religionsstreit) heran, die wie die Theile einer finstern Nacht auf einander folgen, immer einer schlimmer, als der Andere 515).“ Er wendete sich dann zu Abu Mauhaba, und sagte ihm: „Mir ist die Wahl gelassen, ob ich noch in dieser Welt, deren Schätze mir geöffnet sind, verbleiben will, bis ich in das Paradies komme (d. h. bis zum jüngsten Tage), oder ob ich früher meinem Herrn begegnen will, und bei Gott, ich habe Letzteres gewählt.“ Er betete dann für die Beerdigten, und ging zu Aïscha, welche über Kopfschmerzen klagte. Mohammed sagte ihr: „Laß mich lieber klagen, denn ich fühle heftige Schmerzen.“ Dann fuhr er fort: „Was wäre es übrigens, wenn du vor mir sterben solltest, und ich dich in dein Todtengewand legte, und auf deinem Grabe für dich betete?“ Bei
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515) H. v. H. legt Mohammed (S. 216) folgende Worte in den Mund: „Heil euch, ihr Bewohner der Gräber! ruhig ist der Morgen, an dem ihr erwacht, in Vergleich dessen, an dem die Menschen erwachen. Wenn sie wüßten, wie euch Gott gerettet (aus den Stürmen der Welt), würden die Unruhen abgeschnitten werden, wie finstere Nacht vom hellen Tage; auf das Erste folgt das Letzte, und das Letzte ist schlimmer, als das Erste.“ Die Worte des Textes lauten bei I. und S. fol. 272: „Assalamu alaikum ja ahlu-l-makabiri lahanijjun lakum ma assbahtum fihi mimma assbaha-l-nasu fihi (lau ta‘lamuna ma nadjakum allahu) akbalat alfitanu kakit‘i-l-leili-l-muzlimi, jatbau achiruha awwalaha alachiratu ascharru min alûla.“ Die eingeklammerten Worte fehlen bei S. Ueber das Wort kit‘u (mit ain) vergleiche den Kamus, wo man findet, daß es überhaupt in Verbindung mit leilun, Dunkelheit der Nacht bedeutet, dann besonders den letzten Drittheil der Nacht und auch den Ersten, welcher je nach dem Mondstande der dunkelste ist.
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Gott!“ erwiederte Aïscha, „mir ist, als sähe ich dich dann in meine Wohnung zurückkehren, und mit einer deiner übrigen Frauen die durch meinen Tod entstandene Lücke ausfüllen.“ 516) Mohammed lächelte über diese Antwort.
Von diesem Augenblicke an verschlimmerte sich sein Uebel immer mehr 517), doch ging er noch aus, und brachte nach seiner Gewohnheit jeden Tag bei einer andern seiner Frauen zu. Als er aber in der Wohnung Meimuna's war, fühlte er sich so krank, daß er alle seine Frauen zusammenrufen ließ, und sie bat, ihm zu erlauben, nunmehr Aïscha's Haus nicht mehr zu verlassen. Mit verbundenem Kopfe, auf Ali und Fadhl Ibn Abbas gestützt, schleppte er sich dann mühsam nach Aïscha's Haus. Hier nahm sein Fieber in solchem Maaße zu, daß er, um sich einige Erleichterung zu verschaffen, sich sieben Schläuche Wasser über den Kopf gießen ließ, und zu Aïscha sagte: „Jetzt fühle ich, wie das in Cheibar genommene Gift mir die Herzader zerreißt.“ Da ihn indessen das Begießen einigermaßen erfrischt hatte, begab er sich in die, bekanntlich an seine Wohnung stoßende Moschee, und setzte sich auf die Tribüne. Seine ersten Worte waren ein Gebet für die im Treffen von Ohod Gebliebenen, dann sagte er: „Gott hat einem seiner Diener die Wahl gelassen zwischen (den Genüssen) dieser und jener
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516) So bei Abulfeda, I. und S. a. a. O. Bei Gagnier II. 276 antwortet Aïscha: „Voila justement tout ce que je ferais pour vous. Par Dieu s‘il vous arrivait de me rendre tous ces devoirs funebres, et qu‘ensuite vous revinssiez dans ma maison, aucune de vos autres femmes ne voudrait plus coucher avec vous.“
517) Abbas erkannte zuerst Mohammeds Krankheit, denn nach I. sagte er zu Ali: „Geh mit mir zum Gesandten Gottes, und fordere ihn auf, daß er etwas über seine Nachfolge bestimme, denn ich habe schon manche Söhne Abd Almuttalibs krank gesehen, und kenne die Entstellung ihres Gesichts vor ihrem Tode.“ Ali weigerte sich aber, ihm zu folgen, und erklärte, er könne sich nie dazu entschließen, eine solche Aufforderung an den Gesandten Gottes zu richten. I.
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Welt und zwischen (der Seligkeit) seiner Nähe 518), und er hat Letztere gewählt.“ Da Abu Bekr sogleich merkte, daß Mohammed sich selbst damit meinte, fing er an zu weinen, und sagte: „Wir wollen unser Leben und das unserer Kinder für dich hingeben.“ Mohammed rief ihm zu : „Mäßige dich, Abu Bekr!“ Dann soll er, zur Gemeinde sich wendend, gesagt haben: „Seht ihr alle die Thüren, welche (aus Privathäusern) in die Moschee führen, schließet sie insgesammt, mit Ausnahme der von Abu Bekrs Haus, denn ich hatte keinen vorzüglichern Gefährten als ihn, und bedürfte ich unter den Menschen eines Freundes und Glaubensbruders, so würde ich ihn wählen, bis uns Gott bei ihm vereint.“ 519) Mohammed empfahl dann
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518) So ausdrücklich bei S. fol. 274 übereinstimmend mit dem, was er auf dem Begräbnißplatze zu Abu Muweihaba gesagt. Die Worte des Textes lauten: „Inna Abdau min ibadi-l-lahi chajjarahu allahu beina-d-dunia walachirati wabeina ma indahu.“ Bei Abulfeda heißt es nur: „Gott hat einen seiner Diener wählen lassen zwischen dieser Welt und seiner Nähe,“ was aber für Mohammed keine besondere Gnade wäre.
519) Diese Worte und dieser Befehl Mohammeds finden sich bei S. a. a. O. und bei I. Ich durfte sie nicht übergehen, obschon ich weit entfernt bin ihre Wahrheit zu verbürgen, denn natürlich soll daraus der Schluß gezogen werden, daß Mohammed seinen Schmiegervater Abu Bekr zu seinem Nachfolger bestimmte, und darum ihm die Beibehaltung seiner Communieation mit der Moschee gestattete, weil er als Chalife sie häufig besuchen mußte. Die Schiiten verwerfen diese Tradition als eine lügenhafte, und setzen den Namen Ali an die Stelle Abu Bekrs. Nach einer anderen Tradition bei I. soll Mohammed gesagt haben: „Seht ihr die vielen Fenster, die auf die Moschee gehen? schließet sie alle, bis auf das Abu Bekrs.“ Einige Sunniten rechtfertigen die Tradidition, welche Ali nennt damit, daß sie behaupten, die übrigen Häuser haben einen doppelten Ausgang gehabt, Ali's Haus aber nur eine einzige Thüre, und diese ging in die Moschee, daher Mohammed für ihn eine Ausnahme gemacht. Er befahl auch, den Sunniten zufolge, sämmtliche Fenster zu vermauern, die auf die Moschee gingen, und machte nur für Abu Bekr hierin eine Ausnahme. Den Befehl, in Betreff der Thüren, hatte Mohammed schon vor der Schlacht von Ohod ertheilt; denn in jener Tradition wird Hamza erwähnt, der nicht eher gehorchte, bis Mohammed erklärte, er habe ihn nicht aus eigenem Antrieb, sondern nach einer göttlichen Eingebung ertheilt. Schon die Verschiedenheit der vielen Berichte (riwajat), welche I. anführt, muß einiges Mißtrauen einflößen.
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auch Usama, und ermahnte die Truppen, welche sich darüber aufhielten, daß ein so junger Mann zu einem so wichtigen Kriegszuge an ihre Spitze gestellt worden, zum Gehorsam gegen ihn 520). „Wer etwas gegen seine Ernennung zum Oberfeldherrn einwendet,“ sagte er, „der beleidigt damit seinen Vater, der doch gewiß ein würdiger Feldherr war.“ 521) Dann
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520) Nach dieser Ermahnung stellten sich viele Truppen unter Usama's Fahne ein, und lagerten in Djurf, einige Meilen von Medina, um dort dem Verlauf der Krankheit Mohammeds abzuwarten.
521) Sein Vater war der schon oft genannte Zeid, einer der ersten Bekenner des Islams und freigelassener Sklave Mohammeds. Nach einer Randglosse bei S. fol. 39 reiste seine Mutter Su'da, als er acht Jahre alt war, mit ihm zu ihrer Familie, welche zu den Beni Maan, einem Zweige von Tai, gehörte, und ward unterwegs von Räubern überfallen, die ihn auf dem Markte von Hajascha als Sklaven verkauften. Später kam er nach S. in die Hand Hakims Ibn Chizam, Neffe Chadidja's, welcher ihn aus Syrien mitbrachte und seiner Tante Chadidja schenkte. Mohammed fand so viel Wohlgefallen an ihm, daß er sich ihn von seiner Gattin zum Geschenke erbat, und ihm die Freiheit gab. Von Haritha Ibn Schurahbil, welcher zum Stamme Kalb gehörte, hat man noch folgende Verse, die er bei der Nachricht vom Verluste Zeids dichtete:
„Ich weine über Zeid, denn ich weiß nicht, ob er noch lebt und ich noch hoffen darf, oder ob der Tod ihn für immer von mir getrennt. Bei Gott, ich weiß gar nichts, und frage darum : hat dich ein flaches oder bergiges Land mir entrissen? Wüßte ich doch nur, daß du einst wiederkehrest, nichts weiter begehrte ich mehr von dieser Welt. Die Sonne erinnert mich an ihn, sobald sie aufsteigt, und geht sie unter, so ist er wieder meinem Herzen nahe, jeder Wind weht sein Bild zu mir her. Schon lange währt meine Trauer und mein Schmerz, nun will ich aber die ganze Erde durchwandern, bis mein Kameel der Anstrengung erliegt; ich will ihn suchen, so lange ich lebe, und überfällt mich der Tod, nun so theile ich das Loos Anderer, welche ihm auch verfallen, so sehr sie auch die Hoffnung wiegt.“
Als Haritha nach Mekka kam und Zeid wiederfand, bot er Mohammed ein Lösegeld für ihn an, Mohammed ließ Zeid die Wahl, ob er bei ihm bleiben oder mit seinem Vater heimkehren wolle, und da er Ersteres vorzog, adoptirte ihn Mohammed als seinen Sohn. So hieß er dann Zeid, der Sohn Mohammeds, bis zur Sendung der Koransverse, welche den Adoptivsöhnen verbieten, den Namen ihrer Adoptiveltern zu führen.
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fuhr er fort : „Wer von euch etwas auf dem Gewissen hat, der erhebe sich, damit ich Gottes Gnade für ihn erflehe.“ Da erhob sich ein Mann, der bisher für einen frommen Muselmann galt, und sagte: „Ich war ein Heuchler, ein Lügner und ein träger Muselmann.“ Omar schrie ihn an: „Wehe dir! warum deckst du auf, was Gott verborgen?“ Mohammed sagte aber zu diesem: „O Sohn Chattabs! es ist besser in dieser Welt zu erröthen, als in der zukünftigen. Gott! schenke ihm Aufrichtigkeit und Glauben, und entferne von ihm die Schlaffheit in Erfüllung deiner Gebote, wenn er sich in seinem Innern darnach sehnt.“ Er richtete dann, wie einst Moses, noch folgende Worte an das versammelte Volk: „Habe ich jemanden von euch geschlagen, hier ist mein Rücken, schlaget mich wieder! Habe ich jemanden an seiner Ehre gekränkt, so greife er die meinige an, habe ich jemanden Geld geraubt, so nehme er es von dem meinigen zurück, und fürchte keinen Groll von meiner Seite, denn das liegt nicht in meinem Wesen.“ Als hierauf jemand eine Forderung von drei Dinaren an ihn machte, gab er sie ihm, und sagte wieder: „Besser in dieser Welt erröthen, als in der zukünftigen.“ Den Schluß seiner Rede bildete die Ermahnung an die Ausgewanderten, fortwährend die Hülfsgenossen zu verehren. „Die Zahl der Gläubigen,“ sagte er, „wird sich vermehren, aber die der Hülfsgenossen kann nicht mehr zunehmen. Sie waren meine
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Familie, bei der ich meine Heimath wieder fand, erweiset Gutes denen, die sich gütig gegen sie zeigen, und saget euch los von denen, die sie anfeinden.“
Mohammed verließ hierauf die Moschee, von seiner Rede so sehr erschöpft, daß er bei dem Eintritt in Aïscha's Haus in Ohnmacht fiel. Abbas ließ ihm von seinen Frauen ein Heilmittel eingießen. Als er aber wieder zum Bewußtsein kam, und die Mediein sah, ward er sehr ungehalten darüber, und nöthigte alle Anwesenden auch davon zu nehmen. Als die Zeit zum Abendgebete kam, und er sich zu schwach fühlte, um vorzubeten, ließ er sich wieder mit Wasser begießen, hatte aber eine Ohnmacht darauf, und da er, selbst nachdem er wieder zum Bewußtsein gelangte , noch nicht Kraft genug hatte, in die Moschee zu gehen, befahl er, daß Abu Bekr statt seiner vorbete, Aïscha bat ihn dann mehrere Mal, lieber Omar vorbeten zu lassen, weil ihr Vater so gerührt wäre, daß er nicht laut beten könnte; aber Mohammed erwiederte ihr: „Du bist eine zweite Zuleiha 522), das heißt eine eben so große Heuchlerin als die Egyptierin, welche Joseph liebte ; denn er wußte wohl, daß es
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522) Von Zuleiha, wie Mohammed die Potifar der Bibel nennt, heißt es im Koran: „Als sie hörte, daß die Frauen der Hauptstadt sie wegen ihrer Liebe zu Joseph tadelten, ließ sie sie einladen, und während sie Früchte aßen, und jede von ihnen ein Messer in der Hand hielt, rief sie Joseph zu ihnen herein. Da geriethen die Frauen über seine Schönheit in solches Entzücken, daß sie sich in die Hand schnitten, und ausriefen: Bewahre Gott! das ist kein Mensch, das ist ein edler Engel!“ (S. Sura 12, Vers 32). Nach I. nannte sie Mohammed deßhalb eine Heuchlerin, weil sie die Frauen glauben ließ, sie wollte ihnen eine Ehre erweisen, und in der That sie nur in Versuchung zu bringen beabsichtigte. Natürlicher ist aber, daß Mohammed Aïscha mit Zuleiha verglich, weil sie Joseph liebte, und vor ihrem Gatten sich stellte, als haßte sie ihn. Aïscha selbst behauptet aber, Mohammed habe ihr Unrecht gethan, indem sie in der That nicht wünschte, daß ihr Vater während Mohammeds Krankheit vorbete, weil dieß leicht auf das Volk einen unangenehmen Eindruck machen konnte.
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ihr lieb seyn müsse, wenn ihr Vater, und kein Anderer, durch das Vorbeten gewissermaßen als sein Stellvertreter auftreten durfte 523). Da indessen das Ausbleiben Mohammeds große Bestürzung hervorbrachte, und sich schon das Gerücht von seinem Tode verbreitete, raffte er sich zusammen, und ließ sich von Ali, Fadhl und Abbas in die Moschee bringen, setzte sich abermals auf die Tribüne, und sprach: „Ich habe gehört, der Tod eures Propheten erfüllt euch mit Schrecken, aber hat je ein Prophet vor mir ewig gelebt, daß ihr glauben könntet, ich würde mich nie von euch trennen? Ich wandere jetzt zu meinem Herrn, meine letzte Bitte an euch besteht darin, daß ihr die ersten Ausgewanderten sowohl, als die Hülfsgenossen lieben und ehren möchtet, sie selbst ermahne ich aber zu gegenseitiger Eintracht.“ Er las dann folgende Koransverse: „Bei dem Schicksal! die Menschen gehen dem Verderben entgegen, nur die nicht, welche glauben, fromme Werke üben, sich gegenseitig zur Wahrheit ermahnen und zur Beharrlichkeit (im Glauben) 524). Alles, fuhr er dann fort, geschieht nach dem Willen Gottes, lasset euch nicht einfallen, etwas beschleunigen oder verschieben zu wollen, was von Gott auf eine bestimmte Zeit beschlossen; wer mächtiger seyn will als Gott, der wird von
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523) Nach einer anderen Tradition hieß Mohammed selbst Abu Bekr vorbeten. Abu Bekr verließ ihn, und bat Omar vorzubeten, dieser sagte ihm aber: „Du bist dessen würdiger, als ich.“ Ein anderer Bericht lautet: „Bilal trat vor Mohammed, und rief ihn zum Gebete.“ Er sagte: „Ich kann nicht in die Moschee gehen, rufe Omar zum Vorbeten;“ Bilal verließ weinend Mohammeds Wohnung, und das ganze Volk weinte mit ihm, als es hörte, der Gesandte Gottes könne nicht zum Gebete kommen; Omar aber, dem er im Namen des Propheten vorzubeten befahl, sagte: „Ich werde mich nie vor Abu Bekr drängen; geh und sage dem Propheten, sein Schwiegervater sey vor der Thüre.“ Als Bilal mit dieser Antwort zu Mohammed zurückkehrte, sagte dieser: „Er hat Recht, geh zu Abu Bekr, und sage, er soll vorbeten.“
524) Sura 103. Man kann auch übersetzen: Bei der Nachmittagsstunde, oder dem Nachmittagsgebete.
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ihm besiegt, und wer ihn überlisten will, wird von ihm überlistet; die Hölle flammt, die Empörung naht heran, wie der letzte Theil einer dunklen Nacht; aber bei Gott, ihr dürft mir keine Schuld geben, ich habe nur erlaubt, was der Koran erlaubt, und nur verboten, was der Koran verboten.“ Er führte dann noch, um sie in ihrem Glauben und gegenseitigem Zusammenhalten zu befestigen, folgende Koransverse an : „Wollt ihr etwa, wenn ihr euch (von meinen Lehren) abwendet, Unheil stiften auf der Erde, und euch von euern nächsten Verwandten losreißen? Diese sind es, die Gott verflucht und blind und stumm werden läßt. Denken sie nicht über den Koran nach? oder hängen Schlösser vor ihren Herzen? Wahrlich die, welche den Rücken wenden, nachdem ihnen die Leitung klar geworden, lassen sich vom Satan irre leiten, und folgen seinen Eingebungen 525). Ich gehe euch nur voran (so schloß er dann seine Rede), ihr werdet mir folgen, der Tod steht uns allen bevor, darum versuche es Niemand, ihn von mir abwenden zu wollen, mein Leben war zu eurem Heil, mein Tod wird es auch seyn.“ Dieß waren die letzten öffentlichen Worte Mohammeds. Er besuchte zwar die Moschee noch mehrere Male, blieb zuweilen an der Thüre, welche in seine Wohnung führte, stehen, und hörte stille dem Gebete zu; manchmal aber setzte er sich hinter Abu Bekr, welcher vorbetete. Eines Tages forderte er in einem Fieberanfalle Schreibmaterialien, um etwas aufzusetzen,
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525) Sura 47, Vers 22 - 25. Das Wort sawwala hat nach Djalalein und dem Kamus dieselbe Bedeutung wie zajjana, ausschmücken, das Böse als gut vorstellen, also irre führen; nicht viel schwerer ist das Wort amla, welches entweder heißt: er erhält sie lange (in ihrem Irrthum), besser aber, wie ich es übersetzt: er schreibt ihnen vor, oder dictirt ihnen, was sie thun sollen. Ueber diese Bedeutung von amla vergleiche den Kamus. Das Wort wird in diesem Sinne auch in Egypten in der Vulgärsprache häufig gebraucht. Maraccius hat letzteres Wort mißverstanden, und Dettinger sich vergebens in so viele Vermuthungen eingelassen. (Vergleiche Tübinger Zeitschrift für Theologie, J. 1837, 4. Artikel S. 13 u. 17).
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das die Gläubigen nach seinem Tode vor Irrthum bewahren sollte 526). Da aber seine Gefährten mit einander stritten 527), ob man ihm diesen im Fieber ausgesprochenen Wunsch gewähren sollte, da doch der Koran als Richtschnur genüge, bat er sie, ihn zu verlassen, und als sie wiederkamen, wollte er ungestört bleiben. Am letzten Tage seiner Krankheit, über deren Dauer, von acht bis vierzehn Tagen, die Nachrichten von einander abweichen, kam er noch in die Moschee, und sah dabei
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526) Wäre diese Tradition, schon darum, weil sie von Aïscha herrührt, nicht so verdächtig, so ließe sich mit Gewißheit daraus schließen, daß Mohammed schreiben konnte; denn wenn auch sein Wunsch dem Fieber zugeschrieben werden kann, so läßt sich doch der Streit seiner Gefährten, ob er ihm gewährt werden soll oder nicht, sonst nicht erklären. Bei S. findet man übrigens nichts von diesem Verlangen Mohammeds. Bei I. liest man: „Als Mohammed krank war, sagte er mir (zu Aïscha, welche dieß erzählte): rufe deinen Vater und deinen Bruder, ich will ihnen etwas aufschreiben, denn ich fürchte, es möchte jemand sagen: ich bin der Herrschaft würdiger, während Gott und die wahren Gläubigen Abu Bekr zu meinem Nachfolger haben wollen; nach einer andern Aussage hatte er zu Abd Arrahman Ibn Abu Bekr gesagt: bringe mir Pergament oder eine Tafel, ich will etwas für Abu Bekr schreiben, damit sich ihm niemand widersetze.“
527) Nach Ibn Kathir bei I. war Omar der Erste, welcher aus Zärtlichkeit (?) gegen Mohammed sagte: „Er ist so krank, daß wir dieß nicht zugeben dürfen, und übrigens haben wir ja den Koran, der uns vor Irrthümern bewahrt.“ Von einem Buche (wie bei Gagnier II. p. 283) ist im Texte keine Rede, denn das Wort kitab bedeutet hier gewiß nur Schrift und nicht Buch. Nach der einen Leseart forderte er ja nur eine Tafel (Iuh), auf die er doch gewiß kein Buch schreiben wollte. Es ist wahrscheinlich, wenn nicht diese ganze Tradition von Aïscha erdichtet ist, daß er wirklich seinen Nachfolger bestimmen wollte, und da Omar ihn an der Ausführung hinderte, der mehr Neigung zu Abu Bekr, als zu Ali hatte, so läßt sich kaum zweifeln, daß Letzterer zum Chalifen bestimmt werden sollte, und daß Mohammed erst an der Pforte des Grabes Muth genug hatte, sich gegen die Wünsche Aïscha's und Abu Bekrs auszusprechen.
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so gut aus, daß die Leute vor Freude darüber kaum beten konnten, und Abu Bekr, Omar, Ali und einige seiner Frauen ihn nach dem Gebete verließen, und ihren Geschäften nachgingen. Aber er hatte bald wieder einen heftigen Anfall. Ehe er sein Bewußtsein verlor, schenkte er seinen Sklaven die Freiheit, und ließ die sechs bis sieben Dinare, die er im Hause hatte, den Armen vertheilen, dann betete er: „Gott stehe mir bei im Todeskampfe!“ Aïscha sandte nach ihrem Vater, eben so Hasßa, aber noch ehe sie kamen, hatte er in den Armen der Erstern seinen Geist ausgehaucht. Seine letzten Worte waren: „Zu dem höchsten Gefährten im Paradiese.“ 528) Es ist schwer den Tag zu bestimmen, an welchem Mohammed verschied; die meisten seiner Biographen nennen als solchen Montag, den zwölften Rabia-l-Awwal ; da aber der zwölfte Rabia-l-Awwal des elften Jahres der Hidjrah, dem siebenten Juni 529) sechshundert zweiunddreißig entspricht, welcher ein Sonntag war, so läßt sich nicht entscheiden, ob sie sich im Tage der Woche oder des Monats geirrt. Letzteres ist indessen wahrscheinlicher, da in einem gleichzeitigen Gedichte Montag als sein Todestag genannt wird 530).
Die Nachricht von Mohammeds Tod, dem Manche des Morgens noch zu seiner Genesung Glück gewünscht, brachte die größte Bestürzung unter den Muselmännern hervor. Omar
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528) Diese Worte werden von den Muselmännern so gedeutet, daß ihm noch einmal die Wahl gelassen ward, zwischen längerem Leben und dem Paradiese, und er sich für Letzteres aussprach.
529) Nicht dem sechsten, wie bei H. v. H. S. 218, denn rechnet man den ersten Tag der Hidjrah vom 16. Juli 622, wie dieß ja auch H. v. H. S. 186, und in der Vorrede S. 13 thut, so war der erste Muharram des elften Jahres am 29. März 632. (Vergl. Art de vérifier les dates. p. II. T. 1, S. 150, nach der Ausg. von Paris 1818). Vom ersten Muharram bis zum zwölften Rabia-l-Awwal incl. sind 71 Tage, gerade wie vom 29. März bis zum 7. Juni incl.
530) In einem Trauergedichte Hasan Ibn Thabits, bei S. auf der vorletzten Seite.
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wollte gar nicht daran glauben. Er sagte: „Einige Heuchler behaupten, der Gesandte Gottes sey gestorben, aber bei Gott! er ist nicht todt. Er ist zu seinem Herrn gegangen, wie Musa, der Sohn Imrans, der auch vierzig Nächte verschwunden war, und dann wieder zu seinem Volke zurückkehrte, das ihn todt geglaubt. Bei Gott! er wird auch wiederkehren, und denen, welche an seinen Tod geglaubt, Hände und Füße abschneiden.“ Inzwischen kam aber Abu Bekr von Sundj zurück, wo er seiner Familie einen Besuch abgestattet hatte. Er begab sich in das Gemach seiner Tochter, wo Mohammed lag, hob das Tuch weg, mit welchem er zugedeckt war, küßte ihn, und sagte : „Bei Gott, du hast den Tod gekostet, den Gott über dich verhängt; nun lebst du in aller Ewigkeit fort.“ Er bedeckte ihn
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531) Diese Worte Abu Bekrs widerlegen besser noch als der gesunde Menschenverstand folgende, wenigstens als Legende mittheilungswerthe Stelle bei I. und Gagnier, ll. p. 289: „Am dritten Tage vor Mohammeds Tod kam der Engel Gabriel zu ihm, und sagte ihm: Ich bin beauftragt dir eine besondere Ehre zu erweisen, dich zu besuchen und im Namen des Allwissenden zu fragen, wie du dich befindest. Mohammed antwortete: Ich bin, wie du siehst, betrübt und niedergeschlagen. Am folgenden Tage kehrte er wieder, und richtete dieselbe Frage an Mohammed, die er auf gleiche Weise beantwortete. Am dritten Tage brachte er den Todesengel mit, ließ ihn aber vor der Thüre stehen, und sagte zu Mohammed: Der Todesengel bittet um die Erlaubniß, sich dir zu nähern, du bist der erste Sterbliche, bei dem er sich vorher melden läßt, und wirst auch der Letzte seyn, mit dem er solche Umstände macht. Als Mohammed seine Erlaubniß ertheilte, trat der Todesengel ins Zimmer, grüßte ihn, und sagte: Mohammed! Gott sendet mich zu dir; befiehlst du mir deine Seele zu nehmen, so nehme ich sie, wo nicht, so lasse ich dir sie. Wirst du das thun? fragte Mohammed. Ja wohl, antwortete der Todesengel, so ist mir befohlen. Mohammed blickte dann nach dem Engel Gabriel, und dieser sagte: O Mohammed! Gott sehnt sich nach dir. Nun, so geschehe Gottes Wille! versetzte Mohammed. Da sagte Gabriel: Jetzt habe ich die Erde zum letzten Mal betreten, und verschwand im Augenblick, als der Todesengel Mohammeds Seele gen Himmel trug.“
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dann wieder, und mischte sich unter das Volk, welches Omar zu überzeugen suchte, daß Mohammed nicht gestorben. Er versuchte es zuerst Omar zum Schweigen zu bringen, da dieser aber ihm kein Gehör schenkte, wendete er sich zu dem Volke, und sprach: „O ihr Leute! wer von euch Mohammed diente, wisse, daß Mohammed todt ist; wer aber seinem Gotte diente, der fahre in seinem Dienste fort, denn Mohammeds Gott lebt noch und stirbt nie.“ Er las ihnen dann folgenden Koransvers vor: „Mohammed ist nur ein Gesandter, manche Gesandten sind schon vor ihm verschieden, wollt ihr, wenn er eines natürlichen Todes gestorben oder erschlagen worden ist, euch auf euren Fersen umkehren? Wer dieß thut (seinem Glauben abtrünnig wird), der kann Gott keinen Schaden zufügen, aber Gott belohnt die Dankbaren.“ 532) Abu Hureira, von dem diese Tradition herrührt, erzählt hierauf, daß es den Leuten war, als hätten sie nie von diesem Verse etwas gehört 533), doch nahmen sie ihn von Abu Bekr an, und er lief von Mund zu Mund. Omar 534) selbst ward, als er diesen Vers hörte,
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532) Sura III. Vers 144.
533) Diese für die Kritik des Korans höchst wichtige, und so viel ich glaube, bisher noch von keinem Europäer gekannte Nachricht, auf die wir später zurückkommen werden, findet sich bei I. und bei S. fol. 277. Nach den muselmännischen Commentatoren erschien dieser Koransvers nach dem Treffen von Ohod, wo man Mohammed eine Zeit lang für todt hielt, und die Heuchler dieß be nützten, um die Gläubigen aufzufordern, zu ihrer frühern Religion zurückzukehren.
534) Daß Omar selbst an Mohammeds Tod nicht glaubte, ist schwer anzunehmen; da doch außer dem von Abu Bekr angeführten Koransverse noch manche andere dafür sprechen, und Mohammed in der Moschee wenige Tage vorher sein nahes Ende vorausgesagt. Entweder Omar war bei der plötzlichen Nachricht von Mohammeds Tod ganz außer sich, oder er wollte aus politischen Gründen ihn noch einige Zeit verheimlichen.
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so sehr ergriffen, daß er zu Boden fiel, und erkannte, daß Mohammed wirklich gestorben.
Mohammeds Leiche mußte, gegen die orientalischen Sitten, zwei, nach einigen sogar drei Tage unbeerdigt liegen bleiben, weil seine nächsten Gefährten nur an das von ihm hinterlassene Reich, oder an sich selbst dachten. Die Hülfsgenossen hatten sich im Hause 535) der Beni Saida versammelt, und unter einander verabredet, ihren Häuptling Saad Ibn Ibada zum Nachfolger Mohammeds zu wählen, aber Abu Bekr und Omar eilten auch dahin, und Ersterer ward endlich nach langen Debatten 536), die bald zu Tätlichkeiten geführt hätten, als Kureischite,
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535) Nicht unter dem Dache, wie bei H. v. H. S. 240. Es heißt bei I. und S. fol. 277 fi Sakifatin, nicht tahta Sakfin, ersteres bedeutet nach dem Kamus dasselbe, wie Soffat, also Bank und erhöhter Theil einer Wohnung, der gewöhnlich mit Teppichen belegt ist, und auch als Schlafzimmer gebraucht wird.
536) Obschon das Nähere darüber eigentlich in das Leben Abu Bekrs und Omars gehört, will ich doch, da jede Partei sich auf Worte, oder Lehren Mohammeds stützte, den ganzen Hergang der Chalifenwahl nach I. mittheilen, der eine Tradition anführt, in welcher Omar selbst erzählt: „Ich war mit Abu Bekr in der Wohnung des Gesandten Gottes, als mir jemand von außen zurief: komme heraus, Sohn Chattabs! ich antwortete: laß mich! ich bin hier beschäftigt. Er versetzte aber: die Hülfsgenossen haben sich im Hause Saads versammelt, gehe hin, ehe sie einen Beschluß fassen, der zum Bürgerkriege führt. Ich machte mich mit Abu Bekr auf, um nach der Wohnung Saads zu gehen, da begegneten uns zwei fromme Ausiten, welche uns fragten, wo wir hin wollten, und als wir es ihnen sagten, warnten sie uns vor den dort versammelten Hülfsgenossen, und riethen uns lieber wegzubleiben. Wir ließen uns aber nicht abhalten, und gingen in Saads Haus, wo viele Hülfsgenossen um ihn versammelt waren, er selbst war aber ganz vermummt, und als ich nach der Ursache fragte, sagte man mir, er sey krank. Nach einer Pause begann ein Redner der Hülfsgenossen ihre Vorzüge zu schildern, und sagte unter Anderem: Wir sind die Hülfsgenossen Gottes, und die Schaar des Islams, und ihr, Gemeinde der Ausgewanderten! bildet einen Zweig von uns. Nun stürmt ihr aber über uns her, und wollt uns ganz entwurzeln, das muß unser Mißfallen erregen. Als er schwieg, wollte ich ihm antworten, und hatte mir schon eine schöne Rede ausgedacht, Abu Bekr hieß mich aber schweigen, und ich ließ ihm gern das Wort, weil er gelehrter und auch ruhiger war als ich. In der That ließ er kein Wort zurück, das mir auf der Zunge schwebte, und setzte alle Gründe noch besser auseinander, als ich es vermocht hätte. Das Gute, das ihr an euch rühmet, sagte er, ist wahr, doch wissen die Araber nur von Kureischiten, wo es sich um die Herrschaft handelt; unser Geschlecht ist das edelste, und unsere Heimath die geheiligte. Wir Ausgewanderte waren die ersten Gläubigen; wir gehören zum Geschlechte des Propheten Gottes; unter uns sind seine Blutsverwandten. Warst du nicht zugegen, o Saad! wie der Gesandte Gottes sagte: die Herrschaft geziemt den Kureischiten? Hat nicht Gott (im Koran) gesagt: O ihr Gläubigen, fürchtet Gott und haltet es mit den Aufrichtigen! Euch Hülfsgenossen redete er aber in andern Stellen als Gläubige an, während er uns „die Aufrichtigen“ nannte. Füget euch daher, ihr Glaubensbrüder, in den Beschluß Gottes und seines Propheten. Er faßte dann meine Hand und die Ubeida's Ibn Djarah, und fuhr fort: Was mich betrifft, so lasse ich euch die Wahl, welchen von diesen beiden Männern ihr die Herrschaft übertragen wollt. Wir sagten aber beide zu Abu Bekr: Du bist würdiger als wir, und ich hätte mir lieber den Kopf abschlagen lassen, als über ein Volk zu gebieten, zu dem Abu Bekr gehörte. Jetzt erhob sich Hubab Ibn Mundsir, und sagte: Ich bin die Stange, an der sich das schabige Kameel reibt, und der Dattelbaum, der so viele Früchte trägt, daß man ihn unterstützen muß (d. h. ich bin ein Mann von Einsicht und Erfahrung, und weiß dem Uebel abzuhelfen). Wir Hülfsgenossen wählen einen Emir, und ihr Kureischiten auch Einen. Mehrere andere Redner sprachen dann auch in diesem Sinne, und sagten: Hat doch auch der Prophet (über den Heil) bei jeder wichtigen Unternehmung einem Ausgewanderten einen Hülfsgenossen beigesellt, darum lasset uns zwei Männer wählen, welche die Herrschaft über uns theilen mögen. Dieser Ansicht widersprach Zeid Ibn Thabit, indem er sagte: War nicht der Gesandte Gottes ein Ausgewanderter und wir seine Hülfsgenossen? so lasset uns jetzt auch Abu Bekr als seinem Nachfolger huldigen und unsern Beistand zusagen. Gemeinde der Hülfsgenossen! rief jetzt Hubab wieder, hört Zeid nicht an! sonst hört ihr auf einen Rang unter den Arabern einzunehmen; es wird dann noch so weit kommen, daß die Kureischiten euch aus eurem eigenen Lande verbannen. Baschir Ibn Saad, ein Vetter Saads Ibn, Ibada versetzte hierauf: O Gemeinde der Hülfsgenossen! bedenket, daß wir aus reiner Liebe zu Gott und seinem Propheten, die Ersten waren, welche seinen Glauben annahmen und gegen die Heiden kämpften; warum sollen wir jetzt wegen irdischer Vortheile mit den Kureischiten hadern, die der Herrschaft würdiger sind als wir, und ihnen ein Recht streitig machen, das ihnen Gott verliehen? Als Hubab sich zum dritten Male erhob, und Baschir Vorwürfe machte, daß er sich gegen seinen eigenen Vetter erklärte, sagte ich (Omar): Gemeinde der Hülfsgenossen! wisset ihr denn nicht, daß der Gesandte Gottes noch bei seinem Leben Abu Bekr befahl, euch vorzubeten? wer wagt es wohl, sich an seine Stelle drängen zu wollen? Da riefen einige Leute unter ihnen: Bewahre uns Gott, daß wir uns über Abu Bekr erheben! Andere beharrten aber in ihrer Widersetzlichkeit, und es entstand ein so großer Lärmen, daß ich Thätlichkeiten befürchtete. Ich rief daher: Zwei Schwerter können nicht in einer Scheide ruhen, Abu Bekr reiche mir deine Hand! er reichte mir sie, und ich huldigte ihm. Meinem Beispiele folgten zuerst Zeid Ibn Thabit, Baschir Ibn Saad und Useid Ibn Hudheir, dann alle Ausgewanderten und zuletzt auch noch die Hülfsgenossen, mit Ausnahme des Saad Ibn Ibada, welcher die Versammlung verließ, und später nach Syrien auswanderte, wo er bis zu seinem Tode blieb. Als man sich nach ihm umsah, und ihn nicht mehr fand, sagte einer der Anwesenden: Habt ihr Saad erschlagen? Omar antwortete: Gott tödte ihn! denn er wollte Unruhe stiften. Nach einer anderen Tradition blieb Saad in der Versammlung, weigerte sich aber hartnäckig, Abu Bekr zu huldigen. Omar fiel über ihn her und wollte ihn mit Füßen treten, aber Keis, der Sohn Saads, faßte Omar am Barte, und sagte: Bei Gott! wenn du ihm ein Haar krümmst, so kommst du nicht ohne Wunden von der Stelle. Saad selbst sagte : Hätte ich die Kraft aufzustehen, so würde ich dich an einen Ort senden, wo du gehorchen müßtest und keinen Gehorsam mehr fordern würdest (ins Grab). Bei Gott, ich huldige nicht, bis ich den letzten Pfeil meines Köchers gegen euch geschleudert, bis ich die Spitze meiner Lanze mit eurem Blute gefärbt, und mein Arm zu schwach wird, um das Schwert gegen euch zu führen. Abu Bekr rief dann Omar zu sich, und hielt ihn von weiteren Gewaltthätigkeiten zurück.“
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als ältester Gefährte Mohammeds, als Begleiter auf seiner Flucht, und als Stellvertreter noch bei seinem Leben,
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von allen Anwesenden zum Chalifen erwählt. Am folgenden Morgen redete Omar das Volk in der Moschee folgenderweise
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an: „Ich habe euch gestern etwas gesagt, das nicht ist, und das ich nicht im Buche Gottes gefunden, und das mir der Gesandte Gottes nicht mündlich anvertraut. Ich erinnere mich aber jetzt, daß der Gesandte Gottes einst sagte: Gott läßt sein Buch unter euch, welches euch als Leitung dienen wird, wenn ihr daran festhaltet.“ Veranlassung meines Irrthums war der Koransvers: „Wir haben euch zu einem gerechten Volke bestimmt, damit ihr Zeugniß ableget über das ganze Menschengeschlecht, während der Gesandte Gottes über euch Zeugniß ablegen wird.“ 537) Diesem Verse zufolge glaubte ich, der Gesandte Gottes (über den Heil!) müsse, so lange sein Volk besteht, unter ihm bleiben, um einst Zeugniß abzulegen. Gott wird euch zum Heile führen, wenn ihr den Gefährten des Gesandten Gottes, der bei ihm in der Höhle war, zum Oberhaupte nehmet. Drum erhebet euch und huldiget ihm! Als die Huldigung vorüber war, erhob sich Abu Bekr und sprach: „O ihr Leute! ihr habt mich zu eurem Oberhaupte gewählt, obschon ich nicht der Vorzüglichste unter euch. Handle ich recht, so versaget mir eure Mitwirkung nicht, begehe ich ein Unrecht, so leistet mir Widerstand! Wahrheit ist die erste Grundlage des Glaubens, Lüge führt zu Verrath. Ich werde den Schwächsten unter euch als den Mächtigsten ansehen, bis ich ihm sein Recht verschafft, den Mächtigsten unter euch aber für schwach halten, wenn er vom Unrecht abgehalten werden soll.
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537) Sura II. Vers 144.
Leben Mohammeds.
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So Gott will, werdet ihr fortfahren für ihn zu kämpfen, und wer von uns abfällt, den wird Gott demüthigen; auch wird Niemand irgend eine häßliche Sünde begehen, denn Gott wird ihn dafür bestrafen. Gehorchet mir so lange ich Gott und seinem Gesandten gehorche. Handle ich aber gegen Gottes und seines Gesandten Gebote, so kündet mir den Gehorsam auf. Jetzt erhebet euch zum Gebete! Gott erbarme sich eurer!“
Während aber Abu Bekr, Omar und viele andere Gefährten Mohammeds sich mit Regierungsangelegenheiten beschäftigten, begab sich Ali, welcher an allen diesen Verhandlungen keinen Antheil genommen hatte, mit Abbas, dessen beiden Söhnen und Schukran, dem Sklaven des Gesandten Gottes, in Aïscha's Wohnung, um Mohammed zu waschen 538) und in das Leichengewand zu hüllen. Erst als alles dieß geschehen war, kamen auch jene herbei, und bald erhob sich wieder ein Streit über den Ort, wo Mohammed beerdigt werden sollte. Die Einen wollten ihn nach Mekka bringen, die Andern auf dem Begräbnißplatze Medina's bestatten, einige behaupteten sogar, er müsse in Jerusalem bei den andern Propheten begraben werden. Als unter andern auch die Moschee zu Medina vorgeschlagen wurde, sagte Aïscha: „Mohammed hat in seiner Krankheit ausgerufen: Gott verderbe Diejenigen, welche seine Tempel zum Grabe ihrer Propheten bestimmen!“ Abu Bekr erklärte dann von Mohammed gehört zu haben: „Ein
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538) Man stritt lange darüber, ob man Mohammed waschen sollte oder nicht, da vernahm man eine Stimme von außen, welche rief: „Waschet den Gesandten Gottes nicht, denn er ist rein!“ Abbas sagte aber: „Sollen wir wegen einer unbekannten Stimme von einem alten Herkommen abweichen?“ Dann rief wieder eine andere Stimme: „Waschet ihn! aber ziehet ihm sein Hemd nicht aus. Die erste Stimme war die des Iblis, ich bin aber der Prophet Alhidhr.“ So wusch man ihn dann, ohne ihn zu entkleiden. I. Die unbekannte Stimme war wahrscheinlich die einer seiner Frauen, welche den Glauben an das Siegel des Prophetenthums erhalten oder vielleicht irgend ein anderes Gebrechen an Mohammeds Körper verbergen wollte.
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Prophet müsse an der Stelle, wo er gestorben, beerdigt werden.“ Man grub daher sein Grab an der Stelle, wo sein Krankenlager war. Abu Bekr und Omar verrichteten dann folgendes Gebet: „Wir bezeugen, o Gott, daß der Gesandte Gottes (über den Heil und Friede) das, was ihm geoffenbart worden, seinem Volke mitgetheilt, und daß er auf dem Pfade Gottes gekämpft, bis Gott seine Religion verherrlicht und seine Verheißung erfüllt hat. O Gott! laß auch uns zu denjenigen gehören, die das Wort befolgen, welches geoffenbart worden, vereinige uns mit ihm, damit du ihn durch uns und uns durch ihn kennest; er war ein Gläubiger, er war mild und barmherzig, wir werden seinen Glauben um keinen Preis gegen einen andern vertauschen.“ Nach diesem Gebete, welches noch einige andere wiederholten, ward Mohammed in der Nacht vom fünfzehnten Rabia-l-Awwal 539) in Aïscha's Wohnung ins Grab gesenkt, das indessen seit der Vergrößerung der Moschee durch den Chalifen Walid, sich doch innerhalb derselben befindet, und von sehr vielen Pilgern nicht weniger als die Kaaba zu Mekka besucht wird, obgleich Mohammed eine solche Verehrung nicht gefordert.
Neuntes Hauptstück.
Mohammeds Aeußeres und Privatleben. Sammlung des Korans. Eintheilung und Ordnung. Widerrufene und zurückgenommene Theile. Verschiedene Schreibart des Korans. Mohammeds Charakter und Fähigkeiten. Ursachen des schnellen Wachsthums des Islams. Mohammeds Verdienste um sein Vaterland.
Nachdem wir die wichtigsten Lebensereignisse, Lehren und Gesetze Mohammeds dargestellt, bleibt uns, ehe wir zur Beurtheilung
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539) In der Nacht vom 9. auf den 10. Juni. Nach I. und S. fol. 280, welche Dienstag Nacht (leilat alarbaa) nennen, auch bei Abulfeda ed. N. S. 112.
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seines Charakters, als Prophet und Gesetzgeber übergehen, nach dem Beispiele seiner muselmännischen Biographen, noch Einiges über sein Aeußeres sowohl, als über sein Privatleben und seine häuslichen und geselligen Tugenden vorauszuschicken übrig.
Mohammed war von mittlerer Statur 540), er hatte einen großen Kopf, einen starken Bart, ein rundes Gesicht mit röthlichen Wangen. Seine Stirne war hoch, sein Mund weitgespalten, seine Nase lang, mit einer kleinen Erhöhung in der Mitte. Er hatte große, schwarze Augen, Eine Ader zog sich von der Stirne über seine Augbrauen herab, die anschwoll, so oft er in Zorn gerieth. Seine Zähne waren blendend weiß, und standen ein wenig auseinander. Auf seiner unteren Lippe hatte er ein kleines Maal. Seine Haare hingen bis zu seinen Schultern herab, und behielten ihre dunkle Farbe bis zu seinem Tode; doch färbte er sie zuweilen braun, feuchtete sie sehr
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540) Verbürgen möchte ich die Wahrheit dieser Schilderung nicht, denn mitten unter dem hier angeführten, findet sich so viel wunderbares bei den Arabern, daß man alles Zutrauen verlieren, und glauben muß, daß sie ihrem Propheten eben so gerne alle äußern, wie alle innern Vorzüge zuzuschreiben sich bemühten. So beginnt z. B. I. und Ch. dieses Kapitel mit den Worten: „Mohammed war der schönste Mann an Gesicht und Gestalt.“ Ueber manche seiner Züge lauten die Nachrichten nicht gleich. Näch der Beschreibung seiner Augen, heißt es bei Ch.: „Er sah von hinten eben so gut wie von vornen. Einige Gelehrten behaupten: Er hatte zwischen den Schultern zwei Augen, so klein wie ein Nadelloch, mit denen er durch die Kleider durchsah. Sein Speichel konnte Seewasser versüßen. Seine Schweißtropfen sahen wie Perlen aus, und wurden als Aroma gebraucht.“ Auf die Schilderung seines leichten Ganges folgt: Doch erweichte sich der harteste Felsen unter seinen Füßen. Sein Körper warf nie einen Schatten, weder bei Sonnen- noch bei Mondschein; keine Fliege und kein Ungeziefer nahte sich seinem Körper, noch seinen Kleidern. Obschon er von mittlerer Größe war, so ragte er doch über den größten Mann hervor, der neben ihm ging u. dgl. mehr.
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häufig mit wohlriechendem Oele an, und nur bei seiner letzten Pilgerfahrt ließ er sie ganz abscheeren; seinen Schnurrbart stutzte er aber jeden Freitag vor dem Gebete, eben so die Haare unter dem Arme, und die Nägel an den Fingern. Das schönste an ihm war sein Hals, der sich wie eine Silberstange über seiner breiten Brust erhob. Zwischen seinen Schultern hatte er ein Maal, über dessen Aussehen die Berichte von einander abweichen, und das von den Muselmännern als das Siegel des Prophetenthums angesehen wird 541). Ein Arzt wollte es ihm einst vertreiben, aber er sagte: „Derjenige, der mich so geschaffen, soll mich auch heilen.“ Seine Hände und Füße waren sehr groß, doch hatte er einen so leichten Gang, daß sein Fuß keine Spuren im Sande zurückließ.
Mohammed sprach nicht sehr viel, doch erlaubte er sich zuweilen einen kleinen, unschuldigen Scherz. Einer Frau, die ihn einst ersuchte, ihr ein Kameel zu leihen, sagte er: „Ich will dir das Junge eines Kameelweibchens leihen,“ sie erwiederte darauf: „Es wird mich nicht tragen können.“ Da sagten die Anwesenden: „Ist nicht jedes Kameel das Junge eines Kameelweibchens?“ Eine andere Frau kam einst zu ihm, und sagte ihm: „Mein Mann ist krank und läßt dich bitten,
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541) Hier nur einige Meinungen darüber aus Ch. Es war wie ein Taubenei, wie ein Siegel, wie ein Geschwür, wie eine Haselnuß, wie ein Apfel, eine grüne Vertiefung, ein brauner, haariger Flecken, ein hervorstehendes Stück Fleisch, ein weißer Flecken, in dessen Mitte geschrieben stand: «Gott ist einzig ohne Genossen.“ Ein gelbes Maal, ein schwarzes mit drei Haaren, eine fleischige Kugel mit der Inschrift: „Mohammed ist der Gesandte Gottes;“ einige kleine Warzen, ein lichtstrahlender Punkt, eine Erhöhung wie ein kleines Zelt, eine Röthe wie vom Schröpfen u. a. m. Dann folgen die verschiedenen Meinungen über die Stelle, wo dieses Maal war, über die Zeit seines Entstehens, so wie über die seines Verschwindens.
542) Dieser Scherz nimmt sich im Arabischen besser aus, wo das Wort „walad“ Junges, aber auch zugleich Sohn bedeutet, so daß es auf jedes Kameel paßt.
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ihn zu besuchen.“ Er fragte sie : „Hat nicht dein Mann etwas Weißes in seinem Auge?“ Sie kehrte wieder nach Hause zurück und öffnete ihrem Mann das Auge. Er fragte sie, was sie wolle? Sie antwortete: „Ich muß sehen, ob du etwas Weißes im Auge hast, denn der Gesandte Gottes hat mich darnach gefragt.“ Da sagte ihr Gatte: „Ist nicht ein Theil des Auges bei allen Menschen weiß?“
Eine andere Frau beschwor ihn einst, er möchte doch für sie beten, daß sie ins Paradies komme. Er sagte ihr: „Es darf kein altes Weib ins Paradies.“ Als sie aber deßhalb zu weinen anfing, erinnerte er sie an den Koransvers 543), in welchem gesagt ist: „Daß Gott die Frauen im Paradiese wieder zu Jungfrauen umgestaltet.“
Mohammed war gegen Thiere 544) sehr mitleidsvoll; wenn sein Pferd schwitzte, trocknete er ihm häufig den Schweiß mit
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543) Sura 56, Vers 38. Schon Lane und Andere haben mit Recht bemerkt, daß man fälschlich in Europa glaubt, nach den mohammedanischen Dogmen haben die Frauen keine Seele und bleiben aus dem Paradiese ausgeschlossen. Sura 33, Vers 27 und 28 liest man: „O Prophet! sage deinen Gattinnen: verlanget ihr nach dem Leben dieser Welt und ihrem Schmuck, so kommt herbei, ich will euch das, was euch bei der Scheidung gebührt, geben und in Güte entlassen; ziehet ihr aber Gott und seinen Gesandten und jene Welt vor, so hat Gott für die Bessern unter euch einen großen Lohn bestimmt.“ Man glaube aber nicht etwa, Mohammeds Gattinnen machen eine Ausnahme hierin, denn gleich im 34. Verse derselben Sura ist von den frommen, gläubigen Männern und Frauen im Allgemeinen die Rede, und da heißt es auch: „Gott vergibt ihnen, und hat ihnen einen großen Lohn bestimmt.“
544) Es heißt in den Quellen selbst gegen Thiere, und niemand hatte ein weicheres Herz als er. Daß er aber nicht immer gegen Menschen weich war, wo die Politik oder das Gedeihen seines Glaubens Härte erforderte, davon haben wir Beweise genug in seinem Leben gehabt. Ich erinnere nur an die verschiedenen Mordsendungen, von denen manche gegen Familienväter gerichtet waren, und an die Hinrichtung der Beni Kureiza.
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seinem Aermel ab. Seiner Katze hob er selbst die Schüssel hin, wenn sie hungrig oder durstig war, und ein weißer Hahn hüpfte frei in seiner Wohnung herum, den er seinen Freund nannte und als Schutzmittel gegen Teufel, Djinn, Zauber, böses Auge und dergleichen Uebel betrachtete. Gegen seine Gefährten benahm er sich stets mit vielem Anstand, und gegen seine Bedienung voller Schonung und Nachsicht. Einer seiner Diener, welcher achtzehn Jahre bei ihm war, erzählt, er sey nie von ihm gezankt und eben so oft von ihm bedient worden, als er ihn bedient hatte. Was er selbst verrichten konnte, ließ er selten von andern thun; so sah man ihn oft seine Lebensmittel vom Markte heimtragen und sie selbst zubereiten, seine Sandalen reinigen, seine Kleider flicken, sein Zimmer auskehren und seine Ziege melken. Auch band er auf der Reise selbst sein Reitthier an, und duldete nicht, daß es einer seiner Reisegefährten that, und aß stets aus einer Schüssel mit seinem Bedienten. So oft ihn Jemand bei seinem Namen rief, drehte er sich mit dem ganzen Körper, nicht mit dem Halse allein um, und antwortete: „Was beliebt?“ (labeika) oder eigentlich „hier bin ich zu deinem Dienste.“ Er lehnte sich nie beim Essen an, und streckte seine Füße nicht in die Länge, sondern hatte sie stets über einander liegen. Sein Tisch war sehr einfach, er begnügte sich immer mit einer einzigen Speise, sehr häufig sogar mit trockenem Brod. Bilal sah einst den ganzen Tag kein Feuer in seinem Hause, und als er fragte, was er und seine Frauen gegessen, sagte man ihm : Nichts als Datteln. Fatima kam einst mit einem Stückchen Brod zu ihm, und gab es ihm; da schwur Aïscha, es sey der erste Bissen seit drei Tagen. Einst schickte ihm Abu Bekr einen Braten zum Nachtessen, da hatte er kein Licht im Hause und mußte ihn im Dunklen verzehren. Außer von seinen nächsten Verwandten nahm er, seitdem ihm ein vergiftetes Lamm gereicht worden, nie mehr geschenkte Speisen an, bis derjenige, der sie ihm brachte, zuerst davon genossen. Er aß zuweilen Wasser- und andere Melonen mit frischen Datteln, und sagte:
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„Die Kälte des einen wird die des andern unschädlich machen.“ Er nahm oft von unbedeutenden Zufällen gute oder schlimme Vorbedeutung. Ward er von etwas Angenehmem überrascht, so sagte er: „Gepriesen sey Gott, der Herr alles Geschaffenen!“ Traf ihn ein Unglück, so war sein Ausruf: „Gepriesen sey der Herr in jedem Zustande!“ Sprach er von einer zukünftigen Begebenheit, so setzte er immer hinzu (das wird geschehen) so Gott will 545). Führte jemand in seiner Umgebung einen häßlichen Namen, so änderte er ihn. So nannte er einen Tempeldiener, welcher sich zum Islam bekehrte und Adi Ibn Zalim (der Gehässige, Sohn des Uebelthäters) hieß, Raschid Ibn Abd Rabbihhi (der Gerechte, Sohn des Dieners seines Herrn). Daß er das schöne Geschlecht leidenschaftlich liebte, haben wir zur Genüge gesehen, nicht minder ergeben war er nach seinen eigenen Worten aromatischen Genüssen, doch soll ihm das Beten am meisten Freude gewährt haben. Er war mit ungeheurer körperlicher Kraft begabt, und soll als Jüngling es mit den stärksten Mekkanern im Ringen aufgenommen haben. Seinen muselmännischen Biographen zufolge, welche Europäer ohne weitere Prüfung nachgeschrieben, war seine physische Kraft mit der größten Tapferkeit gepaart, aber es fehlt ihnen nicht nur an allen Beweisen für diese Behauptung, sondern sein Benehmen in den verschiedenen Feldzügen sowohl, als in den ersten Jahren seines Prophetenthums, und noch in den letzten seines Lebens, wo er schon sehr mächtig war, nöthigen uns, ihn, trotz seiner Beharrlichkeit und Ausdauer, doch sehr zaghaft zu nennen. Erst nach der Bekehrung Omars und Hamza's wagte er es mit den Bekennern seines Glaubens als Muselmann öffentlich in der Moschee aufzutreten. Er nahm schon im Treffen bei Bedr nicht nur keinen Antheil am Gefechte, sondern hielt sich in einiger Entfernung vom Kampfplatze, und hatte einige Dromedare vor seinem Zelte in Bereitschaft, um im Unglücksfalle
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545) Dieß schrieb er auch im 25. Verse der 18. Sura allen Muselmännern vor, mit den Worten: „Saget nie von etwas: ich thue es morgen, ohne (hinzuzusetzen): so Gott will.“
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die Flucht ergreifen zu können. Wo er eine bedeutende Uebermacht sah, rieth er vom Kampfe ab, wie wir dieß bei Ohod, bei der Belagerung von Medina und bei Hudeibia gesehen. Auf der Heimkehr vom Feldzuge gegen die Beni Mußtalik ließ er, statt Abd Allah, welcher den Aufruhr predigte, zu bestrafen, aus Furcht vor ihm und seiner Partei, den Marsch beschleunigen, und dieselbe Unentschlossenheit zeigte er in seinem Verfahren gegen die Verräther auf der Rückkehr von Tabuk.
Mohammeds Stimmung, so drücken sich die Muselmänner aus, war immer in Einklang mit den Koransversen, die er empfing; hatte er erfreuliche Offenbarungen, so war er heiter, waren sie aber düsterer Art, so war auch er im Umgang unleidlich. Daß aber seine Stimmung sehr häufig mit äußern Verhältnissen zusammenhing, und ihrerseits auf seine vermeinte oder angebliche Offenbarung Einfluß hatte, wird wohl der Nicht-Muselmann für gewiß annehmen dürfen. Um jeden Gedanken von Anbetung zu entfernen, verbat er sich jede Auszeichnung von seinen Gefährten; sie durften nicht einmal vor ihm aufstehen, wenn er in ein Gemach trat, wo sie versammelt waren; er sagte häufig: „Ich bin ein Diener Gottes wie ihr, ich esse wie ihr, trinke wie ihr, und setze mich wie, jeder andere Mensch.“
Er ritt auf Pferde, Maulesel, Esel und Kameele und hatte gewöhnlich, wahrscheinlich um bei einem epileptischen Anfalle nicht hülflos zu seyn, eine seiner Frauen oder einen Diener, oder sonst eine ihm ergebene Person hinter sich.
Mohammed scheint sehr reizbar gewesen zu seyn, doch wußte er seinen Zorn zu bemeistern, oder einen im Zorn begangenen
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546) Bei I. und Andern sinden sich ganze Kapitel über die Zahl, die Namen, die Eigenschaften und die Geschichte seiner Pferde, Maulesel, Esel und Kameele; wer sich dafür besonders interessirt, findet das Nöthige bei Gagnier II. p. 350 - 355. Sein Kameel Kaßwa scheint besonders gut dressirt gewesen zu seyn, so daß es auf den leisesten Wink, besonders wenn er epileptische Anfälle hatte, gleich niederkniete.
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Fehler wieder gut zu machen. Auf dem Zuge nach Honein trat ihm ein Beduine im Gedränge auf den Fuß, worauf ihm Mohammed einen Streich mit seinem Stock versetzte. Aber am folgenden Tage ließ er ihn aufsuchen, und schenkte ihm ein Kameel. Wenn er zürnte, ward sein Gesicht ganz roth, aber er wendete es gewöhnlich von den Anwesenden ab. War er sehr betrübt, so fuhr er mit der Hand über das Gesicht herunter, stieß einen tiefen Seufzer aus, und sagte: „Gott genügt mir, auf ihn vertraue ich.“ Er trug gewöhnlich Sandalen, doch ging er auch zuweilen barfuß umher. Er besuchte niemals das Bad 547), sondern wusch sich immer zu Hause. Er hatte beständig, selbst noch im Todeskampfe, einen Zahnstocher in der Hand. Seine Kleidung war sehr einfach, ein baumwollenes Hemd, ein Unterkleid von arabischer Leinwand, und ein gelb gefärbtes Oberkleid, das er jedoch nur an Feiertagen anzog. Auf dem Haupte trug er gewöhnlich nur eine wollene Mütze, die er zuweilen mit einem weißen oder schwarzen Tuche umwand. An Beinkleider gewöhnte er sich erst in seinen spätern Jahren. Auf seinen Kriegszügen trug er gewöhnlich, was gewiß auch nicht für seine Unerschrockenheit zeugt, ein doppeltes Panzerhemd und einen Helm mit Visir, welches sein ganzes Gesicht bedeckte, und nur seine Augen offen ließ, wie wir dieß bei dem Treffen von Ohod gesehen 548). Er schlief gewöhnlich auf Strohdecken, über die ein Tuch ausgebreitet war, und hatte ein ledernes, mit Palmenfasern
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547) Wahrscheinlich auch, um die Illusionen über das sogenannte „Siegel des Prophetenthums“ nicht zu zerstören. Vergl. Anm. 537. Indessen gab es noch im 16. Jahrhundert ein Bad, das den Namen „Bad des Propheten“ führte. I.
548) Die Stellen bei S. (fol. 156 u. 158), wo es heißt, daß er nur an den Augen erkannt wurde, und daß man ihm zwei Ringe des Visirs aus den Wangen ziehen mußte, beweisen aufs klarste, was Fresnel in seinem ersten Briefe (p. 33) schon vermuthet, daß das mighfar - denn das wird ausdrücklich bei S. genannt - auch über das Gesicht herunterging.
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gefülltes Kissen. Eine fromme Medinenserin, welche einst dieses ärmliche Bett sah, schenkte Aïscha eine mit Wolle gefüllte Matraze, Mohammed nöthigte sie aber, sie wieder zurückzugeben. Bei seiner letzten Wallfahrt hatte er einen Sattel auf seinem Kameele, der kaum vier Drachmen Werth war, obschon er, wie schon erwähnt, dreiundsechzig Opferthiere mit sich führte. Wenn er ein neues Kleid anzog, sagte er: „Sey gepriesen, o Herr! der du mich kleidest; laß mir alles Gute zu Theil werden, das damit verbunden ist, und bewahre mich vor jedem Uebel, das es nach sich zieht.“ Er sah häufig in den Spiegel, wenn er Toilette machte, und zuweilen, in Ermanglung desselben, spiegelte er sich im Wasser, und sagte: „Gott sieht es nicht gerne, wenn die Menschen sich in Unordnung vor ihren Brüdern zeigen.“ Er führte aber gewöhnlich auf seinen Reisen ein Spiegelchen, einen Kamm, eine Scheere, wohlriechendes Oel und Augenschminke mit sich.
Ueber Alles wird Mohammeds Wohlthätigkeit und Freigebigkeit gepriesen. Er verschenkte häufig, was er besaß, und behielt für sich kaum so viel übrig, als zu einer einzigen Mahlzeit nothwendig war. Er nahm sich stets der Armen und Wittwen, der Sklaven und Sklavinnen an, besuchte jeden Kranken, wenn er am entferntesten Ende Medina's wohnte, und folgte jedem Leichenzuge. Er war sehr zugänglich, schenkte Jedermann ein aufmerksames Ohr, und unterbrach Niemanden in seiner Rede; auch reichte er Jedermann die Hand und zog sie nie zuerst zurück, und grüßte seine Bekannten immer zuerst, wenn er ihnen auf der Straße begegnete, oder wenn sie ihn besuchten. Nach den muselmännischen Berichten, die aber, wie wir schon bei ihrer Hervorhebung von Mohammeds Tapferkeit und Mitleidsgefühl gesehen, ihn gerne als Muster aller löblichen Eigenschaften aufstellen möchten, war auch Niemand so aufrichtig und wahrheitsliebend als er. Um aber Mohammeds Charakter von dieser Seite gehörig beleuchten zu können, ist es nothwendig, vorher sein Werk, den Koran nämlich, in dem
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er sich am Deutlichsten ausspricht, und von dem wir bisher nur einzelne, mit bestimmten Umständen seines Lebens zusammenhängende Theile berücksichtigt haben, als Ganzes näher ins Auge zu fassen.
Wenn wir indessen den Koran Mohammeds Werk nannten, so sind wir doch weit entfernt zu glauben, daß er ihn gerade so hinterlassen, wie er vor uns liegt. Bekanntlich ward er, selbst nach muselmännischer Tradition, erst unter dem Chalifate Abu Bekrs, nach dem Kriege mit dem falschen Propheten Museilama, gesammelt. Als nämlich im letzten Treffen besonders viele Koransleser, die ihn am Besten im Gedächtnisse hatten, erschlagen wurden, sagte Omar zu Abu Bekr: „Ich fürchte diese Gelehrten möchten am Ende alle aussterben, und rathe daher, daß man den Koran sammle.“ Abu Bekr ließ Zeid Ibn Thabit, einen der Secretäre Mohammeds, rufen, und beauftragte ihn damit. Dieser suchte dann, nachdem er zuerst einige Bedenklichkeiten über ein Unternehmen erhoben, das der Prophet selbst nie angeordnet 549), alle Koransfragmente
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549) Warum Mohammed selbst dieß nicht gethan, darüber sprechen sich die Mohammedaner nicht aus. Mir scheint, daß er ihn darum nicht gern ganz dem Volke übergab, weil er dadurch gewissermaßen die Macht aus den Händen gegeben hätte, und es ihm nicht so leicht gewesen wäre, je nach Umständen, neue Gesetze vorzuschreiben, und die frühern als nichtig zu erklären. Daß einzelne Theile des Korans aufgeschrieben wurden, geht nicht nur aus dieser Tradition hervor, sondern schon aus dem Namen „Kitab“ (die Schrift), welcher eben so häufig als der Name Koran vorkommt, dessen eigentliche Bedeutung (Lesen, oder das zu Lesende) übrigens auch auf etwas Geschriebenes hindeutet. Ferner haben wir bei der Bekehrung Omars gesehen, daß Bruchstücke des Korans damals schon aufgeschrieben waren; auch haben wir erzählt, daß Mohammed bei der Eroberung von Mekka unter Andern auch Abd Allah Ibn Saad von der allgemeinen Amnestie ausnahm, weil er die Revelationen, die er ihm dictirte, verfälschte. Aber sowohl Omars Aengstlichkeit, als die Art, wie er gesammelt worden, beweisen, daß die Abschriften höchst selten waren, daß ihn niemand vollständig besaß, und daß Mohammed, angenommen auch er habe alle seine angeblichen Offenbarungen niederschreiben lassen, dieselben entweder später wieder zernichtete, oder ein Fragment Diesem, ein anderes Jenem schenkte, weil doch der bei weitem größere Theil des Korans nur einen temporären Werth hatte.
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zusammen, die sich in verschiedenen Händen befanden, und theils auf Pergament, theils auf Leder, theils sogar auf Palmblättern, auf Knochen und Steinen geschrieben waren; er nahm auch Leute zu Hülfe, die ihn auswendig wußten, und ordnete ihn so, wie er ihn vor Mohammed zu lesen pflegte 550). Schon unter Othman hatten sich indessen so verschiedene Lesearten verbreitet, daß er durch denselben Zeid abermals mehrere Abschriften der ältesten Urkunden machen ließ, welche sich darin von der Ersten unterschieden, daß sie gar keine Varianten enthielten, indem er ihm ausdrücklich befahl, bei zweifelhaften Fällen nur den kureischitischen Dialekt anzunehmen 551). Diese
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550) S. mém. de l‘acad. des inscriptions, T. L. S. 330 u. ff. Alcoran ed. Maraccius p. 38 u. ff., und Ch. aus Buchari in der Einleitung zu seiner Biographie.
551) Die Muselmänner behaupten, der Koran sey, in Bezug auf die äußere Darstellung, in sieben verschiedenen Dialekten geoffenbart worden. Unter Abu Bekr hatte Zeid in seiner Abschrift, wo seine Urkunden im Ausdruck von einander abwichen, alle angegeben, unter Othman aber die befolgt, welche mit der Sprache Mekka's am meisten übereinstimmte. Diese Meinung mochte Mohammed selbst verbreitet haben, um bei angeblichen Offenbarungen, die nicht gleich niedergeschrieben, und auf verschiedene Weise wiederholt wurden, nicht in Verlegenheit zu kommen. So erzählt Omar: „Einst hörte ich, wie Hischam Ibn Hakim die 25. Sura anders las, als ich sie selbst von Mohammed gelernt; ich führte ihn daher zu Mohammed, und klagte ihn deßhalb an. Mohammed befahl ihm die Sura nochmals zu lesen. Hischam las sie auf dieselbe Weise, wie ich sie von ihm gehört, und Mohammed sagte, als er damit zu Ende war: So ist sie geoffenbart worden. Er befahl dann auch mir sie zu lesen, und als ich sie gelesen hatte, sagte er: So ist sie vom Himmel gesandt worden, denn der Koran ist nach sieben Lesearten geoffenbart worden, wählet daraus, welche ihr wollt!“ Mém de l‘acad. a. a. O. S. 334.
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Abschriften sandte Othman in die verschiedenen Hauptstädte des Reichs, und ließ alle Uebrigen verbrennen. Die noch jetzt fortdauernden Streitigkeiten über verschiedene Lesearten betreffen nur Vokale oder unter einander ähnliche Buchstaben, die blos durch Striche und durch Punkte näher bezeichnet werden.
Diese Art der Zusammensetzung des Korans, welche von den ältesten Traditionen verbürgt wird, und um so weniger in Zweifel gezogen werden kann, als die Schreibkunst nicht lange vor Mohammed in Mekka einheimisch geworden, und daher die armen Muselmänner, besonders in der ersten Zeit, noch sehr großen Mangel an Schreibmaterialien hatten, wäre schon genügend, um dem unbefangenen Kritiker gegen dieAuthenticität des ganzen Korans einige Zweifel einzuflößen. Wie leicht konnte nicht der schlaue Abu Bekr, wenn auch nicht mit Zeid selbst, doch mit einem der vielen andern Secretäre 552) Mohammeds im Einverständnisse gestanden seyn, und nach Belieben Materialien zum Koran geliefert haben? Und wird diese Vermuthung nicht fast zur Gewißheit durch die, nach dem ältesten muselmännischen Biographen schon angeführte Rede Abu Bekrs, nach Mohammeds Tode, in welcher er, um Mohammeds Tod zu beweisen, einen Koransvers vorlas, von dem kein Mensch, selbst Omar, etwas wußte? Noch auffallender ist, daß wir, außer dem von ihm angeführten Verse, jetzt noch
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552) Abulfeda zählt derer neun, bei I. hingegen heißt es: „Mohammed hatte nach der Meinung der zuverläßigsten Gelehrten sechsundzwanzig, nach Einigen sogar zweiundvierzig Secretäre. Er nennt dann außer den neun bei Abulfeda angeführten, noch: Abu Bekr, Omar, Amir Ibn Fuheira, Abd Allah Ibn Alarkam, Thabit Ibn Keis (Vater des genannten Zeid), Muawias Sohn Jezid, Mughira Ibn Schu'ba, Zubeir Ibn Awwam, Amru Ibn Aaß, Abd Allah Ibn Rawaha, Muhammad Ibn Salama und Abd Allah Ibn Abd Allah Ibn Ubejj.“
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drei andere Stellen finden, in welchen es heißt: „Jede Seele muß den Tod verkosten.“ Eine derselben bezieht sich sogar ganz bestimmt auf Mohammed, denn Gott sagt zu ihm: „Wir haben keinem Menschen vor dir Unsterblichkeit verliehen, bist doch selbst du sterblich, werden sie (die im Rang dir nachstehen) wohl unsterblich seyn? Jede Seele muß den Tod verkosten. Wir bringen euch durch Gutes und Schlimmes in Versuchung, dann werdet ihr zu uns zurückgebracht.“ 553)
Wenn wir aber auf der einen Seite spätere Zusätze für möglich, ja sogar wahrscheinlich hatten, so ist auf der andern kaum zu zweifeln, daß auch manche der zerstreuten und so schlecht verwahrten Koransfragmente verloren gingen. Zeid, der den Koran auswendig wußte, behauptet zwar, nach der angeführten Tradition, Alles wieder gefunden zu haben, bis auf den vorletzten Vers der neunten Sura, den ihm zuletzt auch noch Chuzeima Ibn Thabit brachte. Aber abgesehen davon, daß man schon darum gegen eine solche Tradition mißtrauisch seyn muß, weil sie leicht zur Erhaltung der Autorität des Korans erdichtet werden konnte, so widerspricht sie geradezu einer andern, auf Thatsachen sich gründenden, welche selbst die orthodoxesten Muselmänner als wahr anerkennen 554). Sie
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553) Sura 21, Vers 35 u. 36. Die beiden andern Stellen befinden sich Sura 3, Vers 186 und Sura 29, Vers 57. Erstere lautet: „Jede Seele muß den Tod verkosten. Am Tage der Auferstehung werdet ihr aber für eure Werke belohnt. Heil dem, der dann von der Hölle entfernt und ins Paradies geführt wird. Das Leben dieser Welt ist nur trügerisches Gut.“ Letztere lautet: „Jede Seele muß den Tod verkosten, nachher werdet ihr aber wieder zu mir zurückgebracht.“ Das Merkwürdigste ist noch, daß Djalalein zu den im Texte erwähnten Versen ausdrücklich bemerkt: „Diese Verse erschienen, als die Ungläubigen sagten: wir glauben nicht an Mohammed, denn er ist ja sterblich.“
554) Ch. in der Einleitung. Maraccius p. 42. S. fol. 277. Bei letzterem sagt Omar noch: „Bei Gott, wir haben diesen Vers auswendig gelernt, der Gesandte Gottes selbst hat Ehebrecher gesteinigt, und wir thaten dasselbe nach ihm, bei vier Zeugen, bei Selbstgeständniß oder bei Schwangerschaft (in Abwesenheit des Gatten). Ich fürchte mit der Zeit möchte jemand sagen: Im Buche Gottes ist nirgends vom Steinigen bei Ehebruch die Rede, und so möchte ein göttliches Gebot verloren gehen.“ H. v. H. , welcher S. 199 erzählt, Maas habe sich des Ehebruchs angelagt, und „Mohammed konnte nicht anders, als die vom Koran ausgesprochene Strafe der Steinigung an ihm vollziehen lassen,“ könnte nicht nur mich, sondern Omar der Unwissenheit anklagen, wenn er die Stelle des Korans angeben wollte. In dem von Omar angeführten verlorenen Verse heißt es: „As-scheich was-scheichah idsa zania.“ Man kann natürlich den beiden ersten Worten nicht die Bedeutung „alt“ geben, ich dachte zuerst an die Bedeutung „Oberhaupt.“ Maraccius übersetzt auch so: „Vir illustris“ dann fand ich aber im türkischen Kamus für Scheich das Wort Gatte (chatunun zewdjineh itlak olunur), und zweifle daher nicht, daß Scheichah Gattin heißt.
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lautet : „Omar Ibn Chattab sagte einst auf der Kanzel : fürchtete ich nicht, die Leute möchten sagen, Omar hat Zusätze zum Koran gemacht, so würde ich die beiden folgenden Verse hinzugeschrieben haben; denn bei Gott, ich habe sie zur Zeit des Gesandten Gottes gelesen: Wendet euch nicht von euern Vätern ab, denn das ist Undankbarkeit. Ein Ehegatte, oder eine Ehegattin, welche einen Ehebruch begehen, sollen gesteinigt werden; das ist die von Gott über sie verhängte Strafe. Gott ist erhaben und allweise.“
Wenn wir aber auch die Meinung derjenigen nicht theilen, welchen „der Koran eben so sicher für Mohammeds Wort, als den Moslimen für das Gottes gilt,“ 555) so glauben wir doch auch nicht an bedeutende Veränderungen, Zusätze oder Auslassungen, weil zur Zeit, als er gesammelt ward, ihn noch viele fanatische Muselmänner im Gedächtnisse hatten. Schon die vielen Blößen, die wir daran wahrnehmen, namentlich die unzähligen Wiederholungen und Widersprüche, die er enthält, sprechen für eine nur allzu große Aengstlichkeit und Gewissenhaftigkeit bei der Herausgabe desselben. Mohammed mochte
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555) H. v. H. S. 219.
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nämlich irgend ein Gebot, ein Verbot, eine Lehre oder auch ein Mährchen bei verschiedenen Veranlassungen bald mit denselben, bald mit andern Worten wiederholt haben, der Eine mochte es so, und der Andere anders aufgezeichnet oder auswendig gelernt haben. Zeid, statt das Beste und Ausführlichste zu wählen, nahm aber Alles auf, obschon sich selbst vom muselmännischen Standpunkte aus nicht denken läßt, daß eine und dieselbe Offenbarung zu wiederholten Malen vom Himmel gesandt wurde 556). So entstanden denn die fast unausstehlichen
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556) Nach der Erklärung einiger Commentatoren machte sich indessen Mohammed ein Verdienst daraus, oder wie sie das auffassen, hebt Gott besonders am Koran hervor, daß darin manches, um desto sicherer und leichter Eingang zu finden, wiederholt wird. So erklären nämlich einige nach dem Kamus das Wort mathani, welches im 23. Verse der 39. Sura vorkommt, doch ist diese Be» deutung des Wortes nicht so wahrscheinlich, wie die andere, ebenfalls im Kamus gegebene und von Djalalein aufgenommene, daß nämlich viele Offenbarungen oder Verse je paarweise oder in Gegensätzen erschienen, ein Vers der Drohung (waïd), dann einer der Verheißung (wa‘d), einer der Gnade, dann wieder einer der strafenden Gerechtigkeit u. dgl. Maraccius' Uebersetzung des Wortes mathani durch „iterata contineus“ läßt sich daher wohl nach dem Kamus rechtfertigen, wenn er aber in der Anmerkung (S. 606) hinzusetzt: „Hoc autem nomine vocatur Alcoranus, ut ait Gelal, quia (thunia fihi-l-wa‘du walwaïdu waghairuhuma) repetuntur saepe in eo, promissa et minae, et alia quae in eo continentur,“ so zeigt er, daß er Djalalein nicht richtig verstanden, wie man sich aus dem Kamus überzeugen kann, wo beide Ansichten als verschiedene nach einander angeführt werden. Die Meinung Geigers (S. 59), daß Mohammed den ganzen Koran nach dem hebräischen xxxxxx mathani nannte, kann ich schon darum nicht theilen, weil der Plural schon darauf hindeutet, daß dieses Wort auf mehrere Offenbarungen oder Verse sich bezieht, nicht aber auf die ganze Schrift. Der 87. Vers der 15. Sura, welcher lautet: „Wir gaben dir sieben von den mathani und den erhabenen Koran,“ und wo nach den meisten Commentatoren von den sieben Versen der ersten Sura die Rede ist, spricht zwar für die erste Bedeutung weil entweder nach muselmännischer Tradition diese Sura zwei Mal geoffenbart wurde (wonach aber dieser Vers in eine medinensische Sura zu setzen wäre, denn sie soll ja einmal in Mekka und einmal in Medina erschienen seyn), oder weil sie beim Gebete häufig wiederholt wird. Indessen paßt auch die zweite Bedeutung auf diese Sura, denn sie enthält auch solche Gegensätze. So heißt Gott zuerst „der Barmherzige,“ dann „der Herr des Gerichtstages.“ Dann: „Er führe uns auf den Pfad derjenigen, denen er gut ist, nicht derjenigen, denen er zürnt.“
Leben Mohammeds.
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Wiederholungen, welche jeden ungläubigen Leser selbst vom Urtexte abschrecken müssen. So wird z. B. die Geschichte der alten Propheten von Abraham bis Christus bald mit mehr, bald mit weniger Mährchen ausgeschmückt, fast in jeder größern Sura von Neuem aufgetischt; nicht minder häufig die Schöpfungsgeschichte, besonders die des Menschen, mit der darauf folgenden Weigerung des Iblis (Teufels) sich vor ihm zu verbeugen. Die Verheißungen des Paradieses und die Drohungen mit der Hölle nebst den ausführlicheren Schilderungen derselben nehmen wenigstens den sechsten Theil des Korans ein. In den spätern zu Medina geoffenbarten Suren kehrt besonders der Aufruf zum heiligen Kriege fast auf jeder Seite wieder. Das Verbot mit Ungläubigen ein Bündniß zu schließen, oder ein freundschaftliches Verhältnis) anzuknüpfen, wird in denselben acht Mal wiederholt 557).
Was die Widersprüche oder Widerrufungen betrifft, deren
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557) Außer den schon angeführten Versen (vergl. Anmerk. 327), noch Sura III. Vers 28, IV. 88, 138 und 143, V. 59 und 66 und IX. 24. In den beiden Versen der 5. Sura werden auch Juden und Christen ausdrücklich genannt, in der 9. wird jedes freundschaftliche Verhältniß mit ungläubigen Eltern und Geschwistern sogar für sündhaft erklärt, in der dritten hingegen wird es gestattet, Ungläubige zu Freunden zu nehmen, wenn man sie zu fürchten hat. Wozu aber Djalalein bemerkt: „Doch nur mit der Zunge, nicht mit dem Herzen, und dieß war vor der Verherrlichung des Islams, bleibt aber noch in Kraft für denjenigen Muselmann, der in einem Lande sich aufhält, wo der Islam keine Macht hat.“
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Aufnahme ebenfalls für eine gewissenhafte Redaktion zeugt, so enthält der Koran, selbst nach der Meinung muselmännischer Ausleger, welche, um manche zu beseitigen, Mohammeds Worten häufig einen Sinn beilegen, den sie nicht haben, nicht weniger als zweihundert und fünfundzwanzig Verse, welche Dogmen oder Gesetze enthalten, die durch andere, später erschienene widerrufen wurden. Wir haben schon früher einige Beispiele erwähnt, und gesehen, daß diese Abrogationen sich aus den veränderten Umständen erklären lassen. So gebot Mobammed zuerst beim Gebete Jerusalem als Kibla anzunehmen, und setzte dann, als er seine Hoffnung mehr auf die heidnischen Araber, als auf die Juden und Christen baute, Mekka an dessen Stelle. Das in der ersten Zeit in Medina festgesetzte Erbrecht unter den Ausgewanderten und Hülfsgenossen, zum Nachtheile der Blutsverwandten ward später wieder aufgehoben, als jene schon in Medina acclimatisirt waren, und einiges Vermögen erworben hatten. An die Stelle der frühern Zweifel Mohammeds an seiner eigenen Unschuld und Seligkeit, tritt das bestimmteste Bewußtseyn von Gottes Gnade. Ein gläubiger Muselmann genügt in manchen Fällen statt der früher geforderten zwei Zeugen. Dem Tadel, welcher ihn wegen der Wandelbarkeit seiner Offenbarungen trifft, begegnet er dadurch, daß er sagt: „Wir widerrufen keinen Vers, ohne einen besseren dafür zu geben.“ 558) Alle frühern Verse, welche Toleranz gegen die
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558) Sura II. Vers 106. Auch Sura XVI. Vers 101 und 102 heißt es: „Wenn wir einen Vers durch einen andern ersetzen - und Gott weiß am Besten, was er herabsendet - so sagen sie (die Ungläubigen) du erdichtest sie, aber die meisten unter ihnen sind unwissend. Sage ihnen! der heilige Geist bringt ihn (den Koran) herab von deinem Herrn in Wahrheit, um die Gläubigen (in ihrem Glauben) zu befestigen, und als Leitung und Verheißung den Muselmännern.“ Merkwürdig ist hierauf der 81. Vers der 4. Sura, welcher lautet: „Denken sie denn nicht über den Koran nach? Wäre er nicht von Gott, so würden sie doch viele Widersprüche darin finden.“
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Juden und Christen, und Geduld bei den Verfolgungen der Heiden predigten, wurden nach und nach, je nach dem Zunehmen seiner Macht durch Aufruf zum heiligen Kriege widerrufen. Diese Veränderungen erstrecken sich sogar auf den Zustand der Nicht-Mohammedaner in jenem Leben. So müssen wir leider folgenden, von manchem Europäer als Muster der Toleranz gepriesenen Vers, als nicht geoffenbart ansehen:
„Diejenigen, welche glauben, Juden, Christen und Sabäer, wer an Gott glaubt und den jüngsten Tag und gute Werke übt, der hat nichts zu fürchten und wird nicht betrübt“ 559) weil er mit den drei folgenden, wahrscheinlich später erschienenen, in Widerspruch steht. Der eine lautet:
„Für die Ungläubigen, welche nicht an Gott und an seinen Gesandten glauben, haben wir die Hölle bereitet.“ 560)
Der andere:
„Die Ungläubigen, die unsere Verse für eine Lüge halten, werden die Gefährten der Hölle, sie bleiben ewig darin. Welch eine schlechte Einkehr!“ 561)
Der dritte und entscheidendste endlich:
„Wer einer andern Religion als dem Islam anhängt, der findet durch sie keine Aufnahme (bei Gott), und der gehört in jener Welt zu den Untergehenden.“ 562)
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559) Sura 5, Vers 78. Ebenso Sura II. Vers 61, wo es nach den Worten „wer gute Werke übt,“ noch heißt: „Der findet seinen Lohn bei dem Herrn u. s. w.“
560) Sura 48, Vers 13.
561) Sura 64, Vers 11.
562) Sura 3, Vers 84. Dieser Vers kann dem orthodoxesten Dogma von der allein selig machenden Kirche zur Seite gestellt werden, während die beiden ersten sich allenfalls noch auf Götzendiener beziehen lassen. Auch der 5. Vers der 98. Sura s. S. 368 kann hier nicht als Beweis von Intoleranz angeführt werden, weil hier unter den Ungläubigen und Schriftbesitzern diejenigen verstanden seyn können, die nicht an den einzigen Gott glauben. Auffallend ist, daß einer der toleranten, widerrufenen Verse gerade in der 5. Sura sich befindet, welche die zuletzt erschienene seyn, und die Mohammed bei der letzten Pilgerfahrt vorgelesen haben soll. Vergl. Maraccius refutat. in Sura II. p. 33 u. ff.
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Am merkwürdigsten unter den sich widersprechenden Koransversen sind die drei folgenden, auf Mohammed selbst sich beziehenden:
„O Prophet! wir erlauben dir deine Gattinnen, denen du ihre Morgengabe gewährt, so wie was deine Rechte erworben, unter denen die dir Gott als Beute geschenkt, und die Töchter deiner Oheime von väterlicher und von mütterlicher Seite, die mit dir ausgewandert sind 563), und jede gläubige Frau, die sich dem Propheten hingibt 564), und die er heirathen will (auch ohne Morgengabe), (diese Freiheit gilt) ausschließlich für dich, und nicht für die übrigen Gläubigen. Wir wissen, was wir ihnen vorgeschrieben haben in Bezug auf ihre Frauen und Sklavinnen (wir machen eine Ausnahme für dich), damit du auf keine Weise beschränkt seyest. Gott ist gnädig und
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563) Als Veranlassung zu dieser Beschränkung erzählt I. nach dem Tirmedsi, daß Mohammed Um Hani, Ali's Schwester, heirathen wollte, sie aber seinen Antrag nicht annahm, und sich deßhalb bei ihm entschuldigte. Mohammed entschuldigte sie, und als bald darauf dieser Vers erschien, sagte sie: „Da ich Mekka nie verlassen habe, so freue ich mich nicht Mohammeds Gattin gewor- den zu seyn, denn er müßte sich jetzt doch von mir scheiden lassen.“ Nach einer anderen Tradition wollte Mohammed sie schon heirathen, als dieser Vers erschien, und ihm diese Ehe verbot. Letzteres ist wahrscheinlicher, nur glauben wir Nicht-Mohammedaner, daß entweder Mohammed es bereute, um sie geworben zu haben, oder daß er es nur aus Rücksicht für Ali gethan, und sich dann durch die Klausel „die mit dir ausgewandert“ von der Vollziehung der Ehe dispensirte.
564) Die Traditionen sind nicht übereinstimmend, welche von Mohammeds Frauen sich ihm ohne Morgengabe hingab; Einige nennen Zeinab bint Chuzeima, Andere Ghuzejjah, wieder Andere Chaula bint Hakim, welche, als Mohammed sie verschmähte, Othman Ibn Mazun heirathete. Einige zählen zu diesen drei Frauen auch noch Meimuna. Ch.
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barmherzig. Du kannst zurücksetzen 565), welche von ihnen du willst, und zu dir nehmen, welche du willst, auch nach Gefallen eine Verstoßene wieder aufnehmen, und begehst kein Unrecht. Dieß ist das beste Mittel, um ihre Augen zu erfreuen; so werden sie sich nie betrüben und stets zufrieden seyn mit dem, was du ihnen gewährest. Gott kennt euer Herz, er ist weise und mild. Es ist dir nicht erlaubt, noch mehr Frauen zu nehmen, oder statt der deinigen Andere zu heirathen, wenn sie dir auch noch so gut gefallen, nur Sklavinnen sind dir nicht versagt. Gott beobachtet Alles.“ 566)
Der unbefangene Leser dieser Verse wird diesen Widerspruch auch dadurch lösen, daß Mohammed in seinen noch leidenschaftlicheren Jahren, als ihm die den übrigen Gläubigen vorgeschriebenen Beschränkungen der Vielweiberei lästig waren, die beiden ersten Verse bekannt machte, und kurz vor seinem Tode, als er fühlte, daß ihm für sein übriges Leben die Zahl seiner Frauen genügen würde 567), und vielleicht bei irgend
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565) Als dieser Vers erschien, heißt es bei Ch., sagte ihm Aïscha: „O Gesandter Gottes! wie ich sehe, ist dein Herr deiner Liebe sehr günstig.“ Mohammed machte nach I. und Ch. von dieser Freiheit Gebrauch, indem er Sauda, Djuweiria, Safia, Meimuna und Um Habiba häufig vernachläßigte, und die übrigen vier Gattinnen bevorzugte.
566) Sura 33, Vers 47-49.
567) Mohammed hinterließ bekanntlich bei seinem Tode neun Gattinnen, nämlich Sauda, Aïscha, Hafßa, Um-Salama, Zeinab bint Djahsch, Djuweiria (oder Barra), Um-Habiba, Safia und Meimuna. Vor ihm starben Chadidja und Zeinab bint Chuzeima. Außer diesen Frauen, die wir, weil über ihre Heirath Uebereinstimmung unter den Biographen herrscht, im Leben Mohammeds erwähnt haben, werden in einigen Traditionen noch Andere genannt, von denen er sich entweder bald nach der Verehelichung, oder noch vor Vollzug der Ehe wieder scheiden ließ. Bei S. (fol. 273) werden nur noch zwei erwähnt, mit denen er die Ehe nicht vollzog, die Eine, weil sie aussätzig war, und die Andere, weil sie, als er sie umarmen wollte, ausrief: „Ich nehme meine Zuflucht zu Gott vor dir.“ Sie war nämlich erst vor Kurzem zum Islam übergegangen, so daß die Berührung Mohammeds ihr Schaudern erregte. Mohammed sagte darauf: „Wer sich zu Gott flüchtet, findet Schutz,“ und sandte sie ihrer Familie zurück.“ (Darnach ist Gagnier (II. 333) zu berichtigen, wo man liest: „Le prophète l‘épousa; mais elle rentra de nouveau dans l‘infidelité at l‘idolatrie: c‘est pourquoi comme elle était sur le point d‘entrer chez le prophète, il la détesta en disaut: Dieu qui me préserve de tous maux, m‘en enpêche. Et ainsi il la renvoya.“) Ihr Name war nach Einigen Asma bint Nu‘man alkindijjah, nach Andern Amra bint Jazid alkilabijjah. Abulfeda zählt im Ganzen fünfzehn Frauen, worunter vier, mit denen er die Ehe nicht vollzog. Bei I. heißt es: Mohammed warb um dreißig Frauen, bei sieben kam kein Ehevertrag zu Stande, und von den übrigen dreiundzwanzig ward die Ehe nur bei zwölf vollzogen (er rechnet nämlich Rihana auch zu den Gattinnen, nicht zu den Sklavinnen. Vergl. Anmerk. 253). I. nennt unter den übrigen Frauen Mohammeds eine Schwester seines uns wohlbekannten Freundes Dihja, welche vor Freude bald nach der Verlobung starb; er erzählt dann auch die Geschichte der Amra, und setzt hinzu: Einige behaupten, sie war so ausgezeichnet schön, daß Mohammeds Frauen aus Eifersucht ihr sagten: Wenn du von Mohammed geliebt sein willst, so mußt du ihm lange Widerstand leisten, und Gott zum Beistand anrufen, weil sie wohl wußten, daß er davon kein Freund war. Er nennt endlich auch Kuteila bint Keis, aus Hadramaut, welche ihr Bruder Aschath ihm zuführen wollte; aber Mohammed war schon todt, als sie in Medina anlangten. Sie heirathete dann einen Sohn Abu Djahls. Als Abu Bekr dieß erfuhr, wollte er wegen des Verbots: Mohammeds Frauen auch nach seinem Tode zu heirathen, ihr Haus über sie verbrennen lassen, aber Omar sagte ihm: „Sie gehört nicht zu den Müttern der Gläubigen (so heißen Mohammeds Frauen), denn der Gesandte Gottes hat ihr ja noch nicht beigewohnt,“ Auch Ch. zählt noch zwölf Frauen, mit denen Mohammed schon einen Ehevertrag geschlossen, die er aber aus verschiedenen Gründen wieder entließ; darunter auch Ghuzejja, welche Gagnier (II 329) als die zwölfte wirkliche Frau zwischen Aïscha und Hafßa nennt. Er bemerkt aber dazu, daß die Traditionen nicht einig sind darüber, ob Mohammed mit ihr die Ehe vollzogen. Außer diesen Frauen, und den auch als solche geltenden uns schon bekannten beiden Sklavinnen Maria und Rihana, von denen die Erstere ihn überlebte, die Zweite aber kurz vor ihm starb, werden noch bei I. und Ch. zwei andere erwähnt, eine in einem Kriege erbeutete, und eine, welche ihm seine Gattin Zeinab bint Djahsch schenkte.
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einer Veranlassung seinen Gattinnen eine Garantie gegen neue Nebenbuhlerinnen geben wollte, den letzten Vers veröffentlichte.
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Die Muselmänner, welche aber natürlich eine solche Deutung verwerfen müssen, um so mehr, da sich auch eine Tradition vorfindet, nach welcher Mohammed noch als Verlobter starb, behaupten im Gegentheile, das Verbot sey zuerst erschienen, und dann die unbeschränkte Erlaubniß, welche die beiden ersten Verse enthalten, denn, sagen sie, in unserem Koran folgen die Verse nicht der Zeit nach auf einander, so wie sie erschienen sind.
Diese, wenn auch nicht aus der angeführten, doch aus vielen andern Stellen erwiesene Unordnung in der Reihefolge der Verse 568) nöthigt uns, Einiges über die Eintheilung des Korans zu bemerken, die uns dann auch eine klarere Uebersicht über dessen Gesammtinhalt verschaffen wird.
Der Koran, so wie er vor uns liegt, zerfällt bekanntlich in hundert und vierzehn Kapitel (Suren), aus einer größeren oder kleineren Anzahl Verse bestehend. Die frühern sind unverhältnißmäßig größer, als die spätern; sie enthalten zwei bis dreihundert Verse, während die letzten sechzehn nur noch aus sechs bis elf kleinen Versen zusammengesetzt sind. Doch nicht einmal in dieser Beziehung herrscht eine bestimmte Ordnung, noch viel weniger aber in jeder andern. Nicht nur die späteren in Medina erschienenen Suren, deren Zahl auf neunundzwanzig angegeben wird, stehen zum Theil vor den frühern
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568) Hier nur ein Beispiel gleich aus der zweiten Sura. Vers 106 enthält Mohammeds Entschuldigung über die Abänderung der Kibla, während die Abänderung selbst erst Vers 143 u. ff. vorkommt.
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schon in Mekka geoffenbarten, sondern es finden sich in manchen sogenannten medinensischen Suren einzelne Verse, welche in Mekka geoffenbart wurden, und eben so umgekehrt; so daß man beinahe glauben möchte, Zeid habe bei der Sammlung des Korans ihn geradezu so geordnet, wie ihm die Materialien unter die Hand kamen. Daß Mohammed selbst seine Offenbarungen nach den vor uns liegenden Kapiteln eingetheilt habe, wie die Muselmänner behaupten, ist nicht anzunehmen. Nach ihrem eigenen Eingeständnisse ließ er ihn ja gar nicht als ein Ganzes sammeln; sie können auch ebenfalls nicht läugnen, daß nur einige wenige Suren ganz erschienen, die meisten aber aus Fragmenten bestehen, zwischen denen häufig ein großer Zeitraum liegt, während dessen wieder manche, in andere Suren aufgenommene Verse erschienen 569). Wahrscheinlich ist indessen, daß Mohammed selbst die Koransverse in gewisse Abschnitte eintheilte, die er Suren 570) nannte, und die vielleicht
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569) Sollte etwa Mohammed einen Schreibpult mit 114 Schubladen oder Fächern besessen, und so wie ein Paar Verse erschienen, sie jedesmal zu der Sura gelegt haben, in der wir sie noch finden? Aber H. Scribe, von dem man Aehnliches über die Composition seiner Lustspiele erzählt, legt doch wenigstens die einzelnen Scenen so zusammen, daß sie vereint ein Ganzes bilden, das gewöhnlich für eine einzige Inspiration gelten kann, während wir bei Mohammed in einer und derselben Sura die verschiedenartigsten Verse, sowohl der Zeit, als der Schreibart und dem Inhalte nach finden. Die Ueberschrift der Suren ist ja überhaupt nicht als Inhaltsanzeige zu betrachten, da sie häufig von einem der ersten Worte der Sura oder von einer einzelnen darin erwähnten Begebenheit genommen ist. So heißt z. B. die zweite Sura, welche die wichtigsten Gesetze des Islams enthält, die „der Kuh,“ weil im 66. und den folgenden Versen von der rothen Kuh die Rede ist, welche Moses den Israeliten zu opfern befahl.
570) Das Wort Sura kommt zwar neun Mal im Koran vor, doch läßt sich nicht mit Gewißheit bestimmen, was Mohammed darunter verstand. Sura II. Vers 23 heißt es: „Seyd ihr in Zweifel über Gottes Offenbarung, so bringet eine ähnliche Sura herbei, und da ihr dieß nicht könnet, so fürchtet die Hölle!“ Sura
IX. Vers 66 : „Die Heuchler fürchten, es möchte eine sie betreffende Sura gesandt werden, die ihnen offenbart, was sie im Herzen haben.“ Dieselbe Sura Vers 88: „Als eine Sura erschien (worin befohlen wird): glaubet an Gott und kämpfet mit seinem Gesandten, baten dich (Mohammed) die Vornehmeren unter ihnen, um die Erlaubniß zurückbleiben zu dürfen.“ Vers 126: „Wenn eine Sura herabgesandt wird, sagen Manche unter ihnen: wen von euch hat sie in seinem Glauben bestärkt?“ Ebenso Vers 129: „Wenn eine Sura herabgesandt wird, sehen sie einander an, und fragen: sieht euch Jemand?“ Sura X. Vers 38: „Sagen sie, Mohammed hat den Koran erdichtet, so sprich! bringet eine ähnliche Sura, und rufet herbei, wen ihr könnet außer Gott, wenn ihr aufrichtig seyd.“ Sura XI. Vers 14 wiederholt dasselbe, nur daß es statt „einer Sura“ heißt „zehn solche erdichtete Suren.“ Sura XXIV. beginnt: („Dieß ist) eine Sura, wir haben sie herabgesandt, und (euch) vorgeschrieben, und darin klare Zeichen (Verse) geoffenbart; vielleicht werdet ihr (durch sie) ermahnt.“ Sura XLVII. Vers 21 endlich: „Die Gläubigen sagen: o erschiene uns doch eine Sura! wenn aber eine unwiderrufliche Sura gesandt wird, welche zum Kriege ermahnt, so siehst du, wie diejenigen, welche ein krankes Herz haben, dich anblicken mit dem Blicke eines Menschen, den der Tod schon getrübt u. s. w.“ Aus den angeführten Versen der 2. und 10. Sura läßt sich gar nichts schließen, der der 11. Sura spricht wenigstens gegen eine allzu große Ausdehnung eines Sura genannten Abschnittes, weil sonst zehn Suren zu viel gefordert wäre. Vers 66 und 88 der 9. und Vers 21 der 47. Sura zufolge hat dieses Wort eher die Bedeutung „Offenbarung“ als Kapitel, obschon allerdings die 63. Sura die der Heuchler, und die 47. die des Kriegs genannt wird. Vers 126 und 129 derselben Sura beweisen gar nichts. Am meisten spricht der Anfang der 24. Sura für die Bedeutung Kapitel, nur läßt sich nicht mit Gewißheit sagen, ob es ursprünglich die ganze jetzige Sura umfaßte. Was die wörtliche Bedeutung von Surat angeht, so denken die Muselmänner an Rang und Stufe, weil nämlich, so heißt es im Kamus, immer ein Abschnitt den andern an Werth übertrifft; ich glaube, daß man eher an die Steinreihe einer Mauer denken, und sich eine Reihe von Versen dabei vorstellen muß. Auch im Hebräischen, und besonders im Rabbinischen bedeutet das Wort xxxxx Reihe und Zeile, und hier muß um so eher an einen jüdischen Ursprung des Wortes gedacht werden, als die drei Namen des Korans: Koran, Furkan und Kitab, dem hebräischen xxxxx, xxxxx und xxxxx entsprechen, und auch der Name der Verse, ajat, nichts anderes als das hebräische xxxxx ist.
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eine Reihe von Versen, welche zumal geoffenbart wurden, enthielten. In dem auf uns gekommenen Koran herrscht aber
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eine solche Unordnung und Verwirrung in der Reihenfolge der Suren sowohl, als der einzelnen Verse, daß man selbst mit der vollkommensten Sprach- und Sachkenntniß ausgerüstet doch selten ein Paar Verse nach einander ohne Commentar lesen kann, und selbst mit einem Solchen nicht immer befriedigt wird. Ein sehr gelehrter 571) Muselmann sagt daher: „Wer über das Buch Gottes mitsprechen will, muß wissen, wie die Suren nach einander, in Mekka sowohl, als in Medina erschienen, und diejenigen kennen, über deren Zeitbestimmung die Gelehrten von einander abweichen; er muß wissen, was zwei Mal geoffenbart worden, was in Medina erschien, aber die Mekkaner angeht, und was in Mekka erschien, aber doch zu den medinensischen Suren gehört; was in Djohfa, Jerusalem, Taïf und Hudeibia geoffenbart worden. Er muß die mekkanischen Verse aus den medinensischen Suren und die in Medina erschienenen Verse aus den mekkanischen Suren herauszufinden wissen; eben so diejenigen, welche von Mekka nach Medina, und von Medina nach Mekka oder Abyssinien getragen wurden; endlich auch die widerrufenden und widerrufenen Verse.“ Was zuerst die Ordnung der mekkanischen sowohl, als der medinensischen Suren betrifft, so geben wir hier das Verzeichniß derselben nach einer alten Tradition 572). Obgleich wir ihr
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571) Der Imam Abu'l Kasim Hasan Ibn Muhammad Ibn Habib bei Ch. in der Einleitung.
572) Von Husein Ibn Wakid bei Ch. a. a. O. Herr v. Hammer hat in den Wiener Jahrbüchern (Bd. 79, S. 82 u. ff.) nach derselben Quelle ein solches Verzeichniß mitgetheilt, da es aber häufig von dem hier gegebenen abweicht, auch diese Zeitschrift sich mehr auf öffentlichen, als Privatbibliotheken befindet, so ist dessen Wiederholung nothwendig. Ich werde in den Anmerkungen jedesmal seine Ordnung angeben, und die Worte meines Textes als Beleg für die hier folgende anführen.
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nicht durchgängig beistimmen, mag sie doch dem Leser des Korans im Allgemeinen als Leitung dienen; nur vergesse er nicht, daß, besonders bei den größern Suren, eine chronologische Bestimmung überhaupt nur von einem Theile ihres Inhalts gelten kann, während andere, wie wir schon gesehen, und noch in der Folge zeigen werden, einer frühern oder spätern Zeit angehören.
Mekkanische Suren.
Chronologische Ordnung. Jetzige Ordnung.
Sura 1 Das geronnene Blut . . . . . . Sura 96
Sura 2 Der sich bedeckende 573) . . . Sura 74
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573) Einige nennen vorher das erste Kapitel oder die Einleitung, welche andere, deren Meinung jedoch Ch. verwirft, sogar noch vor die 96. setzen. Nach den meisten Traditionen erschien sie, wie schon erwähnt, zwei Mal. H. v. H. nennt vorher die 73., die aber in meinem Exemplare hier gar nicht vorkommt, sondern unter denen gerechnet wird, über deren Sendungsort die Ansichten der Gelehrten getheilt sind, indem Kutada sie zu den Medinensischen zählt. Bei Maraccius p. 758 liest man auch: „Meccana a plerisque inscribitur, quidam tamen malunt esse Medinensem: alii ultimum tantummodo versum, qui incipit: porro Dominus tuus Medinae traditum fuisse.“ Letztere Meinung scheint mir die richtigere zu seyn, denn der letzte Vers lautet: „Gott weiß, daß du vor den zwei Drittheilen und der Hälfte und dem Drittheile der Nacht aufstehst (um zu beten), eben so ein Theil derjenigen, die mit dir sind; Gott, der allein die Stunden der Nacht, so wie des Tages bestimmen kann, weiß, daß ihr sie nicht zählen könnet, darum wendet er sich (erleichternd) euch zu. Leset auch (bei dem Gebete) was sich vom Koran am leichtesten lesen läßt, denn Gott weiß, daß manche von euch krank seyn werden, andere, um das was seine Güte gespendet (Lebensunterhalt) zu suchen, sich im Lande umhertreiben, und wieder andere auf dem Pfade Gottes kämpfen werden, darum leset daraus, was am leichtesten ist; beobachtet das Gebet, gebet die Armensteuer und leihet Gott ein schönes Darlehen, denn das Gute, das ihr für eure Seele vorausschicket, findet ihr einst bei Gott mit großem Lohne wieder. Flehet Gott um Gnade an, denn er ist gnädig und barmherzig.“
Auch in die 71. Sura hat sich ein medinensischer oder wenigstens ein viel späterer Vers eingeschlichen, denn zwischen den ersten dreißig und den letzten vierundzwanzig Versen, welche meistens aus zwei oder drei Worten bestehen, lautet der 31.: „Wir werden nur Engel zu Wächtern der Hölle setzen, und wir haben ihre Zahl (19 nach dem 30. Verse) nur zur Verführung der Ungläubigen bestimmt, damit diejenigen, welche die Schrift erhalten (die Juden) sich überzeugen (von Mohammeds Sendung durch die Uebereinstimmung dieser Zahl mit der in ihren heiligen Büchern angegebenen) und die Gläubigen an Glauben zunehmen. Die Schriftbesitzer und die Gläubigen werden nicht zweifeln; diejenigen, die ein krankes Herz haben (in Medina) und die Ungläubigen (Mekka's) werden sagen: was wollte Gott mit diesem Gleichniß? (mit der Zahl der Engel, die sie nur figürlich nehmen), so führt Gott irre wen er will, und leitet er wen er will, die Schaaren deines Herrn kennt nur er, und sie (die Hölle) dient nur zur Ermahnung der Menschen.“
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Chronologische Ordnung. Jetzige Ordnung.
Sura 3 Abu Lahab . . . . . . . . . . . . . . . . . .Sura 111
Sura 4 Die Zusammenfaltung . . . . . . . . .Sura 81
Sura 5 Der Höchste . . . . . . . . . . . . . . . . .Sura 87
Sura 6 Die Nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sura 92
Sura 7 Die Morgendämmerung . . . . . . . .Sura 89
Sura 8 Der helle Morgen . . . . . . . . . . . . Sura 93
Sura 9 Die Erweiterung . . . . . . . . . . . . . .Sura 94
Sura 10 Der Nachmittag . . . . . . . . . . . . . Sura 103
Sura 11 Die schnell laufenden Rosse . . . .Sura 100
Sura 12 Der Paradiesesfluß Kauthar . . . . Sura 108
Sura 13 Das Streben nach Vermehrung . .Sura 102
Sura 14 Die Hausgeräthschaften . . . . . . .Sura 107
Sura 15 Die Ungläubigen . . . . . . . . . . . . .Sura 109
Sura 16 Der Elephant . . . . . . . . . . . . . . . Sura 105
Sura 17 Die Morgenröthe . . . . . . . . . . . . .Sura 113
Sura 18 Die Menschen . . . . . . . . . . . . . . . Sura 114
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Chronologische Ordnung. Jetzige Ordnung.
Sura 19 Das Bekenntniß der Einheit Gottes . Sura 112
Sura 20 Der Stern . . . . . . . . Sura 53
Sura 21 Er machte ein zorniges Gesicht . . Sura 80
Sura 22 Die Bestimmung . . . . . . Sura 97
Sura 23 Die Sonne . . . . Sura 91
Sura 24 Die Thürme . . . . Sura 85
Sura 25 Der Buchstabe Kaf 574) . . . . Sura 50
Sura 26 Das Land . . . . . Sura 90
Sura 27 Die Feige . . . . . Sura 95
Sura 28 Die Kureischiten . . . . Sura 106
Sura 29 Der Tag des Herzklopfens . . . Sura 101
Sura 30 Die Auferstehung . . . . . . Sura 75
Sura 31 Der Verläumder . . . . Sura 104
Sura 32 Die Gesandten . . . . . Sura 77
Sura 33 Der Nachtstern . . . . . Sura 86
Sura 34 Der Mond . . . . . . . . . Sura 54
Sura 35 Der Buchstabe Sad . . Sura 38
Sura 36 Die Zwischenmauer . . Sura 7
Sura 37 Die Djinnen . . . . . . . . Sura 72
Sura 38 Die Buchstaben Ja Sin . Sura 36
Sura 39 Die Unterscheidung . . . Sura 25
Sura 40 Die Engel . . . . . . . . . . . Sura 35
Sura 41 Maria . . . . . . . . . . . . . . Sura 19
Sura 42 Die Buchstaben Ta Ha . . Sura 20
Sura 43 Die plötzlich Eintreffende . Sura 56
Sura 44 Die Dichter . . . . . . . . . . Sura 26
Sura 45 Die Ameise . . . . . . . . . . Sura 27
Sura 46 Die Erzählung . . . . . . . . Sura 28
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574) Bei H. v. H. steht die 50. und 90. erst nach den beiden folgenden, in meinem Exemplare kommt nach der hier angegebenen Ordnung zuerst burudj, dann kaf, dann balad, dann tin, dann Kureisch. Die drei letzten mögen derselben Zeit angehören, Surat Kaf (die 50.) scheint aber dem Inhalte und der Schreibart nach, etwas später erschienen zu seyn.
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Chronologische Ordnung. Jetzige Ordnung.
Sura 47 Die Nachtreise . . . . . . Sura 17
Sura 48 Jonas . . . . . . . . . . . . . Sura 10
Sura 49 Der Prophet Hud . . . . . Sura 11
Sura 50 Der Prophet Joseph . . . .Sura 12
Sura 51 Der Bezirk Hadjr . . . . . . Sura 15
Sura 52 Das Vieh . . . . . . . . . . . .Sura 6
Sura 53 Die sich Ordnenden . . . .Sura 37
Sura 54 Lokman . . . . . . . . . . . . . Sura 31
Sura 55 Saba . . . . . . . . . . . . . . Sura 34
Sura 56 Die Schaaren . . . . . . . . Sura 39
Sura 57 Der Gläubige . . . . . . . . Sura 40
Sura 58 Die Anbetung . . . . . . . . Sura 41
Sura 59 Die Buchstaben ha, mim, ain, sin, kaf . Sura 42
Sura 60 Der Schmuck . . . . . . . . . Sura 43
Sura 61 Der Rauch . . . . . . . . . . . .Sura 44
Sura 62 Das Knien . . . . . . . . . . . . Sura 45
Sura 63 Der Ort Ahkaf . . . . . . . . . Sura 46
Sura 64 Die Zerstreuenden . . . . . Sura 51
Sura 65 Der Verfinsternde 575) . . . . Sura 88
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575) Im Texte Alghaschia genannt. H. v. H. nennt nach der 51. die 58., und setzt als Ueberschrift dazu „Kennst du die Sage der bedeutenden Stunde (des jüngsten Gerichts).“ Ich hielt anfangs diese Ueberschrift für eine freie Uebersetzung des ersten Verses, und die Zahl 58 für einen Schreib- oder Druckfehler statt 88, um so mehr, da er die 58. später zu den medinensischen zählt, aber er rechnet nicht nur auf derselben Seite auch die 88 unter der Ueberschrift: „Der Bedienende (Stunde des Gastes Gottes“) (?) zu den medinensischen, sondern auch wieder S. 87, wo er den summarischen Inhalt der medinensischen Suren gibt, und setzt noch in einer Note hinzu: „Es ist jedoch zu bemerken, daß Maraccius sechs von diesen Suren, nämlich die 13., 55., 57., 76., 86. und 98., nicht als zu Medina, sondern zu Mekka gegeben aufführt, was sogar sehr wahrscheinlich, da dieselben nicht unter die längern gesetzgebenden, sondern unter die kürzern poetischen mit kurzen Versen gehören u. s. w.“ Die 58. wird S. 86. noch einmal zu den mekkanischen, und S. 87 abermals zu den medinensischen gerechnet. Bei einer solchen Verwirrung werden hoffentlich selbst die Besitzer der Wiener Jahrbücher dieses Verzeichniß nicht überflüssig finden.
Was H. v. Hammers Bemerkung zu den übrigen fünf Suren angeht, so stimme ich ihm in Bezug auf die 13. und 76. bei, die 57. und 98. aber gehören gewiß zu den medinensischen, wie auch andere Koranausleger bei Maraccius in den Noten behaupten. H. v. H. scheint sie übrigens, als er diese Anmerkung schrieb, nicht mehr gut im Gedächtnisse gehabt zu haben, denn wenn er sie auch nach seinem Geschmack zu den poetischen zählen will, so muß er aber doch zugestehen, daß sie im Verhältnisse zu den übrigen mekkanischen, lange Verse haben. Der Leser urtheile selbst, indem ich die 98. und die darauf folgende 99., welche eine allgemein anerkannt mekkanische ist, und ebenfalls acht Verse hat, hier anführe, und zwar, um keiner Befangenheit in der Uebersetzung angeklagt werden zu können, nach der Ullmanns, welcher ich nur nach Maraccius die ausgelassene Versabtheilung beifügen will.
Sura 98 lautet:
1. Die Ungläubigen unter den Schriftbesitzern und Götzendienern wankten nicht eher, als bis der deutliche Beweis ihnen zugekommen: 2. Der Gesandte Gottes, der ihnen vorliest geläuterte und geheiligte Bücher, welche enthalten gerechte und fromme Vorschriften: 3. Nicht eher auch trennten sich die Schriftbesitzer unter einander, als nachdem ihnen der deutliche Beweis zugekommen war: 4. Und nichts anderes wird ihnen doch befohlen, als Gott zu dienen, und zu seiner reinen Religion sich zu bekennen, und rechtgläubig zu seyn, und das Gebet zu verrichten und Almosen zu geben, denn dies ist die rechte Religion: 5. Die Ungläubigen aber der Schriftbesitzer und Götzendiener, kommen in das Höllenfeuer und bleiben ewig darin; diese sind die schlechtesten Geschöpfe: 6. Die Gläubigen aber, und Die, so das Gute thun, diese sind die besten Geschöpfe: 7. Ihr Lohn bei ihrem Herrn besteht in Edens Gärten, welche Wasserbäche durchströmen und ewig bleiben sie darin: 8. Gott wird Wohlgefallen haben an ihnen und sie an ihm. Dieß ist für den, so da fürchtet seinen Herrn.“
Sura 99:
„1. Wenn die Erde durch ihr Erdbeben erschüttert wird: 2. Und die Erde auswirft ihre Last: 3. Und der Mensch fragt: was geht vor mit ihr? 4. und 5. Dann an diesem Tage wird sie, die Erde, ihre Nachrichten, welche dein Herr ihr eingibt, selbst erzählen: 6. An diesem Tage werden die Menschen in verschiedenen Abtheilungen hervorkommen, um ihre Werke zu sehen: 7. Wer auch nur so viel, wie eine Ameise schwer, Gutes gethan, der soll es sehen: 8. Und wer auch nur so viel, wie eine Ameise schwer, Böses gethan, der soll dasselbe sehen.“
Vers 4 und 5 hat H. Ullmann zusammengezogen, und Vers 7, den ich hier nach Vers 8 übersetzt, ist wahrscheinlich im Druck ausgefallen. Hiebei darf man nicht vergessen, daß letztere Sura im Texte sich viel poetischer ausnimmt, und sich wohl auch poetischer widergeben ließe, während mit Ersterer selbst ein Rückert, wenn er dem Original treu bleiben will, schwerlich was anzufangen wüßte. Aber noch prosaischer nimmt sich die 57. Sura, welche H. v. H, auch für eine mekkanische hält, neben der 56. aus, welche wirklich eine mekkanische ist. Auch nehmen die 96 Verse, aus denen Letztere besteht, im Texte nicht mehr Raum ein, als die 29 der Ersteren. Da sie zu groß sind, um hier zur Vergleichung angeführt werden zu können, bemerke ich nur, daß im 10. Verse der 57. Sura vom heiligen Krieg die Rede ist, welchen bekanntlich Mohammed erst in Medina predigte. Vers 13 kommen die Heuchler vor, gegen die Mohammed ebenfalls erst in Medina zu kämpfen hatte, während in Mekka im Gegentheile die Muselmänner ihren Glauben verheimlichen mußten. Die 55. Sura steht durch den immer wiederkehrenden Vers: „Welche Wohlthat eures Herrn wollt ihr leugnen?“ so vereinzelt da, daß sich nichts Bestimmtes über die Zeit ihrer Offenbarung sagen läßt. Da sie indessen, wie schon Ullmann bemerkt, an Psalm 136 erinnert, so würde ich sie eher nach Medina versetzen, wo Mohammed mehr Jüdisches nachahmte.
Leben Mohammeds.
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368
Chronologische Ordnung. Jetzige Ordnung.
Sura 66 Die Höhle . . . . . . . . . .Sura 18
Sura 67 Noah . . . . . . . . . . . . . Sura 16
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369
Chronologische Ordnung. Jetzige Ordnung.
Sura 68 Die Bienen . . . . . . . . Sura 71
Sura 69 Abraham . . . . . . . . . . Sura 14
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370
Chronologische Ordnung. Jetzige Ordnung.
Sura 70 Die Propheten . . . . . . Sura 21
Sura 71 Die Gläubigen . . . . . . Sura 23
Sura 72 Die Abgetheilten . . . . Sura 32
Sura 73 Der Berg Tur . . . . . . . .Sura 52
Sura 74 Das Reich . . . . . . . . . . Sura 67
Sura 75 Der (die Wahrheit) Bestätigende . . Sura 69
Sura 76 Die Stufen . . . . . . . . . . Sura 70
Sura 77 Die Verkündigung . . . . Sura 78
Sura 78 Die Entreißenden . . . . .Sura 79
Sura 79 Das Zerspalten . . . . . . Sura 82
Sura 80 Das Zerreißen . . . . . . . Sura 84
Sura 81 Die Byzantiner . . . . . . . Sura 30
Sura 82 Die Spinne . . . . . . . . . . Sura 29
Sura 83 Die schlecht Messenden . Sura 83
Medinensische Suren.
Sura 84 Die Kuh . . . . . . . . . . . Sura 2
Sura 85 Die Beute . . . . . . . . . .Sura 8
Sura 86 Die Familie Amrans . . Sura 3
Sura 87 Die Verbündeten . . . . Sura 33
Sura 88 Die zu Prüfende . . . . . Sura 60
Sura 89 Die Frauen . . . . . . . . . Sura 4
Sura 90 Das Erdbeben . . . . . . Sura 99
Sura 91 Das Eisen . . . . . . . . . Sura 57
Sura 92 Der Krieg . . . . . . . . . . Sura 47
Sura 93 Der Donner . . . . . . . . Sura 13
Sura 94 Der Allbarmherzige . . Sura 55
Sura 95 Der Mensch . . . . . . . . Sura 76
Sura 96 Die Ehescheidung . . . .Sura 65
Sura 97 Der Beweis . . . . . . . . . Sura 98
Sura 98 Die Auswanderung . . . Sura 59
Sura 99 Die Hülfe . . . . . . . . . . . Sura 110
Sura 100 Das Licht . . . . . . . . . . Sura 24
Sura 101 Die Wallfahrt . . . . . . . Sura 22
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371
Chronologische Ordnung. Jetzige Ordnung.
Sura 102 Die Heuchler . . . . . . Sura 63
Sura 103 Die Streitende . . . . . Sura 58
Sura 104 Die innern Gemächer . . Sura 49
Sura 105 Die Entsagung . . . . . Sura 66
Sura 106 Die Reihe . . . . . . . . . Sura 61
Sura 107 Die Versammlung . . . Sura 62
Sura 108 Der gegenseitige Mangel an Aufrichtigkeit Sura 64
Sura 109 Der Sieg . . . . . . . . . . Sura 48
Sura 110 Die Buße . . . . . . . . . . Sura 9
Sura 111 Der Tisch . . . . . . . . . . Sura 5
Von den drei hier fehlenden Suren, die erste, dreiundsiebenzigste und achtundsechzigste, soll die erste zwei Mal, und die zweite zum Theil in Mekka, zum Theil in Medina erschienen seyn. Die dritte, welche wahrscheinlich im Abschreiben vergessen worden, gehört ohne Zweifel zu den ältern mekkanischen 576).
Außer den beiden ersten gehört noch die 83. zu den zweifelhaften, da manche sie zu den medinensischen zählen, und die der Spinne für die letzte mekkanische halten, während Andere behaupten, die der Gläubigen sey zuletzt in Mekka erschienen.
Medinensische Verse, welche die Mekkaner angehen, die ebenfalls, wer über den Koran mitsprechen will, kennen muß, gibt es natürlich viele; sie mußten, besonders nach dem Friedensschlüsse von Hudeibia, bald nach ihrer Offenbarung zu ihnen gelangen, und betrafen übrigens auch sehr häufig die ungläubigen Medinenser. Als Beispiel wird folgender Vers angeführt: „Denjenigen, die in Gott (für Gottes Sache) auswanderten, nachdem sie mißhandelt worden, weisen wir in dieser
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576) Am Anfang und Ende der Sura schwört Gott, daß Mohammed nicht von Djinnen besessen. Gott versichert Mohammed, daß er auf dem guten Wege ist, und ermahnt ihn standhaft zu bleiben, sich nicht von den Ungläubigen irre leiten zu lassen, welche diese Offenbarungen für alte Fabeln halten u. s. f.
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Welt eine schöne Wohnung an, aber der Lohn in jener Welt ist noch größer. O, wüßten sie (die Ungläubigen Mekka‘s) dieß doch!“ 577)
Unter medinensischen Versen, die in Mekka erschienen, versteht man solche, die nach der Auswanderung daselbst geoffenbart wurden. Dahin gehört nach muselmännischer Tradition außer dem schon erwähnten bei der letzten Pilgerfahrt in Arafa geoffenbarten Verse, noch folgender, am Tage der Eroberung, wahrscheinlich gegen die auf ihre edle Abkunft stolzen Kureischiten, gesandter: „O ihr Leute ! wir haben euch von einem Manne und einem Weibe geschaffen, und in verschiedene Völkerschaften und Stämme getheilt (bedenket dieß!) damit ihr euch gegenseitig kennen lernet (und freundlich behandelt), wahrlich derjenige ist der Angesehenste vor Gott, der ihn am meisten fürchtet (nicht derjenige, der von dem ältesten Geschlechte abstammt). Gott weiß und durchschaut Alles.“ 578)
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577) Sura 16, Vers 41.
578) Sura 49, Vers 13. Dieser Vers paßt zwar recht gut zu den beiden Vorhergehenden, welche in moralischer Beziehung zu den schönsten des Korans gehören. Sie lauten: „O ihr Gläubigen! es verspotte keiner von euch den andern, denn leicht könnten diejenigen, auf die ihr mit Geringschätzung herabsehet, besser seyn, als ihr, eure Frauen sollen auch andere Frauen nicht verspotten, denn leicht könnten diese besser seyn, als sie selbst; beschimpfet einander nicht, und gebet einander keine schmähenden Beinamen, in dem Munde der Gläubigen sind derartige schlechte Worte abscheulich, wer sich darin nicht bessert, gehört zu den Uebelthätern. O ihr Gläubigen! hütet euch vor allzu großem Argwohn, denn mancher Argwohn ist sündhaft. Lauschet einander nicht aus, und redet einander nichts Böses nach, möchtet ihr wohl das Fleisch eures Bruders essen, wenn er todt ist? Da ihr das verabscheut (so beflecket auch seine Ehre nicht hinter seinem Rücken) und fürchtet Gott, den Gnädigen, der die sich Bessernden aufnimmt.“ Das Einzige, was dafür spricht, daß der folgende Vers in Mekka geoffenbart ward, ist die Anrede: „O ihr Leute,“ denn die Medinenser werden gewöhnlich, wie dieß auch in den beiden vorhergehenden Versen der Fall ist, mit den Worten: „O ihr Gläubige!“ angeredet.
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In Djohfa, auf seiner Flucht nach Medina, soll Mohammed folgender tröstender Vers erschienen seyn: „Derjenige der dir den Koran vorgeschrieben, bringt dich wieder in deine Heimath zurück. Sprich! Gott kennt am besten denjenigen, der mit der Leitung kommt, und wer in offenbarem Irrthume bleibt.“ 579)
In Jerusalem, oder mit andern Worten, in der Nacht, wo Mohammed im Traume oder im Gesichte 589) sich nach dem
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579) Sura 28, Vers 84. Die beiden folgenden Verse, welche wahrscheinlich auch dazu gehören, und die sich Mohammed selbst, als er auf der Flucht in Noth und Gefahr war, zurufen mochte, lauten : „Hofftest du doch keineswegs, daß dir die Schrift geoffenbart werde, es geschah nur aus Gnade von deinem Herrn, darum sey nicht (durch Mangel an Vertrauen) ein Gehülfe der Ungläubigen! Laß dich nicht abhalten von den Versen Gottes, nachdem sie dir geoffenbart worden. Bete zu deinem Herrn, und werde kein Polytheist!“
580) Wir haben schon an seinem Platze (vergl. Anmerk. 83) bemerkt, daß selbst viele Muselmänner die nächtliche Reise Mohammeds nur für ein Gesicht halten. Folgende Koransverse sprechen dafür, daß auch Mohammed sie für nichts anderes angesehen haben wollte. Der 61. Vers der 17. Sura lautet: „Gedenke auch, wie wir dir (als du in Mekka verzagen wolltest) sagten: wahrlich dein Herr hat alle Menschen in seiner Gewalt, und wir haben das Gesicht, das wir dir gezeigt, nur zur Versuchung für die Leute gegeben; so haben wir auch den verfluchten Baum (der mitten in den Flammen der Hölle hervorsprießen soll, zur Versuchung) im Koran erwähnt, wir wollen sie (die Ungläubigen) in Angst versetzen, aber unsere Drohungen vermehren nur ihre Irrthümer.“ In diesem Verse ist doch ziemlich klar ausgesprochen, daß Gott durch dieses Gesicht der nächtlichen Reise nicht durch die wirkliche wunderbare Reise den Glauben an Mohammed erproben wollte, denn auch als Gesicht klang diese ganze Reise so mährchenhaft, daß, wie wir schon erwähnt, manche bisherige Anhänger Mohammeds sich von ihm lossagten. Eben so deutlich spricht auch der Anfang der 53. Sura dafür, daß Mohammed nur in einer Vision, nicht in der Wirklichkeit in den Himmel erhoben worden seyn wollte. Diese Sura beginnt: „Bei dem Sterne, wenn er untergeht, euer Meister (Mohammed) ist nicht auf Irrwegen und täuscht sich nicht und spricht nicht nach Willkühr, sondern es (was er euch verkündet) ist nichts anderes als eine Offenbarung, die ihm geoffenbart worden. Der Starke und Mächtige (Gabriel) hat sie ihn gelehrt, der Kraftbegabte. Er stand vor ihm am höchsten Horizont, dann näherte er sich ihm bis auf zwei Bogenschüsse oder noch weniger, da offenbarte Gott seinem Sklaven, was er ihm offenbarte. Das Herz (Mohammeds) hat nicht erlogen, was er (oder es) gesehen; wollt ihr (Ungläubige) mit ihm hadern über das, was er gesehen? u. s. w. Auch hier handelt es sich immer wieder nur vom Gesichte, in welchem Mohammed in den Himmel stieg, während ihm bisher Gabriel das Wort Gottes zur Erde herab brachte.
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Tempel von Jerusalem, vereint mit allen frühern Propheten, versetzt fand, soll er folgenden Vers empfangen haben:
„Frage unsere Gesandten, die wir vor dir gesandt haben, ob wir zugegeben, daß sie außer dem Barmherzigen noch andere Götter anbeten.“ 581) Man begreift aber wohl, daß diese Behauptung nur auf einer buchstäblichen Auffassung des Wortes „Frage“ sal beruht, das aber auch im Arabischen so viel als befragen, aus ihren uns überlieferten Worten und Schriften nämlich, bedeutet.
In Taïf, wo Mohammed vor der Auswanderung eine Zuflucht suchte, aber noch weniger Gehör als in Mekka fand, sollen ihm, um seine Hoffnungen aufrecht zu erhalten, folgende Verse geoffenbart worden seyn: „Siehst du nicht nach deinem Herrn, wie er den Schatten ausdehnt; wenn er wollte, so ließe er ihn fortbestehen, aber wir bestimmen dann die Sonne zu seinem Führer (oder: um gegen ihn zu zeugen) und ziehen ihn allmählig wieder zurück.“ 582) Die Finsternis) des Unglaubens
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581) Sura 43, Vers 43.
582) Sura 25, Vers 46 und 47. Geiger a. a. O. S. 193 glaubt hier eine Hinweisung auf das zweite Buch der Könige XX. 9-12 zu finden, und übersetzt: „Siehst du nicht, wie dein Herr den Schatten dehnt, wenn er will, ihn ruhend macht, dann die Sonne über ihn zum Weiser setzt, darauf ihn allmählig zu sich zieht.“ Aber die Worte des Textes: „Walau schaa ladjaalahu,“ geben eine solche Auslegung nicht zu.
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soll hier wahrscheinlich mit dem ebenfalls von Gott geschaffenen Schatten verglichen werden, der bei Sonnenaufgang sich am weitesten ausdehnt, aber dann nach und nach verschwindet, und durch die volle Mittagssonne in nichts zerfällt; so läßt auch Gott bei der Sendung eines Propheten den in der Nacht des Irrthums wandelnden Götzendienern noch einen freien Spielraum, bis sie allmählig von dem Lichte des wahren Glaubens erleuchtet werden.
In Hudeibia, als der Friedensschluß aufgesetzt werden sollte, und der Bevollmächtigte der Kureischiten die mohammedanische Formel: „Im Namen Gottes, des Allgnädigen, Allbarmherzigen“ nicht dulden wollte, soll folgender Vers erschienen seyn: „So sandten wir dich zu einem Volke, dem schon viele andere Völker vorangegangen sind, daß du ihnen vorlesest, was dir geoffenbart worden, sie läugnen aber den Allbarmherzigen.“ 583)
Wir haben schon mehrere Beispiele von medinensischen Versen in mekkanischen Suren gesehen, ihre Zahl ist zu groß, um hier alle angeführt werden zu können, wir wollen daher nur einige auch in anderer Beziehung merkwürdige Verse aus der Sura des Viehes mittheilen:
„Gibt es größere Uebelthäter als solche, die im Namen Gottes Lügen erdichten, oder die da sagen: ich habe eine Offenbarung erhalten, wenn es nicht wahr ist, oder: ich kann auch solche Verse senden, wie sie Gott (durch Mohammed) gesandt! Sähest du nur diese Ruchlosen im Todeskampfe, wie die Engel ihre Hände nach ihnen ausstrecken (und ihnen zurufen): gebet eure Seele heraus! heute trifft euch erniedrigende Strafe für die Unwahrheit, die ihr im Namen Gottes gesagt, und für die Verachtung, mit der ihr auf seine Verse
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583) Sura 13, Vers 32.
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herabsahet.“ 584) Dieser Vers, in der Mitte einer mekkanischen Sura, bezieht sich auf Personen, welche erst nach der Hidjrah gegen Mohammed auftraten, nämlich auf die Pseudopropheten Museilama und Aswad, und auf Mohammeds Secretär Abd Allah Ibn Saad, welcher darum auch von der allgemeinen Amnestie bei der Eroberung von Mekka ausgeschlossen ward.
Auch folgende, eine reine Naturreligion predigende Verse, derselben Sura, welche zwar ihrem Inhalte nach in Mekka erschienen seyn könnten, doch der Schreibart nach einer spätern Zeit angehören, gelten bei den Muselmännern für medinensisch.
„Sprich! kommet herbei, ich will euch vorlesen, was euch Gott verbietet: ihr sollt keine Genossen neben ihm haben, den Eltern Gutes erweisen, eure Kinder nicht aus Armuth umbringen, wir wollen euch und ihnen den nöthigen Lebensunterhalt verschaffen; keine Schändlichkeit begehen, weder öffentlich, noch geheim; keinen Menschen ungerechterweise tödten. Das ists, was euch Gott befiehlt, o möchtet ihr verständig werden! Berühret auch das Gut der Waisen nicht, wenn nicht, um es zu verbessern, bis sie mündig geworden. Seyd gerecht im Gebrauch des Maaßes und der Wage. Wir bürden Niemanden mehr auf, als er leisten kann. Seyd auch gerecht in euren Aussprüchen, selbst gegen Verwandte, und haltet fest am Bündnisse Gottes, das ists, was er euch befiehlt, o möget ihr es doch überlegen!“ 585) Merkwürdig ist, daß dieselben Verse,
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584) Sura 6, Vers 94. Der Anfang auch Sura V. Vers 38, welche eine mekkanische genannt wird.
585) Dieselbe Sura, Vers 151 u. 152. Befremden dürfen solche Verse in dem Munde Mohammeds, selbst zu einer Zeit, wo er auch schon manche andere Gebote und Gesetze gegeben, nicht, denn er mochte immer diese für den Kern der Religion halten. In diesem Sinne lautet auch der 178. Vers der zweiten Sura: „Die Frömmigkeit besteht nicht darin, daß ihr euer Gesicht (beim Beten) nach Osten oder Westen richtet, sondern fromm ist derjenige, der an Gott glaubt, an den Tag des Gerichts, an die Engel, an die Schrift und an die Propheten, der bei aller Liebe zu seinem Gute es doch den Verwandten spendet, den Waisen, Armen, Reisenden und sonstigen Bedürftigen, oder zur Befreiung von Sklaven und Gefangenen verwendet, wer das Gebet verrichtet und die Armensteuer gibt, der an jedem eingegangenen Vertrage festhält, und mit Geduld Noth, Drangsal und allerlei Kriegesleiden erträgt. Diese sind die wahrhaft Frommen, diese sind die Gottesfürchtigen.“
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die nur mit ganz unbedeutenden Veränderungen auch in der Sura der nächtlichen Reise 586) vorkommen, welche ebenfalls zum Theil wenigstens eine mekkanische ist, nicht zu den medinensischen gezählt werden 587), obschon in dieser Sura dem Verbote des Mordens ein Zusatz gegeben ist, der keinen Zweifel übrig läßt, daß es in Medina gegeben worden, denn es heißt: „Wird jemand gewaltthätigerweise ermordet, so haben wir schon seinem nächsten Verwandten über ihn die Macht gegeben (ihn zu tödten),“ ein Gesetz, das erst in Medina gegeben wurde, und in Mekka, wo Mohammed nicht
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586) Sura 17, Vers 31-35. Wahrscheinlich ist auch noch Vers 36 bis 38 zu gleicher Zeit geoffenbart worden. Sie lauten: „Rede Niemanden (Schlechtes) nach, was du nicht bestimmt weißt; denn du mußt einst über dein Gehör, dein Gesicht und dein Herz Rechenschaft ablegen. Wandle auch nicht eingebildet auf der Erde einher, du kannst ja doch die Erde nicht durchbohren, noch die Höhe der Berge erreichen (d. h. die Erde geht weiter in die Tiefe und in die Höhe als du), Alles dieß ist lasterhaft und deinem Herrn verhaßt.“ Das Wort „takfu“ habe ich nach dem Kamus und nicht nach Djalalein, welcher es durch tabaa (folgen) wieder gibt, übersetzt.
587) So sagt Djalalein im Anfang der Sura: „Es ist eine mekkanische, mit Ausnahme der acht Verse von „wain kadu“ an (Vers 77 bis 84). Nach Jahias (bei Maraccius p. 401) werden selbst diese acht Verse nicht ausgenommen. Auch Ch., dem wir hier folgen, nennt die Sura Beni Israil (so heißt die 17., welche von andern die der nächtlichen Reise genannt wird) eine mekkanische, nur mit Ausnahme des 77. und 81. Verses. Ein Beweis, daß auch in dieser Beziehung die muselmännischen Koranausleger wenig Vertrauen verdienen, weil sie sich blos an alte Traditionen halten, statt eigene Forschungen anzustellen (vergl. auch Anmerk. 589).
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die mindeste weltliche Gewalt hatte, überhaupt nicht gegeben werden konnte.
Von mekkanischen Versen in medinensischen Suren, die indessen nicht sehr häufig vorkommen, haben wir auch schon an den letzten Versen der Sura der Buße 588) ein Beispiel gesehen; wir führen nur noch vier andere solche Verse aus der Sura der Pilgerfahrt an, weil sie ebenfalls auch in anderer Beziehung eine besondere Erwähnung verdienen. Sie lauten: „Wir haben vor dir auch nie einen Gesandten oder Propheten gesandt, ohne daß, wenn er (die Offenbarung) vorlas, der Teufel etwas seinen Worten zugesetzt hätte; aber Gott widerruft wieder, was Satan hineingeworfen, dann erst bestätigt er seine Verse. Gott ist allwissend, allweise. (Gott thut dieß), um mit dem, was Satan hineingeworfen, diejenigen zu versuchen, die ein krankes oder verhärtetes Herz haben, denn wahrlich eine weite Kluft trennt die Ungläubigen (von den Gläubigen), und damit die mit wahrer Kenntniß begabten wissen, daß er (der Koran) nur Wahrheit von deinem Herrn enthält und daran glauben, und sich ihr Herz dabei (bei dem, was wir bestätigt) beruhige. Gott leitet die Gläubigen auf den rechten Weg. Die Ungläubigen aber bleiben fortwährend in Zweifel darüber, bis sie die Stunde (des Todes) plötzlich überfällt, oder die Strafe des strengen Tages (des Gerichtstages) sie ereilt.“ 589) Diese Verse soll Mohammed in Mekka,
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588) Sura 9, Vers 130 u. 131. Diese Verse soll Zeid nach muselmännischer Tradition zuletzt bei Chuzeima gefunden haben. Wahrscheinlich setzte er sie dann in diese letzte oder wenigstens vorletzte Sura, weil er die frühern schon als geschlossen erklärt.
589) Sura 22, Vers 53-56. Hier muß jedoch bemerkt werden, daß manche diese ganze Sura für eine mekkanische halten, unter Andern auch Djalalein, welcher nur acht Verse ausnimmt, nämlich Vers 11 u. 12 und Vers 19-24. Abermals ein noch schlagenderer Beweis für die Unzuverlässigkeit der gelehrtesten Muselmänner in solchen Ort- oder Zeitbestimmungen. Die genannten acht Verse können wenigstens eben so gut in Mekka, als in Medina erschienen seyn; in den beiden ersten heißt es: „Es gibt Leute, die gleichsam am Rande zwischen Glauben und Unglauben stehen, geht es ihnen gut, so glauben sie, wo nicht, werden sie rebellisch, und rufen Götzen an, die weder nützen noch schaden können.“ In den sechs letzten heißt es: „Die Gläubigen und Ungläubigen streiten mit einander über Gott; diese werden einst in Feuer eingehüllt und mit siedendem Wasser begossen, daß ihr ganzer Körper zusammenschmilzt, dann werden sie immer von neuem wieder an eisernen Fesseln in die Hölle geführt, während jene im wohlbewässerten Paradiese umherwandeln, in Seide gekleidet, mit goldenen Armbändern und Perlen geschmückt.“ Diese Verse, wie man sie zu Hunderten in den anerkannt ältesten Suren findet, sollen medinensische seyn, während der 59., in welchem Gott denjenigen, welche ihres Glaubens willen auswandern, und dann sterben oder getödtet werden, einen großen Lohn verheißt, schon in Mekka erschienen seyn soll; eben so der 41. Vers, in welchem den Muselmännern die Erlaubniß gegeben wird, gegen die Ungläubigen zu kämpfen, was doch nach allen Biographen Mohammeds, wie es sich auch von selbst versteht, erst in Medina der Fall war. Weniger entscheidend sind die Verse, welche von der Pilgerfahrt handeln, denn wenn Mohammed sie auch erst später den Medinensern vorschrieb, so war sie ihm doch gewiß auch schon in Mekka heilig. Kann man aber Muselmänner tadeln, wenn ein Europäer (H. v. H. in den Wiener Jahrb. Bd. 69, S. 87) schreibt: „Die der Wallfahrt (die 22.) wurde im siebenten Jahre der Hidjrah, wo Mohammed dieselbe vollzog, gesendet.“ Da doch aus dem Gesagten hervorgeht, daß ein Theil derselben schon in Mekka, und ein anderer im zweiten Jahre der Hidjrah erschienen seyn mußte.
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kurz nach der ersten Auswanderung einiger Muselmänner nach Abyssinien geoffenbart haben, als er einen Vers, in welchem die Gottheiten der Kureischiten als vermittelnde Wesen anerkannt worden, zurücknahm.
Es bleiben uns nun von dem, was der Koranleser wissen muß, noch die Verse oder Suren, welche von Mekka nach Medina, und von Medina nach Mekka und Abyssinien gebracht wurden, und die widerrufenen zu erläutern übrig. Die Zahl der Ersteren dürfte schwer zu bestimmen seyn, denn da
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Mohammed noch über zwei Jahre nach der Huldigung der ersten Medinenser in Mekka blieb, so mochte er ihnen nach und nach den größten damals geoffenbarten Theil des Korans durch seine Missionäre zugesendet haben. Wichtig ist es uns aber, eine alte Tradition zu finden , welche die Sura Josephs 590) die Erste nennt, die Mohammed den acht ersten Hülfsgenossen vorlas, und dem Auf Ibn Alharth Ibn Afraa nach Medina mitgab. Diese Sura, welche die Geschichte Josephs von seinem Traume an bis zur Ankunft seines Vaters nach Egypten enthält, nicht gerade wie sie in der Bibel erzählt wird, sondern mit vielen Zusätzen und Veränderungen, die sie von den Rabbinen erhalten, mußte, vermöge ihres Stoffes sowohl, als der meisterhaften Darstellung jeden Zuhörer fesseln, und durch die Grundlehren des Islams, welche den handelnden Personen in den Mund gelegt werden, auf die angenehmste Weise belehren. Die unwissenden Araber sollten von dieser novellenartigen Sura
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590) Es ist die zwölfte Sura unseres Korans und die 50. nach obigem Verzeichnisse. Der Styl dieser Sura ist ganz einfach biblisch, ohne poetische Ausbrüche, ohne Hyperbeln, die Verse sind etwas länger, als die der frühern mekkanischen Suren, der Reim der letzten Worte der Verse ist aber doch nicht wie bei vielen spätern medinensischen an den Haaren herbeigezogen, sondern unterbleibt zuweilen, wo er sich nicht natürlich geben wollte. Diese Sura allein würde schon genügen, um Mohammeds vertrauten Umgang mit gelehrten Juden zu beweisen, denn es kommen darin, wie dieß schon Geiger a. a. O. S. 142 u. ff. dargethan, Entlehnungen aus rabbinischen Schriften vor, die Mohammed selbst gewiß nicht gelesen hatte, und die auch schwerlich im Munde des Volkes gang und gäbe waren. So z. B. die im 25. Verse ausgesprochene Meinung, daß Joseph eben so viele Neigung zu Potiphars Frau hatte, als sie zu ihm, ein Zeichen seines Herrn aber ihn von der Sünde abhielt. Ferner die schon erwähnte Einladung der vornehmen Damen, die sich dann bei dem Erscheinen Josephs in die Hand schnitten, das Verbot Jakobs an seine Söhne, nicht zusammen durch ein Thor in die Stadt zu gehen, daß Jakob durch eine Revelation wußte, daß Joseph noch beim Leben u. dgl. m.
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hingerissen und für deren Verfasser eingenommen werden, die mit der heiligen Schrift Bekannten aber, und besonders die Juden Medina‘s, sollten durch die Kenntniß, welche ein ungelehrter Mekkaner von dieser alten Geschichte hatte, überzeugt werden, daß sie ihm Gott geoffenbart 591), und zugleich daraus entnehmen, daß von einem solchen ihre eigene Tradition bestätigenden Propheten ihrem Glauben keine Gefahr bevorstehe 592). Dieser Sura soll er nur noch folgende Verse beigefügt haben: „Sprich! Gott ist einzig und allmächtig, er hat nicht gezeugt und ist nicht gezeugt worden. Niemand kann ihm zur Seite gestellt werden.“ 593) „Sprich! ich bin zu euch allen von Gott gesandt, dem das Reich der Himmel und der Erde gehört; es gibt keinen Gott außer ihm; er belebt und tödtet. Glaubet an Gott und an seinen Gesandten, den ungelehrten Propheten, der auch an Gott glaubt und an seine Worte. Folget ihm, damit ihr nicht irre gehet!“ 594)
Von Medina nach Mekka wurden die schon erwähnten Verse gebracht, welche den Krieg während der vier heiligen Monate gegen die Ungläubigen erlauben, ferner zur Entscheidung eines Processes vor dem Statthalter von Mekka zwischen einem
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591) Diese Absicht Mohammeds spricht sich ganz klar im 4. Verse aus, welcher lautet: „Wir wollen in dem Koran, den wir dir offenbaren, die schönste Geschichte erzählen, obschon du bisher zu den Unwissenden gehörtest.“ Noch deutlicher im 102.: Diese Geschichte (Josephs) gehört zu den geheimnißvollen Begebenheiten, die wir dir geoffenbart haben, denn du warst doch nicht bei ihnen (den Brüdern Josephs), als sie ihr listiges Unternehmen beschlossen.
592) Joseph sagt zu dem Mundschenk im 38. u. 39. Verse, was natürlich ganz auf Mohammed angewendet werden soll: ich habe die Religion eines ungläubigen Volks aufgegeben, und hänge dem Glauben Abrahams, Isaks und Jakobs an. Auch heißt es im letzten Vers: „In den Erzählungen der Gesandten Gottes liegt Belehrung für die Verständigen, sie sind nicht erdichtet, sondern bestätigen frühere Offenbarungen.“
593) Sura 112.
594) Sura 7, Vers 159.
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Schuldner und seinem Gläubiger, der ebenfalls schon erwähnte Vers, welcher den rückständigen Zins für verschollen erklärt; ferner die auch schon angeführten ersten Verse aus der Sura der Buße, welche Ali am Pilgerfeste den Mekkanern bekannt machte. Auch folgenden Vers soll Mohammed, wahrscheinlich um seine Anhänger in Mekka zu überzeugen, daß ihre Befreiung von ihm sehnlich gewünscht wird, nach Mekka gesandt haben: „Warum kämpfet ihr nicht für Gottes Sache und für die schwachen Männer, Frauen und Kinder, die da sagen: o unser Herr! führe uns aus dieser Stadt, deren Bewohner Frevler sind, und sende uns einen Freund und Beschützer aus deiner Nähe!“ 595)
Nach Abyssinien sollen endlich folgende Verse zur Bekehrung des Nadjaschi gesandt worden seyn:
„Sprich, o ihr Schriftbesitzer! kommet herbei zu einem Worte, das gleich sey zwischen uns und euch: daß wir nämlich nur Gott anbeten und ihm keinen Genossen beigesellen, und nicht ein Mensch den andern außer Gott zum Herrn nehme, geben sie euch kein Gehör, so saget (ihnen): bezeuget, daß wir Gott ergeben sind. O ihr Schriftbesitzer! warum streitet ihr über Abraham (ob er Jude oder Christ war), ist doch die Tora und das Evangelium erst nach ihm gesandt worden. Ihr, die ihr mit einander streitet über Dinge, von denen ihr Kenntniß habt (über Moses und Christus), warum streitet ihr über Dinge, von denen ihr keine Kenntniß habt? (die Abraham betreffen) Gott weiß, was ihr nicht wisset. Abraham war weder Jude, noch Christ, sondern ein Rechtgläubiger, ein Gott Ergebener, und gehörte nicht zu den Götzendienern. Wahrlich, diejenigen stehen Abraham am nächsten, die ihm folgten, und dieser Prophet (Mohammed) und diejenigen, die an ihn glauben; Gott ist der Schutzherr der Gläubigen. Manche Schriftbesitzer wünschen euch irre zu führen, aber sie führen sich selbst irre, ohne es zu wissen.“ 596)
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595) Sura 4, Vers 73.
596) Sura 3, Vers 63-68. Es ist aber schon bemerkt worden, daß viele Interpretatoren behaupten, der erste dieser sechs Verse sey erst nach der Rückkehr der Muselmänner aus Abyssinien erschienen (vergl. Anm. 309).
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Was die widerrufenden und widerrufenen Verse angebt, mit denen der Autor, dem wir bisher gefolgt sind, die Zahl der Schwierigkeiten beschließt, die dem Leser des Korans begegnen, so werden sie in drei Klassen eingetheilt: in solche, die im Koran erhalten wurden, obschon ihr Inhalt durch andere Stellen aufgehoben ward, wie das schon erwähnte Verbot für Mohammed noch mehr Frauen zu heirathen, in solche, die weggenommen wurden (verloren gingen?) obschon das, was sie enthielten, noch gesetzliche Gültigkeit hat, wie der ebenfalls schon angeführte Vers demzufolge Ehebrecher gesteinigt werden sollen, und drittens in solche, die schon beim Leben Mohammeds, dem Buchstaben und dem Inhalte nach, zurückgenommen wurden 597). Letzteres Geständniß aus dem Munde orthodoxer
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597) Abd Allah Ibn Masud erzählt: „Eines Tages las mir Mohammed einen Koransvers vor; ich lernte ihn auswendig und schrieb ihn in mein Heft. Dieser Vers wich mir die ganze Nacht nicht aus dem Sinne; als ich aber des Morgens ihn wieder im Hefte nachlesen wollte, fand ich das Blatt, auf das ich ihn geschrieben hatte, ganz weiß (unbeschrieben), ich benachrichtigte den Gesandten Gottes davon, und er sagte mir: dieser Vers ist gestern wieder zurückgenommen worden“ (Maraccius de Alcorano, p. 42). Da aber Mohammed derartige Verse nicht nur aus dem Koran nahm, sondern auch befahl, daß man sie nicht weiter auswendig lerne (widerrufen, heißt es bei Ch., bisarfi-l-kuluba an hafziha), so sind sie natürlich nicht auf uns gekommen. Doch erwähnt Ch. ein Beispiel davon. „Uns erzählt: Gott, der Erhabene hatte in Betreff derjenigen, welche am Brunnen Mauna getödtet wurden, den Vers herabgesandt: Bringet unsern Leuten Nachricht von uns! (saget ihnen) daß wir zu unserem Herrn gekommen sind, daß er an uns Wohlgefallen gefunden und wir an ihm.“ Dieser Vers ward aber wieder zurückgenommen. Dasselbe findet man auch in einer Glosse zu S. fol. 168 aus dem Sahih, wozu dann bemerkt wird, daß eigentlich nur das Lesen dieses Verses zurückgenommen ward, denn von der Nachricht, welche den Inhalt des Verses bildet, läßt sich kein Aufheben denken (weil sich natürlich nicht behaupten läßt, daß die Nachricht unwahr war, während ein Gesetz, für eine bestimmte Zeit gut seyn und dann durch ein noch Besseres ersetzt werden konnte). Derselbe Glossator führt noch folgenden Vers als einen zurückgenommenen an: „Besitzt ein Mensch ein Thal voll Gold, so wünscht er sich ein zweites, nichts füllt den Leib (nach anderer Leseart, die Augen und den Mund) des Menschen, als Staub (das Grab), doch Gott nimmt die sich Bekehrenden gnädig auf.“ Dieser Vers soll der 26. der 10. Sura gewesen seyn. Mohammed mochte ihn als einen mißlungenen zurückgenommen haben, da weder ein Thal voll Gold, noch ein Bauch voll Erde glücklich gewählte Bilder sind, ersteren Vers aber, mit dem er vielleicht die Verwandten der Ermordeten bei der ersten Kunde tröstete, weil er es später für unpassend finden mochte, eine Offenbarung von Verstorbenen, statt von Gott selbst erhalten zu haben, denn wenn auch der fromme Uns sagt: „Gott sandte den Koransvers u. s. w.,“ so spricht doch im Verse selbst nicht Gott oder der Engel Gabriel, sondern die Erschlagenen selbst reden Mohammed an.
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Muselmänner ist für die Kritik des Korans sehr wichtig, und erklärt am besten, wie das Wort Koran in den ältesten Suren vorkommen kann, wo nach muselmännischer Tradition kaum ein Dutzend kleine Kapitelchen von einigen Versen erschienen war 598). Ja selbst die nach muselmännischer Tradition zuerst
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598) Schon Maraccius (de Alcorano p. 41) führt mehrere Verse aus ältern mekkanischen Suren an, in denen das Wort Koran vorkommt. Er geht aber zu weit, wenn er daraus folgert, daß ein ganzes Koran genanntes Buch vollendet gewesen seyn müsse. Die Unrichtigkeit dieser Behauptung geht am deutlichsten aus dem 33. Verse der 25. Sura hervor, in welchem die Ungläubigen sagen: warum wird der Koran nicht auf einmal gesandt? und ihnen geantwortet wird, daß bei dessen fragmentarischer Erscheinung er sich um so fester in das Herz prägt. In dem Worte Koran liegt gewiß nicht der Begriff eines geschlossenen Buches, eben so wenig in dem Worte Kitab; wenn aber in den frühesten Suren der Koran gepriesen wird und die Ungläubigen zur Hölle verdammt werden, weil sie ihn für keine göttliche Offenbarung halten, so läßt sich nicht denken, daß darunter nur die uns bekannten vorangegangenen Suren zu verstehen seyen, obgleich gewiß das Wort an sich nur Lesung oder Vorlesung bedeutet. Letztere Bedeutung hat es offenbar im 17. und 18. Vers der 75. Sura, welcher lautet: „Bewege deine Zunge nicht, um damit zu eilen, denn uns liegt dessen Sammlung und Vorlesung ob, wenn wir dir ihn vorgelesen haben, dann ließ du ihn nach.“ In diesen merkwürdigen Versen, deren Inhalt auch im 112. der 20. Sura wiederholt wird, läßt sich Mohammed vom Engel Gabriel sagen, er soll das, was ihm geoffenbart wird, nicht zu schnell lesen, sondern warten, bis die Offenbarung ein Ganzes bildet. Nach Djalalein sagt ihm Gott: fürchte nicht, wenn du nicht gleich die Offenbarung leise nachsprichst, sie bis zu deren Vollendung zu vergessen, denn wir werden schon dafür sorgen, daß dein Herz ihn als Ganzes auffasse und fließend vorlese. Wichtig wäre es, die Zeit der Sendung dieser Verse bestimmen zu können, denn man mag sie nach Djalalein deuten, oder nach meiner natürlichern Uebersetzung, derzufolge an eine schriftliche Offenbarung gedacht werden müßte, welche Mohammed nicht eher lesen sollte, bis sie ihm der Ueberbringer (der Engel) vollständig mitgetheilt und vorgelesen, so charakterisiren sie Mohammed als einen mit Absicht Täuschenden oder Getäuschten. Es liegt darin entweder eine erkünstelte Naivität, darauf berechnet, den Leser zu überzeugen, daß er wirklich seinen Koran vom Himmel empfängt, oder, was nicht unmöglich wäre, wofür auch noch manche andere Koransstellen sprechen, und selbst die Tradition, welche ihm Gabriel in Dihja's Gestalt erscheinen läßt, irgend ein Mensch trieb zuweilen sein Spiel mit ihm, natürlich aber noch in der ersten Zeit, wo Mohammed wirklich an seinen unmittelbaren Verkehr mit dem Himmel glaubte. Die 75. Sura (die der Auferstehung) gehört zwar ohne Zweifel zu den ältesten mekkanischen, aber die angeführten Verse mit dem 19., welcher lautet: „An uns ist es ihn zu erklären,“ sind offenbar eingeschoben, und unterbrechen den Zusammenhang zwischen dem vorhergehenden und dem folgenden. Schon Maraccius sagt in den Noten zu diesen Versen: „Quid, ore, haec cum praecedentibus et sequentibus?“ Eben so abgerissen erscheinen der 111. und 112. Vers der 20. Sura.
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gesandten Verse: „Lies im Namen deines Herrn u. s. w.,“ deuten auf etwas gleichzeitig Geoffenbartes, zu Lesendes hin,
Leben Mohammeds.
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was auch die ältesten Muselmänner schon gefühlt haben, indem sie deßhalb zum ersten Male den Engel Gabriel mit einem seidenen Tuche erscheinen lassen, auf welchem diese Verse geschrieben waren. Vielleicht wäre die Zahl der sich widersprechenden Verse noch größer, wenn Mobammed nicht bei seinem Leben noch manche widerrufene zernichtet, und Denen, die sie auswendig gelernt, befohlen hätte, sie wieder zu vergessen. Ohne Zweifel that er auch später sein Mögliches, um seine ersten Revelationen, welche ihm von Seiten der Mekkaner die Beinamen „Dichter, Besessener und Wahrsager“ zuzogen, wieder in Vergessenheit zu bringen. Eigentliche Gedichte nach den Regeln der arabischen Prosodie finden sich in unserem Koran keine mehr, wohl aber noch manche heftige Ausbrüche einer wilden Phantasie, welche die nüchternen Kaufleute Mekka's für kein Erzeugniß eines gesunden menschlichen Gehirns, und selbst die für Poesie empfänglicheren für keine göttliche Offenbarung halten konnten, da es selbst den gelehrtesten, gläubigen Commentatoren nicht immer gelang, einen befriedigenden Sinn herauszufinden. Größer ist aber noch die Zahl der Koransverse und ganzer Suren, in denen sich Mohammed ganz nach der Schreibart der Wahrsager Arabiens in kurzen rhythmischen Sätzen ausdrückt 599).
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599) Hier nur ein Beispiel aus Masudi in den mém. de l‘acad. des inscript. T. 48, p. 693 u. ff., da schwört die Priesterin oder Wahrsagerin Zarifa, welche die Ueberschwemmung von Mareb voraussagt: „Bei dem Licht und der Finsterniß, bei der Erde und dem Himmel, die Bäume verdorren, das Wasser strömt wieder einher, wie in frühern Aeonen . . . . Eine Drohung ist von Allah gekommen, Trug verschwindet, furchtbare Rache trifft uns, möchtest du (Omar) ihr doch entgehen!“ Gerade so schwört Mohammed in den ältesten Suren, bei der Sonne, bei der Nacht, bei den Sternen, der Tag des Gerichts naht heran u. dgl. Manche Schwüre Mohammeds nehmen sich indessen im Munde Gottes nicht sehr gut aus, so z. B.: „Bei den Feigen und Oliven und dem heiligen Lande, der Mensch ist auf die vollkommenste Weise geschaffen!“ Bei den fliegenden Rossen (oder Kameelen) mit rauschendem Schnauben, bei den Stampfenden, Feuersprühenden, bei den des Morgens wetteifernd auf den Feind stürmenden, den Staub aufjagend und die Schaaren durchbrechend, der Mensch ist undankbar gegen seinen Schöpfer!“
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Die Spottnamen der Mekkaner „Dichter, Wahrsager und Besessener“ 600) mochten Mohammed bewogen haben, nicht nur seiner glühenden Einbildungskraft Einhalt zu thun, sondern auch eine Form zu wählen, die ihn sogar von den Wahrsagern unterscheide, und daher wahrscheinlich die Ungleichheit in den frühern und spätern Suren in Betreff der Darstellung, selbst bei voller Gleichheit des Stoffes 601). In dem Maaße aber, als Mohammed von der zuerst angenommenen Schreibart abweicht, wird er auch weniger poetisch. Die Sätze werden immer länger, der Rhythmus immer spärlicher, gesucht und hart, und schon in Mekka sinkt Mohammed häufig zu einer matten Prosa herab, welche der an den Haaren herbeigezogene Reim durch die immer wiederkehrenden, am Schlüsse der Verse angehängten Worte: „Gott ist gnädig, möchtet ihr doch verständig werden! Gott ist allwissend, die Sünder trifft schwere Pein“ u. dgl., mehr entstellt als ziert.
Den auffallenden Unterschied in der Darstellung zwischen den mekkanischen und medinensischen Suren erklären aber auch zum Theil schon die Veränderungen, welche in Mohammeds Innerem sowohl, als in seinen äußeren Verhältnissen, nach dessen Auswanderung vorgegangen sind. Den Götzendienern Mekka's gegenüber, wird Mohammed von dem einzigen allmächtigen und allgerechten Allah so lebendig ergriffen, daß nicht nur seine Gedanken ernst und erhaben, sondern auch seine Sprache frisch und blühend, und sein Ausdruck edel und kraftvoll wird. Gottes Schöpferkraft erschließt
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600) Vergl. Sura 52, Vers 29, 30. Sura 21, Vers 5 und Sura 68, Vers 3 und 52.
601) Man vergleiche z. B. nur die Darstellung von der Geburt Maria's und Jesu's in der 19. mekkanischen Sura (Vers 1-35) mit der in der 3. medinensischen Sura (Vers 35-57).
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seinem poetischen Geiste alle Wunder der Natur. Die Erde mit Allem, was sie hervorbringt, der Himmel mit seinen leuchtenden Körpern, die unendliche See mit ihren Schiffen werden als Werke des einzigen Gottes geschildert. Auf diesem Gebiete kann er häufig einem Jesaias würdig zur Seite gestellt werden, denn hier war er von dem, was er vortrug, nicht nur überzeugt, sondern wirklich begeistert. Wer wird in folgenden Versen, wenn sie auch keinen Anspruch auf Eigenthümlichkeit machen können, nicht ein frommes, von Gott durchdrungenes, Gemüth erkennen!
„Gott spaltet den Samen und die Kerne, bringt Leben aus dem Tode und Tod aus dem Leben hervor; das ist (der wahre) Gott, wie könnt ihr so blödsinnig seyn? Er läßt die Morgenröthe hervorbrechen, setzt die Nacht zur Ruhe ein, Sonne und Mond zur Zeitrechnung. Das sind Bestimmungen des Erhabenen, Allweisen. Die Sterne hat er geschaffen, als Leitung in der Finsterniß, für das trockene Land und das Meer. Solche klare Zeichen haben wir für Verständige gegeben. Er ist es, der euch aus einem Menschen geschaffen und (der Leibesfrucht) einen sichern Ruheplatz angewiesen. Die Nachdenkenden finden hierin ein klares Zeichen. Er ist es, der Wasser vom Himmel herabsendet, durch das allerlei Pflanzen hervorsprossen, alles Grüne, dicht verwachsenes Korn, Palmbäume mit schwer beladenen Zweigen, Gärten mit Trauben, Oliven und Granatäpfeln aller Art. Beobachtet nur diese Früchte wie sie wachsen und heranreifen, sie sind Zeichen genug für ein gläubiges Volk.“ 602)
Einen eben so reichen Stoff zur Entfaltung seines dichterischen Talents findet Mohammed in der Lehre von der Gerechtigkeit Gottes, an die sich die von dem jüngsten Gerichte, von dem Paradiese und der Hölle anschließen 603).
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602) Sura VI. Vers 96-100.
603) Mohammeds oder des Korans Lehren von der Auferstehung, dem jüngsten Gerichte, von der Hölle und dem Paradiese systematisch zu ordnen, wäre eine sehr schwierige Aufgabe, da erstens es unmöglich ist, rein poetische Ausschmückung von dogmatischen Satzungen zu unterscheiden, und dann auch hier wie überall im Koran es nicht an Widersprüchen fehlt. So werden z. B. gleich in der folgenden Sura drei Klassen Menschen angegeben, nämlich 1) ausgezeichnete Heilige und Propheten; 2) gewöhnliche Gläubige und 3) Sünder, während in der siebenten Sura (Vers 47, 48) noch eine andere Klasse angenommen wird, aus solchen Menschen bestehend, deren fromme Handlungen den Schlechten gleich sind, und denen ein Zwischenraum zwischen der Hölle und dem Paradiese als Wohnort angewiesen wird. Im Allgemeinen unterliegt es keinem Zweifel, daß Mohammed auch hierin sich von Juden belehren ließ, dazu aber noch manches von den Magiern entlehnte, und das Ganze nach seiner eigenen Individualität und mit Rücksicht auf die vorherrschende Sinnlichkeit der Araber darstellte, obschon an einigen Stellen des Korans auch ein Schimmer von reineren geistigen Genüssen im Angesichte des Herrn durchblickt. Die Mohammedanische Dogmatik, wie sie die spätern Theologen ausgebildet, findet man unter andern bei Muradgea d'Ohsson im 1. Bande, und das Wesentlichste bei Lane I. p. 70-76.
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Hier überflügelt seine Einbildungskraft noch alles, was er von talmudischen Sagen gehört, und er gefällt sich eben so gut in der Beschreibung der tausendfachen Qualen, welche den Sünder treffen, als in der Schilderung der Genüsse und Freuden, welche dem Gläubigen zu Theil werden. Minder groß und erhaben bewegt er sich aber auf diesem Gebiete, weil er sich zu sehr ins Einzelne verliert, und seinen Pinsel zu tief in sinnliche Farben taucht. Folgende Sura zeigt ihn in seiner ganzen arabischen Persönlichkeit als Drohender und Verheißender, wie er sich selbst häufig nennt:
„Wenn der Auferstehungstag eintritt, wird ihn niemand mehr läugnen, er erniedrigt (den einen) und erhebt (den andern), die Erde wird erschüttert, die Berge werden zerbröckelt und zerfliegen in Staub, die Menschen in drei Klassen getheilt: Gefährten der Rechten 604), (wie selig werden die Gefährten
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604) Unter Gefährten der Rechten und der Linken versteht man solche, denen am Tage des Gerichts das Buch, in welchem alle ihre Handlungen aufgezeichnet sind, in die rechte oder linke Hand gegeben wird. Vergl. Sura 69, Vers 19 u. 25.
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der Rechten!) Gefährten der Linken (wie unglückselig werden die Gefährten der Linken!) und die Ersten, die allen (im Guten) vorangegangen. Diese stehen Gott am nächsten in wonnevollen Gärten. Die meisten gehören einer frühern Zeit an, wenige nur der spätern. Sie sitzen einander gegenüber, auf golddurchwirkten Polstern. Unsterbliche Jünglinge umgeben sie mit Kannen, Kelchen und Bechern voll Wein, der weder Schwindel hervorbringt, noch den Verstand trübt, mit Früchten, die ihnen am besten schmecken und Geflügel je nach Lust. Auch Jungfrauen mit großen schwarzen Augen, (so rein) wie verschlossene Perlen, (besitzen sie) zum Lohn für ihre Werke. Da hören sie weder ein schlüpfriges Wort, noch eine Klage, nichts als: Heil! Heil! Und die Gefährten der Rechten (wie selig werden die Gefährten der Rechten!) unter dornenlosen Lotus- und schwerbeladenen Bananenbäumen, in unvergänglichen Schatten, bei immer fließendem Wasser und nie mangelnden Früchten, auf erhöhten Betten gelagert. Für die Gefährten der Rechten haben wir liebliche Huri geschaffen, die stets Jungfrauen bleiben, und wie sie nie altern. Viele der frühern und viele der spätern Zeit gehören zu dieser Klasse. Und die Gefährten der Linken, (wehe den Gefährten der Linken!) in glühendem Winde, siedendem Wasser und im Schatten schwarzer Rauchwolken, häßlich anzusehen und ohne Kühlung. Denn sie haben schon vorher (in dieser Welt) ihren Gelüsten gelebt und sind in der größten Sünde verharrt. Sie haben gesagt: wenn wir gestorben und nur noch Knochen und Staub sind, sollen wir dann wieder auferstehen? oder gar noch unsere ältesten Väter? Sprich! wahrlich die frühern und die spätern werden an dem bestimmten Tage zusammengerufen. Dann werden die Verirrten, welche die Propheten Lügner genannt, sich vom Baum 605) Zakum den Bauch anfüllen, und wie ein
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605) Von diesem Baume heißt es Sura 37, Vers 65 u. ff.: „Es ist ein Baum, der dem Boden der Hölle entsprießt und Früchte trägt wie Teufelsköpfe, die Sünder füllen sich den Bauch davon, dann wird ihnen ein siedend heißer Trank darauf gereicht.“ Eben so Sura 44, Vers 42 u. ff.: „Der Baum Zakum ist die Speise der Sünder, der, sie brennt im Leibe wie kochendes Wasser und siedendes Oel.“ Auch im Talmud ist die Rede von zwei dem Thale Hinnom entsprießenden Dattelpalmen, zwischen denen Rauch hervorgeht und die den Eingang der Hölle bilden. Als Seitenstück zu diesem Höllenbaume hat Mohammed wahrscheinlich sein Paradies mit Bananen- und Lotusbäumen bepflanzt. Außer dem Höllenbaume hat Mohammed noch theils aus dem rabbinischen, theils aus dem alttestamentlichen Judenthume entlehnt: die schon erwähnte Zwischenmauer zwischen Paradies und Hölle, die sieben Abtheilungen und Pforten der Hölle, die Personifikation derselben, so daß sie gewissermaßen heißhungrig nach den Sündern den Rachen aufsperrt; (Sura 50, Vers 28) die furchtbaren Naturerscheinungen, welche dem Weltgerichte und der Auferstehung vorangehen, die Verwüstung der Erde durch die Völker Jadjudj und Madjudj, die Anklage der eigenen Glieder des Sünders gegen ihn (Sura 41, Vers 20) und die Verbindung der körperlichen Auferstehung mit dem Gerichtstage. (Vergl. Geiger, S. 67-80). Schon bei diesen Theilen des Korans, noch mehr aber bei den Erzählungen von den frühern Propheten mußten die Mekkaner auf den Gedanken kommen, daß jemand Mohammed helfe, und daß er nur alte Geschichten auftische (Sura 25, Vers 4, 5. Sura 16, Vers 103). In letzterem Verse widerlegt sie Mohammed dadurch, daß die Person, welche sie damit meinen, eine fremde Sprache rede, während der Koran rein arabisch ist; damit wird aber nur ein eigentliches Dictiren, nicht eine Angabe des Inhalts widerlegt.
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dürstendes Kameel über kochendes Wasser herfallen; das ist ihre Bestimmung am Tage des Gerichts.“ 606) Neben der Schilderung der göttlichen Attribute und den Ermahnungen, ihn sowohl seiner selbst willen, als um vor der
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606) Sura 56, Vers 1-58. Vergl. dazu die schon angeführte Sura in der 509. Anmerk. Zu diesen oft wiederkehrenden Schilderungen fehlen nur noch die reichen Kleider aus grüner, golddurchwirkter Seide, ein weites Zelt mit Perlen, Hyacinthen, Smaragd und andern Edelsteinen, und eben so kostbare Schüsseln, Schalen und sonstige Speisegeräthschaften.
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Pein der Hölle befreit und der Seligkeit Edens theilhaftig zu werden, ohne Genossen anzubeten, nehmen noch die Geschichte und Legenden der ältern Propheten, die bald mit mehr, bald mit weniger Treue an die jüdische und christliche Ueberlieferung dargestellt werden, einen ziemlich großen Raum in den mekkanischen Suren ein. Mohammed will durch diese anmuthigen Erzählungen, theils das Volk anziehen, theils seine Sendung einleiten und erklären, häufig aber auch durch das Schicksal früherer ungläubiger Völker die Götzendiener Mekka‘s vor der Strafe des Himmels warnen. Diese Theile des Korans, welche meistens in die letzten fünf Jahre seines Aufenthalts zu Mekka zu setzen sind, enthalten zwar mitunter noch wahrhaft poetische Stellen, doch merkt man wohl eine Abnahme der dichterischen Kraft, auch häufig eine große Anstrengung, des fremdartigen, von Juden und Christen erhaltenen Stoffes Meister zu werden.
Während aber in Mekka in der ersten Zeit das poetische und in der spätern das prophetische vorherrschend war, so tritt in Medina, wo er nicht mehr ein verfolgter Neuerer, sondern das Oberhaupt einer politischen und religiösen Parthei war, mehr das oratorische Element in den Vordergrund. Mohammed ist zwar ein eben so großer Redner als Dichter, aber allzu sehr an das Positive gefesselt, kann er sich nicht mehr frei genug bewegen. Er muß auch bei dem eintretenden Mangel an eigener Ueberzeugung, wenn er sich noch über das Gewöhnliche erheben will, den innern Drang durch erkünstelte Belebtheit, tiefgefühlte Wahrheit durch leere Sophismen ersetzen, man merkt es seiner Schreibart wohl an, daß seine Gedanken nicht mehr aus einem warmen Herzen hervorsprudeln, sondern Erzeugung des kalten Verstandes sind. Die Polemik gegen die halben und ganzen Juden Medina‘s, so wie gegen die Christen Arabiens war nicht so leicht zu führen, als gegen die Heiden Mekka‘s. Den Juden weiß er nichts vorzuwerfen, als daß sie Esra und die Rabbinen, und den Christen, daß sie Jesus wie Götter verehren; da aber nach seinem eigenen Geständnisse dieß keine in den beiden Religionen
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selbst begründeten Irrthümer sind, so hätte er sich mit der Wiederherstellung des reinen Juden- oder Christenthums begnügen müssen. Aber zu dieser Zeit war er nicht mehr ein schwacher Sünder, den Gott selbst noch häufig ermahnen muß die betretene Bahn nicht zu verlassen 607), nicht mehr ein Prophet, der blos gesandt ist, um Juden- und Christenthum zur Naturreligion Abrahams zurückzuführen, sondern er wollte ein neuer politischer und religiöser Gesetzgeber seyn, der letzte und vorzüglichste, den Gott den Menschen gesandt. Jetzt konnte er, aus Furcht sich selbst zu verrathen, nicht nur wenn er positive Gegenstände behandelte, sondern selbst, wo er auf frühere Thema‘s zurückkam, nicht mehr den Eingebungen des Gemüths folgend, seiner Rede ihren natürlichen Lauf lassen; jetzt mußte alles vorher überdacht und berechnet werden, denn er war nicht mehr vom Geiste Gottes, sondern von seinem eigenen Ich getrieben. Wir bedürfen, um dieß zu behaupten, nicht der Koransverse, die er im Namen des Himmels verkündet, um die Unschuld seiner Gattin zu beweisen, um die entlassene Frau seines Adoptivsohnes zu heirathen, um sein Harem nach Belieben zu vergrößern, oder um einen größern Antheil an der Beute zu haben. Der erste Blutstropfen, der in seinem Namen in den heiligen Monaten vergossen ward, bezeichnet ihn als einen Menschen, in welchem irdischer Schlamm die heilige Flamme des Prophetenthums erstickt. Mochte er auch wie Moses und wie viele mitunter aufrichtige Christen zur
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607) So heißt es z.B. Vers 88. der 15. Sura: „Sieh nicht nach den Annehmlichkeiten hin, die wir einigen von ihnen (den Mekkanern) gegeben, betrübe dich ihretwillen nicht, und senke deine Flügel (Schutz) über die Gläubigen herab,“ dann Vers 94 und 95: „Verkündige nur laut, was dir befohlen wird, und bleibe fern von den Götzendienern, wir schützen dich gegen die Spötter.“ Sura VII. Vers 205: „Gedenke Gottes in deinem Innern, fürchte ihn und flehe ihn an im Stillen, des Morgens und des Abends, und sey nicht von den Leichtsinnigen!“ Vergl. auch Sura 68, Vers 9 u. ff.
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Vertilgung der Ungläubigen im Namen Gottes den Krieg predigen, mochte er sich sogar auch, den Sitten seines Landes gemäß, berechtigt halten, einzelne Mordthaten gegen seine Feinde, weil sie auch die des Islams waren, anzuordnen, so durfte er doch die heiligen Monate, welche er selbst später wieder zu heben suchte, nicht ohne vorhergegangene Erklärung und besondere Offenbarung, durch Raub und Mord auf verrätherische Weise entweihen lassen. Diese Offenbarung und öffentliche Erklärung fand aber, selbst nach dem Geständnisse seiner orthodoxesten Biographen, erst nach dem Zuge Abd Allahs Ibn Djahsch statt, den er selbst angeordnet. Die sonderbare, geheimnißvolle Sendung, mit einem versiegelten, erst nach einigen Tagen zu erbrechenden, zweideutigen Briefe, kurz alle nähern Umstände dieses von uns ausführlich beschriebenen Zuges beweisen, daß er sich seines eigenes Unrechts bewußt war, daß er um diese Zeit nicht mehr nach Gottes, sondern nach seinem eigenen Willen handelte. Aber auch schon in der Surat Joseph, welche bei den Muselmännern, was auch ziemlich gewiß ist, für eine mekkanische gilt, erkennen wir in Mohammed einen Menschen, der durch Unwahrheit sich als Propheten geltend zu machen sucht. Er konnte die Geschichte Josephs, wie er sie erzählte, nur in jüdischen Büchern gelesen (was höchst unwahrscheinlich ist) oder von einem schriftgelehrten Juden gehört haben, und doch behauptet er nicht nur sie durch eine göttliche Offenbarung empfangen zu haben, was sich allenfalls noch wie bei manchen anderen Erzählungen auf seine eigene Darstellung, Auffassung und Anwendung derselben beziehen ließe, sondern (da wahrscheinlich in Mekka sein Umgang mit Juden geheim war) gibt sogar seine genaue Kenntniß dieser Geschichte, „die er doch nicht mitgelebt,“ als einen Beweis seiner himmlischen Sendung 608). Hier ist keine Selbsttäuschung durch Traum, Vision oder wahre Begeisterung denkbar; hier ist für den Unbefangenen offenbare Unwahrheit, die sich nur dadurch, daß die Verbreitung des Glaubens damit bezweckt werden sollte, einigermaßen entschuldigen läßt.
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608) Vergl. Anmerk. 591.
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Da wir aber, wenn wir der erwähnten Tradition, welche Mohammed diese Sura den ersten Muselmännern Medina's mitgeben läßt, keinen Glauben schenken, nicht wissen, wann sie erschien, und es überhaupt schwer ist bei den mekkanischen Suren, die wenig Thatsachen, keine positiven Gesetze, nur allgemeine Dogmen, Drohungen, Verheißungen und Legenden enthalten, die Zeit ihrer Erscheinung genau zu bestimmen, auch, wie wir gesehen haben, einzelne Verse nicht für die Zeitbestimmung der ganzen Sura maßgebend sind, so läßt sich auch der Moment nicht angeben, wo Mohammed mit Bewußtsein, doch vielleicht noch aus edlen Zwecken, sein eigenes Wort an die Stelle von Gottes Wort setzte. In Medina aber, wo er nicht mehr leidend, sondern handelnd auftritt, stempeln ihn seine Satzungen nicht minder, als seine Thaten, zu einem schwachen, leidenschaftlichen, inkonsequenten, zwar schlauen, doch häufig kurzsichtigen Menschen und Gesetzgeber. Zuerst schmeichelt er den Juden und sucht sich ihnen durch verschiedene Vorschriften zu nähern, dann widerruft er, was er zu ihren Gunsten verordnet und wird ihr bitterster Feind. Die Einen begnadigt er, weil er Abd Allah fürchtet, die Andern läßt er im Namen Gottes niedermetzeln. Heute beschränkt er die Polygamie, morgen überschreitet er selbst die im Namen Gottes gesetzten Schranken; wird Jemand getödtet oder am Körper verletzt, kann der Thäter je nach dem Willen der Verwandten des Ermordeten oder des Verwundeten durch Geld sein Verbrechen büßen, während dem Dieb ohne Gnade die Hand abgehauen wird. In den kritischen Momenten seines Privat- und öffentlichen Lebens sucht er, statt selbst ein entscheidendes Wort zu reden, bei Andern Rath, den er zuweilen sogar, gegen seine eigene Ueberzeugung befolgt, wie bei Ohod, wo er gegen seinen Willen auszog, bei der Belagerung Medina's, wo er einen Separatfrieden zu schließen wünschte, und bei Taïf, wo er, nach einigen Berichten, den Befehl zum Sturme gab, obgleich er wohl wußte, daß er keinen Erfolg haben würde. Den größten Beweis von Schwäche lieferte er noch dadurch, daß
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er keine bestimmte Verfügung über seine Nachfolge traf, und so gleichsam den Untergang des Reichs bereitete, das er selbst gegründet. Es ist leicht möglich, daß er mit sich selbst darüber nicht einig war; sein Herz zog ihn wahrscheinlich zu Ali, dem Gatten seiner geliebten Tochter hin, sein Verstand aber zu dem von dem kräftigen Omar unterstützten Abu Bekr, welcher zum Regieren fähiger war, als der allzu offene und redliche Ali.
Mohammed konnte ohne ausgezeichnete Geistesgaben in Mekka von vielen für einen Propheten gehalten werden, weil der Glaube, den er predigte, reiner war, als der grobe Götzendienst der Mekkaner. Seine einnehmende Persönlichkeit, seine hohe Beredtsamkeit, seine beispiellose Freigebigkeit, seine Aufopferung für seine Freunde und die Unterstützung, die er Armen, Sklaven und Verstoßenen angedeihen ließ, mußte die Zahl seiner Anhänger vermehren und zu gedankenlosen Geschöpfen seines Willens machen. Die Ausdehnung seiner Macht in Medina verdankt er aber der Blutsverwandtschaft mit den Ausiten, der Aussicht auf Beute für die, welche sich unter seine Fahne stellten, der Uneinigkeit der Araber unter sich selbst, seiner Schmiegsamkeit und Schlauheit, mehr als wahrer Geistesgröße, kriegerischem Talente oder gar persönlicher Tapferkeit. Kein Mittel war ihm zu schlecht, um sich eines Feindes zu entledigen, oder unter seinen Widersachern Zwietracht zu stiften. Seine große Kunst bestand darin, daß während er stets von allem, was in der Nähe und der Ferne vorging, unterrichtet zu werden suchte, er seinen Feind plötzlich zu überraschen wußte, daher er auch seinen eigenen Leuten nur bei dem Feldzug von Tabuk seine Pläne zum voraus mittheilte. Darum unterwarfen sich ihm auch in der letzten Zeit die entferntesten arabischen Stämme, während man ihn in Medina selbst noch verspottete. Daß sich die Araber mehr aus Furcht, als aus Ueberzeugnng vor ihm beugten, geht am besten aus Aïscha's eigenen Worten hervor, welche lauten: „Als der Gesandte Gottes, über den Heil, starb, wurden die Araber
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abtrünnig, Juden und Christen erhoben ihr Haupt, die Heuchler verbargen ihre Heuchelei nicht mehr, und die Muselmänner waren wie eine verlassene Heerde in einer kalten Winternacht, bis sie Abu Bekr wieder vereinigte.“ Auch Abu Ubeida erzählt, daß bei der Kunde von Mohammeds Tod die meisten Mekkaner zur Abtrünnigkeit geneigt waren, so daß der Statthalter Attab sich anfangs gar nicht zu zeigen wagte 609). Erst unter Abu Bekr und Omar, deren Feldherrn die Muselmänner von einem Siege zum andern führten, ward mit der Zunahme an Macht auch der Glaube an Mohammed, den Gründer derselben, allgemeiner und fester. Seine Schwächen und Mängel verloren sich unter den unzähligen Vortheilen, die er und seine Lehren seinem Vaterlande gebracht, und da seine Nachfolger nicht ihren trefflichen Anordnungen, nicht dem Talente ihrer Generäle und dem Muth ihrer Truppen, oder der Schwäche ihrer Feinde, sondern Gott und seiner Liebe zu Mohammed und den Bekennern seines Glaubens, das ans mährchenhafte grenzende Glück ihrer Waffen zuschrieben, so mußte auch Mohammed von einer siegestrunkenen Menge bald dem festen Boden der Geschichte entrissen, in das luftige Gebiet der Legende versetzt und noch über das von ihm selbst im Namen Gottes verkündete, aber wahrscheinlich während der ununterbrochenen Kriege wenig gelesene Wort erhoben werden. So ward er auch bald, trotz der bestimmtesten Erklärungen im Koran 610) „nicht als Wunderthäter, sondern nur als Prediger vom Himmel gesandt zu seyn,“ doch mit aller möglichen Wunderkraft
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609) S. fol. 280 und Abulfeda ed. N. p. 112.
610) Sura 29, Vers 50. Vergl. auch Maraccius prodrom. p. II. 7 bis 10. Mohammed sagt an vielen Stellen: er ist nur ein Mensch, und es steht nur in Gottes Macht Wunder zu üben; er weiß übrigens, daß auch Wunder die Ungläubigen seiner Zeit eben so wenig bekehren würden, als die älteren Völker, vor denen wirklich Propheten Wunder übten, auch verweist er immer auf seine Zeichen genannten Verse, welche den für den Glauben Empfänglichen genügen müssen.
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ausgestattet, bis zu der, den Mond zu spalten und eine wirkliche Reise in den Himmel zu machen. Die ersten kriegerischen Chalifen wußten aber wohl, daß sie doch wieder selbst die Frucht dieser Verherrlichung Mohammeds ernten würden, denn je höher er in den Augen des Volkes stieg, je tiefer der Glaube an ihn und den Koran wurzelte, um so bereitwilliger wurden auch die Araber für ihn und seinen Glauben dem Tode entgegen zu gehen, „dem ja doch niemand entrinnen kann, und der die Märtyrer nur zu einem schöneren Leben führt.“ Sie wußten wohl, daß es nur einer von solchem Glauben beseelten Schaar gelingen würde, die Feuertempel der Perser, wie die Kirchen der Griechen umzustürtzen.
Folgende Koransverse, welche unter Mohammed selbst, nur bei seinen Getreuesten, nach seinem Tode aber bei der großen Masse Eingang fanden, und nicht nur als fromme Sprüche auf der Zunge lagen, sondern sich immer mehr durch die That bewährten, mögen als der wirksamste Hebel zum schnellen Wachsthum des islamitischen Reichs betrachtet werden: „Bekämpfet die Ungläubigen, bis jeder Widerstand aufhört und die Religion des Herrn die Einzige ist.“ 611) Wo ihr auch seyd, erreicht euch der Tod, selbst wenn ihr die festesten Schlösser als Zufluchtsort wählet. Sage denjenigen, welche glückliche Ereignisse Gott zuschreiben und unglückliche dir aufbürden: Alles kommt von Gott, warum wollen denn die Leute dieß nicht verstehen?“ 612) Glaube nicht, daß diejenigen, welche auf dem Pfade Gottes umkommen, todt sind, sie leben und werden von ihrem Herrn verpflegt. Sie sind selig mit Gottes Gnade und freuen sich auf die Nachkommenden (Gläubigen), welche noch zurückgeblieben, denn auch ihnen steht kein Kummer bevor.“ 613) „Diejenigen, welche bei einem Unglücksfalle sagen: wir sind Gottes und kehren einst zu ihm zurück, die erlangen Gottes Segnungen und Barmherzigkeit, das sind die (von
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611) Sura VIII. Vers 39.
612) Sura IV. Vers 77. Vergl. auch Sura 33, Vers 16 u. 17.
613) Sura 3, Vers 170 u. 171. Vergl. auch S. 2, Vers 156.
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Gott) Geleiteten.“ 614) Diese und ähnliche Verse, welche einst Tausende von Kriegern in den Kampf riefen, die dem Tode mit freudigen Augen ins Antlitz schauten, erzeugen noch immer bei den Muselmännern, wenn auch nicht im Angesichte eines Feindes, dessen Ueberlegenheit ihnen allzu bekannt ist, doch zur Zeit der Pest 615) und anderer Seuchen, oder bei sonstigen schweren Unglücksfällen einen Gleichmuth und eine Unerschrockenheit, welche manchen Juden und Christen, denen die Ergebung in Gottes Willen, der Glaube an eine göttliche Vorsehung und Bestimmung auch im alten und neuen Testamente gelehrt wird, zum Muster dienen könnte. Hierin verdienen noch immer die meisten Bekenner des Mohammedanismus mit vollem Recht den Namen Muslim (Gott ergebene); statt daß er sie aber einst zu großen Thaten anspornte, erhält er sie jetzt in einer gewissen Apathie, welche eine Entartung der Koranslehre und dem Stifter des Islams ganz fremd war. Die Freiheit des menschlichen Willens wird von Mohammed nicht geläugnet, und bei allem Glauben an einen unabänderlichen Rathschluß des Himmels wird doch dem Menschen der Gebrauch seiner Vernunft, zur Verhütung jeden Uebels anempfohlen, und ihm ausdrücklich verboten, sich muthwillig in den Untergang zu stürzen 616). Auch fehlte es unter den Muselmännern nicht an spekulativen Köpfen, welche das Nebeneinanderbestehen einer göttlichen Prädestination und einer menschlichen Willensfreiheit zu erklären suchten 617).
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614) Sura 2, Vers 158 u. 159.
615) Die Quarantäne und andere derartige Maaßregeln werden von den meisten gelehrten Muselmännern verworfen, obschon Mohammed selbst gesagt haben soll: „Geht nicht in eine Stadt, in der die Pest herrscht, und befindet ihr euch in einer solchen, so verlasset sie nicht!“ (wahrscheinlich um die Krankheit nicht weiter zu verbreiten, nicht weil ein Ausweichen sündhaft wäre).
616) Sura II. Vers 196.
617) Vergl. Muradgea d'Ohsson a. a. O. I. S. 100 u. ff., und Lane I. S. 370 u. 371.
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Die Lehre von Gott und der höhern Bestimmung des Menschen, welche Mohammed über ein Land verbreitete, das dem gröbsten Götzendienste ergeben war, und das kaum eine Ahnung von der Unsterblichkeit der Seele hatte, muß uns daher schon, trotz aller seiner Schwächen und Mängel, um so eher mit ihm aussöhnen, da sein eigenes Leben keinen nachtheiligen Einfluß auf die Bekenner seines Glaubens üben konnte; denn weit entfernt, sich als Muster aufzustellen, wollte er als eine besondere, von Gott selbst zur Uebertretung der gewöhnlichen Gesetze privilegirte Person angesehen seyn, und ward auch als solche immer mehr angesehen. Wir wären aber ungerecht oder verblendet, wenn wir nicht anerkennen wollten, daß ihm sein Volk noch manches andere Wahre, Gute und Schöne verdankt. Er vereinigte die in unzählige Stämme feindlich getheilten Araber zu einer im Glauben an Gott verbrüderten großen Nation; er setzte an die Stelle der Willkühr, des Faustrechts und der Selbsthülfe ein unumstößliches Recht, das trotz seiner Unvollkommenheit doch noch immer die Grundlage aller Gesetze des islamitischen Reichs bildet; er beschränkte die Blutrache, welche vor ihm bis zu den entferntesten Verwandten sich ausdehnte, auf das von den Richtern als Mörder anerkannte Individuum allein. Besonders verdient hat er sich um das schöne Geschlecht gemacht, indem er nicht nur die Mädchen, welche häufig bei ihrer Geburt von den eigenen Vätern ermordet wurden, gegen eine solche barbarische Sitte schützte, sondern auch die Frauen gegen die Verwandten ihres verstorbenen Gatten, die sie wie eine Sache erbten, und überhaupt gegen schlechte, ungerechte Behandlung der Männer. Er beschränkte die Polygamie, indem er den Gläubigen nur vier Gattinnen gestattete, statt acht bis zehn, wie es vor ihm, besonders in Medina Sitte war, und selbst diese Zahl erlaubte er nur denjenigen Männern, welche die Mittel haben, sie anständig zu verpflegen, verbot ihnen aber auch in irgend einer Beziehung die eine auf Kosten der andern zu bevorzugen. Nur wenig das Gesetz streng beobachtende Männer können daher
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mehrere Gattinnen zugleich besitzen wollen. Die Strafe, welche auf Buhlerei gesetzt ist, schützt auch die Frau gegen jede andere Untreue des Gatten, und Concubinen sind, nach dem Buchstaben des Korans, nur unverheiratheten, unbemittelten Männern erlaubt. Auch die Sklaven wurden zwar von Mohammed nicht vollständig emancipirt, doch enthält der Koran manche Bestimmungen zu ihren Gunsten; ihre Befreiung wird als ein gottgefälliges Werk dargestellt, und als Sühne für manche Vergehen vorgeschrieben, auch ihre Gleichheit mit den Freien vor den Augen Gottes, bestimmt ausgesprochen 618). Für die Armen ward nicht nur durch immer wiederkehrende Ermahnungen zur Wohlthätigkeit, sondern durch eine förmliche Armensteuer, und den ihnen angewiesenen Antheil an Beute und Tribut gesorgt. Durch das Verbot des Spiels, des Weines und anderer berauschender Getränke wurde manchen Lastern und Ausschweifungen, besonders aber Zank und Hader vorgebeugt. Härte, Stolz, Hochmuth, Lüge, Verschwendung 619), Geiz, Ostentation, Verläumdung, Spott und andere Untugenden, welche den Menschen selbst erniedrigen und störend in den geselligen Verkehr eintreten, werden in meisterhaften Sprüchen als gottlos erklärt, Menschenfreundlichkeit, Bescheidenheit, Nachsicht, Aufrichtigkeit, Keuschheit in Wort und That, und vor allem Wahrheit und Redlichkeit als die höchste Tugend empfohlen. Wenn wir daher auch Mohammed nicht als einen wahren Propheten anerkennen, weil er zur Verbreitung seiner Religion gewaltsame und unlautere Mittel gebrauchte, weil er zu schwach war, sich dem allgemeinen Gesetze zu unterwerfen, und trotz der Erklärung, daß Gott das selbst Gegebene
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618) Vergl. Sura II. Vers 178. Sura V. Vers 98, auch die Anmerkung 492.
619) Im 28. Vers der IV. Sura, der auch den Selbstmord als eine Verzweiflung an Gottes Barmherzigkeit verdammt, wird Verschwendung getadelt, und Vers 35 und 36 Geiz und Ostentation. Belege für das Uebrige findet man schon früher, besonders Anmerkung 578, 585 und 586.
Leben Mobammeds.
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durch etwas Besseres ersetzen könne, sich das Siegel der Propheten nannte, so mag er doch, in so fern er die schönsten Lehren des alten und neuen Testaments unter ein Volk verpflanzte, das von keinem Sonnenstrahl des Glaubens erleuchtet war, auch in den Augen der Nicht-Mohammedaner als „Gesandter Gottes“ angesehen werden.
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Erläuterung der Beilagen und Nachträge, größtentheils aus Ibrahim Halebi.
Zu Anmerkung 1. Seite 8.
Um zu zeigen, wie dieser Gesandtschaftsbericht in seinen Einzelnheiten ebenso mährchenhaft klingt, als er im Ganzen den übrigen historischen Angaben widerspricht, theile ich ihn hier frei übersetzt aus Ibrahim Halebi S. 25-29. mit. Eine wortgetreue Uebersetzung dieses oft gar zu schwülstigen türkischen Autors ist kaum möglich.
„Die Provinz Jemen, welche ursprünglich unter der Herrschaft der Himiariten stand, ward ihnen von den Abyssiniern entrissen, welche sie siebzig Jahre lang besetzt hielten, bis sie endlich Seif Dsu Jezn, der Himiarite, mit dem Schwerte in der Hand sich wieder unterwarf. Da nun von allen Seiten Deputationen zu ihm strömten, um ihm Glück zu wünschen, so kamen auch von Seiten der Kureischiten, Abd Almuttalib, Ommejja Ibn Abd Schems, Abd Allah Ibn Djudan, Asad Ibn Abd Aluzza, Wahb Ibn Abd Menaf und Kußei Ibn Abd Aldar, Seif Dsu Jezn befand sich damals in seiner Residenz Sanaa in dem glänzenden königlichen Schlosse Ghomdan, das allenthalben von Moschus duftete und mit allerlei Kostbarkeiten ausgestattet war. Auf seinem Haupte war eine juwelenbesetzte Krone, welche den Ertrag einer ganzen Provinz werth war, und auf seinen Knieen lag ein mit Edelsteinen verziertes sureidjisches * Schwert, das blendende Lichtstrahlen von sich warf. Er saß auf einem goldenen Throne, dem des großen Alexander ähnlich, und zu seiner Rechten, so wie zu seiner Linken, saßen auf goldenen Stühlen die Fürsten Himiars und die Großen und Edeln Jemens, welche ihre Ohren nach den ihm entquellenden Worten hinneigten. Als die vornehmen Kureischiten die Erlaubniß erhielten, vor ihm zu erscheinen, setzten sie sich auf seinen Wink, Jeder auf einen
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* Sureidj ist der Name eines berühmten Waffenschmieds.
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Stuhl, nur Abd Almuttalib trat vorwärts, und bat um die Erlaubniß, zu reden.“
„Nachdem man sich erkundigt hatte, ob er vor Königen zu reden verstehe, ward ihm die Erlaubniß ertheilt, und er stattete durch folgende, viele Beredtsamkeit beurkundende, Rede seinen Glückwunsch ab: O König! Gott hat dir eine hohe, erhabene, edle Stelle angewiesen und dich in den besten Boden und die herrlichste Fundgrube eingesetzt, als eine Pflanze von gutem Stamm, starker Wurzel und hohen Zweigen. Mögeft du dir nie Fluch zuziehen! Du bist der König der Araber, dem sie Alle folgen, die Säule, auf die sie sich stützen, und der Zufluchtsort, wo sie Schutz finden. Deine Ahnen sind die Besten der Ahnen, und du bist für uns ihr edelster Sprößling. Das Andenken dessen, dem du entsprungen, geht nicht verloren, und das Andenken dessen, dem du vorangehst (der dich zu seinen Vätern zählt man anta salasuhu) erlischt nicht. Wir, Bewohner des Heiligthums Gottes, und Diener seines Tempels, sind gekommen zu dir, der du uns von dem Kummer, der uns drückte, befreit, als Abgeordnete der Beglückwünschung, nicht der Condolenz. (Hier folgt nun die türkische Erläuterung dieser arabischen Anrede, dann fährt er fort!) Als Abd Almuttalib auf diese Weise seinen Glückwunsch abgestattet und sich als Diener des heiligen Tempels zu erkennen gegeben hatte, fragte ihn der König nach seinem Namen, und als er ihn nannte, hieß ihn Jener auf‘s Freundlichste als seinen Vetter willkommen, weil Abd Almuttalibs Mutter von den Chazradjiten war, welche aus Jemen stammen. Er wendete sich dann sämmtlichen Abgeordneten zu, und nachdem er sie freundlich bewillkommt und mit den besten Wünschen überhäuft hatte *, fuhr er fort: Der König hat eure Rede angehört, eure Verwandtschaft daraus erkannt und tritt gerne in ein freundschaftliches Verhältniß mit euch. Ihr seyd die Herren der Nacht und des Tages, euch ziemt Verehrung, so lange ihr bleibet, und Geschenke, wenn ihr uns verlasset. Der König ließ sie dann in das für Gäste bestimmte Haus führen, wo sie auf's Ehrenvollste bewirthet wurden.“
„Einige Zeit verging, ohne daß sie wieder vor den König gerufen wurden, noch die Erlaubniß zur Rückkehr erhielten. Eines Tages, als sich der König ihrer wieder erinnerte, ließ er Abd Almuttalib allein zu sich laden, und redete ihn folgenderweise an: O Abd Almuttalib!
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* Er wünschte ihnen ein gutes Kameel zur Reise, einen angenehmen Absteigplatz und einen großen Besitz mit reichem Ertrag.
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in meinem Innern ist ein kostbares Geheimniß aufbewahrt, das ich dir offenbaren will, das du aber verbergen mußt, bis es der Allweise kund macht. Wisse! ich habe in einem nur von mir gekannten Buche und durch eine geheime Wissenschaft ein höchst wichtiges Ereigniß entdeckt, wodurch alle Wesen, besonders aber die Menschen, im Leben und Tode verherrlicht werden. Als Abd Almuttalib eine so erfreuliche Nachricht vernahm, sagte er: O König, zähle auf Verschwiegenheit und Treue! geben doch alle Wüstenbewohner gerne ihr Leben für dich hin. Der König fuhr dann fort: In Tehama wird ein glückseliger Sohn erscheinen, der zwischen den Schullern ein liebliches Maal hat; er wird aller Sterblichen Leitung und Freude seyn; und auch ihr werdet bis zum Gerichtstage durch ihn zu Ehre und Macht gelangen. Abd Almuttalib, welcher tiefer in das Geheimniß einzudringen wünschte, sagte: O, Bester aller Könige! ich bin nur ein Abgeordneter, wäre nicht meine Ehrfurcht allzu groß vor dem mächtigen und erhabenen König, so würde ich ihn bitten, mir mehr von diesem freudigen Ereignisse mitzutheilen. Der König fuhr dann fort: Die Zeit ist nun gekommen, wo ein helle Lichtstrahlen verbreitendes Kind, mit Namen Mohammed, zur Welt kommen wird , oder schon geboren ist; es wird aber bald elternlos und von seinem Großvater und Oheim erzogen werden. Gott hat es zu seinem Gesandten bestimmt, der mit unserer Hülfe die Gott ergebenen erheben, seine Feinde demüthigen, alle Ungläubigen besiegen und viele Länder erobern wird. Er wird alle bösen Geister vertreiben und zernichten, alle Götzen zerbrechen und verbrennen und dem Guten und Rechten den Triumph verschaffen über Böses und Lügenhaftes. Abd Almuttalib überhäufte den König mit Wünschen und Segnungen, um noch mehr von ihm zu erfahren, bis dieser ihm endlich sagte: Du bist des Verheißenen Großvater. Als Abd Almuttalib bei diesen Worten sich erschrocken dem Könige zu Füßen warf, hieß ihn dieser aufstehen und sagte ihm: Beruhige dich und sey hohen Sinnes; weißt du etwas Näheres zur Bestätigung meiner Worte, so sprich! Abd Almuttalib begann hierauf: O König! ich hatte einen Sohn, welcher Abd Allah hieß, den ich mehr als meine übrigen Kinder liebte; als er das Mannesalter erreicht hatte, verheirathete ich ihn mit Amina, der Tochter Wahbs, einer edlen Kureischitin. Er zeugte einen Sohn, den ich Mohammed nannte. Mit Gottes Willen gingen seine Eltern in jene Welt über, und ich und sein Oheim Abu Talib übernahmen dessen Erziehung. Als Seif Dsu Jezn diese Bestätigung hörte, sagte er: Du
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siehst, wie dieß mit meiner Aussage übereinstimmt; nun gib wohl Acht auf dieses Kind, und bewahre es besonders vor den Juden, welche es anfeinden werden. Der erhabene Gott möge dieses edle Geschöpf schützen, daß sie ihm auf keine Weise beikommen. Bewahre auch dieses Geheimniß vor allen deinen Gefährten, denn ich fürchte, sie oder ihre Kinder möchten aus Neid und Bosheit ihm Fallen legen und Verrath an ihm üben. Wenn ich zur Zeit seiner Sendung noch lebe, werde ich ohne Säumen mit allen meinen Truppen nach Medina eilen, denn ich weiß aus klarer Schrift, daß das Land Jathrib seine Residenz seyn wird, dort wird er Beistand und sein Prophetenthum Kraft finden, und dort wird er auch einst in's Reich der Ewigkeit übergehen. Wenn mich Gott vor dem Tode bewahrt, so werde ich dann Alles aufbieten, um ihm die Huldigung aller Araber zu verschaffen, und nicht rasten, bis seine Sendung überall die vollste Anerkennung gefunden. Für jetzt aber übertrage ich dir die Fürsorge für ihn. “
„Der König ließ dann die Gefährten Abd Almuttalibs rufen, und schenkte einem Jeden zehn Abyssinische Sklaven und Sklavinnen, zwei kostbare Ehrenkleider, zehn Pfund Gold, zehn Pfund Silber, hundert Kameele und einen Sack Ambra, Abd Almuttalib aber schenkte er das Zehnfache von all' diesem, und bat ihn, ihm jedes Jahr Nachricht von Mohammed zu bringen. Aber der göttlichen Bestimmung zufolge starb Seif Dsu Jezn noch in demselben Jahre. Abd Almuttalib sagte dann seinen Gefährten, den Edlen Kureischs, daß der König ihm ein Geheimniß anvertraut, das mehr werth als alle von ihm erhaltenen Geschenke, und eine beseligende Verheißung gegeben, die ihm und allen seinen Stammgenossen zur höchsten Verherrlichung gereichen wird. Als sie ihn aber baten, den Schleier des Geheimnisses zu lüften, sagte er: es wird bald offenkundig werden, und vertröstete sie auf die zur Erfüllung bestimmte Zeit.“
Zu Anmerkung 9. Seite 25.
Auch bei Ibr. H. S. 13. liest man, daß Halima das erste Mal Mohammed nach dessen Entwöhnung zurückbrachte, und daß ihm nach zwei oder, nach einer andern Tradition, nach drei Monaten die Brust gespalten ward, worauf sie wieder mit ihm nach Mekka zurückkehrte. Ueber die Zeit der Entwöhnung spricht sich auch der Koran im 234. V. der zweiten Sura aus : Die Mütter müssen ihre Kinder zwei volle Jahre stillen, wenn der Vater es wünscht, und dieser muß (in Scheidungsfällen)
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ihr so lange ihren Lebensunterhalt und ihre Kleidung in Güte reichen u. s. w. Daß das Wort „scharaha“ im Sinne von „erweitern, empfänglich machen“ nicht vom eigentlichen Spalten (der Brust), wie es die Legende in Bezug auf Mohammed auffaßt, zu nehmen ist, geht aus vielen Stellen des Korans hervor, besonders aus dem 112. V. der sechsten Sura, wo es heißt: „Wen Gott leiten will, dem erweitert er die Brust für den Islam, und wen er irre führen will, dem beengt er die Brust u. s. w.“
Zu Anmerkung 17. Seite 30.
Auch Ibr. H. S. 37. setzt den vierten lasterhaften Krieg in das zwanzigste Lebensjahr Mohammeds, und erzählt auf der folgenden Seite die Veranlassung zu diesem Kriege, übereinstimmend mit den übrigen Quellen. Urwa, um zu sagen, gegen alle Wüstenbewohner, drückte sich spöttisch aus: gegen alle diejenigen, welche zwischen Ebereiß und Wermuthstauden (Schih und Keißum) wohnen.
Zu Anmerkung 38. Seite 38.
Bei Ibr. H. S. 43. heißt es: „Nach Vollendung der Trauung breitete Chadidja vor Mohammed ein mit Safran und andern Wohlgerüchen beräuchertes Tuch aus“, einen Teppich also, „djameh pai endaz“, aber nicht ein Kleid, wie bei H. v. H. Vergl. Meninski thesaurus etc. Bd. I. S. 696.
Zu Anmerkung 40. Seite 39.
Auch bei Ibr. H. S. 84. u. 85. heißt es: „Rukejja, die Tochter Mohammeds, war ehedem mit Otba, dem Sohne Abu Lahabs, und ihre Schwester Um Kolthum mit Uteiba, dem Sohne Abu Lahabs, vermählt gewesen. Als aber der Koransvers: „Möge Abu Lahabs Hand verdorren!“ erschien, befahl er ihnen (seinen Söhnen), sich von ihren Gattinnen zu trennen, was auch geschah. Rukejja heirathete dann Othman Ibn Affan, und wanderte mit ihm nach Abyssinien aus. Sie starb während des Feldzugs von Bedr.“
Zu Anmerkung 48. Seite 42.
Ich habe meine Uebersetzung des Wortes „rakju“ beibehalten, weil es der Kamus durch „nasadsa fi ûdsatihi“ erklärt. Es bedeutet also „von einem Teufelsbeschwörer behandelt, oder geheilt“, nicht
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„verzaubert werden“, wie H. Reinaud in einer Anmerkung zu meinem Aufsatze im Journal asiatique glaubt. Auf den Vorfall mit der Amme kann übrigens hier nicht angespielt worden seyn, da erstens dieser nicht in Mekka, sondern auf dem Lande bei den Beni Saad stattfand, und zweitens ja die Muselmänner darin nichts Anderes sehen, als daß ein Engel Mohammeds Brust gespalten.
Zu Anmerkung 52. Seite 47.
Aus den Beilagen sieht man, daß nicht nur im Chamis von einer Uebersetzung des alten Testaments keine Rede ist, sondern nicht einmal bei Ibr. H., auf welchen sich H. v. H. a. a. O. beruft. Die beigedruckte Stelle lautet wörtlich: „Waraka, welcher ein Vetter Chadidja's war, hatte sich zur Zeit des Heidenthums zum Christenthum bekehrt und das Evangelium in's Arabische übersetzt. Er war damals sehr alt und blind.“ Die aus dem Sirat Arrasul angeführte Stelle lautet: „Dann ging sie (Chadidja) zu Waraka Ibn Naufal, Ibn Asad, Ibn Abd Aluzza, Ibn Kußei, und er war der Sohn ihres Oheims. Waraka hatte sich zum Christenthum bekehrt und Bücher gelesen und bei den Besitzern der Tora und des Evangeliums (Juden und Christen) gehört (Vorlesungen). Sie erzählte ihm, was ihr der Gesandte Gottes berichtet u. s. w.“ Die aus dem Insan Al Ujun beigedruckte Stelle, welche beweist, daß Waraka zuerst Jude war, lautet: „Waraka nannte Moses und nicht Jesus (Friede über Beide!), obschon Jesus ihm näher lag, und er sich zu dessen Glauben bekannte, indem er früher den Glauben Moses' (Frieden über ihn!) angenommen hatte, und nachher Christ geworden war, weil über das Prophetenthum Moses' Uebereinstimmung herrscht“, d. h. nach seiner eigenen Erklärung; Waraka sagte darum zu Mohammed: Dir ist eine Offenbarung geworden, wie sie einst dem Moses ward, und nicht wie Jesu, weil über die des Erstern kein Zweifel obwaltet, daß sie alle früheren Offenbarungen aufhob, während die des Letztern von Manchen nur als eine Ergänzung und Vervollkommnung des mosaischen Gesetzes betrachtet wird.
Zu Anmerkung 57. Seite 50.
Nach dem Kamus war Bilal der Sohn Riah's, Sohn Hamamah's. Unter dem Worte Riah aber, wo sehr viele Namen angeführt werden, wird Bilals Vater nicht genannt.
Zu Anmerkung 84. Seite 56.
Auch bei Ibr, H, S, S0, heißt es ausdrücklich, daß die Nachricht
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von Mohammeds Verständigung mit den Kureischiten ihnen in Abyssinien zukam: „habaschahdeh Muhadjirinun masmu‘leri oladjak“ u. s. w.
Zu Anmerkung 82. Seite 69.
Die auf die Djinn bezüglichen fünfzehn Verse der 72. Sura lauten: „Im Namen Gottes, des Allgnädigen, Allbarmherzigen. Sprich! (du Mohammed) mir ist geoffenbaret worden, daß mir Djinn zugehört und dann (den Ihrigen) erzählt haben: wir haben eine wunderbare Vorlesung gehört, welche zum Rechten führt; wir glauben daran und geben unserm Herrn keinen Genossen mehr. Gewiß, unser Herr (gepriesen und erhaben sey er!) hat weder eine Gattin, noch einen Sohn; die Thörichten unter uns haben Lügen über ihn erdichtet, und wir glaubten nicht, daß weder Djinn noch Menschen dieß thun würden. Manche Menschen suchen Schutz bei den Djinn, die sie immer mehr irre führen, und gleich euch nicht glauben, daß Gott die Todten wieder auferweckt. Wir haben uns dem Himmel genähert (so erzählen die Djinn weiter, um die Engel zu belauschen), wir fanden ihn aber mit mächtiger Wache und flammenden Sternen gefüllt. Einst (vor der Sendung Mohammeds) ließen wir uns nieder, um zu lauschen, jetzt sind aber gegen die Lauscher flammende Sterne gerichtet. Wir wußten nicht, ob damit gegen die Erdenbewohner Gutes oder Schlimmes beabsichtigt war. Wir waren auf verschiedenen Pfaden, Manche unter uns waren fromm, Andere nicht. Wir dachten, daß wir uns der Strafe Gottes weder auf der Erde, noch wenn wir daraus zu entfliehen suchen, entziehen könnten, als wir aber die Leitung (den Koran) vernahmen, glaubten wir an ihn, und wer an ihn glaubt, hat weder Zurücksetzung, noch Unrecht zu befürchten. Noch befinden sich unter uns Gläubige und Abtrünnige, wer sich Gott ergibt, der gelangt auf den guten Weg, die Abtrünnigen aber werden einst der Hölle als Brennstoff dienen.“
Zu Anmerkung 86. Seite 71.
Ich lasse auch hier die ganze, auf die Abkunft der Chazradjiten und ihr Verhältniß zu den Juden sich beziehende Stelle aus Ibr. H. S. 63. u. 64. in einer treuen Uebersetzung folgen, weil sie mit den übrigen Quellen im Widerspruch steht: „Man wisse, daß die Ausiten und Chazradjiten von zwei Brüdern abstammen, welche Aus und Chazradj hießen. Diese waren Söhne
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Hariha's, Ibn Thalaba, Ibn Amru Muzeikia, Ibn Amir, Ibn Ma-Assama, Ibn Haritha'l Ghitrif, Ibn Amru'l Keis Albatrik, Ibn Thalaba-l-Unka, Ibn Mazin, Ibn Ghassan, Ibn Azd, Ibn Ghauth, Ibn Nabt, Ibn Malik, Ibn Zeid, Ibn Kahlan, Ibn Saba, Ibn Jaschhab, Ibn Ja'rab, Ibn Kahtan, Ibn Hud, Friede sey mit ihm! Saba, einer der Himiaritischen Könige, ist der Erbauer des Dammes von Mareb, Name eines Landes, welches der Stamm Azd bewohnte, und häufigen Ueberschwemmungen ausgesetzt war, weßhalb der genannte Saba das Wasser durch steinerne Damme abzuhalten suchte. Mit diesen Dämmen waren auch große Behälter verbunden, aus denen man bei Wassermangel das ganze Land tränken konnte. Amru Muzeikia war der letzte König von Mareb, er war ein äußerst gelehrter, in jede Wissenschaft eingeweihter Mann, er sah daher auch die baldige Zerstörung des Dammes voraus, und wanderte deßhalb mit allen seinen Stammgenossen aus. Ihm folgte sein Sohn Thalaba auf dem Throne, zu dessen Zeit unter den Arabern so viele Auswanderungen stattfanden, daß man seither sprüchwörtlich sagt: „sie zerstreuten sich wie die Nachkommen Saba's.“ Die Stämme Hamdan und Daus zogen nach Irak, Djofna Ibn Amir in die Gegend von Damask, und andere Stämme nach Scharat hin (zwischen Medina und Damask). Thalaba wendete sich mit den Seinigen zuerst nach Djohfa und dann nach Syrien, wo er auch starb. Als aber Syrien, das damals unter der Oberherrschaft des Kaisers stand, wegen eines gewissen Ereignisses einer schweren Züchtigung entgegen sah, wanderte Thalaba's Sohn, Harith, mir seinen Stammgenossen und seinen beiden Söhnen Aus und Chazradj nach Jathrib aus, und schloß einen Bund mit Scherif Ibn Kaab, dem jüdischen Fürsten dieser Provinz. Nach einiger Zeit entzweiten sie sich plötzlich; das Schwert entschied zum Nachtheile der Juden, von denen Viele getödtet wurden, Haritha ward als Alleinherrscher der Provinz Jathrib anerkannt, und den Juden wurden einige Plätze angewiesen, auf die sie sich nolens volens beschränken mußten. Zur Zeit seines Urenkels Adjlan, Ibn Auf, Ibn Chazradj, Ibn Haritha, suchten die Juden durch den Tod vieler Ausiten und Chazradjiten sich zu rächen. Diese suchten bei ihren Verwandten, den Ghassaniten, welche in Syrien ihren Sitz hatten, um Hülfe nach, worauf der Fürst des Geschlechts Djofna mit vielen Truppen nach Jathrib kam, Scherif Ibn Kaab mit vielen Juden tödtete, ihre Habe plünderte und ihre Frauen und Kinder als Gefangene wegschleppte. Nach einiger Zeit brach der alte Haß
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der Juden wieder auf's Neue aus, und sie erschlugen Malik, den Sohn Adjlans. Adjlan übereile sich nicht, sondern suchte die Juden durch List zu hintergehen. Er schloß nämlich einen Frieden mit ihnen ab, ließ aber von den hundert Juden, die ihm als Geißel geliefert wurden, achtzig erschlagen, und selbst die übrigen zwanzig retteten sich nur durch die Flucht. Sobald Keitun, der Sohn Scherifs, dieß erfuhr, flehte er alle seine Stammgenossen um Beistand an, und zog gegen Adjlan mit einem unzählbaren Heere in's Feld, Dieser ward geschlagen, und wendete sich an den Stamm Tai, mit dessen Hülfe er den Juden abermals eine Schlacht lieferte, in welcher unter vielen Andern auch Keitun selbst das Leben verlor, worauf dann die Juden vollkommen gedemüthigt wurden. Nach einiger Zeit vermehrten sich aber die Ausiten und Chazradjiten so sehr, daß die Gegend von Jathrib sie bald nicht mehr alle fassen konnte. Ihre Bundesgenossen, die Ghassaniden, kehrten daher wieder in ihre frühern Wohnorte nach Syrien zurück. Diesen Vorfall benutzten die listigen Juden, sie fielen, unterstützt von ihren Glaubensgenossen, den Stämmen Tasm und Djadis, über die Ausiten und Chazradjiten her, erschlugen einen Theil von ihnen, und vertrieben oder unterjochten einen andern (so wechselte oft ihr Schicksal), bis endlich die Herrlichkeit des Islams unter ihnen aufging; nachher blieben sie fortwährend in Ehre und Ansehen.“
Ich überlasse es jedem nüchternen Leser, ob er diese Nachrichten als Dichtung oder Wahrheit ansehen will; mir scheint, daß Beides bunt durch einander gemischt ist. Zu Ersterer gehört aber gewiß das Bündniß der Juden mit Tasm und Djadis, welche nach Pocock. Spec. S. 38 schon zur Zeit des ersten Tobba ausgerottet wurden. Was das Verhältniß der Ausiten und Chazradjiten zu den Juden, zur Zeit, als sie den Islam annahmen, betrifft, so wird keineswegs von Ibr. H. ausdrücklich behauptet, daß sie nach der letztgenannten Niederlage fortwährend von denselben abhängig blieben; man braucht nur die bei mir eingeklammerten Worte zu suppliren, welche der Sinn nothwendig erfordert, denn das Wort „ta ki“ (bis) kann sich ja doch nicht auf den ganzen vorhergehenden Satz beziehen, um ihn mit den übrigen Quellen in Übereinstimmung zu bringen. Ibr. H. selbst berichtet übrigens auch S. 62., daß die Chazradjiten sich darum so bald bekehrten, weil sie den Juden zuvorkommen wollten, welche bei Streitigkeiten häufig sagten: „Die Zeit ist nahe, wo der uns verheißene Prophet erscheinen
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wird, und wir mit seiner Hülfe uns rächen können“, woraus deuilich hervorgeht, daß sie die Schwächeren waren.
Zu Anmerkung 101. Seite 81.
Aus Abulfeda ist schon ersichtlich, daß Kuba und Medina leicht miteinander verwechselt werden konnten, denn es heißt bei ihm (S. 44. der Ausg v. N. des V.): „Der Gesandte Gottes kam nach Medina den 12. Rabia-l-Awwal des ersten Jahres, und es war ein Montag, und er stieg ab in Kuba bei Kolthum Ibn Hadm, und blieb in Kuba Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag . . . . und er verließ Kuba am Freitag u. s. w.“ Daraus geht deutlich hervor, daß er unte der Ankunft in Medina eigentlich erst Kuba meinte. Um so wahrscheinlicher ist daher eine Verwechslung des Datums der Ankunft in Medina mit der von Kuba in den ältern Traditionen, wo es vielleicht hieß: „Mohammed kam am 12. in Medina an“, woraus später dann Kuba entstand, welches ja, wie aus der angeführten Stelle hervorgeht, zu Medina gerechnet wird. H. N. des Verg. übersetzt auch ganz richtig: Mohammed arriva sur le territoire de Medine, obschon es im Texte nur schlechtweg „Medina“ heißt.
Zu Anmerkung 106. Seite 85.
Nicht nur im Insan Alujun, sondern selbst bei Ibr. H. ist davon keine Rede, daß der Stamm, an den sich Mohammed gelehnt, nach Cordova gebracht worden sey. Die Stelle bei Ibr. H., auf die sich H. v. H. beruft (S. 73.), lautet: „Bei dieser Gelegenheit (bu munasabat ileh, d. h. bei Gelegenheit des ersten von Mohammed erbauten Minbars) erzählt der Verfasser des Insan Alujun, daß das schönste Minbar aller Moscheen in der Welt das von Cordova, Hauptstadt des Königreichs Andalusien, war. Es war ganz aus Aloe und Ebenholz. Sieben berühmte Baumeister arbeiteten sieben Jahre lang daran, und erhielten jeden Tag einen halben Mithkal Gold. In dieser Moschee waren auch vier von Othman geschriebene Koransblätter, welche an mehreren Stellen mit Blut bespritzt waren; auch befanden sich in dieser Moschee drei große Pfeiler mit karmesinrothem Marmor. Auf dem einen war Mohammeds Name eingegraben, auf dem andern das Bild Moses', Jesus' und der Bewohner der Höhle, und auf dem dritten der Rabe Noah's, Friede über ihn!“
Zu Anmerkung 118. Seite 92.
Auch Ibr. H unterscheidet S. 84. die allgemeine Armensteuer
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(zakat amwal) von der am Ende des Monats Ramadhan zu entrichtenden Gabe (sadakat fitr). Er setzt zwar beide Gebote in das zweite Jahr der Hidjrah, doch viele Andere setzen ersteres in das vierte Jahr.
Zu Anmerkung 125. Seite 96.
Das Schreiben Mohammeds an die Beni Dhamra lautet bei Ibr. H. ebenso wie bei I. u. Ch., nur liest man statt „wainna al nabijja“ bloß „wainnahu“, was den Sinn gar nicht ändert.
Zu Anmerkung 130, Seite 99.
Ich habe schon in einem Aussatze des Journal asiatique, * wo auch der Text des Sirat Arrasul angeführt worden, erklärt, daß ich an einer andern Stelle desselben Autors (Fol. 268.) den Ausdruck „Nachricht bringen“ von einer feindlichen Karawane als gleichbedeutend mit „sie angreifen“ gefunden, so daß also gar kein Grund vorhanden ist, die Aechtheit des Briefes zu bezweifeln. Mohammeds Schlauheit bestand demnach namentlich darin, daß er über die Zeit, in welcher dieser Angriff stattfinden dürfte, schwieg.
Bei Ibr. H. findet man nichts von diesem Briefe, wohl aber S. 81., daß Abd Allah zwei Gefangene gemacht, welche Hikam Ibn Keisan und Othman Ibn Abd Allah hießen; auch erzählt er, daß die Mekkaner Lösegeld für sie schickten, aber nur Letzterer kehrte nach Mekka zurück und starb daselbst als Ungläubiger, Ersterer hingegen ward Muselmann und starb als Märtyrer im Kampfe am Brunnen Mauna. Ebenso liest man bei demselben auf der vorhergehenden Seite, daß Mohammed selbst Kurz Ibn Djabir nachsetzte und Zeid Ibn Harith zum Statthalter von Medina ernannte.
Zu Anmerkung 144, Seite 109.
Bedürfte es noch eines Beweises über die Bedeutung von Aliah, so würde Ibr. H. einen unumstößlichen liefern, denn S. 6S. heißt es: „Als die Söhne Israels von den Römern besiegt wurden, flohen die Beni Nadhir, Hadl, Kureiza und Keinukaa in die Gegend von Medina und ließen sich in Aliah nieder“ (Medineh tarafineh firar idub Aliahjeh nuzûl eilediler). Uebrigens hat mir vor Kurzem H. Reinaud geschrieben, daß H. Caussin de Perceval selbst von seiner Uebersetzung zurückgekommen ist.
Zu Anmerkung 149. Seite 113.
Ueber Abbas liest man auch bei Ibr. H. S. 99.: „Unter den
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* Mai 1843.
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Gefangenen war auch Abbas, welcher sich weigerte, das von ihm geforderte Lösegeld zu entrichten, indem er sagte: Ich bin ein Muselmann, sie (die Kureischiten) haben mich gegen meinen Willen mitgeschleppt. Er war in der That ein Gläubiger und sehr ungern in den Kampf gezogen, auch hatte er schon früher dem Propheten von Allem, was sich bei den Ungläubigen zutrug, Kunde gegeben, so daß dieser, als er in Betreff der Auswanderung gefragt wurde, ihm antwortete: „es ist besser, du bleibst in Mekka.“ Demungeachtet sagte ihm jetzt der Prophet: da du doch unter den Ungläubigen, unsern Feinden, gefangen wardst, so kannst du deine Freiheit nur durch Lösegeld wieder erkaufen. Abbas hoffte dann, daß die zwanzig Okk Gold, welche er mitgenommen, und die als Beute in die Hände der Sieger gefallen, als Lösegeld angesehen wurden; Mohammed sagte ihm aber: Das, was du zum Verderben der Muselmänner und zur Unterstützung der Feinde des Glaubens mitgenommen, kann nicht mehr als dein Gut betrachtet werden. „So nöthigst du mich, das Lösegeld von den Kureischiten zu erbetteln“, sagte dann Abbas zu Mohammed. Dieser erwiederte aber: „O Abbas! hast du nicht bei deiner Abreise deiner Gattin Um Fadhl für den Nothfall viel Geld aufzubewahren gegeben?“ „Wer hat dir dieß Geheimniß geoffenbart?“ fragte Abbas. „Gott, dem Nichts verborgen bleibt“, antwortete Mohammed. „Du hast wahrgesprochen“, versetzte Abbas mit aufrichtigem Herzen, „nur Gott weiß es.“ Er legte dann öffentlich sein Glaubensbekenntniß ab, indem er ausrief: „Ich bekenne, daß es nur Einen Gott gibt, und daß du sein Sklave und sein Gesandter bist.“ Andere berichten indessen, daß Abbas sich erst vor dem Feldzuge von Cheibar zum Islam bekehrte. Bei der Eroberung von Mekka kam er dem Propheten nach Abu Anam entgegen, und war das Siegel (der Letzte) der edlen Auswanderer. “
Die Hinrichtung Okba's und Nadhr's findet man ebenfalls bei Ibr. H. S. 100. u. 101. Ersterer kam vor der Hidjrah viel mit Mohammed zusammen und stellte sich stets als dessen Freund. Eines Tages lud er ihn zu einer Mahlzeit, welcher jener aber nur unter der Bedingung beiwohnen wollte, daß er das islamitische Glaubensbekenntniß ablege. Als Okba dieß that, kam sein Freund Ubejj Ibn Challaf hinzu und machte ihm Vorwürfe. Okba sagte ihm: er habe es nur gethan, damit Mohammed die Einladung annehme; da aber Ubejj dieß nicht glaubte, sagte er: nun, ich werde (um dich zu überzeugen) nicht ruhen, bis ich Mohammeds Haupt mit Füßen getreten,
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sein Gesicht vollgespuckt und seine Wangen mit der Faust durchschlagen; auch will ich von nun an jedes Freundschaftsverhältniß mit ihm abbrechen. Eines Tages, als Okba im Rathhause sein ruchloses Vorhaben gegen Mohammed auszuführen wagte, sagte ihm dieser: O Okba! wenn ich dich außerhalb Mekka treffe, werde ich mein Schwert gegen dein Haupt erheben. Als Mohammed jetzt den Befehl zu Okba's Hinrichtung gab, sagte er: wem soll ich meine kleinen Töchter anvertrauen? Ueberlasse sie der Hölle! antwortete Jener.
Von Nadhr wird erzählt, daß er gleich in Mohammeds grimmigem Blick seinen Tod gelesen habe, doch wendete er sich zu Mußab Ibn Omeir, und sagte ihm: Da du hier mein nächster Verwandter bist, so bitte Mohammed, daß er mich auch das Schicksal der übrigen Gefangenen theilen lasse. Mußab verwarf aber seine Bitte, indem er ihm sagte: „Klage deine eigene Schlechtigkeit an, denn du hast den Gesandten und den Koran auf jede Weise verspottet und seine edlen Gefährten geschmäht und mißhandelt.“
Zu Anmerkung 171. u. 172. Seite 123. u. 124.
Daß Abd Allah gegen den Auszug aus Medina stimmte, berichtet auch Ibr. H. S. 111., dann noch einmal S. 114 bei Gelegenheit seines Rückzugs mit dreihundert Heuchlern, wo er sagt: „Mohammed hat meinen Rath verworfen, und unerfahrene Kinder angehört, darum kehren wir lieber in Frieden nach Hause zurück, als daß wir uns vergebens dem Schwerte aussetzen.“ Auch erzählt er, daß dieser Rückzug nach dem Morgengebete bei dem Garten Schaut stattfand, während er S. 113. berichtet, daß schon am vorhergehenden Tage Mohammed selbst den Juden, welche Bundesgenossen Abd Allah's waren, befahl, sich entweder zum Islam zu bekennen oder umzukehren, denn: „Wir wollen nicht die Hülfe der Ungläubigen gegen die Götzendiener. “
Zu Anmerkung 174. Seite 125.
Auch aus Ibr. H. sehe ich, daß ich das Wort „amit“ richtig verstanden, denn er setzt S. 116. hinzu: es ist der Imperativ vom Zeitwort „tödten“, und bedeutet: tödte und zernichte die Ungläubigen (imatahden amr olmaghileh kufari katl wailak eileh dimek olur).
Zu Anmerkung 177. Seite 127.
Nach Ibr. H. verlor Mohammed mehrere Zähne, denn es heißt bei ihm S. 119. im Widerspruch mit den ältern Quellen: „asnan rubaijahlerin schikest itdiler.“
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Zu Anmerkung 185. Seite 132.
Das von S. angegebene Datum spricht für den Anfang der Aera der Hidjrah vom 15. Juli.
Zu Anmerkung 187. Seite 133.
Auch nach Ibr. H. S. 130. u. 131. ward nicht nur Chubeib, sondern auch Zeid Ibn Aldathna außerhalb des heiligen Gebiets von Mekka hingerichtet. Ersteren kauften die Söhne eines Ungläubigen, welcher Harith hieß, und bei Bedr von Chubeib erschlagen worden war (nicht Ssifwan, der Sohn Omeije's, wie bei H. v. H. S. 133.), und Letztern kaufte Safwan Ibn Ommejja. Das Nähere über den von der Legende mährchenhaft ausgestatteten Zug von Radji sindet man im ersten Bande der Zeitschrist für Kunde des Morgenlands von Ewald so meisterhaft dargestellt, daß ich mich begnügte, nur das Wesentlichste anzugeben. Aus dem daselbst abgedruckten Terte des Ibn Hifcham er gibt sich auch ein neuer Beweis für die gewöhnliche Bedeutung des Wortes „mußab.“
Zu Anmerkung 215. u. 220. Seite 144. u. 147.
Die wörtliche Übersetzung der in der Beilage mitgetheilten Stelle aus dem Sirat Arrasul lautet :
„Es berichtete mir Mohammed Ibn Djafar, Ibn Zubeir, der es von Urwa , welcher es von Aïscha gehört. Sie erzählt: Als der Gesandte Gottes (Gott sey ihm gnädig und bewahre ihn!) die Gefangenen der Beni Mußtalik vertheilte, fiel Djuweiria, die Tochter Harth's, dem Thabit Ibn Keis Ibn Schammas (oder seinem Vetter) zu, und ließ sich von ihm einen Freiheitsvertrag schreiben. Sie war eine anmuthige, hübsche Frau, Niemand sah sie, dessen Herz sie nicht gewann. Sie ging zum Gesandten Gottes (Gott sey ihm gnädig und bewahre ihn!), um ihn wegen ihres Freiheitsvertrags um Hülfe anzuflehen. Sie (Aïscha) erzählt (ferner): Bei Gott, so bald ich sie an der Thüre meines Gemachs erblickte, haßte ich sie, denn ich wußte voraus, was ich später sah (daß sie Mohammed gefallen würde). Sie trat zu ihm hinein und sagte: O Gesandter Gottes! ich bin Djuweiria, die Tochter Harth's, Sohn des Abi Dharar, des Herrn seines Volkes. Mich hat ein Unglück getroffen, das dir nicht verborgen ist, ich bin dem Thabit Ibn Keis Ibn Schammas (oder seinem Vetter) durch das Loos zugefallen, und habe mir einen Freiheitsvertrag von ihm schreiben lassen; ich bin nun zu dir gekommen, um deinen Beistand zur Befreiung anzuflehen.
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Da sagte er: Willst du nicht etwas Besseres als dieß? Sie erwiederte: Und was ist es, o Gesandter Gottes? Er antwortete: Ich will die zu deiner Befreiung gestellten Bedingungen erfüllen und dich heirathen. Sie sagte: Sehr wohl, o Gesandter Gottes! Er versetzte: Ich thue es. Sie (Aïscha) erzählt (ferner): Als sich die Nachricht unter den Leuten verbreitete, daß der Gesandte Gottes (Gott sey ihm gnädig und bewahre ihn!) Djuweiria, die Tochter Harth's, Sohn des Abi Dharar, geheirathet, sagten sie: Die Schwäger des Gesandten Gottes, dem Gott gnädig sey, (sind unsere Gefangenen), und sie ließen frei (Gottes Wohlgefallen sey mit ihnen!), was in ihren Händen war. Sie (Aïscha) erzählt (ferner): Durch seine Vermählung mit ihr wurden hundert Familien von den Beni Mußtalik befreit. Auch sagte sie (Aïscha): ich kenne keine Frau, die ihrem Volke mehr Segen brachte, als sie (Djuweiria).“
Zu Anmerkung 230. Seite 155.
Die in der Beilage mitgetheilte Stelle aus I. lautet wörtlich : „Aus dem Buche Ischarat von Fachr Arrazi: Er (Mohammed), dem Gott gnädig sey, blieb zur Zeit, als man Lügen über sie (Aïscha) verbreitete, größtentheils zu Hause. Da kam Omar zu ihm und er (Mohammed), dem Gott gnädig sey, fragte ihn um Rath über diese Begebenheit. Da sagte Omar: Ich will die Lügen der Heuchler abschneiden, denn ich entnehme die Unschuld Aïscha's, der Gott gnädig sey, von den Mücken . . . (hier folgt nun, was schon in der Anmerk. 230. mitgetheilt worden), dann trat Ali, dessen Angesicht Gott verherrliche, zu ihm (Mohammed), dem Gott gnädig sey, herein, und er (Mohammed) fragte ihn um Rath. Da sagte ihm Ali, dessen Angesicht Gott verherrliche: Ich entnehme Aïscha's Unschuld aus einem Umstande, daraus nämlich, daß wir einst hinter dir beteten, und du betetest mit deinen Sandalen, dann zogst du einen deiner Sandalen aus. Da sagten wir: soll uns das ein nachzuahmendes Beispiel seyn? Du antwortetest: nein, denn Gabriel (Friede über ihn!) hat mich in Kenntniß gesetzt, daß an diesen Sandalen etwas Unreines. Wenn also an deinen Schuhen nichts Unreines seyn kann (ohne daß Dich Gott davor warnt), wie sollte es bei Deiner Gattin seyn können? Und er (Mohammed), Gott sey ihm gnädig und bewahre ihn! wurde dadurch (durch diese Antwort) erfreut.
Die aus Ibr. H. mitgetheilte Stelle lautet: „Als er (Mohammed)
Leben Mohammeds.
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auch Ali (er heißt im ganzen Werke murtadha, der Wohlgefällige) Gelegenheit gab (nach Omar und Othman zu sprechen), sagte er: Eines Tages, als wir mit euch (dem Ruhmwürdigsten aller Wesen) unser Gebet verrichteten, zoget ihr eure Sandalen aus , und als wir eurem Beispiele folgten, sagtet ihr: der Engel Gabriel hat uns berichtet, es hafte etwas Unreines an unsern Sandalen. Ist es nun möglich, daß in eurem Harem eine so ruchlose That begangen worden sey, ohne daß von dem Erhabenen (Gott) ein Befehl herabkomme, (die Ruchlose) zu verstoßen? Es ist Alles nur Verleumdung der Heuchler, und hat weder Grund, noch Boden.“
Zu Anmerkung 242. Seite 162.
Die Verse, die hier Mohammed gesungen haben soll, kommen auch bei Ibr. H. S. 207. auf dem Feldzuge von Cheibar vor. Dort singt sie Amir Ibn Akwaa, wobei aber auch bemerkt wird, daß sie von Abd Allah Ibn Rawaha sind. Es heißt dann noch: „Als Amir schwieg, befahl Mohammed Abd Allah Ibn Rawaha, dem Dichter dieser Verse, noch mehrere zu recitiren, und als er dieß gethan, flehte jener Gottes Gnade über ihn.“
Zu Anmerkung 252. Seite 169.
Die aus dem Sirat Arrasul in der Beilage abgedruckte Stelle ist schon übersetzt worden. Die aus dem Infan Alujun lautet ebenso: „Denn Rufeida, der Gott gnädig sey, hatte ein Zelt in der Moschee, in welchem sie die Verwundeten von den Gefährten (Mohammeds) pflegte, welche Niemanden hatten, der ihnen Hülfe leistete. Seine (Saads) Leute gingen zu ihm und hoben ihn auf einen Esel u. s. w. “ Die aus Ibr. H. lautet: „Was Saad angeht, so war er im Kriege des Grabens verwundet worden, und konnte daher an diesem Feldzuge keinen Antheil nehmen, Mohammed, der Tröster aller Leiden, um ihn durch seinen Besuch zu beehren, hatte ihn in das Zelt einer Wundärztin mit Namen Rufeida legen lassen.“ Ibr. H. weicht darin von den andern Quellen ab, daß er das Zelt in die Nähe der Moschee setzt, während es nach den Andern in der Moschee selbst aufgeschlagen war, obschon er vielleicht auch den nicht für die Betenden bestimmten, Soffat genannten Theil der Moschee meint, welchen Andere als einen Theil der Moschee betrachten. Wie dem aber auch sey, so ist jedenfalls nur von einem Zelte die Rede, unter welchem Verwundete von einer mildthätigen Frau verpflegt wurden, nirgends aber von
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einem Spital, das neben dem von Jerusalem genannt zu werden verdiente.
Zu Anmerkung 263. Seite 175.
Die in der Beilage gedruckte Stelle aus Sirat Arrasul heißt wörtlich: „Urwa sagte ihm: Wer ist dieß, Mohammed? Er antwortete: Es ist der Sohn Deines Bruders, Mughira, der Sohn Schuba's. Er (Urwa) sagte: Treuloser! habe ich nicht erst vor Kurzem Deine Schmach abgewaschen? Ibn Hischam sagt: Urwa meinte damit: Mughira, der Sohn Schuba‘s, hatte vor seiner Bekehrung zum Islam dreizehn Mann von den Söhnen Maliks von (dem Stamme) Thakif ermordet, und es machten sich zum Kampfe auf die beiden Zweige aus dem Stamme Thakif (nämlich) die Söhne Maliks, das Geschlecht der Erschlagenen, und die Ahlaf, Geschlecht Mughira's, Urwa entrichtete dann den (Verwandten der) Ermordeten die Sühne für dreizehn Mann und ordnete diese Angelegenheit.“
Der aus dem Insan Alujun mitgetheilte Tert heißt wörtlich: „Es wird gesagt: Urwa meinte damit, daß er die Treulosigkeit Mughira's vor Kurzem bedeckt, weil Mughira, dem Gott gnädig sey, vor seiner Bekehrung zum Islam dreizehn Mann der Söhne Maliks von (dem Stamme) Thakif erschlagen hatte, die er nach Egypten, zu Mukaukas, dem sie Geschenke brachten, begleitete. Er erzählt (d. h. hier folgen Mughira's eigene Worte): Wir waren Küster der Lat, d. h. ihre Diener, und ich fragte meinen Oheim Urwa um Rath, ob ich sie begleiten sollte; er rieth mir, es nicht zu thun, aber (so fährt er fort) ich gehorchte seinem Befehle nicht. Mukaukas ließ uns in dem für Gäste bestimmten Tempel unterbringen. Dann ließ er uns vor sich kommen, und sie (die Beni Malik) brachten ihm die Geschenke. Da fragte er den Aeltesten der Leute nach mir, und er sagte: er gehört nicht zu uns, sondern zu den Ahlaf. So ward ich in seinen Augen am wenigsten geachtet, er erwies ihnen Ehre und vernachläßigte mich. Als sie weggingen, bezeugte mir Keiner von ihnen irgend eine Theilnahme; da befürchtete ich, sie möchten ihren Leuten erzählen, wie der König sie geehrt und mich mit Geringschätzung behandelt, und beschloß, sie zu ermorden. Als wir an einem (gewissen) Orte uns aufhielten, legte ich meinen Kopf nieder. Sie brachten mir Wein, ich sagte aber: mein Kopf schmerzt mich, doch will ich euch zu trinken geben. Ich schenkte ihnen dann viel ein, ohne den Wein mit Wasser zu mischen, bis sie leblos niedersanken, dann fiel ich über sie her und ermordete sie.“
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Gleichlautend mit dem Insan Al Ujun ist der aus Ibr. H. in der Beilage abgedruckte Text: „Urwa, über die kühne Handlung Mughira's gekränkt, sagte, als er erfuhr, daß sie von Mughira begangen worden: O Verräther! habe ich nicht noch damit zu thun, deinen Verrath gut zu machen? in Wahrheit, du bist ein ungebildeter Mensch. Zur Zeit seines Heidenthums hatte sich nämlich Mughira, gegen den Willen seines Oheims Urwa, dreizehn Latdienern von den zum Stamme Thakif gehörenden Beni Malik angeschlossen, welche mit einigen Geschenken zu Mukaukas, dem Statthalter von Alexandrien, gereist waren. Mukaukas ließ sie bei ihrer Ankunft in einen Tempel bringen, und ließ es nicht an Aufmerksamkeit und Ehren-Erweisungen gegen sie fehlen. Als er sie nach einigen Tagen der Ruhe vor sich kommen ließ und über Mughira's Umstände fragte, sagten die Beni Malik: Dieser Mensch gehört nicht zu uns, sondern zu den Ahlaf, so daß Mughira nicht die mindeste Ehre oder Wohlthat erwiesen ward. Als er nach ihrer Abreist auch bei seinen Reisegefährten nicht die geziemende Theilnahme fand, dachte er: wenn sie die mir widerfahrene Zurücksetzung unter meinem Volke verbreiten, so wird mir dieß manche Beschämung zuziehen, und beschloß daher, sie zu tödten. Unterwegs, als sie sich an einem schönen Platze niedergelassen, und mit Weintrinken beschäftigt waren, sagte Mughira: ich habe Kopfschmerzen und kann heute nicht euern Genuß theilen, doch will ich den Dienst des Schenken versehen. Nachdem er ihnen nun so viel zu trinken gegeben, bis sie ganz besinnungslos waren, spaltete er ihnen Allen die Hirnschale, und machte es mit dem Leben der Trinkgenossen dem Inhalte des Verses zufolge: „Bis an den Rand gefüllt, macht er die Runde um die Gesellschaft, aber der Becher zerbricht, der Wein fließt dahin und auch der Schenke weilt nicht länger.“
Ibr. H. erzählt dann hierauf, daß Mughira geradezu mit aller Habe der Ermordeten nach Medina reiste, und sich zum Islam bekannte. Als er den fünften Theil davon hergeben wollte, sagte ihm Mohammed: wir nehmen dich als Muselmann bei uns auf, nicht aber dein Gut, das du durch Verrath erworben. Als hierauf die Beni Malik gegen das Geschlecht Mughira's Krieg führen wollten, bezahlte Urwa, um die Flamme des Kriegs zu löschen (Urwah itfai naïrehi kital idjün), den Erben der Ermordeten die Sühne für dreizehn Mann. Ueber Ahlaf, das ich Anfangs für „Bundesgenossen“ genommen, das aber der Name eines Zweigs der Thakisiten ist, s. den Kamus.
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Zu Anmerkung 268. Seite 178.
Nach einn andern Tradition, die auch Ibr. H. S. 189. anführt, ließ sich Mohammed, als Ali sich weigerte, die Worte: „Gesandter Gottes“ zu streichen, sich dieselben zeigen, und strich sie dann selbst, woraus also hervorginge, daß er damals noch nicht lesen konnte; dafür spricht auch die in der Anmerkung 170, erwähnte Tradition, nach welcher Mohammed sich den Brief seines Oheims von Ibn Kaab vorlesen ließ, den er doch, da er schon aus der großen Eilfertigkeit des Boten schließen konnte, daß er eine höchst wichtige Nachricht bringe, gewiß zuerst selbst gelesen hätte, ehe er dessen Inhalt einem Andern anvertraute.
Zu Anmerkung 283, Seite 186.
Hier ist Ibr. H. im Widerspruch mit den ältern Quellen, denn er nennt S. 214. auch Watih und Sulam „fei.“ S. 212. erzählt er übrigens selbst, daß die Muselmänner vierzehn Tage mit der Belagerung dieser beiden Schlösser beschäftigt waren, und daß sie sich schon anschickten, die Wurfmaschinen gegen sie zu gebrauchen, als die Juden sich ergaben. Man sieht also nicht ein, warum die Beute nicht unter den Truppen vertheilt werden sollte. Auch die Beni Kureiza ergaben sich ja zuletzt, ehe ihre festen Plätze eingenommen wurden, und doch war ihre Beute nicht Privateigenthum Mohammeds. Nur Fadak, welches gar nicht belagert wurde, und die Güter der Beni Nadhir, welche ganz in der Nähe von Medina waren, konnte Mohammed als „fei“ erklären.
Zu Anmerkung 290. Seite 189.
Der von mir gerügte Widerspruch ist auch den muselmännischen Biographen nicht entgangen, Ibr. H., welcher S. 236. das auch von mir weiter unten angeführte Bekehrungsschreiben Mohammeds an den Nadjaschi mittheilt, welcher eine ausweichende Antwort darauf gab, schreibt dann S. 237.: Man wisse, daß dieser Nadjaschi ein Anderer als der Erste ist, denn dieser hieß Aßhama, zu ihm flüchteten sich zweimal die muselmännischen Auswanderer, ihn beehrte Mohammed mit dem Auftrage, ihn als seinen Stellvertreter mit Umm Habiba zu vermählen, und er bekehrte sich nach allen Berichten zum Islam. Er erhielt zwei Schreiben von Mohammed im sechsten Jahre der Hidjrah, in dem einen ward er aufgefordert, sich zum Islam zu bekennen, und in dem andern, ihm Um Habiba anzutrauen; in Betreff der Rückkehr der Auswanderer erhielt er aber keinen Auftrag. Der Name jenes
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Nadjaschi (des zweiten) aber ist unbekannt, er erhielt nur den Befehl wegen Heimsendung der Ausgewanderten, nicht aber in Betreff der Vermählung Um Habiba's; auch war er es nicht, bei dem die Muselmänner Schutz gesucht. Letzterem schrieb Mohammed nur einen Brief, in welchem er ihn aufforderte, den Islam anzunehmen und die Muselmänner zurückzusenden u. s. w. Gegen diese Lösung des Räthsels spricht aber noch eine andere Tradition, der zufolge Mohammed nach der Heimkehr vom Feldzuge von Tabuk, im Monat Radjab des neunten Jahrs derHidjrah, eines Morgens gesagt haben soll: „So eben ist der Nadjaschi Aßhama gestorben.“ Ibr. H. weiß daher keine andere Ausflucht, als daß entweder Beide Aßhama hießen, und auch der zweite sich später, als er mehr Anklang bei seinen Unterthanen fand, zum Islam bekehrte, so daß Mohammed für ihn betete, oder daß Aßhama abgesetzt worden und ein anderer Nadjaschi, den Mohammed im siebenten Jahre d. H. bekehren wollte, an die Regierung kam, und vor dem neunten Jahre d. H. entweder starb oder vom Throne gestürzt ward, so daß im neunten Jahre der erste Aßhama wieder Nadjaschi war und als solcher sein Leben endete. Mögen die Muselmänner, um ihre heilige Tradition zu verfechten, allen Scharfsinn aufbieten, der europäische Kritiker wird aber nicht zweifeln, daß die Bekehrung des Nadjaschi ebenso gut als die des Heraklius, welcher sie aus Furcht, den Thron zu verlieren, geheim gehalten haben soll, in das Gebiet der Legende gehört.
Zu Anmerkung 309. Seite 199. Nach Ibr. H. S. 227. ging die Gesandtschaft Mohammeds an den Kaiser nicht nach Syrien , sondern nach Konstantinopel. Wie wenig Vertrauen aber dieser Autor hierin verdient, geht aus seinen eigenen Worten hervor, denn S. 232. berichtet er, daß Abd Allah Ibn Hudsafa, den Mohammed an Kosru Perwiz an demselben Tage sandte, an welchem Dihja Ibn Chalifa nach Konstantinopel reiste, auf seinem Wege dem Kaiser begegnete, welcher seinem Gelübde zufolge mit dem wieder von den Persern zurückerhaltenen Kreuze nach Jerusalem wallfahrte, während wir doch aus gleichzeitigen griechischen Quellen wissen, daß Heraklius erst nach Chosroes' II. Tod das heilige Kreuz wieder erhielt und hernach erst seine Reise nach Syrien unternahm.
Zu Anmerkung 310. Seite 200.
Auch bei Ibr. H. S. 239. heißt der Statthalter von Jamama: Haudsa Ibn Ali Hanasi, und Mohammeds Gesandter: Salit Ibn
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Amru Alamiri. Mohammeds Brief lautet! „Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, Allmilden. Von Mohammed, dem Gesandten Gottes, an Haudsa Ibn Ali. Friede über den, welcher der Leitung folgt. Wisse, daß mein Glaube sich verbreiten wird, so weit die Hufen der Pferde und Füße der Kameele reichen. Werde Muselmann! so bist du gerettet, und ich bestätige dich als Herrn deiner Unterthanen.“ Haudsa soll dann verlangt haben, die Herrschaft mit Mohammed zu theilen, worauf dieser aber natürlich nicht einging.
Zu Anmerkung 318. Seite 206.
Auch Ibr. H. (S. 300.) setzt den Zug von Muta in den Monat Djumadi-l-Awwal und die Eroberung von Mekka (S. 261.) in den Ramadhan; letzterer wird nur zuerst erzählt, weil er eine ghazwat ist, ersterer hingegen eine sarijjah.
Zu Anmerkung 330. Seite 212.
Auch Ibr. H. unterscheidet richtig die beiden Abu Sosian. S. 261. liest man: „Als das muselmännische Heer in Abwa war, kam Mohammeds Vetter und Milchbruder, Abu Sosian Ibn Harith Ibn Abd Almuttalib, mit seinem Sohne Djafar und Abd Allah Ibn Ommejja, der Sohn Atika's, Tante des Gesandten Gottes, zur Armee. Mohammed ließ sie wegen ihres frühern gehässigen Benehmens gegen ihn nicht vor; zwar legte Um Talma Fürbitte für sie ein, aber er sagte! Ich brauche sie nicht; erst als Abu Sosian schwur: er würde seinem und seines unschuldigen Sohnes Leben in der Wüste ein Ende setzen, ward Mohammed gerührt und nahm ihr Glaubensbekenntniß an.“ S. 264. heißt es dann: „Als die Muselmänner in Marr Azzahran ihre Zelten aufgeschlagen hatten, begegnete Abbas, der schon in Djohfa zu Mohammed gekommen war, Abu Sosian (Ibn Harb), Budeil und Hakim Ibn Hizam, welche, zwar von dem Zuge der Muselmänner noch nicht unterrichtet, doch einen Krieg befürchtend, abermals nach Medina reisen wollten, um den Frieden herzustellen. Abbas nahm dann, wie schon im Texte erzählt worden, Abu Sosian zu sich auf sein Kameel, und schützte ihn gegen Omar. Mohammed sprach sich an jenem Abende gar nicht über ihn aus, erst am folgenden Morgen, als ihn Abbas wieder vor ihn führte, und er nach langem Zögern sich zum Islam bekehrte, ward ihm Sicherheit zugesagt.“ In vielfacher Beziehung unrichtig ist demnach folgende Stelle bei H. v. H. S. 172.: „Das Heer war
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schon in der Nähe Mekka's bis nach Dschohfa gelangt, wo in der Nacht zehntausend Wachfeuer aufleuchteten. „O Vater Hansala's!“ sagte Abbas, der Oheim Mohammeds, zu Ebi Sosian, „siehst du die zehntausend Flammenboten der Ankunft Mohammeds?“ - „Was zu thun, o Vater Fadhls?“ antwortete dieser; „dein Heil ist nur in der Unterwerfung“, entgegnete Abbas. So zog denn Ebi Sosian und sein Sohn Dschaafer nach Dschohfa. Den Oheim empfing Mohammed freundlich, aber auf die von Omm Selma, welche den Propheten auch auf diesem Feldzuge, wie auf dem letzten begleitete, eingelegte Fürbitte für Ebi Sosian und seinen Sohn, sagte Mohammed : „Ich brauche sie nicht“, und ließ sie über Nacht bewachen. Am Morgen ließ er den Ebi Sosian vorführen, und sagte zu ihm : „O Ebi Sosian! bist du noch nicht zur Erkenntniß gekommen, daß kein Gott außer Gott?“ Ebu Sosian und sein Sohn legten Beide das Bekenntniß des Islams ab.“
Zu Anmerkung 353. Seite 223.
Daß die Sängerin Sara zusammengehauen wurde, als man Hatibs Brief auf ihr fand, wird auch von Ibr. H. nicht gesagt, sondern es heißt nur (S. 259.): „Ali, Zubeir und Mikdad machten sich nach Mohammeds Befehl auf den Weg, und als sie diese Heuchlerin an dem von ihm bezeichneten Orte fanden, forderten sie den verborgenen Brief. Im Anfang leugnete sie, nach ihren Drohungen aber (ba‘da-l-indsar) zog sie ihn zwischen ihren Haarflechten hervor und überlieferte ihn. Sie nahmen ihn und gaben dem Besten der Geschöpfe (Mohammed) Kunde davon.“ Von der Sängerin ist weiter keine Rede mehr. Am Anfang der Seite wird erzählt, sie sey eine Sklavin Abu Amru's Ibu Dheisi, Ibn Haschim, Ibn Abd Menafs, gewesen, und habe aus Noth Mekka verlassen, weil seit dem Treffen von Bedr die Mekkaner alle Freude an Gesang und andern Vergnügungen verloren, sey aber in Medina auf Mohammeds Befehl reichlich beschenkt worden. Ibr. H. theilt auch Hatibs Brief mit, der, wenn er ächt ist, beweist, daß Hatib in der That kein Verräther, sondern der ihm gewordenen Gnade würdig war. Er lautet: „Von Hatib, dem Sohne Abi Baltaa's, an die Bewohner Mekka's. Wisset, daß der Gesandte Gottes (Gott sey ihm gnädig und bewahre ihn!) gegen euch zieht mit einem Heere wie die Nacht; er rückt heran wie ein reißender Strom; aber ich schwöre bei Gott, daß, wenn er auch allein gegen euch zöge, Gott, der Erhabene, ihm den Sieg über euch verleihen würde, um zu vollbringen,
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was er ihm verheißen gegen euch. Gewiß, der erhabene Gott ist sein Beschützer und sein Herr. Ich hoffe, daß mir dieses Schreiben euern Schutz und euer Wohlwollen gewinnen wird.“
Zu Anmerkung 357. Seite 228.
Bei Ibr. H. S. 245. u. 246. werden die verschiedenartigsten Meinungen über das Verbot der Miethehe angeführt. Nach einigen ward sie auf dem Feldzuge von Cheibar verboten, bei der Eroberung von Mekka auf drei Tage erlaubt, dann wieder auf immer verboten; nach andern verbot sie Mohammed auf dem Feldzuge von Autas, nach Manchen auf dem Feldzuge von Tabuk und nach Einigen erst bei seiner letzten Wallfahrt nach Mekka. Einige behaupten sogar, Mohammed habe die Miethehe nie absolut verboten, und stützen ihre Behauptung auf eine Aussage des Ibn Abbas und auf eine andere Tradition von Djabir, derzufolge die Miethehe bis zur Zeit Omars erlaubt war. Die Schiiten, welche viele Traditionen der Sunniten nicht anerkennen, behaupten, daß die Miethehe nicht nur erlaubt, sondern sogar jeder andern Ehe vorzuziehen ist. Auch wird erzählt, daß unter dem Chalifate Mamuns, der sich zu den Schiiten hinneigte, und das schwarze Gewand der Abbasiden mit dem grünen der Aliden vertauschte, auf den Straßen Bagdads die Miethehe als gesetzlich erlaubt ausgerufen ward. Als indeß der Kadhi Jahja dieß hörte, begab er sich zu Mamun, und erklärte ihm, daß die Miethehe sowohl der Schrift als der Tradition zufolge der Buhlerei ähnlich ist. In der heiligen Schrift, sagte er, ist den Männern nur der Beischlaf ihrer Gattinnen oder Sklavinnen erlaubt, da doch aber die Kinder einer gemietheten Frau kein Recht an der Erbschaft des Vaters haben, so kann sie auch nicht als Gattin angesehen werden und noch weniger als Sklavin. Auch, fuhr er fort, besteht eine allgemein anerkannte Tradition des Imam Zuhra, derzufolge Ali gesagt haben soll: „Der Gesandte Gottes, dem Gott gnädig sey, hat mir befohlen, auszurufen, daß die Miethehe verboten.“ Mamun fragte dann alle anwesenden Gelehrten, ob ihnen diese Tradition bekannt sey, und als sie einstimmig seine Frage bejahten, ließ er die Miethehe wieder als verboten ausrufen.
Zu Anmerkung 366. Seite 233.
Auch bei Ibr. H. S. 280. wird nicht gesagt, daß diese Worte Mohammeds für göttliche Eingebung gehalten werden, Er sagt zuerst,
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sie werden nicht als „Schi‘run“ betrachtet, weil „Radjaz“ nicht als solcher angesehen wird, aber selbst nach dem System Chalils, der „Radjaz“ auch dafür hält, gelten diese Worte doch für kein „Schi‘run“, weil sie nur so zufällig und nicht absichtlich gesprochen worden. Dagegen läßt sich aber einwenden, fährt er fort, daß ja auch im Koran, wo doch nichts zufällig ist, manche wirkliche Verse vorkommen; Einige behaupten daher, das Wort „Schi‘run“ passe nur für Verse, die sich an Vorhergehende und Folgende anschließen, was weder hier, noch im Koran der Fall ist. Andere hingegen, daß man unter „Schi‘run“ nur solche Verse verstehe, die in der Absicht, ein Gedicht zu bilden, verfaßt worden, eine solche Absicht fand aber weder bei diesem Ausrufe Mohammeds, noch bei den im Koran vorkommenden Versen Statt.
Zu Anmerkung 371. Seite 237.
Daß Mohammed während der Belagerung von Taïf nicht in, sondern zwischen den Zelten seiner Gattinnen betete, liest man auch bei Ibr. H. S. 285.: „muddat hisardeh pischewai djamaat asfiai hazratleri Namazi Umm Salma wezeinab razia allahu anhuma cheimehleri mijanindek eda bujurdiler.“ Auf den beiden folgenden Seiten wird auch berichtet, daß Taïf nicht eingenommen wurde. S. 286. heißt es nämlich: Chaula, die Tochter Hakims, Gattin Othmans Ibn Mazun, sagte zu Mohammed: Gesandter Gottes! ist irgend ein Abhaltungsgrund vorhanden, daß du so lange zögerst, den Befehl zur Erstürmung von Taïf zu geben? Auch Omar richtete dieselbe Frage an Mohammed, welcher antwortete: Ich habe noch keine Erlaubniß vom Allmächtigen dazu. Mit Mohammeds Erlaubniß gab dann Omar den Befehl zum Aufbruch. Da indessen Mohammeds Gefährten sich nicht gerne fügten, indem sie sagten: „wie sollen wir heimkehren, bevor wir Taïf erobert?“ gab er den Befehl zum Angriff. Als aber die Gefährten mit lautem Kriegsgeschrei sich der Festung näherten, wurden Viele von ihnen verwundet, sogar Abu Sosian Ibn Harb ward von einem Pfeil auf das Auge getroffen, und er kam mit dem Auge in der Hand vor Mohammed. Dieser fagte ihm: ist dir lieber, daß dein Auge wieder werde, wie es war, oder ziehst du vor, einst ein reines, lichtvolles Auge aus dem Paradiese dafür zu erhalten? Abu Sosian zog Letzteres vor, und warf sein Auge auf den Boden. Ibr. H. erzählt dann S. 287., daß Abu Sosian in der Schlacht von Jarmuk sein anderes Auge verlor, und daß Chalid ans Omars Befehl nach dieser Schlacht den Oberbefehl
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an Abu Ubeida übergab. Dann fährt er fort: Als Mohammed sah, daß viele Leute verwundet waren, die Festung nicht einnehmen konnten, und in die größte Bestürzung geriethen, sagte er: wir kehren um, mit Gottes Willen. Alle freuten sich darüber, und ließen ab von ihrem schweren Unternehmen, Mohammed lächelte über diese schnelle Veränderung, und wiederholte die Worte: „es gibt nur Einen Gott, er hat seine Verheißung erfüllt, seinem Knechte geholfen und die Schaaren zerstreut“, und erinnerte sie während des Zuges an die Worte: „Zurückkehrend und unsern Herrn anbetend und ihn preisend.“
Zu Anmerkung 398. Seite 259.
Der in dieser Anmerkung gerügte Fehler des H. v. H. rührt nicht von ihm, sondern von Ibr. H. her, bei welchem man (S. 335.) liest: Als Mohammed vernahm, daß sich die Heuchler im Hause Saweilams versammelt, sandte er Talha Ibn Abd Allah mit einigen entschlossenen Männern zurück, welche es in Brand steckten. Ein Heuchler mit Namen Dhahhak Ibn Chalifa, welcher durch das Hinterhaus dringen wollte, brach ein Bein, die übrigen Heuchler entkamen glücklich. Man sagt, Dhahhak habe über diesen Vorfall folgende Verse gedichtet: „Bei dem Tempel Allah's, Dhahhak und Ibn Ubeirak waren nahe daran, in Mohammeds Flamme zu verderben. Weil ich Saweilams Haus besucht, seufze ich nun über gebrochenen Arm und Fuß. Friede über euch! Dergleiche bleibe fern von mir! ich fürchte mich, denn wer von Flammen umringt ist, der verbrennt.“ Ich kann indessen nur wiederholen, daß diese Sage auf einem Mißverständniß der älteren arabischen Quellen beruht, und diese Verse imponiren mir so wenig, als die, welche Amina vor ihrem Tode, oder Adam, als er aus dem Paradiese vertrieben ward, gedichtet haben soll.
Gleich darauf folgt dann bei Ibr. H. die Erzählung von Ali's Zurückbleiben und dem Gerede der Heuchler: „daß er Mohammed“ (nicht Mohammed und der Feldzug ihm, wie bei H. v. H.) lästig. „hazrati murtaza mustathkali Sultani-l-Anbija ohmaghileh.“
Zu Anmerkung 404. Seite 263.
Auch bei Ibr. H. S. 338. lautet Mohammeds Schreiben an den Fürsten von Eila, so wie ich es angegeben, nur heißt es im Anfang: „An die Bewohner von Eila, ihre Bischöfe und Fürsten.“ Darauf folgt dann das Schreiben an die Bewohner von Adsruh (nicht Esrah „fathi
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hamza wasukuni dsal wazammi rai ileh“) und Djarba, welches lautet: „Dieß ist das Schreiben Mohammeds, des Propheten, an die Bewohner von Adsruh und Djarba. Sie sollen sicher seyn durch den Schutz Gottes und den Schutz Mohammeds, und haben jeden Radjab hundert Dinare richtig zu bezahlen. Gott ist Bürge für (ihren?) treuen Rath und Wohlthat gegen die Muselmänner.“
Zu Anmerkung 411. Seite 268.
Die Worte „wairsadan liman haraba Allaha“ erklärt auch Ibr. H., wie ich es gethan, denn er bemerkt dazu (S. 347.): In Erwartung des gottlosen Abu Amir, der schon früher Gott und seinen Gesandten bekämpft (waanden mukaddam Allahu taala warasulineh muharabat iden Abu Amir fasikeh intizar idjun).
Zu Anmerkung 415. Seite 273.
Nach Ibr. H. S. 260. erschien dieser Vers bei folgender Gelegenheit: Als die Benu Kureiza sich von ihren Glaubensgenossen verlassen sahen, baten sie Mohammed, ihnen Abu Lubaba zu senden, damit sie sich mit ihm über ihre Lage besprächen. Abu Lubaba war nämlich ein Ausite, so daß die Juden, welche früher Verbündete der Beni Aus waren, volles Vertrauen zu ihm hatten. Als Abu Lubaba mit Mohammeds Erlaubniß sich zu ihnen verfügte, stürzten sie ihm Alle laut schluchzend entgegen und fragten ihn, ob er ihnen rathe, sich Mohammed auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Abu Lubaba, gerührt von dem Wehegeschrei der Juden, fuhr, während er von ihrer Uebergabe sprach, mit dem Finger nach dem Halse, gleichsam um ihnen anzudeuten, daß sie in diesem Falle dem Schwerte nicht entrinnen würden. Abu Lubaba erkannte aber bald sein Unrecht, und sah ein, daß er einen Verrath gegen Gott und Mohammed begangen. Da er die Anwesenheit Mohammeds nicht mehr ertragen konnte, bat er um Erlaubniß, nach Medina zurückzukehren, und verließ sogleich das Heer der Belagerer. Er begab sich hierauf in die Moschee, band sich an einen Pfeiler fest, und schwur: diese Stelle nicht zu verlassen, bis Mohammed ihn begnadigen und selbst entfesseln würde. Nur zur Zeit des Gebets kam seine Frau und band ihn los, sobald er aber sein Gebet verrichtet hatte, ließ er sich wieder von ihr festbinden. Als Mohammed dieß hörte, sagte er: wäre er hieher gekommen, und hätte mich gebeten, Gottes Gnade für ihn zu erflehen, so würde ich es gethan haben, so
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aber kann ich ihn nicht befreien, bis mir es Gott befiehlt. Abu Lubaba brachte sechs Tage mit der größten Beharrlichkeit am Pfeiler der Moschee zu; in der siebenten Nacht, als sich Mohammed im Gemache seiner Gattin Um Salma befand, erschien ihm gegen Morgen der Engel Gabriel mit dem Verse: „Andere bekannten ihr Vergehen und vermischten gute Werke mit schlimmen, vielleicht wird sich Gott wieder ihnen zuwenden.“ Mohammed, über diese, Abu Lubaba's Begnadigung aussprechende Offenbarung erfreut, fing an zu lächeln und theilte sie Um Salma mit, welche ihn nach der Ursache seines Lächeln gefragt. Da zu jener Zeit Mohammeds Gattinnen noch frei umhergingen, so lief Um Talma selbst in die Moschee, um ihm seine Begnadigung mitzutheilen. Als man ihn aber hierauf losbinden wollte, gab er es nicht zu, weil er geschworen hatte, Mohammed müsse ihn mit eigener Hand befreien. Dieß geschah auch, sobald er zur Verrichtung des Morgengebets in die Moschee kam.
Zu Anmerkung 433. Seite 283.
Die Beilage aus Girat Arrasul ist schon übersetzt, die aus Ibr. H. (S. 356.) lautet: „Der edle Gesandte, Besitzer erhabener Tugenden, über den Glück und Heil (Mohammed), der Bitte des Elenden und Ueberwältigten (Abd Allah's) nachgebend, hüllte ihn in sein segenreiches Hemd, und beeilte sich, für ihn zu beten. Da wagte es der erhabene Scheidende (Omar), ihm entgegenzutreten, und erstaunt zu fragen: „O Gesandter Gottes! willst du bei dem Gebete für diesen Heuchler anwesend seyn?“ Der edle Gesandte antwortete: O Omar! Gott, der Gepriesene, hat mir in dieser Sache dem Verse zufolge: „bete um Vergebung für sie oder nicht, wenn du auch siebenzigmal für sie betest, vergibt ihnen Gott doch nicht“, die Wahl gelassen, und darum bete ich mehr als siebenzigmal um Vergebung; er verrichtete daher das Gebet für ihn, und war zugegen bei dessen Beerdigung. Zu dieser Zeit erschien aber der Vers: „Bete niemals für einen von ihnen bei seinem Tode und betrete nicht sein Grab, denn sie haben Gott und seinen Gesandten geleugnet, und sind als Ruchlose gestorben.“ Nachher war es ihm nicht mehr gestattet, für die verhaßte Rotte der Heuchler zu beten.“
Vorher heißt es: Abd Allah hütete zwanzig Tage das Bett, Mohammed besuchte ihn häufig, und da er auch in der Todesstunde bei ihm war, sagte er ihm: „O Abd Allah! habe ich dir nicht von deiner Liebe zu den Juden abgerathen? du hast mir aber kein Gehör geschenkt.“
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Abd Allah bat ihn, er möchte ihn jetzt mit seinen Vorwürfen verschonen und nach seinem Tode bei seiner Waschung gegenwärtig seyn, ihn in ein Hemd hüllen, das sein edler Körper berührt, das Gebet für ihn verrichten, und Gottes Vergebung auf ihn herabrufen. Als der Elende todt war, u. s. w.
Nach der in der Beilage mitgetheilten Stelle heißt es dann noch bei Ibr. H.: Man erzählt: Als Abbas im Treffen von Bedr gefangen und seiner Kleider beraubt ward, konnte man wegen seiner außerordentlichen Größe kein passendes Hemd für ihn finden, bis ihm Abd Allah Ibn Ubejj eines der seinigen schenkte; um ihn dafür zu belohnen, hüllte ihn Mohammed in sein Hemd. Als indessen seine (Mohammeds) Gefährten ihn über diese Handlungsweise zur Rede stellten, sagte er: weder mein Hemd, noch mein Gebet können ihm nützen, ich hoffe aber, daß Gott dadurch tausend andere Heuchler in reine Muselmänner verwandeln wird, und in der That schloßen sich, durch diese edle Handlung Mohammeds, tausend Heuchler den aufrichtigen Muselmännern an.“ Mohammeds Gebet für Abd Allah, als Versöhnungsakt mit dessen Anhängern, mag wohl als ein historisches Faktum betrachtet werden, Abd Allah‘s Bitte darum ist aber gewiß in eine Kategorie mit Abu Talibs Glaubensbekenntniß in der Todesstunde zu setzen, und die Geschichte mit dem geschenkten Todtenhemde als eine mährchenhafte Ausschmückung der geschichtlichen Thatsache zu betrachten, freilich ungeschickt genug, denn da Abd Allah von gleicher Größe wie Abbas war, und dieser kein anderes Hemd als das Abd Allah‘s anziehen konnte, so konnte auch Jener unmöglich das Mohammeds anziehen.
Zu Anmerkung 515. Seite 322.
Die Worte, welche Mohammed an die Bewohner der Gräber richtet, lauten bei Ibr. H. (S. 399.) gerade so, wie ich sie angeführt, man liest nur lajahni statt lahanium und scharrun statt ascharu, was aber den Sinn nicht ändert.
Zu Anmerkung 533. Seite 333.
Der in der letzten Beilage mitgetheilte Tert ist schon wörtlich übersetzt worden. Ueber Abu Hureira liest man bei Ibr. H. S. 248.: Er hieß als Heide Abd Esschems Ibn Amir und als Muselmann Abd Allah, er war ein Schafhirt, und führte immer eine schöne Katze nach, mit der er spielte, weßhalb er den Beinamen Abu Hureira (Katzenvater) erhielt. Nach seiner Bekehrung zum Islam hielt er sich immer in
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dem, Soffat genannten Theile der Moschee auf, und trennte sich nicht von Mohammed, wie die übrigen Ausgewanderten, welche Handel und Feldbau trieben, darum war er auch erfahrener als die übrigen Gefährten in den Traditionen und Gebräuchen des Propheten. Er starb in der letzten Zeit von Muawia's Chalifat, in einem Alter von achtundsiebenzig Jahren, im J. 57. der Hidjrah. In den Traditionsbüchern hat man von ihm 5374 Ueberlieferungen aufbewahrt.
Zu Anmerkung 535. Seite 334.
Das Wort Sakifatun kommt auch bei Ibr. H. S. 71. in der Bedeutung von „oberes Stockwerk“ vor, denn Abu Ajub erzahlt dort: „Unser Haus enthielt ein oberes und ein unteres Stockwerk, da ich mit meiner Familie im obern Stockwerke (tabakehi faukaniehdeh) wohnte, nahm Mohammed das untere ein. In der Nacht sagte ich zu meiner Gattin: es ziemt sich nicht, daß der edle Prophet, dem göttliche Offenbarung zukommt, unten wohne, er ist in jeder Beziehung des obern Stocks würdiger als wir. Meine Frau stimmte mir bei, und wir konnten vor Aerger und Verdruß die ganze Nacht nicht schlafen. Des Morgens begab ich mich zum Gesandten Gottes, und erzählte ihm, daß wir die ganze Nacht schlaflos zugebracht, und schwur bei Gott, daß ich nicht in einem obern Stock (sakifahdeh) bleiben werde, wenn im untern ein von Gott gesandter Prophet wohnt, worauf dann Mohammed in einen Umzug willigte. Sollte Abu Ajub etwa Mohammed sein Dach zur Wohnung angewiesen haben???
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Sach- und Namenregister.
A.
Aad, Stamm, 262.
Abd Allah, Ibn Abu Hadr, ein Kundschafter Mohammeds 232.
Aascha, der Dichter, bekehrt sich nicht, 16.
Abd Allah, Ibn Abu Ommejja, Mohammeds Schwager und Vetter, 212, 213.
Aaß, Amru's Vater, 20.
Abd Allah, Ibn Alarkam, Mohammeds Sekretär, 350.
Abbad, Ibn Basckir, soll Abb Allah Ibn Ubejj erschlagen, 149.
Abd Allah, Ibn Amru, 124.
Abbas Ibn Abd Almuttalib, Mohammeds Oheim, 8, 10, 11, nimmt Mohammed mit in den Krieg, 30, begleitet ihn auf den Berg Akaba, 74. muß sich bei Bedr loskaufen, 113, 414. dient Mohammed als Spion, 114, gibt Nachricht vom Auszuge der Kureischiten, 123, vermählt Meimuna mit Mohammed, 203. kömmt ihm nach Djohfa entgegen. 214, beschützt Abu Sosian, 215 423, zeigt ihm die muselmännische Armee. 216. ruft die Flüchtlinge bei Honein zurück. 233, gibt Geld her zum Feldzuge von Taduk, 260, Moh. erklärt den Zins, den er ausstehen hat, für verschollen, 300, fordert Ali auf, von Moh. eine Erklärung über die Nachfolge zu begehren. 323, besteht darauf, daß Mohammeds Leiche gewaschen werde. 338.
Abd Allah, Ibn Chatal, wird hingerichtet. 220.
Abbas Ibn Mirdas, Dichter, wird von Mohammed bestochen, 238-240.
Abd Allah, Ibn Djahsch, sein Raubzug, 98-101, 394.
Abd Aldar, Sohn Kußei's. 5, 11.
Abd Allah, Ibn Djud'an, 32. 403.
Abd Allah, Abu Bekr's Diener, 83.
Abd Allah, Ibn Hudsafa, 422.
Abd Allah, Ibn Abbas, 317.
Abd Allah, Ibn Masud, 50.
Abd Allah, Ibn Abd Allah, Ibn Ubejj, Mohammeds Sekretär, 350.
Abd Allah, Sohn Mohammeds, 32.
Abd Allah, Ibn Abd Almuttalib, Mohammeds Vater, soll geopfert werden, 8 heirathet Amina. 22, sein Tod und seine Verlassenschaft, ibid.
Abd Allah, Ibn Ommejja. Mohammeds Vetter, seine Bekehrung, 212, 423.
Abd Allah, Ibn Rabiah, reist mit Amru nach Abyssinien, 57.
Abd Allah, Ibn Rawaha, ein Dichter, verkündet den Sieg von Bedr in Medina, 109, Mohammed singt einige seiner Verse, 162, 418. ermordet Juseir, 171, sein Tod. 206. 207, war Mohammeds Sekretär, 351.
Abd Allah. Ibn Saad, wird von Mohammed begnadigt, 220, Koransvers gegen ihn, 376.
Abd Allah, Ibn Salam, 90, seine Bekehrung, 93.
Abd Allah, Ibn Ubejj, rettet die Benu Keinukaa, 118, 119, ist gegen den Krieg von Ohod, 123, zieht sich zurück, 124, verspricht den Beni Nadhir Hülfe, 135, 136, will seine Sklavin prostituiren, 144, seine aufrührerische Rede, 148. verleumdet Aïscha, 151, 159, spricht gegen den Feldzug von Tabuk, 258. verläßt die Armee, 260. sein Tod, 277, Beerdigung. 283, 429.
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Abd Allah, Ibn Uneis, ermordet Sosian Ibn Chalid. 133, Mohammed schenkt ihm einen Stock, 134.
Abu Bekr, 5, 11, streckt Mohammed die Reisekosten vor, 39, bekehrt sich, 49, befreit Bilal, 50 wird mißhandelt. 56. begleitet Mohammed nach der Kaaba, 61, wettet für den Sieg der Griechen, 65, flüchtet mit Mohammed in eine Höhle, 78. 79, wandert nach Medina aus, 80, besteigt nur zwei Stufen der Kanzel, 86, spricht für den Zug nach Bedr, 107. will Umm Salma heirathen, 145, will Mistah nicht mehr unterstützen 159, weist Abu Sosian ab, 208, verschont Chalid, 231, verläßt Mohammed nicht bei Honein, 233, opfert sein ganzes Vermögen dem Feldzuge von Tabuk, 260, zum Emir der Pilger ernannt, 277, weint über Mohammeds Abschiedsrede, 314, darf die aus seiner Wohnung in die Moschee führende Thüre beibehalten, 324. betet vor während der Krankheit Mohammeds, 327. 328. bestätigt Mohammeds Tod, 332. 333, wird zum Chalifen erwählt, 334-336, Rede nach der Huldigung, 337. 338, sammelt den Koran. 348, war Mohammeds Sekretär, 350. will Abu Djahl's Sohn verbrennen, 359.
Abd Al Malik, Ibn Merwan, der Chalife, 132.
Abu Bureida, klagt Ali an, 320.
Abd Almuttalib, Mohammeds Großvater, 6-8, 11, glaubt an ein höheres Wesen. 19. findet Mohammed, 26, adoptirt ihn, 28. bringt ihn einem Augenarzte, ibid., sein Tod, ibid., über seine Gesandtschaftsreise, 403-406.
Abu Cheithama, holt Mohammed bei Tabuk ein, 261.
Abd Aluzza, Sohn Kußei's, 11, 34.
Abu Djahl, beschimpft Mohammed, 58, 59. beschützt Omar, 61. stimmt für Mohammeds Tod, 77. reizt die Mekkaner zum Kriege. 104, 105, sein Tod, 109.
Abd Arrahman, Abu Bekr's Sohn, 330.
Abu Djandal, flüchtet sich zu Mohammed 179, wird ausgeliefert, 180, 183.
Abd Arrahman, Ibn Auf, 23, 50, sein Zug mit Chalid, 229, Streit mit demselben. 231, sein Beitrag zum Feldzuge von Tabuk, 260. macht Mohammed Vorwürfe, daß er über Ibrahim weint, 287.
Abu Dudjana, kämpft mit Mohammeds Schwert, 126.
Abd Menaf, Sohn Kußei's, 5, 11.
Abu Ghudschan, Sohn Huleil's, 4.
Abd Menaf, Sohn Mohammeds, 39.
Abu Halat, Chadidja's zweiter Gatte, 34.
Abd Menaf, Sohn Zuhra's, Amina's Großvater, 11, 22.
Abu Hantala, Beiname Abu Sosian's, 214.
Abd Schems. Sohn Abd Menaf's, 5, 11.
Abu Hudseifa, Sohn Otba's, 112.
Abid, Chadidja's Schwiegervater, 34.
Abu Hureira, 44, 333, 430.
Abraha, Statthalter von Jemen, 8, sein Zug nach Mekka. 10.
Abu Kubeis, der Berg, 5, 31, 40, 54, 291, 293, 319.
Abraham, 1, 2, 14, sein Bildniß in der Kaaba, 236. Abraham's Stätte, 289, 291. die Sura, 369.
Abs, der Stamm, 13.
Abu Afak, wird ermordet, 118.
Abu Ajub, nimmt Mohammed auf, 82, 431, spricht Aïscha frei, 158, bewacht Mohammeds Zelt, 187.
Abu Amir, der Mönch, 267, 208, 428.
Abu Amir, muselmännischer Feldherr, 233, 234.
Abu Amru, Ibn Dheisi, 424.
Abu Anam, Ort, 414.
Leben Mohammeds.
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Abu Kutaba. Kaabs Vetter, 271.
Abu Talib. Ali's Vater, tritt sein Recht an Abbas ab, 10, adoptirt Mohammed, 28, reist mit ihm nach Boßra, 28, 29, läßt ihn in Chadidja's Dienst treten, 35, vermählt ihn mit derselben, 36, trit Ali an Mohammed ab, 49, beschützt Mohammed, 55, 62, 63, sein Tod, 67, 68.
Abu Lahab, Mohammeds Obeim, 11, besucht Amru's Mutter, 20, widersetzt sich Mobammed, 52-55. seine Krankheit und sein Tod, 114, 115, die so genannte Sura, 365.
Abu Turab, Beiname Ali's, 97.
Abu Lubaba, warnt die Beni Kureiza vor einer Uebergabe, 428, thut Buße, 429.
Abu Ubeida, bringt Amru Verstärkung, 204, stellt sich unter dessen Befehl, 205.
Abu Mauhaba, oder Muweihaba, Mohammeds Sklave, 321, 322.
Abu'l Aaß. Zeinabs Gatte, 39, 83, 116.
Abu Musa, war bei Dsat Arrika, 141, siegt bei Autas, 234.
Abu'l Azza. Dichter, wird hingerichtet. 132.
Abu Naila, des Juden Kaab Milchbruder. 119.
Abu'l Bahtari, sein Tod. 112.
Abu Rasi', Mohammeds Sklave, 203, 319.
Abu'l Jusri. nimmt Abbas gefangen, 114.
Abu Rasi', Beiname des Juden Sulam. 171.
Abu'l Kasim. Beiname Mohammeds, 38.
Abu Rahm, zweiter Gatte Meimuna's, 204.
Abu'l Kasim Hasan, der Iman, 363.
Abu Raweiha, 216.
Abwa, Ort zwischen Mekka und Medina, 27, 28.
Abu Salma Ibn Abb Alasad, 98, sein Zug gegen die Benn Asad, 134.
Abyssinien, Auswanderung dahin, 56, Rückkehr der Auswanderer, 189, dahin gesandte Koransverse, 382.
Abu Saad, Abb Almuttalibs Oheim, 6, 7.
Adam, baut die Kaaba, 40.
Abu Sosian, Ibn Harb, 11, besucht Amru's Mutter, 20. räth zur Aufhebung des Bannes, 63, sendet Dhamdham nach Mekka, 103, weicht den Muselmännern aus, 104, will Zeinab nicht bei Tag abziehen lassen, 116. Zug nach Ureidh, 121, seine Rede nach dem Treffen von Ohod, 130, 131. sendet Meuchelmörder nach Medina, 133, wagt es nicht, nach Bedr zu ziehen, 143, hebt die Belagerung von Medina auf, 164, Schreiben an Mohammed, 166, Unterredung mit Heraklius, 201, will den Frieden von Hudeibia wieder herstellen, 208, 209, seine Bekehrung, 215. 423, seine Schadenfreude bei Honein, 233, wird von Mohammed beschenkt, 239, zerstört den Götzen der Thakisiten, 256, verliert bei Taïf ein Auge, 426.
Addas, ein Mönch, 47.
Abu Sosian, Ibn Harith, Mohammeds Vetter, seine Bekehrung. 212, 213, 423, beschützt Mohammed bei Honein, 233.
Adhal, Stamm, 132.
Adi Ibn Zalim, 344.
Adij, Sohn Hatims, 247, 248, 250.
Adij, Sohn Kaabs. 11.
Adjjad, Abhang bei Mekka. 33.
Adjlan Ibn Auf. 410.
Adjlan Ibn Scherif. 411.
Adnan, der letzte bekannte Ahnherr Mohammeds, 1.
Adsa, Linse, eine Krankheit. 115.
Adsachir. Ort in der Nähe von Mekka. 217.
Adsruh, Ort, 427, 428.
Aelius Gallus. 18.
Ahad. Einziger, Losungswort. 108.
Ahabisch, Verbündete vom Berge Habschi. 177.
Ahkaf, die Sura, 367.
Ahlaf, Zweig der Thakisiten, 419, 420.
Ahmed. Ibn Husein. 297.
Ajid, Chadidja's Schwiegervater, 34.
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Aïscha, Tochter Abu Bekrs. Ankunft in Medina, 83, Vermählung mit Mohammed, 88, der Untreue verdächtig, 151-154. begleitet Mohammed zur Pilgerfahrt, 290, Unterredung mit ihm über ihren Tod, 323, wünscht, daß Omar statt Abu Bekr vorbete, 327, Moh. nennt sie eine Heuchlerin, ibid., stirbt in ihren Armen, 331, will nicht, daß er in der Moschee begraben werde, 338, ihr Bemerken, als Mohammed einige seiner Frauen bevorzugte, 358.
Almosen, am Ende des Monats Ramadhan, 92.
Akaba, Hügel, 151, 157, 270.
Almuttalib, s. Muttalib.
Akil, Bruder Ali's, 22.
Amalekiten, werden aus Mekka vertrieben, 2, bauen die Kaaba. 40.
Akraa, Ibn Habis, fordert seinen Theil von der Beute, 238, wird von Moh. beschenkt. 240, erscheint als Abgeordn., 244. bekehrt sich, 246.
Amin, Sohn Harun Arraschids, 87.
Akrama, Sohn Abu Djahls, kämpft bei Chandama, 217, von der Amnestie ausgeschlossen, 222.
Amin, Beiname Mohammeds, 34.
Ala, Ibn Djaria, wird von Mohammed beschenkt, 240.
Amina, Mohammeds Mutter, 11, ihre Gedichte, 22, sendet Mohammed auf‘s Land, 25, Reise nach Medina und Tod, 27.
Alexander, 403.
Amir, Abu Bekrs Großvater, 11.
Ali, Sohn Abu Talibs. 11, wird von Mohammed adoptirt, 49, will sein Vizier seyn. 53, legt sich auf dessen Bett, 77, Ankunft in Medina, 83, Trauung mit Fatima, 88, kundschaftet die Gegend von Bedr aus, 106, sein Zweikampf bei Bedr, 107, 108. Erklärung über Aïscha, 155, 417, Zweikampf am Graben, 162, setzt den Vertrag bei Hudeibia auf, 177, 178, Zweikampf mit Marhab, 187, sein Rath an Abu Sosian. 208, erschlägt Humeirath, 222, entschädigt die Benu Djadsima, 230, beschützt Moh. bei Honein, 233, heißt Saffana Mohammeds Gnade anflehen, 248, Zug gegen die Taiten, ibid., muß Mohammeds Familie hüten, 260, verkündet die neunte Sura, 277, Rückkehr aus Südarabien, 293, Mohammed empfiehlt ihn bei Chum, 320. er wäscht Mohammeds Leiche, 338, holt die Sängerin Sara ein, 424.
Amir, Ibn Akwaa, 418.
Aliah, Erklärung dieses Wortes, 110, 413.
Amir, Ibn Fuheira, Mohammeds Sekretär, 350.
Aliah, Götze, 18, s. auch Lat.
Amir, Ibn Tufeil. Abqeordneter der Benn Amir, 256, 257.
Amit, (tödte!) Losungswort bei Ohod, 125, 415.
Ammar, Ibn Baschr, sollte Abd Allah erschlagen, 221.
Ammar, Ibn Jasir, 97, wird in Saweilams Haus geschickt, 259. führt Mohammeds Kameel, 265.
Amra, Tochter Jezids, Mohammeds Verlobte, 359.
Amran, Sura der Familie, 370.
Amru, Oheim Chadidja's, 36.
Amru, Abu Bekrs Urgroßvater, 11.
Amru, Ibn Aaß, seine Geburt, 20. geht nach Abyssinien, 57, kämpft bei Ohod, 125, Bekehrung, 204, Zug nach Dsat Sulasil, 205, zerstört den Götzen Suwa, 228, war Mohammeds Sekretär, 350.
Amru, Ibn Ahtam, Dichter der Benn Tamim, 245.
Amru, Ibn Alhadhrami, wird erschlagen, 100.
Amru, Ibn Amir, Muzeikia, 410.
Amru, Ibn Harith, König der Djorhamiden, 7.
Amru, Ibn Hazm, wird zu den Benu Harith gesandt, 250.
Amru, Ibn Hind, König von Hira, 16, 60.
Amru, Ibn Kolthum, Dichter, 17, 244.
Amru, Ibn Lohai, vertreibt die Djorhamiden aus Mekka, 3, führt den Götzendienst in Arabien ein, 18.
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436
Amru Ibn Ommejja, will Abu Sosia ermorden, 133, veranlaßt den Krieg mit den Benu Nadhir, 134, wirbt für Mohammed um Umm Habiba, 189, abermalige Sendung nach Abyssinien, 196, ruft die Gläubigen zurück, 204, baut eine Moschee bei Taïf, 237.
Asma, Tochter Nu'mans, Mohammeds Verlobte, 339.
Amru, Ibn Schurahbil, der Ghassanide, läßt Mohammeds Gesandten erschlagen, 207.
Aßhama, Name eines abyssinischen Fürsten, 421, 422.
Amru'lkeis, der Dichter, 15.
Aßi, Ibn Hischain, 115.
Amru'lula, Name Haschims, 5.
Aßim, Anführer der Koranleser, 133.
Amuria, Ort, 235.
Aßma, Tochter Merwans, 117.
Anßar, Hülfsgenossen, 103.
Aßrgebet, 274.
Antar, der Dichter, 13.
Assemani, 197, 200.
Arafa, der Berg, 14, 214, 278, 291, 294, 298, daselbst erschienener Vers, 313, 372.
Aswad, Hirt eines Juden von Cheibar, 188.
Arak, Ort bei Mekka, 214.
Aswad, Ibn Abd Alasad, 112.
Arbad, Bruder Lebids, 257.
Aswad, der falsche Prophet, 376.
Ariat, abyssinischer Feldherr, 9.
Atik, Sohn Abids oder Ajids, Chadidja's erster Gatte, 34.
Arkam, nimmt die Muselmänner auf, 50, 60.
Atika, Name eines Thores der Moschee zu Medina, 85.
Armensteuer, Gesetze darüber, 252, 253.
Atika, Mohammeds Tante, 212.
Aron, 261.
Attab, Ibn Useid, seine Bekehrung, 224, wird Statthalter von Mekka. 242, verbirgt sich bei der Nachricht von Mohammeds Tod, 397.
Asad, Ibn Abb Aluzza, Chadidja's Großvater, 11, 34, 403.
Auf, Vater Abd Arrahmans, 229.
Asad, ein Medinenser, speist Mohammed, 88.
Auf, Ibn Alharth, bringt die Sura Joseph nach Medina, 380.
Aschath, Ibn Keis, will Mohammed seine Schwester bringen, 359.
Auf, Ibn Chazradj, 410.
Aschdja, der Stamm, 212.
Aus, Ibn Chaula, bewacht die Waffen, 202.
Aschur, Fasttag, 91.
Aus, Ibn Haritha, Stammvater der Ausiten, 409.
Asia, Gemahlin Pharaons, 23.
Aus, Ibn Samit, darf seine Gattin wieder nehmen, 184.
Aslam, der Stamm, 80, 174, 212.
Ausiten, Stamm, ziehen nach Bedr, 103, ihre Fürbitte für die Juden, 169, Abkunft und ältere Geschichte, 409-411.
Asma, Tochter Abu Bekrs, 51.
Autas, das Thal, 232, 235, 237.
Azraki, 223.
B.
Baath, Sendung, 98.
Balka, Ort in Syrien, 207.
Bach, Interjection, 111.
Bar Hebräus, 200.
Badsan, Statthalter von Jemen, 198.
Bara, das Schloß, 186.
Bahira, ein Mönch, 29.
Barakat, oder Um Eiman, Mohammeds Sklavin, 25. 28, 51, 83.
Bahram, König von Persien, 23.
Barra, oder Djuweiria, Tochter Hariths, 144, Mohammed heirathet sie, 145, 156, 358, 416, 417.
Bahran, oder Bohran, Ort, 122.
Barradh, 30, 31.
Bakia-l-Gharkad, ein Begräbnißplatz, 321.
Baschir, Sohn Saads, spricht für 40. Abu Bekr, 336.
Bakum, ein griechischer Baumeister,
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437
Baschr, wird vergiftet, 187.
Benu Hilal, 232.
Basus, Krieg von, 13.
Benu Hun, 177.
Bathra, Geschwüre, 115.
Benu Kaab, 212, 232, 244.
Batihan, oder Buchan, Name einer Brücke, 110.
Benu Kalb, 49, 235, 325.
Bawat, oder Buvat, der Berg, 97.
Benu Keinukaa, 110, Krieg gegen sie, 118.
Bedr, der Ort, 23, 65, 79, erster Zug nach, 98, Treffen von, 102-106, dritter Zug nach, 142, 143.
Benu Kilab, 232.
Bekr, Ibn Abd Mana, 96.
Benu Kinanah, unterstützen Kußei, 4, Krieg mit Hawazin, 30, 31, ziehen mit Mohammed nach Mekka, 212.
Benu Adij, 27, 105.
Benu Kudhaa, unterstützen Kußei, 4, bringen Saffana zu ihrem Bruder, 249.
Benu Amir, 134, 135, 256,
Benu Kureiza, 136, verbünden sich mit den Kureischiten, 160-164, Krieg gegen sie, 168, ihre Hinrichtung, 170.
Benu Amru, Zweig der Ausiten, 81, 267.
Benu Lahjan, Zug gegen sie, 172.
Benu Asad, Zug gegen sie, 134, senden Truppen zur Eroberung von Mekka, 212.
Benu Maan, 325.
Benu Azd, 64, 410.
Benu Mahzum, 58, 223.
Benu Bekr, verbinden sich mit den Chuzaiten, 3, Krieg mit den Taghlibiten, 13, 16, 17, kämpfen bei Muta gegen die Muselmänner, 206, überfallen die Chuzaiten, 208.
Benu Malik, 175, 176, 419, 420.
Benu Chuzaa, s. Chuzaiten.
Benu Mazin, 243.
Benu Chuzeima, 177.
Benu Mudlidj, ihr Bündniß mit Mohammed, 97.
Benu Dhamra, ihr Bündniß mit Mohammed, 96, 413, mit den Benu Mudlidj, 97.
Benu Murra, 160.
Benu Djadsima, von Chalid verrathen, 229, von Mohammed entschädigt, 230.
Benu Mußta'lik, Zug gegen sie, 143, 160, 416, 417.
Benu Djudsam, ein christl. Stamm, 204, 206.
Benu Muzeina, senden Truppen zur Eroberung von Mekka, 212.
Benu Djumah, 50.
Benu Nadhir, Krieg gegen sie, 134-139.
Benu Fazara, 160, fordern ihren Antheil an der Beute, 238, ihre Abgeordneten, 253.
Benu Nadjar, stehen Abd Almuttalib bei, 6.
Benu Ghatafan, Zug gegen sie, 121, belagern Medina, 160, Mohammed will einen Frieden von ihnen erkaufen, 162, wird daran verhindert, 163, 164.
Benu Naßr, 231,
Benu Ghanim, ihre Moschee, 267, 268.
Benu Saad, 24, 25, 231, 408.
Benu Ghifar, ziehen mit Mohammed nach Mekka, 212.
Benu Sahm, 80, 81.
Benu Hamdan, 285, 286, 410.
Benu Saida, Zweig der Chazradjiten, 334.
Benu Hanifa, 286.
Benu Scheiba, das Thor der, 292.
Benu Harith, 177.
Benu Suleim, Krieg gegen sie, 120-122, ziehen mit Mohammed nach Mekka, 212, mit Chalid nach Tehama, 229, verzichten auf die Beute, 238.
Benu Hawazin, ihr Krieg mit den Benu Kinanah, 31, gegen Mohammed, 231-235.
Benu Tamim, 212, fordern ihre Beute, 238, ihre Abgeordneten, 244, 245.
Benu Thakif, s. Zhakisiten.
Benu Tha'laba, Zug gegen sie, 141.
Benu Zuhra, ziehen nicht nach Bedr, 105, 113.
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438
Beute, Theilung derselben, 110, 111, 138, 185, 188, 241, 242.
Buath, oder Bughath, Krieg von, 71.
Bilal, der erste Gebetausrufer, (Muaddsin) 51, 408.
Budeil, Ibn Waraka, 214, 423.
Bina, Hochzeit, 89.
Bureida, verfolgt Mohammed, 80, 81.
Borak, geflügeltes Pferd, 70.
Buthan, die Brücke, 110.
Boßra, Mohammeds Reisen dahin, 28, 35.
Buwat, der Berg, 96.
C.
Cambyses, 12.
Chazradj Ibn Haritha, Stammvater der Chazradjiten, 409.
Chabbab, Ibn Aratt, belehrt Omars Schwester, 60.
Chazradjiten, 71, 72, erste Bekehrung, 74, ziehen mit nach Bedr, 103, Abkunft und ältere Geschichte, 409-411.
Chadidja, ihre Abkunft, 11, 21, nimmt Mohammed in ihren Dienst, 35, heirathet ihn, 30, 37, frühere Ehen und Kinder, 38, 39, bestätigt Mohammed in seinem Berufe, 47, ihr Tod, 66, 67.
Cheibar, Schlösser der Juden, 114, 136, 171, 182, Krieg von, 184-188.
Chalid, Ibn Said, 51, 189.
Cheizaran, Mahdi's Sklavin, 50.
Chalid, Ibn Walid, schlägt die Muselmänner bei Ohod, 127, 128, sperrt ihnen den Weg auf dem Zuge von Hudeibia, 174, bekehrt sich, 204, wird bei Muta zum Befehlshaber erwählt, 206, kämpft bei der Eroberung von Mekka, 217, zerstört den Götzen Uzza, 228, 229, Zug gegen die Benu Djadsima, 229, 230, wird von Mohammed zurecht gewiesen, 231, bekehrt die Benu Harith, 250, nimmt Ukeidar gefangen, 264, bewahrt Mohammeds Haare auf, 318.
Chorasan, 65.
Chalil, ein Grammaliker, 426.
Chosroes I., 9, 23, sein Tod, 28, 81.
Chandama, der Hügel, 217.
Chosru Perwiz, 9, 64, 172, Mohammeds Schreiben an ihn, 197, 198.
Charidjiten (Ketzer), 240.
Chubeib, Ibn Adij, seine Hinrichtung, 133, 416.
Chatmiten, der Stamm der, 117.
Chum, der Teich, 319.
Chattab, Omars Vater, 11.
Chutbah, Kanzelrede, 89.
Chaula, Tochter Thalaba's, 184.
Chuweilad, Chadidja's Vater, 11, 34, 36-38.
Chaula, Tochter Hakims, Mohammed heirathet sie nicht, 357, fragt ihn, warum er Taïf nicht angreift, 426.
Chuweißa, Brdr. Mucheißa's, 120.
Chuzaiten, Herrn von Mekka, 3, werden vertrieben, 4, waren Götzendiener, 18, fallen von den Kureischiten ab, 177, werden geschlagen, 208, nehmen Rache, 218, 225.
Chuzeima, ein Verwandter Chadidja's, 35.
Chuzeima Ibn Thabit, 351.
Cordova, die Moschee von, 85, 86, 412.
Crassus, 12.
D.
Dahes, Krieg von, 13.
Daumat Aldjandal, der Ort, 142, 143, 264.
Dalail, das Werk, 265.
Daus, der Stamm, 410.
Damask, 3, 23, erstes Minaret daselbst, 86.
David, 24.
Daniel, 4.
Dhahhak, Ibn Chalifa, 427.
Darim, 246.
Dhamdham, Abu Sosians Bote, 103.
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439
Djabala, Bruder Safwans, 233.
Djorham, der Stamm. 2.
Djabbar, Ibn Sulma, 257.
Djorham, Sohn Kahtans, 32.
Djabir, Ibn Zeid. 48, 142, 280, 425.
Djorhamiden, beherrschen Mekka, 3, vergrößern die Kaaba, 40.
Djadd, Ibn Keis, huldigt Mohammed nicht, 177, geht nicht nach Tabuk, 258, 259.
Djuheina, der Stamm, 96, 212.
Djadis, der Stamm, 71, 411.
Djumadi, al awwaI und al achir, der fünfte und sechste arab. Monat, 188. 206.
Djafar, Sohn Abu Sosians, 233, 423.
Djunade, sein Tod, 112.
Djafar, Sohn Abu Talibs, 57, seine Rede vor dem Nadjaschi, 197, sein Tod bei Muta, 206.
Djurf, Ort, 260, 325.
Djalalein, das Werk, 83 u. a.
Djuscham, der Stamm, 231.
Djalis, spricht zu Gunsten Mohammeds, 175.
Djuweiria, s. Barra.
Djamrah, Ort, 232, 298. 317.
Dsafiran, das Thal, 105-107.
Djannabi, der Autor, 219.
Dsat Arrika, Ort, 135, 141.
Djarba. Ort, 428.
Dsat Irk, Ort, 232.
Djassas. 13.
Dsat Sulasil. der Brunnen, 204.
Djerdjis, Taufname Bahira's, 29.
Dsu Amarr, Ort, 121, 141.
Dihja Ibn Chalifa, Mohammeds Freund, 44, erscheint als Engel Gabriel, 167, 168, wird an Heraklius gesandt, 206, Mohammeds Verlobung mit seiner Schwester, 3S9.
Dsu Arwan, Ort. 267.
Djidda, 40.
Dsu Huleifa, Ort. 124, 173, 214, 290, 321.
Djiirrana, Ort zwischen Mekka u. Taïf, 237.
Dsu-l-Chumeißara, klagt Mohammed der Ungerechtigkeit an, 240, 241.
Dsu-l-Hudja, Pilgermonat, der letzte, 298, 310, 321.
Djinn, ihre Bekehrung, 409.
Dsu-l-Kaada, eilfter arab. Monat, 201, 288, 289.
Djofna, Ibn Amir. 410.
Dsu-l-Madjaz, Ort, 14, 232.
Djohfa, Ort zwischen Mekka u. Medina, 104, 214, 319, 363. daselbst erschienener Vers, 374, 410, 423.
Dsu Tawa, Ort, 174, 216.
Djorasch. Ort in Südarabien, Mohammeds Reisen dahin, 34, die Muselmänner lernen daselbst den Gebrauch von Wurfmaschinen, 236.
Dsubian, der Stamm, 13.
Dureid Ibn Simma, 231, sein Rath, 232, sein Tod, 234.
Du'thur, will Mohammed tödten, 121, bekehrt sich, 122.
E.
Edessa, 199.
Elmakin, 200.
Edom, Beiname Esau's, 258.
Emir-Al-Mu'minin, Befehlshaber der Gläubigen, Ursprung dieses Titels, 99.
Ehebruch, Untersuchung und Strafe des, 157, 158, 273, 274, 307.
Erbrecht, 303-307.
Eherecht, 301, 302, 308-312.
Esau, 4, 258.
Eid, Mittel, sich dessen zu entbinden, 275.
Esdras, 41, 280, 392.
Eila, 243, Mohammeds Schreiben an den Fürsten von, 263, 427.
Eselfleisch, verboten, 188.
Eiman, Barakats Sohn, 233.
Eutychius, 200.
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440
F.
Fadak, ein von Juden bewohnter Ort, 180, 421.
Farwa Ibn Amru, Statthalter von Maan, 285.
Fadhl, der Vlzier, 87.
Fatima, Moh. Tochter, 39, 79, Ankunft in Medina, 83, Trauung mit Ali, 88, weist Abu Sosian ab, 208.
Fadhl, Name mehrerer Verbündeten von Mekka, 33.
Fei, Prophetengut, 421.
Fadhl, Ibn Abbas, hält bei Mohammed aus im Treffen von Honein, 233, unterstützt Moh. während seiner Krankheit, 323, 328,
Fils, oder Fuls, Götze derTaiten, 248.
Fahr, Stammvater der Kureischiten, 4, 5, 10, 11.
Frauen, nicht vom Paradiese ausgeschlossen, 342.
Freitag, Feier desselben, 251, 252.
Furu, Ort, 122.
G.
Gabriels Thor, 85, 87.
Ghazwat, Kriegszug, bei dem Mohammed anwesend, 95, 98, 423.
Gaza, 201.
Ghilan, Ibn Talma, lernt die Verfertigung von Wurfmaschinen, 236.
Gebet, 68-70.
Ghomdan, Name eines Schlosses, 403.
Georgius, Name Bahira's, 29.
Ghuzejjah, Mohammeds Gattin, 357, 359.
Ghabra, Krieg von, 13.
Ghalib, Sohn Fahrs, 11, 107.
Ghassaniden, 207, 272, 411.
Ghaweirath, Ibn Harith, 122.
H.
Habbar, Ibn Aswad, stößt mit einer Lanze nach Zeinab, 116, wird von der Amnestie ausgeschlossen, 222.
Halat, Sohn Hinds, 34.
Habschi, der Berg, 177.
Halima, Mohammeds Amme, 24, bringt ihn seiner Mutter zurück, 25, 26, 406, ihre Stamgenossen werden begnadigt, 238.
Hadj, Wallfahrt, 290, 291, 294, 295.
Hammal, seine Wette mit Keis, 13.
Hadjj, Bezirk, 262, Name einer Sura, 367.
Hamnah, Tochter Djahschs, Mohammeds Schwägerin, verleumdet AÏscha, 151, wird gegeißelt, 159.
Hadrun, der Hügel, 21,28, 292. 319.
Hamra Al Asad, Mohammeds Zug dahin, 130, 131.
Hafßa, Tochter Omars, Mohammed heirathet sie, 116, sie überrascht Maria bei ihm, 275, ist zugegen bei seinem Tode, 331.
Hamza, Mohammeds Oheim, 11, 28, 36, 45, seine Bekehrung, 58, 59, Zug nach der Kaaba, 61, Zweikampf bei Bedr, 107, 108, haut Aswad ein Bein ab, 112, sein Tod, 127, wird verstümmelt, 129.
Hagar, 2, 14, 203.
Hanna, Mutter Maria's, 190.
Hajascha, Städtchen, Mohammeds Reisen dahin, 34, Zeid daselbst verkauft, 325.
Hara, die Höhle, in welcher Mohammed sich verbarg, 39, 40, 41.
Hakim Ibn Chuzeima, empfiehlt Mohammed seiner Tante Chadidja, 34, schenkt ihr seinen Sklaven Zeid, 325.
Harawi, 219.
Hakim Ibn Hizam, räth vom Kampfe von Bedr ab, 105, sein Haus wird als Zufluchtsort bestimmt, 216, wird von Mohammedbeschenkt, 239, 240.
Harb, Abu Sosians Vater, 11, steht an der Spitze der Kureischiten, 31.
Harith, ein Chazradjite, beherbergt Abu Bekr, 88.
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441
Harith, Ibn Abd Kulal, himiaritischer Fürst, 285,
Hikam, Ibn Keisan, 100, 413.
Harith, Ibn Abd Almuttalib, Mohammeds Oheim, 7, 212.
Hilal, Ibn Ommejja, zieht nicht mit nach Tabuk, 269, 271, 272, 274.
Harith, Ibn Hilliza, der Dichter, 17, 60.
Hilf Alfudhul, Bund gegen Gewaltthat, 33.
Harith, Ibn Hischam, fragt Mohammed nach der Art seiner Offenbarungen, 43, seine Begnadigung, 223, wird von Mohammed beschenkt, 239.
Himiar, 21.
Harith, Ibn Omeir, Mohammeds Gesandter nach Syrien, 206.
Himiarite, 403.
Harith, Ibn Schimar, byzantinischer Stalthalter, 200.
Hind, zweiter Gatte Chadidja's, 34.
Haritha, Ibn Schurahbil, Zeids Vater, 315, 326.
Hind, Tochter Aufs, Mohammeds Schwiegermutter, 203,
Haritha, Ibn Tha'laba, 410.
Hind, oder Umm Salma, Mohammeds Gemahlin, 145.
Harkusch, Sohn des Dsu'l Chuweißara, 240.
Hind, Tochter Orha's und Gemahlin Abu Sosians, ermuthigt die Krieger bei Ohod, 126, will Hamza's Herz fressen, 129, ihre Begnadigung, 223, 224, ihre Bemerkungen bei der Huldigung, 225.
Harthu, Ibnu'l Harthi, wird von Mohammed beschenkt, 240.
Hinnom, das Thal, 391.
Harun Arraschid, 23.
Hiob, 24,
Hasan, Sohn Ali's, soll sich als Beschützer Abu Sosians erklären, 208.
Hira, 17, 30.
Hasan, Ibn Thabit, verleumdet Aïscha, 151, wird gegeißelt, 159, sein Gedicht gegen die Benu Tamim, 245, 246, über Mohammeds Tod, 331.
Hirasch, Ibn Ommejja, wird nach Mekka gesandt, 177, ermordet einen Hudseiliten, 227.
Haschim, Mohammeds Urgroßvater, bewirthet die Pilger, 5, Feindschaft zwischen ihm und Ommejja, 6, seine Abstammung, 11.
Hischam, Ibn Hakim, 349.
Haschimiten, 319.
Hobal,der Götze, 7,17,18,166,167.
Hatib, Ibn Baltaa, warnt die Mekkaner vor Mohammed, 209, Mohammeds Urtheil über ihn, 210, war dessen Gesandter an den Statthalter von Egypten, 211, sein Schreiben an die Mekkaner, 424.
Honein, 114, 207, Treffen bei, 232, 233, 235, 236, 238.
Haudsa, Ibn Ali, Statthalter von Jamama, 200, 422, 423.
Hubab, Ibn Mundsir, schlägt eine Theilung des Chalifats vor, 335, 336.
Hedjas, die Provinz, 1, 66.
Hud, der Prophet, 32, die Sura, 367.
Heraklius, 172, Mohammeds Schreiben an ihn, 199, Reise nach Jerusalem, 422
Hudeibia, Ort, 181, Friede von, 183, Verletzung des Friedens, 208, daselbst geoffenbarte Koransverse, 363, 375.
Hidhr, oder Alhidhr, der Prophet, 338.
Hudseiliten, 133, 225, ihr Götze von Amru zerstört, 228.
Hidjrah, Auswanderung und Aera der, 76, 416.
Hudseifa, Mohammeds Kameeltreiber, 265, verjagt die Heuchler, 266.
Hierapolis, Heraklius' Reise dahin, 199.
Hujejj, Ibn Achtab, Häuptling der Juden, 160, 186.
HuleiI, letzter Fürst der Chuzaiten, 4.
Huri, 390.
Husein, Ibn Wakid, 363.
Huweirath, Sohn Nufeils, von Ali erschlagen, 221.
Huweitab, Ibn Abd Aluzza, von Mohammed beschenkt, 240.
____
442
J.
Jadjidj, Thal bei Mekka, 116.
Jerusalem, 45, nächtliche Reise nach dem Tempel, 70, 373, Kibla nach Jerusalem, 355, Offenbarung daselbst, 363, 374.
Jadjudj, ein nordisches Volk, 391.
Jesaias, 388.
Jabia, 294, 42S.
Jesus, 24, 27, Mohammeds Lehre über ihn, 190-195.
Jakob, 24, 380, 381.
Jezid Ibn Muawia, 82, von Mohammed beschenkt, 239, dient ihm als Sekretär, 350.
Jaksum, Statthalter von Jemen, 9.
Ifrad, 291.
Jalamlam, Berg, 229.
Ihram, 298.
Jamama, Provinz, 200, 285.
Ikran, oder Kiran, 291,
Janbu, Stadt, 97.
Ilias, Sohn Mudhars, 24.
Jarmuk, 318, 427.
Johanna, Sohn Ruba's, Fürst von Eila, 263.
Jasar, 312.
Johannes, 24.
Jathrib, früherer Name Medina's, 8, 81, 165 202, 406, 410, 411.
Jom Kipur, jüdischer Fasttag, 97.
Jaum Arafa, der neunte des zwölften Monats, 294
Jonas, 24, die Sura, 367.
Jaum Attarwih, der achte des zwölften Monats, 293.
Joseph, 24, 27, 327, die Sura, 367, 380, 381, 394, 395.
Iblis, Teufel, 75, 338.
Josua, 24.
Ibn Abbas, 204, 425.
Irak, 31.
Ibn Al Athir, 267.
Isaf, Götze, 18, 166, 167.
Ibn Djuzi, 19, 67.
Isak, 24, 381.
Ibn Ishak, 30, 42.
Ismael, Stammvater der Bewohner des Hedja's, 1, heirathet Mudhadhs Tochter, 2, baut die Kaaba, 40, 42.
Ibn Kaab, 123, 421.
Ismaeliten, 3.
Ibn Kasim, 252, 254, 297.
Ispahan, 235.
Ibn Kathir, 330.
Juseir, ein Jude, wird auf Mohammeds Befehl ermordet, 171.
Ibn Ubeirak, 427
Izb, böser Geist, 75.
Ibrahim Ibn Mabdi, 87.
Ibrahim Sohn Mohammeds, Geburt, 242, Tod, 286, Beerdigung, 287.
Iddat, 302.
Idjma, 253.
Idsan, 79, 92.
Jemen, 9, von den Abyssiniern erobert, 9, 403.
K.
Kaab, Ibn Asad, Häuptling der Beni Kureiza, 160.
Kara, der Stamm, 132.
Kaab, Ibn Aschraf, seine Ermordung, 119, 171.
Kararit, Karate, 33.
Kaab, Ibn Luwei, 5, 11.
Karha, Beule, 115.
Kaab, Ibn Malik, erkennt Mohammed bei Ohod, 128, nimmt keinen Antheil am Feldzuge von Tabuk, 269-272.
Karkarat Al Kadar, die Quelle, 120.
Kaab, Ibn Zeid, entrinnt bei Mauna, 133.
Kasim, Mohammeds Sohn, 38. 39.
Kaab, Ibn Zuheir, 223, 243.
Kaßwa, Name eines Kameels, 345.
Kadaa, der Berg, 7.
Kata, der Vogel, 127.
Kadesia, 250.
Katan,der Berg, 17.
Kahtan, Ibn Hud, Stammvater der Uraraber, 3, 32, 410.
Katura, der Stamm, 2.
Kamuß, die Festung, 186.
____
443
Kauthar, der Paradiesesfluß, 365.
Kral, 206.
Keinukaa, der Berg, 202.
Kriegsgebote, 94, 95, 278, 281.
Keis, wettet mit Hammal. 13.
Kuba, Dorf bei Medina, Mohammeds Ankunft daselbst, 81, 411, die Moschee daselbst, 267.
Keis, der Stamm, 212.
Kuda, der Berg, 217.
Keis, Ibn Saad, führt die Hülfsgenossen nach Mekka, 217, vertheidigt seinen Vater gegen Omar, 336.
Kudeid, der Ort, 143.
Keitun, Ibn Scherif, 411.
Kuleib, der Feldherr, 13.
Kibla, Richtung bei'm Gebete, 85, zuerst nach Jerusalem, 90, nach Mekka, 91, erw. 288, 289, 355, 360.
Kulla, die Festung, 186,
Kilab, Sobn Murra's. 11, 22.
Kura Alghanimi, das Thal, 174.
Kinanab, Zeinabs Schwager, Bruder des Abu-l-Aaß, 116.
Kureisch, Ursprung des Namens. 4, 5, 10.
Kinanah, vierzehnter Ahnherr Mohammeds, 3, 96.
Kureischiten, 4, von Mohammed zur Nachfolge bestimmt, 5, schenken Aascha hundert Kameele, 16, ihre Beredtsamkett, 24, Bundesgenossen der Benu Kinanah, 30, 31, verspotten Mohammed, 54, wollen ihn ermorden, 77.
Kinanah, ein Jude, wird hingerichtet, 186.
Kurz, Ibn Djabir, Mohammeds Zug gegen ihn, 97, 98, 413.
Kinda, Fürsten von, 264.
Kußei, Sohn des Abd Aldar, 403.
Kolthum, Ibn Hadm, Scheich der Benu Amru, 81, 412.
Kußei, Sohn Kilabs, bemächtigt sich der Regierung, 4, sein Beiname, 5, Abkunft, 11.
Konstantinopel, Abu Ajubs Tod daselbst, 82.
Kuteila, Tochter Keis‘, Mohammeds letzte Braut, 359.
Koran, unter Abu Bekr gesammelt, 348. Othman läßt neue Abschriften verfertigen, 349, spätere Zusätze, 350, Auslassungen, 351, Wiederholungen, 353, Widersprüche, 355, Unordnung in der Reihenfolge der Verse und Suren. 365, Begriff des Wortes, 384, 385.
L.
Lachm, der Stamm, 206.
Liwiatan, ein Seeungeheuer, 93.
Laschdja, der Stamm, 160.
Lokman, die Sura, 367.
Lat, oder Allat, Götze, 166, 167,256.
Lot, 24.
Latimah, Karawane, 103.
Lubaba, Gattin Walids Ibn Mughira, 204.
Lebid, Ibn A'ßam, verzaubert Mohammed, 94.
Luwei, Sohn Ghalibs, 11.
Linse, Name einer blatternartigen Krankheit, 115.
M.
Maad, Sohn Adnans, 13, 36.
Madjaunat, Ort bei Mekka, 14.
Maads Ibn Amru, sein Tod, 112.
Madjudj, ein nordisches Volk, 397.
Maads Ibn Djabal, 242, 285,
Mahdl, der Chalife, 50, vergrößert die Moschee zu Medina, 87.
Maafir, Zweig vom Stamme Hamdan, 285.
Malik, Ibn Adjlan, 411.
Maan, Städtchen, 285.
Malik, Ibn Auf, Anführer der Heiden bei Honein, 231, 232, seine Bekehrung, 238.
Madain, 161.
____
444
Malik, Ibn Nuweira, von Chalid erschlagen, 231.
Mikdad Ibn Aswad, 106, spricht für den Zug nach Bedr, 107, beerdigt die Hingerichteten, 133, verfolgt Sara, 424.
Mamun, der Chalife, vergrößert die Moschee zu Medina, 87. erlaubt die Miethehe, 425.
Mikjas Ibn Subaba, wird von der Amnestie ausgeschlossen, 222.
Mana, ein Götze, 18, wird von Saad zerstört 228.
Mi'mar Mohammeds Barbier, 317.
Mareb, 386, 410.
Mina, das Thal, 71, 75, 277, 293, 298, 317, 319.
Marbab, Häuptling der Juden von Cheibar, 187.
Minbar, Kanzel, die Erste, 85.
Maria, die Heilige, Mohammeds Lehre über sie, 190-195.
Mirchond, 200.
Maria, die Sura, 366,
Mistah, Abu Bekrs Vetter, 151, verleumdet Aïscha, 155, wird gegeißelt, 159.
Maria, die Koptin, 243. Mohammed schwört sie nicht mehr zu berühren. 275, Zweifel über ihre Treue, 287,
Mohammed, Ibn Djafar, 416.
Mariam, Moses' Schwester, 23.
Mohammed, Ibn Maslama, 119, erschlägt Marhab, 187. führt die Reiter bei der Wallfahrt an, 201.
Marr Azzahran. das Thal. 223, 423.
Mohammed, Ibn Salama, Mohammeds Sekretär, 350.
Marthad Ibn Abu Marthad, 133.
Mord, Strafe darüber, 226, 227.
Masruk, Statthalter von Jemen, 9.
Moses, 23, 24, 34, 60, 261. 326, 408.
Masud, Ibn Amru, erster Gatte Meimuna's 204.
Moßul, 235.
Masudi, der Historiker, 386.
Muawia, Ibn Abu Sosian, 11, 82, 133, wird von Mohammed beschenkt, 239.
Mathani, Erklärung dieses Wor
Muawia, Ibn Mughira, 132.
Matu, Miethebe, 238, 425.
Mucheißa, ermordet einen Juden, 119.
Maula, Herr und Freund, 320,
Mudd, ein Maaß, 297, 299.
Mauna, Zug von 133, Koranvers, die daselbst Getödteten betreffend, 383.
Mudhadh, Häuptling der Djorhamiden, 27, 33.
Medina, 6, 8, Amina's Reise dahin, 27, Auswanderung der Muselmänner nach, 76, 80, 411, Belagerung von, 160.
Mudhar, Sohn Nizars 36.
Meimuna, Tochter Hariths, 172, Mohammed heirathet sie 203, seine Krankheit nimmt in ihrer Wohnung zu, 323, ward von ihm bevorzugt, 358.
Mudjmiun, Sammler, Beiname Kußei's, 4.
Meisara, Chadidja's Sklave, 35, 36.
Mughira, Ibn Schu'ba, 175, 176, 255, 419, 420, dient Mohammed als Sekretär, 350.
Mekka, Sage von der Gründung der Stadt, 1, von den Muselmännern erobert, 216-218.
Muhadjirin, Auswanderer, 103.
Meru, Stadt. 81.
Muharram, erster arab. Monat, 91, 189, 289, 331.
Merwa, der Hügel, 14, 18, 203, 292, 293, 298.
Mukaukas, Statthalter von Egypten, 419, 420.
Mi'bad, ein Chuzaite, täuscht die Mekkaner, 131.
Mukriz, Ibn Hafß, 202.
Mighfar, Helm, 346.
Multazim, die heilige Mauer, 319.
Mi'kal, veranlaßt eine Offenbarung, 312.
Munafikin, Heuchler, 118.
Murara, Ibn Rabia, seine Strafe, weil er nicht bei Tabuk war, 266, 271.
Mureisi, die Quelle, 143.
Murra, Sohn Kaabs, 5, 11.
____
445
Musa, Eroberer Spaniens. 86,
Mutahhar, Mohammeds Sohn. 39.
Musa, Ibn Imran, 332, s. auch Moses.
Mutajjab, Mohammeds Sohn, 39.
Museilama, der falsche Prophet, 243, sein Schreiben an Mohammed, 285 Mohammeds Antwort, 286, Koransvers gegen ihn. 376.
Mutim, Sohn Adij's, beschützt Mohammed, 68.
Mußab, Ibn Omeir, lehrt den Koran in Medina, 73, soll für Nadhr um Gnade bitten, 114, 415, sein Tod, 127.
Muttalib, Sohn Abd Menafs, 5, 11, seine Nachkommen beschützen Mohammed, 55, 62.
Muta, Ort, 172, Krieg bei, 206, 207.
Muzdalifa, Ort, 298, 317.
N.
Nabigha, der Dichter, 15.
Nicephorus, 199.
Nabit, Sohn Ismaels, 3.
Nikbi, Ibn Masud, 197, 199.
Nachla, das Thal, 14, 99, 100, 228.
Nimrod, 236.
Nadhr, Ibn Harith, seine Hinrichtung, 110, 114, 414, 415.
Nizar, Sohn Maads, 36.
Nadjaschi, Fürst von Abyssinien, 57, 176, 189, Mohammeds Schreiben an ihn, 196, seine Antwort, 197, an ihn gerichtete Koransverse, 382, sein Name, 421, 422.
Nißibin, 235.
Nadjran, Ort, 9, Bekehrung einer Karawane von, 64, 250.
Noah, 24, die Sura, 368, sein Bildniß, 412.
Nafisa, Chadidja's Sklavin, 36.
Nueim, Ibn Abd Allah, 59.
Naila, der Götze, 18, 166, 167.
Nueim, Ibn Abd Kulal, 285.
Naim, die Festung, 186.
Nueim, Ibn Masud, 163, 164.
Naufal, Sohn Abd Menafs, 5, braucht Gewalt gegen Abd Almuttalib, 6, 7.
Nu'man Dsu Ruein, himiaritischer Fürst, 285.
Nedjd, die Provinz, 31, 76.
Nu'man, Sohn Mundsirs, Statthalter von Hira, 9, 30.
Nedjdi, ein Mann aus Nedjd, 76.
Nufeila, Sohn Djorhams, 32.
Nestor, ein Mönch, 35.
O.
Ohod, der Berg, 65, Treffen von, 124.
Okaz, die Messe von, 14, 15, 30, 51, 256.
Okba, Ibn Abu Muait, wird hingerichtet, 110, 114, 414, 415.
Omar, Idn Chattab. Abkunft, 5, 11, Bekehrung, 59-61, besteigt nur eine Stufe von Mohammeds Kanzel, 86, spricht für den Zug nach Bedr. 107, trägt Othman seine Tochter Hafßa an, 115, treibt bei Ohod Chalid zurück, 128, Unterredung mit Abu Sosian, 131, will Umm Salma heirathen, 145, will Abd Allah Ibn Ubejj erschlagen, 149, seine Erklärung über Aïscha, 155, 417, fürchtet sich, nach Mekka zu gehen, 177, ist gegen den Frieden von Hudeibia, 178, weist Abu Sosian ab, 208, will Hatib Ibn Baltaa erschlagen, 210, will Abu Sosian erschlagen, 215, verlangt Chalids Absetzung, 231, bleibt bei Mohammed im Treffen von Honein, 233, will Dsu-l-Chuweißara erschlagen, 240, gibt Geld her zum Feldzug von Tabuk, 260, räth Mohammed zur Rückkehr, 265, will ihn nicht für Abd Allah beten lassen, 283, 429, weint über Mohammeds Abschiedsrede, 314, wünscht, daß Abu Bekr vorbete, 328, will nicht daß Mohammed ein Testament aufsetze, 330, glaubt nicht an dessen Tod, 333, entscheidet die Chalifenwahl zu Gunsten Abu Bekrs, 334-336, will Saad Ibn Ibada erschlagen, 336, gesteht Mohammeds Tod ein, 337, fordert Abu Bekr auf, den Koran zu sammeln, 348, dient Moh. als Sekretär, 350, spricht von verlorenen Koransversen, 352, entschuldigt Abu Djahls Sohn, 359.
____
446
Omar, Ibn Hamza, 266.
Otba, ein Gefährte Abd Allahs Ibn Djahsch, 100, 102.
Omeir, Kundschafter der Kureischiten, bei Bedr, 104.
Otba, Sohn Abu Lahabs, 39, 407.
Omeir, ein Muselmann, sein Heldentod, bet Bedr, 111.
Otba, Ibn Rabia, räth vom Kampfe von Bedr ab, 1055, sein Tod, 111.
Omeir, Ibn Adij, ermordet Aßma, 117.
Othman, Ibn Abd Allah. 100, 413.
Omeir, Ibn Wahb, bittet um Gnade für Safwan, 222, holt Mohammed bei Tabuk ein, 261.
Othman, Ibn Affan, 6, 11, heirathet zwei Töchter Mohammeds, 39, wird Muselmann, 49, wandert aus, 56, vergrößert die Moschee, 86, kann nicht nach Bedr ziehen, 115, will Hafßa nicht, 115, bittet um Gnade für Muawia Ibn Mughira, 132, erklärt Aïscha unschuldig, 155, wird nach Mekka gesandt, 177, bittet um Gnade für seinen Milchbruder Abd Allah, 220, seine Beisteuer zum Feldzug von Tabuk, 259, läßt von Neuem den Koran abschreiben, 349.
Ommejja, Ibn Abd Schems, Feindschaft mit Haschim, 6, Abkunft, 11, Reise nach Jemen, 403.
Othman, Ibn Maz'un, 61, heirathet Chaula, 357.
Ommejja, Ibn Challaf, besucht Amru's Mutter, 20, mißhandelt Bilal, 50, 51.
Othman, Ibn Talha, 218.
Ommejjaden, 6.
Othman, Ibn Abi Talha, 219.
Osfan, Ort, 173, 174.
P.
Pharaon, 2, 3, Beiname Abu Djahls, 109.
Pilgerfahrt, Gebot der, 289, Ceremonien der, 298, 299.
Potiphar, 380.
R.
Rabia-l-Awwal, dritter arab. Monat, 91, 331, 339.
Raubvogel, verboten, 188.
Rabia, Ibn Harith, Mohammeds Vetter, 233, wird ermordet, 300.
Raufa, Ort, 130.
Rabia, Ibn Ommejja, 313.
Regengebet, 253, 254.
Radjab, siebenter arab. Monat, 98, 100, 258.
Riah, Sohn Hamamahs, Bilals Vater, 408.
Radjaz, eine arab. Versart, 426.
Rihana, Mohammeds Sklavin, 170, 171, 359.
Radji', die Quelle, 133, 185, 416.
Rik'a, Verbeugung bei'm Gebete, 254, 292, 298.
Ramadhan, neunter arab. Monat, 91, 92.
Risalat, Gesandtschaft, 243.
Rakusi, Name einer christl. Sekte, 249.
Rufeida, pflegt die Verwundeten, 169, 170, 418,
Raschid Billahi, der Chalife, 49.
Rukejja, Mobammeds Tochter, 59, ihre Auswanderung, 83, ihr Tod, 115, über ihre Vermählung, 407.
Raschid, Ibn Abd Rabbihi, 344.
Rum, Sohn Erau's, auch Byzantiner, 258.
____
447
S.
Saad, Ibn Abi Wakkaß, 50, 98.
Salman, der Perser, 235, 236.
Saad, Ibn Jbada, 98, widersetzt sich dem Friedensschlusse mit den Benu Ghatafan, 162, 163, führt die Hülfsgenossen nach Mekka, 217, beklagt sich bei Mohammed wegen Vertheilung der Beute, 241, soll zum Chalifen ernannt werden, 334-336.
Salu, der Berg. 272.
Saad, Ibn Maads, speist Mohammed, 88, spricht für den Zug nach Bedr, 106, 107, ist gegen den Frieden mit den Benu Ghatafan, 162, 163, wird verwundet, 169, sein Ausspruch über die Benu Kureiza, 170, 418.
Samawa, die Wüste, 23.
Saad, Ibn Rabia, liest Mohammed einen Brief vor, 123.
Sameida, Häuptling des Stammes Katurah, 2, 33.
Saad, Ibn Teim, 11.
Sanaa, die Stadt, 8, Kirche daselbst, 9, 403.
Sab, das Schloß, 186.
Sand, Reinigung damit, 159, 160.
Saba, die Sura, 367.
Sara, die Sängerin, will Hatibs Brief nach Mekka bringen, 209, ihre Begnadigung, 224, 424.
Saba, Ibn Jaschhad, 410.
Sarif, Ort bei Mekka, 203, 204.
Sarijjat, Feldzug, dem Mohammed nicht beiwohnte, 98, 423.
Sabi (Abtrünniger), 74.
Sassaniden, 23.
Sachr, Name Abu Sosians, 166.
Satih, der Wahrsager, 23.
Safa, Hügel bei Mekka, 14, 54, 203, 224, 292, 293, 298.
Sauda, Tochter Zam'a‘s. 45, Mohammed heirathet sie, 68, ihre Ankunft in Medina, 83, ihr erstes Haus, 87.
Safar, zweiter arab. Monat, 188.
Sauzein, Ort, 168.
Saffana, Tochter Hatims, 248.
Sawa, See von, 23.
Saffein, Schlacht von, 241.
Saweilam, der Jude, 259, 427.
Safia, eine Medinenserin, 162.
Sawik, Feldzug von, 121.
Safia, Tochter Hujeiis, 172, Mohammed heirathet sie, 186, bevorzugt sie, 358.
Scha'ban, achter arab. Monat, 116.
Safilah (Niederung) 110.
Schafiiten, 274, 252, 295, 304.
Safwan, das Thal, 98.
Schaltjahr, 281.
Safwan, Ibn Muattal, nimmt Aïscha auf sein Kameel, 152, des Ehebruchs angeklagt, 154, bringt ein verlorenes Kameel zurück, 296.
Schanfara, der Dichter, 16.
Safwan, Ibn Ommejja, 416.
Scharat, Ort, 410.
Sahba, Ort, 185.
Schaut, Name eines Gartens, 124, 415.
Sahih, eine Traditionsammlung, 383.
Schawwal, zehnter arab. Monat, 68.
Saib, Handelsgenosse Mohammeds, 34.
Schedim (böse Geister), 69.
Saib, Ibn Othman, 98.
Scheiba, Ibn Othman, 219, 233.
Said, Ibn Zeid, Omars Schwager, 60.
Scherbini, Commentator des Scheich Ahmed, 297.
Salat Alchauf (Furchtgebet), 141, 142.
Scherif, Ibn Kaab, 410.
Salih, der Prophet. 24, 262.
Schiiten, 5, 324, erlauben die Miethehe, 425.
Salim, Ibn Omeir, Abu Afaks Mörder, 118.
Schleier, geboten, 151-154.
Salit, Ibn Amru, Gesandter Mohammeds nach Jamama, 200, 422.
Schukran, Mohammeds Sklave, 23, 338.
Salma, Ibn Askam, bewacht Medina, 161.
____
448
Schweinefleisch, verboten, 313.
Suheib, seine Bekehrung. 51.
Seif Dsu Jezn, 8, 403, 405, 406.
Suheil, Ibn Amru, Bevollmächtigter der Mekkaner, 177, schließt den Frieden von Hudeibia, 178, fordert seinen Sohn zurück, 179, kämpft am Hügel Chandama, 217, wird von Moh. beschenkt, 239.
Sekina, 181, 182, 234.
Sujuti, 15.
Serdjis, oder Bahira, 29.
Sulalim, oder Sulam, das Schloß, 186, 421.
Sesostris, 12.
Sulam, Ibn Abi-l-Hakik, 171.
Seth, 24.
Sundj, Ort bei Medina, 332.
Siegel des Prophetenthums, 341.
Sunniten, 5, 324, 425.
Siroes, 197, 199.
Sura, Bedeutung des Worts, 361-363, Ordnung der Suren, 364-371.
Sklave, Gesetz über dessen Befreiung, 144.
Suraka, Ibn Malik, verfolgt Mohammed, 80.
Soffat, der für Arme bestimmte Theil der Moschee, 85, 170, 418, 431.
Surchab, der Fluß, 31.
Sofian, Ibn Chalid, wird ermordet, 133.
Sureidj, ein berühmter Waffenschmied, 403.
Spiel, verboten, 139, 140.
Suwa, der Götze, 228.
Su'da, Zeids Mutter, 325.
T.
Tabuk, Ort, 114, 142, 243, 258, Feldzug von, 260-267.
Thabir, Berg bei Mekka, 5.
Tage, die weißen (Fasttage), 91.
Thabit, Ibn Arkam, wird bei Muta zum Feldherrn erwählt, 206.
Taghlib, Stamm, 13, 16, 17.
Thabit, Ibn Keis, Dichter u. Moh. Sekretär, 144, 245, 350, 416.
Tahir, Mamuns Feldherr, 87.
Thakifiten, 68, 175, führen Krieg gegen Mohammed, 231, 235-237, 239, unterwerfen sich, 254-256, 419, 420.
Tahir, Sohn Mohammeds, 39.
Tha'lab, ein Kameel Moh., 177.
Tai, Stamm, 247, 248.
Tha'laba, Ibn Amru, 410.
Taif, Stadt, 14,31, 45, Mohammeds Reise dahin, 68, Belagerung von, 232, 235-237, 426, Uebergabe, 255, Offenbarung daselbst, 363. 374.
Thamud, Stamm, 71. 262.
Tajjib, Mohammeds Sohn, 39.
Thaur, Höhle bei Mekka, 79.
Talbijah, ein Gebet bei der Pilgerfahrt, 291, 298.
Theophanes, 42, 45, 199.
Talha, Ibn Ubeid Allah, 50, geht Mohammed entgegen, 81, 427.
Theophilus, Kaiser, 87.
Tamattu', Verbindung der Wallfahrt mit der Pilgerfahrt, 294.
Thuweiba, Moh. Amme. 25.
Tamim Addari, Gefährte Mohammeds, stiftet die erste Lampe für die Moschee, 85.
Tiberias, 200.
Tarik, Eroberer Spaniens, 86.
Tibrizi, 17.
Tasm, Stamm, 71, 411.
Tirmedsi, 357.
Tehama, Provinz, 31, 41, 97, Chalids Zug dahin, 229.
Tischri, erster jüdischer Monat, 91.
Teim, Sohn Murra's, 11.
Trajan, 12.
Teima, Juden von, 189.
Tur, der Berg, 318, die Sura, 370,
U.
Ubeida, Ibn Djarab, 335.
Ubejj, Ibn Challaf, 114, 414 wird von Mohammed erschlagen, 128.
Ubeida, Ibn Harith, Zweikampf bei Bedr. 107, sein Tod, 108.
Ubejj, das Schloß, 186.
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449
Ujeina, Ibn Haßan, will seinen Anthell an der Beute von Honein, 238, wird von Moh. beschenkt. 239, 240. zieht gegen die Benu Tamim, 244.
Umra (Besuch des Tempels, 100, 103, 242, 251, 290 u. ff.
Ukeidar, Fürst von Daumat Aldjandal, 264.
Uns, Ibn Nadhr, 128.
Umm Afdhal, oder Fadbl, Abbas' Gemahlin, 51. 204, 414.
Ureidh, das Thal, 121, 124,
Urwa, Ibn Masud, 21, 30, 31, 175, 176, 236, 407,419, 420, Bekehrung und Tod, 255,
Umm Baschr, 187.
Usama, Ibn Zeid, erklärt Aïscha unschuldig, 155, harrt bei Honein aus. 233, Mohammed nimmt ihn zu sich auf sein Kameel, 317. 318, ernennt ihn zum Anführer der Truppen, 321, 325.
Umm Eiman, Mohammeds Sklavin, s. Barakat.
Uscheira, Dorf bei Janbu, 97.
Umm Habiba, Tochter Abu Sosians, 172, Mohammed heirathet sie, 189, sie verstoßt ihren Vater, 209, Mohammed bevorzugt sie, 358.
Useid, Ibn Hudheir, huldigt Abu Bekr, 336.
Umm Hakim, Gattin Akrama's, 222,
Useid, Ibn Husein, will Mußab erschlagen, 73, will die Heuchler züchtigen, 266.
Umm Hani, Ali's Schwester, 71, 223, Mohammed will sie heirathen, 357.
Ußr, der Ort, 185.
Umm Kolthum, Tochter Mohammeds, 39, Ankunft in Medina, 83, heirathet Othman, 115, ihr Tod, 286.
Utarid, Ibn Hadjib, Dichter der Beni Tamim, 244, 245.
Umm Mistah, Abu Bekrs Tante, 154.
Uteiba, Sohn Abu Lahabs, 39, 407.
Umm Rubab, Dienerin Moh., 78.
Uweimar, klagt seine Frau des Ehebruchs an, 273.
Umm Salma, Mohammeds Vermählung mit ihr, 145, bittet um Gnade für Abd Allah und Abu Sosian, 212, 213, 423, kündet Abu Lubaba seine Befreiung an, 429.
Uzza, der Götze, 18, 166, 167, wird zerstört, 228, 229.
Umara, Ibn Walid, 55.
W.
Waddan, Städtchen, Feldzug von, 96.
Waraka, Ibn Naufal, Chadidja's Vetter, 36, ist ihr Vormund bei der Vermählung, 38, hat einen Theil des Evangeliums übersetzt, 47, 408.
Wadi-l-Kura, Wohnsitz der Juden, 189, 235.
Watih, das Schloß, 186, 421.
Wahb, Ibn Abd Menaf, Amina's Vater, 11, 21, 22, 403.
Watir, Quelle bei Mekka, 208.
Wahschi, der Sklave, welcher Hamza erschlug, seine Begnadigung, 223.
Wein, verboten, 139, 140.
Walid, der Chalife, vergrößert die Moschee zu Medina, 86, 339.
Wucher, verboten, 299, 300.
Walid, Ibn Mughira, 61.
Wufud, Deputationen, 299, 300.
Wuheib, Amina's Oheim, 21, 22.
Z.
Zahir, Ort, ehemals Dsu Tawa genannt, 174. 216.
Zebid, Ort, 31.
Zakaria, Vater Johannes' des Täufers, 190.
Zeid, Ibn Addathna, wird in Mekka hingerichtet, 133, 416.
Zakatun, Armensteuer, 252, 253, 413.
Zeid, Ibn Arkam, hinterbringt Moh. Abd Allahs Lästerung, 150.
Zakum, der Baum, 390, 391.
Zeid, Ibn Haritha, Mohammeds Freigelassener, wird Muselmann, 49, begleitet Mohammed nach Taif, 68. bringt Aïscha nach Medina, 83, zum Statthalter von Medina er nannt. 97, 98, verkündet den Sieg von Bedr, 109, 115, holt Zeinab in Mekka ab, 116, läßt sich von seiner Gattin scheiden, 145, bewacht Medina während der Belagerung, 161, stirbt bei Muta, 206, biographische Notizen, 325, 326.
Zarifa, die Priesterin, 386.
Leben Mohammeds.
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450
Zeid, Ibn Thabit, 44, lernt die jüd. Schrift, 140, spricht zu Gunsten Abu Bekrs, 335, 336, redigirt den Koran, 348-350, 353, 361.
Zubeida, Gemahlin Harun Arraschids, kauft Mohammeds Haus. 23.
Zein Eddin, Almuammir, Legende vom gespalteten Monde, 65.
Zubeir, Ibn Abd Almuttalib, 28, Mohammed reist mit ihm nach Jemen, 29, stiftet einen Verein gegen Gewaltthäter, 32.
Zeinab, Tochter Chuzeima's, Mohammed heirathet sie, 116, 357, ihr Tod. 358.
Zubeir, Ibn Awwam, 50, geht Mohammed entgegen, 81, kundschaftet die Gegend von Bedr aus, 106, sein Einzug bei der Eroberung von Mekka, 216, 217. dient Mohammed als Sekretär, 350, verfolgt Sara, 424.
Zeinab, Tochter Djahschs, Mohammed heirathet sie, 145. 156, schenkt ihm eine Sklavin, 360.
Zuheir, Ibn Abi Ommejja, ein Dichter, von Mohammed begnadigt, 223.
Zeinab, Tochter Hariths, vergiftet Mohammed, 187.
Zuhra, Wohnsitz der Beni Nadhir, 134.
Zeinab, Tochter Mohammeds, 39, 83, Ankunft in Medina, 116, Tod,
Zuhra, der Imam, 425.
Zemzem, der Brunnen, 2, 7, 318.
Zuhra. Sohn Kilabs, 11, 21, 22.
Zibirkan, Ibn Bedr, Dichter der Benu Tamiin, 246.
Zuleiha, die bibl. Potivar, 327.
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Beilagen.
Zu Anmerk. 40. Sirat Arrasul Fol. 36.
4 Zeilen Text
Aus dem Chamis auf dem 2ten Bl. des Kapitels: „Von den Begebenheiten im Anfang des Prophetenthums:
5 Zeilen Text
Aus dem Insan Alujun Bd.I. Fol. 6 des Kap.: „Anfang der Offenbarung“ zu den Worten Warakas „Dir ist die große Offenbarung geworden die einst Moses brachte:
4 Zeilen Text
Ibrahim Halebi Seite 52.
3 Zeilen Text
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452
Zu Anmerk. 215. Aus dem Insan Alujun Bd. III. das vorletzte Bl. vor dem Cap.: „Feldzug des Grabens.“
13 Zeilen Text
Ibrahim Halebi. S. 165.
9 Zeilen Text
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Zu Anmerk. 237. Sirat Arrasul Fol. 180. v.
9 Zeilen Text
Aus dem Insan Alujun Band III Fol. 5 des Capitels: ??????? nachdem er wie bei S. erzählt, daß Saad im Zelte Rufeidas war:
3 Zeilen Text
Ibrahim Halebi S. 161.
5 Zeilen Text
Zu Anmerk. 248. Aus dem Sirat Arrasul Fol. 195. v.
3 Zeilen Text
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4 Zeilen Text
Aus dem Insan Alujun Bd. III. auf dem sechsten Bl. des Cap.: Vom Zuge, nach Hudeibije, zu den angeführten Worten Urwa's:
14 Zeilen Text
Ibrahim Halebi. S. 187.
3 Zeilen Text
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25 Zeilen Text
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Zu Anmerk. 415. Sirat Arrasul Fol. 250.
19 Zeilen Text
Ibrahim Halebi Seite 352:
2 Zeilen Text
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457
13 Zeilen Text
Zu Anmerk. 215 und 220. Aus dem Sirat Arrasul
Fol. 189.
8 Zeilen Text
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458
14 Zeilen Text
Zu Anmerk. 524. Sirat Arrasul 277.
5 Zeilen Text
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Druckfehler und Verbesserungen.
Einfügung:
Die angegebenen Druckfehler und Verbesserungen wurden soweit möglich bereits in den Text eingearbeitet. Die arabischen Texte der Beilagen und die mit XXXX gekennzeichneten Textstellen können in der angegebenen Quelle des Münchener Digitalisierungszentrums eingesehen werden.
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Die Zahlen der Anmerkungen, auf die sich die Beilagen beziehen, sind schon in der Vorrede verbessert worden. Einige andere Unrichtigkeiten, besonders fehlende Teschdits, finden sich so in den Werken, die ich benützt habe; so ließ ich auch S. 21 die Zahl 771 statt 571 stehen. Ist der Name „Safia“ S. 161, Zeile 16 v. u. richtig, so muß eine andere als Mohammeds Gattin damit gemeint sehn. Einige „s“ für „s,“ in der Mitte arabischer Wörter, hielt ich nicht der Berichtigung werth.
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Quelle:
Mohammed der Prophet, sein Leben und seine Lehre : aus handschriftlichen Quellen und dem Koran ; mit Beilagen und einer Stammtafel Autor / Hrsg.: Weil, Gustav ; Weil, Gustav Verlagsort: Stuttgart | Erscheinungsjahr: 1843 | Verlag: Metzler Signatur: Turc. 152 Reihe: Mohammed der Prophet, sein Leben und seine Lehre : aus handschriftlichen Quellen und dem Koran ; mit Beilagen und einer Stammtafel Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10787144-4
Die Schamane im nordöstlichen Sibirien
Die Schamane im nordöstlichen Sibirien.
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Die Schamane im nordöstlichen Sibirien.
Aus Briefen des Herrn von Matiuschkin (Reisegefährten des Baron Wrangel auf der Nordpol-Erpedition) an einen Freund in St. Petersburg, im Jahr 1820.
. . . . . Am 30ten August lagen 9586 Werste zwischen uns lieber * * ; demungeachtet aber haben wir gewiß beide an diesem Tage einerlei Gefühle gehabt, du in der größten und herrlichsten, ich, in der kleinsten und jämmerlichsten Stadt auf der Welt. Wirklich kann man dies mit gutem Gewissen von Werchojansk sagen, denn das ganze elende Nest besteht, nächst der baufälligen Kirche und dem Kabak, aus acht bis zehn Jurten und Hütten, die auf einer Fläche von ungefähr drei Wersten herum gestreut liegen. — Hier feierte ich den Geburtstag unsers Kaisers, so gut sich es bei den hiesigen negativen Mitteln thun ließ. Das Diner, zu welchem ich die Honoratioren des Orts, den Priester, den Kommissair und einen hier lebenden Kaufmann einlud, bestand aus Iùkala (gedörrtem Fisch) Strugànina (gefror’nem Fisch, in dünne Scheiben geschnitten und roh mit Salz gegessen) und geräucherten Rennthierzungen, einem der vornehmsten hiesigen Leckersbissen; zum Deßert waren getrocknete Cedernüsse angeschafft: Abends regalirte ich meine Gäste mit Thee, wobei ich meine
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Rumflasche aufthat, welcher wacker zugesprochen ward. Vor dem Hause brannten einige alte Scherben mit Thran und Fett — eine hier ganz unerhörte Illumination! — Dem Straßenpublikum gab ich ein paar Eimer Branntwein und ein Pfund Toback zum Besten, und so ward unter dem lautesten Jubel von der ganzen Bevölkerung des Orts, dem Beloj Tsar’ (weißer Zar), und dem Syn Solnza (Sohn der Sonne), wie die hiesigen Völkerschaften den Kaiser tituliren, ein herzliches Lebehoch! gebracht. Die Gesellschaft ging ziemlich spät aus einander, und meine prachtvolle Fete spielt gewiß auf lange Zeit eine glänzende Rolle in den Annalen von Werchojansk.
Am andern Morgen früh zog ich weiter mit meinem Gefolge, bestehend aus einem alten Kosacken, der mein Dollmetscher und meine Eskorte war, und ein paar Jakuten, die als Wegweiser dienen, und mein Packoferd führen sollten. Mit dem Wegweisen war’s nun wohl eben nicht buchstäblich zu nehmen, denn Wege giebt es, zumal im Winter, in diesen traurigen Einöden nicht. Wir zogen den ganzen Tag längs dem Ufer des Tabalog , eines ziemlich bedeutenden Flusses hin, (der trotz dem 30ten August schon breite Eisränder ansetzte), ohne auch nur eine Spur menschlicher Wohnungen anzutreffen. Gegen Abend stellte sich ein eiskalter schneeartiger Regen mit heftigem Winde ein, der mich bald so vollkommen durchnäßte, daß ich sehnlichst wünschte auf irgend eine Jurta zu stoßen, wo ich ein Obdach finden und meine triefenden Kleider etwas trocknen könnte. — Ich fragte den jakutischen Führer, ob denn gar keine Wohnung in der Nähe
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sey? — „Nein, sagte er, keine Jurta weit und breit, außer der großen Teufelsjurta im Alar Süüt d. h. im Mord Walde.“ — Auf meine Bitte um eine genauere Nachricht über die omineuse Jurta und den obligaten Wald, erfuhr ich folgendes.
Zur Zeit der Eroberung Sibiriens fand eine Schlacht zwischen den damals vereinigten Tungusen und Jakuten, und den Russen in dieser Gegend Statt; letztere hätten vermöge ihres Schießgewehres gewiß in diesem, wie in allen übrigen Gefechten die armen Eingebohrnem‚die nur Pfeile und Bogen besaßen, überwältiget, wenn sie sich nicht in diesen, ihren Göttern geheiligten Wald zurück gezogen hätten. Hier aber kamen ihnen die Schamane mit ihren Beschwörungen zu Hilfe; sie überwanden die Russen und machten sie alle nieder. Als Dokument und unumstößlichen Beweis für die Wahrheit dieser Thatsache, zeigte mir mein Cicerone hier auch wirklich einen hohen, ganz allein dastehenden pyramidenförmigen Fels, den die Schamane damals zum Andenken an diese Begebenheit, aus dem Schooße der Erde hervor gezogen haben. — Seit der Zeit heißt dieser Wald der Mord Wald; er ist übrigens angefüllt mit den Geistern der erschlagenen Russen, und es ist sehr gefährlich, sich zur Nachtzeit hinein zu wagen, besonders in die Nähe der tief darin liegenden Jurta. — „Nun, sagt’ ich, da die Geister in dem Walde Russen sind, so werden sie ja mir und meinen Leuten kein Leid anthun; wir können also dreust hinein, und die große Jurta zu unserm Nachtlager benützen." — Mit diesen Worten bog ich rechts in den Wald. Die beiden Jakuten
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flehten zitternd und bebend, ich mögte doch mich (eigentlich sie) nicht so muthwillig dem Teufel in den Rachen liefern; sie wurden zur Ruhe verwiesen. — Mein alter Kosak, ans Gehorchen gewöhnt, wischte sich den Schnee aus dem Schnurrbart und sagte, indem er sich im Sattel zurecht setzte, halblaut: „Das giebt nichts Gutes.” — Langsam und schweigend folgten die drei mir durch Dickicht; bald stießen wir auf eine Art von gebahnten Weg, und ich erblickte zu meiner nicht geringen Freude in der Entfernung eine, vom Feuer röthlich gefärbte, hoch aufsteigende Rauchwolke. „Da giebts Menschen, rief ich freudig aus. — „Da ist des Teufels Werkstatt” brummte mein Kosak. — Voll Ungeduld zu dem Feuer zu gelangen , das für mich ganz durchnäßten und erstarrten so reizend war, trieb ich mein Pferd an und ritt so rasch, als es die Dunkelheit und die über mir dicht verwachsenen Aeste und Zweige verstatteten, vorwärts dem Scheine zu. — Endlich stehe ich vor einer großen Jurta; der dicke Rauch, der oben und auch an den Seiten daraus hervor dringt, und ein verworrenes Gemisch von allerlei Stimmen, deuten mir an, daß die Jurta bewohnt ist. Ich springe rasch vom Pferde, (meine Begleiter waren zurückgeblieben) binde es an einen Baum, und gehe auf die Jurta los. Plötzlich wird das Rennthierfell, mit welchen die Thüre verhängt war, zurück geworfen und ein wilder Haufe Tungusen, auf deren Gesichtern Schrecken, Furcht und Wuth ausgedrückt sind, stürzt mir entgegen. Die Leutchen sahen ziemlich Teufelartig aus — ich stutzte; aber da war nun einmal nichts anders zu thun, als herzhaft zu seyn oder wenigstens zu scheinen, und das
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that ich denn auch, indem ich rasch vorschritt. Ein zunächst in der Thüre stehender Tunguse will mir den Eingang wehen; ein tüchtiger Stoß vor die Brust schleudert ihn in die Jurta zurück, und ich trete hinein. — Mit einem durchdringenden Geschrei dringt nun der ganze Haufe auf mich ein und umringt mich, so daß ich mich durchaus nicht mehr rühren, keine Bewegung mehr machen kann. Es wäre mir vielleicht übel ergangen, und die Teufels Jurta hätte wohl ihren Ruf an mir bestätigt, wenn nicht plötzlich ein Deus ex machina zu meiner Rettung aufgetreten wäre: ein alter Tunguse drängt sich durch den dichten Haufen hervor, nimmt mich freundlich bei der Hand und spricht zu den Uebrigen: „Brüder, dieser ist ein guter Tajon, (1) (ich kenne ihn) „der uns nichts zu Leide thun wird; er hat mir viel geholfen, als ich beim Sommer-Eisgang (2) an den Terech-Urja Fluß zum Fischfang gegangen war und der Geldtajon mich drückte.” — Die Empfehlung des alten Herrn, der einer von den Honoratioren zu seyn schien, wirkte, mir ward sogleich Platz gemacht und ich trat in die Jurta. Hier wandte mein Mäcen sich zu mir und sprach in gebrochenem Russisch : „Guter Tajon, hindre nicht unsern Schaman!" — Nein lieber Freund, antwortete ich, weit entfernt ihm hinderlich zu seyn, will ich ihn vielmehr selbst über mein Schicksal befragen;
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(1) Tajòn heißt ein Anführer oder Befehlshaber unter ihnen, so wie auch jeder Russische Beamte.
(2) So wird der Frühling hier bezeichnet; die Benennung ist charakteristisch für den hiesigen Lenz.
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deshalb bin ich hieher gekommen, und hab’ einen Pack scharfen tscherkessischen Toback mitgebracht," — Meine Erklärung ward der Gesellschaft übersetzt, das Tobaksargument wirkte ganz besonders, die Gesichter klärten sich auf, und ich trat als willkommner Gast vollends in die Jurta, wo eine Menge Weiber an den Wänden herum saßen. Hier, bei ruhigerer Ansicht erkannt’ ich nun auch meinen Beschützer, dem ich wirklich Gelegenheit gehabt hatte früher einen kleinen Liebesdienst bei dem Steuereinnehmer zu erweisen. — Man wies mir den Ehrenplatz gegenüber der Thür an, ich setzte mich, und nach und nach lagerte sich die ganze Versammlung wieder längs den Wänden herum. Auch mein Kosak hatte sich eingefunden und bei der Thüre Posto gefaßt.
Jetzt übersah’ ich mir die Scene: in der Mitte der Jurta flackerte ein helles Feuer, um welches ein Kreis von schwarzen wilden Schaffellen ausgelegt war; aus diesem ging in abgemessenem tactmäßigen Schritt, langsam ein Schaman hin und her, indem er dabei halblaut seine Beschwörungesformeln hersagte. Sein langes schwarzes und struppiges Haar bedeckte ihm fast das ganze aufgedunsene, dunkelrothe Gesicht; zwischen diesem Schleier blitzten, unter den borstigen Augenbrauen, ein paar glühende blutrünstige Augen hervor. Seine Kleidung, ein langer Talar, aus Thierfellen, war von oben bis unten mit Riemen, Amuleten, Ketten, Schellen, Stückchen Eisen und Kupfer behängt; in der rechten Hand hatte er seine, gleichfalls mit Schellen verzierte Zaubertrommel in Form eines Tambourins, und in der Linken einen abgespannten Bogen. Sein Anblick war fürchterlich
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wild und Grausen erregend. — Die Versammlung saß schweigend und in der gespanntesten Aufmerksamkeit. — Allmälig verlosch die Flamme in der Mitte der Jurta, nur Kohlen glühten noch und verbreiteten ein mystisches Halbdunkel in derselben; der Schaman warf sich zur Erde nieder, und nachdem er ungefähr fünf Minuten unbeweglich da gelegen hatte, brach er in ein klägliches Stöhnen, in eine Art von dumpfem oder unterdrücktem Geschrei aus, welches wie von mehrern verschiedenen Stimmen herrührend klang. — Nach einer Weile ward das Feuer wieder angefacht, es loderte hoch empor; der Schaman sprang auf, stellte seinen Bogen auf die Erde, und indem er ihn mit der einen Hand hielt, und die Stirne auf das obere Ende desselben stützte, fing er an, zuerst langsam, dann allmälig immer rascher, im Kreise um den Bogen herum zu laufen. Nachdem dies Drehen so lange gedauert hatte, daß mir vom bloßen Zusehen der Kopf wirbelte, blieb er plötzlich, ohne irgend ein Anzeichen von Schwindel stehen, und begann mit den Händen allerlei Figuren in die Luft zu machen; dann ergriff er in einer Art von Begeisterung seine Trommel, die er wie es mir schien, nach einer gewissen Melodie rührte, und darnach bald rascher bald langsamer sprang, und mit unbegreiflicher Schnelligkeit seinen ganzen Körper auf die seltsamste Weise verzuckte; vornehmlich auffallend war dabei sein Kopf, der sich unaufhörlich, und mit einer solchen Geschwindigkeit drehete, daß er einer an einem Bande herum geschleuderten Kugel glich. — Während aller dieser Operationen hatte er einige Pfeifen des schärfsten tscherkessischen Tobacks mit einer gewissen Gierigkeit geraucht, und
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zwischen jeder einen Schluck Branntwein getrunken, welches beides ihm auf seinen Wink von Zeit zu Zeit gereicht wurde. Dies und die Dreh-Operation mußten ihm doch endlich zu Kopfe gestiegen seyn, denn er fiel nun plötzlich zu Boden, und blieb starr und leblos liegen. Zwei der Anwesenden sprangen sogleich hinzu, und begannen dicht über seinem Kopfe ein paar große Messer gegen einander zu wetzen. Dies schien ihn wieder zu sich zu bringen; er stieß von neuem sein seltsames Klagegestöhne aus, und fing an, sich langsam und krampfhaft zu bewegen. Die beiden Messerträger hoben ihn auf und stellten ihn aufrecht hin; sein Anblick war scheußlich. — Die Augen standen ihm weit und stier aus dem Kopfe; sein ganzes Gesicht war über und über bedeckt mit Blut, welches unaufhörlich mit dem gewaltsamsten Schweiße gemischt, unter der Haut hervordrang; er schien in einer völligen Bewußtlosigkeit zu seyn, und außer einem leichten Zittern seines ganzen Körpers, war einige Minuten hindurch gar keine Bewegung, kein Lebenszeichen an ihm bemerkbar. Endlich schien er aus seiner Erstarrung zu erwachen; mit der rechten Hand auf seinen Bogen gestützt, schwang er mit der Linken die Zaubertrommel rasch und klirrend um seinen Kopf, und ließ sie dann zur Erde sinken, welches, wie die Umstehenden mir erklärten, anzeigte, daß er nun völlig begeistert sey, und daß man sich mit Fragen an ihn wenden könne. Ich näherte mich ihm; er stand da, regungslos, mit völlig leblosem Gesicht und Auge, und weder meine Fragen , noch seine gleich und ohne Nachsinnen darauf erfolgenden Antworten, brachten auch nur die mindeste Veränderung in seinen
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erstarrten Zügen hervor. — Ich befragte ihn über den Ausgang und den Erfolg unsrer Expedition, von der gewiß niemand in der ganzen Gesellschaft auch nur den entferntesten Begriff hatte, und er beantwortete mir jede meiner Fragen, zwar etwas im Orakelstyl, aber dennoch mit einer Art von Sicherheit, nach welcher man hätte schließen sollen, er wäre ganz vertraut mit dem Hauptzwecke, so wie mit den Nebenumständen meiner Reise. Hier sind ein paar seiner Antworten, möglichst wörtlich: Wie lange wird unsre Reise dauern? — „Ueber drei Jahre." — Werden wir viel ausrichten? — „Mehr als man bei dir zu Hause erwartet.” — Werden wir alle gesund bleiben? — „Alle, außer dir, aber du wirst nicht krank seyn." (3) Ich fragte ihn unter andern auch wie es einem unsrer Reisegefährten (dem Lieutenant Anjou), von dem ich schon seit einiger Zeit getrennt war, jetzt ergehe? „Er ist jetzt drei Tagereisen von Bulun, wo er einen fürchterlichen Sturm auf der Lena ausgehalten und sich nur mit großer Mühe geretter hat.” (4) Viele seiner Antworten waren aber auch so dunkel, ich mögte beinahe sagen poetisch, daß keiner meiner Dragomane im Stande war, sie mir zu übersetzen;
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(3) Dies traf so ziemlich ein, denn Hr. von Matjuschkin litt lange an einer Schnittwunde am Daumen, die durch öfteres Erfrieren, sehr übel ward.
(4) Es wies sich in der Folge aus, daß der Hr. von Anjou wirklich um diese Zeit, und an dem benannten Ort auf der Lena in einer großen Lebensgefahr gewesen, der er nur mit Mühe entgangen war.
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sie erklärten diese Aussprüche für hohe oder, wie es hier heißt, Mährchensprache.
Als nach mir, alle Neugierigen in der Gesellschaft befriedigt waren, fiel der Schaman wieder hin, und blieb unter den heftigsten Verzuckungen und innern Krämpfen, ungefähr eine Viertel Stunde lang am Boden liegen. Man erklärte mir, daß während dieser Zeit die Teufel wieder aus ihm hinaus zögen, weshalb denn, außer ihrem gewöhlichen Wege, dem Rauchfange, auch noch die Thüre geöffnet ward. Ihr Abmarsch schien übrigens leichter von Statten zu gehen als ihr Einzug, zu welchem über vier Stunden erforderlich gewesen waren.
Endlich war alles vorüber, der Schaman erhob sich, und auf seinem Gesichte lag der Ausdruck des Erstaunens , der Verwunderung eines Menschen, der aus einem tiefen Schlafe erwacht, und sich in einer großen Gesellschaft findet. Er betrachtete alle Umstehenden der Reihe nach, vornehmlich aber zog meine Person seine Aufmerksamkeit auf sich; es schien als erblickte er mich jetzt zum ersten Male. — Ich wandte mich an ihn und bat mir über einige seiner dunkeln Orakelsprüche eine Erläuterung aus; er sah mich erstaun’t und mit einem fragenden Blick an, indem er verneinend mit dem Kopf schüttelte, als habe er nie von etwas dergleichen gehört. — Wenn dies Erstaunen künstlich, wenn der Mensch nur Betrüger, und seine ganze Krisis nur Gaukelei war: so sind die vollkommensten Mimiker Europens neben diesem Wilden, nur Pfuscher. — Ich wünschte wohl dass *** und *** einigen Schamanensitzungen beiwohnten und mir dann sagten,
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ob nicht der Schamanismus ein Magnetismus, und der Schaman ein — freilich Selbst-Magnetiseur seyn sollte. Schade daß wir beide, mein Schaman und ich, jetzt über Zehntausend Werste von Petersburg entfernt sind!
So war denn also, wie ich nun wohl merkte, die furchtbare Teuselsjurta nichts mehr und nichts weniger, als einer der Versammlungs Orte der, immer noch an ihrem alten Zauberglauben hangenden, Tungusen. Da sie größtentheils schon getauft sind, so wird von Seiten der Geistlichen sowohl als auch der bürgerlichen Obrigkeit, strenge darauf gesehen, daß dergleichen Recidive des Heidenthums nicht Statt haben, weshalb denn diese Versammlungen immer in entlegenen Gegenden und insgeheim gehalten werden. — Uebrigens hab’ ich an vielen Orte echte Russen gefunden, die, wenn sie irgend etwas wichtiges unternehmen wollten, recht gerne zuvor den Schaman aufsuchten, und sich von ihm prophezeihen ließen, welchen Erfolg sie zu gewärtigen hätten, und die steif und fest an die Untrüglichkeit seiner Prophezeihungen glaubten. — Sehr oft ist aber der Schaman auch nur, besonders unter den Russen, eine Art von Zeitvertreib, eine Abend-Unterhaltung; man läßt ihn holen, und er muß der Gesellschaft etwas vorschamanisiren (poschamànit’).
Mein Kosak hatte unterdeß, auf meinen Befehl, die beiden Jakuten durch Erzälung dessen was wir in der Teufelsjurta gefunden, beruhigt und sie bewogen, mit meinem Gepäcke dahin zu kommen, so daß ich im Stande war, die Versammlung sowohl mit dem versprochenen Tobak, als auch mit Branntwein zu bewirthen. Diese beiden Lieblings-Genüsse
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weckten bald Leben und Vertraulichkeit, und nun ward ich mit eben so vielen Fragen bestürmt als vorhin der Schaman. — Unter andern fragten die Weiber und Mädchen wiederholentlich: „was denn das hieße, große blaue Augen?" — Die ganze Gesellschaft, und vornehmlich der Schaman, der mir doch selbst vorhin in seiner Verzückung von den großen blauen Augen meiner Geliebten vorgeredet hatte, wunderte sich nun über die Maaßen, daß es dergleichen in Menschengesichtern geben könne, und schien gar keinen Begriff von andern Augen, als von kleinen schwarzen zu haben, welches fast die einzigen sind, die man hier antrifft.
Ich brachte die Nacht hier zu, und nachdem ich mich vollkommen getrocknet und erwärmt hatte, brach ich am andern Morgen auf, um weiter zu ziehen. Die ganze Gesellschaft begleitete mich ein Stück Weges bis an eine qewisse Stelle, die sie mir als gefährlich bezeichneten. Als wir dort angelangt waren, machten wir bei einem großen, am steilen Ufer des Flusses liegenden Steine Halt; der Schaman rupfte einige Haare aus der Mähne meines Pferdes, die er an einen Baum hing, und sprach eine Beschwörungsformel , um mir die guten Geister günstig und die Bösen unschädlich zu machen. Dann nahm er von mir Abschied, mit den Worten : „Lebe wohl, reise glücklich, kehre gesund wieder an diese Stelle zurück, und wenn es dir wohl geht in deinem großen Vorhaben, so gedenke unsers Zusammentreffens in der wüsten Jurta.” — Drauf stimmten die Weiber ihren Abschiedsgesang, Andỳlschtschina, an, welcher zugleich auch ein Lobgesang auf mich war, und zu welchem die ganze Versammlung
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im Chor und in gleichmäßigen Zwischenräumen den Refrain Evan, Evaon, Tajon! sang und jauchzte. — So schied ich von dem gutmüthigen Schamanenklub,, und lange noch tönte mir durch den Wald ihr Evan, Evaon! nach. Diese Laute, mit denen einst der fröhlige Weingott von seinen berauschten phrygischen Begleitern begrüßt wurde, machten hier (wo sie übrigens gar keine Bedeutung haben) einen höchst sonderbaren Kontrast mit meiner Umgebung: der phrygische Gott war ein halb erfrorner Russisch-Kaiserlicher Flott-Officier, die ewig grünen Weinberge waren eine mit ziemlich dickem Sommerschnee bedeckte Einöde, und die halbnackten Mänaden und Bachanten waren schmutzige, von Kopf bis zu den Füßen in Rennthierfelle eingehüllte Tungusen, zwar auch berauscht, aber nicht von Rebensaft wie jene, sondern von Kornbranntwein und Tscherkessischem Toback.
. . . Einige Tage später (16 September) gelangten wir an eine kleine Niederlassung von Jakuten, wo ich beschloß, mich etwas aufzuhalten, bis sich durch den fast unabläßig fallenden Schnee und die ziemlich starken Nachtfröste, die Winterbahn eingestellt haben würde. — Hier fand ich Gelegenheit und Grund, mich in meiner Hypothese über die Verwandschaft des Schamanismus mit dem Magnetismus zu bestärken. In einer der Jurten stieß ich auf einen Schaman, der mir gleich durch seine stieren blutrünstigen Augen und seine erdfahle Gesichtsfarbe kenntlich ward. Ich bat ihn, mir seine Künste vorzumachen; lange wollte er nicht dran und entschuldigte sich damit, er habe nicht alles zur Beschwörung erforderliche bei sich u. s. w. Endlich aber wirkten die gewöhnlichen Mittel, das Versprechen
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von Branntwein und Toback, und er schickte sich zu der Operation an. — Die älteste Tochter aus der Familie näherte sich mir und bat ängstlich, den Schaman fort zu schicken. „Warum denn das?” fragt’ ich. — Sie antwortete nicht, aber ihr Bruder erzälte mir, es hauseten Teufel in der Schwester, die sie sehr quälten, sobald der Schaman seine Beschwörungen mache; wenn seine Schwester ein Mann wäre, meynte er, so müßte sie gewiß ein ausgezeichneter Schaman seyn, weil sie dann selbst wirken könnte. Auch er bat, seine Schwester zu verschonen, weil sie sehr viel bei der Operation litte; das machte mich nur noch neugieriger auf den Erfolg, und ich gebot dem Schaman fortzufahren. — Nach wenigen Minuten ward die junge Dame unruhig, bald blaß, bald roth; endlich zeigte sich auch auf ihrem Gesichte (obgleich schwächer) der symptomatische Blutschweiß, den man immer im Moment der Krise bei den echten Schamanen findet, und sie fiel bewußtlos zu Boden. — Ich erschrak und befahl dem Schaman aufzuhören; aber der war nun einmal im Schub, und als ich ihn zur Jurta hinauswarf, setzte er seine Sprünge und Verzerrungen draußen im Schnee und Frost fort, ohne sich an die Orts- und Klima-Veränderung zu kehren. Die Patientin lag unterdessen starr da, plötzlich drang ihr der Unterleib gewaltig an, sie bekam Krämpfe, schrie, rang die Hände, sprang ungefähr so wie der Schaman, und sang ganz unverständliche Worte her; das dauerte so ein kleines Weilchen, bis sie endlich wieder hinsank und in einen tiefen ruhigen Schlaf verfiel. Als sie nach ungefähr einer Stunde erwachte, war sie vollkommen wohl und wußte von allem Vorgefallenem
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nichts weiter, als daß der Schaman angefangen habe, die Geister zu beschwören. — Der Vater und der Bruder des Mädchens versicherten mir, daß seit ihrer Kindheit schon die Schamane immer einen solchen Einfluß auf sie gehabt hätten, daß wenn der ganze Cyclus der Beschwörung ununterbrochen durchgemacht würde, sie zuletzt selbst in eine Schamanische Extase verfiele; daß sie dann auf alle ihr vorgelegte Fragen über das Zukünftige, Entfernte, Unbekannte antworte, und oft in der ihr völlig fremden Tungusischen oder Lamutischen Mundart rede und Lieder singe. Wieviel von dieser Erzälung wahr ist, will ich nicht entscheiden, aber wenn auch nur ein Theil davon Grund hat, so wäre die Aehnlichkeit mit dem magnetischen Schlafe, mit dem Somnambulismus u. s. w. auffallend. Es soll übrigens auch weibliche Schamane geben, von denen ich aber selbst keine gesehen habe. Noch jetzt nennt man mit einer Art banger Ehrfurcht eine gewisse Agrafèna Shigànskaja, die vor mehr als sechzig Jahren hier ihr Wesen getrieben haben soll. Die Schamane behaupten daß ihr Einfluß immer noch fortdaure, und pflegen gewöhnlich zu Anfang der Beschwörung ihr irgend etwas zu opfern, um sie sich gewogen zu machen. Unter andern schreibt man ihrem Einfluße auch eine Krankheit der hiesigen Frauenzimmer zu, die Miräk genannt wird, und die mir eine Art von St. Veits-Tanz zu seyn scheint.
Die Schamane stehen wie gesagt, trotz dem Christenthume immer noch in großem Ansehen im ganzen nordöstlichen Sibirien; nirgend aber ist ihr Einfluß so bedeutend, als bei den Tschuktschen, wo sie eines ganz unbedingten, blinden Vertrauens
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genießen, und dieses zuweilen auf eine furchtbare Weise benutzen. Folgender Vorfall, der sich im Jahr 1814 auf dem Markte zu Ostrownoje (5) zugetragen hat, liefert einen schrecklichen Beweis hievon. Unter den daselbst, wie gewöhnlich zum Jahrmarkt, versammelten Tschuktschen brach plötzlich eine ansteckende Krankheit aus, die trotz allem Springel, Trommeln und Beschwören der Schamane, viele Menschen, und noch mehr Rennthiere, den Hauptreichthum der Tschuktschen, wegraffte. Es ward eine allgemeine Versammlung der gegenwärtigen Schamane veranstaltet, in welcher, nachdem alle mögliche Kunststücke durchgemacht waren, endlich ausgemittelt ward: „um die erzürnten Geister zu versöhnen und der schrecklichen Krankheit, die sie über das Volk gebracht hätten, Einhalt zu thun, sey es nöthig, daß Kotschèn, einer der angesehensten Häuptlinge, ihnen geopfert werde.” — Dieser Kotschèn war so allgemein geliebt und geachtet unter dem ganzen Volke, daß, trotz dem sonst unbedingten Gehorsam gegen die Aussprüche der Schamane, ihre Meynung dieses Mal doch verworfen wurde. Als aber die Seuche fortfuhr, unter Menschen und Vieh zu wüthen, und die Schamane sich weder durch Versprechungen von Geschenken, noch durch Drohungen und Mißhandlungen, (6) zu einem andern
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(5) Siehe den Aufsatz über den Markt zu Ostrownoje im 1. Bändchen dieser Miscellen.
(6) Es ist ziemlich gewöhnlich, daß man durch eins dieser beiden Mittel sucht, den Schaman zu Abänderung irgend eines Ausspruches zu zwingen, und nicht selten wird er ein Opfer seines Beharrens.
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Mittel verstehen wollten, da erklärte endlich Kotschen, ein zweiter Curtius, selbst dem Volke, er sähe nun wohl, daß es der Wille der Geister wäre, ihn als Opfer fallen zu sehen, und er sey demnach bereit, zur Rettung seines Volkes, sein Leben hinzugeben. — Noch immer kämpfte die Liebe zu ihm, gegen die Erfüllung des schrecklichen Ausspruches der Schamane; keiner wollte Hand an das Opfer legen, bis endlich Kotschens eigner Sohn, durch die Ermahnungen des Vaters erweicht, und durch Androhung seines Fluches erschüttert, ihm den Mordstahl ins Herz stieß, und den Leichnam den Schamanen übergab. —
So gewaltig ist der Einfluß des Schamanismus, der hier die Stelle der Religion vertritt, der sich aber von allen übrigen Religionen wesentlich dadurch unterscheidet, daß er nur äußerst wenige, mährchenhafte Traditionen, aber keine Gesetze oder Dogmen hat, und daß folglich auch gar keine Art von Unterweisung oder Mittheilung darin Statt finden kann. Was die Schamane und ihre Anhänger glauben und treiben, ist nicht irgend etwas von Einem Menschen erdachtes und zu andern Menschen hinüber gegangenes; es entsteht in der Brust jedes Einzelnen durch den Eindruck der ihn umgebenden Gegenstände. Da diese Umgebungen in den Einöden Sibirien sich überall eben so gleich sind, als es die Stufe der Aufklärung ist, auf welcher die halbwilden Bewohner dieser Einöden stehen, so sind auch jene Eindrücke mehr oder weniger überall und auf alle Individuen dieselben. Ein jeder sieht und fühlt für sich; aber auch ohne Mittheilung herrscht eine allgemeine Aehnlichkeit unter den Erzeugnissen
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ihrer Einbildungskraft, und der individuelle Glaube des Einzelnen wird allgemeiner Glaube ganzer Völker. — Darin eben, daß dieser Glaube so zu sagen die Schöpfung eines jeden Einzelnen, und also einem jeden eigen und lieb ist, darin liegt meiner Meynung nach die Ursache, weshalb er sich so lange unter den Völkerschaften Sibiriens erhält; er wird sich unter ihnen erhalten, so lange sie als Naturmenschen in den Klüften und Wäldern herum ziehen, so lange dieselben Gegenstände, dieselben Eindrücke auf sie machen. Nur dann, wenn die Nomaden angesiedelt seyn werden, wenn Lehre und Beispiel der gebildetern Nachbarn anhaltend auf sie einwirken können, dann erst wird nach und nach der selbstgeschaffene Glaube an gute und böse Geister, so wie an die Schamane verschwinden.
Fast alle diejenigen, die bisher eine Meynung über die Schamane geäußert haben, stellen sie unbedingt als grobe, gemeine Betrüger dar, deren Verzückung nichts weiter ist, als ein, schnöden Gewinnes halber angestelltes, Gaukelspiel. Mir scheint dies Urtheil hart und ungerecht. Wenigstens ist es völlig einseitig und gilt nur von den, unter dem Namen Schamane, im Lande herum ziehenden Betrügern und Gauklern, die durch allerlei übernatürlich scheinende Kunststücke als Anfassen eines glühenden Eisens, Hin- und Hergehen auf demselben, Durchstechen der Haut mit langen Nadeln u. s. w. den Pöbel in Erstaunen setzen und ihm Geld ablocken. Die wahren Schamane gehören zu keiner besondern Kaste, sie machen keine, zu irgend einem gemeinsamen Zwecke vereinigte Korporation aus; sie entstehen und bestehen einzeln. Unter
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dem Volke werden Menschen mit einer feurigern Einbildungskraft, mit reizbarern Nerven geboren; sie erwachsen mitten unter dem Wunderglauben an die Schamane; der Anblick ihrer übernatürlichen Verzückung, das Mystische des Ganzen ergreift den Jüngling tief. Auch er will zu dieser Gemeinschaft mit dem Ungewöhnlichen, Außerirdischen gelangen, — aber niemand ist da, der ihm den Weg dazu weis’t, denn niemand, selbst der älteste Schaman nicht, ist sich selbst bewußt, wie er dazu gelangte. Aus sich selbst, aus der ihn unmittelbar umgebenden Natur, muß er die Kenntniß des Unbegreiflichen ziehen. Einsamkeit , Abgeschiedenheit von der menschlichen Gesellschaft, Fasten, erhitzende und narkotische Mittel, schrauben seine Einbildungskraft aufs höchste, — er sieht nun selbst die Erscheinungen und Geister, von denen er in früher Jugend hörte, er glaubt fest und unverbrüchlich daran. — Endlich wird er zum Schaman geweih't; doch bringt dies keine Mehrung seiner Kenntnisse, keine sonstige Veränderung in seinem Innern hervor, es ist eine bloße Ceremonie mit seinem äußern Menschen; — was er fortan fühlt, was er sagt, was er thut, ist und bleibt immer Resultat seiner eignen innern Gemüthsstimmung, — er ist kein kalter besonnener Betrüger! — Wer einen echten Schaman in der höchsten Extase gesehen hat, wird gewiß diesem Urtheile beistimmen, wird eingestehen, daß er wenigstens in diesem -Augenblicke unmöglich betrügen kann, noch will, sondern daß das, was eben da mit ihm vorgeht, Folge des unwillkührlichen und unwiderstehlichen Einflusses seiner aufs höchste gereizten Einbildungskraft ist. Kurz lieber Freund, ein echter
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Schaman (denn es giebt deren wie gesagt viele, die nur den Namen und das Kleid führen) ist gewiß ein höchst interessantes psychologisches Phänomen. —
Quelle:
Russische Mizellen, zur genauern Kenntniss Russlands und seiner Bewohner
Hrsg. Von Georg Engelhard. St. Petersburg: Kaiserl. Akad. Der Wiss.., 1829-1832 4 Bde. Bd. 2 1829 S. 135-156
Diese Mizellen wurden 2016 eingescannt. Der Artikel ist über folgenden Link zugänglich:
http://elib.shpl.ru/ru/nodes/26627-bd-2-1829
I. J. Schmidt 1828 über Lehren der Gnostiker und Buddhaismus
Ueber die Verwandtschaft
der
gnostisch-theosophischen Lehren
mit den
Religionssystemen des Orients,
vorzüglich
dem Buddhaismus,
von
Isaac Jacob Schmidt,
Doctor der Philosophie,
Ehren-Mitgliede der Asiatischen Gesellschaft in Paris und correspondirendem Mitgliede der Kaiserlichen Academie der Wissenschaften in St. Petersburg.
Leipzig, 1828.
Bei Carl Cnobloch.
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Vorwort.
Der Pflicht, die mir von der philosophischen Facultät der Universität Rostock, durch die Ertheilung der Doctorwürde, wohlwollend erwiesene Auszeichnung dankbar zu ehren, verdankt diese Schrift ihr Entstehen.
Ich habe zu derselben einen Gegenstand gewählt, den meine Studien der Ostasiatischen Literatur mir näher bringen mussten, als er Andern, denen solche Quellen noch nicht zu Gebote stehen, zugänglich seyn konnte. Zwar ist die Bemerkung, dass die Gnostiker ihre Ideen aus den Religionssystemen des Orients geschöpft haben, an und für sich nichts weniger als eine neue; wie wenig aber bis jetzt diese Bemerkiing motiviert war , ist jedem Kenner und Freunde der Religions- und Kirchengeschichte sattsam bekannt. In meinen „Forschungen im Gebiete der Geschichte Mittelasiens etc. 1824, S. 241. ff.“ hatte ich diesen Gegenstand oberflächlich
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berührt, daher eine gründlichere Bearbeitung desselben um so mehr von mir gefordert werden kann.
So wenig nun diese Schrift ihren Gegenstand erschöpft und zu erschöpfen bestimmt ist, so bin ich doch überzeugt, dass sie manches Neue und für ihren Zweck Brauchbare enthält, aus welchem Grunde ich für sie eine günstige Aufnahme hoffen kann.
St. Petersburg, am 8 Junius 1827.
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Es gilt für alle Zeiten, dass von Allem, was den Geist des Menschen am meisten anzieht, ihn am dauerndsten beschäftigt und den wichtigsten Einfluss auf alle seine Bestrebungen äussert, wohl nichts mit dem im Innern desselben tief verborgenen unvertilgbaren Gefühle zu vergleichen ist, das ihn das innigste Verhältniss zu einer, über ihm und seinem gegenwärtigen Standpuncte unendlich erhabenen, aussersinnlichen Intelligenz überzeugend empfinden lässt. Es ist dieses Gefühl nicht blos die Folge des Eindruckes uralter und durch Ueberlieferung fortgepflanzter, unmittelbarer Offenbarung der Gottheit an das erste Menschengeschlecht, sondern der Keim oder die Anlage dazu liegt vom Anfange an im Wesen des Menschengeistes selbst, und die ihm durch Ueberlieferung gewordenen Offenbarungen sind nur der Typus, dem er sich am willigsten anbildet, weil seine im Streben nach Befriedigung ermüdete Sehnsucht dann am ehesten Ruhe findet.
So alt wie das Menschengeschlecht ist demnach auch die Religion in Beziehung auf den Menschen, denn wenn gleich alles Endliche, was von dem Menschen sein Daseyn gehabt haben mag, ohne allen Zweifel seinen Ursprung aus derselben gemeinschaftlichen Urquelle hatte, so kann es doch nur um Vieles weniger, ja vielleicht gar nicht, für uns in Betracht kommen, insofern wir in der Welt der Erscheinungen, ausser in uns selbst, die geistige Verbindung mit dem Urquell vermissen, oder vielleicht auch dieselbe irgendwo zu entdecken zu kurzsichtig sind.
Die höchste Vorstellung, die der Mensch von der Gottheit aufzufassen fähig ist, ist die eines ewigen und unwandelbaren oder durch nichts zu trübenden Lichtes, was sich von diesem Lichte entfernt, nähert sich der Verdunkelung und fällt zuletzt in Finsterniss. Der Mensch fühlt sich mit der Lichtnatur Gottes verwandt, wird aber in demselben Grade, als dieses Gefühl sich steigert, zugleich seine Versunkenheit in dem Ungöttlichen der Finsterniss gewahr,
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und wird inne, wie dieser Zustand mit seinem physischen Daseyn auf dieser Erde genau verbunden ist.
Bei den höchsten, aber gewiss noch viel zu beschränkten, Vorstellungen, die der Mensch sich von der Gottheit macht und seiner Natur nach zu machen fähig ist, kann es ihm nicht entgehen, dass der Abstand zwischen ihm und dem ewigen Urwesen, das - obgleich ihm unbegreiflich – ihn mit majestätischer Allmacht, aber zugleich mit huldvoller Herablassung, unsichtbar umfasst, unermesslich ist. Da nun der, in das Zeitliche eingeschlossene, menschliche Geist nur in Raum und Zeit zu denken fähig ist, so mochte diese Ueberzeugung wohl bei ihm den Gedanken erregen und festhalten, dass eine, von seinem Standpuncte an aufwärts bis zum Urwesen reichende, Stufenfolge von niedern und höhern Mittelwesen diesen Raum ausfülle.
Sey es, dass die Verhältnisse des ersten Menschengeschlechtes zu seinem göttlichen Ursprunge um sehr vieles näher und inniger waren, als späterhin und jetzt, und dass ein immer weiter um sich greifendes und tiefer dringendes Verderben die höhere Natur des Menschen verdunkelte und ihn von der Gottheit entfernte und entfremdete; so konnte dennoch der angeerbte Lichtkeim dadurch nicht nur nicht erstickt werden, sondern fand immer Raum zur Ausdehnung und Entwickelung, sobald eine Anregung dieselbe begünstigte.
Aber ungleich diesem, aus der Tiefe der menschlichen Individualität ausgehenden und an dieselbe unzerreissbar befestigten, unsichtbaren Bande der Religion sind so manche der, meistens aus menschlichem Bildungstriebe und unter Einwirkung der Sinnenwelt entstandenen, ältern Religionssysteme, die, obgleich sie sich als Bewahrer und Erhalter der ursprünglichen Offenbarungen ankündigten und sich auf das innige Verhältniss des Menschen zur Gottheit gründeten, - nur zu bald ausarteten, den mannigfaltigen Anforderungen und Bedürfnissen der Gesellschaft und des Zeitalters angepasst werden mussten, und zuletzt zu geschmückten Sclaven menschlicher Phantasie und Leidenschaften herabgewürdigt wurden.
Im Alterthume war es gemeiniglich wohl der fromme und heilige Wandel ausgezeichneter Männer, die Art und Weise ihres, vom Aeussern ziemlich unabhängigen, Umganges mit Gott, und ihr, durch das Gefühl der Gottesnähe und Gottesverbundenheit gestärkter und durch Wort und That
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überzeugend ins Leben tretender Glaube, was - im Verein mit der überlieferten Offenbarung - den Grund zu Religionssystemen legte, welche in der Folge so überschwenglich wurden, dass neue aus ihnen hervortraten; aber nicht selten waren es auch die Träumereien gutmüthiger und in ihrer Phantasie verlorener Schwärmer, ja bisweilen auch die Kunstgriffe arglistiger, in der Leichtgläubigkeit der Menge ihren Vortheil findender, Heuchler und Betrüger, woraus theils neue Secten und abgesonderte Meinungen entstanden, theils willkührliche Ideen und Auslegungen in Umlauf gebracht wurden.
Die ersten Urkunden der Geschichte des Menschengeschlechts sind aus Asien; daselbst war die Wiege desselben und die Heimath seiner Bildung; daselbst waren die Offenbarungen der Gottheit in der frischesten Erinnerung und wurden zuerst in systematische Form gebracht. Es ist hier nicht der Ort, bei neuen Untersuchungen stehen zu bleiben, welches Land und welche Gegend dieses Welttheils der erste Menschensitz war; es ist für unsern gegenwärtigen Zweck genug, zu wissen, wo die ältesten Religionskenntnisse sich äusserten, sich zuerst zu Systemen bildeten und in logischer Form und Deutung zuerst ins Daseyn traten.
Es sind zwei Hauptpuncte, die als ursprüngliche Ideen allen mehr oder weniger Iautern Religionssystemen vorschweben, und in welchen sie mit einander übereinstiininen oder doch unter einander in nähere Harmonie treten. Der erste dieser Hauptpuncte ist die Idee des innigen Verhältnisses des-Menschen zur Gottheit. Aber schon die erste Zergliederung dieser Idee, der Gedanke über den Ursprung der Welt und des Geschaffenen spaltet die Meinungen in verschiedene Ansichten von Kosmogonie, Anthropogonie oder gar Theogonie. Der zweite Hauptpunct ist die, sowohl aus der Grundtiefe des Menschengeistes geschöpfte, als aus dem Wesen der geschaffenen Natur aufgefasste, allen Religionssystemen zum Grunde liegende, Idee einer von der Gottheit abziehenden, die Verdunkelung befördernden und- daher mit dem Lichte und dessen Urquell in stetem Kampfe begriffenen, Kraft oder Macht. Auch die Entwickelung dieser, in allen Religionssystemen vorherrschenden, Idee hat in fast jedem derselben eine andere Gestalt gewonnen: der Gedanke über den Ursprung und die Grundbeschaffenheit des Uebels
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erzeugte die verschiedenartigsten und auf die Ausbildung der einzelnen Systeme entscheidend einwirkenden Meinungen.
Es war in Indien, wo diese Hauptpuncte zuerst und am lebendigsten aufgefasst wurden und ein so umfassendes religiöses Ganze erzeugten, dass keine andere der späteren Ausbildungen in andern Gegenden sich dem gleichstellen kann, was uns das graue Alterthum in diesem merkwürdigen Lande davon erblicken lässt. Indess darf man nicht annehmen, dass das Alles umfassende und in das geringste Einzelne gehende System der Brahmanen - auch in der ältesten Form, die wir in ihren geachtetsten Religionsschriften finden - das Erzeugniss einer kurzen Zeit sey; wer den, in der Regel sich nicht übereilenden, Gang der Bildung des Menschengeschlechtes kennt, wird leicht einsehen, dass während Jahrhunderten daran gearbeitet ist, um das künstliche Gebäude aufzuführen, welches nicht nur die ersten Principien der Religion, sondern auch genug Gebräuche, Ceremonien und andere Nebendinge in sich schliesst; vor Allem aber auf eine Einrichtung der Gesellschaft, auf eine strenge und erbliche Absontlerung der Stände, und vorzüglich auf einen von der Gottheit ganz besonders begünstigten, Priesterstand gegründe ist. Alles dieses entwickelte sich im Bramanismus erst allmählig aus der sinnreichen Schöpfungs-Hypothese, womit sein Lehrsytem den Anfang macht. Es ist nämlich, nach dieser Hypothese, die Schöpfung eine Zersetzung des Urwesens, verursacht durch ein in demselben entstandenes Verlangen, das die Mája (Täuschung) erzeugte oder sich als solche offenbarte, und ist ,bewerkstelligt durch die Verbindung des Urwesens mit dieser , aus welcher zuerst die Trimûrti entstand, die das ganze Geistesheer und die Weltentstehung folgen liess. Dessen ungeachtet bleibt das Urwesen immer dasselbe, d. h. Brahma ist in der Weltschöpfung und die Weltschöpfung in Brahma; oder mit andern Worten: Obgleich das Urwesen in der Schöpfung oder der Welt der Erscheinungen zertheilt ist, so ist diese, durch die Májabewirkte und durch die Trimûrti ausgeführte, Theilung nur scheinbar und Täuschung. Diese Ansicht der Schöpfung im Brahmanismus ist, obgleich verschieden entwickelt und gedeutet, zugleich die Grundlage des Buddhaismus, wie wir weiterhin sehen werden.
Durch die Trimûrti, oder die schöpfende, erhaltende und zerstörende
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Kraft im Weltsystem, ward der Brahmanismus zum sinnlichen Naturdienste
und artete in materiellen Polytheismus aus. Zwar lebte in den heiligen Büchern die Idee des Urwesens, d. h. des emanirenden Brahmprincips, fort, aber nur als veraltete Mythe; die heiligen Bücher wurden zwar fortwährend abgöttisch verehrt und mit Eifersucht vertheidigt, aber nur insofern sie das Ceremonialgesetz und Vorschriften zu verdienstlichen Handlungen und Gebräuchen enthalten, oder die alte politisch-bürgerliche Einrichtung der Gesellschaft aufrecht erhalten sollen. Der Brahmanismus hat als Cultus längst aufgehört und dem S‘iwaismus Platz gemacht: Brahma 1) hat längst keinen Tempel mehr.
Eine solche Verbildung der Entwickelung des brahmanischen Systems lag in seinen Elementen: die mancherlei Abstufungen von Göttern, Elementargeistern und geringern Intelligenzen, von der Trimûrti bis zum Menschen herab, die alle mehr oder weniger in den Erscheinungen der geschaffenen Natur wirksam waren oder dieselbe belebten, mussten bald die Aufmerksamkeit allein auf sich lenken und einen Cultus der personificirten Naturkräfte begründen, der dem sinnlichen Haufen am besten zusagte und dem plastischen und poetischen Bildungstriebe des geistvollern Theile reichen Stoff zur Bearbeitung darbot. Daher die ungemein weite Verbreitung dieses Cultus im Alterthume, indem wir ihn unter fast allen Völkern, deren Namen uns die Geschichte aufbehalten hat, herrschend finden, dem Wesen nach übereinstimmend, nur in den Formen verschieden.
In Hindustan blieb indess der S‘iwaismus an den Formen des Brahmanismus hängen und wurde nicht in dem Grade herrschcnd, dass er andere, von Letzterem ebenfalls ausgegangene, edlere Gestaltungen hätte verdrängen können. Es stellte sich der Wischnuismus zwischen Beide und wurde der Stützpunct des gesunkenen Brahmanismus. In ihm erscheint zuerst ein das Böse unmittelbar bekämpfendes Princip, theils selbst in verschiedenen Erscheinungen und Verkörperungen, theils durch Indra und die welthütenden Luftgeister. Zwar finden wir bereits im entwickelten Brahmanismus ohne
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1) ES ist ein Unterschied zwischen dem Masculinum Brahma oder Brahman und dem Neutrum Brahma; Ersteres bezeichnet die erste Person der indischen Trimûrti oder den Weltschöpfer, und Letzteres das göttliche Urwesen, den Urgrund aller Schöpfung, aus welchem zuerst die Trimûrti emanirte.
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Schwierigkeit den Kampf des Guten und Bösen, indem der religiöse Wille gegen Sinnlichkeiten und Leidenschaften zu kämpfen hat, und nur die Besiegung derselben und die völlige Reinigung davon die nöthige Andacht verschaffen kann, wodurch die Wiedervereinigung mit Brahma erreicht wird; aber vom Ursprung des in der Materie liegenden Bösen selbst finden wir insofern nichts, als die Materie so gut ihren Ursprung in Brahma hat, als alles Uebrige, und zu seiner scheinbaren Integrität in der Zersetzung zu gehören scheint; es sey denn, dass das erste Verlangen Brahma‘s und dessen Hingebung an die Täuschung als erste Schuld oder als Ursprung des Üebels in verborgener Idee gedacht wird. Diese Idee liegt in der That dem Buddhaismus, der das Brahmprincip keineswegs als das höchste anerkennt, zum Grunde, wie weiterhin gezeigt werden wird.
Als ein durch Wischnuismus umgewandelter, jedoch eine eigene Gestalt annehmender, S'iwaismus erschien der eigentliche Dualismus, oder die Lehre von einem guten untl einem bösen Princip, von reinen und von unreinen Schöpfungen (also von einer reinen und unreinen Materie), und von einem beständigen Kriege zwischen Beiden. Das höchste Wesen, in diesem System Serwane Akerene oder „die ungeschaffene Zeit“ genannt, bleibt (wenigstens nach der Lehre der Sendschriften) bei diesem Kampfe in völliger Unthätigkeit, und überlässt es dem ziemlieh ohnmächtigen Demiurgus (Hormusd), seine Schöpfungen gegen die Angriffe seines Gegners durch die ihm zu Gebote stehenden Mittel zu vertheidigen. Dieser Demiurgus kann es nicht verhindern, dass seine Schöpfung durch allerlei fremdartige und Verderben bringende Gegenschöpfungen seines Feindes vermehrt und verunreinigt wird, so dass jedes Reich der Natur Erzeugnisse des Guten und des Bösen, Hormusd‘s und Ahriman‘s, aufzuweisen hat. Dass Hormusd an der Spitze der drei und dreissig Isads und Amschaspands aus dem indischen Indra an der Spitze der drei und dreissig welthütenden Untergötter hervorgegangen, und dass der Kampf des Hormusd gegen Ahriman kein anderer ist, als der Kampf Indra‘s und seiner Genossen gegen die Assurs des Abgrundes, fällt sogleich in die Augen; es hat also dieses System aus einer sehr untergeordneten Region des Brahmanismus seinen Ursprung. Unausgebildet schliesst es sich dem Zauberwesen oder sogenannten Schamanismus der
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Völker Nord- und Nordost-Asiens und vielleicht auch dem Fetifschismus anderer roher Völker an, obgleich es in späterer Ausbildung dieses Zauberwesen als Dewsdienst verwarf und folgerecht die demselben anhangenden Völker Turan‘s anfeindete und befehdete. Lange vor Einführung des Buddhaismus war Hormusd bereits unter dem Namen Chormusda den Mongolen bekannt und von ihnen als Oberherr des Himmels und der Erde verehrt; daher es den Verbreitern des Buddhaismus unter diesem Volke leicht war, die alte Identität zwischen Hormusd und Indra wiederherzustellen. Vielleicht durch spätere Reformatoren, wie Soroaster, gewann dieses System aus dem lautern Monotheismus, der sich hin und wieder im siidwestlichen Asien und namentlich unter den Israeliten erhalten hatte, an Reinheit und Ausbildung, ohne jedoch die ursprüngliche Form umzuwandeln; so wie, als Gegenwirkung und durch besondere Umstände begünstigt, in späterer Zeit manches Eigenthümliche desselben in die religiösen Vorstellungen der Juden überging. Vorzüglich scheint auch den Gnostikern, bei dem in ihren Systemen nothwendigen Dualismus, Hormusd als Musterbild ihres Archon, Demiurgos, Jaldabaoth u. s. w. vorgeschwebt zu haben 2).
Es darf nicht befremden, dass der Soroastrismus, obgleich offenbar ursprünglich aus Indien herstammend, die Lehre von der Seelenwanderung nicht hat; es erscheint vielmehr klar, dass diese Lehre mit der materiellen Naturansicht jenes Systems, mit der höchst beschränkten Geisterwelt desselben und mit dem engen, keine Entwickelung zulassenden, Kreise, worin dasselbe sich bewegt, unmöglich zusammenreimen und daher auch nicht aufgenommen werden konnte. Zwar hatten die Aegypter in ihrem, zum gröbsten
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2) Ausser den oben angegebenen Berührungspuncten dieses Systems mit den indischen ist wohl die ausgemachte Verwandschaft der Sendsprache mit dem Sanskrit, als einer Mundart desselben, der sprechendste Beweis einer früheren religiösen ldeengemeinschaft der Völker jenseits und diesseits des Indus. Sollte nicht der Name Arier, den die vereinigten Hurmusdvölker führten und dessen Bedeutung noch nicht gefunden ist, gleichfalls aus dem Sanskrit zu erklären seyn? In dieser Sprache heisst Arja „ein Ehrwürdiger, ehrwürdig, von guter Familie;“ und Arjàwarta „das heilige Land Indiens zwischen den Gebirgen Himâlaja und Windhja, vom Ufer des östlichen Meeres bis zu dem des westlichen, der Hauptsitz des alten Brahmanismus.“ Könnte nicht dieser Name auf die Hormusd-Diener und ihr Land übergegangen seyn, die ihrerseits sich gewiss nicht geringer achteten, als die Anwohner des Jamuna und der Ganga? Auch dürfte vielleicht der Name der von allen Seiten umschlossenen Provinz Wer, War oder Werene, woselbst Dschemschid seinen Sitz aufschlug, seine Erklärung im Sanskrit finden, in welcher Sprache Warana „eine Umgrenzung oder Umschliessung“ bedeutet.
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Materialismus herabgesunkenen Thier- und Sterndienste die Lehre von der Seelenwanderung beibehalten, dieselbe aber ganz ihren religiösen Ansichten angepasst und ohne allen moralischen Zweck oder höhere Bedeutung hingestellt.
Von dem Systeme des absoluten Dualismus, das als Mittelglied in der Kette der verschiedentlich ausgebildeten religiösen Vorstellungen Ost- und Westasiens von der grössten Wichtigkeit ist, kommen wir nun auf den Buddhaismus, der, ob er gleich in Arjáwarta (tibetisch a P‘agspai-jul und
mongolisch Chutuktanu oron) entstand und daselbst seine Ausbildung erhielt, sich schon früh ausserhalb dieses Landes verbreitete, und nach und nach eine Ausdehnung gewann und noch behauptet, wie keines der übrigen aus gemeinschaftlicher Quelle geflossenen Systeme. Es zeichnet sich dieses System vor den andern dadurch aus, dass man den Anfang desselben als abgesonderte Secte historisch bestimmen kann und genau weiss, dass der Stifter desselben ungefähr tausend Jahr vor unserer Zeitrechnung gelebt hat. Dessen ungeachtet ist es sehr zweifelhaft, ja sogar unwahrscheinlich, dass die von S‘âkiamuni verkündigte Lehre nicht schon früher sollte bekannt gewesen seyn, denn nicht nur wird dieselbe in den buddhaischen Büchern als längst bekannt vorausgesetzt, sondern S‘âkiamuni wird in denselben blos als menschgewordener göttlicher Erneuerer, Erinnerer und als lebendiges Beispiel dieser Lehre, nicht aber als Erfinder derselben aufgestellt. Ueberdiess findet sich in den verschiedenen philosophischen Systemen des Brahmanismus manches mit dem Buddhaismus Nahverwandte; vorzüglich scheint der Wischnuismus sich demselben zuzuneigen.
Obgleich der Schöpfungs- oder Entstehungsprocess im Buddhaismus denselben Gang geht und beinahe die nämlichen Grade durchläuft, wie im Brahmanismus, so dass der gemeinschaftliche Ursprung beider Systeme aus einer Quelle schon dadurch erwiesen ist, so erscheint doch Manches unter ganz verschiedenen Begriffen und Namen; oder vielmehr, diese Begriffe und Namen erhalten eine andere Bedeutung, weil die dem Brahmanismus zum Grunde liegende, den Uebergangspunct zu den früher genannten Systemen bildende, materielle Ansicht a priori verworfen wird. Der Buddhaismus unterscheidet sich von Jenem hauptsächlich dadurch, dass er den Begriff des Uebels weit
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bestimmter auffasst, und die ganze Entstehung alles Vorhandenen als das Urübel betrachtet. Hieraus folgt, dass das Urwesen der Brahmanen oder das göttliche Brahma sich als solches im Buddhaismus nicht findet, sondern statt dessen wird ein Lichtraum gedacht, der den Keim aller zukünftigen Entwickelungen in sich schloss, und aus welchem durch entstandene Sturmwinde die Elemente der Materie erzeugt wurden. Dieser Lichtraum, die Region des zweiten Dhjâna genannt ( Dhjâna bedeutet „tiefe innere Selbstbeschauung“), besteht aus drei Abtheilungen, nämlich aus der des einfachen Lichtes, aus der des über jeden Begriff hellen Lichtes und aus der des Licht-Lichtes (mong. Gegen-Gerel). Obgleich nun zwar in den Schriften der Buddhaisten jede positive Andeutung eines höchsten Wesens als Princip der Schöpfung fehlt, und sogar dieser Gegenstand, wo er sich der Consequenz gemäss von selbst darbietet, mit Fleiss umgangen zu werden scheint, so wird dieses Alllicht doch als ein Ort genannt, der den allgemeinen Weltzerstörungen nicht ausgesetzt ist, in welchem niemals Sturmwinde brausen, sondern woselbst vielmehr, nachdem alles Intellektuelle aus der Materie - von den gräulichsten Höllenreichen an bis zu den höchsten Götterregionen - allmählig gereinigt, stufenweise gesteigert fund zuletzt in Eins vereinigt ist, dieser unvergängliche Allgeist, alles zusammenhaltend, unnennbare Zeiten hindurch, während welchen keine Schöpfung vorhanden ist, in völliger Ruhe bleibt, bis eine anscheinlich fatalistische Nothwendigkeit aufs Neue die Schöpfung bedingt. Von dieser neuen Schöpfung sind jedoch diejenigen, die bereits Buddha geworden und sich, weit über die Region des Lichtes hinaus, in die ewig unzerstörbaren Regionen der Seligkeit versenkt haben und in das Nichts, als Gegensatz des Etwas (Materie), eingetaucht sind, ausgeschlossen.
Gleich dem Brahmanismus nimmt der Buddhaismus einen fortlaufenden Wechsel von Weltentstehungen und Weltzerstörungen an, und gleichwie eine allmählige Vergeistigung der lebenden Wesen durch stufenweise Beförderung in höhere Geburten bis zu den höchsten Geisterregionen hinauf das Weltgebäude entvölkert, so entsteht auf ähnliche Weise, sobald die erste Entwickelung beginnt, eine Anzahl Lichtwesen, die, sich vermehrend und allmählig ausartend, niedere Gattungen erzeugen, bis zuletzt diese körperliche
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Welt entsteht und durch immer tieferes Sinken und stete Verminderung des geistigen Lichtstoffes die Materie immer gröber und die Finsterniss immer finsterer wird. Der Anfang der Entwickelung wird nicht, wie im Brahmanismus, durch liebevolle Sehnsucht und Drang, sich selbst in der Schöpfung zu spiegeln, und durch daraus folgende Hingebung an die Täuschung bewirkt, sondern, wie oben bemerkt, durch Sturmwinde aus der Region des dreifachen Lichtes, dem allgemeinen Sammelplatze alles Geistigen der früheren vernichteten Schöpfung. Diese Sturmwinde erzeugen eine dritte, geringere und schon dem vergänglichen Weltsystem angehörige Region, nämlich die Region der drei Is'waras (Brahmâ, Wischnu, S'iwa), auch die des ersten Dhjâna genannt. Von dieser gehen abermals Winde aus, wodurch die verschiedenen Regionen der niedern Geister entstehen; bis endlich, gleichfalls vermittelst Winde, die gröbern Elemente der Materie sich bilden und scheiden, und die Metempsychere als Buss- und Läuterungsprocess in volle Wirkung tritt. Am Ende einer grossen Periode wird die Vertilgung der, von allem Geistigen entblössten, todten Schlacke der Materie meistens durch Feuer bewirkt, bisweilen durch Wasser, und zuletzt, nach sechs und funfzig
Zerstörungen durch Feuer und Wasser, nur eine durch Luft. Weil die zu höheren Reichen beförderten und ihre Bezirke nicht mehr regierenden Elementargeister fehlen, so wüthet eines der ungebändigten Elemente bis zur völligen Vernichtung und Auflösung des Ganzen. Die sieben und funfzigste Zerstörung durch Luft oder Wind aus der Region des dritten Dhjâna ist die letzte und entscheidende; denn in dieser Zerstörung geht auch der Urgrund aller Schöpfungen und Erscheinungen, die Region des Lichtes, unter: Alles ist abgebüsst, und auch die höheren unzerstörbaren Buddha-Regionen, die zwar immateriell sind, aber dennoch eine Farbe oder Gestalt haben, verbleichen und verschwinden - weil der Zweck ihres Daseyns gänzlich erfiillt ist - gleich Regenbogen, und Alles, was war, versenkt sich für die Ewigkeit in das Nichts.
Der Grund der so oft erneuerten Schöpfungen nach eben so oft erfolgten Auflösungen des Geschaffenen ist zwar fatalistisch, jedoch nicht in dem Grade, wie er sich auf den ersten Blick zeigen möchte: nichts ist dabei zufällig, nichts einer Schicksalslaune oder gar einer vorherbestimmenden Willkühr
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überlassen, sondern Alles fliesst aus höchster Consequenz. Jede Uebelthat hat ihre Strafe und muss abgebüsst werden; jedes gute Werk findet seine sichere Belohnung. Nun ist bei der Wiedervereinigung des Ausgegangenen mit dem Ausgange lange noch nicht Alles abgebüsst, bei weitem noch nicht alle gute und böse Thaten haben reife Früchte getragen. Zwar haben Tausende und Millionen von lebenden Wesen die erforderliche Schuld entrichtet, sind auf immer von der Materie befreit (in welche sie sich nachher nur im Vollgenusse eines freien Willens und ohne alle Beziehung an dieselbe, blos aus Trieb, Andere zu erretten, herabsenken), und sind für die Ewigkeit in die Leere des Nirwâna eingegangen; aber bei unendlich mehr Tausenden und Millionen ist diess noch nicht der Fall. Diese bringen den Keim der Materie mit ins Lichtreich und müssen nach einiger Zeit wieder ausscheiden - welche Ausscheidung als ein Sturmwind oder vermittelst eines solchen geschieht - müssen den Kreislauf der Geburten, nach Massgabe ihrer Thaten aufs Neue beginnen, in den verführerischen und die Neigung anziehenden Truggestalten der Materien neuen Prüfungen entgegengehen, sind dem Steigen und Fallen unterworfen; bis auch sie, von allen, durch den Sinnenreiz sich offenbarenden, Theilen der Materie befreit, in das Reich eingehen, wo Ich und Mein aufhört, das heisst, Buddha werden.
Hieraus folgt von selbst, dass die ganze Götterschaft der Brahmanen nebst der Trimûrti noch in der Materie befangen ist und gewissermassen im Argen liegt. Zwar wird ihr Rang, ihre Herrlichkeit und Macht anerkannt, aber alles dieses hat für den Buddhaisten keinen Reiz: er fühlt sich als Mensch glücklicher; denn als solcher kann er es nicht nur mit Leichtigkeit zur Wiedergeburt in den verschiedenen Geister- und Götterreichen bringen, sondern er kann in der Menschgeburt bis zum Ausgang aus dem Sansâraoder bis zum ewigen Nirwâna 3) und der Versenkung in die Leere des Reinen und Immateriellen gelangen, welches den, in ihren sinnlichen Seligkeitsgenüssen überschwenglichen, Geistern und Göttern unendlich schwerer ist.
Hier kommen wir auf den Centralpunct des Buddhaismus:
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3) Sansâra und Nirwâna sind Sanskritwörter; Ersteres bedeutet „die Welt der vergänglichen Erscheinungen und der Kreislauf der Metempsychore,“ und Letzteres „ewige Glückseligkeit, gänzliche Befeiung von der Materie und der Wiedergeburt in derselben, und Vereinigung mit der Gottheit.
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die gesteigerte Erkenntniss, dass alles Vorhandene eitel, nichtig und leer und ein Spiel der die Sinne umgaukelnden Täuschung ist, führt zum höchsten Grade der Erkenntniss, zur höchsten Weisheit oder zur Dschnâna, die in den buddhaischen Büchern nicht selten bildlich als Göttinn erscheint. Strenges Wachen und beständige Aufsicht über alle Leidenschaften und Handlungen, gute Werke aus reinem Herzen und ohne alle eigennützige Absicht, vorzüglich Barmherzigkeit und thätiges Mitleid gegen Andere sind die wirksamsten Mittel gegen die Anforderungen der, nur durch Ungerechtigkeit herrschenden, Materie, und befördern jene Erkenntniss. Ein davon durchdrungener Mensch gehört schon bei Lebzeiten der Materie nicht mehr an, die beschränkenden Gesetze, Verordnungen und Formen der zeitlichen Welt sind für ihn nicht da und haben keinen Einfluss auf ihn, alles Aeussere ist ihm nichts, seine Sinne sind Allem verschlossen, nur nicht dem Gefühle der Erbarmung und dem Triebe, auch Andere zu erretten; und nach dem Tode gibt es für ihn keine Wiedergeburt mehr, sondern sein Geist versenkt sich - jedoch mit vollem Bewusstseyn und mit voller Freiheit - in das leere All und die Seligkeit des ewigen Nirwâna.
Damit aber diese Erkenntniss nicht in Vergessenheit gerathe und die Empfänglichkeit dafür immer erhalten werde, senken ich solche vergötterte Menschen von Zeit zu Zeit wieder herab, nehmen einen Körper an und erscheinen unter den Weltbewohnern, theils um eine ganz neue Epoche dieser Lehre zu begründen, theils um sie auszubreiten und zu befestigen. Bei einigen von denselben geschieht diese nur einmal, bei andern öfters und bei diesen Letztern zwar nicht bloss in Menschengestalt, sondern auch unter andern Formen. Obgleich beide Gattungen vollendete Buddhas sind und dem Reiche des Geborenwerdens und der Schranken nicht mehr angehören, so findet doch in Hinsicht der Verdienste und des Ranges ein Unterschied unter ihnen statt. Diejenigen, welche, wie S‘âkíamuni, zuletzt nur ein für allemal erscheinen, um eine neue Epoche zu begründen, sind die Vornehmsten und Buddhas im eigentlichen Sinne, da hingegen die Andern auch Bodhissatwa genannt werden, welche aus freiem Triebe und nach eigener Willkühr zum Heil der lebenden Wesen sich öfters verkörpern; bis auch sie einmal den Rang Jener einnehmen, um nachher nie wieder verkörpert zu
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erscheinen. Uebrigens sind alle Buddhas vom höchsten Range - und folglich auch S‘akiamuni - in früheren Zeiten Bodhissatwas gewesen.
Von allen diesen Buddhas und Bodhissatwas wird geglaubt, dass sie den Feind, d. i. die Materie und ihre die Sinne berückenden Gestaltungen, besiegt haben und nun nach Willkühr beherrschen. Sie sind Herren der Mâja oder der sich in Verwandlungen offenbarenden Täuschung, können sie nach eigenem Wohlgefallen zerstören, oder auch sich derselben bedienen, je nachdem der, auf Errettung des Einzelnen oder Ganzen hinzielende, Zweck es erfordert. So geschehen z. B. alle Verkörperungen oder abermalige Menschwerdungen der Buddhas, nachdem sie sich in der Gestalt von Lichtstrahlen herabgesenkt haben, unter der Hülle der Mâja (mongolisch Chubilghan), ohne einmal der Fähigkeit, auch nach ihrer Menschwerdung sich in jeden beliebigen Gegenstand zu verwandeln, zu gedenken. Dessen ungeachtet thun sie nichts ohne Zweck: ihre Einwirkungen sind nicht gewaltsam, und die Freiheit des individuellen Willeiis bleibt allen in der Materie befangenen Wesen unbenommen; sie suchen auf den innern Sinn durch Wort und Wandel und nöthigenfalls durch Wunder der Mâja zu wirken, um die Erkenntniss zu wecken, welehe zur Dschnâna oder höchsten Weisheit führt 4).
'Es würde uns zu weit führen und von unserm Ziele entfernen, wenn wir jetzt das ganze System des Buddhaismus entwickeln wollten, daher wir uns auf eine gedrängte Darstellung desselben in seinen wichtigsten Lehren und Beziehungen beschränken. Wir können nun auf die Folgen und Einwirkungen übergehen, die derselbe in Verbindung mit den andern alten Systemen Asiens und Aegyptens auf die religiösen Vorstellungen der westlichen Länder geäussert hat.
Wir finden die ersten Spuren dieser Einwirkung in den Schulen der griechischen Philosophen, und zwar zuerst in der sogenannten italischen oder pythagoräischen und demnächst in der platonischen; der Einfluss orientalischer Philosopheme auf die Denkweise jener griechischen Weisen und ihre Lehrentwickelung ist unverkennbar. Indess fehlte viel daran, dass ihnen das
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4) Diese kurze Darstellung der Lehren des Buddhaismus ist aus den geachtetsten Religionsschriften der Buddhaisten gezogen. Eine ausführliche Geschichte dieser Religion nebst übersetzten Auszügen aus den Originalschriften wird seiner Zeit folgen.
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religiöse System der Brahmanen und S‘ramanen 5) in dem Grade bekannt gewesen wäre, wie es späterhin ward, indem die Verbindungen mit Indien zu ihrer Zeit nur sparsam und selten waren; sie mussten also den von dort erhaltenen Weisheitskeim theils durch eigenes Denken, theils durch Zuziehung ägyptischer und einheimischer Vorstellungen und Mysterien weiter ausbilden. Auch konnten und durften sie sich nicht völlig von den naturalistisch-polytheistischen Ansichten ihrer Landsleute losmachen. Daher hatten die von ihnen gebildeten Systeme keinen allgemeinen Einfluss auf den religiösen Glauben des Haufens, sondern blieben in abgesonderter Form mehr als Uebungsaufgaben und zur fernern Ausbildung späteren Idealisten überlassen, die nach den Umständen und den Ergebnissen erweiterter Kenntniss und Erfahrung noch mehr, sowohl Eigenes als Orientalisches, hineintragen konnten.
Der Eroberungszug Alexanders nach Indien vermehrte die Kenntniss dieses Landes bei den Griechen und brachte von da eine Menge neuer Ideen im Umlauf, die sich den bereits früher gangbaren anschlossen. Aber auch diese Ideenbereicherung brachte in den ausgebildeten heidnischen Volksreligionen Westasiens keine merkliche Veränderung hervor, weil sie den Volksglauben unangetastet liess und sich in den Schranken freier philosophischer Forschung und Definition hielt. Anders war es mit den Juden. Diese hatten bereits aus dem langwierigen Exil neue Ideen mitgebracht, vornehmlich aber hatte ihr Monotheisinus während desselben eine so feste - um nicht zu sagen starre - Gestalt gewonnen, dass ihre frühere beständige Neigung zum Götzendienste ihrer Nachbarn, die den eindringlichen Ermahnungen und Drohungen ihrer Propheten stets mit Hartnäckigkeit Trotz geboten hatte, auf einmal wie verschwunden war. Ein höherer und mehr auf das Volk wirkender Geist der Ausbildung, der sich - was wir früher nicht finden - in öffentlichen Lehranstalten oder Synagogen und Gesetzerklärungen offenbarte, trug mächtig dazu bei, dem Charakter des Volkes Festigkeit zu geben, die wirklichen und vermeintlichen Vorzüge desselben eifersüchtig
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5) S‘ramanen sind die Einsiedler, Priester und Lehrer (Guru) der Buddhaisten, und heissen bei den Tibetern b Lama und d Geslong; sie bilden aber nicht, wie die Brahmanen, eine Caste (Dschâti), wie denn bei den Buddhaisten das Castenwesen überhaupt verworfen wird.
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hervorzuheben, aber auch eben dadurch, und weil es an den äusseren Formen seiner Gesetzgebung hangen blieb, ohne sich den Geist seiner Religion und seines Gottes anzueignen, - bei demselben eine Härte und Unduldsamkeit zu erzeugen, welche ihm nicht nur den Hass oder die Verachtung und den Spott anderer Völker zuzog, sondern dasselbe auf einer sehr niedrigen moralischen Stufe erhielt, wodurch das Verderben herbeigeführt wurde, dessen Opfer es ward und unter dessen Last es jetzt noch seufzt.
Indess war ungeachtet des strengsten Monotheismus, den die Juden in ihr Vaterland zurückbrachten, die Einheit der Ansichten bei dem gebildeteren Theile der Nation keineswegs begründet: die zugleich aus dem Exil mitgebrachten neuen Ideen wurden ihrem Nationalglauben angepasst; und gleich wie früher ihre Bekanntschaft und Vermischung mit andern Völkern sie zur Abgötterei führte, so machte jetzt dieselbe Ursache sie mit den Systemen der griechischen Philosophen bekannt, die um so leichter Eingang und Anwendung finden mussten, da ein grosser Theil des Volkes seine Nationalsprache mit der griechischen vertauscht hatte, und sich sogar zum religiösen Lehrgebrauch nur des, zu diesem Zweck übersetzten, griechischen Canons der heiligen Bücher bedienen konnte. Der vornehmere und gebildetere Theil des Volkes war in drei Secten zerspalten, welche, obgleich in der Hauptsache des Nationalglaubens übereinstimmend, in ihren Nebenansichten von einander abwichen und sich gegenseitig hassten.
Diess war der geistige Zustand des jüdischen Volkes, als Jesus auf Erden erschien und das göttliche Licht die Finsterniss durchbrach, die auf dem Erdboden lastete. Wir haben nicht nöthig, bei den allbekannten segensreichen Folgen dieses, von den wenigen Guten des jüdischen Volkes so heiß ersehnten und zugleich das Heidenthuin so mächtig ergreifenden, Ereignisses stehen zu bleiben; uns liegt jetzt nur ob, den Gang zu verfolgen, wie, nicht lange nach dem Entstehen des Christenthums, gerade die einfache Lehre des vom ewigen Vater in die Welt zu deren Erlösung herabgekommenen menschlich-geoffenbarten Lichtes dazu dienen musste, von den sich weiser und klüger Dünkenden in den Nebel der aus orientalischen Religionssystemen und griechischen Philosophien fixirten Ideen herabgezogen zu werden.
Die vorhandenen Quellen geben uns zwar keine Nachricht von dem
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Wirken fremder Religionsansichten und Philosopheme unter den Juden während des Wandels Jesu auf Erden; um desto deutlicher und bestimmter aber treten sie nach dessen Hingang hervor. Indess gaben sie sich nie für das, was sie waren, sondern das Bestehende in dem geltenden Religionsglauben wurde ihnen angepasst und aus ihnen erklärt; daher die Gnosis in allen ihren verschiedenen Systemen aus einer Mischung besteht, welche zwar überall in der allgemeinen Wahl der Bestandtheile, nicht aber in dem gleichen Verhältnisse derselben sich ähnlich ist. Die Haupttheile dieser Mischung sind indess überall aus den indischen Vorstellungen geschöpft - sogar findet die griechische Benennung γνωσις ihre Verwandtschaft und analoge Bedeutung in dem sanskritischen Dschnâna - und der parsische Dualismus diente als kräftiges Annäherungs- und Verbindungsmittel, um jene und die einheimischen heterogenen Vorstellungsarten zu verschmelzen 6).
Die Elemente der Gnosis finden wir bereits bei Philo, welcher, an den fleischlichen Begriffen der grossen Mehrzahl seiner Landsleute von ihrer Religion und ihrem Gott keinen Gefallen findend, die Religion Jehovah‘s mit der platonischen Philosophie in Verbindung zu bringen strebte. Er ging von der, den orientalischen sowohl als den gnostischen Systemen eigenen, Unterscheidung des in sich verschlossenen Urwesens und der Offenbarung desselben aus, welches Urwesen er unter dem orientalisch-platonischen Namen ό ών, το όν auffasste und auf Jehovah und seine Offenbarung anwendete. Die Offenbarung Gottes geschieht, nach Philo, vermittelst Strahlen, welche nach allen Seiten hin ausgehen, wodurch Gott in der Schöpfung Leben hervorgebracht hat und immerdar im Weltall wirkt. Vermöge dieser, als Kräfte Gottes dargesellten, Strahlen ist er in der ganzen Schöpfung gegenwärtig, d. h. er wirkt pantheistisch durch die Allerfüllung seiner Kräfte, kann sich aber als Wesen Gottes (το όν) nicht offenbaren; daher die Theophanien im Alten Testamente nicht der ών selbst, sondern blos dessen Kräfte sollen gewesen seyn. Der Inbegriff aller dieser Kräfte, oder der - als Urbild der Erscheinungswelt gedachten - Geisterwelt, ist der Logos, das erste Princip der Lebensentwickelung und der Gottesoffenbarung, der unmittelbare Abdruck
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6) Die folgenden Auszüge aus den Lehren der Gnostiker sind meistens aus „Dr. Neander‘s genetische Entwickelung der gnostischen Systeme; Berlin 1818.“ geschöpft.
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und das Bild des verborgenen Gottes; der den Seelen der Mensehen den Charakter der Vernunft eingeprägt hat, durch welchen er sich ihnen offenbart, indem auch sie, vermittelst seiner, ein mittelbares Bild des όν sind. Der Geist des Menschen ist, nach Philo, an und für sich und seinem Ursprunge nach von den himmlischen Geistern in nichts verschieden; nur dass er in die zeitliche, seiner Natur nach fremdartige, WeIt herabgesunken ist.
Obgleich nun Philo im Allgemeinen die Erkenntniss Gottes in dem Logos oder der hypostasirten Offenbarung Gottes setzt und das όν, als solches, vom Kreise wissenschaftlicher Erkenntniss ausschliesst; so setzt er doch voraus, dass man, vermittelst innerer Anschauung, über Schöpfer und Schöpfung hinaus, eine über allen Logos und alles Logikon erhabene Gewissheit und Klarheit vom όν oder mit andern Worten, von dessen unmittelbarer Offenbarung erhalten könne. Die Erkenntniss Gottes aus der Schöpfung nennt er eine Erkenntniss Gottes aus dessen Schatten; ein vollkommener gereinigter Geist aber erkenne nicht aus den Werken die Ursache oder das Wahrhafte aus dessen Schatten, sondern erhebe sich über alles Entstandene, und von dem Wandelbaren des unaufhörlichen Flusses der Genesis befreit werdend, gelange er zur Theilnahme am Unwandelbaren und erhalte die klare Offenbarung des Erhabenen durch die Erkenntniss desselben sowohl als auch dessen Schatten, welcher ist der Logos und diese Welt.
Auch hatte Pliilo bereits die Ansicht, dass die Theophanien und Engelserscheinungen im Alten Testamente (nach ihm sämmtlich Emanationen des όν) aus einer Art Mâja oder Sinnentäuschung zu erklären seyen, indem die Engel nach dem Bedürfnisse derer, denen sie erscheinen, sich in eine beliebige Form verwandeln können, ohne dass eine solche Form ihnen eigen wäre.
Aus Obigem erhellt zur Genüge, dass Philo seine Ansichten aus indischen Vorstellungen schöpfte, diese mit platonischen Ideen verband, und dergestalt die ihm zu materiell dünkende Religion seiner Väter zu vergeistigen suchte. Es findet sich gar manches eigenthümlich Buddhaistische bei ihm, das Uebrige gehört entweder beiden indischen Systemen gemeinschaftlich an, oder auch ausschliesslich dem Brahmanismus. Indess hatten er und ähnliche Theosophen jener Zeit, von welchen wir noch den Simon Magus nennen können, den Grund
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zur Gnosis gelegt, die aus dem Judenthum oder durch judaisirende Christen ins Christenthum überging und nur zu bald Wurzel fasste.
Von den Lehren des Simon Magus lässt sich wenig mehr sagen, als was sich in den Meinungen der von ihm gestifteten Secte ausspricht. Dass er sich für etwas Ausserordentliches ausgegeben und von seinen Anhängern für die geoffenbarte Kraft Gottes gehalten wurde, und dass er das Staunen der Menge durch übernatürlich scheinende Zauber- oder Gaukelkünste unterhielt, ersehen wir aus dem Wenigen, was uns die Apostelgeschichte von ihm berichtet; so auch, dass er die Gabe des heil. Geistes und die damit verbundenen Kräfte von den Aposteln kaufen wollte, um sie zu seinen Zwecken zu benutzen. Worin seine Wunder bestanden haben, wissen wir nicht, als aus den mährchenhaften Erzählungen, wie die seines Endes, das durch einen Sturz aus der Luft, in welche er sich erhoben liatte, herbeigeführt worden seyn soll. Dergleichen Wunder kommen ganz mit denjenigen überein, die wir in den buddhaischen Büchern, als von göttlichen Personen zu ihrer Beglaubigung verrichtet, in Menge aufgezeichnet finden.
Die Anhänger des Simon hatten gleichfalls die Ansicht von einem in sich verschlossenen Grundwesen, gleichbedeutend init dem platonischen ών, das sich von den verschiedenen Völkern verschiedentlich nennen lasse und sich in seinen Kräften offenbare; als einer solchen Kraft gaben sie dem Stifter ihrer Secte den Rang der ersten Person der Dreieinigkeit. Das Urwesen dachten sie sich als ein Feuer, das eine zweifache Kraft habe, nämlich als das in sich Verborgene, und als das sich Offenbarende, und lehrten, dass aus der sich offenbarenden Kraft des ewigen Feuers die Welt hervorgegangen sey.
Als die Mutter der ganzen Geisterwelt wurde von den Simonianern der Gedanke oder die Idee der Gottheit (die Valentinianische Ennoia), Pammetor Sophie genannt. Diese emanirte von Gott, um alle Geister zu schaffen; aber die göttliche Idee wurde von den Geistern, durch welche sie die Welt geschaffen und denen sie die Verwaltung derselben übertragen hatte, gefangen gehalten. Die Geister wollten selbstständig für sich seyn, nicht als die Erzeugnisse eines Höheren gelten und die niedere Weltordnung von dem Zusammenhange mit der höhern losreissen, darum bannten sie die Ennoia in meschliche Körper. Hier ward sie einer Metempsychose unterworfen,
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und die Einheit der göttlichen Idee, gefangen gehalten unter den beschränkenden Gesetzen und Formen der zeitlichen Welt, die ihre freie Offenbarung hemmen, - kann sich nicht zu ihrem Urquell erheben. Ja sie musste auf ihren Wanderungen von den die Welt regierenden Engeln allerlei Schmach und Demüthigung erdulden, während die Zerrüttung in der Welt durch die Eifersucht und die Streitigkeiten der niedern Geister, von denen Jeder über die Andern herrschen wollte, immer grösser wurde. Nach dem Glauben der Simonianer war es Simon, der als Erlöser vom Himmel herabkam , um die Ennoia zu befreien, und Ordnung und Harmonie überall wieder herzustellen. Indem er von dem Höchsten alle Stufen des Daseyns durchlief, hüllte er sich auf jeder in die derselben angemessene Form, erschien den Engeln als Engel, den Mensehen als Mensch u. s. w., um das Höhere unter solcher Hülle zu verbergen.
Treten in den Meinungen der Simonianer die mit Parsismus vermischten buddhaischen Lehrsätze stark hervor, so enthüllen sie sich in dem System des Karpokrates und seines Sohnes Epiphanes vollständig. Diese setzen nämlich eine höchste Einheit voraus, woher Alles ausgeflossen ist, und worin der Geist, über alle beschränkende Formen sich erhebend, sich versenken muss. Die Gnosis setzen sie in die Erkenntniss jener Monas, von welcher die Seelen herstammen und der sie verwandt sind. Wer dazu gelangt ist, kann durch nichts mehr von dieser Betrachtung abgezogen werden, besitzt die höchste Ruhe, bedarf keiner andern Religion mehr, und erhebt sich über die verschiedenen Religionen der Menschen; denn diese rühren von den niedern Geistern her, welche die einzelnen Theile der sichtbaren Welt gebildet haben und denselben vorstehen, den einzelnen Völkern ihre Gesetze und Einrichtungen gegeben haben und sich von ihnen verehren lassen, mag man diese Geister Götter oder Engel nennen. Wer aber zur Verbindung mit der Monas gelangt, erhebt sich über diese Götter selbst und besiegt ihre Gewalt, kann Wunderwerke verrichten u. s. w. Ferner lehren sie: Alle äussere Werke sind indifferent und ohne Bedeutung; wer denselben eine Bedeutung beilegt, macht sich selbst noch von dem Aeussern abhängig und bleibt den Gesetzen der die irdischen Dinge leitenden Götter, von denen alle moralische, religiöse und politische Einrichtungen herrühren, unterworfen;
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er kann sich daher nach seinem Tode nicht über das Reich dieser Götter erheben, sondern wird wieder in einen andern Körper gebannt. Nur durch den Glauben und die Liebe, d. h. durch die Versenkung des Geistes in die Monas, kann dieser sein wahres Heil erlangen. Wenn er zu einer solchen Ruhe schon hier gelangt ist, dass ihm keine Lage des äussern Menschen, keine Affection der Sinnlichkeit in seiner Betrachtung mehr stören kann, so erhebt er sich, nachdem er den Körper verlassen, der schon hier für ihn so gut als nicht da war, frei zu seinem Urquell.
Obgleich nun diese Lehrsätze fast genau so klingen, als wären sie wörtlich aus buddhaischen Schrften vorgetragen oder abgeschrieben, so ist die immoralische Folgerung, die die genannten Gnostiker untl ihre Anhänger daraus zogen, keineswegs im Buddhaismus gegründet, welcher vielmehr höchste Reinheit und Keuschheit, verbunden mit strenger Rechtschaffenheit in Wort und Handlung, bedingt, um der Buddhawürde theilhaft werden zu können, und gerade die Lüste und Begierden als die stärksten Fesseln der Materie bezeichnet. Wer Buddha geworden, ist aus dem Grunde an keine Gesetze und Formen des Herkommens gebunden, weil er ihrer nicht bedarf; indem beschränkende Gesetze, Gebote und Verbote das Daseyn eines fehlerhaften Zustandes der Unwissenheit und Gemüthsverfinsterung voraussetzen, dem er nicht mehr angehört. Dem zufolge ist ein auf der Buddhastufe Stehender nicht nur über die Wedas, Verordnungen des Menu, das Castenwesen und andere Formen und Einrichtungen, sondern auch über das ganze Götter- und Geisterwesen der Brahmanen und deren Dienst weit erhaben.
Die Lehre des Basilides und seiner Anhänger entfernt sich vom Buddhaismus hauptsächlich durch die Ansicht von zwei anfangslosen Urwesen, einem guten und einem bösen, oder einem Grundprincip der Klarheit und des Lichtes, und einem andern der Finsterniss und der Materie, - nähert sich demselben aber wieder in der Darstellung der Schöpfungsentwickelung, und vorzüglich durch die daraus abgeleiteten Folgen und Bedingungen. Nachdem er nämlich aus der von dem höchsten Lichtwesen - mit Hinzuzählung desselben - genealogisch abstammenden Ogdoas, aus der Siebenzahl 7)
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7) νους , λογος , φρονησις , σοφια , δυναμις , δικαιοσυγη , είρηνη.
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allmählig dreihundert fünf und sechszig, summarisch in dem mystischen Namen Abraxas zusammengefasste, Geisterreiehe hat entstehen lassen, welche zusammen vom höchsten Wesen bis an die Grenze des Reiches der Finsterniss das Lichtreich bilden, lässt er von der niedrigsten Geisterstufe des Lichtreichs einen Schein in das Reich der Finsterniss fallen, wodurch die Mächte desselben in blindem Triebe der Unvernunft angezogen werden, sich mit dem Lichte zu vermischen. Diese Vermischung des Lichtes mit der Finsterniss war ein Hauptpunct im System des Basilides und man findet bei ihm überall Hinweisungen auf die Folgen derselben in der physischen und moralischen Natur. Diese Vermischung machte die Weltbildung nothwendig, deren Absicht und letztes Ziel ist: die Sonderung des Lebendigen vom Todten, des Lichtverwandten von dem, was der Finsterniss angehört, die Rückkehr aller Naturen zu dem Verwandten und die endliche Vernichtung der sich selbst überlassenen Schlacke der blinden Natur des Bösen herbeizuführen. Die Vermischung des Guten und Bösen soll am Ende zur Verherrlichung und zum gänzlichen Siege des allein ewig dauernden Lichtreiches dienen. Die hinabgeworfenen Keime aus den verschiedenen Stufen des Líchtreichs bilden sich im Kampfe mit dem Fremdartigen zu einem selbstständigen Geisterleben, die Geisterwelt wird vervielfältigt, entwickelt und individualisirt sich in diesem Gegensatze, die zeitliche Welt enthält eine Aussaat für alle Stufen derselben. Indess ist diese zeitliche Weltordnung zunächst das Abbild und der Abdruck der ihr am nächsten stehenden letzten oder untersten Stufe der Geisterwelt, und demjenigen, welcher an der Spitze der sieben Engel dieser Stufe steht, - den daher Basilides den Herrscher (Archon) nennt, ist die Weltbildung und Leitung des Weltlaufes zunächst anvertraut. Hieraus folgt, dass, wenn Basilides, wie Einige wollen, bei seinem System der Weltschöpfung die parsische Lehre vor Augen hatte, er dennoch unter seiner Ogdoas unmöglich Soroasters Serwane Akerene und die sieben Amschaspands kann verstanden haben, indem bei ihm der erste Engel der zwei und funfzigsten Stufe seiner Abraxas erst der Weltbildner ist, und mit dem parsischen Hormusd verglichen werden kann. Auch hält das Grundprincip des Bösen und der Finsterniss, welches seinem Dualismus zum Grunde liegt, keinen Vergleich mit dem soroastrischen Ahriman
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aus, denn nicht nur ist es bei ihm ewig; wie das Urwesen des Lichtreiches, - da hingegen Hormusd und Ahriman nachdem Glauben der Parsen vom Urwesen emanirt sind - sondern Basilides und die meisten andern Gnostiker scheinen unter dem Princip des Bösen nichts als die rohe, finstere, allenfalls von Unvernunft bewegte, chaotische Materie oder die Hyle (vielleicht das sanskritische Wihwala) verstanden zu haben; und ob sie gleich von Mächten der Finsterniss sprechen, so findet man selbige nicht als geistige Wesen genannt, oder in einer hypostatischen Stufenfolge entwickelt.
Da der ganze Weltlauf, nach Basilides, ein Läuterungsprocess ist, so ist die Seelenwanderung - auch im Thierkörper - gleichfalls ein Hauptpunct in seinem System, und er sucht, ganz nach den Ansichten des Buddhaismus, zu zeigen, dass das anscheinend Unverhältnissmässige in den Schicksalen der Völker und einzelnen Menschen, das Leiden und der Druck einerseits und das Glück und die Wohlfahrt andererseits keineswegs vom Zufall abhängig sind, sondern nach strenger Consequenz Strafen und Belohnungen für Uebelthaten oder Tugenden eines frühern Lebens; so dass der unter Kummer und Elend Seufzende, wenn er diese Strafe mit Geduld erträgt und durch einen tugendhaften Wandel abbüsst, die belohnenden Früchte davon in einem auf dieses folgenden zeitlichen Leben einernten wird; während der in diesem Leben beglückte Lasterhafte, die verdienstlichen Früchte eines frühern Lebens vergeudend, den Samen zu Strafen in einem künftigen Leben aussäet. Die lichtverwandte Geistesnatur kann sich nur durch steten Kampf mit der Materie, die sie gefangen zu halten strebt, erheben; dessen ungeachtet konnte durch diesen ganzen Läuterungsprocess das höchste Ziel desselben, nämlich die Wiedervereinigung der gefallenen Lichtnaturen mit den verschiedenen Stufen des höchsten Lichtreiches, nicht erreicht werden, weil diese Lichtnaturen ihre Bestimmung nicht kannten. Ja, der auf der niedrigsten Stufe der Geisterwelt stehende Archon selbst wusste von diesem höchsten Ziele nichts; er wusste nicht, dass unter den Naturen, die er ganz zu beherrschen glaubte, solche seyen, die der höchsten Stufe des Daseyns angehören und sich einst über die ganze Welt und ihn selbst erheben würden. Inzwischen mussten auch diese in ihrem gegenwärtigen Zustande unter den Gesetzen dieses Weltherrschers gefangen bleiben, konnten zwar durch
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die Metempsychose zu höhern Stufen hinaufsteigen, sich aber nicht über den Kreislauf derselben erheben, und nicht zum Bewusstseyn ihrer wahren Natur und Bestimmung gelangen. Dieses Ziel konnte nur dadurch erreicht werden, dass der höchste Gott des Lichtreiches, sich unmittelbar in dieser Welt offenbarend, die erhabene Bestimmung der Lichtnaturen klar aussprach, und sie selbst durch seine eigene Kraft, über die Gesetze des niedern Weltherrschers und den Kreislauf der Welt hinaus, zur unmittelbaren Verbindung mit dem höchsten Lichtreiche erhob.
Von da an schliesst Basilides seine Gnosis an die Lehre des Christenthums, indem er Jesus als den in dieser Welt geoffenbarten höchsten Gott und Erlöser anerkennt, jedoch nicht von dessen Geburt an, sondern erst nach seiner Taufe, bei welcher, nach unserm Gnostiker, der höchste göttliche Agent, die erste Entwickelung oder offenbarung der Gottheit oder der Nus sich auf Jesus niederliess. An die Stelle des Himmelreichs, in welches den Menschenseelen der Eintritt durch den Erlöser möglich gemacht wurde, setzte Basilides sein höchstes Lichtreich und dessen Stufen, und dagegen an die Stelle der inferi (Hades) das ganze Reich des Archon oder den Kreislauf der Metempsychose.
Es würde uns zu weit führen und wäre auch gegen den Zweck dieser Abhandlung, wenn wir die versehiedenen gnostischen Systeme einzeln zergliedern wollten. Da wir uns vom Anfange an blos darauf beschränkt haben, ihre Verbindung mit den verschiedenen orientalischen Vorstellungsarten und vorzüglich mit dem Buddhaismus darzuthun, so haben wir nicht nöthig, in eine fernere, ohnediess schon von Mehreren versuchte, Entwickelung ihrer Theosophien einzugehen. Noch weniger gehört es hieher, die Art und Weise zu untersuclien, wie die Gnostiker ihre Ansichten mit dem Christenthum und dem Alten Testamente in Uebereinstimmung zu bringen strebten. Wir gedenken deswegen des Valentinus und seiner Schule nur im Vorbeigehen, weil dessen künstliches System, bei den mancherlei eigenen Ideen über das Lichtreich und die Entwickelung desselben aus dem Urwesen (bei ihm Bythos genannt), nur wenig Neues für unsern Zweck darbietet, indem das Meiste bereits in demjenigen, worin das Valentinianische mit andern gnostischen Systemen übereinstimmt, ausgesprochen ist. Eine ganz eigene Ansicht von
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der Entwickelung männlicher und weiblicher Aeonen und der Paarung derselben zu ferneren Entwickelungen hat zwar die Valentinianische Schule vor andern voraus; es scheint aber auch diese Ansicht aus den brahmanischen Theogonien geschöpft zu seyn und auf dieser Grundlage das ganze System zu beruhen; wie denn bei den Valentinianern eine Bekanntschaft mit den indischen Religionssystemen deutlich hervorleuchtet, und namentlich Bardesanes sich direct auf die indischen Brahmanen beruft.
Der Hauptpunct, von welchem alle gnostische Systeme ausgingen, war ein über allen Begriff erhabenes, in sich verschlungenes Urwesen, aus welchem, indem es sich offenbarte, eine Geisterwelt emanirte, deren Bewohner, auf verschiedenen Stufen des Lichtreiches stehend, dasselbe erfüllten. Die fernere Folgerung war, dass die materielle Welt keine unmittelbare Schöpfung des Urwesens, sondern der niedern Geister des Lichtreiches sey, welche mit der Hyle oder der finstern Materie in Berührung kamen, so dass ein Läuterungs- und Erlösungsprocess beginnen musste, um die mit der Materie in Verbindung gerathenen Lichttheile zu sammeln, d. h. das Geistige vom Körperlichen, das Vernünftige vom Unvernünftigen, das Lebendige vom Todten, das Göttliche vom Ungöttlichen, init einem Worte das Gute vom Bösen zu befreien und abzuscheiden und es dem Lichtreiche wieder zuzuführen. Allen diesen verschiedentlich gedachten und angewandten Theosophien lagen orientalische, und zwar ganz vorzüglich indische, Religionsideen zum Grunde. Diese, im engen Verein mit einander, waren die Seele der gnostischen Systeme, so dass in denselben zwar bisweilen einzelne parsische oder-brahmanische oder buddhaische Begriffe vorzuwalten scheinen, sich aber fast nie in reiner, abgeschlossener Gestalt zeigen. Am meisten verschmolzen waren diese orientalischen Begriffe in denjenigen gnostischen Systemen, welche sich an das Judenthum und Christenthum oder auch absonderlich an letzteres anschlossen, weil es den Stiftern derselben hauptsächlich darum zu thun seyn musste, ihre fremdartigen Meinungen an die Lehre des Christenthums und die damit in Verbindung stehenden Glaubenssätze des Alten Testaments anzuknüpfen und darin begründet zu finden; dagegen treten jene Begriffe in einigen eklektischen Secten, bei welchen die Nothwendigkeit der Annäherung und Verbindung grossentheils wegfiel, um Vieles
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abgesonderter, deutlicher und bestimmter hervor. Die oben genannten Rücksichten waren den meisten Gnostikern hauptsächlich hinderlich, sich zu der kühnsten Idee des Buddhaisinus, dem mysteriösen Etwas-in-Nichts und zuletzt vollendetem Nichts-in-Allem jenseits der Regionen des Lichtreiches, zu erheben. Ihre Metaphysik überfliegt die der Brahmanen, und ihr Urwesen des Lichtreichs ist über das Brahmprincip erhaben, aber zu jener Verflüchtigungslehre der Buddhaisten, denen auch das Licht Materie ist, durften sie sich nicht versteigen.
Obgleich alle gnostische Systeme eine kürzere oder längere Zeit Bewunderer und Anhänger fanden, ja sogar Vereine darauf begründet wurden, so hatte doch keines derselben eine sehr lange Dauer. Die meisten zerfielen bald in verschiedene Nebensecten, und man kann diesen schwankenden und niemals gehörig begründeten Zustand derselben wohl mit eben so viel Recht für die Ursache ihrer schnellen Auflösiing halten, als den gegen sie erhobenen kräftigen Widerstand der orthodoxen Kirche und ihrer Lehrer. Lag nun zwar die Unmöglichkeit einer grossen Ausdehnung und Allgemeinheit und einer dauernden Existenz der gnostischen Träumereien schon in ihrem Ursprunge, so ist dessen ungeachtet der Einfluss, den sie auch späterhin äusserten, sehr bedeutend gewesen. Zwar giebt es seit langer Zeit in der Christenheit keine Gnostiker und gnostischen Systeme mehr; ob es aber keine Gnosis mehr gebe, wenn auch nicht unter diesem Namen?
Quelle: Schmidt, Isaac Jacob: Ueber die Verwandschaft der gnostisch-theosophischen Lehren mit den Religionssystemen des Orients, vorzüglich dem Buddhaismus. Leipzig, 1828. Bei Carl Cnobloch. S. 1-25.
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Walther Rathenau 1917: Von kommenden Dingen
VON KOMMENDEN DINGEN
VON
WALTHER RATHENAU
1917
S. FISCHER-VERLAG-BERLIN
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Erste bis fünfte Auflage
Alle Rechte vorbehalten, besonders die der Übersetzung
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DEM GEDÄCHTNIS
MEINES VATERS
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INHALT
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Das Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . .25
Der Weg . . . . . . . . . . . . . . . . 71
1. Der Weg der Wirtschaft . . .73
2. Der Weg der Sitte . . . . . . 152
3. Der Weg des Willens . . . . 219
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EINLEITUNG
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I
Dieses Buch handelt von materiellen Dingen, jedoch um des Geistes willen. Es handelt von Arbeit, Not und Erwerb, von Gütern, Rechten und Macht, von technischem, wirtschaftlichem und politischem Bau, doch es setzt und schätzt diese Begriffe nicht als Endwerte.
Es ist recht zu fragen, ob nicht vielmehr Bedrückung und Armut, Not, Sorge und Unbill die echtesten Kräfte im Menschen befreien, die Seelen erlösen und das Gottesreich herniedertragen. Es steht frei zu antworten, daß die Glaubenspflicht und Wandlungskraft des Menschen nicht erschwert, sondern erleichtert werden soll, daß die Kälte des Elends alle Keime starrt, daß Wachstum und Blüte zulänglicher Erwärmung und Bestrahlung bedürfen. Doch diese Frage und Antwort wird nicht gestellt. Weder um das Bestehende zu stützen und zu beschönigen, noch um Wünsche und Bedingungen emporzulocken, läßt sich der Geist mißbrauchen; seine Mächte sind stark genug, um zu jeder Zeit die Eintracht zwischen Gestaltung und Gestaltendem zu erzwingen. Dieses Verhältnis aber ist eindeutig wie das Verhältnis organischer Gebilde zur Summe der Lebensbedingungen; jeder neue Geist schafft sich seine Welt, und jede seiner Evolutionen verwirklicht sich in neuem Umschwung des Lebens.
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Nicht die Forderung geht dem Umschwung voran, sondern die Verkündung, die schon in sich den ersten Anbruch der Erfüllung birgt. Die Verkündung aber ist nicht wahrsagerische Träumerei, sondern die Durchdringung des erschauten irdischen Zustandes mit der Gewißheit des geistigen Gesetzes.
Deshalb ist es nicht müßiges Gedankenflechten, sondern Pflicht und Recht, den Blick von der Betrachtung des bewegten Geistes zum Schattenspiel der Einrichtungen und Lebensformen zu wenden; denn Strahl und Schatten begreifen und beschreiben sich wechselweise. Unsre Zeit, die das kleinste dessen, was sie Tatsache nennt, so wichtig nimmt, erschrickt davor, aus ihrem Herzen ihr Geschick zu lesen; lenkt sie spielend und verantwortungslos bisweilen ihr Denken ins Künftige, so schafft sie aus umgekehrten Tagessorgen und Mißvergnüglichkeiten mechanische Utopien, die, vom Hermesstabe der Technik bewegt, aus der alten Wochenreihe einen kärglichen Sonntag zaubern.
Woher nimmt diese Zeit noch den Mut, von Entwicklung, Zukunft und Zielen zu reden, die Hälfte ihres Tuns dem Kommenden zuzuwenden, für Nachkommenschaften zu wirken, Gesetze zu erfinden, Werte zu setzen, Güter zu speichern? Sie wird nicht müde zu forschen, woher sie kommt, doch sie weiß nicht, wo sie steht, und sie will nicht wissen, wohin sie fährt. Deshalb ermüden die Besten an diesem Werk des Tages für den Tag; viele stellen ihren Zweifel, ihre Müdigkeit und Verzweiflung in die Mitte ihres Denkens, geben vor, sich am Augenblick zu laben und verzichten auf das schönste Vorrecht: zu sorgen.
Andre weisen auf den erstorbenen Dogmenglauben und seine Verheißungen. Sie wollen ihn zur Auferstehung zwingen durch Einrichtungen, durch Beweise, durch Güte,
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Zorn, Versprechung und Drohung. Sie haben recht im Empfinden, denn die Religion des Menschen kann niemals vergehen; sie irren im Denken, denn es gibt keinen Glauben ohne Gegenstand, und dieser läßt sich nicht aufzwingen noch aufschwatzen. Das Wesen des Glaubens ist, daß er unbeirrbar, unbewußt und unfehlbar sich selbst seinen Gegenstand schafft, den Gegenstand, der dem jeweiligen Inbegriff der schöpferischen Kräfte erschwinglich ist. Der Dogmenglaube aber siechte durch die Schuld behördlicher Mächte, die zu schwach waren, ihn der Welt konkurrenzlos aufzuzwingen, und stark genug, um ihn Jahrhunderte zu lange durch dunkle Gläser gegen die Lebensstrahlen der Völker abzuschließen; er starb, als man gewaltsam die Scheiben aufriß.
Götter erfinden, Zeichen erzwingen, Sakramente verordnen — diese gutgemeinten Ränke sind eitel. Freilich bedarf es im Tiefsten richtungschaffender Kräfte; doch keine kunstvoll humane Umdeutung kann das alte Fundament handgreiflicher Wunder durch ethische Begriffe ersetzen; transzendente Überzeugungen bleiben in unsern Herzen lebendig, aber sie verlangen neue Sprache, neue Vorstellungen und neue Erleuchtung. Steigen wir hinab in die Schächte unsres unberührbaren innersten Bewußtseins, so finden wir die dunklen Tiefen nicht leer; wir kehren heim mit der Gewißheit des Unendlichen, der Gottseite der Schöpfung, mit der Verkündung des Berufes unsrer Seele, unsrer überintellektualen Mächte, und mit dem Geheimnis des Seelenreiches.
Von diesen Dingen ist in dem Buche „Zur Mechanik des Geistes“ gehandelt; für unsre Erwägungen wird nur die eine Voraussetzung in Anspruch genommen: daß alles
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irdische Handeln und Zielen in dem einen Sinne seine Rechtfertigung findet, in der Entfaltung der Seele und ihres Reiches.
II
Dieses Buch trifft den dogmatischen Sozialismus ins Herz. Denn er erwächst aus materiellem Willen; in seinem Mittelpunkt steht die Teilung irdischer Güter, sein Ziel ist eine staatlich-wirtschaftliche Ordnung. Mag er heute bestrebt sein, aus andren Weltauffassungen fremde Ideale herbeizuholen, so ist er doch nicht aus ihrem Geiste geboren; er bedarf ihrer nicht, ja sie müssen ihn stören, denn sein Weg führt von der Erde zur Erde, sein tiefster Glaube ist Empörung, seine stärkste Kraft ist gemeinsamer Haß, und seine letzte Hoffnung ist irdisches Wohlbefinden,
Die ihn emporführten, glaubten an die Unfehlbarkeit der Wissenschaft, mehr noch, sie glaubten an ihre zielsetzende Kraft. Sie glaubten an unausweichliche materielle Menschheitsgesetze und an ein mechanisches Erdenglück,
Nun aber beginnt selbst die Wissenschaft zu erkennen, daß ihr vollkommenstes Gewebe dem Willen nichts andres sein kann als dem Wanderer eine vortreffliche Landkarte: da liegt ein Gebirgszug, ein Fluß, eine Stadt, ein Meer; wende ich mich rechts, so gelange ich hierhin, links dorthin; dieser ist der kürzere Weg, jener der ebnere; hier herrscht Fülle, dort weht Bergluft; hier liegt Freiland, dort Zivilisation. Welcher Pfad mir aber vorgeschrieben ist, wohin mein Herz, meine Pflicht mich zieht, kann ein Kartenblatt mir nicht sägen. Wissenschaft mißt und wägt, beschreibt und erklärt, aber
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sie wertet nicht, es sei denn nach dem Maßstabe konventioneller Satzung. Ohne Wertung und Wahl aber besteht kein Ziel, und da alles vernünftige Handeln Zielen und Polen zustrebt, so ergibt sich abermals, daß über alles menschliche Geschehen das Herz entscheidet.
In dem zwangsläufigen Abrollen, das die materielle Geschichtsauffassung dem Weltgeschehen aufzwingt, hat der Wille des Herzens keinen Platz; ändert sich die mutmaßliche Wertungsfolge der Menschheit, wie sie sich stets geändert hat, so muß der blinde Mechanismus, unaufhaltsam fortlaufend, den Willen der Menschheit seinem eigenen Widerspiel entgegenschleudern.
Ziele setzen heißt Glauben. Doch das ist kein echter Glaube, der, aus Wunschumkehrung einer zeitlichen Not stammend, das Bestehende verneint, um die Weltordnung in eine Maßregel zu verwandeln. Echter Glaube stammt aus der Schöpferkraft des Herzens, aus der Phantasie der Liebe; er schafft Gesinnung, und ihr folgt willenlos das Geschehen. Niemals wird Gesinnung durch Einrichtungen erlistet; und weil der Sozialismus um Einrichtungen kämpft, bleibt er Politik; er mag Kritik üben, Mißstände beseitigen, Rechte gewinnen: niemals wird er das Erdenleben umgestalten, denn diese Kraft gebührt allein der Weltanschauung, dem Glauben, der transzendenten Idee.
Wird die Unzulänglichkeit des Sozialismus evident, so mögen dennoch sich die nicht freuen, die aus bequemer Neigung zum Bestehenden, aus Furcht vor Opfern und aus Trägheit des Herzens ihn bekämpfen.
Die Opfer, welche die kommende Zeit verlangt, sind härter, der Dienst ist mühevoller, der äußere Lohn geringer als im sozialen Reiche, denn es wird mehr als Verleugnung materieller Werte verlangt. Über ihr steht
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Verleugnung unsrer liebsten Eitelkeiten, Schwächen, Laster und Passionen, über ihr steht die Pflicht zu Empfindungen und Taten, die wir heute theoretisch preisen und praktisch verhöhnen; über ihr steht die schwere Erkenntnis, daß wir nicht zum Glücke streben, sondern zur Erfüllung, daß wir nicht um unsertwillen leben, sondern um des Gottes willen.
Dennoch wird die Menschheit diesen Weg gehen, nicht weil sie muß, sondern weil sie will; weil es von der Erkenntnis des Glaubens kein Zurück gibt, weil die Seligkeit des göttlichen Wollens sie ergreift. Sie wird ihn gehen durch Feindschaft, Hohn und Verfolgung, und es wird ihr die schwerste Prüfung nicht erspart sein, daß sie bezichtigt wird von denen, die sie zu erlösen schreitet und die ihr bittere Strafe und heilige Entsühnung für getanes Unrecht verhängen. Undank wird ihren Weg segnen, Mühsal wird ihn begleiten, und dennoch wird sie in demütigem Stolz für jeden Schmerzensschritt danken, der sie dem Licht entgegenführt.
Nicht Furcht und nicht Hoffnung sind die treibenden Gewalten. Nicht das verständige Streben nach mechanischem Gleichgewicht, nicht Güte und selbst nicht Gerechtigkeit. Sondern Glaube, der aus Liebe entspringt, tiefste Not und Gottes Wille.
III
Die Zeit, die in ihrem Innersten nach Selbsterkenntnis und Erlösung von eigener Härte lechzt, ist in ihrem Gehaben vorschauendem Denken nicht günstig. Kaum ist sie dem plumpen Ernst und der Handgreiflichkeit des Materialismus entronnen, da schämt sie sich schon aller Praxis und schämt sich nochmals dieser
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Scham und sucht sie zu verdecken, indem sie mit bemeistertem Abscheu armselige Gerätschaften und Zutaten des neuzeitlichen Lebens in ihre Empfindungen webt. Sie bringt Bogenlampen und Hotelgärten in Reime von bedachter Kühnheit und ist doch weltfremder als ihre grobe Vorläuferin, die in menschlichen Dingen zugegriffen hatte und Bescheid wußte. Um sich zu beweisen, wie sehr sie der unentwegten Selbstsicherheit des Marktes fernstehen, wählen viele von der Erscheinung der Welt nur die zarteste, bunteste Haut und begnügen sich, in koketter Betrachtung hier über eine Ähnlichkeit, dort über einen Widerspruch zu lächeln.
Kahler Betrug! Denn nur der Ernst der Welt, der Glaube an ihren Sinn und Zusammenhang rechtfertigt Betrachtung und Mitteilung; mutiger Glaube an die Sinnlosigkeit und hoffnungslose Verworrenheit des Bestehenden fordert in Konsequenz ein ungeistiges Leben animalischen Genusses und die Beschränkung alles sittlichen Bewußtseins auf die Furcht vor der Polizei. Der Schaufensterdieb des Lebens leugnet den Schweiß, den er verpraßt und verwertet; er bleibt ein Held nur für seinesgleichen, denn die Menschheit läßt sich mit dem kärglichen Raube nicht beschenken.
Gewiß, nicht erlernte Kenntnis und ersessene Bildung vermag die harten Schollen unsres anvertrauten Feldes zu lösen; hochmütiges Wissen und Besserwissen fruchtet nicht. Doch ernst zu nehmen ist jedes echte irdische Ereignis; Treue der Sinne und Hingabe des Geistes führen zum innern Ergreifen selbst des alltäglichen Geschehens und verschmähen das Nippen an den Zeichen der Dinge. Ist die Welt eine Ordnung, ein Kosmos, so steht es dem Manne an, seine Zusammenhänge, Gesetze und Phänomene
2 Rathenau, Von kommenden Dingen
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zu schätzen und in sich zu erbauen. Platos, Lionardos und Goethes Eindringen in die handfeste Welt der Dinge war nicht profaner Abweg, sondern göttliche Notwendigkeit. Der Dichter, der aus mangelnder Kraft der Umspannung die Gegenwart und Zukunft seiner Welt verschmäht um des auserwählt Interessanten willen, ist nicht, wie er glaubt, ein Seher, sondern ein Veranstalter ästhetischer Unterhaltung. Die Römer nannten den Staat die Sache Aller; in höherem Maße ist es die Natur: als Umwelt, Wildnis, Garten, Kampfplatz und Grab des Menschen.
Sehr bald wird auf den Romantismus der Zeit, die sich real gebärdet und artifiziell empfindet, die Stimmung folgen, die in Zeiten unverbildeter Menschen nie erloschen ist: an die Stelle literarischer und gymnasialer Erfahrung wird Welterfahrung treten; auf dem Quaderfundament bewältigter Wirklichkeiten wird der Bau der Ideen sicherer ruhen und höher steigen als auf dem Geschiebe unerlebter Prinzipien. Ein pragmatischer Zug, ein Gemeinschaftsgefühl handfester Menschen, Phantastik aus dem Grunde wahrer Weltteilnahme und Weltverantwortung wird das unabhängige Denken und Fühlen aus der Wärmstube der Konventikel auf die Bahn des Geschehens, des Schicksals und der Tat geleiten. Das Denken und Fühlen der Welt wird fest sein, nicht handgreiflich, zart, nicht schwächlich, phantasievoll, nicht verstiegen, transzendent, nicht frömmelnd, pragmatisch, nicht rabulistisch; die geistige Führung wird von Frauen und grinsenden Ästheten auf Männer, von Artisten und Arrangeuren auf Dichter und Denker übergehen.
Der individuelle Nihilismus, an dem wir leiden, der uns die Verallgemeinerung zweifelhaft, das Gesetz verdächtig und die Tat verächtlich macht, der vorgibt, sich mit der Kontemplation des unvergleichlich Einzelnen
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zu beruhigen und doch heimlich vom Gesetz und von der Tat zehrt: diese hoffnungslose falsche Heiterkeit, unüberzeugte Ethik und Entsagung wider Willen schöpft noch aus tieferer Quelle, die jedesmal zu fließen beginnt, wenn der Glaube die Menschheit verläßt.
Die Lehre lautet: Wo ist ein Gültiges? Alles ist einmalig. Wo ist Stetigkeit? Jeder Augenblick ist neugeschaffen und ohne Vorgang. Wie könnte Entwicklung sein, da alles Zeitliche Täuschung ist?
Gewiß ist es wahr, daß im tiefsten Innern der Dinge alles ruht; je weiter vom Mittelpunkt, desto heftiger kreist die schattenhafte Bewegung. Die Seele ahnt in allen großen Augenblicken ihr heilig ruhendes Ziel und strebt magnetisch aus Täuschungswirren dem Zentrum entgegen. Doch dies Geheimnis befreit uns nicht vom Leben. Was im Klang des All sich zur Harmonie fügt, tönt uns zwar in Einzelstimmungen zerrissen; was unveränderlich besteht, blendet uns im Wechsel; und dennoch sind wir in dieses Leben gestellt, um es auf unsrer Stufe zu vollenden, und unser Leidensweg geht durch die Zeit. Verachten wir diese Bühne des Werdens, so ist alles Denken vergeblich, jedes höhere Gefühl irrational und alles Handeln Torheit; ja selbst ein Streben nach innerer Vollkommenheit bleibt Handlung und somit Wahn. Doch dieser Ausgang widerlegt sich selbst: denn der heiße Drang der Seele besteht; und mehr noch, er ist von allem Erleben das Realste. Wage es, ihn und nicht das erdacht Absolute zur temporären Achse unsres Erlebens zu wählen, so gewinnt das Dasein seinen Sinn zurück. Das Denken zum Absoluten vernichtet den Willen; die Andacht zum Transzendenten aber gibt dem Denken adäquate Ziele, belebt den Willen zur Liebe des Menschen, der Natur und der Gottheit und erobert die Tat.
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Obwohl jede historisch-rationale Erörterungsform dem Sinne dieser apriorischen Darlegung widerspricht, sei eine Bemerkung gestattet, die einen herkömmlichen Irrtum der Erfahrung beseitigen soll. Es liegt nahe, die kurze historische Spanne zu durchlaufen, die uns vertraut ist, das kunstüberlieferte Gefühlsleben der Inder, Hebräer, Griechen und Germanen zu beleuchten, und zu folgern, daß im wahrhaft Echten der menschlichen Kräfte keine Entwicklung, selbst keine Steigerung geschehen noch möglich sei. Vergessen wir doch nicht, daß die Brücke der Erinnerung nur von Gipfel zu Gipfel führt! Sie ermißt nicht, wie mächtig die Sohle der Täler sich gehoben hat. Die Geschichte schweigt von den Zahl- und Namenlosen; noch immer ist sie eine Chronik der Sieger und Heroen. Die Natur aber ist treu; sie zertritt nicht das überholte Geschöpf; und das überholte Volk lebt abseits von der Heerstraße im Schoße alter Kontinente. Die Natur arbeitet nicht, wie der Chemiker, restlos; sie verwandelt und entwickelt einen Teil ihres unerschöpflichen Materials, das übrige legt sie beiseite, um es noch lange dem Gedächtnis zu erhalten und unmerklich aufzuarbeiten. In Abgeschiedenheit der afrikanischen und asiatischen Welt leben noch heute die Hirten Kanaans und die Speerträger Ilions; wie wir Gleichnisse der Gottheit und doch an Seele jünger und schwächer. Aus jenen alten, tief animalischen Unterschichten aber sind Geschlechter von einer Beseeltheit erwachsen, die fast der Höhe der erloschenen Herrenstämme gleichkommt.
Wer eine Sprache wahrhaft besitzt, der besitzt, obwohl die Genialität des Sprachschöpfers ihm nicht zusteht, ihren ganzen Geist; wer das Erbe eines Großen im Geist begreift und besitzt, der ist wo nicht im Schöpferischen,
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doch im Seelischen sein Jünger und Bruder. Das Erbe Buddhas und Christi, Platons und Goethes, war, als es die Erde berührte, der Menschheit erschreckend fremd und feindlich; gleichviel durch welche alltägliche Kraft es geschah: heute keimt das heilige Gut in tausend Herzen, und diese Herzen, ob in Einfalt, ob in wetteiferndem Feuer, sind der Seele näher als ehedem die wenigen auserwählten Schüler. Das Maß der Seele ist nicht Genialität; wohl aber ist das Maß aller Schöpfung gegeben in der Erweckung der Seele.
Entwicklung ist die Denkform unsres überanimalischen Handelns, denn alles Tun ruht im Zeitbegriff, und der Wille zum Beharren ist so unmöglich wie der Wille zum Ursprung. Es ist das Zeichen einer zweifelsüchtig trägen Zeit, wenn der Blick sehnsüchtig am Vergangenen haftet; daß unsre ganze Billigung und Teilnahme den Vorfahren gilt, daß jedes ihrer Werke und Worte uns wichtiger und vertrauter gilt als alles junge Wesen, das entschuldigen wir mit der Plage unsrer Mechanismen und mit der Unerträglichkeit jener beschränkten Großsprecher, die uns jede mechanisierte Notdurft als Aufstieg zur Vollkommenheit preisen.
Jedoch auch die geplagte, selbst die irrende Zeit ist ehrwürdig, denn sie ist nicht Menschensache, sondern Menschheitssache, und somit Werk der schaffenden Natur, die hart sein kann, nicht sinnlos. Ist diese Zeit schwer, so ist es unsre schwerere Pflicht, sie zu lieben, sie mit unsrer Liebe zu durchbohren, bis die schweren Gebirge der Materie weichen und das jenseitige Licht erscheint. Auch diese Liebe ist hart; zu Staub zermahlt sie nicht nur das taube Gestein, das die Zeit uns entgegentürmt; sie zerbricht auch manches liebgewohnte
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Wahrzeichen unsres Herzens; denn nur durch dies Herz allein führt der Weg zur Freiheit der Welt.
Ist es Vermessenheit, diesen Weg ahnend zu bestimmen? Es ist vermessen, mit der peinlichen Frage der Wissenschaft den kommenden Geist zu extorquieren. Die Erfahrung vermag abzuleiten, nicht fortzuentwickeln: sie sagt mir, daß die Linde vor meinem Fenster aus einem Samenkorn erwachsen ist, sie sagt mir nicht, ob das Korn in meiner Hand zum Baume werden wird oder zu Staub. Doch selbst die Ableitung, aufs Gegenwärtige angewendet, bleibt vieldeutig und birgt Gefahren, denn die Zahl der irdischen Formen ist beschränkt, die Inhalte wachsen, und unversehens füllt das alte Gefäß sich mit neuem Geist. Es ist erlaubt, die Tragödie aus Hirtenspielen, die Symphonie aus Tänzen abzuleiten: doch Hamlets Geist und der Gehalt der Neunten haben mit dieser antiquarischer Forschung nichts gemein. Hier liegt der Grenzwert aller Tratition: sie erklärt, beruhigt, verleiht den gleitenden Dingen mechanische Trägheit, doch sie heiligt nicht, entschuldigt nicht und öffnet keinen Blick ins Künftige. Die Geschichte lehrt es tausendfach: mag eine Staatsform, eine öffentliche Ordnung noch so fest in klar gewollter geschichtlicher Entstehung verankert sein: es ergreift sie ein neuer Geist, die harmlose Form bleibt bestehen, und dem Historiker zum Trotz, dessen sakraler Bau dahinsinkt, füllt unter der Maske des Irrtums, der Mißdeutung, der Gewalt das innere Gesetz in die gereinigte Schale ein neues Leben.
Versagt sich Erfahrung und Überlieferung dem Streben zum Künftigen, erstirbt die Berechnung zur kahlen Spekulation, so sollen wir uns gegenwärtig halten, daß alle Entwicklung Aufstieg des Geistes ist und daß unser inneres Erleben, rein empfunden und wunschlos gedeutet,
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am Geschehen der Welt mikrokosmischen Anteil hat. Dies ist die Erklärung aller Prophetie; vom geschäftlich nüchternen Erfassen einer Konjunktur bis zur adäquaten Ausdeutung der politischen Notwendigkeit, von der einfühlenden Erkenntnis eines menschlichen Schicksals bis zur visionären Durchdringung des Weltbildes bezeichnen alle Stufen des intellektualen und des intuitiven Mitklingens den Parallelismus des erlebten und des objektiven Geistes. Jedes organisierte Instrument erlebt in seiner Stimme das Abrollen der Symphonie.
Die innere Gewißheit dieses Erlebens ist gegeben in der ungewollt und übermächtig sich aufzwingenden Notwendigkeit des Denkens; die mitteilende Wahrhaftigkeit entzieht sich dem mechanischen Beweise. Was ist beweisbar? Kaum das Vergangene, kaum selbst die Wahrheit der euklidischen Geometrie; unsre Gefühle sind es nicht, unsre Erlebnisse nicht und nicht unsre Voraussichten. Jede geschäftliche Auffassung, jede organisatorische Maßnahme ist bestreitbar, und dennoch bleibt in der Welt ein glaubendes Vertrauen zum Rechten. Denn es liegt im mitgeteilten wahrhaften Erlebnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eine Kraft, die Einfühlung, Prüfung und Glauben erzwingt. Starkes Empfinden redet starke Sprache, klar Erschautes leuchtet ein, Aufrichtigkeit schafft Vertrauen.
Der echte Gedanke gibt ein körperliches Gefühl der Plastik und des Gewichts. Und noch ein andres Zeichen unterscheidet ihn von den Paradoxen und Anmerkungen des Tages, die, nur von einer Seite gesehen und beleuchtet, wahr sind: er neigt zum Wirklichen, er berührt das Alltägliche, ohne in ihm zu wurzeln, er scheint realisabel und dennoch phantastisch. Denn die Keime des Künftigen liegen allenthalben sprossend im Boden; das
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Kommende ist wunderbar, nicht weil es aus dem Nichts kommt, sondern weil es das Gemeine wandelt.
All unser Tun hat etwas Seherisches, denn jeder Schritt trägt in die Zukunft. Glauben wir aber an das Vorschauende im Menschen, so laßt uns recht daran glauben. Schließen wir uns im guten Willen zusammen, so wird dem gemeinsamen Schauen das Trügerische zerrinnen, das Rechte sich verklären; Bedingung ist, daß der Fuß nie den Boden, das Auge die Gestirne nie verliere.
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DAS ZIEL
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Die Weltbewegung, welche die Epoche unsrer Zeit emporgetragen hat, stammt, von der Erscheinungsseite betrachtet, aus zwei Grundereignissen, die eng zusammenhängen.
Eine Volksverdichtung ohne Beispiel hat den zivilisationsfähigen Teil des Erdbodens ergriffen; sie hat in ihrem schwellenden Drang die dünne Haut der Oberschichten zerrissen, die vormals den europäischen Völkern ihre Farbe liehen und ihr Aufkommen bändigten.
Die zehnfach übervölkerte Menschheit verlangte eine neue Ordnung der Wirtschaft und des Lebens zu ihrer Erhaltung und Versorgung; die Umschichtung der Völker lieferte in den entbundenen Kräften der alten Unterschichten die intellektuale Verfassung, die dem Werke gewachsen war.
Der Weg, den der umschaffende Wille der Menschheit durchlaufen mußte, war lang; abstraktes Denken, exakte Wissenschaft, Technik, Massenbewältigung und Organisation mußten geschaffen werden, ein Umsteuern der menschlichen Wünsche, Gedanken und Ziele wurde gefordert, neue Lebensführung, neue Kunst, neue Weltauffassung und neuer Glaube mußten entstehen, um die veränderte Ordnung erst zu gestalten, dann zu rechtfertigen.
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Diese Ordnung habe ich in dem Buch „Zur Kritik der Zeit“ abgeleitet und beschrieben; ich habe sie Mechanisierung genannt, um ihre Universalität auszusprechen und um die mechanische Zwangläufigkeit anzudeuten, die sie von allen früheren Ordnungen unterscheidet. Denn ihr Wesen, alles in allem betrachtet, besteht darin, daß die Menschheit, halbbewußt, halb unbewußt zu einer einzigen Zwangsorganisation verflochten, bitter kämpfend und dennoch solidarisch für ihr Leben und ihre Zukunft sorgt.
Früh hat man den Zusammenhang der neuzeitlichen Erscheinung empfunden, doch wagte man nicht, mit einem Blick das Gesamtphänomen zu umspannen. Deshalb hört man noch immer vom Kapitalismus als einer die ganze Zeiterscheinung umschreibenden Tatsache reden, obgleich er nichts weiter ist als die Projektion der Gesamtordnung auf einen Teil der Wirtschaft. Deshalb bildet es noch immer ein unermüdliches Spiel der Wissenschaft, die Zweige der Mechanisierung aufeinander zu beziehen und voneinander abzuleiten: Kapitalismus, Entdeckungen, Krieg, Calvinismus, Judentum, Luxus, Frauendienst werden in wechselnden Bindungen verflochten und zur Evolvente des Gangs der Erscheinung gemacht, wobei es niemand auffällt, daß beständig ein Wunder durch das andre erklärt wird, und niemand einfällt, nach der Urvariablen zu fragen, die unabhängig und auf sich selbst gestellt das bunte Wallen der Erscheinungen beschließt und gerne gestattet, daß man die Töchter betrachtet, ohne der Mutter zu gedenken. Diese Grundfunktion aber ist im tiefsten Erleben des menschlichen Stammes beschlossen; von außen erblickt stellt sie sich dar als Wachstum der Zahl und Wandlung der Art, innerlich betrachtet ist sie ein Glied in der Geistesevolution des Lebendigen.
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Denn auf der Schöpfungsgrenze, auf der wir stehen, durchschreitet der Geist das Gebiet des zweckhaften Intellekts, der mit seinen Trieben, Furcht und Begierde, vom Urgeschöpf bis zum Urmenschen alles Leben beherrscht, und strebt zur Seele, dem zweckfreien, wunschlosen Reich der Transzendenz. Damit die Menschheit dieses Reich gewinne, muß sie alle Lebenskräfte zusammenraffen, sie muß die Kraft des Intellekts, die einzige, über die sie in Freiheit verfügt, nach Menge und Stärke aufs höchste spannen, sie muß sich zugleich die Unvollendung, die Sinnlosigkeit dieses gewaltigsten Sinnes der materiellen Welt vor Augen führen. Denn der eine der Wege, die zur Seele führen, geht durch den Intellekt; es ist der Weg der Bewußtheit und des Verzichts, der wahrhaft königliche Weg, der Weg Buddhas. Diese Aufgabe und Schickung aber spricht sich aus als eine Not, wie alle Menschheitsschulung. Als Not ist diese selbstgeschaffene die schwerste trotz Eiszeiten und Wildnissen, als Aufschwung ist sie der gewaltigste seit Ursprung des Planeten.
Wer ist der Mensch, der von einer Torheit der Natur zu berichten wüßte? Die Mechanisierung aber ist Schicksal der Menschheit, somit Werk der Natur; sie ist nicht Eigensinn und Irrtum eines einzelnen noch einer Gruppe; niemand kann sich ihr entziehen, denn Sie ist aus Urgesetzen verhängt. Deshalb ist es kleinliche Zagheit, das Vergangene zu suchen, die Epoche zu schmähen und zu verleugnen. Als Evolution und Naturwerk gebührt ihr Ehrfurcht, als Not Feindschaft. Dem Feinde ziemt uns ins Auge zu blicken, seine Stärke zu ermessen, seine Schwäche zu erspähen, um ihn nach Schicksals Willen zu schlagen. Mechanisierung als Not aber ist entwaffnet, sobald ihr heimlicher Sinn offenbart ist.
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Mechanisierung als Form des materiellen Lebens hingegen wird der Menschheit dienen müssen, solange nicht die Volkszahl auf die Norm der vorchristlichen Jahrtausende zurückgesunken ist. Drei ihrer Funktionen allein genügen, um ihr die Herrschaft über das materielle Erdentreiben zu sichern: die Arbeitsteilung, die Bewältigung der Massen und der Kräfte. Kein ernster Vorschlag wird verlangen, kein ernstes Urteil wird vermuten, daß die Menschheit freiwillig auf die Beherrschung der Natur verzichte, um in falscher Naivität ein kärglich beschränktes Dasein, ein völliges Vergessen alles Wissens, einen künstlichen Urzustand sich zu bereiten. Ganz töricht aber ist die Meinung jener großstadtmüden Einsiedler, die mit einem guten Buch, einfachem Hausrat und einer Laute sich in die Einsamkeit schöner Gebirge begeben und wähnen, der Mechanisierung entronnen zu sein, wo nicht gar sie gebrochen zu haben. Denn Mechanisierung als Praxis ist unteilbar; wer einen Teil will, der will das Ganze. Damit eine Axt käuflich sei, müssen Tausende in den Tiefen der Erde schürfen, damit ein Blatt Papier entstehe, müssen Waldungen im Rachen der Maschinen zerkaut werden, damit eine Postkarte bestellt werde, müssen die Schienenwege der Erde unter dem Donner der Lokomotiven erzittern. Betrug wider Willen und unbewußte Ausbeutung ist es, eine Mechanisierung mit Auswahl gelten zu lassen; mögen jene Arkadienschäfer den letzten gesponnenen Faden, das letzte gezüchtete Saatkorn und die letzte Münze von sich abtun: sie werden auf der Erde kaum einen Fußbreit zum Schauplatz für erklügelte Robinsonaden finden.
Denn das Wesen der Mechanisierung schließt Universalität ein; sie ist die Zusammenfassung der Welt zu
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einer unbewußten Zwangsassoziation, zu einer lückenlosen Gemeinschaft der Produktion und Wirtschaft. Da sie aus sich selbst erwachsen, nicht durch bewußten Willen auferlegt ist, da keine Satzung Arbeit und Verteilung regelt, sondern ein allgemeiner Notwille, so erscheint die ungeheure Arbeitsgemeinschaft dem einzelnen nicht als Solidarität, sondern als Kampf. Solidarität ist sie, insofern das Geschlecht sich durch planvolles Wirken erhält und jeder sich auf den Arm des andern stützt, Kampf ist sie, insofern der einzelne nur so viel Anteil an Arbeit und Genuß erhält, als er erringt und erzwingt. In dieser brutalen Regellosigkeit des Triebartigen und Unbewußten der mechanistischen Organisation liegt, dies sei hier zum erstenmal betont und im künftigen ausgeführt, der eigentlich nothafte Kern ihres Folgewesens; die Welterscheinung selbst, soweit sie auf der Gemeinschaft des Kampfes um und gegen die Naturmächte beruht, ist weder gut noch böse, sondern schlechthin notwendig, weil Alle vereint mehr leisten als Einer, und weil Sammlung und Organisation die Bestimmung aller zum Leben geordneten Kräfte ist. Gleichviel in welcher planetarischen Heimat, wird jeder hinlänglich verdichteten und geistig zulänglichen Menschheitsform eine der Mechanisierung entsprechende Kollektiverscheinung erwachsen; von der seelischen Stärke dieser Menschheit aber hängt es ab, ob sie sich dem dunklen Willen unterwirft, oder ob sie den Zwang meistert.
Auf unserm Gestirn hat die Mechanisierung einen großen Teil ihrer Aufgabe erfüllt. Unter der Form der Zivilisation hat sie eine äußere Verständigung angebahnt, die Möglichkeit eines leidlich reibungslosen Zusammenlebens und organischen Aufbaues geschaffen. Unter der Form der Produktions- und Verkehrsgestaltung hat sie
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Ernährung, Kleidung und Behausung der vervielfältigten, ständig wachsenden Erdbevölkerung gesichert, indem sie die Fundstellen des Erdkreises öffnete, Zentralisierung der Verarbeitung, Dezentralisierung des Vertriebes lehrte. Unter der Form des Kapitalismus hat sie ermöglicht, die Arbeitsleistung der Menschheit nach Bedarf zu sammeln und auf geordnete, einheitliche Ziele zu lenken. Als staatliche und bürgerliche Organisation hat sie versucht, jeden Gruppenwillen zum Ausdruck zu bringen und dem Gesamtbewußtsein vernehmlich zu machen. Unter der Form der Publizistik leitet sie jeden Eindruck, den das Gesamtwesen empfängt, zum Wahrnehmungszentrum der Gemeinschaft. Unter der Form der Politik versucht sie die Umgrenzung der Nationalität und die Arbeitsteilung zwischen den Nationen zu erwirken. Unter der Form der Wissenschaft erstrebt sie ein Gemeinschaftsforschen des Erdgeistes, unter der Form der Technik setzt sie das Wissen um in Kampfbereitschaft gegen die Naturkraft.
Kein Gebiet der Erde ist unerschließbar, keine materielle Aufgabe undurchführbar, jedes Erdengut ist erschwinglich, kein Gedanke bleibt verheimlicht, jedes Unternehmen kann Prüfung und Verwirklichung fordern; die Menschheit ist, soweit materielles Schaffen reicht, zu einem fast vollendeten Organismus erwachsen, der mit Sinnen, Nervensträngen, Denkorganen, Blutumlauf und Tastwerkzeugen den Ball umspannt, seine Kruste lockert und seine Kräfte aufsaugt.
Vom Organischen zum Ungegliederten führt kein Entwicklungsweg. Andre Organisierungsformen als die der Mechanisierung sind denkbar; dennoch werden auch sie stets ihrem materiellen Sinne gemäß einen materiellen Aufbau bilden, der Menschenkräfte sammelt, um Naturkräfte
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zu bezwingen, dennoch werden auch sie stets dem Leben die gleiche Gefahr und Bedrängung bieten, sofern die Kräfte der Seele sich ihrer nicht bemächtigen.
Noch ist es entschuldbar, daß die Welt an ihrem ersten Einheitswerke sich berauscht, ja daß sie das materiell Erbaute als für den Geist bewohnbar erachtet, daß sie ihr Denken und Erkennen, Fühlen und Wollen in den Dienst der selbstgeschaffenen Ordnung stellt. Und dennoch, obwohl das Gebäude den Gipfelpunkt noch längst nicht erreicht hat, regt sich das Gewissen. Zunächst freilich im grob mechanischen Sinne: die Enterbten bäumen sich auf; sie wollen diese sinnlich-mechanische Ordnung vernichten, um eine andre sinnlich- mechanische Ordnung an ihre Stelle zu setzen, die ihnen gerechter dünkt und mehr verspricht. Doch auch die Bevorzugten fühlen sich bedrückt. Sie fühlen den Verfall ästhetischer und sittlicher Werte, sie möchten die alten Zeiten herbeiholen und sind bereit, von der unteilbaren Mechanisierung soviel zu opfern, als ihnen zusammenhanglos erscheint, soviel, als ihre Interessen und Bequemlichkeiten nicht betrifft. Vor allem aber dämmert ein Bewußtsein, daß Unrecht im Spiel ist. Daß keiner, auch der Glücklichste nicht, von innerem Abbruch verschont bleibt, daß ein Höheres als das Verlorene in Gefahr ist. Noch webt das Geplänkel um Außenwerke, weil das Gesamtwesen und die Gesamtmacht der Mechanisierung nicht erkannt und nicht verstanden ist; Fragen der Weltanschauung, des Kapitalismus, des Elends, der Technik werden außer Zusammenhang mit dem Zentralproblem erörtert. Eine Orientierung besteht nicht; Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Kultur, Gleichgewicht, Politik, Interesse, Tradition, Nationalität, Ästhetik werden abwechselnd zur Achse gewählt. Hier pocht das
3 Rathenau, Von kommenden Dingen
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schlechte Gewissen der Zeit und ihre innere Sorge; wir haben die Mechanisierung nach ihren ordnenden Kräften befragt, nun soll sie über ihre geheim waltenden Zersetzungen Rede stehen.
1. Mechanisierung ist eine materielle Ordnung; aus materiellem Willen mit materiellen Mitteln geschaffen, verleiht sie dem irdischen Handeln eine Richtungskomponente ins Ungeistige. Niemand kann dieser Richtkraft gänzlich sich entziehen, im mechanistischen Sinne bleibt auch der höchst vergeistigte Mensch ein wirtschaftendes Subjekt, das, um zu leben, besitzen oder erwerben muß. Die Welt ist zur Händlerin und Schaffnerin geworden, und jeder trägt den Einschlag und die Färbung der Zeit.
Wie müssen Jahrhunderte des Denkzwanges auf den gepreßten Menschengeist wirken! Die Ära der Arbeitsteilung verlangt Spezialisierung; bewegt sich der Geist in den ähnlich bleibenden Normen und Praktiken seines Sondergebietes, erscheint ihm zugleich durch tausendfältiges Botschaftswesen das Nebelpanorama des unbarmherzig wechselnden Weltgeschehens, so dünkt ihm leicht das Kleine groß, das Große klein; der Eindruck verflacht, leichtfertiges, verantwortungsloses Urteil wird begünstigt. Bewunderung und Wunder erstirbt vor dem Schrei der Neuheit und Sensation; von allem bleibt der schäbigste Vergleich: Zahl und Maß; das Denken wird dimensional. Gilt von den Dingen die Abmessung, so gilt vom Handeln der Erfolg; er betäubt das sittliche Gefühl, so wie Messen und Wägen das Qualitätsgefühl verblödet. Vom raschen Urteil nährt sich der Erfolg; Irrtum und Täuschung kostet; der Sinn wird skeptisch. Er will nicht in die Dinge, sondern hinter die Dinge, Menschen und Mächte dringen, er verliert Scheu und
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Scham. Wissen ist Macht, heißt es, Zeit ist Geld; so geht Wissen erkenntnislos, Zeit freudlos verloren. Die Dinge selbst, vernachlässigt und verachtet, bieten keine Freude mehr, denn sie sind Mittel geworden. Mittel ist alles, Ding, Mensch, Natur, Gott; hinter ihnen steht gespenstisch und irreal das Ding an sich des Strebens: der Zweck. Der nie erreichte, nie erreichbare, nie erkannte: ein trüber Vorstellungskomplex von Sicherheit, Leben, Besitz, Ehre und Macht, von dem je soviel erlischt, als erreicht ist, ein Nebelbild, das beim Tode so fernsteht wie beim ersten Anstieg. Ihm drohend gegenüber erhebt sich, realer und tausendfach überschätzt, das Furchtbild der Not. Von diesen Phantomen gezogen und getrieben, irrt der Mensch vom Irrealen hinweg zum Irrealen hin; das nennt er leben, wirken und schaffen, das vererbt er als Fluch und Segen denen, die er liebt.
Dieser Zustand des mechanisierten Geistes aber ist nichts andres als der zum Großstadttaumel aufgepeitschte Urzustand der niederen Rassen, das Furcht- und Zweckwesen derer, die in ihrem Aufschwung das Zeitalter geschaffen haben. Mehr als ein Atavismus: ein Niedersinken aller, die den Trank genießen, in die Tiefe der Dunklen, die ihn brauten. So sind sie auf dem Zenit der Zivilisation verdammt, das Leben, die Stimmung, die Angst und die Freuden zu erleben, die ihre Vorderen den Sklaven gönnten.
Diese Stimmung aber ist Streben und Verblendung. Streben, dem kein Ziel genügt und das doch so irrational ist, daß es zuletzt die Arbeit zum Selbstzweck macht, und so erdgebannt, daß es alles, was gleißt, vom Wege aufliest und, mit der toten Fracht der Mittel belastet, sich zum Grabe schleppt; Verblendung, der
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keine Tatsache real genug, kein Wissen zu nebensächlich ist und die doch jede Vertiefung scheut, die Welt entfleischt und entgeistert, den sterblichen Sinn ertötet und den unsterblichen verschmäht.
Die Freuden sind die der Kinder, Sklaven und niederen Frauen: Besitz, der glänzt und Neid schafft, Unterhaltung und Sinnenrausch. Die Besitzfreude steigert sich zum irrsinnigen Warenhunger, der sich selbst vertausendfacht, indem Übersättigung und Mode alljährlich die Schatzkammern entwerten und leeren müssen, um sie mit neuem Unrat und Tand zu füllen. Tief erniedrigend und entwürdigend sind die Freuden der Großstadt und der Gesellschaft, die in unbewußter Ironie sich die bessere nennt. Verläßt ein denkender Mensch und Menschenfreund die Stätten, an denen dieses Volk sich vergnügt oder, wie es mit dem gemeinsten Wort vulgärer Sprache es bezeichnet, sich amüsiert; verläßt er diese Orte, ohne auch nur einen Augenblick an der Zukunft der Menschheit zu zweifeln, so hat er die stärkste Prüfung seiner Weltzuversicht überstanden. Rausch, Lust und Verbrechen strömt aus Giften und Reizmitteln, die an Aufwand das Dreifache fordern von dem, was die Welt für alle Aufgaben ihrer Kultur zusammenträgt.
2. Mechanisierung ist Zwangsorganisation, deshalb verkümmert sie die menschliche Freiheit.
Der einzelne findet das Maß seiner Arbeit und Muße nicht mehr im Bedürfnis seines Lebens, sondern in einer Norm, die außer ihm steht, der Konkurrenz. Es genügt nicht, daß er nach dem Ausmaß seiner Kräfte und Wünsche schafft, er wird geschätzt nach dem, was der Andre, die Andren schaffen; halbe oder langsame Arbeit ist wertlos, sie gilt nicht besser als Müßiggang. Die
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Weltarbeit vom Feldherrn bis zum Postboten, vom Tagelöhner bis zum Finanzmann steht unter dem Druck des Akkord- und Rekordsystems; von Jedem wird soviel verlangt, als der Andre leistet. Der alte Handwerker ergänzte sein Schaffen durch Liebe und Verschönerung; die Mechanisierung produziert unter dem Sinnbild der Submission: ein Minimum an Güte und Menge wird vorgeschrieben, der geringste Preis ist recht, und Liebe wird nicht bezahlt. Die Grenze der Anspannung bietet der Kampf der Gruppen, aufwärts bis dem der Nationen, und auch der entscheidet sich nach objektiven Kräftesummen, ohne Einfluß des Einzelnen.
Selbst in der Richtung und Fassung seiner Werktätigkeit ist der Mensch nicht frei. Mag er zur Einseitigkeit oder zur Vielfältigkeit bestimmt sein, die mechanistische Ordnung benutzt ihn zur Spezialisierung. Willig fügt sich das Geschlecht dem Zwang, es erzeugt den geborenen Handelsreisenden und Schullehrer, wie es den geborenen Betriebsingenieur und Insektenforscher erzeugt; noch mehr, es liefert die Typen in der Zahl und Auswahl, wie Bedürfnis und Überfüllung sie vorschreibt. Rückfall wird bestraft; entsteht noch dann und wann ein Mensch vom alten Schlage der Krieger, Abenteurer, Handwerker, Propheten, so wird er aus der gemeinsamen Anstalt ausgeschlossen und verfemt oder zum niedersten undifferenzierten Dienst entwürdigt.
Der Zwang geht weiter. Auch die Selbstverantwortung wird dem Menschen genommen. Denn das organisatorische Wesen der Mechanisierung beruhigt sich nicht, bevor jeder ihrer Teile, jede ihrer Summen wiederum zum Organismus geworden ist; in gleicher Lückenlosigkeit, wie jedes noch so kleine und noch so große Element der lebenden Natur sich als Organon darstellt.
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Genossenschaften, Vereinigungen, Firmen, Gesellschaften, Verbände, Bürokratie, berufliche, staatliche, kirchliche Organisationen binden und trennen die Menschheit in unübersehbarer Verflechtung; niemand ist für sich, jeder ist unterworfen, andern verantwortlich. Dieser Zustand, erhebend in der Großartigkeit der Konzeption und in der naturgewaltigen Tröstlichkeit eines nicht mehr menschengeschaffenen Schicksals, wird zum öden Dienst in jenen gewaltigen, unbewußt dämmernden Regionen, in denen nicht selbstbewußte Verantwortung, sondern unterworfenes Interesse waltete. Auch der zünftige Handwerker war abhängig, doch nicht im gleichen Sinne wie der Angestellte des Warenhauses; seine Gebundenheit war sichtbar, eindeutig und dennoch von innerer Freiheit erfüllt. Ein Blendwerk äußerer Freiheit bedeckt die mechanistische Bindung: der Unzufriedene kann Rücksicht auf Form verlangen, auftrumpfen, die Arbeit niederlegen, wegziehen, auswandern: und doch befindet er sich nach Wochen bei veränderten Namen, Personen und Ortschaften im gleichen Verhältnis. Die Anonymität der Unfreiheit vollbringt durch ihren Zauber, was den alten Despotien und Oligarchien mit ihren Häschern und Spähern nicht gelang: die Abhängigkeit zu stabilieren,
Der Einzelzwang aber ist ein geringes Übel, verglichen mit der Massenerscheinung, die ihn überdeckt. Die Mechanisierung als Massenorganisation bedarf der Menschenkraft nicht einzeln, sondern in Strömen. Die Pyramidenmannschaft der Pharaonen genügt nicht, um den Tagesbedarf eines Landes auch nur an Werkzeugen zu decken; die Heeresmacht Napoleons reicht nicht zu für die Besatzung eines Bergwerksbezirks. Völkerschaften müssen bereitstehen, um sich zu wechselnden Heeresströmen
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beständig neu zu ordnen, millionenfache Maschinenpferde verlangen millionenfaches Zentaurenvolk. Nicht innere Notwendigkeit des Mechanisierungsprinzips, sondern bequem gebilligte Begleitumstände der Entwicklung haben die an sich unvermeidliche Arbeitsteilung zwischen geistiger und körperlicher Leistung zur ewigen und erblichen gemacht, und so in jedem zivilisierten Lande zwei Völker geschaffen, die blutsverwandt und dennoch ewig getrennt, im gleichen Verhältnis wie ehedem die stammesfremden Ober- und Unterschichten, einander gegenüberstehen. Beide sondert und beherrscht der Zwang. Ohne Verlust bürgerlichen Ranges und Bewußtseins, ohne Verzicht auf gewohnten Umgang, Güter des Genusses und der Kultur steigt kein Oberer hinab, ohne den Zufall eines Anfangsbesitzes an Kapital oder Ausbildung dringt kein Unterer hinauf. Dieser Zufall aber ist, abgesehen vom Falle der Auswanderung, so unverhältnismäßig selten, daß unter Tausenden von Angestellten, die durch den Gesichtskreis unsrer Unternehmer schreiten, sich kaum der Sohn eines echten Proletariers findet.
Von unerhörter Härte ist dieser Trennungszwang für das zweite Volk. Helotie, Leibeigenschaft, Hörigkeit waren auf Landwirtschaft gegründete Abhängigkeiten. Die Arbeit, härter und unlohnender als die der Freien, war doch von gleicher Art; es war der schön bewegte Kreis des Landlebens, wenn auch unter Aufsicht und elende Kürzung des Ertrages gezwängt. Die Arbeit des Proletariers genießt zwar jene lockende Anonymität der Abhängigkeit; er erhält nicht Befehle, sondern Anweisungen, er folgt nicht dem Herrn, sondern dem Vorgesetzten; er dient nicht, sondern übernimmt eine freie Verpflichtung; seine menschlichen Rechte sind die
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gleichen wie die des Gegenkontrahenten; er hat die Freiheit, Ort und Stellung zu wechseln; die Macht, die über ihm steht, ist nicht persönlich: erscheint sie in der Form eines einzelnen Arbeitgebers oder einer Firma, so ist es in Wahrheit die bürgerliche Gesellschaft. Dennoch verläuft sein Leben, wie er es auch innerhalb dieser Scheinfreiheit gestalte, in generationenlanger Öde und Gleichförmigkeit, über und unter Tage. Wer ein paar Monate lang bei ungeistiger Verrichtung von 7 bis 12 und von 1 bis 6 das Zeichen einer Pfeife herangesehnt hat, ahnt, welche Selbstverleugnung ein Leben der entseelten Arbeit fordert; niemals wieder wird er versuchen, durch kirchliche oder profane Überredung dieses Leben an sich als ein zufriedenstellendes zu rechtfertigen, und jeden Versuch, es zu mildern, als Begehrlichkeit verschreien. Wer aber ermißt, daß dies Leben nicht endet, daß der Sterbende die Reihe seiner Kinder und Kindeskinder unrettbar dem gleichen Schicksal überliefert sieht, den ergreift die Schuld und Angst des Gewissens. Unsre Zeit ruft nach Staatshilfe, wenn ein Droschkenpferd mißhandelt wird, aber sie findet es selbstverständlich und angemessen, daß ein Volk durch Jahrhunderte seinem Brudervolk frönt, und entrüstet sich, wenn diese Menschen sich weigern, ihren Stimmzettel zur Erhaltung des bestehenden Zustandes abzugeben. Das flache Dogma des Sozialismus ist ein Produkt dieser bürgerlichen Gesinnung; tiefste Notwendigkeit und funkelndes Paradox ist es zugleich, daß dieses Dogma zur stärksten Stütze von Thron, Altar und Bürgertum werden mußte: indem es nämlich mit dem Gespenst der Expropriation den Liberalismus schreckte, so daß er alles freie und eigene Denken fahren ließ und hinter den erhaltenden Mächten Schutz suchte.
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Der herrschenden Volksschicht ist der mechanistische Trennungszwang keine Not, doch eine Gefahr. Es scheint ein Naturgesetz, daß jeder Organismus, der vom natürlichen Lebenskampfe auch nur um ein weniges entlastet wird, zunächst zwar üppig gedeiht, dann erschlafft und eingeht. Die Völkeropfer dieser Schicksalsfolge wurden ehedem von Eroberern abgelöst und in wiedererzeugende Berührung mit dem Boden gebracht. Eroberer birgt der Behälter der Erde nicht mehr; eine bloße Umwälzung der Schichten würde das Spiel mit vertauschten Rollen, nicht mit erfrischten Kräften, erneuern und kläglich beenden. Zu der Entlastung von leiblicher Arbeit tritt die Geschlechterfolge intellektualer Anspannung, die unsre Großstädte geistig und physisch entfruchtet und der Dämpfung des westlichen Volkswachstums vorarbeitet.
Überblickt man die Erscheinung der zwangsweisen Schichtung, die wir dem rastlosen Streben der Mechanisierung nach Organisation und Arbeitsteilung zuschreiben, so ergibt sich abermals, daß die Bewegung zum Empfindungs- und Bewegungskreise ihrer dunklen Urerzeuger zurückgekehrt ist. Sie hat den Urstand der Sklaverei nicht verschmerzt und trotz Abendland, Christentum und Zivilisation verstanden, ein Hörigkeitsverhältnis über die Völker zu breiten, das ohne gesetzlichen Zwang, ohne sichtbare Herrengewalt, durch den bloßen Ablauf scheinbar freier Wirtschaftsvorgänge gesichert, eine zwar anonyme und verschiebbare, doch unzerbrechliche und erbliche Abhängigkeit von Schicht zu Schicht verbürgt.
3. Mechanisierung ist nicht aus freier und bewußter Vereinbarung, aus dem ethisch geläuterten Willen der Menschheit entstanden, sondern unabsichtlich, ja unbemerkt
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aus den Bevölkerungsgesetzen der Welt erwachsen; trotz ihres höchst rationalen und kasuistischen Aufbaues ist sie ein unwillkürlicher Prozeß, ein dumpfer Naturvorgang. Unethisch auf dem Gleichgewicht der Kräfte, auf Kampf und Selbsthilfe beruhend, wie etwa der Urzustand im Lebensgleichgewicht eines Waldes, verbreitet sie eine Weltstimmung, die, rückwärts gewandt über die frühe Arbeit des Christentums, über die politische und theokratische Ethik der Mittelmeerkultur hinweggreifend, unter der Deckung und Maske der Zivilisation abermals auf primitive Menschheitszustände hinstrebt. Denn diese Stimmung ist Kampf und Feindschaft.
Das menschliche Herz schlägt zu warm, es ist zu bedürftig der Anlehnung und Liebe, als daß der Haß als offne, weltverzehrende Flamme ausschlagen dürfte; doch je härter und spröder das Geschlecht, das der Mechanisierung erliegt, desto tückischer nagt der innere Brand im knirschenden Getriebe.
Der frühere Mensch goß seine Kraft und Liebe in sein Werk; er war um des Dinges willen da; die Menschen standen abseits, er bedurfte ihrer zum seltnen Austausch, zum gemeinsamen Schutz oder zum Dienst. Im engen Kreise umgaben ihn die Seinen, die er hegte, im weitern die Genossen, denen er Treue hielt, in fernerem Abstand die Feinde, die er bekämpfte. Der neue Mensch lebt nicht um eines Dinges willen; er strebt nach dem neutralen Gut des Besitzes, nach dem unverkörperten Begriffe einer relativen, doch beliebig ausdehnbaren Machtsphäre; sein Lebensinhalt ist nicht die Sache, die zum Mittel herabsinkt, sondern die Laufbahn. Durch Menschenmauern hindurch muß sie gebrochen werden; wohin er blickt, wo immer er stehen möchte, steht ein andrer, der ist sein Feind. Um Bresche zu reißen,
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bedient er sich des Genossen, der Gefolgschaft; nicht aus Liebe führt er sie, folgen sie ihm, sondern aus Interesse; jeder ist dem andern Mittel, das aufgegeben wird, wenn es nicht mehr dient. Dem Produzenten ist der Mitmensch Konkurrent, das ist Feind, Abnehmer, das ist Mittel; Lieferant, das ist Feind, Sozius, das ist Mittel. Wem er sich nähert, von dem will er etwas, wer sich ihm nähert, der will etwas von ihm, so sind beide auf der Hut, und ihre Stimmung ist feindliches Mißtrauen. Deshalb erscheint es jedem einerseits gefährlich, anderseits ungeziemend, im Fremden den Menschen zu wecken; es ist Herkommen, ihn wie Luft zu behandeln, bis die blöde Konvention der Namensnennung den landesüblichen Schutz eines kalten Respekts gesichert hat. Der menschenfreundliche Schwärmer, der sich über die Form hinwegsetzt, wird, wenn er nichts zu bieten hat, kühl abgetan; hat oder vermag er Begehrenswertes, so fühlt er bald zum Dank seines Vertrauens sich zum Mittel erniedrigt. Er teilt mit Recht das Schicksal derer, die einen Gesamtzustand statt durch Einwirkung auf Gesinnung und Gewissen durch Sonderexperimente beheben wollen. Deshalb klagen die Menschen so gern einander an und warnen sich wechselweise, rühmen sich ihrer schlechten Erfahrungen und erklären sich als Pessimisten der Menschenkunde. Sie wissen nicht, daß sie sich selbst verurteilen. Denn in der menschlichen Natur liegt diese Feindseligkeit und Niedrigkeit nicht, das Herz des Menschen ist zart wie seine nackte Haut, es ist der Rührung, dem Schmerz, der Neigung hingegeben. Was dies Herz verhärtet, ist die Angst; die Sklavenpeitsche der Mechanisierung, die niemals ruht und deren Zischen Hunger, Verachtung, Entrechtung, Schmerz und Tod bedeutet. Freilich sind die Nöte an sich nicht furchtbar,
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sondern Wege des Heils; doch nur für den gläubigen Menschen; die Mechanisierung aber hat vorsorglich verstanden, um ein wenig Wissen und Zauberei ihm den Glauben abzukaufen.
Feindschaft von Mensch zu Mensch steigert sich zur Feindschaft von Gruppe zu Gruppe, Stamm zu Stamm, Volk zu Volk. Der Mensch ist zum Interessenten geworden; irgendeine kümmerliche Theorie hat ihm und seinesgleichen Abhilfe aller Bedrängnis versprochen, sie schließen sich zusammen, nennens Partei oder Interessenvertretung, verallgemeinern ihre umgekehrten Beschwerden zu einem positiven Idealbegriff und entrüsten sich, daß der Widersacher, vom entgegengesetzten Interesse ausgehend, nicht zum gleichen Ideal gelangt. In dieser an Spielarten so ergiebigen Zeit ist nichts schwerer zu finden als ein Mensch, dessen Überzeugung und Ideal sich nicht mit seinen Interessen deckt; diese verzweifelte Erfahrung führt dazu, daß es ernste Denker gibt, die eine Weltanschauung, eine transzendente Überzeugung überhaupt nicht mehr als eine Form der Erkenntnis, als einen Abglanz des Ewigen dulden, sondern vielmehr darin nur eine Art von Charakter- und Interessenumsetzung, gewissermaßen eine Krankenanamnese, eine idiosynkratische Sonderlichkeit erblicken. Soweit geht das Vertrauen zur Positivität der Interessen, zur Alleinherrschaft des Intellekts, zur Erdgebundenheit des Gefühls.
Welches Interesse hat nun die Mechanisierung, durch Angst und Not, durch Feindschaft und Kampf ihre Opfer auf die Höhe der Leistung zu treiben? Ahnt sie nicht, daß alles Größte der Welt Werk der Liebe und brüderlicher Gemeinschaft gewesen ist? Zweifelt sie daran, daß Not zwar Eisen bricht, Glaube aber Berge versetzt?
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Mag sie es ahnen, doch gleicht sie darin dem armen Satan, daß sie in den Höhen machtlos ist. Sie hat sich verpflichtet, den Menschen mit tausendfach vermehrter Sippe zu nähren, zu unterhalten und zu bereichern, und hält diesen Pakt. Ihre Mittel sind kunstvoll und erfinderisch, aber gemein, denn aus gemeiner Not entstammt sie; den edleren Menschen drückt sie hinab, den niederen zieht sie empor; bis zu ihrer eigenen Höhe, nicht höher. Nun kennt sie ihr typisches Material; den Glauben hat sie vernichtet, zum guten Willen hat sie wenig Vertrauen, mit Angst und Plage kommt sie zurecht. Wo Wetteifer nicht ausreicht, erzwingt es die Konkurrenz, wo Bruderhilfe erlahmt, erzwingt es der Kampf, wo Volksgemeinschaft ermangelt, erzwingt es die Klassenschichtung. Und abermals in allen diesen Mitteln herrscht der uralte Atavismus des Neides, des Hasses, der Angst und Begierde, unter dessen Aspekt die Mechanisierung erzeugt ward.
Auch daran erinnert sie sich ihres Ursprungs, daß sie die Menschen verfolgt, die nicht nach ihrem Bilde geschaffen sind. Der freie Mensch der Phantasie, der Träumer des Göttlichen, der hingegebene Freund der Dinge und Geschöpfe, der Liebende, der für den kommenden Tag nicht sorgt und das Fürchten nicht lernt, ist ihr ein träger und verträumter Knecht. Noch über ein kurzes duldet sie ihn hinterm Pflug, in der Front, auf fremden Meeren, dann denkt sie sein Werkzeug durch Maschinen, ihn selbst durch Schlauere zu ersetzen. Des Menschenfreundes, der glaubt, daß die Seele nach dem Worte der alten Schrift ans Blut gebunden ist, bemächtigt sich Verzweiflung, denn das beste Blut entströmt unwiederbringlich. Wer aber glaubt, daß der Geist das Blut beherrscht, daß aus Steinen Abrahams
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und Denkalions Same erweckt werden kann, der wird dies verrinnende Blut als die Opfergabe preisen, die dem Geist Befreiung aus mechanistischen Banden verbürgt.
Wir wissen, daß alle Güter dieser Erde nichts sind als amorpher Rohstoff, weder gut noch böse, weder wert noch unwert, solange sie nicht zu zweiter Natur wiedergeboren sind. Die Güte, die aus Gewöhnung und freundlicher Anlage kommt, nicht wiedergeboren aus Stärke des Herzens, ist keine Güte; Natur, durch kein vergeistetes Auge neu erzeugt, ist nicht Natur; das Meisterwerk gewinnt seine Freiheit, indem es durch Kunst zur Natur wiedergeboren wird; der Mensch selbst, ungeläutert durch Fall, Bewußtheit und Aufstieg, bleibt im Seelenhaften ungeboren. Die Wiedergeburt durch Bewußtheit und freien Willen zur Pflicht und zum Liebeswerk war dem mechanistischen Wesen noch nicht beschieden; noch ist es ungebrochenes Natur- und Kriegswerk, in gleichem Stande wie Selbstverteidigung vor Anbruch des Gesetzes oder Ernährung ohne Erkenntnis des Eigentums. Und doch ist die Mechanisierung sittlicher Durchgeistigung fähig; ihr höchster und edelster Teil, der Staat, hat durch vorzeitliche Weihen sie erfahren und könnte ohne diese Verklärung seiner Sendung nicht bestehen. Freilich fließen die tausendfachen Attribute des Staates aus ehrwürdigeren Quellen; Heimatsliebe, Stammesgenossenschaft, nationale Gemeinschaft des Kulturbesitzes und Erlebens, religiös-theokratische Verschwisterung des Empfindens haben sein Reich im Übernatürlichen gegründet. Doch es entscheidet nicht die Herkunft, sondern die immanente Notwendigkeit des Wesens; es entscheidet das Bewußtsein, daß die geheiligte Institution höher steht als die Notdurft des Einzelnen, die Ahnung, daß der Mensch nicht
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um eines irdischen Glückes willen geschaffen ist, sondern in göttlicher Sendung, der Glaube, daß die menschliche Gemeinschaft nicht eine Zweckvereinigung bedeutet, sondern eine Heimat der Seele. Dieses unausgesprochene Bewußtsein, das auch der unvollkommensten Staatsform noch einen Schimmer von Göttlichkeit verleiht, muß dereinst erwachen für jede Form und Handlung materiellen Lebens und muß selbst die Mechanisierung ergreifen und durchdringen. Stets war das Wirken in Wissenschaft und Kunst, in Heer und Staat sich bewußt, daß kein Werk verantwortungslos für sich allein steht, daß jedes sich selbst und der Welt Rechenschaft schuldet, daß eine Kette der Pflicht und Notwendigkeit alles Schaffen verbindet, daß Losgelöstheit und Willkür die Schmach des Eigennutzes und der sinnlichen Knechtschaft an der Stirn trägt. Das Bewußtsein muß aber erwachen, daß in gleichem Maße alles materielle Handeln und alles, was ihm dient, ein Bauen am irdischen und überirdischen Leibe der Menschheit bedeutet, darin jeder Schritt und Handstreich, jeder Gedanke und Laut Kerne und Zellen formt, daß eine göttliche Verantwortung und Dankbarkeit eines Jeden Sache zu Jedermanns Sache und jedermanns Sache zur Sache eines Jeden macht, daß es kein Unglück und Verbrechen gibt, für das wir nicht alle Rechenschaft schulden, daß kein Recht, keine Pflicht, kein Glück und keine Macht abseits vom Schicksal Aller erworben und vertreten werden kann. Ist einstmals auch die Mechanisierung von dieser Erkenntnis durchgeistet, so ist sie nicht länger ein empirischer Gleichgewichts- zustand; dann wächst sie empor und hinein als wahrhafter Organismus in das Gesamtorganon des Schöpfungskreises, auf daß nun in seinen Adern ungehemmt vom Herzen zum Herzen der Gottheit die Kräfte
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strömen und das planetare Leben zum Bilde organischer Theokratie sich vollendet.
Überblicken wir getrost den Umfang der mechanistischen Erscheinung! Die technisch dienende Verrichtung: Das wuchernde Geschlecht zu nähren und zu erhalten, wird von der mechanisierten Ordnung zulänglich geleistet. Zu den Kräften der Natur, zum Bereiche sinnlicher Erkenntnis ist ein bedeutendes Verhältnis geschaffen. Im nützlichen Denken, im Sammeln und Verteilen der Kräfte, in der Beweglichkeit der Massen und der Geister ist Ungeahntes erreicht. Das Übel der Mechanisierung beginnt, wo die ungebrochene, undurchgeistete Kraft sich des inneren Lebens bemächtigt, wo die gewaltig entfesselte Bewegung verantwortungslos aus der dienenden Bindung sich befreit, um den Menschen und sein Geschlecht, den Herrn des Getriebes, zum Knecht seines eigenen Werkes zu erniedern. Hier quillt Unfreiheit, sinnloses Mühen, Feindschaft, Not und geistiges Sterben.
Doch dem Menschen ist es gegeben, sich zu besinnen und mit dem Lichte seiner übersinnlichen Ahnung die Wirrnis zu durchleuchten. Die Mechanisierung als materielle Ordnung wird er nicht preisgeben, solange nicht neue Ereignisse und Einsichten ihn gelehrt haben, den Naturkräften anders als durch organisierte Arbeit und Forschung entgegenzutreten. Die Mechanisierung als geistige Herrscherin des Daseins wird er bekämpfen und kann er vernichten, sobald er die Praxis vom Zweck zum Mittel mäßigt, sobald er des Notzwangs und Blutlohns nicht mehr bedarf, sobald er vorzieht, aus freiem Willen zu leisten, was heute der Zwang ihm erpreßt, und den ärmlichsten Teil seines unedlen Sonderglücks um Menschheitssegen einzutauschen.
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Daß es nur eines Umsteuerns des Geistes bedarf, nicht des Maschinellen, begreifen wir aus innerster Tiefe, sobald wir nochmals die Mechanisierung als Erscheinung verlassen und sie als Geistesevolution von innen ergreifen. Hier erscheint sie uns als die gewaltige Steigerung des Erdengeschöpfes zum Intellekt, der in der beispiellosen Zahl seiner Träger, in der Schärfe und Nachhaltigkeit, Zielrichtung, Verzweigung und Sammlung seiner Organe ein ungeheures Maß niedersten Geistes in Bewegung hält. Dieses Maß reicht aus, um dem blinden Willen der Natur ein Gleichgewicht zu bieten; und die erste dankbare Regung der beschenkten Welt ist das kindliche Vertrauen, sie dürfe den überschwenglichen Kräften des Intellekts ihr Glück und ihre Freiheit anheimstellen. Hier beginnt Irrtum und Not und mit ihr die Heilung. Endlich hat die Steigerung des Denkens die kritische Einsicht gereift, daß Intellekt zum Ordnen der Begriffe taugt, nicht zum Erkennen; indem nun diese Einsicht sich zum Begreifen erhebt, die höchste Pflicht der unteren Geisteskräfte sei Selbstbeschränkung, Selbstaufhebung, Verzicht auf alles Richten und Lenken: so ist alsbald der Boden für die reine Saat bereitet, die lebend von Anbeginn im Dunkel des Menschenherzens schlummert. Es ist Zeit zum Anbruch der Seele! Daß wir heute ihr Bild zu ahnen, ihren Mächten uns hinzugeben vermögen, verdanken wir der Not der intellektualen Weltepoche. Sie welkt, nachdem sie diese Frucht getragen; nicht in dem Sinne zwar, als solle die Menschheit künftig auf ihr Recht zu denken und zu formen verzichten: sie wird es pflegen und stärken, doch stets in dem Bewußtsein, daß es niedere Kräfte, zum Dienst geborene sind, deren sie in höherer Verantwortung und Sendung waltet. Berühren aber die ersten Strahlen der
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Seele die intellektuale Welt und ihre Verwirklichungsform, die mechanistische Ordnung, so ist es nicht entscheidend, welche der Starrnisse zuerst dahinschmelzen; denn nicht der Zusammenhang sekundärer Ereignisse, sondern die Sonnennähe transzendenter Ahnung führt den Frühling über die Welt. In diesem bescheidenen Sinne ist der aufbauende Teil der Erörterung zu verstehen: Nicht ein vollkommenes Verzeichnis irdischer Handlungen in zeitlicher Reihenfolge ist ihr letztes Ziel, sondern die Aufweisung pragmatischer Verwirklichungsformen des Gedankens: Daß Seelenrichtung des Lebens und Durchgeistung der mechanistischen Ordnung das blinde Spiel der Kräfte zum vollbewußten, freien und menschenwürdigen Kosmos gestaltet.
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Noch schwebt unentschleiert und unbenannt die Aufgabe über unserm Haupt. Den Weltzustand, der uns umgibt, haben wir ermessen; die Richtung, die zur Freiheit führt, wurde erkennbar, das Gestirn, dem wir folgen, weist den Weg zur Seele. Nun liegt uns ob, die pragmatische Form zu gestalten, die den überstrebenden Gedanken irdisch umfaßt und unsrer Epoche greifbar vermittelt; die metaphysische Aufgabe soll uns ihr physisches Abbild enthüllen.
Noch einmal muß zuvor ein Wort über materielle Einrichtungen und Entwürfe schlechthin gesagt werden.
1. Welchen Gewinn des inneren Lebens dürfen wir von Lebensbedingungen und Lebensformen und ihrer Änderung überhaupt verlangen? Die materialistische Auffassung antwortet: Jeden. Der Mensch verdanke alles seinen Zuständen und Umständen; Blut, Luft und
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Erde, Lage und Besitz umschreibe ihn so vollkommen, daß jedem Wechsel der äußeren Bedingungen eine gleichwertige Änderung des inneren Bestandes entsprechen müsse. Zum stärksten Rüstzeug des Materialismus gehört dieser verführerische Irrgedanke: denn die Geschichte scheint ihn allenthalben zu bestätigen. Haben nicht die Veränderungen der Erdkruste die Evolution der Geschöpfe erzwungen? Folgen die Strömungen und Wanderungen der Menschenvölker nicht physischen Gesetzen? Ist nicht Wesen und Schicksal der Nationen aus Stammesart, Land und Umwelt bestimmbar? Ist nicht der Einzelmensch selbst Geschöpf seiner Vorfahren und seines Lebenskreises? Unbestreitbar: die Zentren der höchsten Kulturen fielen stets zusammen mit den Zentren der Macht, der Volksdichte, des Reichtums; Einsamkeit, Armut, Not, die heiligen Quellen geistlicher Erhebung haben niemals einem Volke Kunst und Gedanken beschert. Seevölker werden klug, so heißt es; Hellas, Rom, Venedig, Holland, England verdanken ihre Macht dem Meere; Deutschland wurde stark durch sein Blut, Frankreich durch seinen Boden, Amerika durch seine Lage. Alles dies scheint wahr.
Verfolgen wir die Lehre mit ihren eigenen Mitteln, so verliert sie bald genug ihre Zuversicht. Welche Kraft war es denn, die bei allen Erdumwälzungen die Geschöpfe emportrieb? Der Wille zum Leben? Er allein konnte nicht Flossen schaffen noch Flügel wachsen lassen, nicht reden und nicht denken lehren. War es das Blut? Das kam ja erst durch jenen geheimnisvollen Willen zu seiner Adelung; auch der Urahn des Ariers war ein düsteres Geschöpf, weit tiefer stehend als Mongole und Neger. War es der Boden? Nun, es stand jedem frei, diesen Boden zu besetzen; der Stärkste
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und Erleuchtetste hat ihn genommen. Also doch wieder Stärke und Blut? Dann mag ein Zufall diese Vorzüge gebildet haben.
Genug dieser Argumente. Sie setzen voraus, was sie zu beweisen haben, daß Leib das erste, Geist das zweite ist, daß Materie Geist formt. Glauben wir, daß wir Geschöpfe des Fleisches sind, so mag wer will das Leben versüßen und beschmeicheln; dann ist das Ringen um Gott und unsre Seele eitel, und es haben die das Wort, die um des Nützlichen und des Nutzens willen da sind. Glauben wir aber, daß der Geist sich seinen Körper formt, daß der Wille nach oben die Welt emporträgt, daß der Funke der Gottheit in uns lebt: dann ist der Mensch sein eigenes Werk, dann ist sein Schicksal sein eigenes Werk, dann ist seine Welt sein eigenes Werk. Dann ist das Seevolk nicht das von der See beschenkte, sondern das Volk, das die See wollte; dann ist das Volk der Bodenschätze nicht ein glücklicher Finder, sondern ein Eroberer; dann ist das Volk, das zur kulturtragenden Dichte gelangt, nicht eine heckende Horde, sondern ein Stamm, der Nachkommen will und ihnen ein Land bereitet; dann ist das edle Blut nicht ein Spiel der Natur, sondern ein Werk der Selbstzucht strebenden Geistes.
Darum darf dennoch nicht die Gegenfrage gestellt werden: Warum sollen wir Formen und Güter des Lebens achten und pflegen, wenn nicht sie, sondern Stille und Betrachtung das Höchste schaffen? Das irdische Leben bedeutet die Formation und Waffe, die dem Geiste verliehen ist, darin er um sein Recht, Dasein und Künftiges kämpfen soll; ist er tauglich zum unsichtbaren Kampf, so soll er auch zum sichtbaren Kampf tauglich sein. Das edle Geschöpf schafft sich Schönheit, das gesunde schafft sich Glück, das starke Macht; nicht um dieser
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Güter selbst willen, sondern als irdisches Kleid seines geistigen Daseins; nicht strebend und gierend, sondern selbstlos und selbstverständlich. Und wie der Träger die Waffe beherrscht, so wirkt die Waffe zurück auf den Träger; das Volk, das die Kraft hatte, schön zu werden, findet in seiner Schönheit einen neuen Ansporn zum inneren Adel. Freilich steht dem Armen und Verachteten die Pforte des Seelenreiches doppelt offen; aber sein Wille sie zu suchen wird beflügelt, wenn ein edles Volk von seiner Kraft und Sehnsucht ihm mitteilt. Unter Reichen freiwillig arm zu sein ist schön und trägt evangelischen Sinn; im Bettlervolk ein Bettler bildet keinen Kontrast und kein spezifisch sittliches Verdienst. Der Einzelmensch ist Endzweck; in ihm endet die Reihe der sichtbaren Schöpfung und beginnt die Reihe der Seele; ist in ihm die Seelenkraft erwacht, so bedarf er nicht mehr der irdischen Vorzüge und Vorteile; Armut, Krankheit, Einsamkeit müssen ihm dienen und ihn segnen; das Volk aber ist seine Mutter, die ihn im Erdendasein überlebt, sie braucht Schönheit, Gesundheit und Kraft zum ewigen Werke des Gebärens. Hier löst sich der Widerspruch: Was heißt es, nichts für sich begehren und dennoch für den Nächsten sorgen, der doch auch seinerseits nichts begehren sollte? Der Nächste und der Fernste sind unser aller Mutter und Brüder zugleich; damit sie leben und zeugen, ist unser Einzelleben ein geringer Preis. Deshalb ist es nicht unwürdig noch materiell befangen, der Gemeinschaft die Güter und Kräfte zu ersehnen und zu schenken, die man für sich selbst nicht achten soll.
2. Die zweite Vorfrage lautet: Wie sind pragmatische, der Menschheitslage gewidmete Entwürfe zu rechtfertigen; welche Beweiskraft liegt ihnen bei, welche Beweislast liegt ihnen ob?
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Es wurde erwähnt, auf das Recht, Ziele zu finden, hat die Wissenschaft verzichten müssen. Für alles schöpferische Denken aber ist das Ziel entscheidend, nicht der Weg, die Frage schwerer als die Antwort. Und wiederum ist es leichter, sie zu finden, als sie zu suchen. Denn hier versagt die intellektuale Kraft; die vermag eine Reihe von Beschwerden und Unzuträglichkeiten des Bestehenden zu sammeln und zu sagen: dies sollte nicht sein — (obwohl sie Prüfung und Übel, segensreiche und schädliche Not nicht zu unterscheiden vermag) —, doch niemals kann sie bestimmen: dies ist als höchstes Gut der Menschheit beschieden und erreichbar, dies sollen wir erstreben, müssen wir erringen. Denn all unser Willen, soweit er nicht animalisch ist, entspringt den Quellen der Seele. Jedem schrankenlosen Verehrer des intellektualen Denkens sei es von früh bis spät wiederholt: Der größere und edlere Teil des Lebens besteht aus Wollen. Alles Wollen aber ist unbeweisbares Lieben und Vorlieben; es ist seelisches Teil, und neben ihm steht der zählende, messende und wägende Intellekt abseitig und selbstbewußt als Theaterkassierer am Eingang zur Bühne der Welt.
Was wir schaffen, geschieht aus tiefstem, wissenlosen Drang, was wir lieben, ersehnen wir mit göttlicher Kraft, was wir sorgen, gehört der unbekannten künftigen Welt, was wir glauben, lebt im Reiche des Unendlichen. Nichts davon ist beweisbar, und dennoch ist nichts gewisser; nichts davon ist greifbar, und dennoch geschieht jeder wahre Schritt unsres Lebens im Namen dieses Unaussprechbaren. Was tun wir vom frühen Morgen bis zum späten Abend? Wir leben für das, was wir wollen; und was wollen wir? Das, was wir nicht kennen und nicht wissen und dennoch unverbrüchlich glauben.
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Dieser Glauben aber hat eine stärkere Evidenz als die des intellektualen Beweises. Was Plato, Christus und Paulus beweislos sprachen, kann jeder Rabulist widerlegen, und dennoch stirbt es nicht; und jedes dieser Worte hat ein wahrhafteres Leben und mehr Glauben entzündet als irgendeine physikalische, historische oder soziale Theorie. Fragen wir, was im strengsten Sinne beweisbar sei, so hält selbst die euklidische Geometrie nicht stand; wenn dennoch die Welt von tiefster Wahrheitsempfindung immer wieder durchdrungen wird: was ist das Merkmal der lebendigen Wahrheit ?
Es ist die Kraft, mit der sie an die Herzen schlägt. Jedes echte Wort hat klingende Kraft, und jeder Gedanke, der nicht in den Labyrinthen des dialektischen Verstandes, sondern im blutwarmen Schoße der Empfindung geboren ist, zeugt Leben und Glauben. Deshalb ist alles Beweisen nur ein Überreden, gutgläubige Täuschung. Glaubt ein Mensch sich berufen, Wahrheit zu zeugen, nicht weil er sie denkt, sondern weil er sie schaut und erlebt, weil die Welt, die er im Geiste fühlt, ihm wirklicher ist als die er mit Augen sieht, so mag er reden. Ist er ein Verblendeter, so wird er mit seinem Staube den Weg dessen ebnen, der nach ihm und aus der Wahrheit kommt. Ist ihm aber auch nur ein einziges Wort verliehen, das Leben trägt, so wird es, nackt und unbewehrt in die Welt gestreut, zur Saat der Herzen.
Das gilt vom Ziele. Versucht einer aber, nicht bloß das Ziel zu sichten, sondern auch dem irdischen Schritt den Pfad zu weisen, so ist es abermals auf dieser tieferen Ebene der Pragmatik nicht Überredung und Beweis, was ihm den Gang, den Andern die Folge erhellt. Nie hat ein Führer oder Vorläufer vermocht, die lückenlose Beweiskette seiner Pläne auszubreiten, und hätte er’s, so
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wäre das simple Thersiteswort: „Es geht nicht“ unübersteiglich ihm entgegengeschleudert worden. Das einzige, was in der Welt nachwirkt, wenn der Sturm der Gegenreden verrauscht, ist die Forderung an das Gewissen. Sie redet leise, und sie wiederholt in der Stille der Nacht, was der Lärm des Tages übertäubt; sie spricht nicht in eines Menschen Namen, sondern im Namen des Lebendigen. Und indem sie immer den gleichen einfachen Weg bezeichnet, läßt sie offenbar werden, daß nicht ein erkünsteltes Projekt, sondern ein erschautes Müssen und Mögen uns bevorsteht. Deshalb kann auch das pragmatisch Geplante uns überzeugen, ohne zu beschwatzen; darin gleicht sich der gesunde Vorschlag des Geschäftsmannes und der Schlachtruf des Propheten, daß ein zwingend Notwendiges fühlbar wird, das im Geist nachklingt und tönend anwächst. Auch hier gilt kein Beweis; sondern Intuition erzwingt Einfühlung, Geschautes wird greifbar. Fehlt einer Darlegung diese kindliche Kraft, so bleibt sie gelehrtes Gedankenspiel und Ästhetenfreude, gepanzert wie sie sei mit Anmerkungen, Nachweisen und Tabellen.
So bürgt für das Ziel das Herz, das Gewissen für den Weg; und diese strenge Mahnung mag den Schreiber aufrichten, wenn der die Schwäche des Wortes erkennt; ihn demütig machen, wenn er sich von Lieblingsgedanken fortreißen läßt. Der Leser aber sei auf der Hut vor dem Gedanken, der sich Beweiskraft anmaßt, er richte nach dem, was in seinem Innern anklingt, mit Strenge, aber in Wahrheit.
3. Und endlich: Wenn unser Leben im höchsten Sinne den äußeren Bedingungen enthoben ist, wenn Einrichtungen niemals Gesinnungen schaffen können, wenn alles äußere Dasein nur die Muschelschale, den Maskenausdruck
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des seelischen Erlebens bedeutet; bleibt es würdig und angemessen, dem künftigen Gang des Gleichnisses vorzuspüren, statt gläubig dem Wege des Geistes zu folgen, in der Gewißheit, daß er auch dem Körperschritt Bahn läßt?
Wir sind in dieses leibliche Dasein gestellt als in ein Gleichnis, um es zu begreifen; als in einen Preiskampf, um ihn zu bewältigen. Was wir dem Geiste abringen, wird Wirklichkeit des Lebens, versteinert zur Stufe für neuen Aufstieg. Solange nur, als er Handwerker bleibt und Meister des Werkzeuges, wird der Künstler das Erlebnis seines Herzens unverdorben und unverfälscht aus seinem Innern lösen; Stoff und Werkzeug des Denkenden aber ist die Welt, und der Gedanke gewinnt die volle Kraft seiner Wahrheit erst dann, wenn die Welt, an ihm gemessen, organisch und möglich bleibt. Wer es jemals versucht hat, Gedanken, die der freien Region der Überzeugung entstammen, im Boden der Wirklichkeit zu verankern, wer die harte, stets unbelohnte Mühe dieser der Menge unvorstellbaren Arbeit kennt, der verliert den Respekt vor symmetrisch gerundeten Theoremen und schönen Denkfehlern, die aus Unterschätzung sinnlicher Erscheinung sprießen. Das Evangelium wäre sterblich, wenn es als abstraktes Gesetz auf Pergament stände, und kehrte sein Verkünder wieder, so würde er nicht wie ein studierter Pastor in antiquarischer Sprache mit syrischen Gleichnissen reden, sondern von Politik und Sozialismus, von Industrie und Wirtschaft, von Forschung und Technik; freilich nicht als ein Reporter, dem diese Dinge an sich erfüllt und stupend sind, sondern den Blick auf das Gesetz der Sterne gerichtet, dem unsre Herzen gehorchen.
Nochmals sei nach diesen Einwendungen aufs kürzeste die Frage ausgesprochen; Wie setzt sich die transzendente
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Aufgabe in die pragmatische um? Die transzendente Aufgabe lautet: Wachstum der Seele; wie lautet die pragmatische?
Sicherlich lautet sie nicht: Steigerung des Wohlstandes. Selbstverständliche und leicht erfüllbare Menschenpflicht ist die Beseitigung aller Not und drückenden Armut; die Kosten eines Rüstungsjahres würden ausreichen, um die Blutschuld der Gesellschaft zu tilgen, die heute noch den Hunger und seine Sünden in ihrem Schoße duldet. Doch diese Aufgabe ist so einfach, so mechanisch, trotz ihrer herzzerreißenden Dringlichkeit so trivial, daß sie eher der polizeilichen als der ethischen Vorsicht zugeschrieben werden sollte. Was darüber hinausgeht, bleibt im letzten Sinne gleichgültig. Noch immer zeugt und trägt die Erde so viel, daß der Gesamtheit Nahrung, Kleidung, Werkzeug und Muße zur Genüge erwächst, sofern sie nur im rechten Maße schaffen, verbrauchen und genießen will. Mag Reichtum als Voraussetzung gehobener Lebensform gelten und bleiben: eine Gemeinschaft von Millionen schaffender Menschen ist in sich unendlich reicher als die berühmten Kleinstädte des Altertums und der Mittelzeit; ein Bahnhof verschlingt hundertfach die Arbeitsleistung des Parthenon; und bleibt der Geist edleren Lebens wach, so findet er Stoff und Werkzeug zur Verkörperung.
So wenig wie Wohlstand ist Gleichheit die äußere Forderung unsrer Seelen. Welcher irregeleitete Gerechtigkeitssinn konnte je auf die Forderung der Gleichheit verfallen? Wie wenig wissen wir vom tiefsten Innern unsres Nächsten: Worte sind vereinbarte Botschaften über unverglichene Dinge; wir beide nennen rot, was bekannte Reihen von Gegenständen als Farbe ausstrahlen, und wissen doch nicht, ob die Rotempfindung
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des einen nicht gar der Grünempfindung des andern entspricht. Mut: dem einen das angeborene ahnungslose Gefühl der Unbedachtsamkeit, dem andern die furchtbarste Entscheidung des Seelenkampfes zwischen zwei Gefahren; Tugendreinheit, dem einen versuchungsfreie Gewohnheit glückererbten Lebens, dem andern frühverlorenes, traumersehntes Kleinod; Glück, dem einen ein göttlicher Strom aus jeder Offenbarung der Natur, dem andern ein künstliches, nie vollendetes Gebäude aus tausendfacher, nie gestillter Wunscherfüllung: diese Kontraste hat Natur hinter Menschenstirnen verborgen; sie zu mildern hat sie einem jeden den Weg gewiesen zu unendlicher Mannigfaltigkeit des Daseins, des Schaffens und Leidens, damit jeder Drang sein Gleichgewicht, jede Einseitigkeit ihre ausgleichende Umwelt finde: Was kann ungerechter in die Gnade dieses Planes eingreifen als mechanische Gerechtigkeit? So, wie die Ungleichheit zweier Höhen sich dem Auge verschärft durch die Wahl gleicher Basis, so muß die Ungleichheit der Geschöpfe bis zur Karikatur hervortreten bei gewaltsamer Ausgleichung der Lebensbedingungen. Wir finden uns damit ab, daß Mechanismen des Lebens, die der radikalen Ordnung dienen: Strafrecht und Polizei, Verkehr und Handelsrechte zur Gleichheit streben, die den Schlechteren gegen den Besseren schützt; was darüber hinauslangt, ist unbedachter Drang eines verirrten Gerechtigkeitsgefühls, das nicht der Verantwortung, sondern dem Neide entspringt.
Niemals kann Gleichheit die irdische Forderung unsres seelischen Lebens verwirklichen. Kann es die Freiheit?
Freiheit! Nächst der Liebe der göttlichste Ton unsrer Sprache — und dennoch, wehe dem, der in
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unserm Lande vertrauensvoll und begeistert ihn ohne Umschweif vernehmen läßt. Auf ihn stürzen sich Schulmeister und Polizisten, gewappnet mit allen Distinktionen der Philosophen und allen Vorurteilen des Sicherheitsstaates, und beweisen ihm, daß die höchste Freiheit nur in der höchsten Unfreiheit liege, so daß als Freiheitskampf allenfalls ein Landeskrieg bezeichnet werden dürfe.
Wer wird Freiheit mit Zügellosigkeit verwechseln ? Wer jedoch mir zumutet, daß schließlich auch mein Wille unfrei sei, daß die Autorität und Partei, der ich mich anschließe, rückwirkend meine Freiheit begrenzt, daß der Gegner, den ich bekämpfe, mich einschränkt, daß der menschliche Gleichgewichtszustand Beengung verlangt, der treibt Spitzfindigkeit mit halben Wahrheiten und drischt leeres Stroh.
Ein Baum wächst in Freiheit. Das bedeutet nicht, daß er sich auf und davon machen oder in den Himmel wachsen kann; daran hindert ihn die Begrenzung seiner Natur. Es bedeutet auch nicht, daß eine Zelle seines Stammes in die Krone wandern, daß ein Blatt sich in eine Blüte verwandeln, ein Ast über alle übrigen hinauswachsen darf; das verbietet das innere organische Gesetz. Dies Gesetz herrscht in Freiheit und durch Beschränkung. Es gebietet, daß der Stamm trage und nähre, daß die Blätter atmen und die Wurzeln saugen, daß das Sonnenjahr mit Keim und Blüte begrüßt, mit Frucht gesegnet und mit Einkehr beschlossen werde.
Nun wird der Baum ummauert. Wurzeln und Zweige sind an der Entfaltung gehemmt, Wind und Sonne abgewiesen; das verkümmerte einseitige Wachstum steht unter verändertem Gesetz; so alt es sein mag, es ist nicht das eigene, es ist nicht Ausdruck innerer organischer
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Notwendigkeit, nicht mehr gewollte Selbstbeschränkung, sondern äußeres, gewaltsames Schicksal; an die Stelle der Freiheit tritt der Zwang.
Mag es schwer sein, Freiheit zu umschreiben; ihr Gegensatz, der Zwang, ist leichter zu erkennen. Er ist für jeden Organismus, Mensch, Volk oder Staat dasjenige innere oder äußere Gesetz der Hemmung, das nicht von innerer Notwendigkeit des eigenen oder des umfassenden Wesens verhängt ist. Kriterium für Zwang und Freiheit ist somit die Notwendigkeit; gefordert wird von den Befürwortern gottgewollter Abhängigkeiten der Nachweis, daß diese Notwendigkeit in Wahrheit und in solchem Maße besteht, daß die Aufhebung der Hemmung zum Zusammenbruch oder zur Verkümmerung des Organismus führt. Verwegene Überhebung ist es, in der Abhängigkeit an sich den Selbstzweck zu erblicken; dieser Gedanke führt zur Sklaverei; nur die organische Notwendigkeit erträgt den Namen des Gotteswillens.
Liegt die Ursache der Beschränkung und Abhängigkeit nicht in der Lebensnotwendigkeit des eigenen oder umfassenden Organismus, sondern im Willen und der Gewalt eines fremden Organismus, so ergibt sich der Stand der Knechtschaft.
Knechtschaft und Sklaverei laufen dem Sinne des Christentums nicht zuwider. Sie sind Schickungen, die das äußere Leben behindern, die Entfaltung der Seelenkräfte, das Nahen des Gottesreiches nicht ausschließen. Epiktets Herzensgewalt wuchs in der Knechtschaft, die Blüte des christlichen Mittelalters entsproß dem Kloster. Doch unsre Frage ist anders gestellt; wir wollen nicht wissen, wie der einzelne durch die Gnade innerer Freiheit ein unabänderliches Schicksal überwindet; wir wollen die gerechte Form des Lebens finden, die den Seelenweg
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der Menschheit öffnet. Dieser Weg aber verlangt organische Entfaltung, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung; er kann nicht der Weg des Zwanges sein nach der vorbestimmten Abhängigkeit. Wir wissen eins: Knechtschaft ist der Gegenpol der seelischen Forderung.
Keinen ihrer Ruhmestitel schlägt unsre Zeit höher an als die Überwindung der Sklaverei. Leibeigen ist niemand; Untertan heißt der Mensch nur noch in anmaßenden Erlassen; er selbst nennt sich Staatsbürger, genießt ungezählte persönliche und politische Rechte, gehorcht niemand als der Staatsgewalt, bündelt, wählt und verwaltet. Er verdingt sich nicht, sondern schließt Arbeitsverträge, er ist nicht Knecht und Geselle, sondern Personal, Arbeitnehmer und Angestellter; er hat keinen Brotherrn, sondern einen Arbeitgeber, und der darf ihn nicht schelten noch strafen. Er kann kündigen und seiner Wege gehen, er darf feiern und wandern, er ist, wie er sagt, ein freier Mann.
Und doch seltsam! Gehört er nicht zu den wenigen, die man gebildet und vermögend nennt, so sitzt er nach wenigen Tagen in den Räumen eines andern Arbeitgebers, bei der gleichen achtstündigen Arbeit, unter der gleichen Aufsicht, mit gleichem Lohn und mit gleichen Genüssen, mit gleicher Freiheit und mit gleichen Rechten. Niemand zwingt ihn, niemand tritt ihm in den Weg, und dennoch verläuft sein frühalterndes Leben ohne Muße und ohne Sammlung. Die mechanische Welt tritt ihm entgegen als ein verworrenes Rätsel, das eine Parteizeitung einfarbig beleuchtet; die höhere Welt erscheint im Ausschnitt einer billigen Predigt und eines populären Abrisses; der Mensch erscheint als Feind, wenn er dem fremden, als wortkarger Genosse, wenn er
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dem eigenen Kreise angehört, der Arbeitgeber als Ausbeuter, der Arbeitsraum als Knochenmühle.
Die Bürgerrechte bestehen, vor allem das Wahlrecht in beiderlei Form. Doch wiederum seltsam! Im behördlichen Leben bleibt der Mensch stets Objekt; Sub- jekt sind die Andern, gleichviel ob sie als militärische Vorgesetzte ihn duzen, als Richter aburteilen, als Polizei und Beamte ihn behandeln, ausfragen, verwalten. Er mag sich verbünden und organisieren, versammeln und demonstrieren, er bleibt der Regierte und Gehorchende, auf den goldnen Stühlen sitzen diegleichen, die in breiten Straßen unter Bäumen wohnen, in Wagen fahren und sich grüßen; sie tragen die Verantwortungen, die Würden und die Macht.
Doch das bürgerliche Leben ist frei. Hier herrscht der Wettbewerb, der Starke und Kluge mag wagen und gewinnen, hier beschränken ihn nur notdürftige Gesetze und Regeln; dieser Kampfplatz steht Allen offen. Und abermals: der Eintritt gelingt nicht. Der Kreis ist heimlich geschlossen, sein Bundesmerkmal ist Geld. Wer hat, dem wird gegeben; was einer besitzt, das vermehrt sich, doch zunächst muß er besitzen. Er besitzt, was seinen Vorfahren gehörte, was sie ihm als Erziehung und Kapital hinterließen. In reichen, unerschlossenen Ländern mag es gelingen, daß der ersparte Pfennig sich mehrt; je älter und unergiebiger das Land, desto teurer der Einkauf in den werbenden Stand.
So erheben sich gläserne Mauern von allen Seiten, durchsichtig und unübersteiglich, und jenseits liegt Freiheit, Selbstbestimmung, Wohlstand und Macht. Die Schlüssel des verbotenen Landes aber heißen Bildung und Vermögen, und beide sind erblich.
Deshalb schwindet die letzte Hoffnung des Ausgeschlossenen: seinen Kindern möchte beschieden sein, was
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ihm selbst versagt war; er scheidet aus der Welt mit der Erkenntnis, daß seine Arbeit nicht ihm, nicht seinen Nachkommen, sondern andern und ihren Nachkommen diente, daß auch ihr Schicksal erblich, vorbestimmt und unentrinnbar sei.
Was bedeutet das? Das bedeutet nicht die alte Knechtschaft, die persönlich war, und indem sie die Schicksale zweier Menschen oder zweier Familien, widernatürlich zwar, doch unter einem Dach verband, die letzte menschliche Gemeinschaft und Anteilnahme aufrechthielt. Dieses Verhältnis bedeutet unter dem Scheine der Freiheit und Selbstbestimmung eine anonyme Hörigkeit, nicht von Mensch zu Mensch, sondern von Volk zu Volk, unter beliebigem Austausch der Beziehung, jedoch unter dem unverbrüchlichen Gesetz der einseitigen Herrschaft. Dieses erbliche Diensttum besteht in allen Ländern des alten Zivilisationskreises, es besteht unter Bevölkerungsklassen gleichen Stammes, gleicher Sprache, gleichen Glaubens und gleicher Sitte und nennt sich Proletariat.
Mit der Forderung der seelischen Freiheit und des seelischen Aufstiegs verträgt es sich nicht, daß die eine Hälfte der Menschheit die andre, von der Gottheit mit gleichem Antlitz und gleichen Gaben ausgestattete, zum ewigen Dienstgebrauch sich zähme. Man wende nicht ein, daß beide Hälften nicht sich, sondern der Gemeinschaft leben und schaffen; denn die obere Hälfte wirkt unter freier Selbstbestimmung und unmittelbar, die untere wirkt, indem sie ohne Blick auf ein sichtbares Ziel mittelbar und im Zwange der oberen dient. Niemals sieht man einen Zugehörigen der oberen Schicht freiwillig niedersteigen; der Aufstieg der unteren aber wird durch Vorenthalt der Bildung und des Vermögens
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so vollkommen verhindert, daß nur wenige Freie in ihrem Kreise einen Menschen erblicken, der selbst oder dessen Vater den untersten Ständen angehört hat.
Trägheit und Vorteil sind starke Kräfte, wenn sie dahin wirken, sich mit dem Gegebenen abzufinden. Die Abschaffung der Sklaverei in Amerika, der Leibeigenschaft in Rußland hat leidenschaftliche Teilnahme erfahren, vor allem bei den Nichtgeschädigten; die Besitzer menschlicher Haustiere verteidigten ihre Einrichtung mit gleichen Gründen, wie heute Geistliche, Staatsmänner und Kapitalisten sie für die Notwendigkeit der Unfreiheit anführen: gottgewollte Abhängigkeit, Dienst, gleichviel an welcher Stelle, Demut und Selbstbescheidung; und auch hier gelten die Argumente stets für die Andern.
Daß die im Rechte und Besitz Beharrenden ihre hartherzige Meinung im besten Glauben vertreten, weil ihnen das Bestehende so absolut gültig, so fest gefügt, unabänderlich und unersetzlich scheint, daß nur der allgemeine Zusammenbruch an seine Stelle treten könnte, diese urteilslose Einseitigkeit und unfreiwillige Verhärtung hat nichts so sehr verschuldet wie der Kampf und Kampfplan der sozialistischen Bewegung.
Diese Strebung trägt den Fluch ihres Vaters, der nicht ein Prophet war, sondern ein Gelehrter, der sein Vertrauen setzte nicht in das menschliche Herz, dem alles wahrhafte Weltgeschehen entspringt, sondern in die Wissenschaft. Dieser gewaltige und unglückliche Mensch irrte so weit, daß er der Wissenschaft die Fähigkeit zuschrieb, Werte zu bestimmen und Ziele zu setzen; er verachtete die Mächte der transzendenten Weltanschauung, der Begeisterung und der ewigen Gerechtigkeit.
5 Rathenau, Von kommenden Dingen
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Deshalb hat der Sozialismus niemals die Kraft gewonnen, zu bauen; selbst wenn er unbewußt und ungewollt in seinen Gegnern diese produktive Kraft entzündete, verstand er die Pläne nicht und wies sie zurück, Nie hat er auf ein leuchtendes Ziel zu weisen vermocht; seine leidenschaftlichsten Reden blieben Beschwerden und Anklagen, sein Wirken war Agitation und Polizei. An die Stelle der Weltanschauung setzte er eine Güterfrage, und selbst dies ganze traurige Mein und Dein des Kapitalproblems sollte mit geschäftlichen Mitteln der Wirtschafts- und Staatskunst gelöst werden. Mag hie und da ein unbefriedigter Denker Auswege ins Ethische, Reinmenschliche, Absolute gesucht und angedeutet haben: diese Gewalten wurden niemals als die Sonnenzentren der Bewegung verehrt, sondern allenfalls als matte Seitenlichter ästhetisch geduldet; im Mittelpunkt der Bühne saß der entgötterte Materialismus, und seine Macht war nicht Liebe, sondern Disziplin, seine Verkündung nicht Ideal, sondern Nützlichkeit.
Aus der Verneinung entsteht Partei, nicht Weltbewegung. Der Weltbewegung aber schreitet Prophetensinn und Prophetenwort voran, nicht Programmatik. Das Prophetenwort ist ein einiges, ideales Wort; mag es Gott, Glaube, Vaterland, Freiheit, Menschentum, Seele heißen: Besitz und Besitzverteilung sind ihm schattenhafte Nebendinge; selbst Leben und Tod, Menschenglück, Elend, Not, Krankheit und Krieg sind ihm nicht letzte Ziele und Gefahren.
Niemals hat Sozialismus die Herzen der Menschheit entflammt, und keine große und glückliche Tat ist jemals in seinem Namen geschehen; er hat Interesse erweckt und Furcht geschaffen; aber Interessen und Furcht beherrschen den Tag, nicht die Epoche. Im Fanatismus einer
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düsteren Wissenschaftlichkeit, im furchtbaren Fanatismus des Verstandes, hat er sich abgeschlossen, zur Partei geballt, im unfaßbaren Irrtum, daß irgendeine einseitig losgelöste Kraft endgültig wirken könne. Doch der Dampfhammer vernichtet nicht den Eisenblock, sondern verdichtet ihn; wer die Welt umgestalten will, darf sie nicht von außen pressen, er muß sie von innen fassen. Erschließbar ist sie durch das Wort, das in jedem Herzen, wenn auch noch so schüchtern, widerklingt und es wandeln hilft; das blinde Pochen einer Partei von Interessenten täubt und verschließt die Ohren.
Nimmt man alles in allem, in größten Zügen, die rein politische Wirkung der sozialistischen Bewegung im Laufe dreier Geschlechter: so besteht, abgesehen von geschäftlich-organisatorischen Wirksamkeiten die Summe ihres Waltens in der mächtigsten Steigerung des reaktionären Geistes, in der Zertrümmerung des liberalen Gedankens und in der Entwertung des Freiheits- gefühls. Indem der Sozialismus die Aufgabe der Völkerbefreiung zu einer Frage um Geld und Gut machte und unter diesem Banner die Massen gewann, wurde die Idee gebrochen; aus Unabhängigkeitsdrang wurde Begehrlichkeit; mancher innerlich Gebildete wandte sich ab, das Bürgertum erzitterte, die besitzende Reaktion sah sich durch Zulauf und bequeme Maßregeln doppelt gestärkt und lächelte über den armen Teufel der Masse, der Böses wollte, Gutes schuf, der Thron und Altar festigte, indem er Republik und Kommunismus anpries. Innerlich Interessentenvereinigung, äußerlich Beamtenhierarchie, verfiel der Sozialismus, der Weltbewegung werden sollte, dem Abstieg zur Partei, dem Wahn der Zahl, der populären Einheitsformel; im Gegensatz zu jeder echten Epoche verlor er an Wirksamkeit, je stärker er wuchs.
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Aus der Trägheit des Gewissens, die der Widerstand gegen traurige Nützlichkeitsparadiese, gegen Schalter- und Markenideale, gegen nüchterne Schausprüche und invektive Drohungen im Herzen Europas hinterlassen hat, aus dieser Trägheit müssen wir uns losreißen. Empfinden wir den Stachel der Würdelosigkeit, den die Knechtschaft verwandten, geliebten und göttlichen Blutes uns einprägt, so werden wir ohne Scheu eine Wegstrecke neben der Bahn des Sozialismus wandern und dennoch seine Ziele ablehnen. Wollen wir in der inneren Welt das Wachstum der Seele, so wollen wir in der sichtbaren Welt die Erlösung aus erblicher Knechtschaft. Wollen wir die Befreiung der Unfreien, so bedeutet dies nicht, daß wir irgendeine Güterverteilung an sich für wesentlich, irgendeine Abstufung der Genußrechte für wünschenswert, irgendeine Nützlichkeitsformel für entscheidend halten. Es handelt sich weder darum, die Ungleichheiten des menschlichen Schicksals und Anspruchs auszugleichen, noch alle Menschen unabhängig oder wohlhabend oder gleichberechtigt oder glücklich zu machen; es handelt sich darum, an die Stelle einer blinden und unüberwindlichen Institution die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung zu setzen, dem Menschen die Freiheit nicht aufzuzwingen, sondern ihm den Weg zur Freiheit zu öffnen. Welche menschlichen und sittlichen Opfer dies fordert, ist gleichgültig, denn es wird nicht Nützlichkeit und Vor- teil erstrebt, sondern göttliches Gesetz. Würde durch dieses Gesetz die Summe des äußeren Glücks auf Erden vermindert, so verschlüge es nichts. Würde der Weg der äußeren Zivilisation und Kultur verlangsamt, so wäre das nebensächlich. Wir werden ohne Leidenschaft erwägen, ob diese Nachteile eintreten; wenn es nicht
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geschieht, so ist das keine Anpreisung oder Ermunterung für unsern Gang. Denn der bedarf keiner Überredung und keiner Versprechung; im Sichtbaren will ihn die Würde und Gerechtigkeit unsres Daseins und die Liebe zum Menschen, im Jenseitigen will ihn das Gesetz der Seele.
Wenn von nun an diese Schrift sich eine Zeitlang mit den Dingen des Tages befaßt und dennoch nicht den tastenden, beweisenden und überredenden Schritt beibehält, den der Praktiker gewohnt ist und sachlich nennt, so sei diese Unterscheidung bemerkt: Wir haben tausendfach Schriften, die das letzte Zehntel einer verbreiteten Überzeugung sicherstellen und unwiderleglich machen, bis die nächste Überzeugung kommt und die alte vernichtet, und wir haben solche, die aus gegebenen Voraussetzungen die brauchbarsten Folgen ziehen. Leider fehlt beiden bei aller mathematischen Sicherheit der Methode die Sicherheit des Zieles, die niemals mathematisch sein kann, sondern stets intuitiv ist. Hier wird keine Sicherheit beansprucht, sondern Empfindung und Wertung denkende erörtert; denn diese Schrift ist nicht praktisch erwägend, sondern zielsetzend. Entspricht dies Ziel im kleinsten dem Empfindungswege des objektiven Geistes, so wird das Maßwerk der Wirklichkeiten ohne unser Zutun zu den Bögen des Gedankens emporwachsen.
Das Ziel aber, zu dem wir streben, heißt menschliche Freiheit.
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DER WEG
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I. DER WEG DER WIRTSCHAFT
Die geschichtliche Betrachtungsweise hat ein Jahrhundert lang unserm Denken gedient; jetzt artet sie aus und wird schädlich, zumal wenn sie auf Einrichtungen angewandt wird.
Schöpfungen der Natur wandeln sich, indem sie ihren Sinn und Zweck behalten oder nur sehr langsam ändern; Einrichtungen bleiben im Namen und wesentlichen Attributen sich selbst gleich und vertauschen ihren Inhalt, ja selbst ihren Daseinsgrund; in der veralteten Schale schlägt ein neues Geschöpf seine Wohnung auf. Diese Erscheinung möge der Kürze halber die Substitution des Grundes genannt werden.
Sie rührt daher, daß die Zahl der Einrichtungsformen begrenzt ist, daß die Trägheit und Ökonomik des Geistes sich gern vorhandener Formeln bedient und daß die Stetigkeit des zeitlichen Fortschreitens den Augenblick schwer erkennen läßt, in welchem die Wahl eines neuen Begriffs und Namens, das Abstreifen abgestorbener Organismen und das Einsetzen neuer Betrachtungsweisen am Platze wäre.
Anziehend und anregend bleibt die geschichtliche Betrachtung in jedem Falle, sie kann manche Benennung, manche Zutat erklären, Spielarten dartun, funktionelle
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Bewegungen und Wandelbarkeiten ins Licht setzen; doch führt sie zum gefährlichen Irrtum, wenn sie sich unterfängt, den gegenwärtigen, lebenden und wirkenden Organismus auszudeuten oder fortzubilden. Es mag interessant sein, daß das Pontifikat in irgendeiner Weise vom Brückenbau ausgeht; aber es wäre bedenklich, grundsätzliche Schlüsse vom Ingenieurwesen auf kirchliche Einrichtungen zu ziehen; es ist lehrreich, eine Entwicklungsreihe von den attischen Dionysien bis zur französischen Unterhaltungskomödie zu leiten, doch wäre es keinem Vergnügungsindustriellen zu raten, bei der Beurteilung seiner Zugstücke archäologischen Erwägungen nachzugehen. Man verspottet die Meinung der französischen Aufklärung vom Staat als einem Gegenseitigkeitsvertrage und hält ihr prähistorische Ableitungen entgegen; und doch liegt im Wesen eines auf Kräftegleichgewicht beruhenden Organismus mehr von vertragsähnlicher Wechselbeziehung als von totemistischen oder patriarchalischen Funktionen; vor allem gehen die Umwandlungsbewegungen in sehr ähnlichen Formen vor sich wie Umgestaltungen vertraglicher Verhältnisse. Nirgends ist so fühlbar die Substitution des Grundes am Werke gewesen wie beim Wesen des Staates; daher die Unfruchtbarkeit der Bemühung, eine geschichtlich umfassende Definition dieses Organismus zu finden, der bei scheinbarer Stetigkeit sich in jedem Menschenalter unter bleibendem Namen neu erzeugt und nur unter der metaphysischen Form, als Willensseite des kollektiven Geistes, kontinuierlich angeschaut werden kann; eine Anschauung, die zeitlos und ohne fortgestaltende Anwendung bleibt.
Aus falscher Anwendung geschichtlicher Betrachtung folgt falsche Einschätzung des „geschichtlich Gewordenen“ als eines absoluten Wertes; der Tradition als
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einer positiven Kraft. Der Wert des geschichtlich Gewordenen liegt darin, daß es ein geschichtlich Vergängliches und Vergehendes ist; es entstand als revolutionäre Neuerung, es vergeht als überholte Veraltung, und es hält sich, solange es einigermaßen brauchbar und erträglich ist. Der Wert der Tradition liegt in der Verlangsamung der Bewegung, die hierdurch an Stetigkeit gewinnt; der weniger emphatische Name des Trägheitsmomentes verdeutlicht diese Kraft, die durchaus eine negative ist, und die bei hoher praktischer Bedeutung niemals den Wert einer erkenntnismäßigen Widerlegung haben darf. Sie besaß diesen Wert vormals gegenüber religiöser und philosophischer Überzeugung, sie beansprucht ihn noch heute gegenüber sozialer und politischer Erkenntnis. Muß dieser theoretische Wert verneint werden, so dürfen wir neben dem praktischen Wert der Verzögerung den ästhetischen Wert anerkennen, der sich in Formeln, Trachten, Zeremonien und Feiern ausdrückt, Stolz, Farbe und Haltung dem Alltag spendend, der mit gerechtem Selbstbewußtsein sich gern an eine ehrenvolle Herkunft erinnert. Doch muß die ästhetische Seite der Tradition bleiben, was sie lebenskräftigen Nationen ist: Schaustück, nicht Wesen. Es ist festlich anmutend, wenn der König von Preußen zuzeiten als Kurfürst von Brandenburg auftritt; es wäre nicht ersprießlich, wenn hieraus ein politisches Vorrecht der heutigen Provinz Brandenburg gegenüber Schlesien oder dem Rheinlande gefolgert würde.
Diese Vorbemerkung war im Dienst der Arbeitsmethode und zur Erläuterung der Substitution des Grundes vorauszuschicken.
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Die alte Schichtung des Feudalismus rechtfertigte sich praktisch durch die Bereitschaft der Waffen, durch menschliche Überlegenheit, durch Organisation und Okkupationsbesitz der Landeseroberer; sie rechtfertigte sich teleologisch durch Verwaltung und Verteidigungsschutz, beruhend auf erblichen Eigenschaften. Diese Erblichkeit lag in der Erziehung zum Waffenhandwerk und zur kriegerischen Gesinnung, in der Züchtung geeigneter Körperlichkeit und Geistigkeit, in der Heranziehung religiöser Weihe, im Ausschluß der Blutmischung und in der zwangsweisen Herabdrückung und Verfriedlichung der Unterworfenen.
Die siedlerische Ausfüllung der Länder, die zunehmende Intensität der Wirtschaft hinderte die Oberschicht, sich fortschreitend mit der Unterschicht auszudehnen. Jüngere Söhne konnten nicht genügend ausgestattet werden und verfielen der Kirche oder der Auswanderung, Besitztümer zerbröckelten und verschmolzen, kirchliche und Territorialherrschaften wuchsen empor, städtisches Bürgertum drängte sich ein, und die beharrende Oberschicht blieb nicht länger imstande, die quellende Unterschicht zu decken. Im höchsten Augenblick, als auch der Waffendienst auf die Unterschicht erstreckt werden mußte, brach das letzte Recht der feudalen Organisation zusammen.
Schon hatte die neue erbliche Schichtung den Volkskörper durchspalten, die Schichtung des Besitzes.
Von landesherrlichem und kirchlichem Besitz, von Kolonien, Monopolen, Bergrechten und Wuchergeschäften hergeleitet, waren Kapitalmengen herangewachsen; die Mechanisierung der Gewerbe, der Technik, des Verkehrs, des Denkens und Forschens hatte das Leben ergriffen, die Weltbewegung orientierte sich in der Richtung
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des Kapitalgefälles. Die Erblichkeit der Kapitalmacht war überkommen aus der Erblichkeit des Standes, des Bodens und der beweglichen Güter; ihre Berechtigung wurde nicht angezweifelt und somit nicht begründet.
Eine gewisse innere Rechtfertigung hätte sich zur Not anfänglich geboten: das Kapital trat überwiegend auf in der Form des Unternehmens. Das Unternehmen aber überlebt Geschlechter und verlangt daher eine ununterbrochene Reihe vorbereiteter Leiter und Herren, wie die Erbfolge sie bot und wie sie aus der Landwirtschaft geläufig war. Insbesondere war die allgemeine Schulung und Erziehung unzulänglich; das Haus des Besitzers konnte an geistiger und erfahrungsmäßiger Erziehung mehr leisten als die Allgemeinheit; und somit verblieb ein gemehrter Schutz für die Zusammenhaltung der Mittel, die nur in ihrer Ansammlung wirken konnten.
Drei Umstände hätten die erbliche kapitalistische Schichtung erschüttern müssen: Die Volksschule, wenn sie den Erziehungsvorsprung vernichtete, die Einrichtung der Kapitalassoziation, indem sie das Unternehmen unpersönlich stellte und von der Notwendigkeit erblicher Leitung befreite, die politisch-militärische Emanzipation, indem sie Verwaltungserfahrungen verbreitete und den Sehkreis erweiterte.
Daß diese Umstände nicht zur Wirkung kamen, liegt am rasch gewaltsamen Aufstieg der Kapitalmacht, die durch Anknüpfung an die noch vorhandenen Territorial- und Feudalmächte, durch Verzweigung der Beziehungen und Interessen, durch Erziehung und Lebensweise, durch publizistischen Einfluß und politische Unentbehrlichkeit zur Klasse zusammenschmolz und geschlossen ihr Recht verteidigte, das sie nicht durch
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Vernunft, sondern durch Gegeninteressen angetastet glaubte.
Durch die neue Schichtung wurden die Reste der alten nicht zerstört, sondern verstärkt, und zwar so: Die Schicht des Besitzes konnte, da sie nicht von außen kam, sondern von unten aufstieg, keine eigenen Lebensformen schaffen; sie mußte sie von ihren Vorgängern entlehnen, ward Schuldnerin und somit unterlegen. Zum zweiten blieben die Dynastien der Feudalschicht zugetan, die ihnen länger vertraut war, Regierungs- und Kriegserfahrung besaß, bodenständig und unveränderlich blieb, bereitwillig die Bedingungen ihres materiellen Daseins der Krone anheimstellte und somit im Sinne der unmittelbaren monarchischen Ansprüche zuverlässiger erschien. Zum dritten schlossen die beiderseitigen herrschenden Schichten Zugehörigkeit nicht aus; reicher Adel besaß doppelten Vorteil und machte ihn mit Vorbedacht mehr zugunsten der Kaste als der Klasse geltend.
So schillert die europäische Gesellschaft in der seltsamen Doppelbrechung zweier Achsen; die noch immer wesentliche feudale Schichtung durchsetzt sich mit der auffälligeren kapitalistischen, beide bleiben erblich und stimmen darin überein, daß sie einen leidenden Gegenzustand schaffen, der auf der kapitalistischen Seite zum unentrinnbaren Massenschicksal geworden ist.
Haben wir dieses Schicksal in seiner starren Vorbestimmung als unvereinbar mit der Forderung seelischen Lebens erkannt, so wird nun deutlich, daß eine künftige Ordnung, mag sie immerhin in sich abgestuft, geschichtet, differenziert sein, die Eigenschaft der erblichen Beständigkeit nicht mehr haben kann.
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Wie auch immer ihr richtendes Grundgesetz gestaltet sein mag, auf Zwang und Gewalt wird es nicht beruhen können; es wird den Ausgleich des Gesamtwillens und des Einzelwillens in sich tragen, jedoch auf sittlicher Grundlage, es wird der Selbstbestimmung, der Verantwortung und der seelischen Entfaltung Raum lassen.
So erscheint uns die Forderung der Wiedergeburt nicht mehr allein unter dem Anblick der Befreiung eines Standes, sondern schlechthin in der Fassung der Versittlichung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ordnung unter dem Gesetz persönlicher Verantwortung.
Den Weg der Entwicklung finden wir, indem wir von der Verneinung des Unrechts uns leiten lassen: Die Entfremdung der Stände, beruhend auf Überspannung wirtschaftlicher Gegensätze, die Macht des zufälligen oder unsittlichen Erfolges, der Alleinbesitz der Bildung schaffen die unterdrückenden Mächte, die Erblichkeit verewigt sie. Unser Weg ist der rechte, wenn er zur Vernichtung der feindlichen Kräfte und dennoch zur Erhaltung menschlicher Ordnung, kultureller Gestaltung und seelischer Freiheit führt.
Die naivste Form des Heilungsdranges ist die Forderung der unmittelbaren Stillung. Der Baum verlangt unmittelbar Licht, Raum, Luft, Wasser, Erde; er nimmt, was er braucht, der Nachbar verkümmert, das Erdreich versauert, der Wald kämpft gegen Moor und Heide, solange es geht, dann stirbt er, und mit ihm der glücklichste Baum.
Forstmann und Erzieher, Arzt und Staatsmann haben längst den Weg der unmittelbaren Stillung verlassen. Der Arzt wird erkaltende Glieder nicht durch warme Umhüllung, der Staatsmann wird trunksüchtigen Durst
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nicht durch vermehrte Brauereien zu heilen suchen; ein jeder überblickt das Lebensgebiet des zu schützenden Organismus, beginnt nicht beim Symptom, sondern beim Krankheitskern, ermißt die Gesamtheit der Lebenskräfte und verteilt sie nach bedachtem Plan auf alle Organe, fördernd und hemmend, stärkend und schwächend.
Der Sozialismus, die Lehre, die ihre Wissenschaftlichkeit über alles stellt und sie dennoch beständig verleugnen muß, um populär zu bleiben, ist über den Weg der unmittelbaren Stillung nie hinausgekommen.
Ihr ergibt sich die volkstümliche Schlußkette:
Was ist das Ziel? — Erhöhter Arbeitslohn. — Was schmälert den Lohn? — Die Kapitalrente. — Wie erhöht man den Lohn? — Indem man die Rente unter- drückt. — Wie unterdrückt man sie?
Nun wäre es folgerichtig, zu antworten: Indem man das Kapital aufteilt. Es ist jedoch wissenschaftlicher zu sagen: Indem man das Kapital verstaatlicht.
Die eine Antwort ist so falsch wie die andre. Beide verkennen das Gesetz des Kapitals in seiner gegenwärtig entscheidenden Hauptfunktion: nämlich als desjenigen Organismus, der den Weltstrom der Arbeit nach den Stellen des dringendsten Bedarfs lenkt.
Erinnern wir uns hier des Satzes von der Substitution des Grundes: Es ist nicht entscheidend, aus welchen Ursachen und Bedürfnissen ein Organismus geschaffen wurde; entscheidend ist, welchen Notwendigkeiten er in Wirklichkeit und Gegenwart dient.
Angenommen die soziale Revolution sei vollzogen. In Chicago sitzt der diesjährige Weltpräsident, der über allen Einzelrepubliken thront und mit seinen Organen alle internationalen Angelegenheiten ordnet. Er verfügt in letzter Instanz über das Kapital der Erde.
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Heute legen seinem Unternehmungsdepartement neben 700 000 törichten Anträgen drei ernste vor: Eine Bahn durch Tibet, ein Petroleumwerk in Feuerland, eine Bewässerung in Ostafrika. Politisch und technisch sind alle drei Pläne einwandfrei, wirtschaftlich anscheinend gleich wünschenswert; im Hinblick auf die verfügbaren Mittel kann indessen nur einer ausgeführt wer- den. Aber welcher?
Nun liegen nach alter Sitte aus kapitalistischer Zeit drei geprüfte Rentabilitätsrechnungen vor: "Tibet würde sich mit 5%, Feuerland mit 7%, Ostafrika mit 14% verzinsen. Es hat sich so viel von den Gewohnheiten der alten kapitalistischen Epoche erhalten, daß das Departement unter Zustimmung des Präsidenten sich für die Ausführung der ostafrikanischen Bewässerung entschließt.
Nunmehr könnte man freilich die Rentabilitätsrechnungen einstampfen, Arbeitsmittel im Werte einer Milliarde nach Ostafrika beordern und von jeder weiteren Verrechnung absehen. Das Errechnen von Erträgen bliebe ein altes Schulexempel, lediglich zur Ermittlung des Bedürfnisgrades, ohne materielle Folgen. Leider erheben sechs Staaten Einspruch.
Sie erklären: Die Bevorzugung kommt den Einwohnern von Ostafrika zugute, die durch vermehrte Einwanderung, Verbesserung der Lebensverhältnisse, des Klimas und was sonst noch, allein profitieren; Portugal wartet längst auf dieses, Japan auf jenes, nun wird der Weltsäckel, zu dessen Füllung alle beigetragen haben, zugunsten des einen ausgeschüttet. Die Entscheidung: „künftig hat jeder Landstrich für sich selbst zu sorgen“ kann der Präsident nicht geben, denn fünfzig Jahre lang sind aus Mangel an Universalmitteln wichtige Arbeiten
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unterblieben. So bleibt ihm nichts weiter übrig als zu erklären: Der Plan wird ausgeführt; doch die ostafrikanische Gesamtwirtschaft hat einen jährlichen Mehrertrag von soundso viel an den Weltsäckel abzuführen. Die Rente ist auferstanden.
In einer deutschen Industriestadt soll eine alte Staatsfabrik abgerissen werden; sie ist veraltet und unbrauchbar. Ein geschickter Werkmeister erbietet sich, sie mit geringen Kosten für einen neuen Zweck herzurichten; einen Beweis der Rentabilität kann er nicht bringen, will aber gern das Risiko tragen. Die Provinzialpräfektur lehnt das Experiment ab. Die Ortsbehörde will nicht verzichten; überdies hat der Antragsteller hundert silberne Uhren seiner Freunde und fünf Pianinos als Sicherheit angeboten. Man erfährt, daß ungezählte Ortsbehörden ähnliches getan haben, man überträgt dem Unternehmer die Arbeit; die Fabrik ist verpachtet; abermals ist die Rente hergestellt.
Niemals wird, abgesehen von Fällen ideeller Begründung, die geeignete Verwendung des Kapitals anders gesichert sein als durch die Ermittlung der auskömmlichsten Rente; niemals wird das Risiko der Beurteilung und die einseitige Kapitalsentziehung anders zu decken sein als dadurch, daß diese Rente wirklich erhoben wird und nicht bloß auf dem Papier steht.
Würde heute alles Kapital der Welt verstaatlicht, so wäre es morgen an ungezählte Pächter und übermorgen an ungezählte Eigentümer aufgeteilt. Die Notwendigkeit der Rente ist gegeben durch die Notwendigkeit der Selektion der Anlage. Sie ist der Ausdruck des schreiendsten und meistbietenden Anlagebedürfnisses.
Ihre Unentbehrlichkeit ergibt sich jedoch noch aus einer unabhängigeren und umfassenderen Betrachtung.
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Überblickt man das ganze Gebiet eines nationalen Industriewesens, etwa des deutschen, hinsichtlich seiner Kapitalbewegung, so ergibt sich die überraschende Tatsache: Trotz hoher Blüte und Rentabilität zahlt dieser gewaltige Komplex in seiner Gesamtheit nichts heraus, sondern zieht Mittel ein; die Kapitalerhöhung und Schuldenvermehrung übersteigt die Rentenzahlung. Die Industrie arbeitet nur am Wachstum ihres eigenen Körpers; sie gibt nichts her; selbst die andern Wirtschaftsgebiete müssen ihre Ersparnisse beisteuern, um sie zu erhalten.
Auf den ersten Blick überraschend, und doch ganz einleuchtend: Denn was geschieht mit den Ersparnissen der Welt? Soweit sie nicht Kultureinrichtungen schaffen, dienen sie den Produktionseinrichtungen; eiserne Bestände und goldne Schätze sammeln in mäßigem Umfang die Staaten; der Rest geht auf in wirtschaftlicher Anlage, und mit ihm wachsen die Bestände der papiernen Abbilder, der gedruckten Umlaufsformulare. Diese Vermehrung der werbenden Anlagen aber muß andauern, solange die Bevölkerungen sich vermehren und solange der einzelne an käuflichen Erzeugnissen weniger besitzt als er sich wünscht.
Entsprechend wächst die Weltinvestition. Sie wächst um genau soviel jährlich, als nach Deckung des Verbrauchs, des Kultur- und Verteidigungsaufwandes an Arbeitseinkommen und Renteneinkommen erspart wird. Die Ersparnis am Arbeitseinkommen ist verhältnismäßig gering; es ist zweifelhaft, ob sie im Verhältnis zum Arbeitseinkommen wächst, solange der durchschnittliche Verbrauchswille ungesättigt ist. Die jährliche Weltinvestition besteht somit im wesentlichen aus Kapitalrente nach Abzug des verzehrenden Verbrauches der
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Kapitalsbesitzer. Dieser Verzehr hängt ab von einer Reihe von Faktoren, die mit der Höhe der Gesamtrente durchaus nichts zu tun haben: von der Verteilung der Rentenabschnitte, von den durchschnittlichen Ansprüchen der Lebensführung, von sittlichen Werten. Wäre alles Weltkapital im Besitze eines einzelnen und verschwände somit der Verzehr zu minimem Verhältnis, so könnte ohne Lebensgefahr der Wirtschaft, und somit tatsächlich, die Rente und mit ihr der Durchschnittszinssatz der Welt niemals geringer sein, als dem Aufwand entspricht, dessen die Weltwirtschaft für Ergänzung und Erweiterung ihrer Anlagen bedarf.
Die Rente ist somit dem Grunde und dem Umfang nach bestimmt durch den Bedarf der Weltinvestition; sie ist die Zwangsrücklage der Welt zum Zwecke der Aufrechterhaltung ihrer Wirtschaft; sie ist eine Produktionssteuer, die erhoben wird an jedem Punkte der Gütererzeugung, und zwar an erster Stelle; sie ist unvermeidlich, auch wenn alle Produktionsmittel in einer Hand liegen, gleichviel ob eines einzelnen, eines Staates oder einer Staatengemeinschaft; sie läßt sich lediglich vermindern um den Verzehr der Kapitalbesitzer.
Somit hat die Verstaatlichung der Produktionsmittel keinen wirtschaftlichen Sinn; umgekehrt bringt die Vereinigung des Kapitals in wenigen Händen an sich keine andere wirtschaftliche Gefahr, als die der Willkür in Verbrauch und Investitionsform; da aber die letztere unter dem Bilde der Konkurrenz der Renten sich einwandfrei bewährt hat, so hätte die rein wirtschaftliche Sorge gerechter Aufteilung sich auf den Verbrauch zu beschränken. Die Rente an sich ist unabweislich zur Deckung der jährlichen Weltinvestition; entscheidend ist auch nicht die Frage, wer sie bezieht — sofern sie
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nur schließlich ihrem Investitionszweck zugeführt wird — sondern die Frage, ob und wieweit der Beziehende das Recht hat, ihren Ertrag zu Lasten der Gemeinschaft für unersprießlichen Aufwand zu verwenden oder für Genuß zu vergeuden. Wirtschaftspolitik wird Verbrauchspolitik.
Die gerechte Sorge hat sich indessen weiter zu erstrecken; zunächst auf die Machtfrage. Wäre alles Kapital in den Händen eines vernünftigen Menschen, so wäre sein relativer Selbstverbrauch sehr gering; alle ersparte Rente flösse in verständiger Auswahl den Unternehmungen zu, um ihre Leistung zu steigern, und insofern wäre dieser Mensch ein nützlicher Verwalter der Weltwirtschaft. In einem andern Sinne wäre er es nicht. Denn von seiner Gunst hinge alles Menschlich-wirtschaftliche, alles Politische, zuletzt sogar alles Kulturelle ab. Auf seinen Wink würde dieser erhöht, jener erniedrigt, diese Landschaft bevorzugt, jene verwüstet; an seine Abmachungen könnte er jede Gegenleistung binden, die Freiheit der Welt wäre zerstört: denn Besitz in seiner heutigen Form ist Macht.
Eine weitere Frage schließt sich an: die des ungerechten Anspruchs. Gelänge es auch, durch Beschränkung des übermäßigen Verbrauchs die Rente zu verkleinern, so wäre noch immer keine Gewähr gegeben, daß der Anteil der unteren Stände am Weltbesitz sich erhöhte. Monopole, Risikogewinne, Schwindel können sich einschieben, Rentner und Erben können sich von der Gemeinschaft leistungslos ernähren lassen; ein Drohnenstaat entsteht im Staate.
Scheidet das sozialistische Mittel der Kapitalsverstaatlichung aus, weil es undurchführbar und wirkungslos ist, so erhebt sich mithin die unlösbar scheinende Antinomie:
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Vermögensansammlung verringert den relativen Verbrauch und somit die Rente, gefährdet jedoch das Machtgleichgewicht; Vermögensaufteilung vermindert die Machtansammlung, steigert aber den Verbrauch und verringert die Leistungsfähigkeit der Rente. Zu beiden Alternativen tritt die Gefahr des ungerechten Anspruchs.
Das Bild eines ähnlichen Zwiespalts bietet uns die Natur der Erde in ihrem großen Werke der Bewässerung. Ein ausschließliches System gewaltiger Ströme würde die Wassermassen verlustlos zusammenhalten, jedoch, unbändig in der Handhabung, die Flächen verdorren lassen; ein enges Netz von Quellen und Bächen läßt zwar viel versickern und verdunsten, tränkt jedoch Wiesen und Gründe und widerstrebt nicht der Lenkung; die Natur fügt indessen diesen Systemen ein drittes hinzu: Sie hält durch Verdampfung die Wassermengen in schwebender Bewegung; beständig müssen die Vesten und die Behälter der Meere die Atmosphäre mit Strömen beladen, die gewaltiger sind als die sichtbaren Ströme der Erde und die in unermüdlicher Verteilung den tragenden Boden benetzen.
Hier, wo befruchtende Teilung des Weltbesitzes zur Aufgabe gestellt ist, gilt es, die dritte Kraft zu finden, die eine neue Beweglichkeit schafft, die senkrecht zu der Ebene starrer Zwangsläufigkeit das Auf- und Niedersteigen der Massen bewirkt, vom Überfluß schöpft und dem Mangel zuteilt und in den Kreislauf den Behälter des Staates einschaltet, der nicht wie jetzt ein ausgedörrter Boden der Überschuldung, sondern ein lebenspendender Grund der Fülle und des Überflusses sein soll.
Genug der Gleichnisse! Wir wissen, daß nicht eine einmalige mechanische Handhabung des Weltvermögens die sittliche und gerechte Regelung des Besitzwesens herbeiführt;
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wir werden unsre Vorstellungen vom Eigentum, vom Verbrauch und vom Anspruch zu prüfen haben, um zu erkennen, welch bleibendes Recht, welch überaltetes Erbe von Schuld und Irrtum in diesen Begriffen ruht, und um zu ermessen, welchen Weg die vernünftige und unbeirrbare Realität einschlagen wird, um uns auch auf der Bahn des Materiellen dem Ziele zu nähern, das diesseits Sittlichkeit, jenseits Seele genannt wird.
Eigentum, Verbrauch und Anspruch sind nicht Privatsache.
Solange die Welt weit war und die Besiedlung spärlich, die Wirtschaftsgebiete getrennt und jedes in sich geschlossen, konnte Jeder der Natur abgewinnen, was er wollte, an pflanzlicher, tierischer, menschlicher Beute; nach Belieben sie verwenden, tauschen, dienstbar machen, vernichten. Heute ist die Erde ein dicht besiedelter, kunstvoll gegliederter Bau, von zahllosen sichtbaren und unsichtbaren Adern, Nerven, Scheidewänden und Behältnissen durchsetzt, von zahllosen lebenden und leblosen Kräften gepflegt, geschützt, bewacht, geordnet; jeder Schritt bedingt Rechte, fordert Pflichten, macht Kosten, bringt Gefahren, berührt fremde Rechte, fremdes Eigentum, fremde Lebenssphäre. Jeder bedarf des gemeinsamen Schutzes, der gemeinsamen Einrichtungen, die er nicht geschaffen, des Korns, das er nicht gesät, des Leinens, das er nicht gesponnen hat. Das Dach, unter dem er schläft, die Straße, die er betritt, das Werkzeug, das er hebt, dies alles ist von der Gesamtheit geschaffen, und er hat nur den Teil daran, den Übereinkunft und Herkommen ihm zuweist. Selbst die Luft, die er atmet, ist nicht frei; sie ist geschützt und reingehalten von Ausdünstungen und Dämpfen, von Krankheitskeimen und Giften.
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Überblickt man diese Unendlichkeit der Bindung, der Verschuldung und Verpflichtung, so bleibt kaum begreiflich das Maß der wirtschaftlichen Freiheit, das dem Einzelnen belassen wird. Er kann für die Gemeinschaft, der er alles schuldet, arbeiten soviel oder sowenig er will, er kann diese Arbeit frei wählen, so nützlich oder überflüssig sie sein mag, er kann das, was als Eigentum ihm zugestanden ist, mißbrauchen, verderben, vernichten; er kann von der Gemeinschaft die Garantie seines Besitzes, ja selbst die Fürsorge für die Maßnahmen seines erstorbenen Willens verlangen.
Eine kommende Zeit wird schwer begreifen, daß der Wille eines Toten die Lebenden band; daß ein Mensch befugt war, Meilen irdischen Landes abzusperren; daß er ohne staatliche Genehmigung Äcker brachlegen, Bauten vernichten oder aufführen, Landschaften verstümmeln, Kunstwerke beseitigen oder schänden konnte, daß er sich berechtigt hielt, jeden beliebigen Teil des Gesamtvermögens durch geeignete Geschäfte an sich zu bringen und, sofern er einige Abgaben zahlte, nach Gutdünken zu verwenden, jegliche Zahl von Menschen zu beliebiger Arbeitsleistung in seine Dienste zu nehmen, sofern seine Kontrakte nicht widergesetzliche Bestimmungen enthielten, jegliche Geschäftsform zu praktizieren, sofern sie nicht staatliches Monopol oder im Gesetzbuch als Schwindel erklärt war, jeden noch so unsinnigen Aufwand zum Schaden des Gesamtvermögens zu treiben, solange er im zahlenmäßigen Verhältnis zu seinen Mitteln blieb.
In den letzten Jahrzehnten haben wir erlebt, wie das Bürgertum alle Fragen jenseits einer emsigen Individualwirtschaft als brotlose Kunst und politische Spielerei auffaßte, solange nicht ein gewinn- oder verlustbringendes
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Wirtschaftsgesetz zur Erörterung stand. Jetzt, beim Beginn des zweiten Kriegsjahres, dämmert die Erkenntnis, daß alles Wirtschaftsleben auf dem Urgrund des Staates ruht, daß Staatspolitik der Geschäftlichkeit vorangeht, daß Jeder, was er besitzt und kann, Allen schuldet.
Zu lange hat im Wirtschaftlichen der Zustand gedauert, daß individuelle Betriebsamkeit, von dem rationalistischen Gedanken des eigenen Rechts und der Unbeschränkbarkeit geleitet, schrittweise und mürrisch im Gefühl erlittenen Unrechts den Forderungen der Gemeinschaft wich, so wie man einem aufdringlichen, eigentlich unbefugten Petenten nachgibt. Die Gemeinschaft hat sich zu fragen, welche Ansprüche sie im Namen höheren Rechts zu stellen hat, und der Wirtschaft gebührt, was übrigbleibt und was zur Erhaltung des Mechanismus und zur würdigen Lebensgestaltung seiner Aufseher unentbehrlich ist.
Nach dieser Befugnisprüfung wollen wir im Auge behalten, daß die Regelung des Verbrauchs den einzigen Speicher erschließt, aus dem die Fülle des verfügbaren Wirtschaftsmaterials absichtsvoll gemehrt werden kann; denn die natürliche Steigerung der erzeugten und erzeugbaren Gütermengen unterliegt nicht, wie manche glauben, dem Willen; sie ist jederzeit begrenzt durch den jeweiligen Bestand der geschaffenen Arbeitsmittel und Arbeitskräfte.
Zu Beginn unsrer Wirtschaftsepoche galt der Satz: Luxus nützt, denn er bringt Geld unter die Leute.
Das stimmt zur Not für eine beginnende Gewerbetätigkeit, die mit äußeren Mitteln angefacht werden muß. Durchgebildetes Wirtschaftsleben beruht auf planvollem Zusammenhalten aller Kräfte, und mit Recht tragen die
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Bezeichnungen der Ökonomie und des Haushalts den Beigeschmack sparsamer Abwägung.
Wenn ein Römer fünfhundert Sklaven aussandte, um einen seltenen Fisch zu fangen, wenn die Ägypterin ihre Perlen in Wein löste, so mochten sie eine Vorstellung von berechtigtem Aufwand hegen, denn die Sklaven waren während ihres Arbeitstages ernährt, die Perlenfischer für Jahre der Gefahr entschädigt. Unsre Vorstellung muß eine andre sein. Arbeitstage und -jahre, vergeudet für den Endzweck eines kurzen Glanzes oder Genusses, sind unersetzlich. Sie sind der begrenzten Arbeitsmenge der Welt entnommen, ihr Ergebnis ist dem kargen Ertrage des Planeten entzogen. An der Arbeit, die in unsichtbarer Verkettung Alle leisten, sind Alle berechtigt.
Die Arbeitsjahre, die der Herstellung einer kostbaren Nadelarbeit, eines gewobenen Schaustücks dienen, sind unwiderruflich der Bekleidung der Ärmsten entzogen, die sechsfach geschorenen Rasenflächen eines Parks hätten mit geringerem Aufwand Korn getragen, die Dampfjacht mit Kapitän und Mannschaft, Kohlen und Proviant ist dem nutzbringenden Weltverkehr auf Lebenszeit entzogen.
Wirtschaftlich betrachtet ist die Welt, in höherem Maße die Nation, eine Vereinigung Schaffender; wer Arbeit, Arbeitszeit oder Arbeitsmittel vergeudet, beraubt die Gemeinschaft. Verbrauch ist nicht Privatsache, sondern Sache der Gemeinschaft, Sache des Staates, der Sittlichkeit und Menschheit.
Hier entsteht eine Antinomie. Alles was erzeugt wird, vergeht, vergeht durch Verbrauch. Bestenfalls hat es zur Erzeugung neuer Dinge gedient, die wiederum durch
Verbrauch vergehen. Wird nun jedes Gut für den Verbrauch
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erzeugt und dient jeder Verbrauch der Lebenserhaltung und Lebenssteigerung, warum dann den einen Verbrauch als berechtigt, den andern als schädlich hin- stellen; wenn alles den gleichen Weg nimmt, so bleibt schließlich nur die Frage der Reihenfolge.
Die Reihenfolge ist es tatsächlich, und zwar die Reihenfolge des Bedarfs, die den Fluß der Begriffe vom notwendigen Verbrauch bis zum frivolen Luxus ordnet. Luxuriös ist jeder Verbrauch, solange ein ursprüngliches Bedürfnis unbefriedigt bleiben muß, das an seiner Statt hätte gestillt werden können.
Ein Lehrbuch des Luxus soll hier nicht gegeben werden, noch eine Kasuistik; daß auch der Begriff des elementaren und notwendigen Bedürfnisses ein fließender ist, wird nicht bestritten und bleibt ohne Belang. Niemand wird eine mechanisch rechnerische Abfertigung des Begriffs verlangen; wenn eine Provinz hungert, so muß nicht unbedingt der Extrazug als Verschwendung gelten, der den verantwortlichen Staatsmann in die Mitte der Notleidenden führt; verschwenderisch ist nicht die notwendige Ausschaltung des Geistarbeiters aus täglichen Reibungen und Störungen, selbst wenn diese Absonderung mit Gemeinschaftsopfern an Raum und Arbeit erkauft wird. Wohl aber ist luxuriös, was etwa eine gedankenlose Menge als Feste der Wohltätigkeit bezeichnet; genußsüchtige Aufwendung, die den Namen der Nächstenliebe mißbraucht und mit kalter Barmherzigkeit ihren Opfern den Wert geleerter Sektflaschen gutschreibt.
Unsrer Betrachtung genügt es, daß eine Reihenfolge der Bedürfnisse gesundem Ermessen faßbar ist; und somit löst sich die Antinomie des Verbrauchs.
Betrachtet man vom Stande dieser Reihenfolge die Produktion der Welt, so zeigt ein furchtbares Erschrecken
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uns den Irrsinn der Wirtschaft. Überflüssiges, Nichtiges, Schädliches, Verächtliches wird in unseren Magazinen gehäuft, unnützer Modetand, der wenige Tage lang falschen Glanz spenden soll, Mittel für Rausch, Reiz und Betäubung, widerliche Duftstoffe, haltlose und mißverstandene Nachahmungen künstlerischer und kunstgewerblicher Vorbilder, Gerätschaften, die nicht dem Gebrauch, sondern der Blendung dienen, Albernheiten, die als Scheidemünze eines erzwungenen Geschenkverkehrs umlaufen; alle diese Nichtsnutzigkeiten füllen Läden und Speicher in vierteljährlicher Erneuerung. Ihre Herstellung, ihr Transport und Verschleiß erfordert die Arbeit von Millionen Händen, fordert Rohstoffe, Kohlen, Maschinen, Fabrikanlagen und hält annähernd den dritten Teil der Weltindustrie und des Welthandels in Atem. Wer im Wirtshaus die unvergleichliche Höhe unsrer Kulturepoche gepriesen hat, der möge auf dem Heimwege in die Straßenläden blicken und sich davon überzeugen, daß unsre Kultur seltsame Begehrlichkeiten pflegt; wer eine Rasenfläche von dem läppischen Humor tönerner Gnomen, Hasen und Pilze geschändet sieht, der möge sich bei diesem Sinnbilde der mißleiteten Wirtschaft unsrer Zeit erinnern. Würde die Hälfte der verschwendeten Weltarbeit in fügliche Bahnen gewiesen, so wäre jeder Arme der zivilisierten Länder ernährt, bekleidet und behaust.
Von der unsäglichen Schuld am wirtschaftlichen Mißbrauch und von dem Anteil, der leider unsre Frauen trifft, ist später zu reden. Hier sei bedacht, daß aus der ersparten Vergeudung unsres Zeitalters die Zukunft Mittel schöpfen kann und wird, um gerechten Wohl- stand über Alle zu breiten. Uns steht die Aufgabe zu, den Mißstand zu erkennen und Abhilfe zu suchen, in
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dem Bewußtsein, daß Güterverbrauch nicht Privatsache ist, daß dieser Verbrauch aus Vorräten an Kräften und Stoffen geschöpft wird, die in begrenztem Maße zuströmen und für die wir Verantwortung tragen.
Deshalb sind auch die Methoden der Gewinnung und Verarbeitung nicht Einzelsache, sondern von öffentlichem Interesse. Der Wohlstand unsrer Zeit im großen betrachtet, gleichviel ob er aus Produktion oder Verkehr zu stammen scheint, wurzelt letzten Endes in dem edelsten Stoff unsres Planeten, der Kohle. Was Jahrhunderttausende an köstlicher Vegetation getragen, zu Balsam und Essenzen vielfältiger Zusammensetzung verdichtet und im Schoß der Erde aufgespart haben, reißt unser Geschlecht aus ihren Flanken zum unedlen Dienst wahlloser Verbrennung. Es wäre verdient, wenn dies Wirtschaftsalter dereinst nach dem Kohlenraubbau benannt würde, aus dem es seine Schätze gezogen hat. Zu spät haben wir den Wert dieses wahren Steins der Weisen erkannt und beginnen ihn zu schonen. Sache der Gesetzgebung ist es, sorgfältige Sonderung der fossilen Substanz durch Destillation und Abspaltung zu verlangen und nur die wertloseren Abgänge zur kalorischen Kraftgewinnung zuzulassen; Sache der Gesetzgebung ist es ferner, der Kraftvergeudung aus mangelhafter Einrichtung und übler Sparsamkeit und der Arbeitsverschwendung zu begegnen. Würde Kohle geehrt wie Korn und Brot, so wäre schon heute die Sorge der Gestehungskosten und mit ihr der Kampf um die Bergwerkslöhne behoben. So wie man Wirtschaftsaufsichten eingesetzt hat, um den Geboten der Sicherheit und Wohlfahrt Nachdruck zu geben, so bedarf es des gesetzlichen Schutzes der Wirtschaftsgüter gegen unwissende und raubbauende Vergeudung.
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Daß die rechnende Betrachtung des Verbrauchs den eigentlichen Kulturaufwand der Nationen nicht umfaßt, bedarf keiner Erklärung; doch ziemt es, diesen Aufwand aus dem Verbrauchsbegriffe so klar herauszuheben, daß entgegengesetzte Schlüsse sich an die Erörterung knüpfen lassen.
Wir haben die Reihenfolge der Bedürfnisse aufgestellt, um die Relativität des Luxus als Richtungsgröße hervortreten zu lassen: doch haben wir die Frage vermieden, wohin am Ende aller Verbrauch führt und wozu er dient. Glaubten wir, daß die Erhaltung und Wiedererzeugung des Lebens den Sinn der Weltarbeit und ihres Güterstromes erschöpfte, so wären Mitleid und Genußsucht die dürftigen Kräfte, die unüberzeugt und leidenschaftslos unserm Willen die Richtung ins Künftige wiesen. Unser gläubiger und heißer Wille zur Vollendung setzt voraus und beweist das Emporsteigen absoluter Werte; indem wir das Wachstum der Seelen erschauen und verkünden, bereiten wir seinen Weg durch den Aufbau der Mittelwelt, die auf Materie ruht und im Erhabenen gipfelt. Diese Welt ist bleibend; was die Menschheit an Werken der Liebe, der Kunst, des Glaubens und Denkens erahnt und erlebt hat, bleibt unverloren; der Jakobstraum verwirklicht sich als ewiges Werk der Menschheitssendung.
Der Sinn aller Erdenwirtschaft ist die Erzeugung idealer Werte. Deshalb ist das Opfer materieller Güter, das sie erfordern, nicht Verbrauchsaufwand, sondern endgültige Erfüllung der Bestimmung. Deshalb scheiden alle echten Werte der Kultur aus der ökonomischen Erwägung; sie sind inkommensurabel mit Gut und Leben; sie sind wertfrei, niemals zu teuer erkauft, es sei denn im Tausche gegen höhere Idealitäten, sie sind nicht
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Mittel und Rechnungsgrößen, sondern Wesenheiten aus eigenem Recht.
Die Umkehrung der Frage aber lautet und wird mit der Besitzverteilung zu erörtern sein: Wie kann der Zustrom irdischen Gutes zu den Opferstellen, wo Materielles sich zum Geistigen verflüchtigt, gesteigert werden.
Wir berühren hier ein Gebiet, das eigenem Zusammenhange aufgespart werden soll: Die Umstellung des ethischen Empfindens, die der neuen Anschauung der Wirtschaft voran und zur Seite schreitet. Schon hier wird ‘der Dreiklang vernehmbar: Wirtschaft ist nicht Privatsache, sondern Gemeinschaftssache, nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Absoluten, nicht Anspruch, sondern Verantwortung.
Die mechanischen Mittel, die Maßnahmen und Gesetze zu erörtern, die zur Verwirklichung der Grundgedanken in einem bestimmten Lande, also weitaus in erster Linie in Deutschland führen, wird nur da die Aufgabe dieser Schrift sein dürfen, wo es sich um neuartige Begriffe handelt, die in der Luft zu schweben scheinen, wenn nicht ihr Zusammenhang mit dem Bestehenden und Menschlichen, also ihre Realität konstruktiv bewiesen wird. Wir behalten die Aufgabe im Sinn, Ziele zu setzen; und wie etwa der Architekt die Lehre vom Gewölbebau und ihren Wert darzulegen vermag und dennoch sich versagt, Bauzeichnung zu fertigen, bevor Größe und Lage, Umgebung und Baumittel gegeben vorliegen, so haben wir uns auf den Hinweis zu beschränken, daß erkannte und vereinbarte Ziele auf unendlich vielen, der Praxis hinlänglich bekannten Wegen erreichbar sind, deren Auswahl den Zeitumständen und den mechanischen Gegebenheiten überlassen werden kann. Hier jedoch handelt es sich darum, einen verkannten
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Baustoff dem Schutt des Vorurteils zu entreißen und grundsätzlich für die Errichtung künftiger Wirtschaftsstrukturen zu sichern: Auf den Begriff der Luxusgesetzgebung haben wir den Blick zu richten.
Der Aufwandsbesteuerung und den Luxuszöllen haftet die gemeinplätzliche Marke an, daß ihre Erträge enttäuschen, weil sie den Verbrauch einschränken. So scheinen sie wirkungslos, wenn man sie von der finanziellen Seite betrachtet und somit die Nebenwirkung als Hauptsache, die Hauptwirkung als schädliche Nebensache faßt. Kehrt man die Frage um, so daß die Aufgabe der Einschränkung unnützen Verbrauchs gestellt wird, so ist die Antwort der Wirksamkeit bereits gegeben. Bedenkt man, daß jede eingeführte Perlenschnur dem Meliorationsaufwand eines Gutsbesitzes entspricht oder uns für den Ertrag eines reichen Bauernhofes dem Ausland zinsbar macht, daß jedes Tausend aus Frankreich bezogener Champagnerflaschen die Kosten der Ausbildung eines Gelehrten oder Technikers verschlingt, dass der Aufwand unsrer Einfuhr an Seide, Putzfedern, Duftstoffen und allerhand Kram ausreichen würde, um alle Not und Entbehrung im Lande zu stillen, daß unser spezifischer Mehr- verbrauch an Spirituosen im Vergleiche mit Amerika den Lasten unsrer Kriegsanleihen gleichkommt: Bedenkt man dies und hundert Beispiele ähnlicher Art, so wird es schwer zu begreifen, daß die Gesellschaft jede Vergeudung nationalen Gutes sich gefallen läßt, ohne durch das legitime Mittel der Steuern und Zölle entscheidend einzugreifen. Noch immer spukt die Vorstellung, Luxus bringe Geld unter die Leute, Verbrauch sei Privatsache, Menschen würden arbeitslos, wenn man sie aus zerstörenden Berufen in schaffende Berufe hinüberführt.
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Man hält die Besteuerung der Einkommen bei uns für etwas Selbstverständliches, man ist geneigt, sie mit einer leichten sittlichen Empfindung zu verbinden, etwa dahingehend, daß, wer viel bekomme, auch leicht etwas abgeben könne. In diesem Sinne folgert man naturgemäß weiter, daß, was einer erspare, ihm als behäbige Vermögensvermehrung zuwachse und daß auch von diesem Zuwachs eine Kleinigkeit abzutragen sei. Was aber einer verbraucht, das bleibt unangetastet.
Diese Rentenbürgerauffassung betrachtet den Anspruch der Gemeinschaft als eine unliebe Kostgängerei, die man mit geringem Aufwande abfindet. Freilich ist das Einkommen steuerpflichtig, freilich ist es die Ersparnis; am schuldigsten aber ist der Verbrauch, und zwar sollte er so besteuert werden, daß oberhalb eines auskömmlichen Mindestsatzes auf jeden Kopf berechnet, für jede Mark weiteren Verzehrs zum mindesten eine Mark dem Staate gebührt.
Der leichte Einwand, daß hierdurch die Ersparnis entlastet, die Neigung der Vermögen zu Wachstum und Ungleichheit gefördert werde, wird sich aus dem beantworten, was über das Schicksal der Privatvermögen zu künden sein wird. Es gibt andre Möglichkeiten genug, und wirksamere, um der wachsenden Ungleichheit vorzubeugen; die Besteuerung der Ersparnis ist überdies niemals erfolgt, um die Ersparnis zu mindern, sondern um die Besteuerung weniger fühlbar zu machen; während wir davon ausgehen, daß die Besteuerung so fühlbar sein kann, wie sie will, wenn sie nur mit Entschiedenheit auf Minderung hinwirkt, auf Minderung dessen, was den Gemeinschaftsbesitz am schwersten schädigt, des ungeziemenden Verbrauchs.
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Aus diesen Vorklängen wird mancher schließen, daß ein sinnenfremder Puritanismus angepriesen werden soll, der ausschließlich auf emsige Arbeit, kräftige Nahrung, handfestes Kleid und Gerät und bestenfalls auf tüchtige Mittelerziehung und ausgebreitete Kirchlichkeit hinaus will. Das Bekenntnis, daß alles innere Leben dem Wachstum der Seele, alles äußere Leben der Steigerung idealer Güter geweiht ist, steht dieser Sorge entgegen; es mag immerhin schon jetzt angedeutet sein, daß die bunte Hülle des materiellen Übermuts, des Luxus, der Pracht und Repräsentation, die Hülle, die heute unserm geschwächten Auge zuviel von der wahrhaftigen Herrlichkeit der Welt verbirgt, der künftigen Ordnung nicht vorenthalten sein muß. Überall da, wo die Gemeinschaft selbst als Wirtin auftritt, mag sie zum Zeichen ihrer Freiheit und Liberalität sich mit Dingen des Glanzes umgeben, nicht karger als im Banne der Herzen von Rom und Athen, Venedig und Augsburg, Versailles und Potsdam. Anders wird man denken über die Raffiniertheit der Absperrung, über die Unersättlichkeit, die hinter Gittern und Vorhängen, Scheiben und Flügeltüren in Polstern und Schätzen wühlt. Bis zum Mißbrauch ist unsre Zeit mit dem Begriff der Pracht vertraut, den Begriff der Vornehmheit scheint sie zu verlieren. Pracht und Repräsentation wirkt auf eine ferne, zur starren Bewunderung verdammte Menge und entfremdet; Vornehmheit drückt inneren Adel in stiller Zurückhaltung aus, sie besteht im Verzicht; indem sie sanft zurückzuweichen scheint, zieht sie nach und empor. Sparta und das alte Preußen waren vornehm, Paris und das späte Rom zeigen die untrennbare Einheit von Prunk und Pöbeltum. Die unterschätzte Kunstepoche der preußischen Wiedergeburt vor hundert Jahren sei uns
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ein Vorbild, wie nicht aus Nachbildung des Prunkhaften, sondern aus stiller Vertiefung in die bescheidenste Aufgabe Schönheit entsteht.
Wir haben die gewaltige Bedeutung des Verbrauchs und seiner Regelung für das künftige Wirtschaftsleben umrissen und zugleich eine veränderte ethische und ökonomische Auffassung und deren Ausstrahlung in den gesetzlichen Aufbau des Staates als Forderung hingestellt,
Indem wir zur Frage der Besitzverteilung schreiten, haben wir von neuem auszuholen und die Richtung der Gestirne zu suchen; denn die Orientierung des Verbrauchsproblems verläßt uns. Wir haben gesehen, daß äußerste Ungleichheit der Vermögen der Berichtigung des Verbrauchs eher förderlich als schädlich ist; wäre alles Vermögen der Welt in einer Hand und einigermaßen verständig verwaltet, so wäre die Verbilligung der Verbrauchsgüter so bedeutend, daß bei gleichbleibendem Verhältnis der Löhne und Gehälter zum Umsatz der Verbrauchsanteil des Einzelnen einer bürgerlichen Lebenshaltung genügte. Höher läßt er sich in unserm Zeitalter durchaus nicht steigern, und diejenigen Theoretiker irren, die von irgendwelchen sozialpolitischen Maßnahmen eine plötzliche Vermehrung und Verbilligung der Produktion in bedeutendem Umfang erwarten; denn die Menge der jeweils erzeugten Güter ist durch den jeweiligen Vorrat an Produktionsmitteln eindeutig bestimmt, ein rapider Zuwachs der Produktionsmittel wäre nur durch zeitweilige gewaltsame Einschränkung des Verbrauchs erzwingbar. Das, was die Welt in jedem Jahre zu verzehren und zu verbrauchen hat, steht also fest; die Wirkung läßt sich, wie wir gesehen haben, nur dadurch verbessern, daß
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durch Umstellung der Produktion törichter Verzehr in nützlichen Verbrauch verwandelt wird. Mag hierdurch die Summe der nützlichen Gütererzeugung sich um ein Dritteil erhöhen, so ergibt die aufteilende Berechnung für zivilisierte Länder den Durchschnitt einer bürgerlichen Lebensführung, die sich in unserm Gelde mit einem Jahresaufwande von etwa 3000 Mark für eine Familie bezeichnen läßt.
Versagt die Verbrauchstheorie als Richtlinie für die Besitzverteilung, indem hier gleichsam der Punkt 0:0 durchschritten wird, so scheint auch die Forderung der Proletariatsbefreiung gegenüber der Frage der Besitzverteilung sich indifferent zu verhalten, so paradox dies klingen mag. Denn das Verhältnis des Proletariats ist, soweit es sich in Wirtschaftsbeziehungen ausdrückt, nicht sowohl eine Sache des Besitzes wie des Verbrauchsanspruchs. Auch hier den äußersten Fall der Ungleichheit gesetzt: daß ein einzelner das ganze Weltvermögen besäße — und dieser Fall ist nur sittlich, nicht wirtschaftlich verschieden von dem Grenzfall der Utopie, wo dieser einzelne ‚Staat‘ heißt —, in diesem angenommenen Falle brauchte dem Weltbesitzer durchaus kein Proletariat gegenüberzustehen. Seine Angestellten freilich wären wir alle, doch von unserm Gemeingefühl und Vorgehen hinge es ab, welche Aufteilung der jährlich erzeugten Gütermenge wir durchsetzten. Immer vorausgesetzt, daß der Besitzer die Weltproduktion verständig lenkt, so stehen ihm nicht mehr als fünf Verwendungsarten frei: Einen Teil muß er uns, seinen Arbeitern und Beauftragten, überlassen und aufteilen; einen zweiten Teil muß er zur Erneuerung und Verstärkung seines Produktionsapparates und andern der Gesamtheit dienenden Einrichtungen vorbehalten; einen dritten Teil kann er aufsparen,
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so etwa Lebensmittel, um künftigen Knappheiten vorzubeugen; einen vierten Teil kann er selbst verbrauchen und einen fünften Teil willkürlich vernichten, sofern er ein böser Narr ist; eine sechste Verwendung ist nicht gegeben. Da der vierte und fünfte Fall vernachlässigt werden kann, der dritte nicht wesentlich ist, so werden wir mit unserm Brotherrn nur über die Teilung zwischen eins und zwei zu verhandeln haben. Er wird anführen, daß die Sorge für die Zukunft eine größere Aufwendung für werbende Zwecke fordere, wir werden einwenden, daß auch wir leben wollen und die Nachkommen für sich selber sorgen mögen. Und wohlgemerkt: Diese Verhandlung wird in gleichem Sinne verlaufen, gleichviel ob der Besitzer Rockefeller heißt oder sozialer Universalstaat.
Die Einigung erfolgt; der Investitionsanteil ist festgesetzt — er wird mindestens soviel, vermutlich mehr ausmachen als bei der heutigen Wirtschaft —, und es kann dem Arbeitgeber ziemlich gleichgültig sein, wie wir den Verbrauchsanteil unter uns aufteilen, sofern keine Unzufriedenheit und Arbeitsunlust entsteht. Wiederum wird, wenn wir das heutige Produktionsmaß zugrunde legen, ein durchschnittlicher Jahresaufwand im heutigen Gegenwert von 3000 Mark ermöglicht.
Sind wir nun Proletarier? Durchaus nicht. Für Bildung und Unterhalt unserer Nachkommen ist gesorgt; niemand auf der Welt, mit Ausnahme des Einen — der ja auch die Staatsgewalt sein kann — hat größeres Recht als wir; der gesamte verbrauchsgerechte Teil der Welterzeugnisse steht zu unsrer Verfügung; die Aufteilung haben wir selbst vorgenommen.
Seltsamer Widersinn: Die Höhe des Einzelbesitzes zum Gipfel getrieben, hebt das proletarische Verhältnis
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auf! Nun liegt es sicherlich nahe, den Schluß von einem Universalbesitzer auf zwei, von zweien auf zehn, hundert, tausend zu machen und nachzuweisen, daß die Besitzverteilung ohne jeden Einfluß auf die Proletariatsgestaltung ist, weil eben diese, im wirtschaftlichen Sinne gefaßt, auf dem Verbrauchsrecht mehr als auf dem Vermögen steht.
Die Folgerung wäre übereilt, denn sie läßt zwei Dinge außer acht: den ständischen Charakter des proletarischen Zustandes und den Machtcharakter des Vermögens. Die Macht eines Weltbesitzers wäre gewaltig, doch träte sie außer in seiner unmittelbaren Nähe niemals voll ans Licht, am wenigsten dann, wenn eine organisierte Einheit ihm gegenüberstände. Seine Privatinteressen wären dieser Einheit gegenüber kaum schädlicher als die gewöhnlichen Hausinteressen eines verständigen Dynasten, der sich von Klassenbegünstigung fernhält; im wesentlichen wäre er bedacht auf Erhaltung seines Machtverhältnisses und Festigung des Erbganges. Ist beides gesichert, so hat er kein weiteres Interesse, seinen Arbeitern Bildung, Rechte und Verantwortungen vorzuenthalten.
Eine Mehrzahl von Besitzern dagegen vereinigt sich, zumal wenn Erblichkeit ihres Rechts gegeben ist, zur Klasse. Außer auf Sicherung sind sie auf Zuwachs bedacht; mögen sie untereinander kämpfen: der Hauptgegner bleibt der Unterworfene, und um so mehr, wenn dieser nicht grundsätzlich vom Besitz ausgeschlossen ist, sondern erwerben kann oder gar bereits besitzt. Das dringende Interesse entsteht, den Enterbten machtlos zu halten, die Machtmittel der Bildung, der Organisation und des Besitzes ihm zu verschließen, ihm Rechte und Verantwortung nur soweit zu gewähren, als die Erhaltung des notdürftigen Gleichgewichts jeweils erfordert.
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Die Frage der Besitzverteilung gewinnt an Bedeutung. Obgleich die Ungleichförmigkeit der Verteilung die gerechtere Formung des Verbrauchs begünstigt, steigen zwei Begleiterinnen empor, die zum Schaden entscheiden; die eine, untrennbar mit dem Besitz verbunden und im künftigen Verlaufe je mehr in den Vordergrund tretend: die Macht; die andre, durch lange Überlieferung, jedoch vielleicht nicht für immer ihr anhaftend: die Erblichkeit. Vereinigt bilden sie die Macht der Klasse.
Haben wir diesen Zusammenhang erkannt, so werden wir niemals mehr für das freie Spiel der Kräfte, weder hinsichtlich der Ansammlung noch der Verteilung der privaten Vermögen, eintreten können.
Wir haben den Begriff der bildenden Erziehung gestreift und bemerkt, wie eine herrschende Klasse diese schicksalbestimmende Wohltat ihren Unterworfenen mißgönnen muß. Unsre Zeit, die im Umfassenden nicht nachzudenken wagt, weil sie das Wissen überschätzt und deshalb das Gestalten verlernt hat, verfügt über den Blick des Praktikers für naheliegende Unebenheiten. Sie kann nicht verkennen und ist müde zu bemänteln, daß an jedem Staatsbürger, dem von seiner Kindheit an die Bildungsmittel der Epoche vorenthalten werden, ein Raub geschieht; ein Raub am Menschen und ein Betrug am Staat. Unsre Zeit, um leichte Antworten nicht verlegen, hat sich entschlossen, einige Stimmen aufzurufen, die für die Gleichmäßigkeit der Erziehung, allgemeinen und gleichen Unterricht eintreten.
So wohlgemeint diese Absicht, so bedingt ist ihre Erfüllung. Auch wenn die Erfahrung schwiege, die in benachbarten Ländern seit Jahren sich darbietet, so müßten wir mutmaßen, daß diese unvermittelte jugendliche Annäherung
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der Stände den bürgerlichen Aristokratismus der Bildungsüberlegenheit nicht mildert, sondern schärft. Aus Mietspalästen und Vorstadthäusern werden die kleinen Klassenfeinde herbeigeholt und als Klassennachbarn untergebracht. Die einen gepflegt und standesbewußt, an wohlgesetzte Gespräche Erwachsener gewöhnt, von leidlichen Manieren, leichtem Ausdruck, im Besitz der zarten Bildungsansätze, die aus einer Umgebung von guten Büchern, Kunstwerken, aus Reisen und gelegentlichem Vorunterricht erwachsen, frisch, ausgeschlafen, gut genährt, körperlich geübt. Die andern so ziemlich das Gegenteil. Nun wird von ihnen eine neue Haltung, Sprache und Anschauung verlangt, sie sollen aus einem gewohnten Kreise heraustreten und mühsam, neben dieser Verwandlung, die einen Teil der Kräfte und des Willens verzehrt, die neuen Kenntnisse erwerben, die den Gutgekleideten so leicht werden, ja die sie zum Teil schon besitzen. Verlegenheit und Hilflosigkeit treten hinzu, wandeln sich auch wohl in Starrköpfigkeit, wenn den kleinen Bürgern dunkel und schmerzlich der Abstand fühlbar wird, der sie und die ihren von den Glücklichen trennt. Nur ungewöhnliche Willenskraft und Begabung wird ihn unter dieser Belastung überbrücken und vielleicht ohne Ergebnis für das Lebensziel; die übrigen sinken nach kurzer Berührung zurück in tiefere Hoffnungslosigkeit, die nicht mehr dem äußeren Geschick allein, sondern der vermeinten eigenen Unzulänglichkeit die Schuld zumißt.
Ist hingegen Erziehung und Unterricht von der Einsicht getragen, die sich des Schwächeren und Mühseligeren annimmt, so muß die Neigung zum Fassungsmaß des Zurückgebliebenen verzögernd, verbreiternd, verflachend auf Alle wirken. Die tötende Feindschaft der Schule gegen
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die Begabung, der klägliche Wirkungsgrad, die Weltfremdheit, die lederne Schrulligkeit des Unterrichts, die unsre Jugend vergällt haben und die aus der Unbefriedigung eines geizig behandelten und überbürdeten Standes fließen, diese Philistrositäten finden den berufenen Anlaß, den Bildungsstand weiterhin zu senken und geistiges Mittelstandswesen auszubreiten.
Nur auf der Grundlage ähnlicher Lebensumstände, Häuslichkeit und bürgerlicher Herkunft kann gleichartige Erziehung fruchten; auf dieser Grundlage ist sie sittliche Notwendigkeit; Klassengegensätze gleicht sie niemals aus, so sehr sie auch die Messungsebene herabdrückt.
Abermals finden wir uns zu einer Politik des wirtschaftlichen Ausgleichs aus sittlicher Notwendigkeit hingewiesen, und diese Bestimmung bekräftigt sich, sobald wir eine neue Spiegelfläche, das ökonomische Verhältnis des Staates zu seinen menschlich höchsten Aufgaben betrachten.
Die Staaten unsrer Tage sind tiefverschuldete Bettler. Die höchsten, allmächtigen Gebilde, die bestimmt sind, die Menschheitszweige unter dem Bilde der Willensorganisation darzustellen, die das Recht haben, jedes Hindernis, das einer reinen Willensentfaltung entgegensteht, niederzubrechen und in dauernder Wandlung sich und ihren Elementen die gültige Form, den zeitlichen Ausdruck zu schaffen, diese Gebilde, die auf der Erde uns das hohe Vorbild und die experimentelle Gewißheit kollektiver Geistesverschmelzung und übergeordneter Geisteseinheit geben: sie sind heute an die trivialsten aller Fragen, ‚was kostet es‘ und ‚langt es‘, gebunden. Sie sind befangen in dem traurigen Wirtschaftskampf der Väter gegen die Söhne, der im Hintergrunde
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jeder Gesetzesvorlage gekämpft wird; der entweder endet mit neuen Steuern — die Väter opfern, damit die Söhne genießen — oder mit neuen Schulden — die Väter verbrauchen, und die Söhne mögen zahlen. Beides ist mißlich, und es befestigt sich die unsinnige Anschauung, Staatsausgaben seien an sich ein Übel, der glücklichste Staat sei der billigste, Sparsamkeit am Nötigen sei kein Verbrechen, sondern eine Tugend, sittliche Aufgaben seien vom Klassenstandpunkt zu beurteilen. Arbeitslosigkeit, Not, endemische Krankheiten könnten ausgerottet werden —, es kostet zuviel. Ein Teil des Volkes wohnt in menschenunwürdigen Räumen und könnte mit einem Aufwande von einigen hundert Millionen in Gartenstädten angesiedelt werden — woher das Geld nehmen. Die edelste Volksaufgabe der Erziehung liegt in den Händen schlecht bezahlter, zum Teil verdrossener Mittelbeamten; die ländliche Schulung ist mangelhaft — es fehlen die Mittel. Aufgaben der Wissenschaft, der Kunstpflege, der Menschenliebe treten heran — sie müssen privater Fürsorge, dem Kollektenwesen oder der planmäßigen Anzapfung bürgerlicher Eitelkeit überlassen werden.
Ein Dritteil der Kosten des europäischen Krieges hätte ausgereicht, um die Staaten auf ein halbes Jahrhundert wirtschaftlich suverän zu machen. Die Geschichte, die ihre Lehren streng und anschaulich austeilt, wird ihren Mund öffnen, wenn das Schlachtenwetter schweigt; sie wird in der Bildersprache der Folgen zu uns reden und die Folgerungen uns überlassen; dabei wird manch eins der Worte, die wir heute ausgiebig reden, mit verändertem Tonfall zu uns zurückkehren. Eine der Lehren aber wird unsern kleinbürgerlichen Parlamenten wohltun, die teils aus Mißtrauen gegen ihre beauftragten Regierungen,
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teils aus beruflicher Enge, teils aus Furcht vor dem Wähler den Staat als ein Geschäft mit beschränkter Haftung und beschränkten Mitteln verwalten möchten: die Lehre vom großen Einmaleins. Mögen die Mittel des einzelnen sich schmälern und den Taler zur Mark umschmelzen; um so mehr muß als Rechnungseinheit des Staates an die Stelle der Million die Milliarde treten. Nur dann wird unser Gemeinschaftsleben nach innen und außen neue Kraft gewinnen, wenn wir uns entschließen, dem Gemeinwohl weitherziger zu dienen in den Zeiten der Beschränkung als ehedem im Überflusse.
Das Ziel aber ist der materiell unbeschränkte Staat. Er muß mit seinen Mitteln dem Bedürfnis vorauseilen, nicht nachhinken, nicht die Frage stellen ‚wie bringe ich auf‘, sondern ‚wie bringe ich unter‘. Er soll eingreifen können in jeder Not, zu jeder Sicherung des Landes, zu jedem großen Werk der Kultur, zu jeder Tat der Schönheit und der Güte. Auf des Staates Macht, Reichtum und Überschwang mag der Bürger mit stolzer Freude blicken, nicht auf seinen eigenen, beiseitegetragenen, gespeicherten Mammon. Wer diese Umlagerung der Kräfte für grundsätzlich unmöglich hält, weil er Mißbrauch durch die Regierenden, Reptilienwesen, Umtriebe fürchtet, der mißtraut seinem Volk und sich selbst; seinem Volk, wenn er nicht an die gewaltige Schar derer glaubt, die dem Goldrausch widerstehen; sich selbst, wenn er für sich und seinesgleichen daran verzweifelt, eine Regierungsform durchzusetzen, welche die Echten und Starken zur Verantwortung führt. Nicht einen Tag lang wird eine Nation anders regiert, als sie regiert zu werden wünscht und somit verdient.
Soll nun der Staat wahrhaft im Lande der Reichste, der Spendende und Mächtige sein, so kann er es nicht
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auf Kosten der Armen werden. Wir wissen, daß die Summe der Güter, der Verbrauchsrechte jederzeit bemessen und begrenzt ist und daß es die tollste der Utopien bedeutet, wenn jemand glaubt, daß aus einer Umstellung der Ansprüche und Rechte an sich eine Steigerung der hochgespannten Weltproduktion hervorgehen kann. Was der Reiche an Rechten und Mitteln zuviel hat, ist das, was dem Staate fehlt, zwischen der Gemeinschaft und ihm besteht ein unüberbrückbarer Antagonismus des Besitzes.
Diesen Gedanken ernsthaft zu erwägen hat man sich immer wieder gescheut, obwohl er gefühlsmäßig aller Sozialreform zugrunde liegt, ja ihren gesundesten Kern bildet. Die Werbekraft des Sozialismus liegt nicht in der farblosen These von der Verstaatlichung des Kapitals, sondern in dem anschaulichen Endziel, daß, gleichviel auf welchem Wege, der übersatte Reichtum verschwindet und hiermit das Los eines jeden sich bessert. Diesen Kern in eine überflüssige Theorie zu verwickeln sah man sich gedrungen, weil man der scheinbaren sittlichen und wirtschaftlichen Widersprüche nicht Herr wurde. Wenn es jedem freistand, wenn es von den meisten erstrebt wurde und den Gesetzen nicht zuwiderlief, sich zu bereichern, so mußte es unehrlich scheinen, den Erfolgreichen seiner Arbeitsfrucht zu berauben. Auch schien es mißlich, sich bloßzustellen und für einen Grundsatz einzutreten, der dem eingewurzelt bourgeoisen Empfinden gerade der Umstürzler nach Unrecht, ja nach Wegelagerei, wo nicht nach unwissenschaftlicher Mißgunst schmeckte. Daneben glaubte man im stillen an die Unentbehrlichkeit des Reichtums für die Aufgaben der Kapitalbildung, der wirtschaftlichen und technischen Risiken, der großen Unternehmungen, des finanziellen
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Weitblicks. Diesen Bedenken konnte nichts Besseres geschehen, als untergetaucht zu werden in einer umfassenden Theorie, in der sie zwar nicht aufgelöst, doch jedenfalls unsichtbar gemacht wurden. Der Reichtum sollte getroffen werden, und somit wurde das Kapital verstaatlicht, mit dem er dann freilich dahinsank; aus dieser Verstaatlichung an sich sollte die Erhöhung des Arbeitswertes entstehen, die nichts, wie wir sahen, mit ihr zu tun hat; ungelöst und unlösbar aber blieb die Frage, wie die Gemeinschaft ohne Wettkampf, ohne innere Triebkraft, ohne Vergleichsnorm auf bürokratischem Wege das Grundprinzip ersetzen mag, ohne das selbst die große Natur die Aufgaben ihrer Entwicklung nicht zu lösen vermag, das Prinzip des Daseinskampfes, der Auswahl, der Lust am Überwinden.
Die Lehre von der sozialen Freiheit wird, wenn endgültig erkannt ist, daß dem Ausgleich des Besitzes, somit der Beschränkung des Einzelreichtums zugestrebt werden muß, das Problem bewältigen, und zwar durch entschiedene Trennung der drei Wirkungsformen des Vermögens: Des Anrechts auf Genuß, des Anrechts auf Macht und des Anrechts auf Verantwortung. Wird diese Scheidung durchgeführt, so lassen sich Wirtschaftsformen finden, die innerhalb der herkömmlichen Eigentumsordnung den Forderungen der Freiheit, der Menschenwürde und Gerechtigkeit genügen und der Entwicklung Raum lassen.
Noch immer bewegen wir uns im Bereich der Frage vom Besitzausgleich und empfinden nun, daß unmittelbare Gebote der Sittlichkeit die wirtschaftlichen Erwägungen überschatten.
Die Seele freilich erhebt für sich selbst keinen Anspruch auf zeitliches Glück, Macht und Ehren, sie verlangt für
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sich selbst keine irdische Gerechtigkeit. Sie erwacht im Glück des Leidens, sie lebt in der Einsamkeit der Entsagung und erstarkt in der Seligkeit des Opfers. Dennoch ist Gerechtigkeit als Menschheitsbegriff ihr nicht fremd. Was wäre Barmherzigkeit, wenn man die Folge zöge, daß auch dem Nächsten die Entbehrung glückbringender ist als die Fülle? Was wäre Gerechtigkeit, wenn man sich anmaßte, seine Mitmenschen durch zugefügtes Unrecht zu stärken? Die objektive Bedeutung dieser Tugenden ist, daß sie das Übel und die Schicksalslast der Welt aufsaugen, die feindlichen Lanzenspitzen auf das eigene Herz raffen und sättigen; doch weit sind sie entfernt, das Übel zu wollen oder zu schonen.
Wir werden da, wo wir binnen kurzem den persönlichen Anspruch des Einzelnen auf seinen Anteil an den Gütern der Welt zu prüfen haben, erkennen, daß es bestenfalls mittelmäßige, weitaus elende menschliche Eigenschaften sind, die zum eigentlichen, nämlich zum genießenden Besitz ermächtigen. Hier aber waltet die Frage, was denn überhaupt einen Menschen zum Ausspruch berechtigt, ein Leben zu führen, das durch Anmaßung und Verwüstung, durch Absonderung und Ablehnung das Dasein und die Daseinskraft Ungezählter in Staub tritt. Alte Herrschaftsgewohnheit, die Schutz erteilte und im Austausch Vorrechte forderte, solche alsdann auf Weiber und Nachkommen erstreckte, bildet die alleinige Herkommensgrundlage repräsentativer und anspruchsvoller Lebensführung. Symbolischer Ausdruck dieses Zusammenhanges ist die Parodie altherrschaftlichen Zeremoniells, die vom neuen Reichtum affektiert wird: gekaufte Kanonen auf den Terrassen, Fahnen in den Vorräumen, gepuderte Diener auf den Treppenabsätzen, falsche Ahnenbilder an den
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Wänden, altertümliche Gebräuche der Tafel, der Empfänge, der Jagd; Wappen, Livreen, Pokale.
Heute hat niemand Schutz zu gewähren außer dem Staate, niemand Schutz zu empfangen außer von den Beauftragten des Staates und in seinem Namen. Mögen Gerichtshöfe, Magistraturen, Kirchenfürsten, Dynasten sich mit Prunk und Pomp umgeben, um das Vergangene zu ehren, dem Bürger ein gelegentliches Schauspiel zu geben und der Menge zu imponieren, mögen sie mit Takt versuchen, die Grenze des Mummenschanzes und der Komödie zu vermeiden; in unsrer Zeit wie in jeder früheren liegt die Würde des Menschen und der Stellung in der Verantwortung; wo diese sinnbildlich wird, entsteht das Repräsentative; Gebräuche und Zeremonien sind Symbole, die nur von der Fortdauer der Kräfte, die sie abbilden, ihr Licht empfangen; sind diese erstorben, so bleibt die dürre Hülle der Formel und Etikette.
Die bürgerliche Wirtschaftsüberlegenheit des Wohlstandes jedoch beruht auf keiner Institution; wie manche andre starke Realität ist sie von Ursprung eine Nebenerscheinung, die solange harmlos und unbeachtet blieb, als sie sich in mittleren Grenzen hielt und nicht in die Reihe der öffentlichen Wirkungen trat. Wenn ein östlicher Patriarch durch glückliche Zuchterfolge seine Herde verhundertfachte, so war das eine schöne Sicherung des Stammes und, solange andern nicht die Wasserplätze streitig gemacht wurden, Privatsache. Wenn ein mittelalterlicher Kaufmann im Spezereihandel erfolgreich war, so konnte er sich ein behäbiges Haus bauen, es mit Linnen und Gerät reichlich ausstatten und einen Silberschatz in seinen Truhen bewahren. In öffentliche Wechselwirkung trat sein Wohlstand nur dann, wenn er
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zur Begründung ständischer Vorrechte führte. Reichtum als sozial umgestaltende Macht tritt erst dann auf, wenn unter gesteigerter Bevölkerungsdichte die kollektive Organisation der Wirtschaft sich zum Kreise lückenloser Wechselwirkung schließt. Dies geschah vereinzelt im späten Rom, in vollem Umfang und ungestört seit Beginn der mechanisierten Epoche, die man einseitig als die kapitalistische bezeichnet. Heute leben wir, wirtschaftlich betrachtet, in der gesamten zivilisierten Welt unter der Herrschaft einer gewaltigen Plutokratie, die in einzelnen Staaten sich der gesamten politischen Gewalt, der Bestimmung über Recht und Verfassung, über Krieg und Frieden bemächtigt hat, in andern den unmittelbaren politischen Einfluß mit herkömmlichen Mächten teilt, während sie den Arbeitsaufbau der Länder schrankenlos besitzt.
Es wäre ungerecht, die Leistungen der plutokratischen Weltmacht zu verkennen. Sie hat die Bewegung der Mechanisierung vollendet, sie hat die zivilisierte Erde im Laufe weniger Geschlechter maßlos bereichert, sie hat der Verteidigung der Staaten gewaltige Mittel geliefert und dadurch, entgegen ihrem innersten Wesen, den Nationalismus gestärkt. Sie hat, zumal in den Zeiten ihres Aufstiegs, in weitherziger Auswahl starke Geister der Nationen in sich aufgenommen, sie hat ihnen und dem Gesamtgeist der Völker das mechanistische, rationalistische und unternehmermäßige Denken aufgezwungen, das patriarchalische, feudalistische und zünftlerische Denken abgewöhnt und hiermit eine neue, wirkungsvolle, freilich nicht minder einseitige Geistessphäre geschaffen. Sie hat mitgewirkt, die Weltpolitik wirtschaftlich auszurichten, und unwissentlich die Gegensätze so gewaltsam gesteigert, daß ihr selbst nachgerade durch
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Reihen nationaler Katastrophen Gefahren drohen. Im Zusammenhange der politischen Forderungen wird diese Wirkungsreihe erörtert werden; hier bleibt die höhere, die sittliche Frage gestellt und mit abschließenden Sätzen zu beantworten.
Plutokratie ist Gruppenherrschaft, Oligarchie, und von allen oligarchischen Formen die verwerflichste, denn sie ist an keine ideale Anschauung, an kein Sakrament gebunden. Die alten Theokratien des Ostens nahmen ihr Recht von der Gottheit; sie verloren dieses Recht, indem sie sich in Priesterpfründen verwandelten. Die griechischen Aristokratien beriefen sich auf den Herrenanspruch der Göttersöhne. Durch erbliche Pflege königlicher Gesinnung und leiblicher Schönheit behauptete der Adel der Eroberer seine Obmacht über die Niederung der Urstämme, bis er durch Vermischung in ihr aufging. Der Bauernadel der Römer herrschte durch den Alleinbesitz des Staatsgedankens und Kriegertums; er wurde abgelöst durch einen neutralen, ideallosen Beamtenadel, dann folgte Vermischung der Rassen und Untergang. Die mittelalterliche Kirche wurde zur organisatorischen Oligarchie, als sie die Macht des Glaubens in eine heidnische Welt zu tragen berufen war. Nach der Bekehrung Europas wandelte sich diese Sendung in Staatspolitik, und ihre Trägerin betrat den Weg, der sie von einer Weltmacht zur staatlich anerkannten internationalen Organisation herabführte. Der europäische Feudalismus ruhte auf dem Idealbegriff der Gefolgschaftstreue, zu dem die Verantwortung für die beherrschte Urschicht des Landes und späterhin die Glaubenspflicht sich gesellte. Das Christentum wurde zum Gemeingut, die Bevölkerung verschmolz, der Feudalismus wich der Territorialherrschaft und zum Teil der
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Demokratie, und Adelsherrschaft konnte sich nur da behaupten, wo sie den Idealbegriff der Königstreue, des Kriegertums und des ländlichen Patriarchats sich rettete, vornehmlich im slawogermanischen Norden und Osten.
Plutokratie hingegen wirkt nicht durch gemeinschaftliche Ideale, sondern durch gemeinschaftliche Interessen. Nicht als Erobererstamm, nicht als Glaubensgemeinschaft hat sie sich vereint erhoben, sondern einzeln, Mann für Mann ist sie aus den Schichten der Nationen durch wirtschaftliche Auslosung der Sonderbegabung, des Zufalls, des glücklichen Risikos hervorgetreten. Sie will nichts als ihre Erhaltung und Bereicherung, sie ist zu keiner andern Gemeinschaft der Anschauung gedrungen oder verpflichtet; ihre Kraft liegt im Opportunismus. Sie ergänzt sich durch Erblichkeit und, im klaren Erfassen ihres Interesses, soweit als irgend nötig, durch Kooptation; die Vorliebe des Vaters wird durch die Klugheit des Sozius gebändigt. Von geistigen Potenzen vererbt sie zunächst Bildung, sodann eine gewisse wirtschaftliche Einsicht und Unternehmerschulung, die sich durch frühzeitige Einwirkung der Umgebung und häusliche Überlieferung fortpflanzt. Ohne dauernden Zutritt frischen Blutes hätte diese Fortwirkung freilich keinen Bestand, denn die Gewohnheit üppigen Lebens und intellektueller Einseitigkeit auf der einen, die äußere Nachahmung aristokratischer Gebräuche auf der andern Seite scheidet in jeder Generation Existenzen aus, die teils erschlaffen, teils, wie der Ausdruck lautet, sich ruinieren.
Die zeitweilige Aufnahme neuer, das gelegentliche Ausscheiden angestammter Elemente nimmt der plutokratischen Kaste nicht die Eigenschaft einer geschlossenen Einheit. Geringem Wechsel und Austausch ist
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jede Oligarchie unterworfen, und die hier beobachtete Bewegung bleibt wirkungslos, weil der Zuwachs unter streng beobachteter Auswahl sich stets auf die eng benachbarten Stände, nicht auf das ganze Volk erstreckt, weil die Gleichartigkeit der Lebensauffassung eine Vorbedingung bildet und weil die erblich gefestigten Elemente das Übergewicht der Tendenzen aufrechterhalten, ja sogar durch feudalistische Nachahmung sie zum Mißbegriff eines Geldadels umgestalten und versteinern.
Solange menschliche Unvollkommenheit die Abstufung der Fähigkeiten, Gesinnungen und Seelenkräfte zu den äußersten Gegensätzen steigert, wird jede Gesellschaftsordnung die gleichen Gegensätze in der Schichtung ihrer Verantwortungen, Bedürfnisse und Ansprüche zeigen. Wie auch immer die Form und Lagerung dieser Schichten auftreten mag, stets wird eine Ähnlichkeit mit oligarchischen Gebilden aufweisbar sein. Der Verschiedenheit sittlicher Auffassung bleibt es vorbehalten, ob man diese Ordnung will oder ob man sie erträgt, ob man die Gegensätze steigert und verewigt, indem das Vorrecht der Zugehörigkeit geschlossen, das Maß der Rechte erweitert und durch das Band der Erblichkeit gefestigt wird, oder ob man der Ausgleichsbewegung Raum gibt, die Ungleichheit der Rechte beschränkt und jedem Menschengeiste den Aufstieg offenhält. Dann strebt die Entwicklung dem Indifferenzpunkte zu, der den Begriff des Aristokratismus gleichzeitig erfüllt und auslöst: wenn nämlich die stärksten und edelsten Naturen, gleichviel welcher Herkunft und Gestalt, die Verantwortung für ihre Brüder tragen; dann bleibt die Oberschicht geschlossen in ihrer Natur und dennoch im beständigen Wechsel ihrer Substanz; der Name der ‚Herrschaft der Besten‘
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ist gerechtfertigt und unsre Vorstellung einer Kastenwirtschaft vernichtet.
Schwerlich haben diesen Idealzustand die im Auge, welche in ästhetisierender Neigung mit dem Blick auf Athen und Venedig uns eine gebildete und gesinnungsvolle Erbschicht als Endziel hinstellen. Oligarchie, sofern nicht im Sinne des Wortspiels der Begriff im Indifferenzpunkte aufgehoben werden soll, erbliche Oligarchie verträgt sich nicht mit der Würde und Freiheit menschlichen Anrechts und kann niemals einen sittlichen Idealbegriff dem Denkenden bilden, der sich zur Lehre vom Aufschwung aller Seelen bekennt.
Die plutokratische Oligarchie jedoch nähert sich dem indifferenten Grenzbegriff in keinem Sinne; ihre Einrichtung müssen wir als sittlich unzulänglich bezeichnen. Auch wenn wir die Ungleichheit der Ansprüche hinnehmen und im Gegensatz zum Sozialismus in der Vielfältigkeit der Bedürfnisse, in der Verfeinerung, deren eine geistige Existenz bedarf, in der Farbigkeit, die ein künstlerischer Hang zu seiner und Andrer Freude anstrebt, eine Grundlage der Weltkultur erblicken, so können wir das freie Spiel der Kräfte, das auf dem Boden unsrer Wirtschaftsordnung gleichsam als unbeabsichtigte und unbesprochene Nebenwirkung die erbliche Plutokratie erbaut, nicht hinnehmen. Das Menschendasein ist nicht geschaffen, um nach vorausbestimmtem Schicksal unter die Zufallsmächte gebeugt zu werden, die aus dem willkürlichen Spiel des fessellosen Wirtschaftskampfes emporsteigen. Besitzverteilung ist ebensowenig Privatsache wie Verbrauchsanrecht. Wir haben keinen Grund, nach dem Eisenbartrezept des Sozialismus das tausendjährige Gebäude organischer Arbeit zu zerbrechen, um polizeilichen Bürokratismus an die Stelle
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des Wettkampfes, verbreitertes Speisemarkenwesen und gehobenes Armenrecht an die Stelle bürgerlicher Freiheit zu setzen; doch von neuem und endgültig sehen wir uns zu einer Reformation gewiesen, die ein neues Reich sozialer Freiheit auf der Grundlage gerechteren Verbrauchsanspruchs, gleichmäßigerer Besitzverteilung und kräftigeren Staatswohlstandes erbaut.
Eine Zwischenschaltung, die den Kreis des Vorausgegangenen schließt, indem sie den letzten Widerspruch zwischen Schluß und Anfang beseitigt, möge zu den folgenden empirischen Erwägungen überleiten.
Der überflüssige Verbrauch erreicht, wie wir gesehen haben, einen Mindestbetrag in dem theoretischen Grenzfalle, wo alles Vermögen sich in einer Hand befindet. Besteht nun die Gefahr, daß bei erhöhtem Gleichmaß des Besitzes sich dieser Verbrauch dermaßen steigert, daß die nötigen Rücklagen für Erweiterung und Erneuerung des Weltbetriebes gefährdet werden?
Diese Gefahr besteht nur bedingt. Zweifellos wird der Durchschnittsverbrauch an solchen Gütern, die zur Lebenserhaltung und Lebenserhöhung beitragen, sich steigern; doch dieser Aufwand wird erfahrungsgemäß zurückerstattet durch Arbeitsmaß und Arbeitsgüte. Vermindert wird der Aufwand des großen Luxus selbst dann, wenn der Gemeinschaft das Recht zu hohem und glanzvollem Schaffen und Walten gewonnen wird. Der Einzelne wird, wenn Neigung ihn unwiderstehlich zu prächtigen Entfaltungen zieht, durch Beschränkung des alltäglichen Bedarfs das Gleichgewicht einstellen. Als störende Möglichkeit verbliebe eine allgemeine Zersplitterung der Mittel in überflüssigem Kleinkram und banalem Putz. Die Macht des wirtschaftlichen Gewissens, dessen Erweckung Ursache und Folge der neuen Epoche
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zugleich sein wird und von dem wir im Zusammenhange. der Wirtschaftsethik zu handeln haben, wird eine grenzenlose Verachtung unsres Männer- und Weiberspielzeuges der sittlichen Menschheit einpflanzen und Kram, Tand, Imitation, Novitäten, Galanterie-, Scherz-, Mode- und Spezialartikel und was sonst mit greulichen Namen unwürdige Dinge bezeichnet, wilden und halbzivilisierten Völkerschaften überlassen. Der gewaltige Teil der Weltarbeit, den Ungezogenheit und Mißgeschmack heute vernichtet, wird gerettet. So wird ein zweites und neues Minimum des überflüssigen Verbrauchs auf natürlicher und sittlicher Grundlage in der Wirtschaftsform des ausgeglichenen Besitzes geschaffen, und es tritt hervor, daß unsre bestehende gegensatzreiche und plutokratische Wirtschaftsverfassung auch deshalb ihr Urteil verdient, weil sie den Verbrauch mißleitet.
Wir betreten das Gebiet der Praxis. Doch bevor wir dem Aufbau der neuen Ordnung uns zuwenden, liegt es ob, den herrschenden Anspruch auf Bevorzugung zu, prüfen, den heute der Einzelne gegenüber dem Gesamtbesitz und Gesamtverbrauch persönlich zur Geltung bringt. Wenn wir erwogen haben, wer diesen Anspruch auf Reichtum und Vermögen erhebt; mit welchem sittlichen Recht er die Gewährleistung der Gesellschaft und des Staates verlangt, welchen Schutz die Gemeinschaft bisher gegen Überforderung und Unrecht sich geschaffen hat, so werden wir deutlicher die wirtschaftlichen und sittlichen Grundlagen einer freieren und gerechteren Ordnung überblicken.
Wer ist reich und mit welchem Recht? Wer darf sagen: Aus dem Gesamtvermögen und Ertrag der Welt gebührt mir das Zehnfache, Hundertfache, Zehntausendfache dessen, was der Durchschnitt der Menschheit besitzen
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und verbrauchen darf? Woher stammt persönlicher Reichtum und wie wird er erworben ?
Die Entstehung der Vermögen in der Vergangenheit soll uns hier nicht beschäftigen; genug, daß sie durch Erbgang auf ihre heutigen Träger herabgekommen sind, bei diesem Begriff der Übertragung werden wir später verweilen. Zuvor behandeln wir die Ansammlungen der Gegenwart.
Ist Reichtum Ersparnis? Bei der Kürze des menschlichen Lebens kann aus regelmäßigem Arbeitseinkommen zur Not ein mittlerer Wohlstand erspart werden; die Einkünfte, die sich zum Reichtum aufhäufen lassen, sind nicht Arbeitsvergütungen, sondern Gewinne andrer Kategorien. Die Volksmeinung, daß man durch Sparsamkeit an sich reich werden könne, ist irrig.
Möglich, jedoch nicht häufig ist die Bereicherung durch Fund. Schatzgräberei frommt unsrer Zeit nicht mehr, es sei denn um der Wissenschaft willen, und die Entdeckung Rembrandtscher Werke in Trödelläden bereichert vornehmlich den Zeitungsschreiber; doch der Fund mineralischer Schätze hat die afrikanischen, die kanadischen und manche deutsche Vermögen geschaffen.
Damit gemeinhin Reichtum entstehe, müssen Tausende bewogen werden, einen Teil ihres Besitzes herzugeben; dazu sind sie nur dann bereit, wenn ein dringender Wunsch ihnen nur gegen dieses Opfer erfüllt werden kann. Diesen dringenden Wunsch, mag er verständig oder töricht sein, nennt man einen wirtschaftlichen Bedarf; wer reich werden will, muß einen allgemeinen Bedarf befriedigen. Doch dieser Vorsatz genügt nicht: denn der Wettbewerb ist zur Stelle; er reißt einen Teil der Bedarfsdeckung an sich und verkleinert den Nutzen, und schließlich erntet der Unternehmer statt der erhofften Schätze
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nur eine mäßige Rente oder ein mittleres Arbeitseinkommen.
Die Aufgabe der Bereicherung wird also nur dann gelöst, wenn der Unternehmer den Wettbewerb beschränken, den Nutzen nach Gutdünken bemessen oder den Kreis der Opferwilligen beliebig ausdehnen kann. In diese Lage bringt ihn nur das anerkannte oder erzwungene Monopol,
Der glückliche Erfinder nutzt das Monopol des Patentes oder des Fabrikgeheimnisses. Wer seine Erfindung nachahmt oder seinen Werkmeister besticht, wird bestraft.
Der Bergbau einzelner Mineralien bereitet ein natürliches Monopol; wenn nämlich die Fundstellen selten oder beschränkt sind.
Die Großbank, das Warenhaus, die industriell verzweigte Riesenunternehmung übt das Monopol des Vorsprungs. Wer es ihnen gleichtun wollte, müßte viele Jahre mit gewaltigen Mitteln und langdauernden Gewinnausfällen konkurrierende Organisationen auszubauen suchen, und es gibt wenige, die solchem Versuch ihre Kapitalien anvertrauen.
Chemische Industrien stützen sich auf das Monopol der Lage: oftmals gibt es nur einen geographischen Schwerpunkt in günstiger Entfernung der Rohstofflager, der Kraftquellen, der Arbeitskräfte und der Absatzgebiete.
Der große Tenor trägt das Monopol der Seltenheit in seiner Kehle; die Opernhäuser sind zahlreicher als die gutgebildeten hohen Männerstimmen.
Verbände und Syndikate erzwingen das Monopol der Kartellierung, indem sie die Gesamtheit einer Industrie einheitlicher Geschäftsführung unterstellen und den Wettbewerb ausschließen.
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Der Besitzer eines Zinshauses zehrt von dem Monopol großstädtischen Bodens: gewisse Geschäfte und Personen sind auf Räume in bestimmten Stadtteilen angewiesen; die Nachfrage wächst, der Platz bleibt beschränkt.
Der Modelieferant lebt vom Monopol seines Namens, denn es gibt Leute, die betrübt sind, wenn ihr Hut oder Regenschirm eine andre als die bevorzugte Firma aufweist.
Der Besitzer einer Bahn, eines Wasserwerks, eines Hafens erhält sein Monopol unmittelbar vom Staat oder von der Gemeinde; das Recht, das er ausübt, nähert sich dem Hoheitsrecht.
Diese und zahlreiche andre Monopole machen reich; andre Wege zum Reichtum gibt es nicht. Denn Spiel, Risiko und Spekulation gleichen, wie es im Wesen der Wahrscheinlichkeitsrechnung liegt, bei längerer Dauer ihre Ergebnisse aus, und die seltenen Fälle, in denen der Gewinner durch rechtzeitigen Abschluß oder Tod seinen Raub sichert, können außer Ansatz bleiben.
Befragen wir über das Recht oder Unrecht der Monopolbereicherung unser unbefangenes inneres Gefühl, so empfinden wir: In der erzwungenen Beitreibung, in ihrer willkürlichen Bemessung, in der rücksichtslosen Machtstellung des Einzelnen gegenüber den Vielen liegt ein Unsittliches.
Gemildert erscheint es im Monopole des Vorsprungs und der Technik, zumal wenn es nicht von einer Person, sondern von einer Genossenschaft ausgeübt wird, denn hier ist der Nutzen des Geleisteten erkennbar, und trotz der Ausnahmestellung des bevorrechteten Organs kann ein bedeutender Vorteil für die Gemeinschaft gegenüber der Zersplitterung gegeben sein.
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Um so unerträglicher tritt das Monopol hervor, je unverdienter es erworben, je müheloser es gehandhabt, je zügelloser es genutzt wird; und so ist das Monopol des grundbesitzenden Großstadtrentners eines der weniger erfreulichen.
Zugleich wird ersichtlich, daß es nur weniger Hand- griffe der gesetzlichen Ordnung bedarf, um alle Quellen des persönlichen Reichtums zu regeln und, wenn es nötig scheint, zu schließen. Diese Frage der Pragmatik be- halten wir dem Abschluß der wirtschaftlichen Erörte- rung vor; zunächst muß die zweite und entscheidende Seite des Anspruchs auf Reichtum uns beschäftigen.
Nur ein geringer Teil des heutigen Wohlstandes ist vom Besitzer erworben; die weitaus überwiegende Menge der Vermögen ist ererbt.
Wenn die Betrachtung des erworbenen Reichtums, zurückgeführt auf die wahren Quellen des Ursprungs, ein inneres Gefühl des Unrechts uns erweckt, so versagt dieses Gefühl gemeinhin bei der Kritik des Erbes; die Geschlechterfolge des Besitzes erscheint dem heutigen Empfinden als ein Unantastbares. Diese Erkenntnis nötigt zur Einschaltung einer methodischen Vorbemerkung.
Alles gesellschaftliche und politische Fortschreiten geht hervor aus dem Kampf zwischen Überlieferung und Neuerung. Keine Zeit hat so sehr wie die unsre sich der Neigung hingegeben, diesen Gegensatz zu vertiefen, mit der deutlichen, doch unterbewußten Tendenz, für das Überlieferte Partei zu nehmen, wie es allen unschöpferischen Epochen eigen ist.
Und dennoch besteht der Gegensatz nur in der Betrachtungsrichtung, nicht im Absoluten: das Revolutionäre von heute ist das durch Überlieferung Geheiligte von morgen, und das Reaktionäre von heute ist das
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Revolutionäre von gestern. Stellt man somit dem Überlieferten, als einem gleichsam durch Naturkraft organisch Erwachsenen, das Neuerliche als ein Willkürliches, dogmatisch Erklügeltes, auf keinerlei Erfahrung und berechtigte Eigenart Gestütztes entgegen, so findet eine Verwechslung statt: Die Verwechslung zwischen den Eigenschaften der Entwicklungskontraste und den Eigenschaften der Menschen, in denen sie sich verkörpern. Es wird verwechselt die Art der erhaltungliebenden Menschen mit der Art des Überlieferten, und die Art des Neuerers mit der Art der Neuerung.
Die Neuerung, wenn sie Tatsache wird, ist genau so organisch, genau so aus der Natur der Menschen und Umstände erwachsen wie die Alterung; sie selbst wird in kurzem Gewohnheit, Überlieferung, ehrwürdiges Altertum und überholte Veraltung sein. Dagegen ist freilich der Mensch, der mit seiner Neigung am Überlieferten hängt, ein andrer, als der das Neue verkündet und schafft. Der eine stützt sich auf Erfahrung und liebevolles Beobachten des Bestehenden, zuweilen wohl auch auf liebgewordene Vorrechte und Vorurteile, der andre auf die Kraft des Bedürfnisses, auf die Gabe des Schauens und auf Ideale, gelegentlich auf eigene Unzufriedenheit und persönliche Wünsche. Die Tugenden des einen sind Treue und Verständnis, die Tugenden des andern sind Schöpferkraft und Intuition; die Gefahren des einen sind Borniertheit und Trägheit, die Gefahren des andern Dogmatismus und Leichtfertigkeit.
Von diesen Gefahren trägt fast jede Neuerung etwas an sich, sie erscheint zuerst dogmatisch, rationalistisch rücksichtslos, ohne zureichendes Verständnis für berechtigte Eigenart. Doch bald sind durch den Gebrauch diese Kanten abgeschliffen, die scharfen Farben tönen
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sich, das Werkzeug schmiegt sich in die Hand. Ein Wunder, so sagen die Orientalen, währt nicht länger als drei Tage.
Berechtigte Abneigung gegen Volkslaster und Greuel, verbunden mit dem tiefgewurzelten Hang der Slawogermanen zu bequemer Beibehaltung, verführt unsre Geschichtsbetrachtung, in jeder plötzlichen Neuerung verbrecherischen Umsturz zu sehen. Mit Recht ist unserm Empfinden die Bewegung der großen französischen Revolution fremd; und dennoch sind in ihren erregten Nächten bedeutende Grundbegriffe der kommunalen Verwaltung, der Volkserziehung, der Volkswehr aus Erwägungen der Vorstellungskraft entstanden. Unser deutsches politisches Fühlen ist monarchisch, und hierin liegt eine seiner wenigen Stärken; wir sind leidenschaftlich geneigt, jede republikanische Bestrebung als Hochverrat auszurotten; immerhin ist es gut, daß uns genügende Objektivität bleibt, um nicht in jedem Schweizer einen Nachkommen von Königsmördern und pietätlosen Nihilisten zu sehen und den Deutschen, der etwa in Basel sich ansiedelt, als Jakobiner zu verfolgen.
Unter dem allgemeinen Blick der geschichtlichen Bewegung erscheint somit der subjektive Gegensatz der Überlieferung und Neuerung als verzögernde Kraft, als physisches Trägheitsmoment. In der Ökonomik der Weltgeschichte fällt dem Traditionalismus die Aufgabe zu, Stetigkeit der Bewegung zu wahren, das Schleudern des Wagens zu verhindern, willkürliche Experimente einzuschränken. Aber es darf niemals vergessen werden, daß diese Kraft eine negative ist. Konservativismus ist scheinbar Bejahung des Bestehenden, in Wahrheit aber Verneinung des Lebens und seines Wachstums.
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In einer Betrachtung, die künftigen Dingen gewidmet ist, muß diese Einstellung stets von neuem vorgenommen werden. Auch aus ihrer negativen Richtung haben wir zu lernen; sie gibt uns die Frage auf: Welches Kriterium unterscheidet zwischen den Begriffen der utopischen Phantasterei und der organischen, wenn auch grundsätzlichen Neuerung ?
Nicht die Praxis kann hier entscheiden, denn auch das Unvollkommene, selbst das Widersinnige ist eine Zeitlang in der Praxis möglich. Es entscheidet ausschließlich die Stärke und Einheit der Gesamtanschauung. Tritt ein Widerspruch auf zwischen der Weltanschauung und einem erworben Gefühlsmäßigen der Einzelanschauung, so hat diese zu weichen. Über die Gesamtanschauung jedoch entscheidet nicht der Richterstuhl der Generation, sondern der Areopag der Zeiten.
Von dieser Seite kehren wir zurück zur herrschenden Gefühlsauffassung des Erbes und nehmen uns das Recht, ihr zu Leibe zu rücken,
Im Gegensatz zu der Bereicherung durch Monopole und Spekulation, die einen Gefühlston des Widerstrebens in uns auslöst, erscheint dem gemeinen Empfinden die Bereicherung durch Erbschaft an sich nicht verwerflich.
Wir sehen die Rennplätze und Vergnügungsorte einer Großstadt angefüllt von gutgewachsenen, selbstbewußten jungen Männern, die in einer Stunde für ein Pferd oder eine Tänzerin mehr Geld ausgeben, als ein armer Student, ein Dichter oder Musiker für den Lebensunterhalt eines Jahres ersehnt; ihre Ansprüche an die Leistung des Landes übersteigen den Aufwand eines Ministerpräsidenten und Kanzlers. Die Gegenleistung besteht in Genuß und Repräsentation. Nach Maßgabe
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seiner Gesinnung und Interessen behandelt sie ein jeder mit Höflichkeit, Achtung, Unterwürfigkeit, und sie antworten korrekt, leutselig, herablassend. Sie halten es für selbstverständlich, daß der junge Gelehrte oder Kaufmann bescheiden ihnen Platz macht, wo sie als Spendende oder Bestellende auftreten; das Volksbewußtsein findet ihr Auftreten gelegentlich anmaßend, ihre Untätigkeit bedauerlich, sieht aber in der bevorzugten Lage etwas Unabänderliches, den Ausdruck eines geheiligten Herkommens von erblichem Glanz und erblicher Macht.
Hart beurteilt wird die Dirne, die, von einem reichen und alternden Manne als Witwe hinterlassen, sich in fürstlichem Aufwand gefällt. Man wirft ihr die Herkunft vor, bestreitet ihr aber nicht das Recht, die Einkünfte einer Herrschaft zu verprassen, denn sie verfügt über ihr Erbe.
Ein industrieller Machtbesitz geht auf einen mündigen, aber unbefähigten Sohn über. Generaldirektoren machen ihm submisseste Berichte, suchen sich seinen Liebhabereien anzupassen, erbitten Gehaltserhöhungen und Vollmachten; eine Schar ergrauter Werkleiter schart sich um den Wagenschlag des jungen Herrn.
Ein wohlhabender Mann stirbt, hinterläßt eine Frau und vier Kinder. Alle fünf beschließen von ihren Renten zu leben; die Kinder heiraten Männer und Frauen, die in gleicher Lage sind, und der Staat ist um vier Familienstämme bereichert, die ein Jahrhundert lang nichts schaffen, außer daß gelegentlich ein Nachkomme Kunstgeschichte oder Diplomatie studiert.
Wieviel gesunde Männer unter sechzig Jahren leben in einem zivilisierten Lande von ihren Renten? Wieviel
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junge Männer begründen ihre Existenz auf die Ehe mit einer Erbin?
Wieviel unproduktive Familien hat ein Land von Geschlecht zu Geschlecht zu ernähren?
Alle diese Erscheinungen sind weit entfernt, im Gewissen der Gemeinschaft einen Gefühlston von Unrecht auszulösen; sie können gelegentlich als ungefällig, doch seltsamerweise nicht als unsittlich gelten.
Man lasse jeden Kultureinwand aus dem Spiel. Die Lebensansprüche der Unproduktiven, an die Schaffenden aufgeteilt, würden höhere kulturelle Aufgaben erfüllen; die Arbeitskräfte der Unproduktiven, in den Dienst der Gesellschaft gestellt, würden neue geistige und wirtschaftliche Werte schaffen.
Tief eingewurzelt durch die Gewohnheit der Jahrhunderte ist der Sittenbegriff des Erbes, und so hat die Welt nicht gefühlt, daß längst die Substitution des Grundes eingetreten ist und die Voraussetzungen verschoben hat.
Geräte mögen in Urzeiten ebensohäufig dem Vorstorbenen ins Grab gegeben wie vererbt worden sein. Sie waren Ausstattungsteile des Menschen und seiner Hütte, überlebten das Geschlecht und bildeten Attribute des kollektiven Individuums, der Familie. Das gleiche mag von Herden gegolten haben, deren animalische Geschlechter in Parallelismus zu den menschlichen erwuchsen; ähnliches vom Acker und Ackergerät, sobald die Einzelwirtschaft sich abgesondert hatte und der Familie die Aufgabe der fortgesetzten ländlichen Pflege zufiel.
Macht, Ansehen, Kriegstum und Vorrechte vererbten sich auf der Grundlage der Volksschichtung. Der unterworfene, somit entadelte Stamm durfte niemals mehr
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herrschen oder sich selbst bestimmen; der Schutz nach außen, die Adelsgewalt nach innen konnte nur durch Vererbung sich erhalten. Priesterweihen, Königtum, Standesrechte wurden in diesen Erbwandel einbezogen.
Aus der Epoche der feudalen Erblichkeit löste sich unmerklich die Epoche des Kapitalismus, und ohne Prüfung der Sache und des Gewissens fiel ihr kraft Überlieferung und mangels andrer Analogie von selbst der unzerstörbare Charakter der Erblichkeit in den Schoß. Die Wesensgründe waren verblaßt; während erblicher Adel Rechte und Pflichten umfaßte, Schutz und Dienste von Geschlecht zu Geschlecht verlangte und gewährte, bot erblicher Reichtum nur Rechte, nur Macht und Genuß und erwiderte nichts.
Die staatliche Gemeinschaft der Römer empfand zuerst und unbewußt die gewaltige Paradoxie, daß ein Toter als Wollender, als willkürlich Spendender von Macht, Land, Geschäft und Genußrecht auftritt, und begegnete ihr mit der genialen Kasuistik ihrer Rechtsstrukturen, bis endlich ein wo nicht organischer, so doch organistischer Aufbau das fragwürdige Fundament bedeckte. Und bis auf den heutigen Tag setzt der Staat jedes zivilisierten Landes seine Macht und sein Ansehen dafür ein, daß ein Verstorbener gegen Lebende Recht behält, daß jede seiner gesetzlich zulässigen Schrullen Geltung findet, daß ein unbekannter, ferner Verwandter am Nachlaß beteiligt wird, daß von aufgespeicherten Schätzen und Rechten, deren Anhäufung bedenklich genug war, den beliebigen, durch Herkommen und Bestimmung geschützten Erben nicht ein Titel verlorengeht. Wenn es heute einem Manne gelänge, den letzten Fußbreit Bodens, alle Kunstwerke, alle Schriften eines Landes in seine Gewalt zu bekommen, und er dem Staat
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nichts ließe als ein paar Landstraßen und Verwaltungsgebäude, so würde dieser Staat, sofern einige Formeln ausgefüllt und einige Abgaben bezahlt werden, alle verfügbaren Kräfte aufbieten, um diesen Machtkomplex ungeschmälert in die Hände eines noch so übel beleumundeten Universalerben zu überführen, und ihm das Recht gewährleisten, Ländereien abzusperren und brachzulegen, Landschaften zu schänden, Werke stillzulegen, Arbeiter brotlos zu machen, Denkmäler zu vernichten— sofern dieser Staat sich nicht entschlösse, durch Sondergesetze die Paradoxie der Erblichkeit anzutasten.
Diese Erwägung genügt, um uns zu versichern, daß unter den unantastbaren, jeder Kritik enthobenen Gütern der Menschheit der Sittenbegriff der Güter- und Machtvererbung keinen Platz findet. Er mag uns gewohnt und vertraut sein; sakrosankt ist er nicht, sondern lediglich eine vorherrschende, ungeprüft hingenommene ethnologische Eigenart. Seine Grundlagen haben sich verschoben, seine Folgerungen führen zu Antinomie.
An diesem Sittenbegriff aber hängt das ganze Wesen unsrer gesellschaftlichen Schichtung, die ganze unveränderliche, leblose Konstanz der nationalen Kräfteverteilung. Das lebendige Auf- und Niedersteigen des Lebens, das die Natur beherrscht, der organische Wechsel dienender und bestimmender Glieder, das spendende Spiel der goldnen Eimer erstarrt vor dieser Schicksalsmacht der Geschlechter, die Menschenwerk ist. Sie verurteilt den Proletarier zu ewigem Dienst, den Reichen zu ewigem Genuß. Sie bürdet die Verantwortung auf den Müden, der sie verleugnet, und erstickt die Schaffenskraft des Unverbrauchten, der die Verantwortung ersehnt. Die zähe Ölschicht des Herkommens lagert
9 Rathenau, Von kommenden Dingen
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sich trennend zwischen die wahlverwandten Lösungen, die sich zu durchtränken streben, und steigert die Spannung eines unbetätigten Willens.
Die Anfänge eines neu sich bildenden Sittenbewußtseins haben wir wahrgenommen. Es findet sich ein Winkel unsres Empfindens, der nicht mehr bereit ist, die Ansprüche auf materiellen Weltanteil, wie sie aus dem freien Spiel der Kräfte in den respektierten Neutralgebieten des Sachrechts und Handelsrechts sich entwickeln, ungeprüft hinzunehmen. Zu den unsittlich sich färbenden Ansprüchen des Spekulanten und des Monopolisten gesellt sich der Anspruch des verdienstlos auf sein Herkommensrecht pochenden Massenerben.
Wir haben den Wirtschaftskreis des Verbrauchs, des Besitzes und des Anspruchs umschritten und dürfen die gewonnenen Wertungen in grundsätzlicher Form dem Gedächtnis einprägen.
1. Der Gesamtertrag menschlicher Arbeit ist zu jeder Zeit begrenzt. Verbrauch, wie Wirtschaft überhaupt, ist nicht Sache des Einzelnen, sondern der Gemeinschaft. Aller Verbrauch belastet die Weltarbeit und den Weltertrag. Luxus und Absperrung unterliegen dem Gemeinwillen und sind nur soweit zu dulden, als die Stillung jedes unmittelbaren und echten Bedarfs es zuläßt.
2. Ausgleich des Besitzes und Einkommens ist ein Gebot der Sittlichkeit und der Wirtschaft. Im Staate darf und soll nur einer ungemessen reich sein: der Staat selbst. Aus seinen Mitteln hat er für Beseitigung aller Not zu sorgen. Verschiedenheit der Einkünfte und Vermögen ist zulässig, doch darf sie nicht zu einseitiger Verteilung der Macht und der Genußrechte führen.
3. Die heutigen Quellen des Reichtums sind Monopole im weitesten Sinne, Spekulation und Erbschaft.
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Der Monopolist, Spekulant und Großerbe hat in der künftigen Wirtschaftsordnung keinen Raum.
4. Beschränkung des Erbrechts, Ausgleich und Hebung der Volkserziehung sprengen den Abschluß der Wirtschaftsklassen und vernichten die erbliche Knechtung des untersten Standes. Im gleichen Sinne wirkt die Beschränkung luxuriösen Verbrauchs, indem sie die Weltarbeit auf die Erzeugung notwendiger Güter verweist und den Wert dieser Güter, gemessen am Arbeitsertrage, ermäßigt.
Auf diesen Grundsätzen ruht das System des wirtschaftlichen Ausgleichs und der sozialen Freiheit.
Seine gesetzgeberische Durchführung ist eine Frage minderer Bedeutung. Denn die Betrachtung der gesetzlichen Einrichtungen in den verschiedenen Staaten zeigt die Vieldeutigkeit aller praktischen Lösungen. Die Lebensformen sind durchweg viel ähnlicher als die gesetzgeberischen Systeme, durch die sie geregelt werden sollen; die Ziele sind ähnlich, die Ergebnisse sind ähnlich, nur die Anordnungen sind verschieden. Entscheidend ist, daß die Ziele, die Idealanschauungen geändert werden; die Einrichtungen werden ihnen folgen und abermals in Mannigfaltigkeit der praktischen Gestaltung.
Von unermeßlich größerer Bedeutung ist es, daß der künftigen Umgestaltung Änderungen der Gesinnungen und ethischen Wertungen vorausgehen, so wie es stets im geschichtlichen Laufe geschehen ist, wenn neue Wege gewiesen wurden. Die Gesinnungen warten auf diesen Anstoß. Aus sich selbst haben sie zwar die Kraft, doch nicht die Neigung, ihre Gleise zu verlassen; die Veraltung der Ziele drückt sich nicht darin aus, daß die Gesinnungen sich mit einem Schlage wandeln, sondern daß sie unsicher und verzagt werden.
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Dieses Verzagen ging allen großen Umwälzungen zuvor, wir empfinden es heute in unsern Tiefen so stark, weil es mit unbewußten Regungen des bösen Gewissens verbunden ist. Deshalb wurde mit echter Leidenschaft, die tiefer wurzelte als in Politik, ja tiefer als im Volkstum, der Krieg ergriffen; man erhoffte von ihm neue Richtung der Gesinnung und neuen Sinn des Lebens. Doch soviel er hinwegläutern, ausbrennen mag: dies letzte kann er nicht geben. Denn nicht aus sozialen und innermenschlichen Nöten ist er emporgebrochen, sondern aus nationalen Konflikten. Nationalismus aber bildet nur die Außenfläche des kollektiven Empfindens und Bewußtseins, dessen innerster Kern transzendent bleibt und sich im Sittlich-Sozialen kundgibt. Manchen überalteten Wert wird der Krieg erschüttern, jedoch nur soweit, als der nach außen wirkende Wille des Volkes betroffen wird; sein innerstes Gewissen wird nicht tiefer getroffen als in seinen Zusammenhängen mit diesem Willen. Rückt man diesen äußeren Willen in den Mittelpunkt des Lebens, so ist der Weg nicht mehr weit, und der Krieg wird zum Selbstzweck, der Frieden zum müden und müßigen Traum. Krieg ohne Leidenschaft und Haß ist sachliche, unmenschliche Schlächterei; Haß und Leidenschaft aber können niemals letzte Ziele sein, denn die Erfüllung der Seele ist Liebe.
Der Wandlung der Gesinnung wollen wir den nächsten Hauptabschnitt unsrer Betrachtung widmen; die Kasuistik der Einrichtungen soll in aller Kürze in einer einzelnen, einfachen Lösungsform alsbald versinnlicht werden.
1. Das nächstliegende Mittel zur Regelung des Verbrauchs ist ein ausgedehntes, teilweise bis an die Grenze der Prohibition getriebenes System von Zöllen, Steuern
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und Abgaben auf Luxus und übermäßigen Verbrauchsgenuß.
Dieses System soll kein finanzielles sein; der Ertrag ist eine gleichgültige Nebenwirkung; sein Sinn liegt ausschließlich in der Beschränkung.
Die Abgaben sind um so höher zu bemessen, je überflüssiger und je kostbarer das eingeführte oder erzeugte Produkt sich darstellt. Man vergesse nicht, daß jede Einfuhr nicht anders bezahlt werden kann als durch Ausfuhr. Um eine einzige Perlenkette zu bezahlen, muß der zehnjährige Arbeitsertrag von fünf deutschen Arbeiterfamilien dem Auslande preisgegeben werden.
Auf Tabak und Spirituosen, auf kostbare Textilstoffe, Rauchwaren, Putzfedern, Hölzer, Gesteine, vor allem auf gefertigte Luxuswaren sind Zölle und Abgaben zu erheben, die bis zum Mehrfachen des Wertes ansteigen; Juwelen, deren Einfuhr schwer zu überwachen ist, sollten außer dem Zoll eine hohe Jahressteuer tragen.
Es gibt Gegenden in Deutschland, wo der Bierverbrauch, auf den Kopf des erwachsenen Mannes berechnet, im Durchschnitt mehr als drei Liter am Tage aus- macht. Für geistige Getränke und Tabak berechnet sich unser Jahresaufwand nach Milliarden. Unbekümmert um die Interessen der Brauer, Zapfer, Fabrikanten und Detaillisten, die reichlich entschädigt werden können, müssen diese Genußmittel zu Trägern gewaltiger Verbrauchsabgaben werden. Umsatzabgaben sind zu erheben von allen im Lande gefertigten Luxus-, Galanterie-, Putz- und Modewaren, soweit sie nicht der Ausfuhr dienen.
Zu besteuern ist der Raumaufwand. Abgesperrte Parkanlagen, luxuriöse Gebäude und Wohnräume, Remisen und Garagen müssen zu den Lasten des Landes beitragen.
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Persönliche Bedienung in starker Progression der Kopfzahl und der Gehälter; Luxuspferde, Equipagen und Automobile, Beleuchtungsaufwand, kostbares Mobiliar, Rang und Titel sind Steuerobjekte nicht im Sinne des Finanzertrages, sondern der Beschränkung.
2. Dem Ausgleich der Vermögen dienen die bekannten Einrichtungen der Vermögens- und Einkommenbesteuerung; jedoch nicht wie bisher in dem Sinne einer Notquelle für den Staat, mit Bangen auferlegt und mit Unmut entrichtet: sondern vielmehr als Anerkenntnis dafür, daß oberhalb eines bürgerlichen Auskommens der Erwerbende nur bedingter Mitbesitzer des Erworbenen ist und daß es dem Staate freisteht, von diesem Überschuß ihm soviel oder sowenig zu belassen, wie er will. Wer die Entwicklung der sogenannten gemischtwirtschaftlichen Unternehmungen beobachtet, die für einzelne Erwerbszweige monopolistischer Art schon heute dem Gedanken Ausdruck geben, daß oberhalb eines auskömmlichen Ertrages der Fiskus den weitaus überwiegenden Teil des Nutzens zu beanspruchen hat, dem wird die Aussicht nicht widersinnig erscheinen, daß der Staat auf übermäßige Erträge und Vermögen bis zu einem beliebigen Anteil die Hand legen könne.
Der Einwand des Antriebs zur Auswanderung der Wohlhabenden hat nichts zu bedeuten. Denn diese Einrichtungen werden nur in dem Zeitmaße entstehen, wie ihre Berechtigung und Notwendigkeit erkannt wird, und langsam sich ihrem Endzustand nähern. Solche Erkenntnis aber bleibt nicht national begrenzt; umgekehrt wird vielmehr die Einsicht, welche Stärke das vorschreitende Land gewinnt, nicht nur den Schritt der übrigen beflügeln, sondern auch die Vermögen fester an ihre Heimat fesseln, die den Segen ihres Opfers vor Augen
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sehen. Bei der Betrachtung der Umstellung sittlicher Begriffe wird diese Erkenntnis uns in neuem Licht erscheinen.
Noch kurzsichtiger ist der Einwand des Antriebes zur Verschwendung. Hat ein Mensch jenen seltsamen und unerforschten Hang zum Sammeln, der unsre Zeit beherrscht und eine der stärksten Triebkräfte des wirtschaftlichen Handels darstellt, so wird er von dieser Leidenschaft nicht frei, weil ihre Befriedigung erschwert ist; durch Verarmung ist bisher noch kein Habsüchtiger zum Verschwender geworden. Fehlt ihm die Neigung, ist er an sich dem Aufwand zugetan, so wird das größere Einkommen ihn nicht sparsamer finden als das kleinere.
Ein dritter Einwand verdient die Prüfung, die wir ihm vorbehalten: Welchen Ersatz findet der Unternehmergeist, der zurzeit ausschließlich von privater Kapitalansammlung befruchtet wird und dem auch der reichste Staat die Mittel und Anregungen nicht zu bieten vermag, die freier Wettlauf um neue Ziele erfinderisch und hoffnungsfreudig hervorlockt.
3. Der Kampf gegen private und persönliche Monopole ist eine Tendenz, die nur gemeingültig und nachdrücklich anerkannt zu werden braucht, um in jedem Einzelfalle ihre gesetzliche oder geschäftliche Handhabe zu finden. Unausgesprochen, zum Teil bestritten, hat diese Tendenz bereits den Anlauf genommen, der nur des auslösenden Signals bedarf. Schon jetzt werden Erfindungspatente, fiskalische Konzessionen, Naturkraftverwertungen zeitlich begrenzt, die Ausbeutung seltener Bodenschätze, die Nutzung monopolistisch wachsender Grundwerte tritt in den Kreis fiskalischer Erwägung. Für die Wirtschaft öffentlicher Betriebe sind Formen gefunden, welche den Unternehmungsgeist beteiligen,
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ohne sich seinen Ansprüchen zu unterwerfen. Fast unbeachtet blieben bisher die bedeutenden Monopole des Vorsprungs, der Organisation und des Kapitals; schwer ist es, sie grundsätzlich zu beseitigen, da sie durch Zentralisierung die Wirtschaft anspornen und stärken; doch lassen sich Formen finden, von denen demnächst die Rede sein soll, die den Vorteil der Allgemeinheit sichern, ohne den Einzelnen über Gebühr zu bereichern.
Im Zusammenhang mit den Monopolen und ihren Gegenmitteln muß einer wilden Berufsart Erwähnung geschehen, die zwar nicht regelmäßig zu großem Reichtum führt, die aber in ihrer Gesamtheit der Nation unverhältnismäßig große Beträge entzieht und sie vielfach solchen Persönlichkeiten zuweist, deren Anspruch auf Besitz mit ihrer menschlichen Artung und Leistung streitet. Nicht die alten und verdienstvollen Formen des Handels und des Kommissionswesens sind gemeint, sondern die Gelegenheitsgeschäfte großen Umfangs, Spekulationen, Gründungs- und Geldvermittlungen, Patent- und Grundstücksschiebereien, verborgene Beleihungs- und Wertpapiergeschäfte. Hier helfen nur nachhaltige Stempelgebühren und entschiedene Sonderbesteuerungen akzidenteller Gewinne, Gewerbescheine, Firmeneintragung und Bilanzrevisionen.
Im weiteren Zusammenhange sei eine Tätigkeit gestreift, die, an sich ehrenhaft und gutwillig, durch die Rückständigkeit ihrer Voraussetzungen der Wirtschaft größeren Schaden zufügt als irgendeine falsche Maßnahme seit Beginn der kapitalistischen Ordnung, indem sie Hunderttausende schaffensfähiger Existenzen zu einer Leistung aufsaugt, die von wenigen Tausenden erfüllt werden könnte.
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Jede verwitwete Inhaberin eines Strickwarengeschäfts beansprucht, daß fünfzigmal im Jahr junge Abgesandte ihrer bevorzugten Großhändler bei ihr vorsprechen, einige Stündchen mit ihr verplaudern, ihr Neuigkeiten erzählen und vorzeigen, während sie sich vorbehält, dem einen oder andern gelegentlich einen Auftrag zu erteilen. Jeder dieser Verkäufer mußte für drei oder vier solcher Besuche, die er vor seinen Mitbewerbern streng zu verbergen sucht, eine Reise machen, welche die Ware verteuert und seine Arbeitskraft für einen Tag aufzehrt. Millionen von Arbeitstagen werden in jedem Jahre durch sogenannte Geschäftsreisen verloren, die erspart werden könnten, wenn in jeder größeren Provinzialstadt ein gemeinsames Musterlager der Grossisten unterhalten und von den Geschäftsleuten der Umgegend zwei- oder dreimal im Jahre besucht würde. Eine scharfe Besteuerung der Handelsgeschäfte, die aus Mangel organisatorischer Entschlüsse die Volkskraft durch unwirtschaftliche Rundreisen verbrauchen, würde diese Reform des Kleinhandels erzwingen und um Hunderte von Millonen die Produktionskraft erhöhen.
Solange es in einer Wirtschaftsgemeinschaft Erzeugnisse gibt, die auf dem Wege vom Hersteller bis zum Verbraucher um mehr als ein Vierteil, bisweilen um die Hälfte, gelegentlich auf das Doppelte des Preises sich verteuern, ist das Handelssystem tief reformbedürftig. Nicht die Schonung des Verbrauchers ist hier das Höchstzuerstrebende, noch die Bereicherung des Händlers das Meistzufürchtende: sondern das überflüssige Hin und Her der Ware, das übermäßige und zinsraubende Ansammeln der Läger, das überflüssige Anbieten, Feilschen und Mäkeln zwischen den einzelnen Stufen des Handelsweges, vor allem das übertriebene Hegen der Bequemlichkeit
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des Käufers, dem der Weg bis zur nächsten Straßenecke zu lang erscheint, der sieben Detaillisten verlangt, wenn in einem Häuserviertel ein einziger genügt, der spät, mehrfach gemahnt, oder gar nicht zahlt. Diese leicht zu beseitigenden Reibungen des Handels erfordern einen ungemessenen Aufwand an nationaler Arbeit und Kapitalaufwendung, der erspart und der Landeserzeugung zugeführt werden muß. Es ist nicht gleichgültig, sondern Sache der Nationalwirtschaft und Gesetzgebung, ob die Arbeitsleistung eines Armeekorps aufgewendet werden darf, um die Verteilung des Tabaks, des Schreibpapiers und der Seife in einer Großstadt zu sichern.
4. Oberhalb einer mäßigen Vermögenseinheit gehört jeder Nachlaß dem Staat. Die obere Grenze des vererbbaren Besitzes ist gegeben durch die Wirtschaftsform des Landbaus, der nach dem Stande unsrer Kenntnis nicht anders als privatwirtschaftlich und im Erbgange nachhaltig und erfolgreich vor sich geht. Hingegen ist alles, was für die Notwendigkeit der Erhaltung latifundialer Besitze angeführt wird, teils zeitlich eng begrenztes, teils irriges Urteil; denn jeder wirtschaftliche, technische und kapitalistische Vorsprung des Großbetriebes läßt sich auf dem Wege der Assoziation gewinnen. Die allmähliche Überleitung zum staatlichen Heimfall des Erbes bildet die wachsende, nach Umfang und Verwandtschaftsgrad hoch gestaffelte Besteuerung; der Unfug des Erbanfalls außerhalb des engsten Familienkreises sollte sobald als möglich beseitigt werden.
Vom staatlichen Heimfall auszunehmen sind in beschränktem Maße wohltätige Legate, in weiterem Umfange gewisse Stiftungen, auf deren Bedeutung wir zurückzukommen haben. Selbst Familienstiftungen können
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innerhalb bestimmter Grenzen zugelassen werden, so- weit sie der Erziehung und Ausbildung, ethischen und kulturellen Zwecken dienen. Höchste Werke und Denkmäler der Natur, der Kunst und der Geschichte können nicht vererbt werden.
Bedeutender sind die Wirkungen dieser Maßnahmen auf das Gesamtgebiet sittlich-gesellschaftlicher Beziehungen als diejenigen irgendeines andern Umschwungs, den die neuere Geschichte kennt. Das äußere Leben erscheint unter neuer Auffassung. Neben seiner Beziehung zur Klasse entsteht dem Einzelnen eine vertiefte Beziehung zur Gemeinschaft, der er entstammt und zu der er durch sein Haus zurückkehrt. Die losgelöste, von der Masse getragene Existenz verliert ihren Sinn; das bürgerliche Dasein besteht nur solange, als es dient und leistet, und schattenhaft, soweit es seine Untauglichkeit bekennt. Die schnöde Luxusexistenz hört auf, und zugleich mit ihr die erbliche Gebundenheit; die Anschauungen gleichen sich aus zum Volksgefühl. Die Herrschaft eitler, diebischer, frevelhafter Naturen wird zur seltensten Ausnahme, Wirkung und Achtung treten sich näher. Die Erziehung gewinnt neue Formen und neue Wirksamkeit; war sie leichte Rüstung, so wird sie zur Lebenswaffe. Die Notwendigkeit, jede Anlage zu erforschen und zu fördern, wird unabweisbar; sie lohnt der Gemeinschaft mit einer ewigen Ernte geistiger Kräfte, wie nur die Perioden der grossen Umwälzungen bisher sie erkannt haben. Der Frau wird ihre mütterliche Würde und häusliche Verantwortung zurückgewonnen, die in damenhaftem Selbstzweck, in Leerheit und in Tagesfron ersticken sollte. Jedem gutwilligen Menschen erschließt sich ein Aufblick und Aufstieg; niemand ist ausgestoßen noch verachtet; ausgeschlossen nur der Verächter.
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Aufzuklären bleibt ein letzter Widerspruch.
Betrachtet man die heutige Wirkungsweise der größeren Privatvermögen im rein mechanistischen Sinne und ohne den Blick auf die sittlich-soziale Seite des Problems zu richten, so ergibt sich, daß sie eine ihrem eigentlichen Wesen fremde, doch wirtschaftlich bedeutende Aufgabe erfüllen: sie tragen das Risiko der Weltwirtschaft.
Alle Unternehmungen des kapitalistischen Arbeitssystems stimmen darin überein: sie fordern große Mittel und sind gefährlich. Jede fiskalische Verwaltungsgemeinschaft ist imstande, Mittel zu beschaffen; Risiken zu tragen vermag sie nicht, denn es fehlt ihr der leidenschaftliche Anreiz, der die Sorgen der Verantwortung überwindet, und es fehlt ihr das autokratisch waltende, instinktive Urteil, das die Aussichten jenseits der Gefahr vorwegnimmt. Fernstehende neigen zu dem Irrtum, daß dieses Urteil durch fachmännisches Studium und Gutachten ersetzt werden könne, diese Hilfsmittel versagen bei allen großen Zukunftsfragen; die Meinungen der Autoritäten widersprechen sich, und wenn sie sich einigermaßen geeinigt haben, ist der Augenblick verpaßt.
Das Privatkapital begegnet der Größe der Aufgabe durch Assoziation; es begegnet den Risiken seiner Unternehmungen durch unermüdliches Streben nach Erfolg und Gewinn; es überwindet die Dunkelheit des Zukunftsurteils durch die sorgfältigste Auswahl seiner Beauftragten und durch die große Zahl der Versuche.
Bisher konnte dieser Forderung nur das überschüssige Kapital genügen, das über den Notbedarf hinaus geschichtet im Besitze der Wohlhabenden nach Anlage und Vermehrung strebte; die kleinsten Ersparnisse begnügten
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sich gern mit erhöhter Sicherheit und geringerer Abenteuerlust.
Es entsteht nun die Frage: Welche neuen kapitalistischen Formen können an die Stelle der privaten Unternehmungsmittel treten, wenn der überschüssige Einzelreichtum dem gleichmäßigen Volkswohlstand gewichen ist ?
Um zu antworten müssen wir der späteren Darlegung über die sittlichen Probleme der Wirtschaft einen Begriff vorwegnehmen: Den Hinweis auf die vorschreitende Verdrängung der Habsucht durch Verantwortungsgefühl.
Überblicken wir die große Zahl wahrhaft vorbildlicher Unternehmungen, und zwar unter völliger Abstraktion vom historisch Gewordenen, lediglich auf das Seiende und Werdende den Blick gerichtet — denn überall hat die Substitution des Grundes stattgefunden —, so haben wir folgendes festzustellen:
Fast ausnahmslos tragen diese Unternehmungen die unpersönliche Form der Gesellschaft. Niemand ist ständiger Eigentümer; ununterbrochen wechselt die Zusammensetzung des tausendfältigen Komplexes, der als Herr des Unternehmens gilt. Die ursprüngliche Veranstaltung, daß mehrere wohlhabende Kaufleute sich zusammentaten, um gemeinsam ein Geschäft zu errichten, dessen Anforderungen die Kräfte eines einzelnen überstiegen, ist zur historischen Fiktion geworden. Fast im Vorübergehen erwirbt dieser und jener einen oder mehrere Anteile, die er bezeichnenderweise Papiere nennt; er erwartet einen Ertrag oder eine Wertvermehrung; in vielen Fällen denkt er an möglichst raschen Verkauf. Die Tatsache, daß er Mitglied einer geschlossenen Gesellschaft geworden ist, kommt kaum zu seinem Bewußtsein; häufig hat er nur gleichsam auf die Prosperität
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des einen oder andern Geschäftszweiges gewettet, und das Symbol dieser Wette ist ein Papier.
Zugleich aber besitzt dieser Erwerber noch andre, vielleicht zahlreiche andre Papiere; er wird zum Kreuzungspunkt verschiedenartiger Besitzrechte, und auch die Zusammensetzung dieser Anrechte wechselt. Manchmal kennt er sie nur dem Namen nach; man hat ihm zum Erwerbe geraten; er hat eine Zeitungsnotiz gelesen; er ist einer allgemeinen Neigung gefolgt.
Dieses Verhältnis aber bedeutet die Entpersönlichung des Eigentums. Das ursprünglich persönlichste Verhältnis eines Menschen zu einer greifbaren, genau bekannten Sache ist zu einem unpersönlichen Anspruch auf einen theoretischen Ertrag geworden.
Die Entpersönlichung des Besitzes bedeutet jedoch gleichzeitig die Objektivierung der Sache. Die Besitzansprüche sind derart unterteilt und beweglich, daß das Unternehmen ein eigenes Leben gewinnt, gleich als gehöre es niemand, ein objektives Dasein, wie es vormals nur in Staat und Kirche, in städtischer, zünftischer oder Ordensverwaltung verkörpert war.
Dieses Verhältnis drückt sich im Lebensprozeß des Unternehmens aus als eine Schwerpunktsverschiebung; zum Mittelpunkt werden die leitenden Organe einer Beamtenhierarchie; der Gemeinschaft der Eigentümer verbleibt das suveräne Recht der Bestimmung, doch dieses Recht wird mehr und mehr theoretisch, indem eine Mehrzahl andre Kollektivorganismen, etwa Banken, mit der Wahrung ihrer Rechte betraut und indem diese Treuhänder wiederum unmittelbar an der Verwaltung des Unternehmens mitwirken.
Schon heute ist der paradoxe Fall denkbar, daß das Unternehmen sein eigener Eigentümer wird, indem es
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aus seinen Erträgen die Anteile der Besitzer zurückkauft. Das deutsche Gesetz schränkt diesen Vorgang ein und verlangt, daß dem Vorbesitzer sein Stimmrecht gewahrt werde; ein organischer Widersinn der vollkommenen Loslösung des Besitztums vom Besitzer besteht jedoch nicht.
Die Entpersönlichung des Besitzes, die Objektivierung des Unternehmens, die Lösung des Eigentums führt einem Punkte entgegen, wo das Unternehmen sich in ein Gebilde nach Art einer Stiftung, oder besser gesagt, nach Art eines Staatswesens verwandelt. Dieser Zustand, den ich als den der Autonomie bezeichnen will, läßt sich auf vielfachen Wegen erreichen. Der eine Weg der Rückzahlung des Kapitals wurde erwähnt. Ein zweiter Weg, den Besitz an die Angestellten und Beamten des Unternehmens aufzuteilen, wurde in einiger Annäherung von einem deutschen Industriellen beschritten. Der Besitz kann an behördliche Stellen, Universitäten, Stadtverwaltungen, Staatsregierungen gebunden werden; dies ist bei einem der ältesten deutschen Bergwerke geschehen. Erforderlich sind lediglich zulängliche und brauchbare Bestimmungen, welche dafür sorgen, daß das Unternehmen dauernd von den jeweils besten auffindbaren Organen geleitet werde.
Ist die Verfassung wohl durchdacht, so kann das Unternehmen allen künftigen, wenn auch noch so stark wachsenden Kapitalansprüchen genügen. Zunächst verbleibt ihm die Rente, die es bisher jährlich an seine Gesellschafter auszuzahlen hatte. Sodann kann es vorübergehend oder dauernd mit Schuldverschreibungen belastet werden. Es kann im Notfall einen Rückschritt tun und von neuem tilgbare Anteilsrechte begeben; es kann und wird vor allem unter dem Schutze eines unerschöpflich reichen Staates, und an sich der Kontrolle dieses
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Staates unterworfen, erwarten, daß nach Bedarf ihm Staatsmittel gegen gebührende Verpflichtungen überwiesen werden. Noch mehr: der Staat selbst wird wünschen und verlangen, daß die autonomen Unternehmungen jederzeit die überschüssigen Mittel seiner Kassen unter entsprechender Aufsicht aufzunehmen und anzulegen bereit sind.
Dem objektiven Streben zur Antonomie entspricht die subjektive psychologische Entwicklung des Unternehmens und seiner Organe.
Soweit größere Privatunternehmer noch bestehen, haben sie sich längst gewöhnt, ihr Geschäft unter der objektiven Gestalt der Firma als ein selbständiges Wesen zu betrachten. Dieses Wesen führt eigene Rechnung, arbeitet, wächst, schließt Verträge und Bündnisse, nährt sich von eigenem Ertrage, lebt als Selbstzweck. Daß es den Inhaber ernährt, ist, wo nicht Nebenwirkung, doch in den meisten Fällen nicht Hauptsache; ein tüchtiger Geschäftsmann wird dazu neigen, seinen und seiner Familie Verbrauch mehr als nötig zu beschränken, um der Firma reichlichere Mittel zur Erstarkung und Ausdehnung zuzuführen. Das Wachstum und die Macht dieses Geschöpfes ist des Besitzers Freude; weitaus mehr als der Ertrag. Die Habsucht weicht dem Ehrgeiz und der Schaffenslust.
Gesteigert findet sich diese Denkweise in den Häuptern großer Gesellschaftsunternehmungen. Hier herrscht schon heute der gleiche Beamtenidealismus wie im Staatsbetriebe. Die leitenden Organe sorgen für Zeiten, in denen sie nach menschlichem Ermessen längst nicht mehr dem Unternehmen angehören werden. Fast ausnahmslos kämpfen sie dafür, dem Unternehmen den größten Teil seiner Erträge zu wahren, den kleinsten Teil auszuschütten,
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obwohl ihre persönlichen Einkünfte darunter leiden und das Ergebnis der Verwaltungsperiode ihren Nachfolgern zugute kommt. Ein hervorragender Oberbeamter, vor die Wahl gestellt, seine Einnahmen zu verdoppeln oder in die Leitung einzutreten, wird die Verantwortung an Stelle des Reichtums wählen. Die Macht und Vorbildlichkeit des Instituts ist zum absoluten Zweck des äußeren Lebens geworden; der vollkommene Ersatz der Habsucht als treibenden Motors durch Verantwortungsgefühl hat sich vollzogen.
So arbeitet die Psyche des Unternehmens in gleicher Richtung wie die Entwicklung des Besitzverhältnisses: beide wirken im Sinne der Autonomisierung.
Der wirtschaftliche Sinn der gesamten Bewegung aber ist im letzten Sinne der: Nicht mehr die Erwerbslust des reichen Kapitalisten ist es, die das Unternehmen schafft, sondern das Unternehmen selbst, zur objektiven Person geworden, erhält sich selbst, schafft sich seine Mittel, wie es sich seine Aufgaben schafft, und ist bereit, diese Mittel aus eigenen Erträgen, aus vorübergehendem Anlagebedürfnis, aus Staatsdarlehen, aus Stiftungen, aus Spargeldern seiner Angestellten und Arbeiter oder wie immer sonst zu entnehmen.
Es lagert sich somit zwischen das Gebiet der Staatsverwaltung und das Gebiet der Privatgeschäfte eine Schicht mittlerer Gebilde; autonomer Unternehmungen, die der privaten Anregung entstammen, von privater Initiative geleitet werden, der Aufsicht des Staates unterliegen und ein selbständiges Leben führen, das in seiner Wesensart von der Privatwirtschaft zur Staatswirtschaft überleitet. Dieser objektiv und unpersönlich gewordene Besitz wird vermutlich in künftigen Jahrhunderten die hauptsächliche Daseinsform aller dauernden Güter
10 Rathenau, Von kommenden Dingen
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bilden; ihnen gegenüber werden die Verbrauchsgüter als Privateigentum, die gemeinnützigen Güter als Staatseigentum ihre Stellung wahren; den Betriebsmonopolen dienen die Formen gemischtwirtschaftlicher Unternehmung.
Der Lage der autonomen Unternehmungen muß die Eigentumsgesetzgebung in gleicher Weise Rechnung tragen wie den Stiftungen, deren wachsende Bedeutung gleichfalls der kommenden Zeit gehört. Beiden Institutionen ist die Annahme von Legaten zu gestatten, sofern es sich um billigerweise anzuerkennende Zwecke handelt. So findet der Schöpfer eines wirtschaftlichen Organismus die Möglichkeit, seinem ideellen, auf Dauer seines Werkes gerichteten Willen Ausdruck zu leihen, ohne daß müßigen Generationen Eigentumsrechte und Renten übertragen werden; der wirtschaftliche Wille, soweit er produktiv wirkt, erhält Bestand, soweit er materielle Güter anhäuft, stirbt er ab. Die objektive, vom Einzelleben losgelöste Stiftung wird zum wahrhaften Denkmal eines nach außen wirkenden Lebens; sie gewinnt eine, wenn auch nicht im geistigen Inhalt, so doch im absoluten Dasein begründete Analogie zur idealen Schöpfung des Kunstwerks.
Daß unser deutsches, dem Wesentlichen und Ideellen zugewandtes Land an Stiftungswerken, die nicht engen Familienzwecken dienen, soviel ärmer ist als etwa Amerika oder selbst Griechenland, beweist, daß der Unternehmergedanke nicht eigentlich deutschen Ursprungs ist und deswegen bei uns noch nicht zu seinen letzten Folgerungen kommen konnte. Diese Folgerungen aber, die weder im Sinne des Einzelnen noch im Sinne des Familienstammes eigennützige sein dürfen, weil der aus Eigennutz gebaute Organismus nicht bestehen kann,
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würden zu voller Wirkung hervortreten, sobald die Erblichkeit, die aus falscher Analogie der Gewohnheit diesen Schöpfungen zugestanden wurde, ihren Charakter verliert. Was heute seltene Ausnahme ist, wird zur Regel; was eine Generation erschafft, wird in die Sphäre allgemeiner Gültigkeit erhoben, um der nächsten Generation zu dienen; Wirtschaftseinheit ist nicht mehr ausschließlich der Stamm der Familie, sondern die Gemeinschaft; jedoch nicht ausschließlich die schematisch gebundene Gemeinschaft des Staates, sondern daneben ein ideelles Zwischenvolk wirtschaftlicher Individualitäten, die nicht Menschen sind, sondern Verkörperungen menschlicher Willenseinheiten.
Es hindert nichts zu gestatten, daß Stiftungen insofern auch dem Familiengedanken dienen, als sie in gemessenem Umfange zur Ausbildung und Lebensausrüstung individueller Nachkommenschaften beitragen, sofern die Leistung ein gegebenes Verhältnis zur gemeinnützigen Wirkung nicht übersteigt; doch wird niemals die Ausartung zum Rentnertum und zur Züchtung vorversorgter Stände zugelassen werden dürfen.
Überblicken wir nun das Wirtschaftsleben eines Landes, das die Grundsätze unsrer Ordnung verwirklicht, so finden wir folgende Wirkungsreihe.
Die Produktion hat ein verändertes Aussehen gewonnen. Alle Kräfte des Landes sind tätig geworden; müßig bleiben nur Kranke und Greise. Die Einfuhr und Er-eugung überflüssiger, häßlicher und schädlicher Produkte ist auf ein Geringstes beschränkt; hierdurch ist ein Dritteil der nationalen Arbeit erspart, die Produktion der notwendigen Mittel erheblich verbilligt und gesteigert.
Die Konzentrierung der Landeserzeugung auf die not- wendige und nützliche Produktion verbessert den Wirkungsgrad
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menschlicher Arbeit in ihrem Verhältnis zu diesen Erzeugnissen; der Faktor der Erschwinglichkeit wächst. Der Konsumanteil der Bevölkerung steigt, bei gleicher Arbeitsleistung erhöht sich die Lebensführung.
Während der Gesamtwohlstand des Landes sich dauernd, durch die Heranziehung müßiger Hände und die Rationalisierung der Produktion, doppelt und drei- fach steigert, ist die Ansammlung privaten Reichtums gehemmt. Somit muß das Wachstum des Besitzes der Gemeinschaft zugute kommen. Dies geschieht in doppeltem Sinne.
Zunächst wird der Staat über alle Begriffe reich.
Er kann allen bisherigen Aufgaben in erhöhtem Umfang genügen; er kann alle Not und Arbeitslosigkeit im Lande beseitigen; er kann gemeinnützige Pflichten in ungeahntem Maße erfüllen, ohne der Steuerkraft seiner Bürger zu bedürfen. Staatsaufgaben, die heute zum höchsten Schaden der Wirtschaft mit fiskalischen Ausbeutungen verknüpft werden, können ohne Gewinnabsicht behandelt werden. Dieser Grundsatz, auf ein einziges Problem, das des Verkehrs und Transportes angewendet, bedeutet eine Vervielfältigung der Produktionsfähigkeit und eine unabsehbare Verbilligung der Erzeugung: denn praktisch wird das ganze Verkehrsgebiet frachtfrei; die Wirkung ist die gleiche, als wenn alle Fundstätten und Erzeugungsmittel des Landes in seinem Schwerpunkt vereinigt wären. Gleiches gilt von der Erzeugung und Verteilung der Kräfte.
Der Staat wird zum Bewahrer und Verwalter großer Anlagemittel, die er mit mäßigem Gewinnanspruch den werbenden Berufen zur Verfügung stellt und an deren Hergabe er die Bewilligung normalisierter Arbeitseinkommen knüpfen wird. Ein neuer Mittelstand entsteht
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durch staatliche Finanzierung solcher Gewerbe, deren Erhaltung neben den Großbetrieben von Nutzen bleibt. Der Andrang der staatlichen Kapitalien ermäßigt den gewerblichen Zinssatz des Landes und erleichtert die Errichtung mittlerer Unternehmungen.
Zugleich wird es dem Staate ermöglicht, geistige Arbeit aus dem Mechanismus des materiellen Erwerbslebens loszulösen und ihr den würdigen Ertrag zu sichern, der heute an den Zufall des ungeistigen Erfolges gebunden ist. Der Künstler, Gelehrte und Denker wird unabhängig vom Urteil und Entscheid eines Marktes, der grundsätzlich das Echte nur dann belohnt, wenn es das Glück hat, mit dem Schein verwechselt zu werden.
Neben dem Staat gewinnt das Volk an Wohlstand, freilich nicht in der Form großer einzelner Vermögen, sondern nach Art großbürgerlicher Behäbigkeit. Die Klassengegensätze sind geschwunden, der Weg zur Selbständigkeit und Verantwortung steht einem jeden offen, die Mittel der Bildung sind jedem Begabten erschwinglich. Er kämpft nicht gegen die geschlossene Phalanx der Bevorrechtigten; eine beständige Vermischung, ein dauerndes Auf- und Niedersteigen von Leistenden und Leitenden findet statt. In gleichem Maße wie einerseits die Ansammlung von Ersparnissen, die Erlangung wirtschaftlicher Kredite sich erleichtert, anderseits der Neubeginn von Existenzen durch Rücktritt in die Kolonnen der minder qualifizierten Arbeiter zur alltäglichen Erscheinung wird, verlieren die Lohnkämpfe an Erbitterung, und um so mehr, als in erhöhtem Maße sittliche und intellektuelle Eigenschaften über Lebensaufgabe und Beruf entscheiden. Vor allem aber hat sich das Verhältnis des Arbeitsangebots geändert. Die freie Verfügbarkeit des Kapitals, das Wachstum der Produktion
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gewinnt einen Vorsprung gegenüber dem Angebot der Arbeitskraft: während heute zuweilen Hände feiern und Maschinen und Arbeitsmittel überansprucht sind, wird Maschine und Kapital auf das Zugreifen der Hände warten und somit ein erhöhter Anteil des Arbeitswertes dem Arbeitswilligen zufallen.
Die Schicht neuer Gebilde, der autonomen Unternehmungen, die sich zwischen Privatwirtschaft und Staat schalten, trägt zu dieser Wirkung bei. Denn das autonome Wirtschaftsorgan sucht seine Bestimmung nicht überwiegend in der Gewinnung hoher Erträge; es sammelt Überschüsse nur insoweit, als Erneuerung und Ausdehnung sie erfordern; der Gegensatz zum Lohninteresse ist gemildert. Noch mehr: Einzelne dieser Gebilde werden ihre Mitarbeiter am Arbeitsergebnis grundsätzlich teilnehmen lassen, andre werden die Vorteile einer Wirtschaftsform, die nicht mehr dem Geldinteresse von Aktionären und Kapitalisten unterliegt, darin suchen, daß ihnen durch Heranbildung eines hoch entlohnten Arbeiterstandes eine Verbesserung der Qualität und des Wirkungsgrades der Arbeit erwächst. Das Dasein und der Wettbewerb dieser autonomen Werke übt rückwirkend und anspornend seinen Einfluß auf den Markt der Arbeit aus.
Bei einem wirtschaftlichen Zustande dieser Art kann Gleichmäßigkeit der Erziehung und sorgfältige Auswahl aller Begabungen verwirklicht werden und zur Kräftigung des nationalen Aufbaues entscheidend beitragen, während gegenwärtig an der Verschiedenheit häuslicher Herkunft, körperlicher und geistiger Vorbestimmung aller gute Wille vorurteilsloser Volkserziehung scheitert. Die Reife eines Volkes, die Fülle seiner geistigen und sittlichen Mächte kann aber nur dann sich entfalten,
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wenn kein Samenkorn verloren wird und jedem Sproß die Wartung zuteil wird, die der Würde und dem göttlichen Anspruch des Menschengeistes zusteht.
Daß kein Trugschluß die scheinbar utopische Darlegung eines erreichbaren Zustandes fälscht, möge die kürzeste Gegenüberstellung nochmals vergewissern:
1. Produktion und Wohlstand des Landes müssen steigen, denn es wird
Vergeudung ausgeschaltet,
überflüssige Produktion auf nützliche Produktion umgestellt,
Müßiggang beseitigt und jede verfügbare Kraft zu geistiger und materieller Produktion herangezogen,
freier Wettbewerb und private Unternehmungslust erhalten,
die Verantwortung in die Hände der sittlich und geistig Befähigten gelegt.
2. Die Ansammlung übermäßigen und toten Reichtums wird verhindert;
3. Die starre Gliederung der Stände wird verflüssigt; an die Stelle dauernd tragender und dauernd lastender Glieder tritt lebendige Bewegung und organisches Auf- und Niedersteigen;
4. Somit wächst die Macht des Staates, seine materielle Stärke und seine ausgleichende Kraft,
und gleichzeitig entsteht ein gleichmäßiger mittlerer Wohlstand, der alle Stände durchdringt, Klassengegensätze ausgleicht und die Nation zur höchsten denkbaren Entfaltung ihrer geistigen und wirtschaftlichen Kräfte führt.
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II. DER WEG DER SITTE
Es ist ein Irrtum unsrer Zeit, den Begriff fortschreitender Entwicklung zu leugnen, den sie ein Jahrhundert lang gepriesen hat.
Freilich ist Entwicklung ein zeiträumliches Geschehen; und wenn wir wagen, den Blick zum Absoluten zu erheben, so versinkt das in Raum und Zeit Bedingte. Es steht uns frei, dies Jenseitige als ein Ruhendes zu benennen, obwohl auch dieser Begriff der Raumzeit nicht entrinnt, die er zum Nullpunkt drängt; obwohl wir radikaler verfahren, wenn wir Kontraste unbekannter Kategorien als Urgrund unsrer Symbole fordern. So mag ein unzulängliches Bild zugelassen bleiben: Ruhe im Zentrum des Wesens; wachsende Bewegung bis zur Peripherie der Erscheinung.
Diese Erwägung verliert alle Bedeutung, sobald wir uns auf die Bühne der Erscheinung begeben. In diese Erscheinungswelt sind wir gesetzt, um zu handeln; diese Welt wird beherrscht vom intellektualen Denken; hier wird der Spuk: Raum, Zeit, Bewegung reales Reguisit.
Ihr Licht erhält die Bühne aus andern Reichen; dies Licht ist Ethik. Das jenseitige Reich, aus dem sie stammt, ist nicht mehr Gebiet des Intellekts; die Geisteskraft des Menschen, die dieses Reich erschließt, ist seine Seele.
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Hier liegt der naive Irrtum aller Philosophie zutage, die sich vermaß, mit der Kraft des Intellekts, der Logik, des Einmaleins alle Reiche zu durchdringen, ohne sich je zu fragen, ob denn diese intellektuelle Denkkraft wirklich eine absolute sei, ja ob sie denn die einzige Macht des Geistes bedeute; ob nicht vielmehr jede Erkenntniswelt adäquate Geistesmächte verlange, ob nicht in uns selbst Ansätze dieser Mächte im Intuitiven, in der Liebeskraft der Seele sich offenbaren. Die Jahrtausende vergingen, und immer wieder drängte sich das Einmaleins an die Geheimnisse, die nicht einmal die Sehnsucht der Seele zu bewältigen vermag.
Hier scheiden sich die Urbetrachtungen: sollen wir das Absolute in der Sprache des Intellekts, sollen wir die Erscheinungswelt in der Sprache der Seele zu umschreiben suchen? In der Betrachtung der Seele ist die Erscheinungswelt ein Gleichnis; eine Bühne, auf die wir gestellt sind, um nach dem Willen des Dramaturgen bewegliches Schicksal zu schaffen und zu erleben; in der Betrachtung des Intellekts ist das Jenseitige ein Auf-stieg. Der Indifferenzpunkt beider Betrachtungen ist unser sittliches Sollen; hier steht die Notwendigkeit der Verknüpfung; hier ist es unerlaubt, die Erscheinung ganz als Selbstzweck oder ganz als Spiel zu nehmen; hier lehrt die Seele den Intellekt und erweist sich als höherer Herkunft.
Unzulässig bleibt die Vermengung: das reale Leben zu trüben durch die transzendente Betrachtung der Bewegungslosigkeit, oder das transzendente Reich anzutasten durch das Hineintragen irdischer Ordnungen.
Auf der Seite der intellektualen Betrachtung im Reich der Erscheinung haben wir das Recht und die Pflicht, das Beginnen der Seele als Aufstieg und Entwicklung
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hinzunehmen, obwohl in transzendenter Betrachtung das Wesen der Seele ohne Anfang und Ende ist.
Eine Betrachtung wirtschaftlicher, geschichtlicher und sozialer Dinge muß sich stets bewußt sein, daß sie auf der Bühne der Erscheinung agiert. Sie muß das reale Leben ernst nehmen, an Wissenschaft und Entwicklung im Rahmen ihrer Aufgabe glauben, soweit es sich um Bestehendes handelt. Treten Ziele hervor, so übernimmt der Sittenbegriff die Führung. Dann ist das Bestehende nicht nebensächlich zwar, doch auch nicht entscheidend; die Forderung wirkt aus größter Ferne, und dennoch mächtig, wie die Kraft der Gestirne auf Ebbe und Flut. Das Bestehende bleibt fest und wird dennoch plastisch wie zähes Metall; wir dürfen der Entwicklung vertrauen, daß sie das Widerstrebende, das scheinbar ewig Konstante, und wenn es die Leidenschaften, die Wünsche und Verblendungen der Menschen wären, einem klareren und vollendeteren Stande, dem Reiche der Seele näher führt.
Daß die Welt seit dem Verlöschen der absoluten dogmatischen Ideale überhaupt es vermocht hat, sich neben ihren mechanischen Schutzwehren ein paar Schritte vorzutasten, erklärt sich nur daraus, daß in den Winkeln ihres Gewissens allerorten noch Glaubensreste der Zeiten, transzendenter, mythologischer, fetischistischer und animistischer Herkunft sich vorfanden, die, einzeln verfallend, in ihrer Sammelwirkung noch eine Richtung andeuten.
Unfaßbar und ausdenkbar ist es, diese Welt, in der ein nie erhörtes Maß von geistigen Kräften kreist, preisgegeben sich vorstellen zu müssen den zufälligen Konstellationen materieller Bedürfnisse, physischer Gleich- gewichte, majorisierender Bestrebungen, ohne das Gegengewicht
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einer einigen, unerschütterten ethischen Triebkraft. Ohne die Überzeugung eines absoluten Gutes, das not tut. Ohne Glauben an ein gemeinsames Ziel, das Leben und Tod umschlingt. Ohne eine gültige Wertung, die sagt: dies ist gut und jenes böse.
Freilich, auch Interessen schaffen Glauben! Eine landwirtschaftliche Existenz kapitalisiert ihren Jahresnutzen zu einer religiös-politischen Anschauung. Ein Freihandelsinteressent steigert seine Geschäftsaussicht zum lukrativen Deismus. Der Forscher schafft sich eine Professorentranszendenz, die seinem Arbeitsgebiet lächelt. Ein Machthaber tauscht mit seiner Gottheit Verleihungen aus. Der arme Schlucker rächt sich und setzt sie ab. Ist es denn noch keinem aufgefallen, daß in dieser weiten Welt anscheinend niemand, aber niemand eine Überzeugung hat, die mit seinen Interessen streitet?
Soll nun die Richtung der Welt, ihr geistiges Wollen, der Kräftediagonale überlassen bleiben, die sich aus der Unzahl transzendentalisierter Interessen ergibt?
Und doch liegt das Reich der Seele vor aller Augen, und mit ihm die Ordnung der Ideale und Ziele, reiner und organischer gereiht und geklärt als die trübe Ordnung der Wirklichkeiten.
Unfaßbar ist noch ein Zweites und Geringeres, das immerhin gerade dem pragmatischen Sinn der Zeit am Herzen liegen sollte: Der Mensch, der alle Reiche des Himmels und der Erde zu durchforschen glaubt, ihm fehlt noch immer die wertende Erkenntnis des Menschen; er kennt und wertet nicht seinen Nächsten, nicht seinesgleichen.
Verbrauchte Wertungssysteme aller Zeiten und Zonen durchkreuzen sich im Bewußtsein der Menschheit, und keines vermag die Führung zu gewinnen, weil die
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leitende, gemeingültige Grund- und Weltanschauung fehlt.
Im westlichen Volksbewußtsein und seiner ästhetischen Anschauung überwiegt die germanische Polarität von Mut und Furcht. Geschätzt wird jede Eigenschaft, die Mut beweist, verachtet und gehaßt jedes Laster, das auf Furcht beruht. Jede Gewalttat ist verzeihlich, wenn sie mit Offenheit, Treue, Tapferkeit vereinbar ist; die Feigheit der Lüge, der Hinterlist, des Betrugs schändet und macht ehrlos. Jeder Vorwurf ist Vorwurf der Feigheit; Ehre ist anerkannter Mut. Der Mutbeweis des Zweikampfs heilt die angegriffene Ehre. Klugheit, Energie, Frömmigkeit, Barmherzigkeit sind indifferente Eigenschaften, die nützen oder schaden, die aus benachbarten Wertungssystemen eine gewisse Anerkennung oder Abneigung finden können, jedoch für die unterbewußte und entscheidende Wertung außer Ansatz bleiben. In der Dichtung bestimmt das Kennzeichen des Mutes und der Wahrhaftigkeit die Sympathie und Teilnahme; eine dichterische Figur darf träge, träumerisch, gewalttätig, unklug, unwissend, egoistisch sein und kann dennoch das Mitgefühl des Lesers finden; ist sie grundsätzlich feige, lügenhaft, heimtückisch, so ist ihre Verwendung im Mittelpunkt des Dichtwerkes unmöglich; daher ist die Bezeichnung der Hauptfigur als Helden zutreffend. Der tragische Konflikt treibt die dem Volksempfinden unbewußte Antinomie auf die Spitze: der Held ist mutig und erweckt daher tiefe Teilnahme; er übertreibt oder entbehrt indifferente Eigenschaften und geht daher nach dem Lauf der Welt oder des Schicksals, dem diese Eigenschaften seltsamerweise nicht indifferent sind, unter sympathisch erregtem, intellektuell erstauntem, unbewußt begreifendem Mitempfinden
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des Zuschauers zugrunde. Im französischen Dichtungskreise genügt es, wenn der Held sich mutig, gelegentlich großmütig erweist; im übrigen tut es der Sympathie keinen Abbruch, wenn er, wie Julien Sorel in Stendhals berühmtem Roman, lügt, mißtraut und intrigiert; die deutsche und angelsächsische Dichtung erträgt nur den klar umschriebenen Mutmenschen als Teilnahme fordernde Hauptfigur.
Ein anerzogenes theoretisches Bewußtsein läßt neben der Mutwertung die orientalische Schätzung der Barmherzigkeit und Klugheit gelten, das Patriarchenideal, das dem deutschen Mittelalter widerstrebte und dem Eingang der Bibel in das deutsche Dichterbewußtsein wehrte.
Das berufskünstlerische Empfinden des letzten Jahrhunderts schuf Ansätze einer intellektualen Wertung; die Steigerung der geistigen Fähigkeit zum Talent, der intuitiven Fähigkeit zur Genialität schien entscheidend zu werden und sich von ethischen Bedingungen loszulösen.
Das mechanisierte Denken verehrt den Erfolg; es drang eine neue Polarität der Wertung ein, die im Volksbewußtsein nachhaltig fühlbar wurde: die amerikanische Stufenleiter der Arbeitskraft, Nachhaltigkeit, Entschlußkraft und Willensphantasie.
Der chronistische Niederschlag des Sittenempfindens auf dem Pergament der Gesetze entspricht in seiner dürftigen Anpassung der Verworrenheit der Systeme. Die Lüge ist erlaubt, auch vor Gericht, der Meineid verboten. Streng bestraft werden Eigentumsvergehen, zumal wenn sie die Feigheit der Hinterlist verraten. Der Mutbeweis des Zweikampfes wiederum ist untersagt, wird aber dem Volks- und Standesempfinden zuliebe in Grenzen geduldet.
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Gleiches Durcheinander bürgerlicher Nützlichkeiten spiegelt die gesellschaftliche Schätzung. Feigheit und betrügerische Tücke ächten, wenn sie nachweisbar und offenkundig geworden sind. Lüge, Habsucht, Hinterlist, Schadenfreude, Verleumdung, Bosheit, Unbarmherzigkeit, Hochmut, Eitelkeit, Undankbarkeit, Geiz, Trägheit, Lüsternheit, Roheit werden hingenommen, solange sie dem bürgerlichen Erfolg keinen Abbruch tun. Fleiß, Energie, Willenskraft, Schlagfertigkeit, Talent, Witz, Gedächtnis werden anerkannt; wenn sie zum Erfolg führen, bewundert. Güte, Edelmut, Opfersinn, Begabung finden Beifall, wenn sie öffentlich verbrieft sind,
Dies ist das ungefähre Inventarium der unterbewußten, bewußten, gesetzlichen und gesellschaftlichen Menschenwertung unsrer Zeit. Indessen leben in Europa wohl an tausend Menschen, die nichts voneinander wissen und deren Augen sehend geworden sind. Sie tragen in sich den Maßstab einer neuen Wertung, und mehr: es ist ihnen der verhängnisvolle Blick verliehen, der das Menschliche wie einen Kristall durchdringt. Ihnen reden nicht nur Mund und Augen, sondern Stirn, Gestalt und Hände; die Wahl und der Klang eines Zufallswortes, das unausgesprochene Glied einer Gedankenverbindung, die unwillkürliche Bewegung, jede Wahl, Vorliebe, Abneigung in Gedanken, Dingen und Menschen, jedes Band der Umgebung, des Verkehrs, der Handlung und Lebensführung offenbart mit der gleichen Eindringlichkeit und Eindeutigkeit das Wesen des Angeschauten, wie es der Mehrzahl nur durch den Brenn- spiegel dichterischer Vision vermittelt wird.
Man spricht gemeinhin von der Gabe der Menschenkenntnis, und viele stellen sich darunter eine Art von
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mißtrauischer Schlauheit vor, welche hinter die geheimen Beweggründe, Schliche und Schwächen der Menschen zu kommen sucht, um sie desto leichter zu nutzen und zu beherrschen. Diese falsche Sklaventugend führt zu nichts, es sei denn zu kleinen ungerechten Vorteilen; denn sie kann von niederen Naturen nur gegen ihresgleichen geübt werden. Wahre Menschenkunde ist nur tief verantwortlichen, das heißt echten Herrschernaturen gegeben, die deshalb nicht einmal genial zu sein brauchen; das königliche Menschenvertrauen Wilhelms I. beruhte auf solcher Kraft und hat auf ein Jahrhundert den streng monarchischen Gedanken gerettet.
Einfühlende Menschenkenntnis führt nie zur Verachtung und nie zur Überhebung. Das organische Empfinden, auf dem sie beruht, begreift die Notwendigkeit der Schöpfungsfülle, die in der gleichzeitigen Harmonie aller Möglichkeiten, im lebenden Aufbau der Stufenglieder sich vollendet; Verachtung ist doppelte Blindheit: gegen sich selbst und gegen die Allseitigkeit der Natur.
Die Wertung verliert hier ihren pharisäischen Geschmack, der aller beschränkten Ethik anhaftet und sie schöpferischen Naturen verleidet; die Frage lautet nicht mehr, was ist besser und schlechter, was ist selbstgerecht und verächtlich, erlöst und verdammt, sondern vielmehr: was weist ins Künftige und was ins Vergangene? Was verlangt nach Verantwortung und was nach Schonung? Was fordert Leben, und was neigt zum Tode?
Fragt man aber die Menschen, die in menschlichen Dingen schauend geworden sind, nach welchen Polen ihre unbewußte und unbeirrbare Wertung sich richtet, so wissen sie es nicht. Wir wissen es und wollen es abermals bekräftigen: es ist die Richtung der Seelennähe
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und der Seelenferne. Jene haben den Gegensatz des seelenvollen und des seelenlosen Menschen erahnt und erblicken seine Übergänge in allen menschlichen Manifestationen.
In früheren Schriften habe ich den Urkontrast dargelegt und seine Herkunft erläutert: der Geister, die ihren Schwerpunkt im Absoluten, ihr Gleichgewicht in den Erfüllungskräften der Transzendenz, Intuition und Liebe finden, und jener andern, deren Schwerpunkt in der Erscheinung, deren Gleichgewicht in Wünschen und Ängsten liegt. Der transzendente Geist fühlt sich hingegeben als dienendes Glied des Unsichtbaren; die Erscheinungswelt schafft er sich und beherrscht sie, doch nicht in Willkür und Genuß, sondern eingedenk des Auftrages und der Verantwortung. Der terristrische Geist wird von der Welt beherrscht, von Körperlichkeit, Freuden und Leiden, Dingen und Menschen. Indem er sich zu befreien trachtet, ringt er um Leben und Genuß, um der Sinne mächtig zu werden; nach Wissen und Besitz, um die Dinge zu bewältigen; nach Macht und Herrschaft, um die Menschen zu unterwerfen. Dreifacher Irrtum, widerlegt durch Ungenügen, Zweifel und Tod.
Die Stimmung dieses Geistes ist Begierde und Furcht, ihre Objektivation heißt Zweck. Seine Kraft ist der reine analytische Intellekt; die hoffnungslosen Versuche dieser einseitigen transzendenzlosen und zweckhaften Kraft, ein Weltbild oder eine Sittenlehre zu schaffen, bilden den Inhalt aller früheren Philosophie. Sie konnten niemals weiter als bis zur Selbstbeschränkung und Abdankung des Intellekts gelangen; glückte ein Schritt darüber hinaus, so hatten verschämt geleugnete intuitive Kräfte sich eingedrängt. Psychologisch merkwürdig
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sind die verschiedenartigen Schreckphänomene, die auftreten, sooft die Intellektualkraft an die Kristallmauern des Nachbarreiches stößt, und die wechselnden Bezeichnungen, die sie negierend ihm verleiht. Jede Ethik auf der Grundlage des zweckhaften Intellekts mußte notgedrungen utilitarisch enden; die Beschämung über diese Erdgebundenheit, die Verzweiflung über die dialektische Anpreisung unverbindlicher Nützlichkeiten hat zu seltsamen, zwitterhaften Verschleierungen geführt.
Utilitarisch bleibt vor allem die praktische Ethik und Religion des intellektualen Geistes. Beide kommen über das do ut des des Handelns nicht hinaus; schon im Begriff des beweislosen Glaubens ist der Intellekt wiederum zur Abdankung gezwungen, sofern er nicht unter heimlicher Angst vor seiner eigenen Forschung sich an geschichtliche Offenbarung hält. Auch wenn er die Erscheinungswelt durch eine theokratische Übererde, die Lebenszeit durch eine postume Verlängerung erweitert, bleibt Hoffen und Fürchten, Handeln und Zweck entscheidend, mag man diesen Zusammenhang nennen, wie man will: sein Inbegriff ist Nutzen.
Es ist zu beachten, wie die reinsten Religionen, den Bezirken echter Transzendenz entstammend, sich materialisieren, sobald sie in die Hände intellektual-zweckhafter Bevölkerungen gelangen; ob sie beim Gebetrade oder bei der Reliquie enden, stets führt sie der Weg vom wunschlosen Glauben zum klugen Handeln.
Für den transzendenten Geist gibt es kein ethisches Handeln, sondern vielmehr einen ethischen Zustand. Die reine, wunschlose, in Schauen und Glauben erfüllte Gesinnung kann nicht fehlgehen, gleichviel was sie tut; sie kennt keine Vorschrift. Sie hat kein Mittel, und wünscht keins, um seliger zu werden, als sie ist; sie
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wird es durch die einströmenden Kräfte, denen sie entgegenatmet. Hier ist jeder Kompromiß des Lasters mit der Tugend, des Willens mit der Gewährung beendet; der ethische Vorgang ist der intellektualen Ordnung enthoben und in den Bereich seines eigenen erfüllenden Wesens gerückt.
Wiederholt habe ich dargelegt, was unsrer Zeit zu wissen so bitter not tut, in welchen erkennbaren menschlichen Ausstrahlungen das Wesen des Intellektualen, Furcht-und Zweckhaften sich kundgibt; wie die Sorge und Erdgebundenheit sich ausdrückt in egozentrischem Denken und Fühlen; die Abhängigkeit von Menschen in Ehrgeiz und Scheinsucht, Geschwätzigkeit und Lüge; die Abhängigkeit von Dingen in Habsucht, Wißbegierde; der Gesamtkomplex der transzendenzlosen Geistesrichtung in unsachlicher, liebloser, kritischer Haltung zur Welt und ihren Geschöpfen, in unsicherem, instinktlosem Wandel, im Verschmähen des Augenblicks und Hängen an der Zukunft, in der Neigung zum Sinnfälligen, Deklamatorischen, Pathetischen, im Hang zum Aberglauben und zur interessierten Frömmigkeit.
Niemals tritt eine dieser Eigenschaften gesondert auf, niemals bleibt ihr Ausdruck dem empfindenden Auge verborgen. Sie bilden das äußere Maß der Seelenferne des Einzelnen und des Volkes; ihr mählicher Übergang zu den Äußerungen der Transzendenz, zur Schöpfungs- liebe, Wahrheit, Sachlichkeit, Intuition, zur Freiheit von Dingen, Menschen und vom Ich, zur Versenkung in die Dinge um der Dinge willen, zur Liebe um der Liebe willen, zur wunschlosen Frömmigkeit, zum Dank, zur Hingabe und zur Erleuchtung: Dies ist der wahre Menschheitsweg, dies sind, ob Mensch ob Volk ihn schreitet, seine Stationen und zugleich die einzigen
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wahren und untrüglichen Maße menschlicher Entfaltung.
Wer diese Maße unbewußt in sich empfindet, dem können solche Darlegungen nichts Neues sagen, nur allenfalls Zusammenhänge klären, die sich dem Denken leicht ergeben. Doch ist es von höchster Wichtigkeit, daß endlich die allgemeine Wertung vorempfinde, was ihre Schulung die Menschheit lehren soll; daß nicht mehr abgestorbene Reste widersprechender ethischer Systeme bald dies bald jenes loben und empfehlen, so daß schließlich ein jeder beifällig und zuversichtlich sein Los betrachtet, das in irgendeiner Ziehung herauskommen muß, und die Welt in Selbstgerechtigkeit erstarrt. Daß heute eine Minderheit, unaufgerüttelt von Propheten und Zeloten, in stiller, unausgesprochener Übereinstimmung diese Wertungsmaße in sich trägt und ohne Haß und Proselyteneifer sie in jeder Individualität bestätigt findet, ist ein frohes Zeichen; nur wenige Jahrzehnte werden vergehen, bis zum mindesten Deutschland den menschlichen Weg in Ziel und Maßstab vor sich sieht.
Uralt ist der Intellekt, vormenschlich. In seiner Schule ist die Menschheit greisenhaft geworden, seine Denkrezepte und Nützlichkeitslehren handhabt sie in unendlichen Erbreihen mit unbewußter Meisterschaft. Jung ist die Seele; ihren Anteil muß jeder Mensch von neuem erringen, ihre Sprache ist noch ein Stammeln, in ihrem Geist sind wir Kinder. Die Nationen, junge Gebilde von wenigen Jahrtausenden, haben in ihrem Kollektivbewußtsein sich der intellektualen Methoden bemächtigt und legen sie dem inneren Ausbau, der äußeren Verteidigung zugrunde; ihr beginnendes Seelenbewußtsein wurde bisher nur im Kollektivgebilde der Sprache, in Sitte, Überlieferung, Mythos, sodann im Kollektivkunstwerk,
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Städtebau, Dombau, Hausgerät, Volkslied wahrnehmbar; religiöse Transzendenz dagegen wurde im Kollektivbewußtsein ausnahmslos zum Ritual und Kirchenwesen intellektualisiert und erniedert; ein nach außen wirkendes politisches Gewissen ist noch nicht entstanden, die Staaten verkehren als anethische Wesen.
Von den Vermächtnissen des reinen Intellekts ist das gewaltigste die Schöpfung der europäischen Wissenschaft und ihre Materialisierung in der mechanistischen Weltepoche. Wie äußere und innere Umstände, Volksverdichtung, Wechselwirkung gegensätzlicher Bevölkerungsschichten, Kämpfe intuitiven und intellektualen Geistes wirken mußten, um diese Bewegung emporzuführen, habe ich geschildert und wiederhole ich nicht. Hier ist zu betonen, daß die mechanistische Epoche, ihrem Höhepunkt noch fern, in sich die Gegenkräfte zu nähren beginnt, die zwar nicht bestimmt sind, die Mechanisierung in ihrer Praxis zu zertrümmern — denn als Hebel gegen die Schwerkraft toter Massen bleibt sie unentbehrlich —, wohl aber ihr die Herrschaft über den Geist zu nehmen und sie zur Dienerin des Menschentums zu machen.
Je mehr nämlich die einstmals unerhörten Denkformen, Forschungs- und Handlungsmethoden der Mechanisierung, gleichviel ob auf Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Politik angewendete, Gemeingut und Erbteil der Zivilisationen werden, nachdem sie zwei Jahrhunderte lang Geheimmittel und Vorrecht einer intellektuellen Minderheit gewesen sind, je mehr sie, ins Unbewußte verdaut, aufhören, Vorsprung und Sonderrechte zu verleihen, desto wirksamer und weltnotwendiger treten wiederum die Abstufungen des rein schöpferischen, intuitiven und verantwortlichen Geistes hervor und beanspruchen die Führung.
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Schon heute, zunächst in Politik und Wirtschaft, sodann in Technik und Wissenschaft, übermüdet das Überangebot intelligenter, versagt der Bestand intuitiver und charaktervoller Kräfte. Der Intellekt beginnt, selbstverständliche Voraussetzung zu werden; wirksam bleibt nur die Erhöhung, die ihm durch die edlere Komponente zuteil wird. Es treten die angeborenen Kargheiten der Intelligenz zutage; die unerträgliche Ähnlichkeit alles dessen, was gedacht und getan wird, im Größten wie im Kleinsten, ebnet die Bahn für unerhörten Vorsprung dessen, der Pelion auf Ossa türmt, der die Kraft des Verstandes durch Intuition überhöht. Ein gewisses intellektuelles Normalmaß ist jedem erreichbar, selbst auf Gebieten, die der Schulung fast unzugänglich scheinen; das mittlere Kunstwerk sogar ist erlernbar geworden, und die Herstellung eines leidlichen Bildes, eines lesbaren Romans bedarf nur einer mäßigen, nachahmungsfähigen Bildung, die mit schöpferischer Begabung denn auch oft genug verwechselt wird.
Die ethische Bedeutung der Bewertung menschlicher Eigenschaften steigert sich zur sozialen Notwendigkeit, denn nur die höhere Menschlichkeit allein vermag die Tyrannei der Mechanisierung zu überwinden und ihre Kräfte zur Heilsamkeit umzulenken. Eine spätere Zeit wird schwer begreifen, daß wir dem freien Wettspiel unedler, selbst unehrlicher Eigenschaften und Begabungen Führung, Verantwortung und Macht überließen, weil uns Blick und Unterscheidung fehlten, daß wir Behendigkeit, Schlagfertigkeit, unbekümmerte Wahrheitsverachtung, Schwätzerei, Brutalität, Eigennutz, Geschäftigkeit, vorsichtige Niedrigkeit, Streberei und Kriecherei vertrauensvoll schätzten, sobald sie sich eines Hebels der Mechanisierung mit einigem Erfolg bemächtigten,
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daß wir als unabänderliche Notwendigkeit es hinnahmen, daß diese Teufelskräfte das größere Maß irdischen Ansehens und Anspruchs verschlangen. Daß wir uns nicht schämten, edle Naturen vergehen zu sehen, weil sie in der Wahllosigkeit der Kampfmittel nicht standhielten. Daß wir nicht einmal die äußeren Zeichen zu erkennen vermochten, die sich beim ersten Blick, beim ersten Wort offenbaren, obwohl die Zahl der Sehenden, Erkennenden schon ausreichte, um eine Menschenkunde zu begründen, die, in Schulen und Lehrsälen verbreitet, der Jugend Augen und Ohren hätte öffnen können. Statt dessen halten wir uns an schattenhafte Züge theoretischer Moralsysteme verschiedenartigster Herkunft und Orientierung, die einander derartig widersprechen und sich wechselseitig aufheben, daß vollkommene Gleichgültigkeit entsteht und schließlich alle Schätzung mit der übrigbleibenden gemeinen Minimalforderung der sogenannten Anständigkeit sich zufrieden gibt. Ein anständiger Mensch im Sinne der europäischen Restmoral aber ist einer, der seine dringendsten Schulden bezahlt, sich über Lügen nicht ertappen läßt, kein öffentliches Ärgernis gibt, in Geschäften das Strafbuch achtet, sich an öffentlichen Kollekten beteiligt, Satisfaktion gibt, gute Kleider trägt, mittlere Schulkenntnisse besitzt und die gleichen Eigenschaften bei seinem ehelichen Vater nachweisen kann. Diese Gaben berechtigen heute, 1915, in allen zivilisierten Ländern, soweit das bürgerliche Sittenempfinden in Betracht kommt, zu jedem Ansehen, zu jedem wirtschaftlichen Anspruch, zu jeder menschlichen Verantwortung, und sobald irgendeine ausgesprochen nützliche Anlage oder Kenntnis hinzutritt, zu jeder Machtstellung.
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Besteht Übereinstimmung, daß alle Wirtschafts- und Gesellschaftskunde nichts ist als angewandte Ethik; daß Staat, Wirtschaft und Gesellschaft des Unterganges wert sind, wenn sie nichts andres bedeuten als Gleichgewichtszustände gezügelter Interessen, bewaffnete und unbewaffnete Produktions- und Konsumgenossenschaften; daß nur der seelische Lebensinhalt des Daseins würdig ist; daß er sich selbst Form und Kleid schafft in Dingen und Einrichtungen, die zur Leiche werden, wenn der Hauch entflieht: ist dies ausgemacht, so bleibt uns die Aufgabe, den Wechselwirkungen zwischen Bett und Bach, zwischen schaffendem Willen und geschaffener Satzung nachzuspüren. Wir sind mit der Beschreibung der Institutionen vorausgeeilt, die wir im ‚Weg der Wirtschaft‘ aus allgemeinem Gesetz entwickelt haben; wir sollen die Wandlungen des Bewußtseins betrachten, die den Gang der Einrichtungen begleiten, ihm voraufgehen, ihm folgen müssen. Eine kurze Bemerkung hat uns die Verworrenheit des metaphysischen und sittlichen Bewußtseins, den Mangel an Kunde und Wertung des Menschen enthüllt; die Forderungen, die hieraus entspringen, müssen erfüllt, die Erfüllungen in das Bild des Künftigen verwoben werden.
Entäußerung haben wir als den Leitstrahl der sozialen Sittlichung erkannt; Lossagung vom Dienst des Überflüssigen, von den Dingen als Machtquelle, vom Eigennutz des Familienstammes; Hinstreben zum Wesentlichen des äußeren Lebens, zur Solidarität, zur Hingabe an die Gemeinschaft, Verwerfung des ungerechten und unsittlichen Anspruchs, Übergang der Verantwortung an geistige und sittliche Mächte.
Ist dies der sichtbare Weg, so liegt uns ob, den unsichtbaren zu beschreiben, den Kurvenlauf der menschlichen
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Gesinnung aufzuweisen, auf dem die äußere Bewegung abrollt. Wir wissen, daß das heutige Bewußtsein dieser Kinetik widersteht; der Mechanismus des äußeren Lebens würde sich klemmen und pressen, ja zertrümmern, wenn er durch Zwang vorschnell und unbereitet in neue Rhythmen gedrängt würde. Erkenntnis ist das erste; ihr folgt langsam und unaufhaltsam die Formung der Gesinnung; nun gerät das starre System in Fluß, es sucht das neue Gleichgewicht, und schon sind höhere Forderungen und Probleme entstanden, die abermals nach Erkennung ringen,
Die geistigen Motoren haben wir zu prüfen, die das heutige Getriebe erhalten und dem künftigen entgegenwirken; ihre Verflüchtigung und Beseelung wird dem Ausblick ermeßbar sein. Von Trägheit, Sinnlichkeit, Leidenschaft, Eitelkeit, Herrschsucht ist zu handeln und von ihren bändigenden Gegenkräften; kann nur ein neues soziales Sittenbewußtsein das neue Gleichgewicht errichten, so werden wir die Nichtigkeit der Theoreme bestätigt finden, die Frieden und Gerechtigkeit von Einrichtungen erhoffen und vermeinen, die Widersprüche, die Auflehnungen der menschlichen Natur durch Gewalt zu brechen oder durch Redensarten hinwegzutäuschen.
Gewaltige Forderungen an unsre Wandlungsfähigkeit werden hier erhoben; der Wahn, daß sie durch rasche Anpassung, durch eilige Vorbilder, selbst durch Martyrien Einzelner vorschnell gereift werden könnten, findet hier keinen Platz, denn die Straße der Erkenntnis ist nicht durch Feldwege zu kürzen. Hingegen handelt es sich nicht um ferne Dämmerungsgesichte; der Lauf der letzten beiden Jahrhunderte hat größere Bewußtseinswandlungen gebracht, als die wir fordern. Aus leibeigenen
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Volksschichten, die den Rocksaum küßten und die Peitsche fürchteten, sind zur Hälfte Menschen bürgerlichen Bewußtseins, zur Hälfte organisierte Gegenkämpfer geworden. Wie vormals in dreißig Jahren aus festem Bürger- und Bauerntum ein verwahrloster Stand der Armut und Knechtung entstand, so sind in dreißig Jahrzehnten den zerfallenen Hütten und verblühten Städten die Geister unsrer Denker und Forscher, Dichter und Führer entsprossen. In wenigen Menschenaltern aus dem Boden gestampft, hat sich in Preußen das Standesbewußtsein der Beamten und Offiziere erhoben; ein sittliches Bewußtsein ohne Vorbild, von großartigerer Einseitigkeit und Entsagung als irgendeine der Forderungen, die wir stellen. Im kurzen Laufe einer Kriegsperiode hat der Spartanergeist des bewaffneten Volkes mit allen seinen Werten der Hingebung, des Opfermutes, des Ehrgefühls sich über unser Land ergossen; eine größere Erhebung, als wir an neuer Wandlung vorhersagen.
So unabänderlich die tiefsten Regungen der Herzen, Liebe und Haß, Freude und Leid, Leidenschaft und Erkenntnis uns erscheinen, so wandelbar sind die Wertungen und Meinungen, die Auswahl der bändigenden und treibenden Kräfte, die Überzeugungen. Aus dieser kreisenden Bewegung aber lösen sich leise die langatmenden Abwandlungen, die von der Tierheit zur Menschheit, von der Menschheit zur Gottheit führen. Was wir erwarten, ist im Vergleich nur eine jener leichten Umgestaltungen des Wertens und Wollens, des Zurückdrängens und Emportragens, wie die beiden Jahrtausende deutscher Geschichte sie zehnfach aufweisen.
Wenn Deutschland nicht der Ort ist, wo alle Pragmatik als Willensübersetzung transzendent ethischer
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Wertung und nur als diese betrachtet werden muß, so haben wir uns über die deutsche Sendung getäuscht. Glauben wir an Pflicht und Recht zum Absoluten, so ist Kepler am Werk: Die menschlichen Triebe und Neigungen verharren nicht mehr unbewegt und unantastbar im Zentrum der pragmatischen Bewegung, sondern der Drehpunkt ist in die Sonne der Transzendenz verlegt, und urnotwendiger Bewegung müssen Erde und Planeten folgen.
Nicht Eigenwille unsrer Eitelkeiten bestimmt den Gang der Welt; Erkenntnis schreitet voraus, Einrichtung hinterdrein, und zwischen beiden tut die Menschheit ihren schwersten Gang zum Opfer und zur Freiheit.
So haben wir nun zu ermitteln, welche Wandlung des sittlichen Gesamtbewußtseins als voraufgehende und gleichlaufende, als mitreissende und mitgerissene Strömung uns bevorsteht. Das wirtschaftliche Opfer, das zu erbringende, ist uns bekannt: Verzicht auf eine Reihe käuflicher Genüsse, Verzicht auf einen erheblichen Teil des erarbeiteten oder ersessenen Ertrages, Verzicht auf jede Laufbahn, die in leichtem Dienst, mit leichtem Gepäck an Geist und Charakter zum Ziele führt, Verzicht auf dauerndes wirtschaftliches Vorrecht gesicherter Familienstellung.
Diesen vier Grundforderungen der Wirtschaft entsprechen zum Teil gesonderte, zum Teil gemeinsame hemmende und treibende Motoren. Sinnlichkeit, Ehrgeiz, Sammelsinn wirken vorwiegend der ersten und zweiten entgegen, Ehrgeiz und Familienstolz der dritten und vierten, mangelnde Menschenkenntnis und Wertung der dritten, mangelndes Staats- und Gemeinschaftsempfinden allen vieren.
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Von Sinnlichkeit, Bequemlichkeit und Trägheit wollen wir nicht ausführlich handeln. Nicht daß wir diese treibenden und beharrenden Motoren als unveränderliche einschätzen; doch ist ihr Wesen dem physischen so viel näher verwandt, daß die Einwirkung der Erkenntnis sie nur mittelbarer trifft. Um so durchdringender haben wir die Familie der Machtmotoren zu betrachten, der eigentlich bösen Mächte im menschlichen Herzen.
Die guten Mächte sagen: Ich will schaffen und sein; die bösen sagen: Ich will haben und scheinen.
Was willst du haben? Zunächst, was genügt. Was Not lindert, Sinnlichkeit stillt, Arbeit kürzt, Freiheit stärkt. Soweit gut. Sind Sinn und Trägheit nicht zügellos, ist die Freiheit dem innern Gleichgewicht verwandt, so bedeutet es nicht viel. Die Welt könnte zwei Drittteile ihrer Mühen sparen, wenn dieses Los allen genügte.
Was willst du weiter? Was sicherstellt. Was auf möglichst lange, auf absehbare Zeiten mir und den meinen den Genuß dieser ersten Güter verbürgt. Warum das? Weil ich um die Zukunft sorge und — fürchte,
Mag eine Vorsicht um Alter und Krankheit klug sein, solange die Unzulänglichkeit unsrer Sitten die Siechen und Greisen schmachvoll preisgibt. Die Vorsicht abzugelten wäre unsrer reichen Zeit ein Leichtes. Doch hier trifft uns zum erstenmal ein Hauch des Abgrundes: die Furcht, die Quelle alles Bösen und Schlechten, der Urzeitfluch, das Tierheitserbe, das Scheidungsmal alles unedlen und edlen Blutes.
Du hast Auskommen und Sicherung; was willst du weiter? — Das, was den andern fehlt. Was Eindruck macht, was Neid erweckt, was Ansehen gibt, was Macht spendet. Warum das? Ich weiß es nicht.
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Du sprichst wahr: du weißt es nicht. Denn alles, was du an Worten aufbringen könntest: Ehrgeiz, Sammeltrieb, Herrschsucht, Wille zur Macht, ist Umschreibung des gleichen, des Rätsels. Dies Dunkelste der Menschennatur ist so gemein, so tief eingeboren, so unergründlich, daß wir es nicht mehr für problematisch, sondern für selbstverständlich halten.
Verwirren wir nicht die eitle Neigung des Ehrgeizes, der Herrschsucht, der Neidfreude und Scheinsucht mit der berufenen Willenskraft zum Schaffen und Ordnen, die herrscht, indem sie dient, dient, indem sie waltet; mit der organischen Kraft der Verantwortung, die in der Führung Ruhe findet und doch nur soweit, als auch sie einem höheren Gesetz und Wesen sich beugen darf; mit der Opfergewalt, die sich verschenkt und neigungslos Tribut empfängt, nicht zu genießen, sondern unberührte Spende im Kreislauf notwendiger Ordnung fortzureichen. Nennen wir diese schaffende Kraft Verantwortung, die eitle, nach Herrschaftszeichen und nach deren Scheine langende dagegen, um den doppelsinnigen Namen des Ehrgeizes nicht einseitig zu belasten, Macht- gier, so lautet die Frage: Wie konnte die Leidenschaft der Machtgier entstehen und die Welt derart unterjochen, daß in ihrem Namen die Knechtschaft erwuchs?
Der Kenner der Völker und Rassen und Erblichkeiten möge uns darlegen, wie diese Leidenschaft nur bei furchthaften Menschen und Stämmen möglich ist, weil diese dem Druck der Unterwerfer nur die eine Hoffnung entgegensetzen können, das Blatt umzudrehen und den Fuß auf den Nacken des Bedrückers zu setzen; wie sich noch heute bei gequälten Kindern von einiger Begabung unbändiger Ehrgeiz entwickelt. Sie mögen Erinnerungen alter Sklavenbitterkeit, ja selbst geschlechtlicher Unterlegenheiten
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für die psychotische Erscheinung haftbar machen und nicht übersehen, daß seltsame Zusammenhänge zwischen Machtgier und schwacher Männlichkeit zu finden sind. Sie mögen erörtern, wie das Aufkommen und Durchwachsen der europäischen Unterschichten die furchthaften Eigenschaften ans Licht gebracht und das Gewebe der historischen Menschheit durchtränkt hat.
Dem Kenner der Gesellschaft möge gesagt sein: daß die Welterscheinung, die wir von außen betrachtend Mechanisierung nennen, einen inneren Gefühlston, ein Zeit- und Weltgefühl auswirken mußte, so einseitig, hart und irrig, wie die Bewegung selbst. Den Fliegenden und Schwimmenden erfüllt ein Gefühl des Schwebens und Strömens, den Wandernden ein Gefühl des ruhigen Eilens; der Gefühlston der Mechanisierung ist Machtgier; mit ihren Ausstrahlungen der Neugier, Wißgier, Geldgier, Kritiklust, Zweifels- und Verkleinerungssucht.
Uns genügt es festzustellen, daß wir in Machtgier die pragmatische Verneinung aller Transzendenz zu sehen haben. Wer in dem Schein, den wir Wirklichkeit zu nennen pflegen, den Inbegriff alles Seins erblickt, der kann ein vermessenes Glück erträumen, das dieses Wunderspiel von Farben, Tönen und Reizen unterwirft, um es zu besitzen und zu beherrschen; so wie ein Kind den Stern und Schmetterling in seine tastenden und zerstörenden Hände begehrt. Wer aber das Dasein über der Erscheinung bekennt, der kann sich nicht an ein tötendes Spiel verlieren; er fühlt, daß Besitz vernichtet, wenn er andres ist und will als Pflicht und Pflege, daß Macht verderbt, wenn sie andres ist und will als Verantwortung; er weiß, daß seine heiligsten Kräfte der Wollust eines Traums nicht
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verfallen dürfen, daß ein Nichtseiender ist, wer den Dienst der Welt verleugnet und den Dienst der Überwelt verschmäht.
Anderwärts ist dargetan, daß nicht sittliches Handeln besteht, sondern sittlicher Zustand. Der Willensschwerpunkt im Seelischen, die Geistesbeharrung im Transzendenten, die Richtung zum Gotthaften ist Sittlichkeit und Seligkeit zugleich, und innerhalb dieses Bestehens und Beharrens ist die Handlung nicht mehr wägbar; urteilspendend bleibt allein die Bona Voluntas der Gesinnung.
Herrschsucht, am Maße der Gesinnung gemessen, sagt aus, es sei recht, wenn ein Mensch sich eindrängt in die Ordnung der Schöpfung, um zu beschatten, was er nicht schöpfen und schützen kann; es sei recht, Menschen und Dinge zu Zweckmitteln herabzuwürdigen, den Anspruch an Lebensraum nach Leidenschaft zu bestimmen, Gottesvormundschaft über Mündige zu verlangen. Neidfreude sagt aus, sie habe im Mitmenschen den Todeskeim ungesättigter Erdenwünsche, ungetrösteter Blindheit am Ewigen, zehrenden Neidhasses, erblickt. Sie wolle dies Siechtum reizen und steigern, bis ein Ausbruch der Verbitterung oder der Unterwürfigkeit die Würde des Gottesbildes zerstört und der feindseligen Macht huldigt. An der Schwäche des Menschen und ihrer Ausbeutung zur Vernichtung der Seele sei ihr gelegen. Sie hat sich ihr Urteil gesprochen und steht neben ihrer Schwester, der Schadenfreude, im satanischen Abgrund.
Die furchtbarste Irrealität, selbst unter dem kahlen Licht der Tageswirklichkeit betrachtet, gibt Zeugnis von der Antinomie des Kräftepaares Besitz und Macht.
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Abgesehen von leiblicher Bequemlichkeit und sinnlicher Sättigung: Was ist Besitz? Verzeichnis von Sachen, die man ungestraft bewegen, absperren, zerstören oder gegen andre Sachen vertauschen darf, die wiederum bewegt, abgesperrt und zerstört werden können. Ein totes Leben gewinnen diese Sachen, die der Besitzer nur dann kennt und einigermaßen besitzt, wenn sie wenig zahlreich sind, nur dann, wenn sie im Sinne jener Leidenschaften auf andre wirken; ein lebendiges Leben gewinnen sie, wenn sie schaffend, ordnend, waltend, verantwortungsvoll gehandhabt werden. Aber dann verlieren sie die Eigenschaft des Besitztums; sie werden anvertrautes Gut; sie sind des Schaffenden und brauchen ihm nicht zu gehören, sie gehören dem Eigentümer und sind nicht seine Sache. Der Begriff des Eigentums wird irrelevant; dem Förster gehört der Wald, nicht der Kommune; dem Wanderer die Landschaft, nicht dem Grundeigner; dem Kunstfreund die Galerie, nicht dem Fiskus. Des Bildners ist ewig das Werk, nicht des Käufers.
Macht! Vergessen wir den Vorzug einiger bequemerer Eingänge, die Befriedigung, aus einigen gleichgültigen Kreisen nicht ausgeschlossen zu sein; so bleiben schändliche Formen und Formeln der Menschen, die gezwungen oder selbsterniedrigend dem Mächtigen huldigen; zumeist weil sie etwas wollen, das sie nicht schaffen können. Wem jubelt die Menge zu, wenn ein Triumphator einzieht? Einer menschlichen Hülle zu Pferd oder Wagen, die sich neigt; der Mensch sitzt träumend, an sein Ohr schlägt eine Welle, die einer Form und Vorstellung gilt, von der er nichts weiß. Mund und Ohr bleiben sich ewig fremd, und am Abend, bevor er entschlummert, ist er mit seinem Gott so allein wie der letzte seines Gefolges. Aus der Fremdheit der Macht
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entreißt nur Liebe; doch wehe dem Mächtigen, wenn er die Beteuerungen derer, die wollen, für Liebe hält; tief verachtet fühlt auch er sich zum Mittel erniedrigt und spendet mit verstelltem Glauben, um nicht zu beschämen. Von jener Irrealität schweigen wir, die dem Machtbewußten zu spät die Relativität der Mächte offenbart und, je höher er steigt, desto mehr ihn zugleich vom Obern und Untern abhängig macht, so daß zuletzt der Tyrann nur noch dem Pöbel gehorcht, dem er entstiegen ist. Im Steigen aber war er doppelt geächtet: verhaßt jenen, über die er wegstieg, verachtet jenen, welchen er zustrebte.
Es bleibt, wie vom Besitz, so von der Macht nur das verantwortende Schaffen, und wiederum bedarf dieses der Macht nicht, es setzt sie als unbegehrte Wirkung; es nimmt ihr alle die Formen, die den Machtlüsternen beglücken, mit denen allein er sich begnügen möchte, und läßt nur die Sorgen, Schmerzen und Mühen, die jener verschmäht, An die Stelle des Machtbereichs tritt der Wirkungskreis, an die Stelle der Herrschaft die Verantwortung, an die Stelle des Rausches die Sorge: wo Macht sich erfüllt, da hebt sie sich auf.
Gegenstandslos sind die Leidenschaften der Machtgier und Habsucht; so sind sie auch erfolglos. Der begrifflichen Irrealität entspricht die praktische.
Solange die brutalste Unkenntnis vom Menschentum die Zivilisation noch beherrscht, kann und wird es geschehen, daß Menschen, die speciem reprobationis, das Zeichen der Verworfenheit, jedem reinen Auge erkennbar, an Stirn und Antlitz, an Haupt und Gliedern tragen, daß Menschen, deren Tracht und Wort, Bewegen und Benehmen dem ersten Blick Gemeinheit und seelischen Tod verrät, alle Wege der Achtung und des Vertrauens
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offen finden, während Edle, denen es zum Leben nur an Schlangenklugheit fehlt, verhöhnt und verachtet, bestraft und entehrt zugrunde gehen. Solange diese Pöbelblindheit die Augen umfängt, die von nun an weichen soll, solange wird der Gierige mit angeborenen Mitteln der Schamlosigkeit, der Lüge, List, Aufdringlichkeit, Beschwatzung, Bettelhaftigkeit und schmutzigen Betriebsamkeit seine Wege bahnen und, wenn er ankommt, als Vorbild der Klugheit, Erfindsamkeit und Tatkraft mit Ehren empfangen werden. Doch selbst in der hemmungslosen Mechanisierung, im ungezügelten Kräftespiel der Zeit kann er nicht weiter dringen; zum objektiven Schaffen kann er nicht gelangen, der Welt nicht dienen. Sein Besitz kann wachsen und seine Macht sich mehren; doch das, was er letztlich begehrt, die Notwendigkeit seines Daseins, das wird ihm nicht zuteil. So schädlich der Raub des Raumes, den er beansprucht, die Verderbnis des Wandels, die er einimpft, so nötig die Pflicht der Abwehr gegen sein Wesen und Wirken: die letzte und verantwortliche Macht bedarf gegen ihn keines Schutzes, denn sie gehört dem Dienenden und Treuen, sie gehört der Kraft der Entäußerung und der schaffenden Gewalt der Phantasie.
Ist es nun verwegen zu behaupten und zu verlangen, daß diese Hauptmotoren der mechanistischen Weltbewegung, die Leidenschaft der Macht und des Besitzes, sterblich, ja trotz der Feuerkraft ihrer Mittagshöhe sterbend sind? Ist es nicht trostlos vermessener, zu glauben, daß den Lügenmächten, die wir als himmelsfeindlich, tief versündet, als irreal und wirkungslos erkennen, vergönnt sein soll, auf immerdar ein Menschenvolk zu betören und zu knechten, das ihre Leerheit durchschaut? Wenn wir nicht glauben dürfen, daß
12 Rathenau, Von kommenden Dingen
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Erkenntnis und sittlicher Wille erworbenes Laster lösen und ererbtes Sklavenmal tilgen kann, so bleibt dem Sittenträumer nur die Wahl, sich still und hastig aus der Welt zu retten.
Nun wird mancher kommen und sagen: Wie soll eine altgewordene Menschheit sich ändern? Haben wir je das Opfer einer Leidenschaft gesehen?
Ihm sei erwidert: Wir haben Größeres erlebt. Wir haben manchen Sturz und Umsturz von Gut und Böse erlebt; wir haben Menschenopfer und Greisenmord und Aussetzung und Blutschande und Götzendienst und Blutrache und allerhand Unzucht gehen und kommen sehen. Zu jeder Zeit schlummert jede Leidenschaft, Sünde und Tollheit im Menschen; jede ist zu wecken und jede zu bändigen. Gebändigt wird sie vom Einzelnen; wenn er nieder ist, durch Furcht, wenn er edel ist, durch seelisches Dasein; gebändigt wird sie von der Gesamtheit durch das Gewissen der Sitte. Deshalb sei es immer wieder gesagt: Daß unsrer Zeit die Richtkraft mangelt, daß sie aus sterbenden Erinnerungen der Zeiten sich ein überzeugungsloses Gewissen flickt, das ist ihr tödliches Übel; und neue Weltanschauung ist berufen, den zu ordnenden, gleichzurichtenden Kräften die tausendfältige Spannung zu entlocken. Ist in diesen Tagen jeder, der Opfer der Liebe und des Lebens bringt, im Innersten und von Natur ein Held und ein Liebender? Ist er es nicht, so lernt er es sein und dankt seine Lehre der Gleichrichtung einer Gesamtheit, die noch die Stärke hat, in schweren Augenblicken Opfer zu befehlen. Was nicht freier Wille schafft, das schafft Erkenntnis, die zum allgemeinen Wertungsurteil sich erbreitet. Das Gesamtgewissen, das heute nur Lug und Feigheit verachtet, wird morgen
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Machtgier und Habsucht, Genußsucht und Eitelkeit, Neidfreude und Niedrigkeit verdammen; nicht alsobald wird jeder Einzelne von diesen Lastern lassen, doch ihre Herrschaft ist gebrochen; was heute erhoben stolziert, fristet morgen ein verängstetes Leben; die Welt ist befreit, und ihre Freiheit wirkt bildend und schaffend in jeder Seele.
Die Welt ist wahrhaft frei, denn alle Bitterkeit des Kampfes ist ihr genommen. Vergessen wir nicht: Der Kampf ums Leben ist es nicht, der das Leben vergiftet, sondern der Kampf ums Überflüssige, der Kampf ums Nichts.
Dämpfen wir die beiden überhitzten Motore falscher Freuden, so ist ein jedes Glied des verkrampften Menschheitsleibes entspannt. Es endet der Blutglaube zum Gelde, daß jeder seinen Besitz und Erwerb verteidigt und verheimlicht als ein Heiligtum seines Lebens. Luft und Wasser sind unentbehrlicher und dennoch frei, gern gegönnt und gern gespendet, weil niemand leidenschaftlich fürchtet, an diesen Elementen zu verarmen, niemand Narr genug ist, sie zu sammeln, und niemand die geringe Mühe achtet, sie zu schöpfen. Der Blutglaube will, daß wir dankbar einen Trunk empfangen und entrüstet eine Münze verschmähen, die nicht erkauft ist. Schöpfen wir unsern Lebensunterhalt leidenschaftslos und maßvoll, wie man reines Wasser schöpft, das nicht von Pestkranken umlagert ist, so sinkt der Blutglaube dahin.
Das Schöpfen aber wird leicht und frei, wenn nicht mehr eigne Gier das Überflüssige verlangt und fremde Gier alle Quellen leer trinkt, weil sie ein Dritteil der Weltarbeit in Kram und Tand vergeuden muß. Mit Entsetzen durchschreitet ein denkender Mensch die
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Straßen und erblickt die Kaufläden, Magazine, Warenläger und Arbeitshöfe. Schauderhaft häßlich, gemeinen Lüsten dienend, läppisch und schädlich, nichtig und hinfällig ist das Meiste, das sorgsam gespeichert, glänzend hingestellt und teuer feilgeboten wird. Ist es wahr und möglich, daß Millionen frönen; um diese Dinge zu machen, zu transportieren, zu verkaufen, die Werkzeuge und Rohstoffe zu schaffen und zu sammeln, damit sie gemacht werden können; daß Millionen abermals frönen, um die Greuel erwerben zu dürfen, und Millionen sie hoffnungslos begehren und entbehren? Es gehört Kraft dazu, um an eine Menschheit zu glauben, die von solchen Dingen und für solche Dinge lebt. Was tut sie damit? Sie speichert sie in ihren Häusern, verzehrt sie im Übermaß, hängt sie um ihre Leiber, steckt sie in Haare, Ohren und Taschen, läßt sie in Althandlungen, Auktionslokalen, Leihhäusern einen zweiten und dritten Kreislauf beginnen, und schafft zuletzt nach Afrika, was nicht im Abfallhaufen oder Schmelzofen sein Ende und seine Erneuerung gefunden hat. Was bezweckt eine zivilisierte Menschheit mit diesem Unfug des Warenhungers, der Gier nach käuflichen Substanzen? Ein wenig Bequemlichkeit und Sinnenreiz. Dann aber, und vor allem: Schein und abermals Schein. Es soll nach etwas aussehen. Man hat irgendwo ein prächtiges Ding gesehen und möchte das gleiche haben; wo nicht das gleiche, so doch ein scheinbar ähnliches. Es soll Eindruck gemacht werden; die andern sollen staunen und beneiden. Man möchte etwas reicher scheinen, als man ist, weil nach der entsetzlichen Vorstellung der Zeit Reichtum Ehre bringt.
Dieser Hang zum Narrenstand und zur Sklavenfreude kann nicht ewig sein. Er ist es nicht. Wäre er ewig,
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so schwände jede Hoffnung, ein stolzes und würdiges Menschenvolk erwachsen zu sehen. Er ist es nicht; die Einsicht in die Nichtigkeit käuflicher, unreiner Freuden und die Erkenntnis ihrer radikalen Schändlichkeit und Schlechtheit muß nur in wenigen tausend Gewissen erwacht sein, und die Teufelsblume zerblättert. Freude am unbegehrten Schönen bricht hervor, Natur und reine Kunst, Kraft und Herrlichkeit des menschlichen Leibes, Ehre des Geistes und Anbetung des Göttlichen werden zur Wahrheit; Spuk und Wust, die uns vor unsern Enkeln schänden, fliehen nach dunklen Kontinenten, wo sie bis zur letzten Erlösung ihr Dasein fristen mögen, Zögernd stellen wir dieser Zuversicht eine Anmerkung entgegen, die nicht entkräften darf und dennoch ein zeitliches Bedenken ernst erwägen soll: sie betrifft die Frauen. In andern Schriften habe ich geschildert, wie von Grund auf Mechanisierung das Leben der Frauen durchwühlt hat. Vor hundert Jahren sind die häuslichen Hantierungen der bürgerlichen Frau erloschen. Die Berufsteilung übernahm die Sorge für Gespinst und Gewebe, für Kleidung, Licht, Feuer und Nahrung; Garten und Hof gingen ein, es verblieb Haushalt, Erziehung und Küche. Der wachsende Wohlstand schuf die bürgerliche Dame; an die Stelle der Arbeit trat Bildung. Es entstanden in gehobenen Kreisen die Anfänge der Geselligkeit; nachbarliche Gassengespräche und Volksfeste verdrängte in Häusern, deren Wohnstube sich öffnete, gesellschaftlicher Besuch und Verkehr. Von der Wohnung trennte sich die Werkstatt, von der Heimstätte löste sich der Geschäftsraum; die Arbeitszeit dehnte sich aus, der Geschäftsmann, Beamte, Gelehrte verließ tagsüber das Haus, der Hausstand war aus dem Rahmen immerwährender Gemeinschaft gesprengt.
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Nun war ein äußerer und innerer Bezirk geschaffen; den äußern, des Berufs und Erwerbs, verwaltete der Mann, den innern, der Ordnung und Erhaltung, übernahm die Frau. Sie wurde Herrin der Häuslichkeit, Verwalterin, und wie es die Geldwirtschaft forderte, Käuferin. Der Mann erwarb, die Frau gab aus. Ab und zu war vor Zeiten ein Küchengericht, selten ein Kleidstück, kaum je ein Hausgerät von der Frau erstanden worden; Handwerker, gar Bauleute hatten mit dem Mann zu tun. Heute ist die Frau fast alleinige und unaufhörliche Käuferin; sie füllt die Kaufhäuser, Straßen und Verkehrsmittel der Städte, sie bestellt und verrechnet, sie stattet aus, richtet ein und baut.
Der furchtbare Verfall der gewerblichen Künste seit achtzig Jahren, den das ernsteste Bestreben nicht aufzuhalten vermag, fällt weit weniger der Maschine als der kaufenden Frau zur Schuld. Denn ihr fehlt der Blick fürs Handwerkliche, fürs Tüchtige, Brauchbare und Echte, vor allem für Maß und Kunst; es fehlt ihr auch die Festigkeit des Willens zum Notwendigen, die Unabänderlichkeit des Entschlusses; sie unterliegt dem Reiz, der flüchtigen Ähnlichkeit mit Gediegenem, der Gelegenheit, dem glänzenden Schein, der trügerischen Rechnung, dem Geschwätz des Verkäufers. Jede schändliche Gepflogenheit des Kleinverkaufs entstammt dem Verkehr mit Käuferinnen; was den Mann entrüstet, den ein Mißgeschick in diesen und jenen Kaufladen verschlägt, das ist zumeist gewohnte Spekulation auf weibliche Käuferschwächen. Nur im Vorübergehen sei gestreift, was an andern Stellen erläutert wurde: daß Kunst und Kunstrichtertum den gleichen Weg des Verderbens beschreiten mußten, seitdem der Mann des Berufs dem Ernst der Bildung zugunsten der Frau entsagte,
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seitdem die Hallen der Theater und Konzerte, der Kunstsammlungen und Vorträge der Frau gehören, seitdem sie die Leserin der Bücher und Besprechungen, Freundin der Künstler und Empfängerin ihrer Werke geworden ist. Die sterile Sentimentalität der nachromantischen Literatur war die erste Frucht des Damensalons, und vielleicht die unbewußte Erkenntnis dieses Zusammenhangs hat die beiden letzten freien Geister unsrer Zeit, Schopenhauer und Nietzsche, bewogen, sich gegen die Frauen zu wenden.
So ward die Frau der neuen Wirtschaft unvermittelt und gewaltsam im Lauf des Jahrhunderts in unerhörte Lagen versetzt: Hinausgetrieben aus dem häuslichen Abschluß, mit Bildung belastet, geselligem und rechnerischem Verkehr zugewiesen, mit der Pflicht äußerer Lebensgestaltung behaftet, vielfach in männliche Berufe geleitet, hat sie den gewaltigsten Forderungen standgehalten, die jemals unvorbereiteter menschlicher Natur zugemutet wurden; sie ist nicht erlegen und hat unser Jahrhundert zum mann-weiblichen gestaltet.
Bedenkliche Nebenwirkungen aber waren unvermeidlich. Rechenhaftigkeit, Kaufgewohnheit, Straßenverkehr, äußeres Auftreten, Selbstbestimmung haben die mütterliche Seite des Frauenwesens nicht vertieft. Dirnenhang, vormals vom Manne gebändigt, durfte sich entfalten. Es erhob sich eine der unerquicklichen Erscheinungen unsrer Zivilisation, das Luxusweib. Alte Repräsentationspflichten adliger Frauen waren im Erlöschen, weil die Schutzpflichten geendet hatten; diese entwerteten Tagewerke und Allüren boten die Vorlage des Zerrbildes. Die neu bereicherte Gesellschaft verlangte maßlose Geselligkeit, um sich im Reichtum zu üben und soziale Vorteile zu erschleichen; aus diesem
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gefährlichen und frechen Spiel wurde eine Art Pflicht, eine herzlose Unterhaltung, ein Geschäft und ein Leben. Sorge für üppige Wohnräume, Dienerschaft, Schmuck, Kleidung, Körperpflege, Tafelaufwand, vornehme Gäste füllten dieses Leben aus; vorteilhafte Liebschaften gaben ihm Erregungen; Pferde, Jagden; Reisen, herabgewürdigte Künste schafften Gesprächsstoff; kümmerliche Wohltätigkeiten, Hofbeziehungen und politische Kabalen sorgten für den Schein der Daseinsberechtigung; Erziehung und Haushalt wurden bezahlt, und neben der Beratung des Mannes in gemeinschaftlichen Interessen der Laufbahn beschränkten sich die Pflichten des Weibes darauf, zwei- oder dreimal in der Narkose zu gebären.
So verworfenes Frauenleben wurde an der Spitze der mechanischen Stufenleiter geduldet und verherrlicht; in den Tiefen Arbeitslast und schmerzliche Prostitution, im unteren Mittelstande rechnende Sorge, im oberen Kampf um Repräsentation, Bildung und männliche Berufsarbeit. Diese Ausartungen mechanisierten Lebens haben das Wesen unsrer Frauen berührt. Sie haben Begehrlichkeit, Freude am Schein, Lust zu imponieren und Koketterie emporgetrieben, Dinge, die Deutschland vordem nur unter der Form harmloser und schnell gebändigter Weibernarrheit kannte. Die sittliche Folge dieser Laster ist schwer, die wirtschaftliche und soziale ist unermeßlich. Dem Neid der Nachbarin, dem lüsternen Blick des Straßengängers, der gutmütigen Nachgiebigkeit der Männer opfern wir die Tages- und Nachtarbeit von Millionen. Was wird im Einzelhandel feilgeboten? Neben Tabak und starken Getränken Dinge, die Frauen kaufen, überflüssige, häßliche, wacklige Geräte, die man haben will, weil ein andrer sie hat, weil
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sie modisch sind, weil man ähnliches von weitem, auf Bildern, bei anscheinend vornehmen Leuten gesehen hat und für unerschwinglich hielt, während es hier billig, verblüffend billig, wie der ekle Ausdruck sagt, angepriesen wird. Gewänder und Putz, mit handgreiflich unternehmender Sinnlichkeit aufgebauscht, tragbar, solange der dünne Tand und der Wille des Händlers es zuläßt. Namenlose Gegenstände, Artikel genannt, die man kauft, um zu kaufen, die man verschenkt, um sie los zu sein. Aller Kram nach dem Gesetz der Mode der periodischen Erkenntnis unterworfen, daß er wertlos und nichtsnutzig ist und somit nach dem gleichen Gesetz erneuert werden muß.
Dieses Spiel mochte geduldet werden, solange es als Privatangelegenheit eines törichten Haushaltes galt. Da wir erkannt haben, daß Warenhunger, Gier nach Käuflichem zu den fressenden Schäden unsrer Wirtschaft gehört, ist dieses Laster und seine Stillung Staats- und Menschheitssache geworden.
Es wäre gegen die Würde der Frauen, wollten wir ihnen die Verantwortung für die Not der Zeit mit gefälligem Lächeln vorenthalten. Wir müssen ihnen sagen, daß das Hundertfache der Tränen, die sie durch stille Wohltat trocknen, an den harmlosen Nichtigkeiten haftet, die sie in Schachteln, Paketen und Gefährten in ihre Häuser schleppen lassen.
Die Schuld für jede Schlechtigkeit des Mannes trägt die Mutter, die Schuld für jedes Irren und Gleiten der Frau trägt der Liebende und Mann. Der Mutter entwächst der Knabe, sein frühes Irren ist nicht wiederbringlich; das Weib bleibt der Liebe bildsam, ihm wird das Reuetor des Himmels nie verschlossen. Erkenntnis, Welt und innere Stimme bleiben dem Mann vernehmlich
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und wälzen ihm die Verantwortung zu, seine Schuld ist die höhere. Gegen den Mann darf das irrende Weib Klage führen, und die furchtbare entwurzelte Wirrnis der weiblichen Suchung ist die härteste Klage.
Durch die Mechanisierung des Lebens hat der Mann die Gefährtin aus der schützenden Hausstatt gerissen, in Welt und Wirtschaft getrieben, ihr den Schlüssel entwunden und den Geldbeutel in die Hand gedrückt; er hat ihr die Wahl gelassen zwischen Rechnerei, Koketterie, äußerer Arbeit und vereinsamtem Leben. Nicht der Haustyrann, der Egoist und Fronherr hat die schlimmste Sünde begangen, sondern der Müßiggänger und Verweibte, der sie zum flachen Spiel, zum Sachenglück, zur Vergnügungsgier verführte, den haltlosen Mädchensinn, der in jedem Weibe schlummert, erweckte und zum Dirnensinn verkehrte, um die Seele zu töten. Er trägt die Schuld, daß negerhafte Urgelüste, durch Jahrtausende gebändigte, im Frauenleben unsrer Zeit emporgestiegen sind, deren Schande und Not die Enkel entsetzen wird.
Wir haben den Frauen zu danken, daß ihr verängstetes Suchen eine Bewegung verbreitet, die nur im Ziele irrt. Uns liegt es ob, dies Ziel zu entschleiern, das nicht in äußerer Herrschaft begründet ist; nicht Rückkehr zum verödeten Hof und Garten, zum veralteten Rocken und Webstuhl dürfen wir erzwingen, auch nicht ödes Fortschreiten zu Kanzeln und Tribunalen. Wandlung zu hoher Menschlichkeit ist das erste Ziel, Verachtung käuflichen Glücks, albernen Schmucks und schnöden Müßiggangs; Verantwortung für inneres Glück und Ordnung des allmenschlichen Hausstandes das letzte. Je entschiedener Wohlfahrt und Erziehung, Pflege und Lebensschmuck zu Sorgen der Gemeinschaft, zu Verantwortungen
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der Gesellschaft werden, desto reiner und bedeutender werden die neuen Pflichten des Weibes; und wenn der Inhalt dieser Pflichten frauenhaft und in höchstem Sinn natürlich bleibt, so dürfen wir vor den Formen, mögen sie auch der Mittel der Organisation, des gedankenmäßigen Aufbaues, der Verkettung bedürfen, nicht erschrecken.
Den letzten der Motoren sollen wir nun betrachten, die den Schwung unsres mechanistischen Weltwesens treiben: den Eigenwillen des Familienstammes,
Auszuschalten ist die krankhaft unbewußte Irreführung, die vor sich selbst den rätselhaften Sammeltrieb mit der Fürsorge für Nachkommen zu erklären und zu rechtfertigen sucht und dabei bis zum Tode den knapp gehaltenen Kindern das Erbe mißgönnt, am liebsten es den fremderen Enkeln überweist. Auszuschalten ist gleichermaßen die vielverbreitete postume Eitelkeit jener Geizigen, die vom Staunen der Testamentseröffner sich ein jenseitiges Labsal versprechen. Nur die echte und edle Form des Geschlechterstolzes, die Freude an der Erhaltung des klingenden Namens, die frohe Erinnerung an das Verdienst der Väter, die liebende Sorge um das Glück des Blutes ist unsrer Gegnerschait würdig.
Die jahrtausendalte Zweischichtigkeit Europas liegt uns im Blut. Noch immer sind wir kein Volk, zur Not ein Staat. Ein echter, herrschender Adel, ein regierendes Patriziat aber muß geschlossen bleiben ; seine Vermischung ist Untergang, seine Verarmung Ruin. Der sterbende Adel des 18. Jahrhunderts reckte sich noch einmal zu tiefster Verachtung des Bürgers und Leibeigenen auf, für die er die Namen Roture und Kanaille erfand. Nun wäre die Zeit gekommen, uns als Volk zu fühlen, und es gibt Augenblicke, wo das Gefühl der Gemeinschaft mächtig
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wird: Wenn wir unsre Heere schreiten und sterben sehen, so steigt die einende Liebe empor, und es blinkt der Traum des verschmelzenden Feuers: Traum; denn die gesonderten Völker einen sich nicht. Ein Adel, schroff im Reichtum, gemäßigt im Verfall, vielfach erneuert, verfälscht, mit werbenden Kasten verschwägert, zur Hälfte bürgerliche Namen tragend, zur Hälfte geschichtliche, dieser Adel regiert und teilt sich in kriegerische und staatliche Gewalten. Ein Stand der Reichen beherrscht die großen Gewerbe, übt heimlichen und offenen Einfluß, sucht Eindrang in den Adel der Verwaltung und des Bodens, ergänzt sich durch einseitige intellektuelle Auswahl aus den Resten des Mittelstandes und schützt sich gegen Abspaltung nach unten. Ein verblühender Mittelstand, dem der Boden des Handwerks verkümmert, die Scholle beengt ist, wehrt sich gegen den Abstieg ins Proletariat, folgt dem Zuge zur plutokratischen Beamtenleiter, wird zum Gefolge des reichen Standes und begnügt sich schließlich, innerhalb dieses Einzelstandes eine Art opponierenden Sonderproletariats zu bilden, das wehrlos bleibt, weil es die Grundlagen seines immerhin gehobenen Bürgerdaseins nicht anzugreifen wagt. Ein tief bewegtes, furchtbar schweigendes Proletariat ruht zu unterst, ein Volk für sich, ein dunkler See, aus dem zuweilen ein Blick und Schrei nach oben dringt; der Inbegriff der Schuld und Sünde mechanisierter Gesellschaft.
Diese vierfach gesonderte Macht nennen wir Volk. Es gab Verblendete, die leugneten, daß im Augenblick nationaler Gefahr die Gemeinschaft der Sprache, des Erlebens und des Landes vermögen würde, die Einheit des Wollens zu schweißen; es gibt Verblendete, die hoffen, Gemeinschaft des Opfers werde genügen,
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um zeitliche Entäußerung in dauernden Verzicht zu wandeln.
Die wir die demutsvolle Verantwortung des Herrschens, die stolze Freude des Dienstes als Wechselkräfte des Organischen verehren: wir haben die anonyme Dienstbarkeit erblichen Standes, die hoffnungslose Verurteilung eines Volkes zu ungeistiger Fron, die Entseelung seiner Wünsche und Freuden als dem Segenskreise des Natürlichen entwichen, als Übel und Unrecht erkannt. Der Wille zum Volke schließt den Willen zur Schichtung aus. Wer den deutschen Menschen will, kann nicht den proletarisch gebundenen Deutschen wollen. Wir aber wissen, daß nur die ewig wechselnde Durchdringung, das stets erneute Wechselspiel von Leistung und Leitung das Volk schafft, daß Erblichkeit der Rechte und Pflichten, des Schicksals und Erlebens das Volk aufhebt und die Kaste bildet.
Der Gefühlston des Widerwillens zum Volke, des Willens zur namenlosen Unterwerfung und zur Knechtschaft der Ungeborenen, der Gefühlston der Lösung vom Bruderkreise ist der Eigennutz und Eigenwille des Familienstammes, die Selbstsucht des Hauses. Selbstsucht, sofern sie sich nicht begnügt mit der Überlieferung edlen Namens, mit dem Vorzug der Erziehung und der Gemeinschaft des Lebenskreises, sondern unvergängliche Sicherstellung der Begüterung und dauerndes Empfangen verlangt, indes die Übrigbleibenden fronen. Wer sich dieses Gesetzes bewußt bleibt, daß es kein erbliches Behagen gibt ohne erbliche Knechtschaft, daß die vielgestaltige menschliche Natur in gleichem Maße verkümmert, wenn sie geschlechterlang in Arbeitsfreiheit oder in Arbeitszwang mißbraucht wird, der wird im Eigenwillen des Stammes die radikale Sünde
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der menschlichen Gesellschaft spüren; er wird, wenn er auf der Neigung zum eigennützigen Abschluß beharrt, nicht mehr wagen, von der Einheit und Brüderlichkeit eines Volkes zu reden, sondern sich offen zur Verachtung eines vom Schicksal gezeichneten Pöbels bekennen und seinen Willen zur unabänderlichen Beherrschung dieses Schlages verkünden.
Als natürlich gegebener, sittlich gerechtfertigter Motor der Menschengesellschaft fällt hiermit der Haus- und Stammeswille mit seinem Anspruch auf erbliche Güter und Rechte dahin, und die Welt wird frei, in jedem Zeitalter die Auswahl ihrer Geister und Kräfte zu erneuen. An die Stelle der leiblichen und stofflichen Erbschaft tritt die geistige, die heute schon die immateriellen Reiche beherrscht, an die Stelle der Kindschaft die Jüngerschaft, an die Stelle des Nepotismus die Erwählung. Überlieferte Sitte und Gesinnung wird Eigentum des Volkes, Erziehung Sache der Gemeinschaft; das adlige Volk in beherrschendem Dienst und dienender Herrschaft wird zum Träger seines Geschicks und zum Hüter seiner Auserwählten.
Damit dies Wort sich wahrhaft vollende, damit der wahre Adel des Volkes nicht verfälscht werde, damit die Verantwortung mit sittlicher und Geisteskraft in Wahrheit sich decke, damit nicht der falsche Verführer, der geschmeidige Sklave sich zur Herrschaft schleiche, bedarf es jener neuen Kraft, deren wir mehrmals gedachten, die heute heranbricht: der unbeirrbaren Kenntnis und Schätzung menschlicher Eigenschaften und Werte.
Denn dieser Gefahr müssen wir ins Auge blicken: Je beweglicher und selbst bestimmbarer die menschlichen Schicksale sich gestalten, je mehr die Bindungen des Herkommens und der Geburt ihre unabweisbare Richtkraft
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verlieren, desto freier wird der Kampfraum sittlicher und intellektueller Mächte, und mit dieser Freiheit wächst die Möglichkeit des Glücksrittertums, des intellektuellen Betrugs und der sittlichen Komödie. Schon die heutige plutokratische Ordnung ermutigt eine höchst unsittliche Auswahl des Erfolges; zumal eine Reihe mittlerer Lebensgebiete geben dem Lügner und Schwätzer, dem Schlauen und Streber, dem Unsachlichen und Gierigen, dem Heuchler und Kriecher, dem Frechen und Betrüger unleugbaren Vorsprung vor sittlicher Arbeit und sachlicher Begabung. Schon heute besteht die Gefahr, daß die Wirtschaft dem Freibeuter, die öffentliche Meinung dem Advokaten unterliege, daß alle edlen und stillen Eigenschaften der Not und dem Tode verfallen.
Doch die Gegenkräfte erwachen. Tritt einer von den wenigen sehend Gewordenen in erlauchte Versammlungen geistiger und machttragender Größen, so erblickt und vernimmt er da und dort unerwartet und mit tiefstem Staunen aus Gestalten und Worten die unverhüllten Male, die unbewußten Selbstbezichtigungen, die dereinst zur Verbergung und zum Schweigen mahnen werden und die heute dem Träger wie der Menge unwahrnehmbar entgehen. Begegnen sich Menschen sehenden Blickes, so begreifen sie kaum, daß ihr klares Wissen und Schauen noch immer der Menge Geheimnis sein kann. Sie lächeln trauervoll, wenn gepriesene Größen mit dem ersten Worte ahnungsloser Selbstgewißheit ihre seelenlose Blöße spreizen, sie leuchten auf, wenn Blick und Ausruf des gemeinen Mannes ein tiefes, reines, würdevolles Herz enthüllt. Heute wird ein Mensch geächtet, weil von einem Vergehen der Unbesonnenheit ihm der Makel des Kerkers anhaftet oder weil Armut ihn zu niederer Arbeit
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zwingt; andre, die das Zeichen des Sklaven weithin sichtbar an Antlitz, Gliedern und im Herzen tragen, urteilen in purpurnen Talaren, segnen unter Baldachinen, lenken menschliche Geschicke und führen die Siegel, der Macht.
Kommende Zeiten werden die Verachtung nicht kennen, weil sie das Verbrechen gegen die Würde Gottes ist. Sie werden den zurückgebliebenen Menschen, der an Leib und Seele noch Sklave ist, nicht ächten und quälen, sondern in Liebe emporheben. Doch werden sie ihm von Jugend. auf Verantwortungen entziehen, bis er geläutert sie tragen darf, sie werden ihm nicht eher vertrauen, als bis er sich zur Wahrheit aufgerungen hat, sie werden seinen Einfällen und Späßen, Entrüstungen und Ausreden, Schmeicheleien und Überredungen unerbittlich bleiben. Schon das kindliche Alter wird diese Gifte erkennen und fernhalten, klare Namen und Begriffe werden sie umschreiben. Berufsgattungen, die solcher Eigenschaften bedürfen, Lebensführungen, Trachten, Vergnügungen, die sie verraten, werden nicht mehr als ehrenhaft gelten; man wird die Arbeit eines Abtrittreinigers höher stellen als die eines Schwätzers und Schiebers, man wird krankhafte Verirrungen minder verpönen als Üppigkeit und Schaustellung, man wird Matrosenbordelle milder beurteilen als Stätten gemeiner Kunstverzerrung.
Welch gewaltige Richtkraft bewußter Volksüberzeugung innewohnt, das erkennt man in einem Lande, das uns nicht Vorbild ist, wo die einseitigen und unbeseelten Begriffe der Herrenwürde und der Stammesgepflogenheiten zum Kanon allen Menschenurteils geworden sind. Das drohende Wort ‚dies ist nicht herrengemäß‘ und ‚dies ist nicht heimisch‘ hält Millionen in den Schranken eines
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wenn auch nur intellektual-sittlichen Gehabens. Dertranszendenten Pflicht und Not unserer Zukunft kann dieser karge Imperativ nicht genügen. Sie hat die Frage aufzurichten: ‚Was ist der Menschenseele würdig und angemessen ?‘, und vor dieser kategorischen Losung, die alle empirischen, intellektualen und utilitarischen Pflichten tief unter sich läßt, verblassen Charaktere und Berufe, Begabungen und Rechte, die heute die Welt beherrschen, und es zieht die Stille ein, die den Menschen, den Dingen und der Gottheit ihr Recht gibt.
Wir nähern uns nun der letzten und ernstesten Prüfung. Die mächtigen Motoren des Willengetriebes haben wir als gestillt betrachtet: Die Gier nach Schein und Geltung, nach Kram und Tand, den Eigenwillen und Eigennutz der Häuser; kann es nun geschehen, daß der Mechanismus der Gesellschaft, solcher Triebkräfte beraubt, abstirbt, daß die Zivilisationsarbeit der Erde abreißt, die leiblichen und geistigen Güter der Menschheit verkommen? Oder bleiben Kräfte lebendig, die den planetaren Prozeß unter reineren Bedingungen fortsetzen ?
Wäre es wahr, daß der Zweck nicht nur die Mittel heiligt, sondern gar die Motive, daß nur aus schlechten und törichten Trieben das Leben dieser tellurischen Gemeinschaft sich erbauen ließe, so wäre es besser und an der Zeit, daß dieses Leben zugrunde ginge. Setzen wir jedoch in unverbrüchlichem Bekenntnis die ewige Sittlichkeit des Weltgeschehens voraus, und nur dann haben wir das Recht, anders als aus gemeiner Feigheit sittlich zu handeln, so wissen wir, daß wir keiner Schlechtigkeit bedürfen, um zu leben.
Fast ist es begreiflich, daß in unsern Tagen der Segen der Arbeit ein Daseinskampf genannt werden muß und
13 Rathenau, Von kommenden Dingen
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daß dieser Kampf mit Haß und Verzerrung in einer Arena voll Blut und Tränen geschieht. Unmenschlich, daß diese Gesellschaft es ansieht, wie der junge Kämpfer ungewarnt und ungeschult herniedersteigt, um stündlich wiederholt sein und der Seinen bürgerliches Leben, Nahrung, Hausung und Pflege gegen die Gier und Härte der andern zu wehren. Ein irrender Blick, ein unbedachter Schritt, eine kranke Schwäche kann ihn stürzen; und ist der innerste Mensch nicht gegen jedes Schicksal gefestigt, so kann der Sturz Tod des Leibes sein und Vernichtung der Seele. Sicherheit schuldet die Gesellschaft einem jeden ihrer Glieder; sie hat die alte Sicherheit der nährenden und schaffenden Berufe vernichtet, sie hat aus dem alten Pflichtenkreise der Gewerbe einen Kampfplatz geschaffen, auf dem die schlaue Finte und die giftige Waffe siegt; ihr liegt die Blutpflicht ob, den Sold zu opfern, den ein Kriegsmonat kostet, um den Daseinskampf über krasse Lebensgefahr emporzuheben. Erst dann kann die tiefe Angst und Bitterkeit schwinden, mit der Tausende an den kommenden Tag denken, das Gift der Unfreiheit, das Überzeugungen fälscht, und die unreine Leidenschaft, die sich in Fragen des Mein und Dein nistet. Erst dann ist Raum geschaffen für die reinen Kräfte, die das künftige Willensdasein bewegen sollen.
Diese Kräfte aber sind nicht neu noch fremd. Schon heute folgt ihnen alles höhere Schaffen; gefordert wird, daß sie künftig das gesamte Schaffen ergreifen, das dann kein niederes Schaffen mehr sein wird.
Alles Schaffen ist edel, das um seiner selbst willen geschieht; alles Schaffen ist gering, das durch den Stachel des Wunsches, durch die Peitsche der Angst erzwungen wird, das nicht sich selbst dient und genügt, sondern dem Zwecke.
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Die wundervolle, väterlich göttliche Liebe zum Geschaffenen ist es, die den alten Dingen der Handwerkszeit Mark und Leben, Fülle und Sprache leiht; der Massenkram unsrer Zweckgewerbe ist taub und verlogen, sein grinsender Glanz schielt nach dem Kehrichthaufen, wo sein Eintagsleben endet. Der Überschuß spendender Liebe, der dem alten Gerät die zweckfreie Schönheit und den sorgsamen Schmuck der Gestalt ersann, wird von der kalkulierten Phrase des Maschinenornaments verhöhnt; als letzter, versöhnlichster Abglanz versiegten Reichtums bleibt die Exaktheit, eine hochgezüchtete technische Tugend ungezählter Geschlechter aus der Erbreihe der Geräte, deren Stammbaum mit eignem Leben neben dem der Menschheit einherwächst.
Erheben wir jedoch den Blick von den armseligen Werken zweckhafter Gewinnsucht zu jeglichem Schaffen, das wahrhaft unsrer Zeit Bestimmung gibt, so erkennen wir: Nur da wird schöpferisches Leben, wo frei von Zweck und Absicht um der Sache willen geleistet und geschaffen wird. Der Künstler wirkt aus Gestaltungsdrang und Liebe, der Forscher aus Wissenstrieb und Ordnungsgeist, der Staatsmann aus Willenskraft und Ideenzwang, und selbst die erdgebundenen Berufe wollen Verwirklichung des Gedachten, Leben des Organisierbaren. Der Finanzmann und Organisator, der schafft, um sich zu bereichern, ist ein Stümper und Krämer; nie ist lebenskräftige Saat seiner Hand entflossen; denn das Wort und Werk, das zweien Herren dient, der Sache und dem Eigennutz, ist das schwächere, es wird zu Boden geschlagen von dem freieren, das nur der Sache dient und daher einfach ist.
Was also ist andres nötig, als daß der freie Geist der Liebe zur Sache, der heute alles höhere Schaffen leitet,
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sich auch des mittleren und niederen bemächtige? Es gibt nicht ein einziges Werk auf Erden, das nicht in Liebe verrichtet, durch Geist und Willen veredelt werden kann. Die menschliche Natur ist so wandlungsreich; wie die menschlichen Berufe; sie schafft nicht nur den geborenen Soldaten und Geistlichen, sie schafft den geborenen Buchdrucker, Radfahrer, Schachspieler und Stenotypisten. Freiheit von Erbfron ist nötig, Freiheit von Not und Freiheit der Berufswahl; von diesen Bedingungen haben wir gesprochen; sie sind erfüllbar. Sind sie erfüllt, so bedarf es nicht mehr des Antriebs unedler Bewegungskräfte, der Despotengeißel Gier und Angst: nicht Hunger und Wollust, sondern Liebe hält den Menschenbau lebendig.
Doch wo bleibt der leidenschaftliche Auftrieb, der die Kräfte der Führung und Herrschaft emporschnellt? Wer ist bereit, die doppelte Arbeit und Sorge des Kampfes und Aufstiegs, des Lebens für sich und die andern zu tragen, wenn Eitelkeit geächtet und Ehrgeiz gesänftigt ist? Kann die Welt diesen letzten und stärksten Hebel, dieses selbstbestimmende Werkzeug der Auslese entbehren ?
Schon heute bedarf sie seiner nicht und wird seiner nie bedürfen. So wenig der Wille zum Gewinn die wahren Werke der Wirtschaft erzeugt, so wenig vermag der Wille zu persönlicher Macht das wahre Werk der Herrschaft zu erfüllen. Der eitle Herrscher ist der schwächste; schwächer als der beschränkte, gefährdeter als der böse. Eitelkeit tötet die Sache. Eitelkeit erfordert ein Leben für sich, ein zweites Leben neben dem des Schaffens, ein Leben, das die Kräfte des Menschen derartig hinnimmt, daß für die einsamen, losgelösten, hingegebenen Stunden des Schauens und Schöpfens kein Raum bleibt.
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Der Respekt vor der Wahrheit und Notwendigkeit sinkt dahin, Dinge und Menschen verlieren ihren Selbstzweck und werden zu Mitteln, der Entschluß verliert Charakter und Richtung und wird zum Spiel. Nur der gesetzhaften Einseitigkeit und Eindeutigkeit ist es verliehen, ihren Weg zu Ende zu schreiten; das Dickicht durchdringt, wer in gerader Richtung wandert, gleichviel in welcher; wer im Kreise sich bewegt, kommt um. Wenn aber der Dienst der Sache mit dem Dienst der Person gekuppelt ist, so wird die Richtung verloren. Wer Jahre des Lebens am kläglichen Werk seiner Laufbahn gearbeitet hat, dem ist Welt und Leben nicht mehr der Garten des Herrn, sondern eine bretterne Bühne der Kabale und Intrige, niemals wieder wird sein Auge den reinen Glanz, sein Arm die sehnige Kraft und sein Herz den kindlichen Willen empfinden, der Saat und Ernte segnet. Die Sache verlangt den ganzen Menschen, verlangt ihn bei Tage und bei Nacht, und hinter dieser Leistung bleibt der Stärkste und Begabteste zurück, der seinem eignen Leben und Gedeihen nachhängt.
Endgültiges ist von Ehrgeizigen nie geschaffen worden. Wer das Beispiel jenes gewaltigen Dämons der Schwelle anführen wollte, der das Tor der alten Welt hinter sich zuschlug und den Weg in das Reich der Neuzeit aufriß, das er betrat und verkannte, der hat den Geist des Korsen nicht begriffen. Diesen Fanatismus der Dinglichkeit bringt nur der auf, der nicht sich selbst lebt, sondern dem Gegenstand; und ist der Gegenstand ein Idol, das Spielbrett tollen, unbegründbaren Willens, so ist er dennoch königlich, weil er den Menschen sich selbst und gemeiner Lust entreißt und adelt. Nicht um der Oper willen in Notre-Dame und Erfurt hat dieses Herz sich entmenscht, sondern für die imperiale Macht;
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und weil ein Irrensrest nicht zuließ, daß die Idee sich vom Menschen löste, darum kam der Mensch um.
Verantwortung ist die einige Kraft, die Herrschaft fordern und rechtfertigen darf. Nie wird sie Herrschaft fordern um der Abzeichen willen, nie wird sie Macht fordern um des Menschen und seiner Freude willen. Verantwortliche Herrschaft ist Dienst, doch nicht der mystische Dienst eines Despotengottes, der Willkür verleiht, weil er Willkür übt, der Anbetung verleiht, weil er Anbetung fordert, sondern Dienst am idealen Gedanken, der die andern zum gemeinsamen Werk emporreißt. Verantwortliche Herrschaft macht den König zum Knecht, den Knecht zum König, nicht um von ihm bestimmt zu werden, sondern um ihn im Geist zu seinesgleichen zu erhöhen. Sie verlangt nicht Unterwerfung und Gehorsam, sondern Mitwirkung und Folge; Kniefall und Buhlschaft ist ihr verächtlich, Pomp und Götzenweihe ein Greuel. Wer Lust hat, über Sklaven zu herrschen, ist ein entlaufener Sklave; frei ist, wem Freie willig folgen und wer Freien willig dient.
Die Freude, die Despotismus bringt, ist die Freude an der Selbstüberhebung, an der Niedrigkeit der Menschen, an Bequemlichkeit, Glanz, Ruhm und Neid, und wenn zuweilen die Bequemlichkeit geopfert wird, so geschieht es, um neue Machtfreuden einzutauschen. Die Freude der Verantwortung ist Freude an der Gefahr, an Arbeit und Sorge, und Freude am Schaffen. Opferndes Schaffen aber ist tätige Liebe, die höchste Bürgschaft unsres transzendenten Rechts. Wenn jemals vor dem Richterstuhl der Welten die Menschheit des tellurischen Planeten erschiene, so wäre sie durch das selige Wort: ‚Mein Glück war schaffende Liebe‘ gerichtet und erlöst.
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Der Verantwortung ist es gegeben, in der Reihe der menschlichen Motore die falsche Kraft der Ehrsucht abzulösen und jene leidenschaftliche Steigerung zu erwirken, deren das Einzelstreben bedarf, damit es der Welt nicht an Führung fehle. Dem strengen Gefühl steht nicht allein die Nachhaltigkeit bei, der im Laufe eines Lebens nichts versagt bleibt, sondern auch die Gerechtigkeit der selbstbestimmenden Auslese. Ehrgeiz fördert Schwache und Toren, die den großen Moment für Lichtbilder verschwenden, Wille zur Verantwortung bezeichnet den Fähigen und Erwählten; denn jeder liebt, was er kann, und kann, was er wahrhaft und selbstlos liebt.
Neue Grundgestaltungen gesellschaftlicher Sitte sahen wir emporsteigen, Umstellungen der treibenden Kräfte, der Wertungen und der Ziele. Dennoch enthalten Forderung und Erfüllung nichts der Menschheit Fremdes, utopisch Gewolltes: Denn in allen reinen Geistern unsrer Zeit ruht unbewußt eine jede unsrer Hoffnungen verwirklicht. Was ist vermessen: Zu erwarten, daß viele dereinst begreifen, was heute wenigen vergönnt ist, oder für alle Zeit den Aufstieg zu freierem Empfinden zu leugnen; doch wage der Leugner zu bekennen, daß alles Sinnen und Trachten, das den Stempel sittlichen Willens trägt, alsdann bestimmt ist, ewiges Vorrecht und ewige Verwerfung zu bekräftigen.
Die Stetigkeit des Vorschritts, die Entwandlung aus den Keimen der Zeit wird von neuem sichtbar, wenn wir das Gesamtbild versittlichter Weltstimmung mit den Linien erschauter Gesetze umschreiben.
Das äußere Leben wird stiller, denn die grellen Verlockungen und Reize haben aufgehört zu wirken; sie sind den Weg des Zuckerzeugs, der Glasperlen und Knallerbsen gegangen. Der aufdringliche Bettel und Schrei,
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die freche Preisung des Verkäufers ist nicht mehr selbstverständlich und angemessen; der Not kann der Mann nicht mehr verfallen und seine Bereicherung ist gleichgültig. Eile ist Angst; das Drängen und Schieben der Menschen, heute verzeihlich als Rettung vor Untergang und Verzweiflung, wird unwürdig, wenn für alle gesorgt ist; Vorsprung durch Rücksichtslosigkeit ist verpönt. Die Gier und Hast des Kaufens ist erloschen und mit ihr die schreiende Angst des Gewerbes und des Interessenzanks. Arbeit wird ernst, still und würdig; die Erinnerung an unsre Zeit erscheint wie im Bilde vergangener Trödelmärkte. Die Stätten des giftigen Luxus und der verpesteten Freuden, der geistlosen Vergnügung und der groben Reize wandern ab, zuerst nach Vorstädten und Fabrikorten, dann nach dem Balkan, zuletzt nach tropischen Bezirken. Ihr Besuch steht jedem frei, der in Gegensatz zur Kulturgemeinschaft treten mag; doch die forsche Verwegenheit der Verführung wird verschämt. Frauen mögen hier und da nach Art der Negerweiber bunte Flitter, Vogelfedern und glänzende Kiesel durch die Straße schleifen, schwänzelnd und tänzelnd Freier locken, in gepolsterten und durchdüfteten Winkeln schmollen und den letzten Weinreisenden und Modeberichter bezaubern; doch sie wissen, was sie tun; denn das Gemeinschaftsbewußtsein hat den schaffenden Beruf des Weibes erkannt. Bereicherte Lieferanten mögen hinter Gittern und Mauern Köstlichkeiten an Gerät und Nahrung stapeln und verprassen, Menschenkräfte vergeuden, Werke der Kunst und Natur versperren: Neider und Bewunderer werden sie nur in wenigen Gleichgesinnten finden, die bewußt die alten Freuden der Gier und Prunksucht über die Einsicht der Kulturgemeinschaft stellen. Der Begriff der materiellen
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Überbietung, der in seiner Gemeinheit aus Häuserfronten und Fensterauslagen, Geräten und Trachten grinst, hat ein Ende; Bereicherung hat aufgehört ein allgemeines, selbstverständliches, gebilligtes Ziel zu sein; Bewunderung des Luxus weicht einem traurigen Erstaunen. Technik dient dem Leben wie zuvor, doch wird Beschleunigung und Bequemlichung jeder Verrichtung nicht zum Selbstzweck. Pflicht der mechanischen Sklavin ist und bleibt, Massen zu bewältigen, Arbeit zu vergeistigen, den Menschen tierischer Last und Fron zu entheben und die wachsende Zahl der Erdbewohner zu versorgen. Die Hingerissenheit vor jeder Verschärfung der Reize, vor jeder Steigerung dimensionaler Wirkung ist kindisch und mag noch kurze Zeit den Amerikaner freuen; einer geistigen Gemeinschaft ziemt sie nicht. Heute ist die Stimmung menschlicher Beziehung Fremdheit und Feindschaft. Wen man nicht kennt, mit dem soll man nicht reden. Ihm darf man die Härte der Interessen, gemildert durch oberflächliche Höflichkeit, entgegenkehren. In Geldsachen, sagte ein preußischer Minister, hört die Gemütlichkeit auf. Wird man bekannt, so steigert sich die Höflichkeit zur Fratze, die Feindschaft bleibt; denn sie hat ihren tiefen und furchtbaren Grund in der Lebensgefahr des Wirtschaftskampfes. Ist der Mensch gegen Obdachlosigkeit und Hunger, gegen Not und Siechtum dereinst so geschützt wie heute gegen Mord und Raub, so verliert die gesellige Feindschaft ihr Recht, und wer sie übt, gesteht Eigennutz und Habsucht. Mißtrauen, die wohlfeilste der Klugheiten, gilt manchem heute als Niederschlag der Lebenserfahrung, und es mag wahr sein, daß einem Geschlecht, das in der Wertung menschlicher Eigenschaften ahnungslos, das blind ist in der Deutung ihrer Zeichen, allzuhäufig
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Vertrauensbruch, Lug und Tücke widerfährt; ist doch dieses Geschlecht das gleiche, das von Tausenden Beschwätzern überredet, von Verkäufern geblendet, von groben Lockmitteln gereizt sein will. Ist die Menschheit der Angst und Gier überhoben, so kehrt Selbstbesinnung ein und Würde und Selbstvertrauen; und hat sich der Mensch gewöhnt, ohne Überhebung noch Verachtung, doch unbestechlichen Blicks Leib und Geist seines Nächsten zu durchschauen, so weiß er, was er dem andern anvertrauen und auferlegen darf, was er von ihm erwarten kann und was er ihm schuldet. Die verängstete Blindheit des Mißtrauens schwindet; der Mensch blickt dem Menschen ins Auge und erkennt den Bruder.
Unter dem Stachel der Gier und des Ehrgeizes steigerte sich gesellige Feindschaft zu dem grausamen Wettlauf um die Güter des äußeren Lebens; der Furienruf: Entsage, damit ich besitze, opfere, damit ich genieße, stirb, damit ich lebe, trieb die Völker in Raserei und Vernichtung und entzweite die Glieder des Brudervolkes zum Erbkrieg der Klassen und Stände. In jede menschliche Erwägung mischte sich die Frage des Mein und Dein. Kein politisches Besinnen kann mehr die Kräfte einer Nation auf reine Ziele richten; keine Einheit des Wollens kann dem Drang nach innerer Gerechtigkeit die Gewalt der Naturkraft verleihen; alle Werte sind bestritten, und über allen erhebt sich uneingestanden und unbezweifelt die Schicksalsmacht der Interessen.
Nur die Verflüssigung und Entwertung des Reichtums, die Überbrückung erblicher Spaltungen, die Aufhebung der Teilung in ewig tragende und ewig lastende Glieder, nur die Verschmelzung der menschlichen Gesellschaft zu einem lebenden, unstarren, aus sich selbst sich
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erneuernden Organismus, nur diese stille und gewaltige Umformung aus der Tiefe des sittlichen Gewissens, wie unsre neue Lehre sie dargetan hat, kann und wird den Bruderkampf der Menschen und Völker stillen. Nicht um irdische Paradiese zu schaffen, nicht um diesem das Dasein zu erleichtern, jenem Wunden zu sparen, nicht allein um der Gerechtigkeit, noch weniger um der Barmherzigkeit willen: sondern aus der ewigen Pflicht, zu neuen und schweren Kämpfen aufzurufen, um die Welt nicht ersterben zu lassen in materiellen Schranken, die unwürdig sind, um sie zu neuem, härter zu erringendem Leben zu führen, zum Leben der Gemeinschaft und der Seele um des Gottes willen,
Das innerste Lebensgefühl des Menschen wird zum Gefühl der Solidarität. Wenn heute als erlaubt gilt, was nicht verboten ist, wenn heute jeder die äußersten Grenzen zulässiger Rechte ausspäht, so umfaßt dereinst ein jeder die äußersten Grenzen seiner helfenden Kräfte. Das Leben, losgelöst von der Angst und Gier der Leiden und Genüsse, wird nicht zum kalten Spiel noch zum gelangweilten Sport der Glieder und Köpfe; die königliche Kraft des Willens bleibt uns erhalten, doch nicht im Dienst selbstverzehrter Zwecke, sondern im Bewußtsein der Gottespflicht, die uns in dieses Leben gestellt hat, die uns verantwortlich macht für die Verwaltung und Gestaltung jeder Sehne unsres Leibes und jeder Fühlung unsres Geistes, die von uns fordert nach dem Gesetze der Vergöttlichung den Aufstieg vom tierischen zum geistigen, vom geistigen zum seelischen Dasein.
Wie leicht ist es, von dieser heiligen Zuversicht sich lächelnd abzuwenden und mit dem entsagenden Hinweis auf die uralte Unveränderlichkeit der menschlichen Natur jedes höhere Ziel den Jahrtausenden anheimzustellen,
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damit immer wieder den Tagesfragen um so mehr Raum geschaffen werde.
Tagesfragen! denen ihr eure Tage und Nächte opfert: was sind sie? Der Sickerweg ungefaßter Quellen und Bäche, die im Moorland verrinnen, weil kein Geisteswille ihnen den Weg weist; hier ein Balken, dort ein Steinblock hingebreitet, damit von Not zu Not der irrende Fuß eine Stütze findet, die unter dem Tritt versinkt. Verzicht auf Selbstgestaltung des Menschengeschlechts nach dem Licht seiner eingeborenen Einsicht, Anheimgabe an die Willkür der Zeit, die nach tausendfacher Vergeudung des Lebens ein wankendes Gleichgewicht erschüttert, das alle Kräfte erstickt, bis die Lawine sich löst und nach schmerzvoller Zerstörung den neuen Nullpunkt sucht. Politik des geringsten Widerstandes, Durchsetzen dessen, was am leichtesten möglich, nicht dessen, was nötig, hart und schwer ist; Vermittlung zwischen bestehenden Willenskräften, nicht weil sie zu Recht bestehen, sondern weil sie eingewurzelt oder häufig sind. Die Welt läßt ihre Torheiten, Eitelkeiten und kleinen Bedürfnisse darüber abstimmen, welche zuerst befriedigt werden soll, und diejenige kommt zuerst, die am lautesten schreit. Niemals zuvor hat es eine geschichtliche Zeit gegeben, die darauf verzichtet hätte, ihre Wollungen zu werten und zu formen nach dem Bilde ihrer intuitiven Einsicht; uns war es vorbehalten, unter der Herrschaft des allklugen und allwissenden Intellekts unser irdisches und göttliches Leben dem Kräftespiel des Zufalls, der Mehrheit, des Herkommens, der abergläubischen Reste und eklektischen Werte anheimzugeben und mit gravitätischer Ratsherrenmiene Tagesfragen zu erörtern.
Unveränderlichkeit der menschlichen Natur! Wie lieb ist diese Redensart den Behäbigen, die manches zu verlieren
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und nichts zu erringen haben, die am Künftigen zweifeln und diesen Zweifel Lügen strafen, indem sie an Tageswerken und Tragesfragen feilen. Gewiß, Lachen und Weinen, Liebe und Haß, Lust und Schmerz sind alt und neu; und dennoch lebt der Buschmann und Papua als Erinnerung an alte Menschenzeiten, dennoch hat Christus das Menschendasein in zwei Epochen gespalten, dennoch haben drei Jahrhunderte genügt, um alles Wirken des Abendlandes auf das Denken zu stellen, dennoch hat sich im Laufe von vier Menschenaltern eine unbekannte Masse in das tatkräftigste Bürgertum verwandelt und den deutschen Volkskörper von innen heraus erneuert, dennoch ist durch einen Königswillen der preußische Stand der Landesverwalter und Verteidiger geschaffen worden. Unsrer Zeit, die aus Trägheit des Denkens und willentlicher Verblendung sich gewöhnt hat, ganzen Völkern das Recht des Daseins abzusprechen, obgleich sie weiß, daß in jedem Gemeinschaftskörper Muttermörder und Betrüger, Irrsinnige und Sieche, Denker, Feldherren, Heilige, Werbende, Genießende und Schaffende in ähnlichster Folge, Zahl und Mischung erscheinen, unsrer Zeit ist es schwer klarzumachen, daß der Wechsel des geschichtlichen Antlitzes nicht den Wandel Aller bedeutet, sondern das Emporbrechen neuer Schichtung, die Umgestaltung der leitenden Wertung, den Sphärenschritt des herrschenden Gedankens, der Idee. Natur verschmäht den Wandel von Grund auf, sie bewahrt als Erinnerungszeichen die Bilder des Verflossenen in den Kammern stets entfernterer Abgeschlossenheit; noch immer lebt die vorweltliche Muschel und der Steinzeitmensch, und noch in Jahrtausenden wird der angst- und giererfüllte Intellektualmensch leben; doch seiner wird die Herrschaft der
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Welt nicht mehr sein. Zeit und Menge gilt ihr nichts; sie treibt nicht herdenweise die Menschen in die Pforten des Paradieses, sondern sie schafft wie der Künstler: der nur den auserwählten Stein mit dem Hauch seiner Seele belebt. Das Meer bleibt ein unveränderliches, gefügtes Reich, und dennoch färbt und gestaltet es sich in jeder Stunde neu, wenn Trübungen emporsteigen und Winde es kräuseln, wenn Wolken beschatten und nächtliches Leuchten aufbricht. So ist in jeder Nation jedes Glauben und Wissen, Denken und Wollen gleichzeitig vorhanden und wirksam, und es ist keineswegs die Mehrheit und Mehrzahl, welche die zeitliche Geistesfärbung bestimmt, sondern die festere und geschlossenere Schichtung und Vereinigung. Die herrschende Geistesmacht aber hat in einem Mehrheitsgeist die Gewalt, auch den ungefärbten, den indifferenten Bestandteil sich anzugleichen und allmählich die Vormacht zur Mehrheitsmacht heranzubilden. Alles assimilatorische Wirken beruht auf diesem Gesetz; deshalb kann nur die sittlich und willenhaft gleichförmige Nation zivilisieren und kolonisieren. Nicht eine sittliche Wandlung von Grund auf in rascher Bewegung und Gleichzeitigkeit bei allen Völkern ist das Ziel und die Voraussage unsrer Lehre und die Grundlage der künftigen Menschheitsgestaltung, sondern zuerst ein dämmerndes Aufsteigen und Ausbreiten herrschender, vereinigender und mitreißender Geistes- macht, ein schnelles Anklingen und langsames Schwellen des seelischen Rufes und Einklangs, der einstmals auch das unharmonische Gefäß zum Nachhall zwingt. Der erste leise Ton ist erwacht und wird niemals mehr schweigen, zögernde Stimmen setzen ein, und noch in unsern Tagen wird der Ruf vernehmlich. Ist er über die Bewußtseinsschwelle auch nur einer Volksgemeinschaft
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gedrungen, so beginnen die Wandlungen des sichtbaren Lebens, und sind sie durch das Gesetz der Herrschaft zur vollen Wirkung erwachsen, so ist die Zeit der neuen, der strengen Forderungen angebrochen.
Noch einmal bekräftend zum Ausgangspunkt zurückzukehren zwingt uns die Frage: Woher die Gewißheit? Woher seit Jahrhunderten zum ersten Male die rechtfertigende Zuversicht, daß neue Einheit des Glaubens und Wertens uns beschieden sein könne, da doch der intellektualisierten und mechanisierten Welt jede Überzeugung zerrissen, jede absolute Schätzung durch Vergleichung erstickt und verboten, jede Verbindlichkeit gelöst und nur der Eigenwille gestärkt ist? Sind wir nicht allem heißen Glauben zum Trotz dem blinden Gange der Mehrheitsbewegungen verfallen, dem öden Kompromiß der Interessen und Leibesnöte, die schließlich, wie die materielle Geschichtsauffassung es verlangt, den namenlosen Gesetzen der Naturkräfte folgen müssen und ihnen zum Sieg über den Menschheitsgedanken helfen? Haben wir nicht endgültig die Selbstbestimmung des Geistes dem mechanischen Schicksal des Gleichgewichts geopfert’?
Die Obmacht einheitlichen Menschheitswillens und sittlicher Gewißheit über die Widerstrebung materieller Gegebenheit bestand solange, als offenbarte Religion jeden Schritt des Gemeinschaftswillens bestimmte. Sie brach zusammen, als das Wunder aus der alltäglichen Natur verschwand und dem Gesetze wich, als Sonne und Mond nicht mehr auf Gottes Geheiß verweilen durften, weil das Denken ihnen rastlose Ruhe und tote Bewegung vorschrieb. Sie mußte zusammenbrechen, weil offenbarte Religion sich nicht erneuert, es sei denn, daß sie wie im Osten an jedem Tage von neuem durch Zeichen
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sich bekräftigt; das ursprüngliche Wunder wird historisch, der Glaube dogmatisch, die Botschaft Gesetz; die Gottheit verpriestert. Aus der Gemeinschaft der Geheiligten wird die mechanisierte Kirche, aus Frömmigkeit Politik, das ursprünglich Transzendente wird durch Deutung und Umdeutung eine terrestrische Macht, welche die Realitäten zu bekämpfen geeignet und bestimmt ist, nachdem sie nicht mehr vermag, sie zu gestalten. Herrschaft offenbarter Religion setzt voraus ein Volk, das den Höllen- weg des Intellekts noch nicht durchschritten hat, sie setzt voraus beständige Erneuerung durch Zeichen und Wunder, die den ursprünglichen transzendenten Inhalt lebendig erhalten und sein Verhältnis zum Gange der Wirklichkeit unaufhörlich neu deuten und unerschütterlich bestimmen. Nicht Priesteredikte und Kirchenversammlungen erneuern die herrschende religiöse Einheit, sondern Propheten.
Die Obmacht der Religion erlag der Vernunft. Mut und Gewissen der Völker germanischer Färbung verzichteten auf die materialisierten Tröstungen der Mystik und erstrebten den Einklang des Glaubens und Denkens. Sie schufen ein religiöses Gebilde, das jahrhundertelang den Menschheitsweg begleiten durfte, weil es den Blick auf die ursprüngliche Transzendenz des Evangeliums offen hielt; das jedoch zur allbeherrschenden Geistesmacht nicht werden konnte, weil es schismatisch war, weil es nicht auf Prophetie beruhte, weil es das forschende Denken frei ließ und vom ersten Tage an hinter der politischen Macht, der es sein Dasein schuldete, zurücktrat. Der Protestantismus hat im letzten Sinne stets ein privates Leben geführt, mochte er auch unter staatlichem Schutz in einzelnen monarchischen Staaten zu politischem Einfluß gelangen; die höchste Macht der Wertbestimmung
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für alles Leben konnte und wollte er nicht erringen; der Hofprediger durfte den Weg des Propheten und Märtyrers nicht schreiten.
Den intellektualisierten Geist der Völker beherrschte die Vernunft. Abermals, wie vordem in der Zeit des naiven vorchristlichen Staatsgedankens, fiel der Philosophie die Aufgabe zu, Werte zu setzen. Sie fand wenig Gehör. Denn die Welt war auf Jahrhunderte mit der beispiellosen Arbeit der Mechanisierung beschäftigt; Wissenschaft, Technik, Kapital, Verkehr, Staatsverfassung, Kriegskunst, Ständewesen, Lebensführung, Kunst mußten der Übervölkerung des Erdballs, der Umschichtung der Volkskörper angepaßt werden. Die gewaltigste aller Erdumwälzungen verlangte unbekümmerte Frei- heit des Einzelnen; gegensätzliche Kräfte und Nationalitäten hatten sich in die Weltarbeit zu teilen; ohne die zügellose Freiheit des Denkens und der Denkmethoden wäre sie nicht bewältigt worden. Unvermeidlich war der großartige Irrtum, die triumphierende Analytik könne den letzten Schritt wagen, der Menschheit Ziele zu setzen; gleich als ob der Buchdrucker dem Dichter, der Lokomotivführer dem Reisenden, der Farbenhändler dem Maler oder der Kanonier dem Feldherrn die Wege weisen wollte.
Pflichtgetreu und bekümmert machte immer erneut die Philosophie sich ans Werk, die zerrinnenden Fäden zu sammeln, ewige Richtungen, Gesetze, Imperative zu ersinnen. Vergeblich! Jede kritische Frage hatte sie sich gestellt, an Begriffen und Welt, an Gott und Dasein zweifeln gelernt, und dennoch war sie aus reiner Vernunft an der einfachsten Vorfrage blind vorbeigeschritten: ob nämlich der denkende, messende, vergleichende Intellekt, die Kunst des Einmaleins und des Warum die Einzige,
14 Rathenau, Von kommenden Dingen
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dem ewigen Geist verliehene Kraft sei und bleibe, um Menschlichgöttliches zu durchdringen. Sie blieb Intellektualphilosophie. Sie benahm sich, als wollte ein Schwingungstheoretiker mit Kurven und Diagrammen das Erlebnis der Symphonie ergründen, als wollte ein Meteorologe mit Wetterkarten die Stimmung eines Frühlingsmorgens erschöpfen, als wollte ein Hydrauliker das Urempfinden der Meeresbrandung errechnen. Sie sah nicht ein, warum das Wogen und Sehnen der Gefühle sich nicht sollte auf mathematisch-logischem Wege erklären lassen, warum die Beobachtung und Spaltung der Begriffe nicht auf das höchste Erlebnis anwendbar sei. Sie erstaunte nicht über die Armseligkeit und Kahlheit ihrer Definitionen, wenn sie sich an die inneren Gewalten der Liebe, der Natur, der Gottheit wagte. Sie fragte nicht, warum allen ihren sittlichen Lehren die zwingende Macht der absoluten Verbindlichkeit fehle, sie fragte noch weniger, auf welchen Voraussetzungen eine absolute Verbindlichkeit überhaupt beruhen könne. Denn auf den Nachweis der allgemeinen Nützlichkeit hat jeder das Recht zu antworten: ich verzichte; und auf jede theoretische Pflichtkonstruktion: ich schließe mich aus und nehme die Folgen auf mich. Logisches Denken kann Recht begründen und Sitte, niemals absolute, jedem Einwand enthobene Wertsetzung und Sittlichkeit. Die kann nur aus dem Absoluten, dem unantastbar Göttlichen fließen; und nur dann hätte der Mensch das Recht, mit grübelndem Verstande konventionelle Sittenformeln zu errechnen, wenn jeder Geistesweg zur Transzendenz ihm verschlossen wäre. Dieser Weg aber steht himmelweit offen; es ist nicht der Weg der Kirchen und Klöster, der Dogmen und Riten, sondern der Weg des seelischen Erlebens und Erschauens, und jeder hat ihn betreten,
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oder jemals losgelöst vom zweckhaften Zetern des intellektualen Denkens sich wunschlos schweigend der Liebe, der Natur, der Gottheit hingab. Freilich, auf diesem Wege sind wir nicht altklug, wohlerfahren, unerstaunt wie auf den tausendjährigen Straßen des ewig gleichen, weit übersehbaren Intellekts; wir irren und stammeln und staunen an den Pforten des Bezirks, in den unsre Sprache nicht reicht; doch ewige Gewißheit treibt uns vorwärts, und wir kehren heim, die Augen erfüllt von unvergänglichem Erinnern, und erkennen, was wir heimbrachten, wieder in den Sprüchen und Lehren unsrer Größten, die alle das gleiche gesagt und verkündet haben: das Gebot der Liebe, das Reich der Seele, das Erlebnis Gottes.
Das sind wenig Worte, sie scheinen alt und erschöpft und sind unergründlich. Keine Frage des Lebens, keine, und ginge sie um die entlegensten, erbärmlichsten Dinge, die in diesen Quell getaucht nicht den klaren Kern ihrer Wahrheit und Würdigkeit erleuchten ließe. Kein Zusammenhang und kein Irrtum ist so verworren, daß er im Lichte der erschauten Wahrheit sich nicht einfach löste. Alle Werte stufen sich ab, alle Urteile werden zum erlebten Gefühl, und selbst das irdische, flüchtige Leben behält sein Recht, nicht als ein Letztes, das sich anmaßen dürfte, aus seinen Bedürftigkeiten Gut und Böse herzuleiten, sondern als der Orbis pictus, aus dem wir lernen mit dem Aufblick zum Höheren, als die Schule des Herzens und Willens, die Palästra des irdischen Leibes, die nicht Selbstzweck ist, noch letztes Glück und letzte Trauer spendet, noch letzter Leidenschaften und Verzweiflung würdig ist, sondern die vielmehr uns Pflicht und Erbteil und vergängliches Schicksal bedeutet, die wir ernst und würdig nehmen, ja die wir lieben sollen.
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Nicht die Philosophie des Intellekts hat uns den alten und neuen Doppelweg zu Welt und Gott gewiesen, sondern die schauende Kraft, die vordem viele Namen hatte und die uns seelische Einsicht heißen soll. Sie wird das alte Erbe der Menschheitsführung übernehmen, das die Religion verlor und die Intellektualphilosophie nicht ergriff, und weil wir in dem Glauben an diese Einsicht leben und sterben, ist die Frage nach der Gewißheit der Lehre erschöpft.
Es möchte nun manchem scheinen, als würden Welt und Leben, von diesem Kern erfaßt, schon fast ein Spiel, als könnten abermals treibende Kräfte im Sinne tätigster Leidenschaft verloren gehen, als könnte die Menschheit in quietistischer Beschaulichkeit zu tief gesänftigt und gesättigt werden. Gier und Angst freilich, Übermut und verzweifelte Trauer werden sich stillen. Doch sie haben das Große auf Erden nicht geschaffen. Das Staunen vor dem zweckhaften Intellekt und seinen mechanistischen Taten wird erblassen; denn schon heute fühlen wir die Erlernbarkeit und die rutinierte Gleichförmigkeit dieser Kraft, die ebnen aber nicht schaffen kann, die sehend aber nicht erleuchtet ist. Dennoch wird die Welt nicht unklug werden. Es gab eine Zeit, wo das Gehen und wo das Reden neu war und alle Geister des Menschen in Anspruch nahm; heute ist es uns geläufig, wir können gehen und zugleich reden, wir können reden und zugleich denken. Auch das alltägliche Denken ist uns heute schon vertraut; es füllt unsre Tage aus und viele unsrer Nächte; es gibt Zeiten, wo wir vor dem erbarmungslosen ungewünschten Denkstrom flüchten möchten. Dann nimmt Schlaf uns auf, zuweilen Meditation. Daß wir des Denkens, zumal des abstrakten, der grundsätzlichen Entschlüsse uns weit bewußter sind als des
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Atmens, beweist den Schülerstand, die Geringfügigkeit unsrer Meisterschaft selbst in dieser geringen Kunst. je mehr wir wunschlosem, meditativem Schauen Raum geben, je häufiger das mühselige Urteil durch die reine Erkenntnis berichtigt wird, desto leiser und sicherer arbeitet der intellektuale Geist, desto tiefer versinkt er in die Sphäre des Überwundenen. Wer die Selbstverständlichkeit, Reinheit und Sicherheit in den Entschlüssen glücklich erzogener und freier Menschen mit der dumpfen Mühsal des unsicheren Intellektualcharakters vergleicht, der hat ein Bild von der unbewußten und bescheidenen Meisterschaft, zu der das intellektuale Denken heranreift, um dereinst größere Dienste der Menschheit zu leisten als der geringe und beneidete Vorsprung unsrer wenigen denkgeschulten und beneideten Naturen.
Nicht Unklugheit wird das Geistesmerkmal jener Zukunft sein, sondern Überwindung banaler Klugheit durch die Sicherheit seelischen Urteils. Die Unsicherheit unsrer Zeit und ihrer Klügsten in Wertung und Urteil ist ohne Vorbild, denn niemals zuvor hat ein ähnliches Übermaß hemmungslosen Intellekts auf Erden gekreist und wahllose Willkür der Gefühle entfesselt und gerechtfertigt. Schwankend und instinktlos wie unser ästhetisches Urteil, das die Welt verunziert, sind Liebe und Haß in ihrem jähen Wechsel, sind die Urteile vom Erträglichen, vom Gerechten und Zumutbaren. Da alles bewiesen werden kann, wird täglich alles bewiesen und jeder Beweis ertragen. Und doch bringt jeder Tag einer kleinen Zahl von Menschen den Beweis, daß auch heute noch die Wenigen, die schöpferisch die Welt verkörpern, weil sie aus den Tiefen der Intuition ihr Sein und Urteil schöpfen, daß diese Wenigsten und Besten, gleichviel
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welchen Ursprungs und Berufs, in allen großen Fragen das gleiche fühlen und verkünden, zum Ruhm und Preis der absoluten Wahrheit. Nichts Ungeheures ist es, zu erhoffen, daß eine Zeit bevorsteht, in der auch eine größere Zahl es lernt, Herz und Sinn zu befragen und von dem Urteil innersten Empfindens die Dinge des Tages, der Welt und der Ewigkeit richten zu lassen. Nicht ein kühles Spiel des Lebens wird die Folge sein, auch wenn die jähe Angst um Schein und Tand dahinsinkt, wenn manche Narrenfreude und heimliche Lust erstirbt; heißere Leidenschaften werden entfacht von höherem Willen, und weil das Gebiet dieses Willens nicht mehr in Notdurft, Zwang und Tierheit begründet ist, so ist sein Siegel Freiheit. Nicht Gleichgültigkeit gegen Menschen, kaltes Erbarmen und höfliche Fremdheit steht uns bevor; denn wenn die Mittel des niederen Kampfes um Brot und Achtung erschöpft sind, Wettbewerb und Buhlerei, Neidhaß und Schadenfreude, Gleißnerei und Herrschsucht, so erhebt sich, wie heute bei den Besten und in großen Zeiten, Verantwortung und Sorge für die Gemeinschaft, Gemeinsinn und Solidarität. Nicht die beiden Gegenformen erdgebundener Denkart sind zu befürchten: Nihilismus und materielle Gläubigkeit; denn die Verzweiflung weicht, die zur Verleugnung treibt, und die Not, die alle falschen Gebete und abergläubische Betteleien um irdische Vorteile lehrt; und der Geist des Dankes und der Hingebung, des Schweigens und der Liebe erhebt sich zu wahrhaftiger Transzendenz.
Den Dreiklang Glaube, Hoffnung und Liebe hat der letzte Prophet den Jahrtausenden zugerufen, und alles göttlich -irdisch-menschliche Verhältnis ist in diesen Worten beschlossen. Tote, offenbarungslose Zeit hat
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sie überschattet. Glaube gilt als die unbehagliche und doch unabweisliche Pflicht, Dinge für wahr zu nehmen, von deren Unwahrheit man eigentlich überzeugt ist; das Opfer nicht nur des Intellekts, sondern auch des Gewissens zu bringen um eines Gebotes willen. Hoffnung wird mißdeutet als die Erwartung, daß nach dem Grundsatz der Vergeltung das Opfer nicht vergeblich sei, sondern Vorteil bringe. Verklungen ist das Gebot der Liebe; ihr Rest ist Mitleid und ein kalt gemessenes Gefühl für den Ausgleich der Nöte; dies ist die einige Friedensinsel im Kampf der Begierden. Neben der Liebe der Geschlechter, der Blutsverwandten und Befreundeten hat tätige Menschenliebe sich nicht behauptet.
Nicht hier soll von künftigem Glaubensleben gehandelt werden, das bleibe späterem Werk vorbehalten; hier ist von menschlicher Gesellschaft die Rede. Deshalb sei das Wort des Paulus nur im sozialen Sinne unsrer Zeit umgedeutet und im Einklang mit dem dargelegten Gange; so lautet es: Selbstbestimmende, verantwortliche Freiheit, Solidarität und Transzendenz.
Blicken dereinst unsre Nachkommen zurück auf unsre Epoche, so werden sie mit erschreckter Bewunderung rühmen, wie in den wenigen Jahrhunderten der europäischen Schichtenverschmelzung das intellektuale Denken zum Gipfel stieg und als sein Wahrzeichen die Mechanisierung der Welt hinterließ. Ein ähnliches Gefühl erschüttert uns, wenn wir die Anfänge unsres Geschlechts überdenken, die freilich über Jahrhunderttausende gebreitet sind; wenn wir die Urfindungen des aufrechten Gangs, der Sprache, des Feuers zurückahnen; doch mischt sich in unser Gefühl nicht die Bitterkeit unsrer kommenden Richter. Nur aus dem Aufstieg der
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unvordenklich geknechteten Unterschichten werden sie den niederen, negerhaften Zug unsrer Zeit erklären können, den gierigen Hang zu Kram und Tand bei Weibern und Männern, die Lebensangst und Menschenfeindschaft, die Sammelwut der Erhaltungsmittel, die Haltlosigkeit der Wertungen, den Mangel an bindender Sitte, an Verantwortung, Selbstgefühl und Solidarität. Wie gemeinhin die Zeiten aufbrechender Leibeigenschaften und Urschichten, die Alter des verkommenden Griechentums, des späten Römerreichs, so wird unsre Epoche als ein Ende und als ein Anfang gelten; daß aber nicht fremde Unterjochung, sondern innerer Wille die Wiedergeburt erzwang, das sei und bleibe vorbildloses Verdienst unsrer Geschlechter.
Ist es nun möglich und ersprießlich, das Kommende zu beschleunigen; durch Gesetze und Einrichtungen, durch Vorkampf und Werbung, durch Vorbild und Kundgebung das Werdende herbeizuziehen? Vergessen wir nie, daß die Gesinnung es ist, welche die Einrichtung bewegt; in die Gesinnung greift die Weltbewegung ein, sie widerstrebt, aber gehorcht, wie die Feder der Uhr. Ihr folgt das Räderwerk, nicht umgekehrt, und kein vorschnelles Stellen des Zeigers kann das Werk beflügeln. Langsam reift ein Zeitalter, dessen tiefstes Ge- wissen erst heute berührt wird. Nicht die Frühlings- stürme des Krieges, nicht die Strahlen des Friedens dringen in die tiefe Stille des Erdreichs, in der das Korn des Lebens keimt. Geist erzeugt Geist, Ding schafft Dinge. Selbst vom Willen hängt der Geist nicht ab, weder kann der Wille ihn schaffen, noch ihn zerstören. Ist die Zeit gekommen, so werden die Stimmen der Sehnsucht sich mehren, die nach neuer Gerechtigkeit verlangen, und sie werden nicht schweigen, ehe die
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Gewißheit neuer Werte, unantastbarer Wahrheitsgüter aus der Nacht des Zweifels erwacht ist. Diese Güter aber, die der Einsicht unsrer Zeit sich erschließen, sind die Güter der Seele. Die Verkündung ihres Reiches ist geschehen, heute wie vor tausend Jahren; ihr Sinn hat sich nicht geändert, ihre zeitliche Form ist gewandelt. Dieses Reich aber beginnt in der Tiefe des Bewußtseins und wirkt auf die Tiefe des Gewissens, erst dann keimt es auf zur Welt des Tages. Mag der Tageswille des Einzelnen zweifelnd oder vertrauensvoll im Gewebe des sterbenden Dickichts sich diesen oder jenen Weg bahnen, es verschlägt nichts. Der Widerstand toter Massen kann nichts verzögern, der Opferwille am materiellen Gegenstand wird nichts beschleunigen. Mag ein erwachtes Gewissen das seinige opfern, so wird das ein Zeugnis sein, keine bestimmende Tat; denn neues Unrecht wird sich des Opfers bemächtigen. Im Licht des Tages wird erwachendes wirtschaftliches Gewissen sich darin bekunden, daß Besitz nur noch als anvertrautes Gut erscheint, worüber Rechenschaft geschuldet wird, daß an die Stelle besitzender Willkür Verantwortung des Besitzes tritt, daß ein Leben und eine Arbeit weder um des Erwerbes, noch um des Genusses willen geführt werden kann.
Der Sinn dieser Entwicklung also ist, daß der gleiche Staats- und Glaubensgedanke, der das politische und sittliche Handeln des Einzelnen nicht gesondert gelten läßt, sondern Ausgleich, Grenze und Verantwortung dem Leben einer höheren Einheit unterwirft, daß dieser Gedanke sich auch des wirtschaftlichen und geselligen Daseins bemächtigt und die höhere Freiheit an die Stelle der niederen setzt. Die individuelle Freiheit gehört dem inneren Erschauen und Erleben und seinen Schöpfungen,
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den Werken der Transzendenz, des Herzens, der Kunst und des Denkens.
Wenn somit das letzte Gebiet des menschlichen Handelns, das wirtschaftlich soziale Dasein seiner vorstaatlichen Willkür entkleidet und auf die Ebene gemeinsamer Verantwortung, göttlichen Willens, seelischen Aufstiegs gehoben wird, wenn eine neue Sittlichkeit und Bedingtheit auch das materiellste Wollen der Menschheit durchgeistet, so kann nicht einer beliebigen staatlichen Form die Bürde und Verantwortung so gewaltiger Beschränkung und konzentrierender Beherrschung auferlegt werden. Es entsteht die politische Frage des Staatenaufbaues in neuem Sinne; jene Frage, die Jahrhunderte hindurch als höchste irdische Obliegenheit dem theoretischen Denken, der Religion und Philosophie erteilt war, bis sie bei Beginn der mechanistischen und nationalistischen Epoche der geschichtlichen und ethnischen Praxis, dem Gleichgewicht zwischen Überlieferung und zeitlicher Nützlichkeit anheimfiel.
Fordert das zügellose und richtungslose Wesen der menschlichen Bewegung und Gesellung die Verankerung im Transzendenten und Absoluten, die gestaltende Kraft einer neuen Ethik und Sitte, so kann der Staat im Ererbten und notdürftig Zulänglichen nicht beharren. Somit fordert auch unsre Darlegung einen Fortgang, der dem politischen Wege zu widmen ist. Den Weg der Ethik haben wir beschlossen; er ging vom Gesetz der Seele aus und führt zum Gesetz der Verantwortung und zum Leben nicht um des Glückes und der Macht, sondern um der Gerechtigkeit und des Gottes willen.
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III. DER WEG DES WILLENS
Indem wir uns anschicken, den dritten Weg zu beschreiten, den Weg des Willens; des Gemeinschaftswillens, der allem politischen Handeln Grund und Triebkraft ist, fühle ich eines persönlichen Bekenntnisses mich schuldig und will zum erstenmal seit Jahren von eignem Erlebnis sprechen.
Ich schreibe diese Worte am Nachmittag des 31. Juli 1916, und morgen jährt sich zum zweiten Male der europäische Krieg. In tausend Städten werden stolze und wehmutvolle, ernste und zuversichtliche Betrachtungen gelesen und gehört werden, und der leise Beginn der Müdigkeit wird weichen vor der Hoffnung auf Sieg, Macht und Glück.
Über die Baumwipfel vor meinem Fenster blicke ich in die farbige Ferne des Bruchs, bläuliche Wiesen, weißblonde Felder, silberne Hügelstreifen am Himmelsrand. Eine reiche Ernte wird eingebracht, die Nahrung des Jahres gilt als gesichert. Draußen, an den blutenden Grenzen in Ost und West erlahmt abermals, so heißt es, der tolle feindliche Angriff; dies war der letzte, dann kommt die Einsicht und der Friede. Sollen wir viel, sollen wir wenig fordern? Die Parteien kämpfen um das Wie, nicht um das Ob.
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Heute sind es zwei Jahre, daß ich von der Denkweise meines Volkes mich schmerzlich getrennt fühle, so weit sie den Krieg als ein erlösendes Ereignis wertet.
Seit Jahren hatte ich die Volksdämmerung erblickt und in Wort und Schrift verkündet. Ihre Zeichen traten mir entgegen im frechen Wahnsinn der Großstadtstraßen, in der Arroganz des materialisierten Lebens, im Milliardenwahn der Säkularfeier von 1813, im Hohn der geschichtlichen Epigramme von Köpenick und Zabern, vor allem in der tödlichen Indolenz unsres verantwortungsscheuen, von Geschäften umnebelten Großbürgertums. Zum letzten Male habe ich im Jahr vor Kriegsausbruch auf die nahende Wende hingewiesen: Nicht aus politischer Notwendigkeit, sondern aus transzendentem Gesetz müsse das Schwere kommen, denn Preußen habe nie anders als durch Schläge gelernt.
Im Sommerglück der Julisonne jubelte das reiche, lebensfrohe Volk von Berlin dem Kriegsruf entgegen. Lebende und Todgeweihte in hellen Kleidern, heitern Auges, fühlten sich auf dem Gipfel lebendiger Macht und politischen Dasein. Ein Schatten des Hasses zuckte durch das wogende Menschenfeld: es hieß, ein russischer Spion sei auf den Stufen des Doms verhaftet worden; als Postbote verkleidet habe er Wurfgeschosse bei sich geführt. Doch die Augen hellten sich auf, der Schreck versank in der tausendfältigen Spannung der Siegeshoffnung und Kampfessehnsucht.
Den Stolz des Opfers und der Kraft durfte ich teilen; doch dieser Taumel erschien mir als ein Fest des Todes, als die Eingangssymphonie eines Verhängnisses, das ich dunkel und furchtbar, doch niemals jauchzend und um so furchtbarer geahnt hatte.
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Und während der Siegeszug über den Westen brauste, die Türme von Paris sich zeigten, die zweite Siegeskrönung von Versailles erschimmerte, war mein Gedanke: Rettung aus Not, aus starrer Umklammerung, aus tödlicher Friedensfeindschaft. Damals saß ich im preußischen Kriegsministerium, um durch Gedankenarbeit die Wirkung der Meereskettung brechen zu helfen; daß nicht täuschende Erinnerung mir die Sorge jener Zeiten übertreibt, dessen sind Zeuge die Maßnahmen, die sich auf viele Jahre erstreckten und deren Wirkung Berufene bekräftigen.
An ehrenvolle, gottgesandte Rettung glaubte ich und glaube ich noch heute, doch ebensowenig an volles Friedensglück wie in jenen gesteigerten "Tagen unsrer nationalen Geschichte. Und abermals sind nicht politische und militärische Gründe bestimmend, sondern transzendente.
Ich glaube nicht an unser Recht zur endgültigen Weltbestimmung — noch an irgend jemandes Recht dazu —, weil weder wir noch andere es verdient haben. Wir haben keinen Anspruch darauf, das Schicksal der Welt zu bestimmen, weil wir nicht gelernt haben, unser eigenes Schicksal zu bestimmen. Wir haben nicht das Recht, unser Denken und Fühlen den zivilisierten Nationen der Erde aufzuzwingen; denn welche auch ihre Schwächen sein mögen, eines haben wir noch nicht errungen: den Willen zu eigener Verantwortung.
Heiß und zuversichtlich glaube ich an glücklichen Ausgang; darüber hinaus fürchte ich. Denn dieser Krieg ist nicht ein Anfang, sondern ein Ende; was er hinterläßt, sind Trümmer. Und um diese werden sich Alle streiten: Völker, Parteien, Stände, Kirchen, Familien. Trüge nicht jeder Verfall die Keime neuen Lebens, so
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dürften wir nicht mehr atmen. Das neue Leben aber kann kein andres mehr sein als das Erwachen der Seele, denn es ist verkündigt; nur dieser Keim kann knospen, wenn jeder andre zertreten ist. Verschlägt es etwas, daß keiner von uns Lebenden diese Verheißung erlebt? Nein und ja: Wir sind des Künftigen sicher, doch wir sterben als ein Geschlecht des Übergangs, ein heimgesuchtes, zum Düngen bestimmt, der Ernte nicht würdig.
Was haben diese Bekenntnisse mit dem Kommenden zu tun? Sie bedeuten den Abstieg aus dem freien Reich des Gedankens, in dem wir uns bewegten, zur Not des Tages. Die Aufgabe, die Gedankensphären, deren Ziel und Erfüllung an bestimmbare Zeitläufe nicht gebunden war, im Wirklichen zu verankern, ist unentrinnbar; denn sind sie Wahrheit, obschon sie dem Bestehenden zu widersprechen scheinen, so müssen zum mindesten die Fugen im festen Bau der Gegenwart aufgezeigt, die Breschen geschlagen werden, durch die der erste Hauch des neuen Reichs hereindringen soll. Das ist mühsame Erdarbeit, Wühlen im Gegebenen, im örtlich, zeitlich, zufällig Gebundenen; die Geschlossenheit des Gedankens, die Fühlung mit dem Meteorischen geht zeitweis verloren. Hartes Werkzeug wird gefordert; das leichte Klopfen an den Wänden, das der Gebildete liebt, frommt nicht; an manches Liebgewordene gehört die Axt.
Ist der Abstieg vom Lichten ins Gemäuer beklemmend, so hat es fast Unmenschliches zu bedeuten, wenn jetzt dem reinsten Volk, da es aus seinen Wunden blutet, da es zum Heer gewandelt das Unvordenkliche leistet und trägt, wenn Härte jetzt, die Undankbarkeit scheint und Liebe ist, ihm alles Schwere und Unverklärte entgegenhält, das in seinem klaren Wesen
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dunkelt. Noch härter ist es, wenn im Übergange vom schwer gehaltenen Burgfrieden zum Kampf aller gegen alle nicht die Stimme zum Frieden erhoben werden soll, sondern zur Verurteilung von Werken und Werten, die beständig schienen.
Ein Jahr lang hat diese schmerzliche Erwägung die Fortsetzung meiner Niederschrift gehemmt. Ich nehme sie auf, weil die Pflicht mich bestimmt, nicht zu verschweigen, was als Überzeugung mir auferlegt ist, und weil ich glaube, daß im Zwiespalt zwischen Zeiterwägung und absolutem Drange die zeitlose Wahl nicht zum Unrecht führen kann.
Eine Reihe von Vorfragen sind zu erörtern, die zum Teil im Voraufgegangenen gestreift wurden.
1. Tradition und Ideal. Seit hundert Jahren bedient man sich in Deutschland in politischen Dingen unausweichlich der historischen Methode. Es mag daher einmal gestattet sein, mit ihr selbst die historische Methode zu bekämpfen.
Soweit unsre gemeinhin anerkannten Ziele nicht lediglich abgewandelte materielle Interessen sind, entstammen sie nicht der erblichen Arbeit politischer Geister, wie sie in westlichen Ländern durch Parteibesitz, in östlichen durch Dynastenüberlieferung sich objektiviert, sondern der Kathederpraxis des deutschen Gelehrten; denn unsre Parteien sind jung, ohne verantwortliche Erfahrung, durch lebhafte Materialinteressen geblendet, und unsre Krone war bisher, da sie eine bestimmte Regierungsform verteidigte, gezwungen, Partei zu sein.
Der Forscher aber steht nach seiner Wesensanlage im polaren Gegensatz zum Tatmenschen, zum handelnden Politiker und Geschäftsmann. Sein Vehikel ist der Beweis,
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der diametral dem unbeweisbaren Instinkt, der Intuition gegenübersteht. Beim Handeln kommt es nicht sowohl darauf an, ob eine Tatsache wahr sei, sondern welche von zwei oder vielen wahren Tatsachen oder Tatsachenkomplexen schwerer wiege. Forschen heißt suchen, und suchen ist nicht wägen. Freilich wird auch der gewissenhafte Gelehrte Gelegenheit haben, im Kreise seines Berufes die Arbeit des Wägens zu üben, etwa da, wo es sich um dokumentale Glaubwürdigkeiten handelt, doch vollzieht sich diese Übung im Bereich des Herkommens, das Wägen bleibt Hilfsbegriff und wird nicht zum Grundprinzip.
Aber auch dies Prinzip des Wägens ist nicht das letzte; das letzte ist: Ziele in sich fühlen, die nicht vom Suchen und Lernen, sondern von einer bewußt oder unbewußt erschauten Weltauffassung gegeben sind. Unverrückbares Wissen, Gedächtnis und erprobte typische Denkmethoden sind unentbehrliche Arbeitsmittel des Gelehrten; dem Handelnden sind sie gelegentliche Stützen; immer wieder muß sein Tatsachenmaterial geändert, beständig sein Gedächtnis geleert und gefüllt werden, immer wieder müssen die Methoden seines Denkens und Entschließens improvisiert sich erneuern, weil sein Handeln Kampf ist; nur das vorleuchtende Ziel darf seine Richtung bewahren. Wer zum Handeln taugt, der taugt nicht zum Forschen die Zumutung, sich in Abhängigkeit von fremdem Denken und gesammeltem Material zu setzen, wird ihn lähmen; wer zum Forschen taugt, wird in der dauernden Anspannung des unbeweisbaren Entschlusses ein irrationales Element der Verwegenheit erblicken. Das Gebiet des Handelns steht dem künstlerischen Schaffen unendlich näher als der Gelehrsamkeit.
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Wird der Gelehrte politisch, so muß er, was seine Ziele anlangt, die Neigung zeigen, sie aus dem Gegebenen, etwa in der Form der Extrapolierung einer Kurve, entstehen zu lassen. Wäre die Vorsehung seiner Methode gefolgt, so hätte es die großen Beugungs- und Wendepunkte der Weltgeschichte nie gegeben; die jeweilige Richtung hätte sich in milder Asymptotenschwingung dem unerreichbaren Nullpunkt zugesenkt.
Subjektiv stellt die Gelehrtenpolitik sich dar als eine zugestandene Neigung zur Tradition, zur Herleitung aus örtlichen, zeitlichen, physischen und menschlichen Gegebenheiten, als Abneigung gegen alles Unvermittelte und Ideelle, das unter dem Bilde des Dogmatischen und Spekulativen erscheint.
Durch Augentäuschung scheint die Kontinuität des Vergangenen die geschichtlich-gelehrte Auffassung der Politik zu rechtfertigen. Die Täuschung ist eine dreifache: Zunächst wirkt die Patina des Alters. Sie läßt das Ungleichartige scheinbar zusammenwachsen, indem sie mit dem Auswuchs örtlicher, historischer Eigenart auch das Paradoxe überdeckt. Der russische Feldzug Napoleons wird, wenn in 2000 Jahren die Dokumente zerstört sein sollten, vielleicht in seiner Paradoxie als ein Sonnenmythos gelten; uns erscheint er in Kenntnis der Einzelheiten als ein sehr französisches Unternehmen. Sodann: In der Kontinuität selbst liegt eine Täuschung; sie ist nur rückblickend zu erkennen. Wenn jemand die unbekannte Blüte einer neuen Pflanze erwartet, so mag er aus Stamm und Blättern vielerlei Gebilde organisch sich ersinnen: erst der Anblick überzeugt ihn von der einleuchtenden Notwendigkeit der naturgewollten Form und Farbe. Er erblickt a posteriori eine Kontinuität, die ihm eindeutig erscheint,
15 Rathenau, Von kommenden Dingen
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bis er aus gleichartiger Pflanze eine variierte Blüte sich entfalten sieht, die ihm die Mehrdeutigkeit der Funktion offenbart. Und endlich: Der rückgewandte Blick ändert die Voraussetzungen. Tritt das absolut Überraschende ein, so wird es dem Beschauer leicht, aus dem Dunkel des Voraufgegangenen neue Bedingungseigenschaften zu entdecken, die vorher unbeachtet waren und nunmehr die Vergangenheit und ihre Voraussetzungen umschaffen. Das Bild der Gegenwart ist fast so subjektiv wie das der Zukunft, und die scheinbar so objektive Vergangenheit ist veränderlich.
Objektiv gefaßt ist Traditionalismus das Element der Trägheit und als solches gerechtfertigt. Die Einrichtungen und Begebenheiten einer Gemeinschaft müssen nicht über ein gewisses Maß labil sein, sonst ergeben sie das Bild einer Negerrepublik. Freilich genügen gemeinhin die verwachsenden Wurzeln der Interessen, um das Bestehende zu erhalten. Tritt retardierende Auffassung der Tradition hinzu, so erhöht sie das Maß der Zähigkeit; übernimmt sie die Führung, so entsteht Überalterung des Systems. Ist dies in einem Lande wie dem unsern, das ohnehin politischer Initiative und jeglicher Formfindung abneigt, der Fall und erkannt, so bedarf es eines gesteigerten Einschlages von spekulativem Idealismus und intuitiver Schwungkraft, um das Schwergewicht des Bestehenden zu entlasten.
Und hierin löst sich die Antinomie von Tradition und Idee: Das Überlieferte wird stets die Erdkraft besitzen, um das Meteorische sich anzugleichen und so die Kontinuität des Geschehens zu wahren; das Ideelle, und mag es noch so abstrakt und ungewohnt erscheinen, muß das Verknöcherte und Verholzte zu neuen Trieben auflockern.
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2. Der deutsche Freiheitsbegriff, gleichfalls eine Schöpfung der Gelehrsamkeit, besagt, wenn man ihn des metaphysischen Beiwerks entkleidet, etwa das folgende: Zügellos zu sein wünschest du nicht. Zwischen Zügellosigkeit und Freiheit liegt die organische Beschränkung. Du unterliegst keiner andern als dieser organischen, gottgewollten Beschränkung. (Dieser Zwischensatz wird selten bewiesen, vielfach mit dem Hinweis, daß es anderswo auch nicht besser sei, abgetan.) Erkennst du dies an, so bist du innerlich frei; es bleibt dir überdies die transzendentale, die sittliche, ästhetische und religiöse Freiheit,
Es ist unabweisbar, daß mit dieser Gedankenkette sowohl die antike und moderne Sklaverei, wie die Inquisition, der Absolutismus, die Leibeigenschaft, das Schwitzsystem und die Kolonialausschreitungen sich rechtfertigen lassen. Denn es kommt nur auf den Zwischensatz an; die transzendente Freiheit bleibt den Objekten der Fürsorge stets gewahrt. In diesem Zwischensatz aber entscheidet der Begriff des Organischen, und daß dieser Begriff von den Vertretern der Schlußkette ausgedehnt interpretiert wird, geht daraus hervor, daß erbliche Abhängigkeiten von Mensch zu Mensch, von Schicht zu Schicht, von Religion zu Religion, gelegentlich auch von Volk zu Volk als innerhalb des gottgewollten Rahmens erachtet werden.
Ist aber die vermeintlich gottgewollte Bindung in Wahrheit keine organische, so geht sie in willkürlichen Zwang über, der zweifellos unter keinen noch so philosophisch gefaßten Freiheitsbegriff zu ordnen ist, und die Unerträglichkeit des Zwanges wächst mit der Willkür, die weder durch geschichtliches Herkommen, noch durch Autorität gerechtfertigt werden kann.
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Da nun über Kasuistik und Kriterien des deutschen Freiheitsbegriffes abermals derjenige zu entscheiden gewohnt war, der ihn geschaffen hatte, nämlich der Berufsgelehrte, so sind seine bürgerlichen Veranlagungen für die herrschende Auffassung lehrreich. Die bürgerliche Stellung des bestallten Gelehrten wird von keinem andern Kraftfeld bestimmt als von der Schätzung, die er bei seinesgleichen findet. Weder von einem Publikum hängt er ab wie der Berufskünstler, noch von Gesetzgebung und Konjunktur wie der Gewerbetreibende, noch von Parlamenten, Vorgesetzten und Suveränen wie der Staatsmann, noch von einer Arbeitgeberschicht wie der Proletarier. Er lebt, nicht nur geistig, sondern auch bürgerlich in einer Gelehrtenrepublik, in einem Staat im Staate, in den neben der Vorsehung und der Steuergesetzgebung nur gelegentlich der milde Finger eines Kultusministers leise eingreift. Eine breite Autorität nach unten sichert der Ruf des Lehrstuhls, ein gefälliges Verhältnis nach oben kommt durch Formen und Beziehungen zustande und verkörpert sich in unausbleiblichen akademischen, höfischen und staatlichen Würden. Dieses elastisch schwebende Gleichgewicht innerhalb des flüssigen Körpers der Gesellschaft stimmt wunschlos und läßt sich als Inbegriff staatlicher Freiheit deuten. Hier ist wohlverstandene organische Gebundenheit mit geistiger und bürgerlicher Beweglichkeit, Autorität und Herrschaft mit erträglicher Unterordnung vereinigt; das Lob der Gelehrtenlaufbahn ist, die Apologie der deutschen Freiheit.
Angenommen nun — was nicht zu befürchten ist —, der Gelehrte lehne sich künftig als befangen ab, das Schiedsgericht über die Auslegung des Freiheitsbegriffes zu üben: welche Möglichkeit eigenen Urteils bliebe uns erhalten ?
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Zweifellos ist das Kriterium der organischen Gebundenheit kein absolutes, dennoch läßt es sich zwischen Grenzen einschließen. Eine Bindung hört auf, organisch zu sein, wenn sie nicht mehr notwendig ist. Sie ist nicht mehr notwendig, wenn glaubhaft gemacht werden kann, daß das Ziel auch mit minder beschränkten Mitteln erreicht werden kann. Das Ziel aber ist das durch die entscheidende Weltanschauung gebotene; und diejenige Weltanschauung entscheidet, die unabhängig von Interessen und persönlichen Wünschen aus tiefer Überzeugung in den Herzen der Menschen Wurzel faßt.
Damit wäre nicht viel gewonnen, weil nun das Rätsel der Freiheit durch das Rätsel der Weltanschauung ersetzt sei? Damit ist manches gewonnen. Denn nunmehr geht das Richteramt über das, was Freiheit ist und was Bedrückung, vom Historiker, Juristen und Verwaltungsmann über auf den praktischen Staatsmann, der entscheidet, ob die Ketten unentbehrlich sind, und der sein Licht nimmt von dem, der Weltanschauung schafft und empfängt. Damit hat jede Einzelbindung aufgehört, an sich gottgewollter Selbstzweck zu sein, und keine ist unantastbar. Das Problem der Freiheit wird von neuem lebendig, es wird zum Problem der Entwicklung und der höchsten Fragen; der Fordernde kann nicht mehr mit überlegenem Sittlichkeitsbewußtsein von der Schwelle gewiesen werden; die Beweiskraft der Weltanschauung und Praxis lastet auf dem Bevorrechteten und Bevorzugten. Weltanschauung ist aber nicht jeder beliebige Komplex übersetzter Interessen, sondern nur derjenige harmonische und geschlossene Glaube, der in der Tiefe des Menschlichen und Göttlichen wurzelt. Wer ihn ablehnt, indem er an das Schwert seiner Macht schlägt, der verteidigt Gewaltrecht und stellt sich
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außerhalb der Kämpfe des Geistes auf den Streitplatz der Interessen; er kann Mitinteressenten werben, aber er begibt sich des Rechtes, menschlich zu überzeugen.
Von allen politischen Auffassungen gibt es heute nur eine, die sich auf eine Weltanschauung stützt, nämlich die konservative, soweit sie sich auf das Christentum, und zwar nicht im Sinne einer Konfession, sondern des absoluten Glaubens gründet. Daher die schöne Einheit ihres Empfindungskreises und die charakterformende Stärke ihrer Überzeugungen. Um jedoch die bestehenden Bindungen zu rechtfertigen muß auch sie über den Kreis der evangelischen Wahrheiten, selbst der christlich-mittelalterlichen Gefühlsinhalte, weit hinausgreifen und auf das Gebiet der Interessen übertreten.
Im Gegensatz zur überkommenen Denkform bemüht sich diese Schrift, alle ihre Forderungen, die deshalb über den Bezirk der praktischen Politik zum Teil transzendieren und somit eine Transzendentalpolitik bilden, aus der Geschlossenheit einer Weltanschauung abzuleiten, die sich auf das Wesen und Werden der Seele gründet. Mit einer Ausnahme: Die pragmatischen Aufgaben dieses letzten Teiles erfordern eine empirische Voraussetzung, um tiefer in das Wesen der bestehenden Dinge und Einrichtungen zu dringen. Diese Voraussetzung ist der transzendental nicht unbedingt beweisbare Satz vom Machtanspruch des Staates, der den Gegenstand der dritten Vorfrage bilden soll.
3. Bedarf ein innerlich wachsender Großstaat wachsender äußerer Macht? So selbstverständlich die Bejahung im interessenpolitischen Sinn erscheint, im menschlichen Sinne kann sie zweifelhaft sein. Niemandem fällt es ein, den Bürger der Eidgenossenschaft oder der Niederlande zu verachten, weil sein Staat keine Großmacht ist,
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keine Botschafter unterhält und zu Kongressen nicht ständig zugezogen wird. Je länger der nationalistische Zerfall Europas vorschreitet, desto häufiger werden die Fälle sich wiederholen, wo mittlere, kleine, selbst unansehnliche Staaten von Großmächten emsiger umworben werden als die schwer zu bewegenden Imperialstaaten, weil im Gleichgewicht der Konflikte der Zutritt der kleinsten Belastung den Ausschlag geben kann. Balkanisiert sich weiterhin Europa noch einige Menschenalter, so muß eine derartige Beweglichkeit der lockeren und festen Staatenbünde eintreten, daß mit Ausnahme weniger restlicher Nationalstaaten jede Nationalität eine Art von Recheneinheit bildet, die sich in wechselnden Verbindungen fraktionsartig summiert und nur in der Summierung nach Maßgabe der geographischen und physischen Gesamtstärke Macht übt.
Unzutreffend ist auch die abstrakte Erwägung, es sei in der geistigen Ökonomie der Welt irgendeine Kulturform so unentbehrlich, daß sie zum Heil der übrigen mit wachsender Macht umhergetragen und eingeimpft werden müsse. Es gibt eine extensive Macht der Zivilisation, weil diese auf Einheitlichkeit der Lebensführung beruht; es gibt keine extensive Macht der Kultur, denn sie besteht in der Eigenartigkeit und Einmaligkeit des Geistigen. Die stärkste und unsterblichste der Kulturen, die wir kennen, die hellenische, wurde in ihrer Höhezeit von einer kleineren Zahl freier Menschen getragen, als heute in einer mittleren deutschen Provinzstadt zusammen wohnen; diese Kultur ist nach ihrem irdischen Tode Beherrscherin ihrer Besieger und ohne Propaganda über Europa hinaus bis nach China, Amerika und Australien mächtig geworden. Die ethische Kultur Palästinas umspannte die Welt nach dem politischen Erlöschen ihres
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Landes, solange sie konfessionell nicht gebunden war, und findet erst heute ihre Gegenkräfte in unerstarrten Glaubensformen. Fast hat es den Anschein, als leuchte das Kulturphänomen wie ein Abendrot über den Erdenhimmel erst dann, wenn das spendende Gestirn sich gesenkt hat. Sicherlich aber geht der Welt von diesem Phänomen nichts verloren; ist die Blüte der Nation, die mit ihrem politischen Höhepunkt selten zusammentrifft, vorüber, so kann sie, sofern ihr Blut sich nicht gänzlich erneuert, nur noch sich selbst parodistisch wiederholen; doch das Geschaffene geht über in das Bewußtsein des planetaren Geistes, gleichviel ob Pergamente, Erze und Steine vernichtet werden.
Unwiderleglich bleibt jedoch der Trieb des Lebens. Jedes Geschöpf lebt so lange, bis es sterben will. Der kollektive Geist der Nation aber, wie jeder andre Geist, drückt seinen Lebenswillen sichtbar aus durch Wachstum und Mehrung. Wachstum bedeutet Willen zur Vernichtung des andern, denn das Leben lebt vom Tode, und erst die keimende Seele wendet das Urgesetz durch Liebe. Hochkonstituierte Sammelgeister, wie die der Nationen, sind jugendlich, um Jahrhunderttausende jünger und primitiver als die scheinbaren Einzelgeister der menschlichen Individuen, und wenn es auch dereinst gelingt, die Mordlust ihres Lebenswillens zu bändigen, so wird friedlicher oder gewaltsamer Kampf um Lebenselemente hier wie in aller organischen Natur den gesetzlichen Beweis des Daseinswillens und des Daseinsrechtes erbringen.
Billigen wir den Lebenswillen und seinen kämpferischen Ausdruck der Selbstverteidigung, so nötigt uns die säkulare Gestaltung des Völkerlebens, deren Ablauf auf Jahrhunderte wir nicht abzusehen vermögen, auch
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ein werbendes Recht der Nationen auf Machtzuwachs anzuerkennen.
Die zeitliche Gestaltung des Machtwillens haben wir nunmehr zu kennzeichnen; ihre Bezeichnung durch die beiden Tendenzen des Nationalismus und Imperialismus mag beibehalten werden, obwohl sie nichts andres bedeuten als einen zweifachen Anblick der Mechanisierung des staatspolitischen Lebens.
Gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts vollzog sich in Europa der Abschluß einer tausendjährigen Bewegung: die Verschmelzung der doppelschichtigen Bevölkerungen der historischen Nationen. Bis dahin war alle Geschichte ausschließlich Geschichte der Oberschicht gewesen; das Erleben der Unterschicht blieb unhistorisch wie das Erleben des Orients. Deshalb wissen wir fast nichts von der Art und Herkunft dieser Unteren und Unfreien, die bei Beginn der geschichtlichen Epoche vielleicht nicht zahlreich waren, die aber sich geschwinder vermehrten als ihre Herren und überdies alle Elemente aufnahmen, die aus der Oberschicht proletarisch absanken, Auch von ihrem Leben, Denken und Fühlen wissen wir wenig, und das wenige ist meist negativ. Sie hatten kein Nationalbewußtsein und keinen politischen Willen. Staatsrechtlich mehr oder minder geschützt oder entrechtet, waren sie Eigentum; ob der gnädige Herr ein Italiener, ein Franzose, ein Pole oder Schwede war; ob ein eingeborener, ein fremder Landesherr oder Kirchenfürst. hoch darüber schwebte, galt ihnen gleich. Wenn heute ein romantisch konservatives Empfinden uns dies Verhältnis zum Patriarchentum verklärt, so sollen wir nicht vergessen, daß bei mancher an Tierschutz erinnernden Fürsorge diese Menschen als Ware verkäuflich waren und daß sie ihren Eignern ohne
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übelwollenden Beigeschmack zeitweilig schlechtweg Kanaille hießen.
Überwiegend sind es die Nachkommen dieser Unterschicht, die heute den Körper und die Kraft Europas bilden. Sie haben den Firnis aufgezehrt, den die germanischen Oberschichten den europäischen Ländern auferlegt hatten, sie haben die Völker entgermanisiert und den neuen Gemeinschaftscharakter der kontinentalen Bevölkerungen in Aussehen, Bildung und Lebensform geschaffen. Sie haben die neuen dem Germanentum fremden und widerstrebenden Denkformen des mechanisierten Zeitalters emporgetragen, sie haben neue Sprachen, Künste, Gewerbe und Lebensauffassungen erfunden, die aus den Wurzeln alter unterschichtiger Klugheit, disziplinierten Gehorsams und individualitätsloser Betriebsamkeit gesogen sind. Vielfach hat ein qualitativ sicheres, kausal irrendes populäres Empfinden die Juden für die gewaltigsten Geistesumwälzungen der Zeiten verantwortlich gemacht, weil man erkannte, daß ihr Denken mit dem der mechanisierten Epoche seltsam übereinstimmt. Es hieße die Juden zu den geistigen Herren der Welt machen und die europäischen Völker rücksichtslos unterschätzen, wollte man den wenigen Hunderttausenden, und noch dazu für Länder, in denen sie nicht wohnen, und für Zeiten, in denen sie kein bürgerliches Leben führten, Verdienst und Schuld der Mechanisierung zuweisen. Diese Weltbewegung konnte nur entstehen, indem die westliche Welt ihr Antlitz änderte, sie mußte es ändern, weil eine gewaltig angeschwellte Menschenflut die dünn gewordene aristokratisch-germanische Haut durchbrach und weil zum erstenmal seit den Völkerwanderungen eine neue Bevölkerung den Westen überdeckte.
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Die große französische Revolution wird von unsrer Geschichtschreibung, eingedenk ihrer staatsgelehrten Blütezeit, vorwiegend mit den Augen der Restauration betrachtet; sie gilt nicht als ein Grundphänomen der Bevölkerungsgeschichte, sondern als ein geschichtlicher Zwischenfall verdächtiger Art, durch Mißstand und Mißwachs verursacht, von einem Großstadtpöbel angerichtet; als ein peinliches Übel, das eine Reihe überraschender, dogmatisch-rationalistischer Experimente zeitigte und den wohlgesinnten Völkern unabsehbare Unbequemlichkeiten brachte. Dieser im Sinne der Abschreckung verdienstlichen Betrachtung gegenübergestellt bleibt die Auffassung, daß jener Umsturz die explosive Erscheinung bedeutet die in Frankreich die Umschichtung vollendete und die mit ungewollt angesteckten Detonationen auch in den Nachbarländern das neue Gleichgewicht, wenn auch mittelbar, erzwang.
Daß Deutschland die Wirkung mittelbar erlebte, daß bei uns die Revolution latent blieb und sich stückweis in Putschen und Kongressen, in Parteikämpfen und Bürgerkriegen auswirkte, trägt zur Farbigkeit des deutschen Bildes bei, begründet aber unsern Mangel an politischem Verantwortungsgefühl, der, wie wir später sehen werden, eine der tieferen Ursachen des gegenwärtigen Krieges bildet. Immerhin: Die Umschichtung wurde auch uns nicht erspart, und auf ihr ruht, was uns hier beschäftigt, das Phänomen des Nationalismus.
Die überwiegend germanische Oberschicht Europas hatte eine verwandtschaftliche Internationalität gezeigt von der Art etwa, wie die heutigen Dynastien und höchsten Adelsgeschlechter über alle Grenzscheiden und Glaubensgegensätze hinweg gleichsam eine kosmopolitische
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Familie bilden, die nur Eine grundsätzliche, durch Hausgesetze verbürgte Scheidung kennt: den unteren Ständen gegenüber; und die nur gelegentlich, soweit sie durch Erbgang, Heirat oder politischen Anfall Besitz und Herrschaft übernimmt, die Konvention nationaler und konfessioneller Eigentümlichkeiten sich aneignet. Diese Freizügigkeit der Oberen stieß nicht auf nationale Kulturgegensätze. Wohin sie sich wendete, traf sie die gleiche Glaubensherrschaft der Kirche, die gleichen ritterlichen Gebräuche, die gleiche Sprache der Gebildeten, den gleichen Inhalt der Bildung und Kultur. Der Begriff der Nationalität wurde nur undeutlich, etwa im Sinne einer Sprachabgrenzung, empfunden. Erst die beginnende Umschichtung schuf das städtische Bürgertum und mit ihm die nationalen Spaltungen, die sich schließlich selbst auf den Glauben erstreckten.
Der vollendete Übergang der Volkskraft auf die Unterschichten fand diese Spaltungen vollendet und bemächtigte sich ihrer zum Ausbau des nationalen Empfindens. Der Niedergeborene hat nur Eine Heimat, Eine Sprache, Einen Glauben, Eine Überlieferung, die seiner Väter. Das Fremde ist ihm unverständlich und verhaßt; das eigene Haus schließt er ab, der Nachbarort ist ihm ein Spott, der Nachbarstamm verdächtig, das fremdsprachige Nachbarvolk ein geborener Feind. Die Schalen des Hasses umhüllen wie die Schalen der Liebe; nur der Überblickende vermag Kontraste aufzulösen und Gemeinsamkeiten zu achten; ein Nationalgefühl, das ein ganzes Land umfaßt, setzt entweder große Gleichförmigkeit der physischen und geistigen Artung voraus, oder die beginnende Hebung des Blicks; uns Deutschen erwächst erst jetzt das volle und reine Nationalgefühl.
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Der politische Nationalismus bedarf nicht sowohl dieses Gefühls als der gewußten oder vorgestellten Erfahrung des feindlichen Gegensatzes, der weit über die Grenze des Kontrollierbaren hinaus bei jeder politischen Verwicklung und vor jedem Feldzuge bewußt und mit einfachen Mitteln entfacht werden kann. Es ist uns schwer begreiflich, daß die älteren Kriege selten nationale Erbitterungen, häufig nicht einmal entfremdende Erinnerungen hinterließen, außer etwa im Hinblick auf neue und ungewohnte Greueltaten; es kommt uns freilich auch kaum zu Bewußtsein, daß die deutschen Kriege der letzten drei Jahrhunderte fast durchweg Bürgerkriege waren. Krieg wurde geführt, wenn der Herr es wollte und der Komet erschien; ins Feld zogen Berufene; wer die Saaten zerstampfte und Dächer zündete, Landsmann, Freund oder Feind, war Zufallssache.
Die große Schule des Nationalismus brachten die Napoleonischen Kriege. Der Gegner war ein greifbarer dämonischer Franzose, sein Volk hatte unbarmherzig gehaust, die Söldnerheere Europas reichten zur Abwehr seines Volksheeres nicht aus; die Fürsten mußten zu ihren Völkern herniedersteigen und Waffenbrüderschaft mit ihnen schließen, den Stachel der unbewußten Erkenntnis im Herzen, daß sie damit die Umschichtung des Kontinents vollendeten, oder, wie sie es nannten, der Revolution dienten. Doch in Frankreich selbst, das fast ein Menschenalter lang die Schale der nationalen Begeisterung gekostet hatte, war der eigentliche Nationalismus so wenig erwacht, so undifferenziert, daß man den Zaren als Befreier bejubelte und daß keine Spur von Haß gegen die Eroberer von Paris zurückblieb.
Die Völker waren die Träger wo nicht ihrer Schicksale, so doch ihrer politischen Vorstellungswelt geworden;
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wo Ehrgeiz und Bestimmungswille herrschte, verlangten sie Verantwortung, sonst zum mindesten Loslösung von Fremdherrschaft, daneben Einheit. In Deutschland wurde das Einheitsstreben nur von einem Teil der Gebildeten getragen; es konnte daher nicht vom Volke verwirklicht werden, sondern vom diktatorischen Sieger im Bürgerkriege und Eroberungsfeldzug.
So ist das 19. Jahrhundert zur Epoche der großen nationalen Absonderungen und Zusammenschlüsse geworden; das Osmanische Reich zollte dieser Bewegung seine europäische und afrikanische Existenz, und dieser gewaltige Auflösungsprozeß bildete das zentrale Ereignis der westlichen Politik, von dem mit Ausnahme der deutsch-französischen Abrechnungskonflikte alle europäischen Krisen ausstrahlten. Unberührt blieben bisher die beiden Sammelgebilde Österreich und Rußland, die beide wechselseitig ihre Spaltungsprozesse fördern, und zwar gegenwärtig mit Gewalt.
Die höchstmögliche Steigerung wurde dem nationalistischen Gedanken durch die weltwirtschaftlichen Folgen des Umschichtungsprozesses zuteil.
Die Bevölkerungszunahme, der wachsende Wohlstand, der steigende Bedarf an Dingen, die nicht unmittelbar der notwendigsten Lebenshaltung dienen, läßt die landwirtschaftliche Grundlage der zivilisierten und dichtbewohnten Staaten unzulänglich werden. Mechanisierte Produkte werden gefordert, und um sie zu erzeugen werden Grundstoffe jeder möglichen mineralischen und organischen Konstitution benötigt. Kein europäisches Land genügt sich selbst durch Bodenfülle und klimatische Reichhaltigkeit, um diese Mittel sämtlich aus seinen Flanken hervorzubringen; sie müssen gekauft und bezahlt werden. Für die Tauschzahlung werden zunächst
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die eigenen Überschußprodukte herangezogen; doch bleibt noch immer für die Länder des europäischen Kontinents ein gewaltiger Restbedarf zu decken und zu bezahlen. Wie bezahlt man ihn? Es gibt nur ein einziges Mittel: die Lohnarbeit. Man kauft mehr Rohstoff, als man für den eigenen Bedarf nötig hat, veredelt ihn und führt das fertige Produkt aus, um durch den Wertunterschied den eigenen Verbrauch zu entgelten. Man wird zum Lohnarbeiter der Welt, das Land wird zur Lohnwerkstatt. Und da jeder in der Lage ist, sich um einen Anteil an der Gesamtarbeit zu bemühen, so entsteht ein Wettbewerb Aller auf dem Weltmarkt der Arbeit; dieser Wettbewerb spielt sich ab in den Formen des Kampfes um Ausfuhr.
Denn Ausfuhr ist, gemeinwirtschaftlich betrachtet, nicht bloßer Ausdruck der Erwerbslust der Industriellen, sie ist auch nicht der übermütige Drang strotzender Gewerbe; sie ist Verkauf einheimischer Arbeitsleistung zur Abdeckung der Warenschulden, die Jedermann macht. Denn Jedermann kleidet sich in fremde Wolle und Baumwolle, verzehrt fremde Nahrungsmittel, gebraucht Maschinen aus fremdem Metall oder Erzeugnisse dieser Maschinen aus fremden Substanzen.
Die angelsächsischen Länder allein stehen diesem Wettkampf um den Lohnmarkt oder Absatzmarkt der Welt leidenschaftsloser gegenüber; die Amerikaner, weil ihr kontinentales Riesenreich der einzige geschlossene, nahezu selbstgenügende Bezirk der Erde ist, die Engländer, weil ihre Vorfahren in einer der Entwicklung unbegreiflich vorauseilenden Erkenntnis ein Kolonialgebiet erschlossen, das liefert, was man verlangt, und empfängt, was man ihm bietet, während zugleich die Vormundschaft des europäischen Handels an Gewinnen
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das erübrigte, was, als werbende Investition fremden Ländern anvertraut, jährliche Warentribute in geforderter Höhe eintrug.
Mochten die übrigen Staaten bis auf den heutigen Tag den eigentlichen Zusammenhang ihres erbitterten Wettbewerbes um den Arbeitsmarkt nur unbewußt empfinden: — kollektives Handeln folgt gemeinhin dunklen Instinkten und wird der logischen Begründung erst rückblickend sich bewußt — ihr Vorgehen entsprach folgerichtig den Bedürfnissen der neuen Not.
Warum soll der Andre sich bereichern an der Arbeit, die er uns abnimmt? Mag er sein Unentbehrliches von uns beziehen, er soll es uns teuer bezahlen; und wir wollen ihm das Zahlungsmittel entwerten, indem wir ihm die Tauschzahlung erschweren. Man nannte es Schutz der nationalen Arbeit, denn tatsächlich haben die Systeme des Schutzzolls die Kraft, erwachsende Wirtschaften zu stärken und einheimische Lebensbedingungen zu heben. Eine Übertragung des Nationalgefühls auf wirtschaftliche Interessenfragen war die Empfindungsform, in der die Logik des Erwerbskampfes unbewußt sich auswirkte.
Nicht genug; denn es blieb noch die eigene Bedürftigkeit an fremden Urprodukten, die immer wieder (den notgedrungenen Käufer zum Bittsteller bei seinem Gläubiger machte. Hier konnte nur die englische Formel frommen, da die amerikanische unerreichbar blieb: Der Kolonialstaat, der vom fremden Bezuge unabhängig machte, die Flotte, die ihn erwarb und beschützte, die Landwege, Häfen und Stützpunkte, die den Halt des Weltreiches stützten.
Zwei neue Begriffe waren durch das Übergreifen der mechanistischen Lebens- und Denkform auf die Staatswirtschaft
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geschaffen: Der wirtschaftliche Nationalismus als feindlich wirkende Arbeitskonkurrenz auf dem beschränkten Markt der Erde, mit der begleitenden Erscheinung der Umstellung eines wesentlichen Teils der äußeren Staatspolitik auf wirtschaftliche Ziele; sodann der Imperialismus, das nie zu stillende Bedürfnis der Machtausdehnung auf jedes erschließbare Gebiet, weil jedes zum Baustein, zum mindesten zum Tauschwert für die Errichtung des ideellen Baues selbstgenügender Universalität werden konnte.
Das alte Idealgebäude der klassischen Wirtschaftslehre war niedergerissen. Daß ein jeder zugunsten der Weltökonomie das erzeugen und zur Gesamtwirtschaft beisteuern sollte, was er bevorzugt gut und billig leisten konnte, daß ein freier Ausgleich der Güter, ein reibungsloser Fluß den Mindestaufwand zur Höchstleistung befähigen sollte, war als dogmatische Forderung erledigt. Was machte es aus, wenn man ein Produkt teurer bezahlte, sofern es von einheimischen Kräften und Menschen erzeugt war? Das Land der höchsten wirtschaftlichen Stärke mußte Sieger bleiben; es konnte über die Materialquellen der Welt verfügen und seinen Restbedarf nach Gutdünken bezahlen. Konnte der Lieferant nicht billig genug herstellen, um mit Gewinn zu verkaufen, so verkaufte er im Zwang mit Schaden; um so schlimmer für ihn, wenn er tributpflichtig wurde, um so besser für den selbstherrlichen Empfänger.
Nationalismus und Imperialismus sind Zeittendenzen. Aber sie beherrschen das politische Denken, mehr noch das Empfinden der Epoche vollkommen, sie haben als inneres Moment den gegenwärtigen Krieg vorbereitet und heraufgeführt, sie haben als Rüstungsgedanken die Staaten in Spannung gehalten, als Konkurrenzgedanken
16 Rathenau, Von kommenden Dingen
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jeden herrschenden Gegensatz zwischen Ebenbürtigen vertieft, und sie werden nach dem Kriege erst zu ihrem Höhepunkt aufsteigen.
Wir haben, obwohl wir uns im Rahmen einer Zwischenfrage bewegen, der Entstehung und dem Wesen dieser Tendenzen mehr Zeit gewidmet, als der rasche Schritt dieser Schrift zu gestatten schien, weil wir der entwickelten Begriffe auch für die Folge bedürfen. Im gegenwärtigen Zusammenhang sollen sie uns nochmals bekräftigen, daß unter der vorläufig unabsehbaren Herrschaft der beiden Prinzipien und im Sinne einer Politik, die auf Realität Anspruch macht, der Satz vom Machtbedarf der Staaten bejaht werden muß.
Hiermit sind die gestellten Vorfragen erledigt, und wir wenden uns der kurzen und allgemeinen Erörterung zu, die dem geschilderten gesellschaftlichen Aufbau die politische Hülle schaffen soll.
Jede der Forderungen, die wir aus sittlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erwägungen erhoben haben, stärkt die Macht und Fülle des Staates. Er wird zum bewegenden Mittelpunkt alles wirtschaftlichen Lebens; was die Gesellschaft treibt und schafft, geschieht durch ihn und um seinetwillen; er verfügt über Kräfte und Mittel seiner Glieder mit größerer Freiheit als die alten Territorialherrschaften; der größere Teil des Wirtschaftsüberschusses fließt ihm zu; in ihm verkörpert sich der Wohlstand des Landes. Die wirtschaftlich-gesellschaftliche Schichtung ist aufgehoben, folglich übernimmt er die ganze Machtfülle der jetzt herrschenden Klassen, die geistigen Kräfte, über die er verfügt, mehren sich, die Torheit der Produktion, die Unverantwortlichkeit des Verbrauches sind in neue
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Bahnen gelenkt und werden der Erhaltungskraft, soweit nötig der Verteidigungskraft, dienstbar.
Dieser zum sichtbar gewordenen Volkswillen erhobene Staat kann kein Klassenstaat sein. Herrschen in ihm weiterhin ständische Schichtungen oder wie immer geartete erbliche Mächte mit alleiniger Ausnahme der monarchischen, so ist die Unfreiheit, unter der wir leiden, zur Unerträglichkeit und zur Vernichtung des innersten Gedankens wie der äußeren Existenz gereift. Es erhebt sich die Forderung des Volksstaates.
Der Volksstaat setzt voraus, daß jede Bevölkerungsgruppe in ihm zur Geltung komme, daß jede berechtigte Eigenart des Volkes sich in seinen Organisationen spiegle, daß jeder verfügbare Geist der ihm adäquaten Aufgabe dienstbar gemacht werde. Wie in einem gesunden Hausstand sollen Arbeit, Autorität, Beziehung und Verantwortung, Stimmung, Aufwand, Gemeingefühl und Vertrauen in harmonischer Teilung und Vereinigung wirken; nicht wie in einer Fabrik, wo die Schicht der Besitzer die Erträge bezieht, die Schicht der Beamten die Verwaltung leistet, die Schicht der Arbeiter im Tagelohn dient; nicht wie in einer Kolonie, wo unter dem Schutz der Waffen die Gruppe der Freien auf der Masse der Heloten ruht.
Daß der Volksstaat nicht mit Volksregierung, nicht einmal mit dem sehr theoretischen Begriff der Volkssuveränität gleichbedeutend ist, sollte in unsrer Zeit, die mit Organisationen im großen wie im kleinsten vertraut ist, nicht ausgesprochen werden müssen. Wem würde es einfallen, auch nur in einem Verein oder einer Aktiengesellschaft die Geschäfts- und Verwaltungssorge der Hauptversammlung aufzubürden? Kollektiveinheiten sind Geisteselemente von langsamer Bewegung
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und im Einzelfall primitivem Urteil, das erst auf lange Zeitspannen ausgedehnt sich zu sicherer Auffassung ausgleicht; Verwaltungen und Geschäfte bringen verwickelte Aufgaben, verlangen tiefes Eindringen und raschen Entschluß; sie können nur von Einzelnen gelöst werden.
Bestimmung des kollektiven Geistes ist es, in anfänglich roher, ständig sich verfeinernder Auslese die Kräfte auszusondern und zu vereinigen, die sein höchstes Denken und Wollen verkörpern. Daß nicht der mechanische Wahlakt ausschließlich oder zum wesentlichen die Form der Aussonderung darstellen soll, mag erwähnt werden. In vollem Gegensatz zum organischen Vorgang, der im Aufbau jedes empfindenden Geschöpfes sich abspielt, steht jedoch die Wechselwirkung entfremdeter Elemente, die im dauernden Gegensatz von Leitung und Leistung sich beiderseits erschöpfen und wechselseitig zerreiben.
Die täppische Frage, ob denn anderswo der Gedanke des Volksstaats verwirklicht sei, darf abgelehnt werden, wie überhaupt jede grundsätzliche Erörterung der Frage, ob alles in allem es bei diesem und jenem Volke besser oder schlechter bestellt sei. Jedes Volk schafft sich seine Gegenwart und sein Ideal und ist für beides verantwortlich. Das Ideal des einen durch die Gegenwart und Wirklichkeit des andern zu verkümmern und zu töten ist niederster Tagesstandpunkt und führt zum Abstieg dessen, der seine Forderung nicht an der Idee, sondern an der äußerlich und oberflächlich erfaßten fremden Wirklichkeit mißt.
Nicht Einrichtungen, nicht Verfassungsparagraphen und Gesetze schaffen den Volksstaat, sondern Geist und Wille. Ist die Gesinnung gewonnen, so folgen die Einrichtungen, soweit es ihrer überhaupt bedarf, gefügig nach. Es gibt altertümliche, formal erstorbene Gesetzesschalen,
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die mit freiem Lebensinhalt erfüllt sind; es gibt neuzeitliche, elastische Verfassungen, die durch eigenen Willen zur Unfreiheit erstarren.
Es bedürfte bei uns nicht der Änderung eines geschriebenen Wortes, um die Herrschaft des Feudalismus, des Kapitalismus und des Bürokratismus zu brechen; es bedürfte nur des Willens. Aber eines Willens, der aus der Tiefe der Volksseele stiege, von der Kraft der Nation getragen und von der Erkenntnis dessen, was hemmt und was niederzukämpfen ist, geleitet. Weshalb der Wille bisher gefehlt hat, soll in der Sonderprüfung deutscher Verhältnisse weiterhin dargetan werden; was hemmt und erstickt, soll vorgreifend schon hier genannt sein: Es sind nicht Menschen und Dinge, bewußter Wille und aufzählbare Einrichtungen, sondern das, was zwischen Menschen und Dingen schwebt, scheinbar nicht zu fassen und doch mit jedem Atemzug empfunden, die geistige Atmosphäre.
Das klingt verschwommen und nebelhaft, und dennoch wird es uns gelingen, dies luftige Wesen zu fassen, zu pressen und zu filtern, bis es uns seine ungesunden Bestandteile preisgibt; freilich wird es uns nicht verdrießen dürfen, bis in die Trivialität alltäglicher Vorkommnisse hinabzusteigen. Für jetzt sei erläutert: Dies atmosphärische Element bedeutet den Inbegriff von Überlieferungen, praktischen Gepflogenheiten, erblichen Anschauungen, Selbstschutz der Klassen, kooptierender Auswahl, Gesetzesbeugung, Familienbeziehungen, Reichtumsvorrechten, Begehrlichkeiten, Anmaßungen und Unterwürfigkeiten. Diese Dinge haben, mit Ausnahme unbedeutender Reste, mit gesetzlichen und verfassungsmäßigen Bestimmungen nichts zu tun; sie sind Erscheinungen des Charakters und Herkommens, die den
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meisten aus Mangel an Vergleichen und Gegenbeispielen unwahrnehmbar bleiben und schon deshalb den atmosphärischen Vergleich rechtfertigen, weil auch die geatmete Luft uns als ein gewohntes, nicht kritisierbares Element erscheint, bis ein Luftwechsel unsre Nasen und Lungen emfindlicher gemacht hat.
Wir fragen uns unermüdlich, warum ausgewanderte Deutsche nicht heimkehren, da doch ihr Heimatsgefühl wärmer und lebendiger ist als bei andern Nationalitäten, die dennoch sich schwerer bestimmen lassen, in der Fremde zu sterben. Wir begegnen diesen Ausgewanderten im Auslande: Ihre Vergleichsfähigkeit ist erwacht, und wir sind erstaunt darüber, daß sie mehr an der neuen Heimat auszusetzen haben als vormals an der alten. „Warum also kehrt ihr nicht zurück ?“ — Sie schütteln den Kopf. „Nein. Niemals. In diese Verhältnisse können wir uns nicht mehr finden.“ Mehr ist aus ihnen nicht herauszubringen. Sie wissen nicht mehr; denn die Atmosphäre zu analysieren, die ihnen nun fühlbar geworden ist, sind sie nicht fähig. Iren, Russen und Deutsche bereichern den Boden der Vereinigten Staaten. Daß Millionen unsrer Brüder, uns verloren, die beste Stärke dieses entfremdeten Staates bilden, spricht für die Realität unsrer geistigen Atmosphäre.
Studieren wir die Gesetze der Freimaurer oder der Jesuiten, so werden wir aus geschriebenen Worten manchen Anhalt über Wesen und Ziele der Orden gewinnen; ihr innerstes Sein und Wirken wird sich nur dem erschließen, der dem ererbten und erworbenen lebendigen Geist der Institutionen nachspürt. Die Satzungen unsrer Wirtschaftsunternehmungen sind mit Ausnahme der kargen Zweckbestimmungen im zweiten oder dritten
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Paragraphen fast wörtlich die gleichen, und doch wie verschiedenartig sind Lebensinhalt, Überlieferungen und Gepflogenheiten, sind Geist und Wille, der die verschiedenen Organisationen erfüllt. Es ist ein beklagenswerter Mangel unsrer politischen Betrachtungen, daß sie, abgesehen von allgemeinen Kennzeichnungen einzelner Stände, den Einrichtungen mehr Beachtung und Kritik zuwenden als dem Geist, der sie belebt. Uns soll es angelegen sein, bei unsrer Kennzeichnung des Volksstaates zu gedenken, daß nicht Gesetze hauptsächlich ihn schaffen, sondern freier, guter Wille, der nicht gehemmt sein darf durch gespenstische Reste alter und fremder Ordnungen, der gerichtet sein muß auf Unvoreingenommenheit, Gerechtigkeit, Sachlichkeit und Vertrauen.
Nicht aus bloßer Abneigung gegen Wahlumtriebe und Streberei, gegen Advokaten- und Publizistenmache bin ich Anhänger des monarchischen Gedankens, sondern aus angeborener Empfindung und der Überzeugung, daß an der Spitze staatlicher Macht ein tief verantwortlicher Mensch stehen soll, allen Wünschen, Strebungen und Versuchungen des gemeinen Lebens enthoben und entrückt; ein Geweihter, nicht der Arrivierte einer glücklichen Karriere. Die Tiefe dieser Überzeugung rechtfertigt es, die Konflikte anzudeuten, die zwischen Monarchismus und Volksstaat möglich sind.
Im Schoße der internationalen Familie, die von den europäischen Dynastien gebildet wird, hat es von jeher Anschauungen gegeben, die etwa den Standesbegriffen mancher größerer Rittergutsbesitzer nahestehen ;eine Neigung, die ererbten, erheirateten oder erworbenen Staatsgebiete als Hauseigentum, die sogenannten Untertanen als lebendes Inventar zu betrachten und über die Köpfe
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dieser zuweilen stammverwandten, zuweilen fremden Masse hinweg das Band der Standesgemeinschaft zu den Nachbarherrschaften zu schlingen, mit ihnen Reichtümer, Rechte und Macht zu vergleichen, gemeinsame Interessen und Gefahren zu beraten. Gesetze des Herkommens schienen die Auffassung von fürstlicher Zusammengehörigkeit und unüberbrückbarer Gegensätzlichkeit zu den Massen zu bestärken: jede Vermischung mit dem eigenen Volksblut schloß für alle Zeiten die befleckte Nachkommenschaft von Herrscherrechten aus, jede Vermischung mit fremdestem Blut, sofern es dem christlichen Dynastenkreise entsprang, war gestattet. Intelligenten und freigesinnten Dynasten gelang es, sich aus dem Banne der physisch empfundenen Volksgegensätzlichkeit zu lösen; schwerer war ein zweiter, ideeller Gegensatz zu durchbrechen, dessen Wirkungen nur in einer Minderzahl von Monarchien beseitigt sind. Rückwärts blickend nimmt der Dynast wahr, daß jedes der letztvergangenen Menschenalter seinem Hause Beschränkungen der Machtfülle gebracht hat, und nicht nur ihm allein; Dynastien haben gewechselt und sind gestürzt worden; Verfassungen wurden ertrotzt oder erschmeichelt; ab und zu sind Republiken entstanden. Vor hundert Jahren nannten sie die feindselige Gegenkraft Jakobinertum, Revolution oder Bonapartismus, heute heißt sie Demokratie oder Radikalismus. Da nun das Volk oder ein Teil des Volkes, vielfach ein hochentwickelter Teil, Erzeuger und Träger dieser feindlich beschränkenden Bewegung ist, entsteht bisweilen ein bedenklicher Gegensatz, der tief in das dynastische Leben eingreifen kann. So sehr in öffentlichen Kundgebungen der feindliche Gegensatz zugunsten einer harmonischen Landesväterlichkeit ignoriert wird, deren Ausdruck naive Formen
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annehmen kann; so vorsichtig selbst vertrauenswürdigen alten Staatsdienern gegenüber die Frage behandelt wird: bei Begegnungen innerhalb der dynastischen Gesamtfamilie erscheint sie als wichtige Gemeinschaftssache; die Zu- und Abnahme des monarchischen Gefühls, die Möglichkeiten von Staatsstreichen und Revolutionen werden bei Gelegenheiten und in Formen erörtert, von deren Offenheit der durchschnittliche Untertanenkreis sich keine Rechenschaft gibt. Durch Bismarck wissen wir, welchen Einfluß auf die Entschließungen solche Erörterungen selbst im Hause Wilhelms I. und seines Sohnes gehabt haben.
Die bürgerliche Denkweise hinsichtlich staatlicher Berufungen, die davon ausgeht, daß jede Verantwortung mit Hingabe und Leidenschaft erfüllt wird, solange sie gefordert wird, daß aber niemand einer Aufgabe sich oktroyiert, vielmehr jeder in gleichem Maße zurückweicht, wie das Bedürfnis nach persönlich gebundener Amtsmacht abnimmt: diese Auffassung darf auf das dynastische Verhältnis nicht angewendet werden. Denn das vorherrschende Staatsrecht macht aus dem Dynasten nicht den oft genannten ersten Diener des Staates, sondern einen der Gesamtnation mehr oder minder gleichberechtigten Teilhaber; wird daher der Schwerpunkt zwischen beiden nach Lage der menschlichen Dinge nicht als absolut unverrückbar angesehen, so ist nicht der mindeste Grund einzusehen, weshalb er nicht ebensowohl zu Ungunsten der Nation verschoben werden sollte.
Die vollkommenste Lösung des Konflikts scheint mir auch hier, wie in allen scheinbar verwickelten Verhältnissen, diejenige zu sein, die sich auf die rein menschlichen Grundlagen der Dinge aufbaut. Sind in einem
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Hausstande die Söhne erwachsen, haben sie zum Teil sich eigene Hausstände gegründet, so muß darum die väterliche Autorität sich nicht vermindern. Sie wird Formen annehmen, die nicht mehr auf Zwang beruhen, sondern auf natürlichem Gleichgewicht; gesunde Natur und Vertrauen wird die Söhne dazu führen, Rat, Ansehen und Entscheidung des Vaters gelten zu lassen, gesunde Natur, Erfahrung und Überblick wird den Vater zum Führer auch des erwachsenen Hauswesens machen. Dies Verhältnis wird um so fester sein, je unbewußter und unerzwungener es ist. Wird es auf eifersüchtige Vereinbarung, auf Angriff und Abwehr gestellt, so hat es seine innere Kraft verloren.
Man spricht, zumal bei uns, viel von dem Begriff einer kräftigen Monarchie. Eine Monarchie ist kräftig, nicht wenn Zahl und Ausdehnung ihrer Vorrechte und Verantwortungen ungewöhnlich groß ist, sondern wenn sie dauernd den kräftigsten Teil der Bevölkerung für sich hat; am kräftigsten ist sie, wenn sie von einem tiefen und unzerstörbaren Gefühl des Volkes getragen wird. Denn im letzten ruht auch diese Grundmacht nicht auf geschriebenen Sätzen und exekutierbaren Rechten, sondern auf menschlicher Übereinstimmung und menschlichem Vertrauen. Ein absoluter Monarch, der ungestraft jede Willkür im einzelnen begehen kann und begeht, kann im wesentlichen vollkommen machtlos sein, unfähig, einen starken Willen zu verwirklichen, und wenn er ihn verwirklicht, ein Werkzeug Dritter. Der Träger einer scheinbar beschränkten Vollmacht kann eine fast unbeschränkte Herrscherkraft üben, wenn er sich bewußt ist, in jedem Konflikt die Nation für sich zu haben und ausschließlich für die Gesamtheit zu wirken.
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Diese unwägbaren Dinge und zarten Ketten, die nicht immer in objektivem und leidenschaftslosem Geist gehandhabt werden, berühren uns in ihrer Wirkung auf die Anschauungen der Dynasten und in ihrer Rückwirkung auf die Atmosphäre des Volksstaates. Empfindet der Monarch stärker den Konflikt als die Bindung, ist sein Rückblick durch Bedauern, sein Vorblick durch Besorgnis getrübt, ist sein Geist auf die Verteidigung seiner Rechte und auf die Stabilisierung seines Hauses nachdrücklicher gestellt als auf das Vertrauen zur Unzerstörbarkeit seines Verhältnisses zur Gesamtnation, so gewinnt sein Denken und Entschließen jene Duplizität, die dem dynastischen Charakter häufig unentzifferbare und problematische Züge leiht.
Jeder Schritt wird ein Doppelschritt, wie des Springers auf dem Schachbrett; er soll gleichzeitig der Sache und dem Hause dienen. Jedes Verhältnis zu Menschen wird ein Doppelverhältnis: Wie dient er der Sache? Wie dient er mir? Jede Äußerung erhält ein Doppelantlitz: Sie soll nützen und zugleich wirken.
Das Verhältnis zu Menschen und Umgebung ist es, das wir in seinem Wesen und in seinen Folgen für unsre Betrachtung des Volksstaates deutlicher hervorzuheben haben.
Auch die dynastische Familie ist, trotz ihrer übernationalen Beziehungen und Verwandtschaften, eine Familie des Landes. Sie bedarf des Verkehrs, vielleicht des repräsentativen Verkehrs, und hat das Recht, ihn zu wählen. Ein Element des Selbstschutzes tritt ein: Es liegt im dynastischen Wesen eine so vollkommene Abgrenzung des eigenen Standes, daß in der Fernperspektive Größenunterschiede kaum mehr empfunden werden; jedes Landeskind erscheint als begrenzter Typ oder
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Spezialist, jede Beziehung wird einseitig. Immerhin wird eine Abstufung sich dadurch ergeben, daß die großen Familien des Landes dem Hofe näherstehen und eine Gesellschaft bilden, deren Mitglieder untereinander und der Dynastie bekannt und vertrauter werden, in Anschauung, Lebensauffassung und Lebensgewohnheiten sich angleichen.
Ist nun das obengeschilderte Verhältnis gegeben, daß die Dynastie eines besonderen Schutzes gegen destruktive Neigungen der Bevölkerung zu bedürfen glaubt, indem sie sich nicht entschließt, sich auf die Gesamtheit der Nation zu stützen, so tritt die bewußte Erwägung hinzu, daß der erbliche, vor allem der grundbesitzende und militärische Adel denjenigen Teil der Nation bildet, der gleichfalls bei jeder Demokratisierung zu fürchten hat, dessen Glanz, Stellung und Beruf eng von der Krone abhängt, der vor allem bereit und in der Lage ist, Militär und Beamtenschaft zu durchsetzen, zu kontrollieren und in der von beiden Teilen für erforderlich erachteten Verfassung und Stimmung zu erhalten. Es entsteht eine ausschließliche und stets sich verengernde Interessengemeinschaft zwischen Dynastie und Adel, die gelegentlich durch Einzelkonflikte getrübt, jedoch nie gelöst werden kann, deren Wirkungen dem Außenstehenden kaum sichtbar werden und deren Nachhaltigkeit und Universalität von keiner geschriebenen Verfassung gehemmt wird.
Mit andern Worten: Jede Dynastie, die nicht bewußt mit höchster Liberalität und vertrauensvoller Hingabe auf das Ideal des Volksstaates hinstrebt, schafft einen Aristokratismus militärisch-agrarischer Verfassung, dessen Atmosphäre das Staatswesen erfüllt und dessen Tendenz die Nation beherrscht. Ob und wieweit in Preußen
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Bestandteile des sichtbaren und unsichtbaren Feudalismus sich erhalten haben, bleibt im besondern Teil zu prüfen; hier setzen wir die allgemeine Betrachtung im Hinblick auf den Volksstaat fort.
Um die absolute Herrschaft der Feudalschicht zu sichern ist es weder nötig, daß die gesamte Armee, noch daß die gesamte Beamtenschaft von Gliedern der Feudalschicht durchsetzt sei; es genügen vier Elemente. Zunächst muß die Hofgesellschaft, die leitende Gesellschaft des Landes, aristokratisch sein, um dauernd die Pflanzstätte, Schulung und Prüfstelle der Gesinnung und Gepflogenheit zu bilden, um die geeignete Auswahl geprüfter und repräsentabler Persönlichkeiten zu bieten und ein allgemeines Vorbild zu schaffen. Sodann muß ein ansehnlicher Teil der Generalität und die Offizierschaft der bevorzugten Regimenter dieser Gesellschaft angehören. Der Bestandteil muß groß und einheitlich genug, die Bevorzugung genügend ausgesprochen sein, um Nacheiferung und Nachahmung bis in entfernte Landesteile zu sichern; die auserwählten Truppen dürfen daher nicht an einer Stelle konzentriert sein. Es muß drittens die Landesverwaltung mit aristokratischen Führern soweit als möglich, zum mindesten an zusammenfassenden Stellen, durchsetzt werden; endlich müssen die rein politischen Zentralbehörden des Äußern und Innern in ihren sichtbarsten und maßgebendsten Positionen aristokratisch verwaltet sein.
Weiter in der Verquickung zu gehen ist zwecklos. Freilich wird es sich von selbst ergeben, daß auch in bloßen Verwaltungsstellen, in provinziellen Offizierkorps, in Bildungsanstalten und Selbstverwaltungskörpern die herrschende Schicht die ihr zustehenden Positionen besetzt, doch ist dies für die Gesamtheit ohne Bedeutung.
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Denn da die feudale Tendenz dynastisch verankert ist, somit weder Gefahr noch Hoffnung besteht, sie könne sich überleben, da ferner an allen entscheidenden Stellen Kontrollen eingesetzt sind, die widerstrebenden Elementen den Durchgang verbieten, da maßgebliche Vorbilder im Lande in genügender Zahl geschaffen sind, nach denen jeder gutwillig sich orientieren kann, da endlich und vor allem eine verwandtschaftlich und gesellschaftlich eng zusammenhängende Schicht in ihrer Gesamtheit einen so unbeschränkten Personaleinfluß ausübt, daß sie jeden Widersetzlichen beseitigen und jeden gefährdeten Posten mit zuverlässigen Mitgliedern besetzen kann, so entsteht eine vollkommen neue Erscheinung, die zwar offen vor aller Augen liegt und dennoch von Außenstehenden kaum gewürdigt werden kann, weil selbst die Betroffenen sich der Zusammenhänge nicht durchweg bewußt sind: die Erscheinung der feudalen Anpassung und Imitation.
Menschen, die nach Ursprung, Veranlagung, Weltanschauung und Interessen nicht die mindeste Veranlassung haben, aristokratisch zu denken und zu fühlen, gelangen in das Räderwerk der Staats- und Militärmaschinerie. Ihre jugendliche Bildsamkeit wird in Anspruch genommen, um ihnen die herrschenden Anschauungen und Gepflogenheiten, den Respekt vor feudalen Einrichtungen und Stellungen auf dem Wege einer langen amtlichen Erziehung einzuprägen. Gänzlich Unbekehrbare scheiden aus unter dem harten Opfer der glänzendsten Zukunft, die das Land bietet; andre werden gleichgültig; viele beginnen unter dem peinlichen Eindruck, sich selbst und andern verdächtig zu sein, die geforderte Denk- und Führungsweise zu übertreiben; sie bilden eine breite Schicht gelernter
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Aristokraten, die, den geborenen Standesgenossen verglichen, sich mit geminderter Freiheit bewegt und keineswegs die Vorzüge der beiden Standesschichten summiert. Erwachen, was ab und zu geschieht, in vorgerückter Laufbahn, wenn gemeinhin der Druck der inneren und äußeren Beaufsichtigung einer zunehmenden Indolenz gewichen ist, die zurückgedrängten Instinkte der Unabhängigkeit, so ist müder Verzicht oder aussichtsloser Kampf die Folge.
Wie nun aber der Mensch seines angeborenen Charakters selten, seines fiktiven Charakters niemals sich bewußt ist, so werden die Erziehungs- und Anpassungsprodukte einer bezwingenden Atmosphäre sich als gänzlich unbefangen empfinden und mit Entrüstung gegen die Unterstellung einer unorganischen Denkweise sich wehren, die ihnen ohne Vergleichskenntnis als die absolute erscheint. Wird von Außenstehenden der Vorwurf erhoben, das unter feudaler Atmosphäre stehende Staatswesen sei ein aristokratisch beherrschtes, so wird man mit Erfolg den Nachweis erbringen, daß an Zahl das bürgerliche Element in staatlichen Positionen überwiege; und da die hier aufgestellte Anschauung des beherrschenden Geistes und der entscheidenden Atmosphäre niemand geläufig ist, so gibt der Angreifer, nahezu überzeugt, sich zufrieden. Fremdländische Kritik tritt meist in so gehässigen Formen auf, daß das Ehrgefühl es ablehnen muß, ihr näherzutreten; überdies kennt sie das Tatsächliche nicht, benennt die Dinge mit falschen Namen und führt schließlich zur Bekräftigung des gegebenen Zustandes.
So bleibt dieser Zustand im Gegensatz zu andern unsichtbaren Mächten, wie Freimaurerei und Jesuitismus, deren Wirksamkeit erkannt, häufig übertrieben wird, in
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tiefer Verborgenheit. Gelegentlich wird ein gestürzter Minister sich die Frage vorlegen, woher ein Privatmann in fürstlicher hoher Stellung die Kraft nahm, ihn zu entwurzeln, und einen Teil der Zusammenhänge vorübergehend seinem Bewußtsein enthüllen, häufiger werden radikale Organe den Klassenstaat in Gegensatz zum Rechtsstaat bringen und hülflos versagen, wenn Beweise verlangt werden.
Ein Rechtsstaat kann, ein Volksstaat kann nicht unter dem Druck einer feudalen Atmosphäre bestehen, denn sie wird immer wieder einen Teil des Volkes zum erblichen Herrn des andern Teils machen, sie wird zwei Völker schaffen, von denen das größere dauernd zum Unwillen und zur Auflehnung geneigt ist; und so schließt sich der Zirkel, indem die Dynastie von neuem die Bestätigung dafür erhält, daß sie nur auf die Kaste, nicht auf das Volk sich stützen kann. Nur sie kann den Zirkel durchbrechen durch die Tat des endgültigen Vertrauens; dies ist der Anteil, der ihr für die Errichtung des Volksstaates zufällt.
Kein kleineres wird vom Volke selbst verlangt. Der Staat darf ihm nicht als Zweckverband gelten, als bewaffnete Produktiv- und Verkehrsassoziation, seine Zugehörigkeit als lästige und kostspielige Mitgliedschaft eines Vereins, der wertlose Rechte gewährt und aus dem man nicht austreten kann. Noch weniger darf der Staat dem Volk erscheinen als eine erweiterte Polizeimacht, die ungerufen in alle menschlichen Verhältnisse sich eindrängt, mit Organen, die, wo sie auftreten, als Vorgesetzte sich entlarven, die daher außerhalb des Kreises bürgerlicher Sitte stehen und hintergangen werden dürfen, wenn sie nicht zuschlagen können. Am wenigsten darf der Staat das werden, was er in verkommenen
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romanisierten Ländern ist: Objekt des allgemeinen Betrugs und der Streberei, Versorgungsanstalt kaufender und käuflicher Gruppen, Gemeinschaftskasse zu Gunsten der Schlauen auf Kosten der Dummen.
Der Staat soll sein das zweite, erweiterte und irdisch unsterbliche Ich des Menschen, die Verkörperung des sittlichen und tätigen Gemeinschaftswillens. Eine tiefe Verantwortung soll den Menschen an alle Handlungen seines Staates binden, die gleiche Verantwortlichkeit soll ihm bewußt machen, daß jede Handlung, die er begeht, eine Handlung des Staates ist. Wie im Anblick der transzendenten Mächte kein Denken oder Handeln gering oder indifferent sein kann, so gibt es innerhalb des Staates keinen verantwortungslosen Bereich. Die dreifache Verantwortung: den göttlichen, den inneren und den staatlichen Mächten gegenüber, schafft jenes wundervolle Gleichgewicht der Freiheit, das nur dem Menschen beschieden ist und ihn zum Grenzbewohner des planetaren Reiches erhebt. Indem wir die Richtung des Gewissens zum Staate so fest gewinnen, daß die Tendenz ins Unbewußte versinkt und zur Natur wird, haben wir das Maß der Staatsgesinnung geschaffen, das die Nation zur echten überpersönlichen Einheit erhebt und unsterblich macht.
Solches Ereignis ist wiederum nur innerhalb des Volksstaates möglich, und deshalb muß dieser geschaffen sein, bevor der letzte Anspruch an die Nation erhoben wird. Im Machtbereich des Stände-, Klassen- und Kastenstaates reine Staatsgesinnung durch Bitten und Beschwörung, Drohung und Versprechen zu entfachen ist naive Täuschung Seiner selbst und der Andern. Der Gewaltstaat hat die Macht; er mag sie, solange er kann, benutzen, um seine Unterworfenen zu zwingen; doch
17 Rathenau, Von kommenden Dingen
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soll er den Mut haben, von den Übervorteilten nicht Dankbarkeit und Hingabe zu erbetteln.
Von dieser allgemeinen Erörterung politischer Ideale, die keine einzelne Nation und doch wiederum alle im Auge hat, wenden wir uns allgemach den Dingen der Heimat zu, weil die aufs engste zeitlich und örtlich geschärfte Prüfung auf hartem und bekanntem Prüfstein unsrer Gedankenkette nicht erspart werden darf. Und indem wir fortschreiten, wird der Weg beschwerlicher: teils deshalb, weil wir von der Menge des einzelnen nicht überwältigt werden dürfen und weil wir ein Gleichgewicht zu erstreben haben zwischen den Forderungen des Tages und den absoluten Zielen; teils und hauptsächlich, weil die schmerzlich große Epoche des Krieges uns einen Konflikt der Empfindung auferlegt.
Wenn es Zeiten gegeben hat, wo mehr noch als der Vergleich an absoluten Normen die Sorge uns zur Kritik geneigt machte, die Sorge um ein kommendes Unvermeidbares, das uns und unserm Bauen ein Ende drohte und erst den Späteren einen Anfang versprach; wenn in jenen Zeiten ein Wort der Härte, ja des Unwillens uns leichter über die Lippen ging, so ist es menschlich, wenn das herrliche Leisten, das heilbringende Leiden unsres Volkes in dieser Zeit uns blind macht vor Liebe, so daß wir nur Licht und keine begrenzende Form mehr empfinden. Der Form, des Maßes und der Begrenzung aber bedürfen wir mehr als sonst, da wir bauen wollen; Idealarchitekturen, die ohne Gegenkraft und Beschränkung erwachsen, sind Luftschlösser. Auf die natürlichen Schranken unsres Charakters kommt es an, wenn wir die glücklichste Möglichkeit unsrer Zukunft ermessen wollen, und wir dürfen uns dieser Schranken nicht schämen, denn sie sind weitgezogen und naturgeschaffen,
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und überdies: Erkenntnis reißt sie ein. Der Grundriß freilich, der sie verzeichnet, wird und kann nur ein Netz dunkler Linien und Schattierungen bieten; des farbig helleren Aufrisses bleibt der innere Blick sich bewußt.
Deutschland, vor allem das bestimmende nördliche und mittlere, von dem wir vorzugsweise zu reden haben, ist, wie wir wiederholt erwähnten, das Ergebnis einer Schichtenverschmelzung. Von der früheren germanischen Oberschicht, die zugleich die herrschende Schicht der übrigen Westländer gewesen war, reden wir, wenn wir von der Vergangenheit erzählen. Wir kennen ihre Geschichte, ihre Namen und Stämme, ihre alte Sprache, ihre mittelalterliche Glaubenskultur und Kunst. Wir kennen die Wandlungen, die diese geschlossene Welt erfuhr, als die Anfänge der Mischung sich geltend machten, als großbäuerliche, städtische, patrizische Elemente vom 14. und 15. Jahrhundert an die deutsche Kultur der Neuzeit schufen. Bis in die Zeit der Romantik hielt die Epoche vor, noch die Werke und Taten unsres klassischen Zeitalters sind fast ausnahmslos vom adlig-patrizischen Volksteil geschaffen worden; nur selten tauchte einer der Namenlosen empor, um fremde, seltsam unzeitliche Dinge zu sagen und zu schaffen. Und doch war um die Wende des 18. Jahrhunderts die Schicht der Oberen bis zum Zerreißen verdünnt und gespannt: Die Erben von Namen, Bildung und Besitz zählten nach Tausenden, die Zahl der Ungenannten nach Millionen.
Mit dem 19. Jahrhundert traten die Unteren in die Geschichte ein, mit dieser Epoche begann die letzte deutsche Wandlung in Lebens- und Denkweise, Sprache und Wirken. Jeder Betrachter des Vergangenen empfindet den tiefen Einschnitt, der das Ältere vom Neuen
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scheidet; und doch wird es uns schwer, den Gedanken zu fassen, daß wir ein neues Volk geworden sind. Mancher möchte lieber der Welt Goethes, Kants und Beethovens gehören, die wir jetzt zu erfassen beginnen, als der Welt der Massen und Realien, welche die unsre ist; lieber Nachkomme und Erbe als Vorfahr und Erwerber. Mancher möchte mit fremdem Einfluß und äußerer Infektion das Grundphänomen unsrer Zeit, die Mechanisierung, erklären. Die Menschen, die unsre Zeit und unser Leben bestimmen und erfüllen, sind aber nicht die Söhne jener Alten; aus jenen Tausenden sind nicht unsre Millionen entsprungen; ein Blick auf Gestalten und Namen, der Vergleich mit den echten Nachkommen in kleinen unvermischten Landesteilen beweist es. Diese Millionen, den Millionen andrer Völker enger verwandt, äußerlich und innerlich ähnlicher als sie ahnen, sind ein neues Volk und mögen mit Freude und Stolz bekennen, daß sie es sind; denn ein Anfang ist härter und verantwortungsvoller als ein Ende.
Freilich war unser Anfang schlimmer als schwer, er war in mancher Weise unfroh und unheilig. Jene, welche die Mechanisierung emporbrachten, prägten der Zeit ihren Stempel alter Unterworfenheit auf; Streben und Gier, Beflissenheit und Übergeduld erfüllten die abstrakten, mechanischen, massenhaften Formen des Schaffens mit ihrem Geiste vorzeitlicher Erdgebundenheit. Das neue Volk war ein Urvolk in der Fassung raffiniertester Zivilisation und höchster intellektueller Anspannung.
Hätte das Empordringen der Unterschicht sich bei uns mit vulkanischer Gewalt vollzogen, wie es bei andern Völkern revolutionär geschah, so wäre von Anfang an die Verantwortung der Herrschaft ihr zugefallen.
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So aber drang sie hydraulisch zäh, langsam und unbewußt zur Oberfläche, sie empfing Herrenrechte, ohne Herrenpflichten zu übernehmen.
Denn die Herrscherkaste, zum großen Teile aufgesogen, vor allem durch Überzahl bewältigt, blieb in kleinen aber mächtigen Resten erhalten, hauptsächlich in Preußen. Die wirtschaftliche Herrschaft mußte sie mit der neuen, plebejischen Plutokratie teilen, die Verwaltungsherrschaft trat sie zum Teil an eine assimilierte Beamtenkaste ab, die ländliche Herrschaft verblieb ihr, die politische und militärische Kontrolle wurde ihr durch Verbindung mit der Dynastie gesichert. Vor allem hielt sie ihr Blut wenn auch nicht völkisch rein, so doch physisch hochgezüchtet, so daß, wie in keinem zweiten Lande, der Adelsdurchschnitt von dem Volksdurchschnitt auf den ersten Blick sich abhebt.
Sinnfällig und sinnbildlich tritt der Volksgegensatz hervor, wenn man etwa ein vornehmes Regiment im Vorüberziehen betrachtet. Die Herren, die auch mit diesem Namen gern gerühmt werden, glänzen hervor durch blinkenderes Metall, feineren Gewandstoff und Schnitt, zierlichere Waffen, schmalere und gewähltere Abzeichen. Ihre edleren Pferde tragen silberbeschlagenes Zaumzeug und leichte Sättel. Ausgezeichneter als die äußere Form der Ausrüstung hebt sich die Gestalt hervor. Schmal erscheint das Haupt, scharf das Profil, weich und blond das Haar. Der Nacken, beim Mann kurz und gedrungen, ist beim Herrn schlank und beweglich, der Rücken lang und schmal, der Körper von stählerner Schlankheit. Vornehm geformt und weiß sind die Hände, der Sitz federnd und leicht, Schenkel und Füße edel und scharf gezeichnet. Im Vergleich mit dieser wahrhaft adligen
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Erscheinung wirkt der Mann, mit Ausnahme etwa eines Holsteiners oder Friesen, breit, untersetzt, schwer.
Dieses Verhältnisses, das in körperlicher Erscheinung den Gegensatz von Herrschaft und Dienst auswirkt, ist der Mann sich tief bewußt. Er verehrt die weiße Hand und läßt sich gern von ihrem scharfen Griff zurechtrücken, er erwidert das freundschaftlich hingeworfene Du mit der ehrfürchtigen dritten Form Pluralis, er übt bereitwillig die mit ganzem Körper zu leistenden Ehrenbezeigungen. Nicht von Natur aus, sondern nur da, wo höchste persönliche Achtung erworben wurde, wird er dem gebildeten Vorgesetzten des eigenen Blutes die gleiche, halb unbewußte Vergötterung zollen. So hat schon sein Vater den Vater dieses Herrn verehrt, so hat der Alte, während er die eigenen Kinder prügelte, andächtig zu dem jungen Herrn aufgeblickt. Und dieser kleine siebenjährige Graf fühlte sich mit fünfhundertjähriger Erfahrung als gütiger und selbstbewußter Patron, der seine Leute als Schutzbefohlene, Sonntags als Seines Gleichen pflegt, der weiß, was ihnen zuträglich und schädlich ist, was sie krank und was sie übermütig macht, der gibt, was billig ist, und fordert, was ihm zusteht: Respekt gegen Vertrauen, Unterwerfung gegen Nachsicht. Niemals braucht der Herr vor seinen Leuten sich zu schämen; er kann sich nach Belieben gehen lassen: denn seine kleinen Laster und Schwächen sind als Herrenrechte berücksichtigt; wer sie nicht übt, ist verdächtig, und wer an ihrer Stelle bürgerliche Eigenschaften zeigt, Gelehrsamkeit, Geschäftigkeit und Überfleiß, der ist nicht echt. Sprache, Behandlungsweise, Auftreten, Gesprächsinhalte, Nachsichten und Unerbittlichkeiten sind seit Jahrhunderten zwischen beiden Kasten vereinbart; jede zulässige und mögliche Charakterform
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und Abart ist bekannt und umschrieben, jede erträgliche Beziehung vorausgesehen. Zu den unerträglichen gehören von oben Bosheit, geistiger Hochmut, Hohn und Ironie, von unten Kritik, Störrigkeit, Murren und Auflehnung.
Dieses hingebungsvolle Unterschichten- und Untertanenbewußtsein erfüllt in Preußen Millionen von Seelen und dringt bis hoch hinauf in das freiere Bürgertum, wo es dann freilich verderbte und sittlich gefährliche Formen annimmt. In seiner reinsten Form zeigt es kindlich schöne Züge und fügt sich in das glückliche Patriarchenverhältnis, das uns in jeder Völkerjugend rührt. Volkspsychologisch sind diese Züge von hohem Wert; sie schaffen die disziplinierbarste und organisierbarste Masse, die wir kennen, einen Massenkörper, der unabhängig von Stimmungen und Meinungen bis an die äußerste Grenze der Kraft jede geforderte Leistung hergibt, einen Massengeist, der mit unverbrüchlichem Vertrauen jedem autorisierten Führer folgt, der ihm verständlich und nachfühlbar handelt und redet. Weder wird Begeisterung zur Voraussetzung, noch wird Aufklärung gefordert, noch Kritik geübt; Pflichtbewußtsein ist nicht der Ausdruck dieses Verhältnisses, in dem überhaupt kein Konflikt auftritt, noch weniger ist es blinder Gehorsam, weil freie Neigung mitspricht, am nächsten ist es kindlicher Folgsamkeit verwandt.
Der Bildsamkeit der Massen entspringen die beiden großen preußischen Organisationen: die Armee und die Sozialdemokratie, die eine ländlichen und primären, die andere städtischen und mechanisierten Ursprungs.
Der Kreis von Eigenschaften, den wir umschrieben haben, ist nicht germanisch. Er widerspricht allen
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älteren Beschreibungen vom trotzigen, eigenbrötlerischen und individualistischen Wesen, vom Unabhängigkeitsdrang und organisationsfeindlichen Selbstbewußtsein der germanischen Stämme, er widerspricht unserer geschichtlichen Kenntnis ihres Handelns, er widerspricht vor allem dem Bilde der überlebenden germanischen Reste in Südschweden, Friesland, Westfalen, Franken und Alemannien, ja selbst der reineren patrizischen und adligen Schicht. Es ist slawischer Charakter mit leichtem germanischen Einschlag, der die weibliche Weichheit und Schwermut der Halborientalen in kindliche Heiterkeit auflöste, der ihren passiven Gehorsam durch Erinnerung an alte, selbsterwählte Gefolgschaft zu tätiger Beflissenheit kräftigte.
Wie weit die großen Züge der alten deutschen Oberschicht, die schöpferische Sehnsucht, die mystische Leidenschaft, die Tiefe und Transzendenz in die Seele der Massen gedrungen sind, ist schwer zu bestimmen. Zum höchsten geistigen Leben haben sie noch wenig beigetragen, das Volkslied ist verarmt, Volkskunst ist uns nicht erwachsen, Vergnügungen verdrängen die Freuden. Daß gewaltige, von keiner irdischen Nation erreichte Kräfte der Liebe, der Hingebung, des Opfers und des Mutes lebendig sind, bedurfte nicht der Bestätigung des Krieges, Klugheit, Geduld und Betriebsamkeit schufen die Mechanisierung. Oft haben wir diese Eigenschaften sittlich gewertet; hier haben wir sie politisch auszudeuten im einzigen Hinblick auf nationale Zukunft.
Schaffen Bildsamkeit und Fügsamkeit, Autoritätsrespekt und Abhängigkeitsgefühl die handlichsten Untertanenverbände, so ist doch der Untertan nicht das letzte Ziel des Staates. Wie bei meisterlichen Bauwerken sollen alle Glieder zugleich lasten und tragen;
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zeigt uns der westliche Nachbar den haltlosen Organismus eines Volkes, wo jeder herrschen und keiner leisten will, es sei denn, daß man ihn düpiert oder entflammt, so schreckt uns der Osten durch die tödliche Apathie der Massen, die, bis zur Zermalmung belastet, verkommen oder in Gewalt ausbrechen. Unsere Gefahr ist Unselbständigkeit und Mangel an Selbstbewußtsein, Verant- wortungslust und eigenem Urteil.
Ist Kindlichkeit und Unselbständigkeit der politische Rohstoff, den unsere unbearbeiteten Massen dem staatlichen Aufbau steuern, so häufen sich die schwachen Stellen des Materials, sobald wir die von der Mechanisierung ergriffenen Massen prüfen: städtisches Proletariat und Mittelstand.
Das unentweichlichte Abhängigkeitsverhältnis hat auch hier nicht aufgehört. Auch hier ist der Staat nicht die Sache aller, sondern ein Verwaltungsbereich der Vornehmen; auch hier wimmelt es von Vorgesetzten, zu denen man nicht gehört und nie gehören wird; doch sind sie nicht mehr edel, von patriarchalischer Persönlichkeit, sondern es sind anonyme Stände und Ämter, vertreten durch gewöhnliche Leute; es ist das Kapital, vertreten durch den Direktor, Betriebsingenieur, Prokuristen und Werkmeister, durch Auftraggeber, Kunden, Geldleute; es ist das Beamtentum, vertreten durch den Steuereinnehmer, Schutzmann, Schalterbeamten; daneben ist man zwei Dienstjahre lang unter der Obhut der Feudalschicht, vertreten durch Leutnant und Unteroffizier. Die Hingebung an diese Mächte ist nicht mehr undifferenziert und instinktiv, sie ist auch nicht erzwungen, denn es fehlt an Vergleichsmöglichkeiten, wie sie sich dem Auswanderer bieten; sie wird als peinliche Lebensnotwendigkeit hingenommen, und
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zwar mit dem Gefühlston einer schuldhaften Verpflichtung; daher ist selbst die Auflehnung nicht ein Pochen auf das freie Recht, sondern eine bewußte, mit einem Rest von bösem Gewissen begangene Insubordination.
Der brutale Schnarrton des Wortes Subordination macht uns die hoffnungslose Duldung anonymer Herrschaft fühlbar. Ist die Auflehnung organisiert, wie die der Sozialdemokratie, so nimmt sie bei dem tiefeingewurzelten Wesen des Abhängigkeitsverhältnisses sofort wiederum die Form der Subordination an, ist sie es nicht, so erniedrigt sich der Ton der Unzufriedenheit zu wehrlosem Dienstbotenklatsch und kannegießernder Nörgelei.
Kein Weg führt von den unteren Ständen zu den oberen. Reichtum und Bildung ziehen gläserne Mauern um ihre Bezirke, und der tiefe Einschnitt zwischen den Lebensformen diesseits und jenseits wird nicht von südländischer Nachahmungslust und Zutunlichkeit überbrückt.
Grüblerische Tiefe, Sinn für das Wesentliche, vor dem die Dinge nur ein Abglanz sind, starke Persönlichkeit und systematische Universalität, die zu jeder Möglichkeit die Gegenmöglichkeit erblickt und wertet, diese großen und größten Eigenschaften haben seit Anbeginn den Deutschen zu einem Gegner der Form gemacht. Denn alle Form ist Begrenzung und Einseitigkeit, sie beruht auf selbstgefälligem Genügen, auf der kindlichen Meinung, daß es neben dem Guten ein Bestes gibt, das nicht zu übertreffen sei, und daß es neben dem Bewährten nicht anders geht. Freilich beruht sie auch auf dem menschenparadieslichen Drang zum reinen Akkord, zur gefüllten Harmonie, auf jenem klassischen Gleichgewichtsgefühl, dem vor himmlischen
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und höllischen Abgründen schaudert. Auf den gesamten Gebieten der Künste und Wissenschaften, des persönlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Lebens gibt es kaum eine Grundform, die aus unserer Heimat stammt. Die Formen der Bauten und Stile, des Hausrats, der Bildtafeln, der Musik, des Romans und Dramas, des Armeewesens, des Kultes, der Manufaktur, des kommerziellen und industriellen Betriebes, des Aktienwesens und der Konstitutionen, alle diese äußeren Fassungen und Bildungen, die heute noch fremde Namen tragen, haben wir zu entwerfen Andern überlassen. Doch hat deutscher Geist eines nach dem andern dieser Gefäße ergriffen, mit reiner Hand und fühlendem Verstehen seinen Formgedanken vollendet, dann mit so reichem Feuertrank die Rundung gefüllt, daß der überströmende Quell neue Formen verlangte.
Dies Schauspiel hat uns beglückt und die Welt bereichert; doch blieben wir arm an Form, weil wir sie verachten lernten; wie jene Formenschöpfer, die uns verspotten, am Geist verarmten.
Da aber politisches Wesen nicht ein absolutes ist, sondern ein Kampf von Kräften mit gegebenen Gegenkräften, so müssen wir eine gewisse Formlosigkeit betrachten, die uns schädigt. Wir haben von Gegensätzen der Lebensführung gesprochen und dürfen eingestehen, daß die unsere bis zum Zerfall jeder Gleichförmigkeit, und da eine lässige Bequemlichkeit, eine abgesagte Gleichgültigkeit gegen den Schein uns innewohnt, bis zum formlosen Gehenlassen sich steigert.
Die zivilisatorische Kraft, die auf entschlossener Haltung bewährter Lebensformen ruht, geht uns verloren. Und mehr noch: Wenn das Abhängigkeitsgefühl, in dem wir leben und das in der ständigen Doppelspannung:
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untergeben nach oben, vorgesetzt nach unten, sich auswirkt, wenn dies wenig adlige Verhältnis es uns erschwert, ein freies Herrenvolk zu sein, so trägt Formlosigkeit weiterhin dazu bei, nach innen das Herrenbewußtsein, nach außen die Herrenwirkung zu mindern. Daß wir so wenig wie in unsern Grenzen in fremden Ländern kolonisatorische Kraft entfalteten, daß wir weder die Nationen, die wir mit unserem Blut gesättigt haben, noch die stammverwandten an uns ketten konnten, liegt weniger an unsern Einrichtungen als am Mangel angeborenen Herrentums. Unter Herrentum aber ist nicht zu verstehen hochmütiges Anmaßen, denn das verträgt sich sehr wohl mit innerlich abhängigem und gedrücktem Wesen, sondern das instinktive, der Überlegung nicht bedürfende Gleichmaß der Pflichten und Rechte, der innere Sinn für Abstand und Nähe, der Verzicht auf kleinliche Ansprüche und das Festhalten am Wesentlichen, das Opfer der Bequemlichkeit zugunsten der Würde, vor allem die rückhaltlose, freie, von Vorurteil und Verachtung gelöste Gerechtigkeit.
Verbindet sich Abhängigkeit mit bedrängter Wirtschaftslage, so entsteht die Gefahr der Kleinlichkeit. Für sich selbst kann selbst der härteste Mangel mit Unbefangenheit und selbstbewußter Freiheit einhergehen; wer jedoch mit ungewollter Abhängigkeit sich abzufinden weiß, gerät leicht in Versuchung, sich im Scheinen Ersatz zu schaffen; Schein und Mangel aber vertragen sich schlecht. Dies Mißverhältnis zehrt am häuslichen Leben, es zieht die Frauen in den Kreis der Sorgen und züchtet unfrei erwachsende Geschlechter.
Wem Unfreiheit im Blute steckt, wer unbewußt eine herrschende Kaste über sich anerkennt, die er nicht mehr
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liebt, zuweilen beneidet, wer sein und seiner Kinder Schicksal als unentrinnbar kennt, der findet seinen Trost im Anblick von seinesgleichen und in der Gemeinsamkeit der Last. Er will schließlich lieber verschärften Druck von den geborenen Obern ertragen, als daß er es mit ansteht, wie sein Nächster emporsteigt und sich frei macht. Daß einer aus seiner Nähe und Umgebung es zu Wohlstand oder Macht gebracht hat, macht ihn nicht stolz und hoffnungsvoll, sondern verdrießlich, denn er weiß, daß der Andere nun an jene olympischen Tische sich setzen und verachtungsvoll herabblicken wird. Die naive Freude der Amerikaner, die nicht müde werden, die Milliarden ihres Landsmanns zu preisen und hinzuzusetzen, daß er als Zeitungsjunge angefangen hat, ist nur möglich in einem Lande, wo jedem Alles offensteht; das Ideal unsrer Unzufriedenen wird sicherlich nie das kahle Geldziel der Überseeischen, aber auch nicht das Bild eines ungehemmten geistigen Aufstiegs sein; sondern vielmehr die nüchternste, unwirklichste und gefährlichste aller materiellen Utopien: nämlich die Gleichheit; und wenn es auch die ist, zu der alle hinabsteigen.
Es wäre ungerecht, diese Gefühlsreihe mit dem verächtlichen Ausdruck des Neides abzutun. Der idealpolitischen Gefahr dieser gebundenen Gefühle aber müssen wir uns bewußt bleiben; denn wenn jeder freie und wünschbare Zustand nicht auf schwungloser Demokratie, sondern auf bewegtem Auf- und Niedersteigen geistiger Kräfte beruht, so sind Empfindungen der Mißgunst die stärksten Anker, um den Aufstieg zu hemmen und absterbende Herrschaften, weil man ihrer einmal gewohnt ist, an der Macht zu halten.
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Überblickt man den ganzen Kreis großer und schöner Eigenschaften, die unsern mittleren und tieferen Ständen eigen sind, die unbeirrbare Ehrenhaftigkeit, Sachlichkeit und Pflichttreue, die mutige Entschlossenheit zur Arbeit, zur Gefahr und zum Leiden, den stillen, echten und andächtigen Sinn zu Gott, Mensch und Natur, die Heimatliebe und Selbstvergessenheit, das Streben zum Wissen, Begreifen und Können, so haben die Schattenzüge unsres Bildes menschlich nichts zu bedeuten, und unsre Nation ist glücklich zu preisen, daß der Dunkelheiten so wenige sind. Im Sinne politischer Ideale, die den Prüfstein dieser Untersuchung bilden, dürfen wir uns nicht so leichthin abfinden. Denn leider sind die wenigen Gefahren unsres Charakters gerade die, welche ein Volk zum unpolitischen machen können und lange gemacht haben. Was wir brauchen ist Unabhängigkeit, Adelsgefühl, Herrenhaftigkeit, Verantwortungswillen, Großmut, Freisein vom Vorgesetzten- und Untergebenengeist, von Kleinlichkeit und Mißgunst. In dieser Forderung liegt die ganze deutsche Politik und politische Zukunft beschlossen, sie ist nicht eine Frage der Einrichtungen, sondern des Charakters. Jeder künftige Politiker, sofern er nicht Macht oder Interessen vertritt, wird sich bewußt bleiben müssen, daß die Erweckung neuer sittlicher Kräfte die Grundbedingung unsrer Gestaltung bildet und daß die Institutionen nachgiebig und beweglich der menschlichen Entwicklung folgen, wie die Rinde dem Wachstum des Stammes. Sind wir vor hundert Jahren zur Nation, vor fünfzig Jahren zur Staatsnation geworden, so müssen wir von jetzt an durch innere Neugeburt zur politischen Nation und zum Volksstaat erwachsen.
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Freilich ließ noch vor wenigen Jahrzehnten der größte Kenner der Nation uns geringe Hoffnung. Er rühmt das Volk, wenn er von seiner ländlichen Herrschaftstreue und Untertänigkeit spricht; er wird bitter, wenn von öffentlicher Meinung, von politischer Strömung und Verantwortlichkeit die Rede ist. Publizisten, Gelehrten, Berufspolitikern und Dilettanten schiebt er die Schuld an den populären Irrtümern zu, die sein Werk gefährdeten; die Unmündigkeit des Volkes setzt er voraus, indem er so weit geht, ihm ein unmittelbares Nationalgefühl abzusprechen: nur mittelbar, durch das dynastische Gefühl hindurchgeleitet, könne ein deutsch-nationaler Sinn zum Wirken kommen.
Gewisse Formen des Patriotismus in den starren Jahren vor dem Kriege schienen das harte Urteil zu bestätigen. Wie selten brach der männliche freie Stolz auf unser Land, auf unser Volk, auf unsre Gemeinschaft aus uns hervor; wie sehr bedurften wir vermittelnder Huldigungssymbole, ja selbst der Aufreizungen gemeinsamer Haßgefühle.
Bedrückender wird unser Bewußtsein, wenn wir zu den großbürgerlichen Schichten, den mächtigen, wo nicht leitenden so doch bestimmenden Gliedern unsrer kapitalistischen Gesellschaft aufsteigen. Sinnbildlich stellt das Kraftfeld dieser politischen Zentralmacht sich dar in der Haltung ihres fraktionellen Abbildes, der nationalliberalen Partei des Deutschen Reichstages.
Sie kann wenig erzwingen, aber alles verhindern; sie trägt eine höhere Verantwortung, als deren sie sich bewußt ist. Sie vertritt die großbürgerliche Intelligenz, aber auch die Interessen des Kapitalismus; sie bewahrt die alten liberalen Ideale, aber gedämpft durch Kompromisse mit bestehenden Mächten; sie neigt zum freien
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und unvoreingenommenen Urteil, aber sie bedarf der Mittel und Kräfte bevorrechteter Beschützer. Sie könnte die Entscheidung in Händen haben; und überblickt man die Jahrzehnte, so hat sie unfreiwillig und unbedankt dem Feudalismus gedient.
Wie der Partei, so mangelt es dem Stande, den sie vertritt, an Richtkraft. Interessen gehen Idealen vor. Von unten her ist der Besitz bedroht, und welches Interesse ist höher als das des Besitzes? Schlimm genug, daß in der Volksvertretung die Stimme des Besitzlosen über das Vermögen des Reichen bestimmt; deshalb muß zuerst die Gefahr des Kommunismus bekämpft werden, das übrige wird sich finden. Davon abgesehen: Was bedeutet überhaupt Politik? Zeitverlust. Für Verwaltung und auswärtige Angelegenheiten sorgen Fachleute; wo nicht vollkommen, so doch mindestens so gut wie anderswo. Man kann sie kritisieren, und wo sie persönlichen Interessen zunahe treten, Einfluß nehmen. Dringender sind die Aufgaben des Tages; der Jahresertrag, die Machterweiterung des Unternehmens, die Dividende sind Dinge, die nicht warten können. Da sagt einer, daß diese Dinge auf einem tieferen, niemals unbedrohten Grunde ruhen, der Staatsmacht und dem Landeswohl? Laßt uns erst dies und jenes in Sicherheit bringen, vielleicht bleibt dann Zeit, auch für Ungeschäftliches zu sorgen. Freilich wäre es besser, wenn . . . und nun folgen harte Urteile über verantwortliche und unverantwortliche Personen, weil man nicht begreifen kann noch will, daß für alle Personen das System, und für alle Systeme die Nation verantwortlich ist.
Mit dieser Indifferenz ist es nicht abgetan. Je höher man die bürgerliche Stufenleiter hinansteigt, desto tiefer blickt man in die Schatten einer freiwilligen Abhängigkeit,
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die kaum milder als mit dem Begriff ideeller Bestechlichkeit bezeichnet werden kann.
Man hat für Stellung und Karriere zu sorgen. Man möchte den Verkehr mit hochgestellten Würdenträgern nicht opfern; ein großer Haushalt fordert vornehme Gäste. Ohnehin bleiben zuweilen kleine Bildungs- und Erziehungsmängel zu vertuschen; nichts bedeckt sie gefälliger als ein dicker Auftrag vorschriftsmäßiger Gesinnung. Das Regiment und Korps des Sohnes, die Freunde und Verwandten des Schwiegersohnes verlangen Rücksichten. Beziehungen dürfen nicht verscherzt werden, Ranges- und Standeserhöhungen bieten frohe Aussicht; und selbst kleinere Befriedigungen des bürgerlichen Ehrgeizes erfordern neben der materiellen Leistung eine einigermaßen zuverlässige Gesinnung.
Gewiß gibt es noch Beispiele eines patrizischen Bewußtseins, das nicht bittet noch empfängt, das, auf eigene Pflichten und Rechte gestützt, es verschmäht, verwechselt zu werden, und auf Gäste verzichtet, die einander in der Haustür die Entstehung des Verkehrs entschuldigend aufklären. Häufiger finden sich diese Beispiele in Städten und Häusern älteren Wohlstandes; dem neuen Reichtum, der in Deutschland zahlreicher ist als in irgendeinem der europäischen Länder, mag es zugute gehalten werden, daß er, erschreckt über den eigenen Aufstieg, nichts für unmöglich hält und weiterzusteigen glaubt, da wo er nur eindringt.
Ludwigs XIV. ränkevolle Klugheit bändigte seinen Adel, indem er ihm ein neues Ziel glaubhaft machte: den Hof. Unbewußt hat unser Feudalsystem dem anstrebenden Bürgertum das gleiche Schicksal bereitet: Für den Preis der Gesinnung wurde ihm ein neuer Aufstieg eröffnet. Die Nachahmung der Feudalgesinnung
18 Rathenau, Von kommenden Dingen
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gelang im Ergebnis besser als im Anblick; denn da ihr die leichte Beimengung von Skepsis fehlt, die dem echten, der Prüfung überhobenen Adel eignet, so schreitet sie etwas zu überzeugt, etwas zu mißtrauisch und etwas zu prächtig einher.
Gleichviel ob man diese Schwächen sittlich ernster oder leichter nimmt; politisch entnerven sie einen Stand, indem sie ihn zum Kostgänger eines andern Standes machen. So besteht in Preußen-Deutschland eine einzige wahrhaft politische Macht: der konservative Feudalismus. Das Volk folgt der Autorität, ursprünglich der feudalen und geistlichen; wo es ihr entfremdet wird; der agitatorischen. Der Sozialismus verfügt über Massen und Interessen, jedoch nicht über eine geistige Weltanschauung. Der organisierte Katholizismus stellt die konfessionellen Interessen über die politischen. Der Feudalismus allein besitzt eine historisch-religiöse Weltanschauung, die sich aufs glücklichste mit seinen politisch-materiellen Interessen vereinigt. Er verfügt über die bestehende Exekutivgewalt, ist verbündet mit dynastischen, militärischen und familiären Mächten und zwingt den mächtigsten Teil des Bürgertums in seine Gefolgschaft.
Das stärkste Argument für das Bestehende ist der Erfolg. Brächte der gegenwärtige Krieg den raschen, unbedingten Erfolg eines vollwertigen Sieges, so wäre die Verwirklichung des deutschen Volksstaates nicht beschleunigt. Und dennoch gibt es keinen Deutschen, der Volk und Heimat liebt und der nicht tausendmal lieber die verschärfte Reaktion von 1815 ertrüge als den kleinsten Abbruch der nationalen Macht und Ehre. Wie aber auch der Weltkampf enden mag: Für die letzten Ziele der Nation, die uns hier befassen, bleibt er Vorbereitung,
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nicht Entscheidung. Drei Fernwirkungen in die Zukunft dürfen wir indessen erwarten; und vornehmlich einer von ihnen, der dritten, haben wir prüfende Beachtung zuzuwenden.
Zuvörderst. Dies ist das erste wahrhafte Gemeinschaftserlebnis der zum Kern des deutschen Volkes gereiften alten Unterschicht. Die Kriegsheere des 19. Jahrhunderts waren kleine Ausschnitte der Bevölkerung, vorwiegend der ländlichen, des höheren Bürgertums und des Adels. Heute zum ersten Male steht das ganze Volk in Waffen. Und nicht das Heer allein kämpft, leistet und leidet, sondern jede lebende Seele des Landes. Nicht die Augusttage schufen das verschmelzende Ereignis, so herrlich die unermeßliche Begeisterung emporbrach; denn sie war im höchsten Sinne ein Festesrausch; ein Blick hinter den Schleier der Zukunft hätte ihn gedämpft, und die wenigen, die sehend waren, standen, nicht kälter zwar, doch ernster zur Seite. Was heute uns einigt, ist nicht so freudenvoll, nicht so schattenlos einhellig, doch von keiner Zukunft und Enttäuschung bedrohbar; es ist die Pflicht und Verantwortung, die unbeirrbar alle Proben bestanden hat. Heute fühlen wir die Einheit des Doppelklangs: der Sorgen und Schmerzen wie der Hoffnung und des Vertrauens. In höherem Maße schafft diese Gemeinschaft des Lebens und Leidens Nationalität als Herkunft, Sprache, Sitte und Glauben; was unter solchem Druck sich vereinigt, das bleibt gebunden, was sich trennt, das bleibt für immer gesondert. Bis dahin war die Unterschicht ein Bestandteil der Nation und weitaus der größte; von heute ab ist sie ein Glied und weitaus das mächtigste: sofern sie ihrer Verantwortung sich bewußt bleibt. Denn diese Verantwortung des Volkskörpers ist
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es, die alles entscheidet; können wir sie erwerben und erhalten, so sind und bleiben wir eine Nation und ein Volksstaat; erwerben wir sie nicht, so bleiben wir die beherrschte Schicht eines politischen Bundes. Was immer uns von Unselbständigkeit, von Unreife und unpolitischem Wesen anhaften mag, wird hinweggeläutert, wenn wir begreifen und behalten: Staat und Land sind Res Publica, die Sache Aller, nicht die Sache von Einzelmenschen, Ständen und Klassen; jeder einzelne ist für diese Sache verantwortlich und haftbar wie für sein Selbst, Weib und Kind, Haus und Herd, Geschlecht und Namen.
Zum zweiten. Die Verminderung des europäischen Wohlstandes, die der Krieg herbeiführt, die Verschiebung des Besitzes und die Erhöhung der Lasten, die ihm folgen, werden allenthalben den Umfang und die Tragfähigkeit des oberen Mittelstandes schmälern. Mag der Reichtum noch so entschieden und bis an die Grenze dessen, was die heutige Wirtschaftsform zuläßt, belastet werden, so wird sich zwar merklich sein Gesamtvermögen, doch nicht in gleichem Maße die Zahl seiner Träger verringern, wenngleich durch teilweise Verarmung und Vermögensbildung ein Wechsel der Personen eintritt. Der Stand der Landwirtschaft wird ungeachtet vorübergehender Betriebserschwerungen kapitalistisch gehoben und der allgemeinen Lage entsprechend von schwereren Lasten verschont. Der untere Mittelstand und die Arbeiterschaft wird die gewohnten Existenzbedingungen gegenüber jeder Mehrbelastung im Lohnkampf zurückerobern. Ohne Ersatz bleibt der Stand der Rentenempfänger, Hausbesitzer, mittleren Geschäftsleute; er wird geschwächt, zum Teil proletarisiert, und der herabsinkende Teil der plutokratischen
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Schicht ist nicht breit genug, um ihn zu ergänzen.
Dieser mittlere Stand aber ist der Träger einer nicht gering zu schätzenden gelehrten, publizistischen und bürokratischen Intelligenz, in jüngerer Zeit auch eine der Quellen, die den Wirtschaftskörper mit wissenschaftlich gebildeten und kommerziell verantwortlichen Oberbeamten versorgen. Der Rückgang eines geistig unentbehrlichen Standes wird nicht nur seinen Gliedern eine dauernd schmerzliche Mahnung bleiben und zugleich einen empfindlichen Ausfall im gesellschaftlichen Organismus hinterlassen: Vor allem muß er zur Erkenntnis führen, daß ebenso wie unser Regierungskörper auch der Behälter unsrer Geistesarbeit auf einer zu schmal geschichteten Grundlage ruht.
Diese Erinnerung aber weist tief hinein in die Fehlerhaftigkeit unsres gesellschaftlichen Aufbaues, der grundsätzlich in urzeitlicher Form die Aufteilung der Verantwortungen an erblich geschichtete Kasten beibehält, gleichviel, ob diese sich quantitativ und qualitativ erschöpfen, während zu unterst die geistig unerprobte Masse des Volkes anschwillt, in der Gleichförmigkeit mechanischer Arbeit sich verbraucht und dem nationalen Dienst und Wesen entfremdet wird. Daß ein lebendiger Körper nur durch das organische Auf- und Absteigen der Kräfte und Säfte sich dauernd innerlich erneuen und erzeugen kann, daß an die Stelle der unorganischen Starrnis das organische Prinzip der Bewegung und des Wachstums treten muß, wird hier zum erstenmal und unabweisbar dem praktischen Empfinden bewußt werden.
Zum dritten. Der Krieg vernichtet endgültig die Ungebundenheit der Privatwirtschaft und bereitet künftige
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Formen der Gemeinwirtschaft vor, indem er fühlbar macht, daß Wirtschaftsangelegenheiten eines zivilisierten Staates nicht die Sache des Einzelnen, sondern die Sache Aller sind.
Bisher war die Einmischung des Staates in den privaten Wirtschaftsbetrieb gering. Sanitäre und soziale Fürsorge geboten die notwendigsten Einschränkungen und Belastungen, Handels- und Aktienrecht sicherten gegen die nächstliegenden Mißbräuche des Verkehrs, einige Regale waren dem freien Betriebe entzogen, Handelsverträge genügten, um den auswärtigen Tauschhandel zu regeln. Im Lichte der Forderung vom freien Spiel der Kräfte betrachtet, waren diese Beeinflussungen fühlbar und vielen unwillkommen. Im Sinne einer rationalen Gemeinwirtschaft waren sie geringfügig und primitiv. Die Beurteilung unsrer unvorbereiteten und dennoch im Entscheidenden glücklich improvisierten Kriegswirtschaft gipfelt häufig in der Klage der Überorganisation und in der Hoffnung auf spätere Entspannung. Überorganisiert sind wir freilich durch manchen ins Kleinliche gezogenen, mit Widersprüchen behafteten Ausbau, denn wir verwechseln leicht unsre stark entwickelte Organisierbarkeit mit Organisationsfähigkeit und tun des Guten zuviel im Verzetteln und Verordnen. Starke organisatorische Kräfte sind bei uns häufig im Eigenbewußtsein, weil Jeder im systematischen und schematischen Denken sich geschult fühlt; sie sind höchst selten in der Wirklichkeit, weil der Sinn für das Entscheidende, für die Ausschaltung des Unwesentlichen und für Menschenbeurteilung hohe Sonderbegabung und alte Schulung im Verfügen voraussetzt. Solcher Kräfte werden wir jedoch ernstlich bedürfen; denn wenn auch der Begriff des Umlernens in tausendfachen schulmeisterlichen
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Abwandlungen mißbraucht wurde: hierin wird er sein Recht behalten, daß wir niemals wieder in die alte Ungebundenheit der Privatwirtschaft zurückgleiten können, die den Nachkommen nicht minder eigennützig naiv erscheinen wird als uns die Praktiken aus der Zeit des Robert Macaire. Diese dritte Fernwirkung des Krieges, die Umstellung des Wirtschaftsbegriffes auf den Satz: Wirtschaft ist Sache Aller, bedeutet den ersten merkbaren Schritt ins Reich des Künftigen; er ist wert, daß wir im Einzelnen seine Bedingungen und Folgen erörtern.
1. Den mechanisierten Krieg entscheidet die Maschine: Schießzeug und Transportmittel. Die Umstellung der Gesamtindustrie des Landes, das Krieg führen will, auf Rüstungsarbeit wird gefordert. Rüstung bedeutet von nun an nicht mehr einen Vorrat an Waffen, sondern ein zum Arsenal umgeschaffenes Land, in dem alle Unbewehrten Rüstung schmieden. Rüstung aber besteht aus jedem erdenklichen Stoff, den die Erde erzeugt, und da seine Bestimmung ist, zu vernichten und vernichtet zu werden, so ist sein Ersatz die technische Grundaufgabe des Krieges.
Das Problem der Rüstung wird zu einem Problem der Arbeit und des Materials; der Ernst des Problems wächst zur Schicksalsbedeutung empor, wenn das kämpfende Land von seinen Feinden abgesperrt werden kann.
Es ist somit für den Staat von Bedeutung, dauernd zu beobachten und zu beaufsichtigen, was und wie in seinen Gebieten produziert wird, welche Stoffe zur Verfügung stehen, welche verwendet und welche erzeugt werden. Er dringt in das innerste Gewebe der Produktion, in die Werkstatt des Fabrikanten, in die Rechenkammer des Grundbesitzers, in den Geschäftsraum des
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Händlers. Er schafft Mobilmachungspläne für den wirtschaftlichen Feldzug, teilt Beamte und Arbeitskräfte zu, er kontrolliert die Arbeitsmethoden, denn es kann ihm nicht gleichgültig sein, ob Raum, Kräfte und Werkzeuge vergeudet werden, er kümmert sich um den Aufwand an fremden Rohstoffen und Hilfsmitteln, die nach Möglichkeit erspart oder ersetzt, wiedergewonnen, vorrätig gehalten und zugeteilt werden müssen. Ein neuer Begriff, der des Rohstoffschutzes, tritt ins Leben, der sich vom bekannten Industrieschutz wesentlich unterscheidet: Der inländische Rohstoff muß bevorzugt und verwendet werden, gleichviel ob es den nackten Rechnungsinteressen entspricht oder nicht, gleichviel ob er in der Gewinnung merklich teurer ist als der ausländische; Betriebsersparnisse, notfalls Beihilfen, müssen den rechnerischen Ausgleich schaffen. Die Elastizität der Betriebe, nämlich ihre Ausdehnungsfähigkeit und Umstellbarkeit im Kriegsfalle, muß dauernd geprüft und gefördert werden; wo die Opfer dieser Forderung gerechtes Maß überschreiten, müssen Subventionen, in letzter Linie Staatsbetriebe eingreifen.
Schon hiermit ist der freiwirtschaftliche Grundsatz durchbrochen, daß es jedem freisteht, sich Geld oder Kredit zu beschaffen, vor dem Notar eine Firma zu errichten und nun nach Belieben über die beschränkte Zahl der verfügbaren Werkzeuge und Arbeitsmittel, über die Arbeitskräfte des Landes, über seine eigenen oder die tauschweise überlassenen fremden Rohstoffe, ja selbst über die Wertbewegung der Valuten nach freiem Ermessen der jeweiligen Konjunktur zu verfügen. Kapital, Arbeitskräfte und Materien sind zwar nicht und werden nicht nach sozialistischem Rezept Eigentum der Gemeinschaft; wohl aber sind sie ihrem Schutze anvertraut.
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2. Der wirtschaftliche Nationalismus wird, wenn die Zeit der großen politischen und ökonomischen Kraftproben vorüber ist, möglicherweise rationaleren Anschauungen weichen. Die Bedeutung dieses Fortschritts soll man nicht überschätzen, denn die Periode der nationalen Überspannung wird — und dies könnte ihre wirtschaftsgeschichtliche Aufgabe werden — vermutlich den Nachweis erbringen, daß bei entsprechender Steigerung der Technik nahezu jeder Boden die seinen Bewohnern unentbehrlichen oder wünschenswerten Erzeugnisse zu wirtschaftlich erträglichen Bedingungen sich abtrotzen läßt. Der Ausgleich des Fehlbetrages wird, soweit wie möglich, durch Austausch eigener natürlicher Monopolprodukte erzwungen werden; Ausfuhrzölle und Ausfuhrmonopole werden bei Staatsverhandlungen die frühere Bedeutung der Einfuhrzölle gewinnen. Überdies werden große natürliche Wirtschaftsgruppen zu zollverbundener Gemeinwirtschaft sich zusammenschließen. Ein ästhetischer Vorteil wird überdies der uns noch widersinnig erscheinenden Absperrung zufallen: die mechanistische Verähnlichung der Verbrauchsgüter wird aufgehalten; und wie in früheren Zeiten der Reisende sich von Stadt zu Stadt, von Land zu Land an fremden Früchten, Gebäcken, Geräten, Kleidern und Bauten erfreute, so werden die Erzeugnisse eines jeden Landes die ihnen vom Boden zukommenden Eigenheiten zeigen, und nicht ein jedes Gut überall zu sehen und zu haben sein.
Wird mithin eine ferne Zeit der Rückkehr zum freien Weltaustausch mit geringerer Bewegung entgegenblicken als wir heute der Abschließung, so haben wir uns mit der Tatsache abzufinden, daß diese nationalistische Scheidung, gleichviel wie lange sie anhält, sich mit
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steigender Kraft fühlbar machen wird und demnach, wenn auch nur als Übergangsperiode, die herrschende Auffassung vom Privatcharakter der Wirtschaft umgestalten muß.
Die Ursachen der gewaltigen Wirtschaftstrennung, die uns bevorsteht, liegen offensichtlich da.
Der Krieg, wie er auch ausgehen mag, wird keiner einzigen Macht ihre letzten Wünsche stillen, ja nicht einmal einer einzigen ihre Opfer voll ersetzen. Wohl aber werden zu den alten Haßgefühlen neue, durch Schuldfragen geschärfte, erwachen, denn es gibt heute kein Paar, das in dieser furchtbaren Prüfung auf letzte Eigenschaften einander nichts vorzuwerfen hätte. Der Nationalismus erwacht nicht nur neu auf politischem, sondern vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Denn jeder wirft dem andern vor, er habe mit seinem Kalbe gepflügt; mit seinen Kapitalien, mit seinen Stoffen, mit den auf seinen Fluren gewonnenen und erhandelten Reichtümern habe er ihn bekämpft. Jeder fühlt, daß einige Jahrzehnte später der kahle Besitz, die brutale Wirtschaftskraft allein, fast ohne kriegerische Beweisführung die Überlegenheit besiegelt hätte; jeder fragt sich: wie konnten so ungeheure, nie vermutete Vorsprünge der ökonomischen Leistung errungen werden, und jeder antwortet: Ich habe selbst dazu beigetragen. Jeder fühlt, daß er bei gesonderter Wirtschaft manches teurer kaufen, auf manchen Vorteil des Absatzes und Handels verzichten wird; aber der Krieg hat an zwei Dinge gewöhnt: an Verzicht und an große Zahlen, und man will lieber verlieren, als die Gewinne des Andern fürchten, die politisch vernichtend werden können. Sollten selbst vertragliche Versprechungen bei Friedensschluß ausgetauscht werden, so gibt es für den Böswilligen
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keine Begrenzung der Schikane. Sanitäre, technische, verwaltungsmäßige Vorkehrungen stehen einem jeden frei, der Städte, Länder, Häfen, Kanäle, Kohlenstationen dem Freunde offen, dem Feinde verschlossen halten will, und dieser Maßnahmen wird es kaum bedürfen, denn der Haß von Volk zu Volk tut sein Bestes.
So stehen wir vor einer Epoche, die den wirtschaftlichen Nationalismus wo nicht an die Grenze der Binnenwirtschaft der Gruppen, so doch bis zu einer starken Verminderung des internationalen Austausches steigern wird. Da gewinnt die Handels- und Zahlungsbilanz eine Bedeutung, wie sie kaum zur Zeit der ältesten französischen Wirtschaftslehre auf andrer Gedankengrundlage ihr zugesprochen wurde; es entsteht ein neuer Begriff: der Neomerkantilismus.
Auf die Dauer kann kein Land, soweit es nicht Empfänger ausländischer Renten ist, seine Einfuhr anders bezahlen als mit Waren, denn der Gesamtbetrag seiner Umlaufsmittel reicht kaum für die Deckung einer Quartalsrechnung hin. Ausfuhr ist somit weder Selbstzweck noch eine Art von Übermut der Wirtschaft, wie manche glauben, sondern Schuldenzahlung; nicht die Ausfuhr ist das primär bestimmende Element der Wirtschaftsbeziehung, sondern die Einfuhr. Würde aus irgendeinem Grunde die Ausfuhr unterbunden, während die Einfuhr unentbehrlicher Stoffe andauerte, so würde das Land seine Wertschriften und Besitztitel exportieren müssen und somit allmählich die wirtschaftliche Oberhoheit den Fremden ausliefern, das heißt verbluten.
Was gemeinhin bei Verbrauchsaufwand und Bezahlung gilt, das gilt auch hier: Meinen Importverbrauch kann ich bestimmen; die Art der Exportzahlung bestimmt der Andre. Es steht ihm frei, mein Güterangebot zu
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verschmähen, sei es, weil die Art, sei es, weil der Ursprung ihm nicht gefällt, er kann es beliebig entwerten, indem er ihm Zollschranken entgegensetzt, die einseitig den Verkäufer belasten, sofern er nicht Monopolware anzubieten hat. Wirksamer noch als Zollschranken können Schranken der Schikane, der Handels- und Verkehrsbehinderung, ja selbst des nationalen Eigengefühls aufgerichtet werden, indem dieses dazu gebracht wird, unter Preisopfern der einheimischen Erzeugung freiwillig den Vorzug zu geben. Die Entwertung des Zahlungsmittels aber bedeutet Verteuerung des Einkaufs, und da dieser vor allem die unentbehrlichsten Grundprodukte umfaßt, kommt das betroffene Land in die Lage, unökonomischer als andre zu produzieren und somit abermals an Ausfuhrkraft einzubüßen.
Wiederum also, wie vor zweihundert Jahren, richtet sich das Interesse der Volkswirtschaft auf die Handelsbilanz, wenn auch aus verändertem Antrieb. Von der aufgezwungenen Tendenz zur Binnenwirtschaft geleitet, zieht der Neomerkantilismus nicht mehr die Ausfuhr und den Golderwerb, sondern die Einfuhr in den Mittelpunkt der Betrachtung.
Während bis dahin es selbstverständlich schien, daß ein jeder berechtigt sei, im Ausland zu kaufen und einzuführen, was ihm gefiel, kommt jetzt zu Bewußtsein, daß jeder Auslandskauf die Gemeinschaft belastet, daß somit jede importierte Maschine, Perle oder Champagnerflasche nicht nur fremde Arbeitskräfte ernährt und einen Teil des Nationalvermögens opfert, sondern auch die künftige Gemeinschaftsproduktion erschwert, indem diese gezwungen wird, nicht nach eigenem Bedarf und Ermessen zu erzeugen, was ihr angemessen ist, sondern nach fremdem Gutdünken, was sie schuldet
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und was man ihr abnimmt. Im äußersten Grenzfall könnte es geschehen, daß reiche Leute soviel Luxuswaren einführen, daß an Nahrungsmitteln und Rohstoffen Mangel entsteht; wenn nämlich gerade diese es sind, die das Ausland, gestützt auf die entsprechende Valutenverschiebung, zu entnehmen geneigt ist.
Diese neomerkantilen Erwägungen werden zu dem bestehenden landwirtschaftlichen und industriellen Schutz, zu dem besprochenen Rohstoffschutz noch einen allgemeinen Importschutz verlangen, der sich auf alle irgendwie entbehrlichen oder ersetzbaren Güter, auf alle Produkte, die sich in leidlichen Surrogaten im Inland wiederholen lassen, vor allem aber auf sämtliche Luxuserzeugnisse erstreckt.
Wir haben vorhin auf einen ästhetischen Nutzen der angenäherten Binnenwirtschaft hingewiesen; hier entsteht, zunächst für eine Übergangszeit, ein bemerklicher ästhetischer Schaden. Ist schon jetzt die mechanisierte Ausbildung der künstlichen Verbrauchsgüter mit Ausnahme der technischen, traurig genug in ihrer Erscheinung, aus Gründen, die wir wiederholt dargelegt haben, so wird eine Wirtschaft der Verbilligungen, der Surrogatwaren, der täuschungslustigen Nachahmungen entstehen, die der anspruchslos verzichtenden Naivität der vergleichbaren Biedermeierzeit entbehren wird. Auch hier bedarf es des Vertrauens zum guten menschlichen Willen und zum gesunden nationalen Empfinden, um in allmählicher Anpassung aus der Not eine Tugend von neuer Tönung und Charakteristik zu erhoffen.
So geht aus dem Begriff der nationalen Wirtschaftssonderung eine zweite Durchbrechung des privatwirtschaftlichen Prinzips hervor.
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3. Keine Nachwirkung des Krieges, jede mögliche politische Verschiebung eingeschlossen, wird an Bedeutung der innern Vermögensumschichtung und der zeitweiligen Verarmung der europäischen Länder gleichkommen. Von den gesellschaftlichen Folgen haben wir gesprochen; das wirtschaftliche Problem der Kapitalneubildung, das erschwert ist durch die Entstehung eines Staatsrentnerstammes, durch den Verlust an Arbeitskräften und Intelligenzen, durch kommende Belastungen des Verkehrs und erhöhte innere Reibung, tritt uns neu entgegen.
Die Notwendigkeit längerer und strengerer Arbeitsanspannung ergibt sich von selbst, doch sind ihr Grenzen gesetzt. Bedeutsamer und wünschenswerter sind Erhöhungen des Nutzeffekts in der Ausnutzung der Arbeitskräfte, der Rohstoffe, der Werkzeuge, der Wirtschaftsmethoden und der Kapitalien. Diese Fragen, mit unvollkommenem Einschluß der letzten, waren bislang dem Erwerbstrieb und der freien Konkurrenz anheimgegeben; sie durften es bleiben, solange die Zunahme des Wohlstandes jeden gestellten Anspruch übertraf. Da nun, weit mehr als zuvor, die nationale Macht von materieller Rüstung, das Maß der Rüstung ohne Rücksicht auf zeitweiligen Wohlstand, von der kriegserprobten Konkurrenz der Mächte abhängig geworden ist, hat die Wiederherstellung und Mehrung des nationalen Reichtums politische, von der Staatsgemeinschaft zu verantwortende Bedeutung gewonnen.
Die Einwirkung des Staates wird da einzusetzen haben, wo entweder unter besonderer Gunst der Verhältnisse die freie Konkurrenz letzte Anspannungen bisher nicht erforderte, oder wo die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht, um den Wirtschaftskreis umzugestalten, oder wo
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das zeitweilige Interesse des Individuums dem dauernden Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.
Das Nächstliegende ist, daß technische und landwirtschaftliche Betriebe auf ihre Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Veraltete, Kraft, Stoff und Arbeit vergeudende Einrichtungen können erneuert, oder, falls dies nicht lohnt, Betriebe geschlossen und zusammengelegt werden. Krafterzeugungen werden zentralisiert. Syndikate werden unter Aufsicht gestellt. Soweit sie dazu dienten, zersplitterten, schlecht gelegenen oder unvorteilhaft verwalteten Betrieben zur Last des Verbrauchers eine künstliche Lebensfähigkeit zu erhalten, können sie dazu angehalten werden, mangelhafte Werke stillzulegen. Für sparsamen Rohstoffverbrauch und jede mögliche Wiedergewinnung können Berufsvereinigungen haftbar gemacht, Kleinbetriebe, denen es an vervollkommneten Arbeitseinrichtungen mangelt, können zu Genossenschaften vereinigt werden.
Bedeutungsvoller und schwieriger als die Ausgestaltung der Einzelwirtschaften ist die wirkungsteigernde Ausbildung der wirtschaftlichen Gesamtmethoden und Gebräuche, die tief in die Gewohnheiten der Verbraucher eingreifen.
An sich ist es gleichgültig, ob eine Zigarre oder Haarnadel auf dem Wege vom Erzeuger zum Verbraucher sich um einen Teil oder ein Mehrfaches ihres Wertes verteuert; selbst bei einem Gewebzeug ist dies nicht wichtig, sofern es sich nicht um den unentbehrlichen Bedarf der Armen handelt; bei Luxuswaren ist es eher wünschenswert, wenn ihr Verbrauch sich durch Teuerung einschränkt. Wesentlich aber im Gemeinschaftsinteresse ist es, daß nicht Hunderttausende von Händen und Köpfen mißbraucht werden, um durch
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Warten, Anpreisen, Sortieren, Reisen, Überlisten und Überreden den Gang der Ware zu begleiten; daß nicht in ungezählten Groß- und Klein- und Zwischenlägern Milliarden des Nationalvermögens sich zinslos und nutzlos stauen. Vielleicht würde etwas weniger Tabak verbrannt, wenn nicht an jeder Straßenecke zwei schwach beschäftigte Beamte in zinsfressenden Lägern und Ladeneinrichtungen auf einem Boden, der vom Mietpreis jährlich mit Silber neu gepflastert werden könnte, auf Käufer warten; vielleicht würde weniger Seife und Schreibpapier verkauft, wenn der Kunde zweihundert Schritt weiter zu laufen hätte; vielleicht würde der Kleinhandel in Wirkwaren anstrengender sein, wenn die Besitzerin zweimal im Jahr ein Sammellager aufsuchen müßte, statt zweimal in der Woche von einem beredten Reisenden begrüßt zu werden. Es ist möglich, daß Damen es beklagen würden, wenn jährlich einige Zehntausende neuer Stoffmuster weniger auf dem Markt erschienen, von denen die Hälfte, vom Publikum abgelehnt, verschleudert werden muß und den normalen Konsum mit ihren Kosten belasten. Es ist möglich, daß der organisierte Reklamewettkampf völlig gleichwertiger Verbrauchsartikel die Millionenaufwände durch eine mäßige Absatzsteigerung lohnt: doch alle diese Fragen betreffen die Interessen einzelner, nicht der Gesamtheit. Für sie kommt allein die Rettung und Ersparnis nationaler Arbeitskräfte und Kapitalien in Betracht, sie wird zu erwägen haben, ob durch Genossenschaften von Erzeugern, Händlern und Verbrauchern, durch Vereinbarungen über Musterbeschränkung, Gemeinschaftsläger, Kreditnormalisierung, durch Rationierung der Kleinverkaufsstellen und Festlegung der Zwischenarbeit wie der Zwischengewinne die Handelsmethoden
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und Gebräuche des Landes umzugestalten sind, um ungezählte Arbeitskräfte produktiv zu machen, Lageransammlungen, Warenverderb und Verteuerung zu vermeiden.
Das Verfügungsrecht der Gemeinschaft über die Arbeitskräfte des Landes kann ausgedehnt werden. Heute steht es jedem Wohlhabenden frei, arbeitslos zu bleiben, somit von der Gemeinschaft ohne andre Gegenleistung als die Darleihung seiner Mittel sich ernähren zu lassen, es steht ihm frei, ohne Begabung und Leistung einen der freien Berufe zu ergreifen und unter Anspruch einer gehobenen gesellschaftlichen Stellung ein nicht einmal durch Betrachtung gerechtfertigtes müßiges Leben zu führen; ja mehr als das, es darf ein jeder beliebige Mengen von Arbeitskräften dem Lande entnehmen und, sofern er sie bezahlt, für jeden ihm geeignet scheinenden Wirtschaftsbetrieb, gleichviel ob er nötig oder überflüssig ist, verwenden; er darf, wenn er sich gebührend bereichert hat, eine ebenso beliebige Arbeiterzahl zu seiner persönlichen Bedienung in Anspruch nehmen und der Landesproduktion entziehen. Wenn die Not es fordert, werden auch diese Gebräuche zu erörtern und zu beschränken sein.
Ohne Aufschub jedoch sind Mißstände abzustellen, die die Freizügigkeit des Kapitals betreffen. Mit diesem Begriffe soll das Recht bezeichnet werden, das heute jedem zusteht, seinen Teil am Nationalvermögen nach freiem Ermessen im Inlande oder im Auslande anzulegen. Dieses Recht führt dazu, daß Private, Kreditinstitute oder andre Erwerbsgesellschaften je nach Lage des Kapitalmarktes Wertschriften des In- und Auslandes nach freiem Ermessen feilbieten, ohne andre Kontrolle als die einer ausreichend erscheinenden Sicherheit
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oder einer oberflächlichen politischen Prüfung hinsichtlich der Beziehungen zum leihenden Auslandsstaat. Gewährte dieser Staat einige industrielle Aufträge, so bedachte man nicht, daß der Gewinn den Erwerbspreis nur um ein geringes verbilligte, und nahm es gerne hin, daß der Empfänger mit dem Ertrage des Leihkapitals eine Wirtschaft begründete, die fremde Arbeiter und Beamte ernährte und fremde Produktionen befruchtete. Man war zufrieden, daß das der heimischen Wirtschaft entzogene Kapital sich um einen Bruchteil höher als landesüblich verzinste.
Die Sorge um die Neubildung des Kapitals wird zu der Erwägung führen, daß nicht das Zinsangebot allein über Investitionen entscheiden darf. Auch im Inland ist das gemeinwirtschaftliche Bedürfnis zu prüfen, das im allgemeinen, doch nicht in jedem Einzelfall seinen Maßstab in der Rente findet — sonst wäre eine Spielbank eines der dringendsten Wirtschaftsbedürfnisse —; Kapitalausfuhr jedoch sollte niemals eine Frage des Zinsfußes, sondern der entschiedensten politischen und ökonomischen Gegenleistung sein und nur im Ausnahmefall bewilligt und von den politischen Behörden genehmigt werden. An die Stelle der Freizügigkeit des Kapitals tritt der Schutz.
4. Die Umschichtung der Vermögen als Folge der Kriegswirtschaft findet ihren Ausdruck im Wachstum der Staatsschuld. Beträge in der Höhe der früheren jährlichen Nationalersparnis sind von der Gesamtheit aufzubringen und an Rentenempfänger abzuliefern, die freilich auch ihrerseits mit einem Anteil an der Aufbringung beteiligt sind. Mit andern Worten: Der Gesamtertrag der Ersparnis fließt durch die Hände des Staates zum Zweck neuer Aufteilung.
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Daß die Aufbringung solcher Beträge nicht mit alten Mitteln erreicht werden kann, liegt auf der Hand. Gleichviel ob der Weg der teilweisen Vermögenseinziehung, der Erbschaftssteuer, der Monopole, der Rentensteuer, der Verkehrs- und Produktionsbelastung oder der Summe dieser Finanzmittel beschritten wird: der Vermögensbegriff kommt ins Wanken. Es festigt sich die Vorstellung, daß der Staat nicht als Kostgänger der Privaten mit einem notdürftigen Zehnten abzufinden ist, sondern daß er nach freiem Bedarf über Besitz und Einkommen seiner Glieder verfügt. Wird überdies im Falle einer Vermögenskonfiskation oder einer Monopolwirtschaft der Staat Eigentümer und Verwalter ungezählter wirtschaftlicher Einzelinteressen, die er, soweit es ihm gutdünkt, auf halbstaatliche oder gemischtwirtschaftliche Institute abwälzen mag, so ist die letzte der Schranken gefallen, welche die Privatwirtschaft als scheinbare Sache des Einzelnen von der staatlichen Sache der Gemeinschaft schieden; und gleichwie alles materielle Schaffen schlechthin, wird Wirtschaft erkennbar als mittelbare oder unmittelbare Staatshandlung.
Von der Dauer und Beendigungsform des Krieges allein wird es abhängen, in welchem Zeitmaß und Umfang die Gestaltungen, die wir betrachtet haben, sich verwirklichen werden. Wir gingen davon aus, daß sie nur als vorbereitende Erscheinungen zu würdigen sind; denn ein zeitliches Ereignis, mag es noch so gewaltige Ausmessungen gewinnen, kann vorbereitend, beschleunigend, auslösend wirken; das menschliche Herz vermag es nicht zu wandeln. Die großen Schritte der Menschheit aber werden von den Wandlungen innerster Gesinnung bestimmt, nach Bewegungen letzter Gesetze. Wenn es überhaupt eine vom Willen bewegte Macht
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gibt, die in diese Tiefen dringt, so ist es die Erkenntnis. Und ist auch dieses Täuschung: so daß in Wahrheit die Erkenntnis nichts bewegen kann, sondern nur als begleitende Harmonie der gesetzten Urbewegung folgt, so bleibt unsre Pflicht unverändert, die Klarheit der Erkenntnis zu suchen, mit der gleichen Freiheit und Verantwortlichkeit im harmonischen Verbande, als wäre unsre Stimme die führende Melodie.
Nehmen wir also die Folgen des Krieges, so hart oder leicht sie werden mögen, als vorbereitende Erscheinungen hin, so bleibt ihre Tendenz, die auf übermächtiges Erstarken des Staates gegenüber dem Individualwillen zielt, eine solche, die mit erneutem Nachdruck das Werden des Volksstaates fordert. Denn solche Machtfülle einerseits, solche Hingabe anderseits kann nicht von Klasse zu Klasse, sondern nur vom Volk zu sich selbst verlangt und gewährt werden. Es wäre das schwerste Unrecht und die ungeheuerste Verantwortung, wenn nach orientalischer Art erbliche Kasten die Vormundschaft gottähnlicher Macht sich anmaßten und namens der Gottheit Opfer verlangten, die der Priester verzehrt.
Wir haben den Volksstaat als zeitliche und unabweisbare Forderung Deutschlands an sich selbst erkannt und durchleuchtet. Wir haben die politischen Eigenschaften der Deutschen geprüft und vor allem die hemmenden beachtet. Wir haben die einleitenden und in die Ferne weisenden Folgen des Krieges erörtert, und empfunden, wie das Ruhende in Bewegung gerät. Ehe wir nun den letzten Teil unsrer politischen Aufgabe antreten, die Erwägung der Entschlüsse und Maßnahmen zur Verwirklichung des Zieles, haben wir die seltsame Bemerkung vorauszuschicken und zu begründen, daß diese
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letzte, durchaus praktische Erwägung trotz ihrer scheinbaren Eindeutigkeit keineswegs die entscheidende ist; ja wir werden einen Schritt weitergehen und versuchen, eine Anzahl der ältesten und volkstümlichsten politischen Grundbegriffe zu Falle zu bringen.
Wenn jemand einen Wald aufzuforsten hat, so wird er eine gesunde Lage und geeigneten Boden wählen. Den örtlichen Verhältnissen wird er die Baumart anpassen und weder Oliven noch Zypressen in der Mark anpflanzen. Ein geschultes Forstpersonal wird für die Abwehr von Schädlingen, für den Schutz der Schonung und geeigneten Umtrieb sorgen. Das übrige wird er Licht und Sonne, Regen und Frost anheimgeben, und ohne in den Kampf der Pflanzen und Insekten, der Stämme und Kronen einzugreifen, wird er für Kinder und Enkel das Laubdach sich breiten sehen. Wenn jemand eine Anzahl von Wirtschaftsunternehmungen zu verantworten hat, so wird er ihnen die Grundlagen ebnen, ihre Ziele stecken, ihnen die Grundsätze einprägen, die ihm wichtig scheinen, Sparsamkeit oder Ausdehnungslust, Intensität oder Vielseitigkeit, doch wird er nicht ohne zwingende Not in die Verzweigungen des Organisationsausbaues eingreifen, den seine berufenen Verwalter schaffen.
Wiederholt haben wir von der Atmosphäre des Staates im Gegensatz zu seinen starren Einrichtungen gesprochen. Diese Atmosphäre nährt sich von den Willensimpulsen, Überzeugungen, Wertungen und Haltungen der Völker; unter ihrem Druck sterben ungemäße Einrichtungen und Gesetze ab, andre werden mit neuem Inhalt erfüllt, andre erwachsen. Sie selbst aber stammt nicht aus Einrichtungen, wenn sie auch eine Zeitlang von Einrichtungen gehemmt und verdüstert werden
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kann. Es ist falsch zu glauben, daß Einrichtungen von eindeutiger Notwendigkeit sind; ein Unternehmen verliert seinen schöpferischen Leiter: unter seinem Nachfolger schlägt es neue Richtungen ein; der Sturm fällt den Hauptast eines Baumes: der Nebenast begrünt sich stärker und wird zum Hauptast; ein Staat wird im Kriege besiegt und gewinnt neue Aufgaben und Bildungen. Voraussetzung ist Lebenskraft und Umwelt, bestimmend ist Bewußtseinsinhalt und Wille, vieldeutig, doch stets zum Schicksalsziele führend ist Bau und Wachstum.
Deshalb ist es irrig, scheinbare Grundformen der Verfassung als primär entscheidende Erscheinungen hinzustellen: Aristokratie und Demokratie, Parlamentarismus und Absolutismus. Wenn jemand mich fragt, ob ich Demokrat oder Absolutist sei, so kommt es mir vor, als ob er im Sinne der Scholastik mich auf Nominalismus oder Realismus prüft; ich kann nur das vedische „nein, nein!“ ihm entgegenrufen. Eine radikale Demokratie kann sich als versteckter Absolutismus oder plutokratische Oligarchie enthüllen, ein absolutes Staatswesen als leicht überdeckte zügellose Herrschaft des Haufens. Jede dieser Kategorien, auf reinste Form gebracht, wird vollkommen sinnlos: Niemals kann ein Einzelner alle Macht haben, er sei denn unendlich; niemals kann ein Demos eigentlich regieren, er höre denn auf, Demos zu sein. Die Institutionen zivilisierter Staaten, mögen sie verschiedene Namen und äußere Formen tragen, sind in der Zusammensetzung ihrer verwickelten Gleichgewichte ähnlicher als man vermutet, weit verschiedener ist der Geist, der sie erfüllt. Im allgemeinen reifen sie, indem sie sich von ihren Ursprüngen hinwegbegeben, die Republiken, indem sie konservativ werden, die Monarchien, indem sie sich liberalisieren.
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Wenn das Gewissen des deutschen Volkes es wollte, so würde ohne Änderung einer Zeile des geschriebenen Rechts — einschließlich des preußischen Wahlrechts — jeder Wunsch des werdenden Volksstaates erfüllt. Denn dränge der Ruf nach Verantwortung und Freiheit, der diese Schrift erfüllt, durch tausend hellere Stimmen erhöht und gekräftigt in die Seelen der Deutschen, so würde allen materiellen Sonderinteressen zum Trotz alles parteiliche Denken so stark ergriffen, daß unabhängig von aller Geometrie und Arithmetik der Wahlen die rechten Männer gefunden und die rechten Gedanken verwirklicht würden. Die Parteien wären eben dann nicht mehr, was sie heute sind: Interessenprogramme mit phraseologischer Entschuldigung, sondern die natürlichen Gegensätze des Wie auf dem gemeinsamen Boden des Was.
Indem ich unbedenklich dem trägen Bekenntnis zum Bestehenden dieses starke Argument überliefere, gedenke ich um so vertrauensvoller der Jugendkraft unsres neugemischten und neuerprobten Volkes, dem es zwar auf den Wein ankommen wird und nicht auf die Schläuche und das dennoch einige der verbrauchten erneuern wird, damit nicht zuviel des Geistigen ungenossen verrauche. Deshalb hinweg mit den gefürchteten Gespenstern der Demokratie und des Parlamentarismus, der Oligarchie und des Absolutismus!
Auch der strengste Absolutismus ist Demokratie, wenngleich in gefälschten Formen. Der absolute Dynast hat das Recht und die Macht, jeden Teil seines Volkes, auf den sein Blick sich gerade richtet, zu zertreten und zu vernichten. Jedoch der unzertretene Teil — und alle zertreten kann er nicht — beherrscht ihn selbst und herrscht durch ihn, wenn auch unter Wahrung byzantinischer
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Formen. Absolutismus ist Volksherrschaft eines Volksteils über den andern, und diese Partialdemokratie stuft sich ab bis zu der feudalen oder plutokratischen Vorherrschaft konstitutioneller Monarchien. Man wende nicht ein, daß die Person des Dynasten gewissermaßen ein Drittes, eine selbständig auftretende Singularmacht sei. Kaum an den großen Wendepunkten von Krieg und Frieden kann die Person eine solche freie Schicksalsmacht zum Glück oder Verhängnis entfalten; der Bau des neuzeitlichen Staates ist so unendlich verzweigt, daß jene dritte Macht zur dauernden Wirksamkeit nicht gelangen kann, auch wenn sie die kontinuierliche Genialität der Unabhängigkeit in sich trüge. Vor Zeiten konnte der Dynast die dritte Politik, etwa die der Hausmacht oder der Kirche oder eines Fremdstaates oder der gutsväterlichen Erziehung verkörpern; heute herrscht durch ihn hindurch ein Volksteil über den andern. Einer Oligarchie geht es nicht besser; auch sie kann ihren Plutokratismus nur durch Gefolgschaft zur Geltung bringen; ein von ihr beherrschter, in Wahrheit sie beherrschender Volksteil muß hinter ihr stehen, damit die Restmasse geknechtet werden kann.
Ebenso ist Demokratie als reiner Begriff unmöglich, es sei denn in jenen seltenen und kurzen Zeiten des Überganges, in denen ein Pöbel, und zwar ein sehr oligarchischer, das Volk beherrscht, während für eine Spanne die herkömmliche Autorität unsichtbar wird. Gibt es überhaupt geordnete Formen der Regierung — und ohne sie könnte heute ein zivilisierter Staat nicht länger als wenige Monate auskommen —, so kann niemals das Volk diese Regierung ausüben. Es bleibt ihm nichts übrig, als seine Mächte zu übertragen, nämlich an Vertrauensleute, und so eine jeweilige Oligarchie und Absolutie
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zu schaffen, der es doch wohl oder übel die stärksten Rechte gegen sich selbst einräumen muß. Und nun erheben sich vielfach jene Mißstände, die uns Deutschen als spezifisch demokratisch erscheinen und unsre große Abneigung gegen diesen Scheinbegriff erwecken. Das Volk kann, sooft es will, seine Vertrauensmänner in ihrer Berufsarbeit stören, sie durch unsachliche Kontrollen ermüden, sie zur Unzeit abberufen, unfähige Lieblinge mit Ämtern betrauen. Der Kampf um die Macht beginnt und wird zügellos. Lärmende Wahlkampagnen setzen ein, Bestechung der Wähler wird geübt und aus der Korruption der Ämter bezahlt; der Schwätzer und Schreier, der Abenteurer und der Krösus, Advokaten, Journalisten, Spekulanten und Generale balgen sich um die Macht und das Geld. Daß diese Dinge mit veränderten Namen auch in Monarchien sich abspielen können: als Ministervergeudung,Dilettantismus, Regierungsstörung, Intrige, Kriecherei, Bluff, Bestechung, Kamarilla, Militärherrschaft, Klassenjustiz, und wie sonst die Gegenstücke heißen mögen, dies berührt uns nicht. Es berührt uns nicht, daß auserlesene Dynasten diese Verbrechen in gewissen Grenzen zügeln können, daß gute Demokratien, wie etwa die der Schweiz, der Niederlande, des schwedischen Reichs, der Hansastädte und vieler deutscher Kommunalverwaltungen sie niederhalten. Diese Dinge haben nicht mit der Form, sondern mit dem Wesen zu tun, sie sind Geisteszüge der Völker, denen sie entspringen. Was uns betrifft, ist dies: Auch die Demokratie ist nicht Herrschaft des Volkes, sondern die Beherrschung eines Volksteiles durch den andern; meist des ländlichen durch den städtischen, des permanent armen durch den permanent reichen, des ungebildeten durch den halb gebildeten oder zivilisierten.
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Die anscheinend so tiefgreifenden Gegensätze der Verfassungsform dringen also nicht ins Innerste. Sie haben sehr ähnliche Lasten und Tugenden, sie haben sehr verschiedene Formeln und Riten; sie sind in guten und schlechten, kraftvollen und schwachen Vorbildern wirksam: aber sie sind an sich darin gleich, daß sie das Volk in herrschende und beherrschte Massen spalten.
Da nun neue Vorstellungen sich deutlicher einprägen, wenn sie an einen neuen Klang gebunden werden, so mag der Begriff der Organokratie den Anspruch ausdrücken, den der Volksstaat an sein Verfassungsgebilde, gleichviel ob es dynastische oder demokratische Außenformen trägt, zu stellen hat; wobei doch niemals vergessen werden soll, daß auch im Lichte dieses Begriffes nicht der Buchstabe entscheidet, sondern der Volksgeist.
Der Begriff aber bedeutet, daß überhaupt kein Ruhezustand beherrschter und herrschender Massen eintreten darf, sondern daß das organisch bewegte Leben im Auf- und Abstieg der Geister und Kräfte herrscht. Jedes Glied der Nation ist aufgerufen zu Herrschaft und Dienst, Verantwortung und Leistung. Nirgends darf der Geist versumpfen und nirgends verschmachten. Jeder zureichenden Kraft muß ihr Anspruch auf Bildung und angemessene Arbeit gewährt sein; es herrscht nicht Gleichheit der Rechte und Pflichten, sondern Gleichheit des Zutritts; es besteht kein gemeiner Anspruch auf Auserwählung, wohl aber auf Berufung. Das Volk herrscht nicht und regiert nicht, doch bildet es den stets sich erneuenden Urstoff der Herrschenden und Regierenden, mit Ausnahme der Monarchie, die losgelöst und erblich für sich allein steht, auch wenn es ihr nicht verwehrt sein sollte, ihren Stamm durch gesundes Volksblut zu erneuen. Immer werden erbliche Vorzüge erhalten
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bleiben, denn Gesinnungen, Erfahrungen, Bildung und Begabung können sich vererben; doch um wirksam zu sein, bedürfen sie des Beweises; aus Abstammung allein dürfen ebensowenig erbliche Tugenden und Veranlagungen wie Laster und Entartungen gefolgert werden. Volksbildung und Erziehung wird schlechthin die höchste aller innern Aufgaben, die sorgsamste Auslese und Fortbildung jeglicher Begabung zur Grundlage aller sozialen Arbeit. Religion und Kult genießen die Unterstützung des Staates, jedoch unter freier Entwicklung ihrer Lehren; niemandem steht das Recht zu, die seelischen Güter der Nation im gemeinen Interesse ständischer oder gesellschaftlicher Abhängigkeiten zu mißbrauchen.
Der Einwand des Utopismus, der an dieser Stelle mit Sicherheit zu erwarten steht, kann dialektisch niemals widerlegt werden. Wer im Leben gewohnt ist, Entschlüsse zu fassen und durchzuführen, die der Kritik und Voraussage unterworfen sind, weiß, daß dem hoffnungsvollen Gedanken stets das unerbittlichste „Unmöglich“ entgegengehalten wurde. „Uferlose Pläne“, „weites Feld“, „großzügig gedacht aber unrealisierbar“ sind die Stichworte aller unproduktiven Einwendungen und haben manchen Entschluß getötet. Nur möge man sich fragen, unter welcher Gefühlstönung des Vernehmens denn überhaupt Starkes und Gutes in die Welt treten kann. Unter Zustimmung niemals, denn jeder stimmt nur dem zu, was ihm geläufig ist; was aber als Forderung geläufig ist, das ist falsch, denn. wäre es das nicht, so wäre es ja durch die übereinstimmende Meinung längst verwirklicht. So sind denn jene geringschätzenden Ausrufungen stets der Gruß der Welt an das Gute gewesen, und jeder, der es brachte, hat ihn erfahren;
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was nicht diesen Gruß empfängt, das kann nichts taugen.
Auch ich weiß, daß dieser Satz nicht umkehrbar ist; es gibt Dinge, die uferlos erscheinen und es auch sind Doch bleibt es von Wert, wo innere Gewißheit spricht und Beweise versagen, die Zuversicht zu rechtfertigen, die aus einigen Erfahrungen die Kraft nimmt, nicht gleich beim ersten Weheruf „Utopien!“ in die Knie zu brechen.
Beweisen freilich läßt sich die Möglichkeit nicht; einen Staatsaufbau zu schaffen, der als ein lebendiger Organismus seine edelsten Kräfte aus allen Schichten des Volkskörpers zieht und sich die Aufgabe stellt, aus sechzig Millionen Menschen jederzeit ein Aufgebot von Genialitäten, Begabungen und Charakteren zu erzeugen das die napoleonischen Ernten verdunkelt; einen Aufbau, der unbeschadet der Verschiedenheiten menschlicher Anlagen und Pflichten nur freie, ihr Schicksal selbst bestimmende Menschen umfaßt. Beweise gibt es nicht, doch Analogien. Von allen großen und blühenden, sich selbst organisch erneuenden Menschheitsgebilden greife ich ein deutsches heraus: die preußische Armee.
Daß der berufliche Eintritt in diesen Organismus nicht jedem freisteht, ist bekannt und kommt hier nicht in Betracht; hier handelt es sich um den Vorgang der freien und selbsttätigen Auslese vom Leutnant bis zum Generalstabsoffizier, Regimentskommandeur und Brigadier; oberhalb dieser Grenzen setzen andre Prinzipien der Selektion ein, die nicht zur Erörterung stehen. Der Weg der Prüfungen und Beobachtungen, das System der kriegsakademischen, praktischen und stabsmäßigen Ausbildung ist bekannt; nie ist in Zweifel gezogen worden, daß diese Formung aus Zehntausenden von Kräften
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fast restlos die stärksten zu entscheidenden Verantwortungen emporleitet, die ungeeigneten aussondert und die mittleren zu normalen Aufgaben anhält. Da das feudale Prinzip bei der ersten Auswahl der Zuzulassenden sich bereits hemmungslos betätigen konnte und somit die Normalisierung der Gesinnung den ganzen Körper umfaßt, scheidet innerhalb des Selektionsvorganges selbst jede Standesrücksicht aus, die Auslese ist mithin, so erstaunlich dies klingen mag, eine demokratische, nicht in dem abwegigen Sinne, daß der Aufstieg durch Majoritätswahlen erfolgt, sondern der Art, daß eine durch keinerlei Standesvorrechte bestimmte Vorgesetztenschicht aus einer gleichartigen Subalternschicht sich ständig nach pflichtmäßiger Auswahl ergänzt und erneut, und zwar, was entscheidend ist, ohne, Eingriff von außen, ohne Monopol der Anciennität und Beschränkung der Konkurrenz der einmal zugelassenen Zehntausende. Selbst den beiden unmilitärischen Königen, dem zweiten und vierten Friedrich Wilhelm, ist es nicht widerfahren, daß der Geist der Armee erschüttert wurde; der Körper ist so gesund, die Methode so vollkommen, daß selbst unter gebrochener Spitze das organische Wachstum fortlebt.
Diese kurze kritische Betrachtung politischer Grundbegriffe darf nicht geschlossen werden ohne einen Hinblick auf das Wesen des Parlamentarismus; denn trotz aller berechtigt wachsenden Abneigung gegen die Volksvertretungen aller Staaten wird ihnen eine neue und bedeutende Aufgabe erwachsen.
Ursprünglich ständische Versammlungen, die Lasten und Auflagen bewilligten und verteilten, sind auf dem Wege der Substitution des Grundes zu gesetzgebenden, in parlamentarischen Staaten zu regierenden Körperschaften
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geworden. Aus der Ursprungszeit ihrer ständischen und örtlichen Interessenvertretung haftet ihnen zumeist noch der völlig sinnlos und schädlich gewordene Modus der Bezirkswahlen an, der die Minoritäten vernichtet, das Land in zahlreiche, falsch abbildende Atome zersplittert und den Wahlakt verderbt. Die vorgestellte Wirkung der Parlamente äußert sich in der Übertragung der Mächte; das Volk überträgt die gesetzgebende Gewalt, soweit sie ihm zusteht, auf eine Versammlung, die Versammlung überträgt, im Falle des parlamentarischen Systems, die Exekutivgewalt einem Ausschuß. In Gedanken wird die gesetzgebende Macht von der exekutiven streng gesondert; in Wirklichkeit sind sie nicht zu trennen, denn im wesentlichen geht die Gesetzgebung von der Regierung aus, während die Volksvertretung dauernd in Form der Kontrolle und Bewilligung sich in die Geschäfte der Exekutive mischt. In beiden Fällen steht den Parlamenten die Kritik und Hemmung zu; vorwiegend verschlechtern sie die Gesetzentwürfe und stören die Verwaltung.
Dennoch sind sie unentbehrlich. Der eine, mechanische Grund liegt auf der Hand: Sie erzwingen Öffentlichkeit und Kontrolle der Vorgänge und sichern eine gewisse äußere Übereinstimmung mit einem starken Teil der öffentlichen Meinung. Diese Wirkung ist notwendig, könnte aber auch mit andern und einfachern Mitteln erreicht werden. Den wahren Grund der Unentbehrlichkeit erkennen wir, wenn wir absehend von aller theoretischen Phraseologie die praktische Wirkungsweise der Volksvertretungen beobachten und vornehmlich die Beispiele parlamentarischer Staaten im Auge behalten. Gedacht sind die Parlamente als Organe der Beratung: Das Volk im verkleinerten Abbild und Auszug bearbeitet
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seine Geschäfte. Dies ist in Wirklichkeit nie und nirgends der Fall. Die Miniatur des Volkes ist vorhanden, und zwar in der Form eines mehr oder minder verzerrten arithmetischen Abbildes. Dieses Zahlenbild grob skizzierter Interessen verdichtet sich zu Majoritäten und bildet so eine Art primitiven Filters, von dem angenommen wird, daß es etwa diejenigen Vorlagen durchläßt, die dem jeweiligen Willen und Interesse der Volksmajorität entsprechen. Auch dies ist eine Fiktion, denn das Volk nimmt an den Vorlagen in der Regel geringen Anteil, Parlamentsauflösungen und Neuwahlen ergeben häufig ein verändertes Bild, und die Majorität des Parlaments deckt sich in ihrer Zusammensetzung selten mit der Majorität des Volkes, sofern von einer solchen in konkreten Fragen überhaupt gesprochen werden kann.
Ein gewisses arithmetisches Abbild ist also vorhanden, mag es auch kein zutreffendes sein, und dieses Abbild wirkt durch Abstimmung. Jedoch es berät und bearbeitet nicht.
Das Parlament redet. Die Rede ist Empfehlung oder Protest, Kritik, Begründung oder Theorie, doch ist sie nicht bestimmt, im Hause jemand zu überzeugen; sie ist als politische Kundgebung gedacht und soll auf die Regierung, die Öffentlichkeit oder den Wahlkreis wirken. Ausnahmen kommen in romanischen Ländern, bei uns in Augenblicken hoher Erregung vor, wenn Stimmung die Überlegung bewältigt. Wenn nun das Parlament weder berät noch arbeitet, sondern redet und abstimmt: wie kommt parlamentarische Arbeit zustande? Durch drei halboffizielle Organisationen: Die Partei, die Fraktion, die Ausschüsse. In parlamentarisch verwalteten Staaten führt der vornehmste und permanente Ausschuß als Kabinett die Regierung; in halbparlamentarischer
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Verfassung verhandeln die Ausschüsse mit der Regierung und in sich selbst, soweit nicht die Parteiführer in persönlicher Absprache die Geschäfte erledigen.
Das Parlament ist somit nicht solidarische Vertretung und Beratungsstätte des Volkes, sondern die Börse der Parteien, sofern dieser Begriff nicht im Sinne persönlichmaterieller Interessenvertretung, sondern des geschäftlich handelnden allgemeinen Interessenausgleichs verstanden wird.
Der Teil der Volksvertreter, der in den Zwischenorganisationen keine entschiedene Tätigkeit ausübt, wirkt, abgesehen von Gelegenheitsreden und Fürsprachen für Wahlkreisangelegenheiten, statistisch. In vielen romanisierten Ländern ratrappiert er sich geschäftlich, in andern amtet er aus Liebhaberei, gelegentlich in Verbindung mit einer privaten Beschwerdekanzlei, die aus ideellen Motiven, jedoch mit der Wirkung der Pression, die Behörden drangsaliert. Wirkliche Agenten des Volkes, genauer der Partei, sind die Führer, und ihre Zahl ist um so größer, ihre Begabung um so stärker, je verantwortlichere Aufgaben ihnen der Staatsorganismus zuweist.
Dies Bild erscheint dem ersten Anblick seltsam und doch bei näherer Betrachtung vernünftig; wagt man es, den gegebenen Wirklichkeiten fest ins Auge zu blicken, so ergeben sich Folgerungen, die den parlamentarischen Apparat aus einem notwendigen Übel in einen entwicklungsfähigen und fruchtbaren Organismus verwandeln. Wir müssen daher noch ein kurzes bei der Frage der Notwendigkeit beharren.
Auch unabhängig vom Idealbegriff des Volksstaates kann eine Beamtenhierarchie — denn eine solche ist die normale Regierung — auf die Dauer sich nicht lebenskräftig
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erhalten, wenn sie auf sich selbst gestellt bleibt. Der Vergleich mit der Armee trifft hier nicht zu; denn bei einseitigeren und konstanteren Aufgaben steht dieser ein ungleich größerer, rascher sich erneuender Stamm verantwortlicher Kräfte und, als Vergleichsmaß, die analoge, gleichgerichtete Konkurrenz des Auslandes zur Verfügung, während die Leistungen einer Regierung nur in ihren Endergebnissen, nicht in ihren Maßnahmen auswärtige Vergleiche zulassen.
Vor Zeiten, als die Verwaltung eines Königreichs nach Art und Geschäftsumfang einer Domäne sich bemaß, konnte ein hausväterlicher Monarch durch Überblick und Stichproben sein Land überwachen, in sich selbst den Maßstab seiner Regierungsorgane tragen und durch ein einfaches Testament die Grundsätze der Sparsamkeit, Unbestechlichkeit und Schlagkraft vererben. Heute übertrifft ein einziges Ressort wie Telegraphie oder Gesundheitspflege den Gesamtumfang der friderizianischen Verwaltung; ein begabter Monarch, der auch nur die wichtigsten der Verwaltungsvorgänge zur Kenntnis nehmen wollte, würde, von Tatsachen erdrückt, ein Gefährliches unternehmen, wenn er auch nur den Schein einer sachlichen Kontrolle erwecken wollte. Eine losgelöste Regierung jedoch würde, selbst wenn sie nicht durch Inzucht erstürbe, nicht nur zum Tschin verknöchern, sondern auch einer entwickelten Wirtschaft und Meinung gegenüber sich rettungslos festrennen.
Die zweite und unabhängige Instanz aber kann ebensowenig wie vom Einzelnen von einem Senat oder Tribunal gebildet werden, denn hier mangelt die unabhängige Beweglichkeit; nicht von ständischen Korporationen, denn hier herrschen materielle Berufsinteressen. Vor Jahrhunderten hat die Kirche eine unabhängige
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Instanz gebildet; heute kommt nur das Volk in Betracht.
Doch hier setzt die Gegenschwierigkeit ein. Weder kann eine Menge herrschen, noch auch nur beraten, Von ihr ist nicht intellektuale Entscheidung zu verlangen, sondern allgemein umrissenes Willenselement. Selbst die Vorstellung einer Vertrauenswahl, die im kommunalen Organismus Platz finden kann, hält dem Staatsorganismus gegenüber nicht stand. Eine Zentralmacht kann nicht auf örtlichen Vertrauensleuten beruhen; sie erfordert Politiker und Staatsmänner. Auch für die Beurteilung dieser Zulänglichkeit fehlt einer Wählermenge die Fähigkeit; urteilskräftig hingegen ist sie im Anschluß an ein ihr verständliches und geläufiges Parteiprogramm. Abermals begegnen wir der Paradoxie unsrer Wahlsysteme, die Parteiwahlen schaffen und wollen, während sie Ortswahlen verordnen. Wir kommen hierauf zurück; für den Augenblick ist der springende Punkt der, daß aus den atomistischen Wollungselementen der Wahl zwar eine Volksvertretung her- vorgeht, doch nicht ein arbeitsfähiger, kontrollfähiger oder regierungsfähiger Körper.
Die Übertragung der Mächte versagt; sie muß ersetzt oder ergänzt werden durch eine neue Abwälzung: nämlich auf die politische Partei, und von dieser wiederum auf die politischen Führer.
Die Partei bildet die Zusammenfassung eines bestimmten, geistig, stimmungsmäßig, materiell umrissenen Volksteils, einer Willenseinheit, eines Volks im Volke. Landesteile, Provinzen, Bezirke, Städte können örtliche Gemeinschaftsinteressen auskristallisieren und durch diese hindurch mittelbar zur Staatspolitik gelangen; aber die Summe örtlicher Interessen an sich macht
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Staatspolitik nicht aus. Die Partei dagegen hat zum Zentralwillen ein unmittelbares Verhältnis, und da sie sich örtlich zusammensetzt, schließt sie Distriktsinteressen nicht aus, ohne auf ihnen zu ruhen. Die Partei ist organisierbar, in sich zusammenhängend, auf dauernden Austausch und fortlaufende Arbeit gestellt; sie kann daher mit vollem Urteil Organe und Einzelkräfte bestellen.
Es hat sich somit im stillen und unabhängig von geschriebenen Verfassungsworten der Zwischenorganismus gebildet, der die Riesenvölker unsrer Zeit willensfähig macht; diese selbsttätig entstandene Schöpfung ist gesund und organisch und steht daher auch zur Forderung des Volksstaates nicht im Gegensatz. Wenn wir daher den eigentlichen Mechanismus der Volksvertretung als Verhandlungsstelle, als politische Börse der Parteien bezeichneten, so liegt in diesem Begriffe keine Geringschätzung, sondern der zugespitzte Ausdruck einer verwertbaren Realität.
Indem wir dieser Realität handfest nähertreten, erkennen wir den eigentlichen Sinn der Volksvertretungen unsrer Zeit, sofern sie richtig verstanden und ausgebildet werden: Das unvollkommene, doch ähnlichere arithmetische Abbild der Volkswollungen, das in der Parteizusammensetzung gegeben ist, bildet den dynamischen Untergrund, das Kräftemaß für den Rückhalt im Volke; es würde fast genügen, wenn in jeder Wahlperiode dieses Kräfteverhältnis auf Tafeln verzeichnet im Saale hinge und jede Führerstimme mit der Parteizahl multipliziert würde; unentbehrlich aber ist der seltsame und nicht immer erfreuliche Parlamentsapparat deshalb, weil er eine Auswahl und Schule des Staatsmanns und Politikers ist — oder sein sollte.
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Diese Wesenhaftigkeit kommt in parlamentarisch geführten Ländern im schlechten und im guten Sinne weit stärker als bei uns zur Geltung, obwohl eine bewußte Klarheit des Zusammenhanges auch dort nicht zu bestehen scheint. Die Dynamik wirkt lebendiger, und zwar zum Schaden, indem sie in allzu häufigem Wechsel, oft unabhängig von der Stimmung des Landes, Regierungen erneuert und den Zusammenhang der Geschäfte stört; die Auslese und Schulung wirkt im Verhältnis zu den geistigen Durchschnitten jener Länder unendlich erfolgreicher, indem sie aus kargerem Boden reichere und häufig bessere Geistesernten gewinnt.
In diesem Zusammenhang wird die geringe Volkstümlichkeit, die schwache Substanz, der mangelhafte Wirkungsgrad der deutschen Parlamente, insonderheit des Reichstages verständlich. Der örtliche Wahlakt schreckt ab. Die Herauspeitschung einer absoluten Majorität aus einem Bezirk, der nicht stark politisch gestimmt zu sein braucht, setzt Mittel voraus, die ebenfalls nicht immer rein politische sind. Fehlt an der geforderten Majorität eine Stimme, so sind Zehntausende von Stimmzetteln ohne Wirkung abgegeben und eine gewaltige, vielleicht hochintellektuelle Minorität bleibt ohne politische Vertretung. Ortsgrößen haben einen Vorsprung. Örtlichen Wählern werden oft Dinge erzählt und versprochen, die mit dem innersten Wollen des Redners wenig zu tun haben. Es sind nicht immer die geistigsten und ehrlichsten Naturen, die an solchen Voraussetzungen Gefallen finden.
Das Leben der Parteien mit Ausnahme der agrarischen und sozialistischen ist schlecht und kleinlich organisiert und ausgestattet. Neben dem Stammtischgast, dem Vergnügungs- und Berufspolitiker und Zeitungsleser
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müßte die ganze denkende und wirkende Intelligenz des Landes in Klubs und Vereinen, in Vortrags- und Wahlversammlungen sich zusammenfinden, um das Schicksal des Staates zu beraten; die stärksten politischen Kräfte des Volkes müßten in ständigem Austausch mit ihren Freunden und Mandanten bleiben, aus Kannegießerei und Personalkritik müßte Mitarbeit werden.
Nun aber schließt sich der Zirkel: Tragen diese mangelhaften Voraussetzungen dazu bei, daß nicht die stärksten Kräfte des Volkes sich der Politik widmen, und somit die Volksvertretungen an Einsicht und Macht verarmen, so ist es wiederum die Stellung und Arbeitsweise des Reichstages selbst, die diese stärksten Kräfte zurückschreckt.
Auf leeren Bänken sitzen, Fraktionsbeschlüsse durchführen, Wahlreden anhören und gelegentlich für die Sekundärbahn des Kreises oder die Ziegenhaltung eintreten ist nicht für jeden der Ersatz eines hingegebenen Arbeitsjahres. Der Bedarf an Fraktionsführern und Ausschußarbeitern ist nicht groß, und bei der parlamentsmüden Stimmung des Landes mag mancher schon die saloppe Frage sich vorgelegt haben: ‚Wenn schon ?‘
In parlamentarischen Staaten fühlt jeder der Volksboten sein Portefeuille in der Tasche, manchmal schlimmeres. Sind diese Motive nicht edel, so sind sie stark. Bismarck hat, und nicht mit Unrecht, den Reichstag, als das Geschöpf seiner Hände sich auflehnte, erniedrigt. Häufig hat das Volkshaus sich selbst zur unfruchtbaren Kritik verdammt, selten hat es erlösende Worte und Taten gefunden. So ist seine schöpferische Macht nicht gewachsen; nur zum Schöpferischen jedoch lassen sich die exponentialen Geister der Nation gewinnen. Nun tritt die Abneigung des deutschen Volkes hinzu, dem
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alles Rednerische und Propagandistische fremd ist, das in politischen Meinungen sich nicht sicher fühlt und mißmutig wird mit jedem neuen unerfüllten Versprechen, das aber ein gesundes Empfinden hat für menschliche Eigenschaften und schließlich die ehrliche Arbeit der Regierung, die es vor sich sieht, höher stellt als die Dialektik ihrer Kritiker.
Einer tiefen Reform des deutschen Parlamentarismus bedarf es, nicht nur im Hinblick auf den Volksstaat, sondern schon um der kahlen Notwendigkeit willen, eine gesicherte politische Existenz schlechthin zu schaffen.
Die Beseitigung der Ortswahl ist die erste Notwendigkeit und ihr Ersatz durch ein gesundes Proportionalsystem. Diese Forderung ist wichtiger als alle übrigen Wahlrechtsänderungen, Preußen und Mecklenburg inbegriffen.
Das zweite ist die Ausgestaltung der Parteien und ihrer Organisationen.
Das dritte ist, den deutschen Parlamenten einen positiven Inhalt und die Möglichkeit schöpferischer Arbeit zu geben außerhalb der bloßen Gesetzesmacherei und Geldbewilligung. Das bedeutet nicht die rückhaltlose Forderung des parlamentarischen Systems, das an sich weder gut noch böse ist, dem normalen Deutschen aber heutzutage einen kalten Schrecken einjagt. Ist es der gegenwärtige Sinn der Volksvertretungen, als Korrektiv der Beamtenhierarchie eine Schule des Politikers und Staatsmannes zu bilden, so kann nicht der Schulgang Selbstzweck des Schülers werden mit der schmächtigen Hoffnung auf die kritisch-dialektischen Erfolge und den tolerierten Regierungseinfluß eines Fraktionshäuptlings. Es hieße, zu weitgehend den ideellen Selbstverzicht normaler Naturen in Rechnung stellen, wollte man erwarten,
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daß talentierte und tatkräftige Menschen, zur Kontrolle der wichtigsten Regierungshandlungen berufen, sich dauernd mit halbinformierter Beobachtung und nachträglicher Begutachtung zufrieden geben, statt einzugreifen. Die Stimmung, die aus dieser Haltung hervorgeht, ist überdies schädlich; sie schlägt nur zu leicht um in nörgelnden Pessimismus und verkümmert das letzte, was der überkontrollierten Regierung an Schaffensfreude bleibt. Vor allem aber lernt der zur Kritik herangereifte Staatsmann nie das Wesentliche, er lernt parlamentarische Methoden und gesetzgeberische Formalarbeit, doch niemals die Verantwortung des Handelnden, Erfindenden und Schöpfenden. Was man nicht kennt und machen kann, das kann man im letzten Sinne auch nicht beurteilen. Ein Staatsmann muß schaffende Verantwortung tragen oder getragen haben, um einer zu sein; der Spieler stummer Klaviaturen wird nicht zum Künstler; der verantwortungslose Kritiker vergißt seine Irrtümer und wird mit dem Gefühl der Unfehlbarkeit impotent. Der Beruf zieht den Menschen nicht aufwärts noch abwärts; wohl aber zieht er den Menschen heran, dem er und der ihm entspricht. Abermals schließt sich ein Zirkel: Der Beruf unsres Parlamentes schafft nicht die rechten Staatsmänner; die vorhandenen können endgültige Wege und Ziele nicht erkämpfen; die Unvollkommenheit der Leistung schreckt fähige und verantwortungsfreudige Kämpfer ab, die Aufzucht versagt — und der Kreislauf beginnt von neuem.
Auf das Volk, vertreten in der partialen Willensorganisation, die Partei heißt, wirkt dieser Zustand entpolitisierend. Kehrten die Männer, die eine Partei führen, aus dem Kreise einer verantwortlichen Erfahrung zurück, besäßen sie die Kenntnis der inneren Vorgeschichten,
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der Motive und Hemmungen, hätten sie den Blick erworben für dasjenige, was durchführbar und wünschenswert, was schimärisch und gefährlich ist, wären die Aktoren der europäischen Bühnen ihnen bekannt und durchschaubar, so würden die parteilichen Beratungen der Atmosphäre des Gefühlsurteils und der kannegießernden Bürgerpolitik entrückt; sie gewännen pragmatischen Wert. Sähe überdies der parteiführende Politiker sich in der Lage, gegebenenfalls von neuem aktive Verantwortungen übernehmen zu müssen, so wäre nicht nur ein Schutz gegen unfruchtbare Störung der Staatspolitik gegeben, sondern auch der Begriff einer Parteiverantwortlichkeit geschaffen, der im Sinne der Mäßigung und Realpolitik wirkte. Unter dem Schutze dieser Parteiverantwortlichkeit aber würde ein unschätzbares und unentbehrliches Gut erwachsen, auf dessen Bedeutung wir zurückzukommen haben: ein Inbegriff echter, erblicher, durchdachter, real-idealistischer Ziele der inneren und vor allem der äußeren Politik, der an die Stelle farbloser und phrasenhafter Parteiprogramme mit täglich wechselnden Ausdeutungen träte und unserm politischen Schaffen gewährleistete, was ihm aufs bitterste nottut: Stabilität. Der Mangel an Stabilität, dies sei hier angemerkt, die Überraschungsgefahr, die aus plötzlich auftretenden, undurchsichtigen und undurchdachten Zielen entsteht, verbunden mit stärkster militärischer Macht, feudaler Atmosphäre und der fast widerstandslosen Lenksamkeit eines vertrauensseligen Volkes: das ist die Gruppe von Voraussetzungen, die unsre Gegner mit dem unzutreffenden Namen Militarismus bezeichnet haben. Es entspricht nicht unsrer Würde, uns nach der Willkür unsrer Feinde zu modeln, doch es entspricht höchster
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Menschenwürde, jedes Urteil zu prüfen, es vom Unrecht zu befreien und mit Sinn zu erfüllen, auch wenn es das Urteil des Feindes ist.
Wir bedürfen nicht unbedingt des parlamentarischen Systems, vor dem die Interessenten des Feudalismus, des gefestigten und ungefestigten Kapitalismus, die beamtete Gelehrtenschaft, die der Probe unsicheren Politiker und der von diesen Elementen beeinflußte Teil des gebildeten Volkes sich fürchten. Die Gründe, die man anführt, sind freilich abwegig: die Zersplitterung der Parteien ist ein Grund nicht gegen, sondern für das System; denn sie verlangt Koalitionsministerien, die einen stetigen Ausgleich und zunächst selbst ein Übergewicht der älteren Regierungsgrundsätze zulassen; Stimmungsumschläge und Ministerwechsel würden in Deutschland weniger heftig und häufig geschehen als anderswo, weil unser politisches Temperament kälter ist; Bestechlichkeit und Personalpolitik sind, wie die Erfahrung der Kommunalverwaltungen dartut, kaum zu befürchten; Auswahl und geistiger Durchschnitt der Staatsmänner dagegen würde jede Erwartung übersteigen, wenn auch nur annähernd das gleiche Güteverhältnis zwischen der Masse und den Erwählten eintritt, wie es in allen parlamentarischen Staaten besteht. Vor allem muß hier ein akademisches, zum Gemeinplatz gewordenes Argument zurückgewiesen werden: die gefährdete geographische Lage Deutschlands fordere einen gewissermaßen halbstarren konservativen Verwaltungsaufbau. Gerade diese Gefährdung fordert hohe Beweglichkeit und Gelenkigkeit, fordert die wirksamste Auslese der Kräfte; fordert, im Gegensatz zum politischen Dogmatismus, Fähigkeit zur Anspannung und zum zeitweiligen Opportunismus; die Gegenkraft
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stärkster Beanspruchung von außen ist nicht Sprödigkeit sondern Elastizität.
Gleichviel; wir bedürfen keiner absoluten Parlamentsherrschaft, wohl aber der Erziehung der Parlamente und ihrer Staatsleute zur Wirklichkeit, zur Verantwortung und Macht, einer Erziehung der Parteien zur realen Arbeit, zur Tradition und politischen Zielen, einer Erziehung des Volkes zur Politik und Selbstbestimmung. Die Möglichkeiten der Verwirklichung sind mannigfaltig und einfach; sie bedürfen keines geschriebenen Gesetzes. Der leichteste, und im Stande unsrer schlaftrunkenen Indolenz schwerste Beginn wäre der, daß die Parlamente verlangen, ein Teil der Ministerien müsse aus ihren Mitgliedern bestehen. Der wahrscheinlichste und gänzlich unbrauchbare Beginn wäre die Anwendung unsres universellen Verlegenheitsmittels: Kommissionen. Parlamentarische Ausschüsse natürlich, die man mit indiskreten, störenden und unverantwortlichen Befugnissen den Ämtern zur Seite setzte, so daß vor Auskunftserteilungen, Rechtfertigungen und Abwehr undurchführbarer Vorschläge alle Selbstachtung und Schaffensfreude der Beamten erstürbe. Es ist schade um Geister, die über die Irrtümer der Andern ihr lebelang berufsmäßig verzweifeln und sich standhaft weigern, an ihrer Stelle Hand anzulegen.
Mehrfach haben wir dem letzten Teile unsrer Ausführungen vorgegriffen, der den Inbegriff unsres künftigen politischen Lebens bezeichnen und seine Angleichung an das Wesen des Volksstaats vermitteln soll. Zum Zeichen dessen, daß wir uns inmitten praktischen Lebens befinden, wohin der Gang von höchster Anschauung uns geführt hat, wo wir verweilen, nicht als bei einem Ziel, sondern als bei einer rationalen Bekräftigung
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des Übergangs und der Anknüpfung an ein Künftiges, soll von nun ab die Behandlung sich vorwiegend der utilitarischen Denkform bedienen, denn in diesem Kreise muß der Schritt zum Endgültigen, um sich als realisierbar zu erweisen, zugleich ein Schritt zum zeitlich Erstrebenswerten sein. Als solches aber hat der Begriff von der Macht und Stetigkeit des Staates der Prüfung standgehalten.
Nach dem Gesetze des Lebenskampfes und nach dem Bilde jedes Einzellebens und Kollektivlebens steht der Staat, auf sich selbst gewiesen, schutzlos und nur von seinem Genius gehütet im Kreise seiner Lebensgegner und Wettkämpfer. Sein Erbteil ist ihm gegeben in der Kraft seines Bodens, seiner Lage und seines Volkes. Diese Gegebenheiten sind begrenzt, wie das zeitliche Erbteil eines Menschen, eines Tieres, einer Herde oder eines Waldes, begrenzt sind aber auch die Fundamente seiner Gegner. Unbegrenzt ist daher die Relation der Wirkung, denn diese vervielfacht sich durch die Macht des Geistigen.
Ja diese Macht vermag die physischen Bedingungen zu ändern; sie verzehnfacht den Ertrag des Bodens, sie entreißt der Erde ihre Schätze, sie bewältigt die Naturgewalten, formt Küsten, Gewässer und Gelände, heilt Siechtum, kräftigt und vermehrt das Blut, bildet und vollendet ungeborene Geschlechter. Aus Massen schafft sie Organismen, denen verleiht sie Sinne, Denkens- und Willenskräfte und werktätige Glieder. In den Lebenskampf aber dringt sie mit dreierlei Kräften ein: Mit äußerer Richtkraft und Stoßkraft, mit innerer Widerstandskraft.
Wenn zwei gleichstarke Organismen miteinander kämpfen, so siegt auf die Dauer derjenige, der weiß,
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was er will. Stärken, Vorrechte, Unangreifbarkeiten erwachsen aus unscheinbaren, unbegehrten, leicht beweglichen Saatkörnern. Der tausendjährige Eichenstamm, keiner Menschenkraft um einen Zoll verrückbar, entsproß der Frucht, die eines Kindes Hand entglitt, dem Urstrom hat ein Kiesel seinen Weg gewiesen, ein Überseereich entspringt dem falschen Kurs eines Schiffes, ein Adelsgeschlecht entstammt dem Rausche eines Herrn, eine Mädchenlaune bestimmt die Schicksale von Dynastien. Zeit und gleichbleibende Richtung verschmelzen zu einer Macht, der nichts standhält. Jeder Augenblick aber streut von neuem Keime des Unvergänglichen aus, nun und jetzt werden die Schicksale der Jahrtausende gesät, und der gleichgerichtete Wille bestimmt, welches Korn aufgeht. Das beste Mittel, jede Saat zu zertreten ist aber, sich endlos auf dem gleichen Boden hin und her zu drehen, immer wieder die Scholle zu lockern, immer neue Früchte wahllos zu versenken. Ein großer Handelnder ist unablässig ein Sämann, der andern die Ernte gönnt. Wer heute bedenkt und betreibt, was in einem, in zehn, in hundert Jahren wirklich sein wird und wirksam sein soll, schafft frei und ungehemmt; belächelt, aber nicht behindert; später mißverstanden und unbedankt; aber meisterlich ausgestaltend und unbezwingbar. Das allerrealste Schaffen ist das visionäre, sofern nicht das nebelhafte, von ungemäßen Gefühlen verblasene Phantom, sondern die greifbar körperhafte Gestalt ihm entspringt. Wirklichkeit, schauend durchdrungen und vergeistet; Träume durch Willenskraft verdichtet und an die Erde gekettet: Das ist das Geheimnis aller Produktion.
Getötet wird alles starke Schaffen durch den Hinblick auf den Tag. Wer kurzatmige rasche Erfolge sucht,
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wer seiner Zeit und seinen Gehilfen Schauspiele der Größe gibt und in historischen Momenten schwelgt, wer jeden Tag die reifenden Früchte betastet, statt zu graben und zu pflanzen, wer mißgelaunt jedes neue Ereignis als zeitraubende Störung betrachtet, statt ihm seine stärkste Seite abzugewinnen, wer mühsam Tagespensen abarbeitet, Widerständen ausweicht, und statt zu erfinden erledigt: Der kann bestenfalls eine Stellung verteidigen und den Zusammenbruch aufhalten; Leben und Wachstum schaffen kann er nicht, denn alles Natürliche stirbt ab, wenn es in die Defensive gedrängt ist. Sorgenlosigkeit im höchsten Sinne, die Freiheit von jedem persönlichen Wunsch und Druck, Kräfteüberschuß, ausgedrückt in Humor und geistiger Suveränität, freie Verfügung über freie Zeiträume ohne Furcht vor Sturz und Nachfolgerschaft: das sind die Bedingungen weittragender politischer Richtkraft.
Wer verwirklicht sie in unserm Staatswesen? Erbreihen, in denen ununterbrochen Cäsar und Karl, Friedrich und Bonaparte wechseln, würden nicht genügen, um einer Dynastie die Aufgabe zuzuwälzen. Die Stetigkeit dynastischer Politik ist stark beansprucht durch die Verteidigung der eigenen Stellung; sie wird beeinflußt durch den gefährlichen Wechsel verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Beziehungen; nach Bismarcks Wort durch Frauen und Günstlinge, durch Lockungen territorialer Machterweiterung. Noch weniger ist von unsern unverantwortlichen Parlamenten politische Stabilität zu erwarten, denn sie sind, wie wir gesehen haben, auf Tagesaufgaben, Kritik und Gesetzesmacherei gestellt, sie haben keinen inneren Zusammenhang, sondern zerfallen in feindliche Fraktionen, die ihrerseits farblose, untereinander zum Verwechseln ähnliche Ideal-
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und Parteibanner entfalten, in deren Schatten sie die anvertrauten Tages- und Wirtschaftsinteressen verarbeiten.
Es bleiben die Minister und ihre Spielarten. Zustatten kommt ihnen im Sinne einer gewissen traditionellen Stetigkeit die Identität ihrer politischen Überzeugung. Was sie sind, können sie nur sein und werden auf Grund des offiziellen Konservativismus, jener feudalistisch-professoralen atmosphärischen Färbung, von der wir gesprochen haben. Ist ihre Vergangenheit liberalisierend oder katholisierend behaucht, so finden sie Gelegenheit, ihre politische Normalität klarzustellen; ohne diese Läuterung könnten sie kaum auf Wochen in einer widerstrebenden Atmosphäre sich behaupten.
Doch diese Übereinstimmung der allgemeinen politischen Ansicht genügt nicht, um auf lange Zeiträume die Richtkraft innerer und äußerer Leitung zu sichern; und alle übrigen Voraussetzungen sind negativ. Mag die durchschnittliche ministerielle Lebensdauer sich von fünf auf zehn Jahre erhöhen: Sie ist zu lang oder zu kurz. Zu lang: wenn ein Mann den Inbegriff seines Lebensgedankens dem Staatsgeist vererbt hat und in Verwaltungsrutine abstirbt; zu kurz: wenn ein Menschenalter mit fernhinschauenden Plänen umspannt werden soll. Welcher Schaffende begnügt sich mit Anfängen, die der Nachfolger unter dem Beifall der Gehilfen überlegen lächelnd beiseite schiebt oder, zur Unkenntlichkeit verbessert, sich aneignet? Und wenn er das Opfer wollte, wie könnte er es erschwingen? Eine Tagespolitik drängt, die nach drei bis vier Seiten verteidigt werden muß: Von oben bestimmt der Monarch, von unten das Parlament, von der Seite droht die öffentliche Meinung, vielleicht auch das Ausland; ein halbes Wunder,
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wenn ein diagonaler Ausweg sich ergibt; zuviel verlangt, wenn er dazu den Schritt zum Absoluten lenken soll. Die Unfreiheit des Handelns wird aber weiter beengt durch die Bedrängnis der Zeit; die Hälfte des Jahres verschmilzt unter parlamentarischer Arbeit, dem Suchen von Beweisen, Rechtfertigungen, Materialien, dem Verhandeln und Paktieren mit Kommissionen und Führern eines Parlamentes, das unermüdet seine kritische Aufgabe wichtig nimmt, an die Voraussetzungen schöpferischer Arbeit nicht gewöhnt ist und an die Stelle eines Einheitswillens zersplitterte Anregungen setzt, deren Ablehnung verstimmt und deren Annahme nicht verpflichtet.
Es fehlt unserm Staatsleben das Organ, welches die Richtkraft sichert. Solange die Stetigkeit dieser Kraft uns mangelt, solange unsre Ziele nach der Einstellung des Tages, nicht der Menschenalter und Jahrhunderte geregelt sind, bleiben wir bei gleicher Leistung jedem Wettkämpfer unterlegen, der weiter vorschaut und stetiger handelt; wir sind schlechthin auf die Länge im Wettkampf der Nationen nicht konkurrenzfähig. Der erschreckend schlechte Nutzeffekt unsrer äußeren Politik bei höchstem Aufwand an Arbeit und Mitteln erklärt sich zur Hälfte aus Mangel an Richtung. Das unerhörte, uns unbegreifliche Mißtrauen, das die Außenwelt jahrzehntelang uns, die wir der Stille, der Aufrichtigkeit und Harmlosigkeit unsres Sinnes sicher zu sein glaubten, entgegenbrachte, ist eine der Folgen unstetiger, somit unverständlicher, somit verdächtiger Haltung. Staaten des wildesten Parlamentarismus, scheinbar sprunghafter Entschlüsse, beständiger Regierungswechsel, haben trotz scheinbarer Zusammenhangslosigkeit ihres Wollens durch die Richtkraft ihrer Entschlüsse
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uns übertroffen; denn auch die einseitige, die absonderliche, die fanatische Richtung erzwingt den Erfolg, wenn sie stetig bleibt.
Kein künstliches Organ kann auf die Dauer dem Staate Richtung geben, weder Ämter, Kommissionen, Senate noch Parlamente; auch die Dynastie kann es nicht. Am wenigsten kann es der Stand der beamteten Gelehrten, der nicht existierte, wenn seine Glieder zum Handeln statt zum Betrachten geboren wären. Richtung geben kann nur das Volk; nicht als herrschender Pöbel noch als Masse, sondern als Schoß des Geistes, dem die Zeiten seine Saat entlocken; das politisierte, denkfähige Volk, vergeistigt in Parteien; die Parteien vertreten durch ihre Organisationen, vor allem durch ihre Führer, Staatsmänner und Denker.
Man hüte sich, diesen Gedanken an der Kläglichkeit und Kärglichkeit unsres heutigen Parteiwesens zu messen. Solange die Parteien nur Zweckorganisationen waren zur Erhöhung oder Ermäßigung gewisser Zoll-, Steuer- oder Lohnsätze, zur Aufrechterhaltung oder Zerstörung gewisser Vorrechte, zur Versorgung oder Schädigung gewisser Stände oder Personen; Zweckverbände mit der Verbrämung phraseologischer Ideale, an deren Verwirklichung niemand glaubte; Organisationen, bestehend aus Interessenten und Geldgebern einerseits, aus Dilettanten, Bierbankphilistern und Mitläufern anderseits; solange das politische Leben der Nation gipfelte im Interessenkonflikt der Gesetzesmacherei, die politische Laufbahn gipfelte im Versammlungsbändiger und in der berufsmäßigen Parteigröße; solange das Volk verantwortungslos seine Geschicke einer Regierungskaste überließ, die Gemeinschaft und Einheit seiner letzten Ziele verkannte und sich am innern Interessenkampf berauschte:
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solange war der Volksstaat unmöglich, solange war jeder objektive Ausdruck kollektiven Willens illusorisch, solange war das politische Leben der Nation nicht steigerungsfähig über den Pegel des Bezirksvereins und der Turnerschaft. Der Krieg hat in seinem Beginn gezeigt, daß ein höheres Leben möglich ist; die Not, die kommt, wird zeigen, daß es dauern kann.
Vor Jahren habe ich in Furcht und Sorgen diese Not angerufen und hinweggesehnt; im Taumel des Erwerbs und Genusses verhallte die Stimme. Von jetzt ab und auf immer wird uns deutlich, daß wir alle, wenn auch durch Meinung gespalten, ein Haus sind und daß uns selbst, und niemand sonst, der Schutz und die Sorge für Gut und Blut obliegt. Niemals wieder darf Interesse und Erwerb uns das Erste, Nation und Staat uns das Zweite und Gott das sonntäglich Dritte sein; niemals wieder darf unser Schicksal in die Hände der professionellen Erbverwalter und unser Haus in die Hände der Bierbankphilister fallen; sonst sind wir reif für eine neue Völkerwanderung. Das letzte, was unsre Politisierung, unsre Ermannung zum geistigen Volksstaat erzwingen kann und muß, ist die Not.
Diese Ermannung aber wird sich auf kein Gebiet so rückhaltlos erstrecken wie auf das der Partei und ihrer Reform. Die Klugen und Starken, die bisher atemlos an ihre Werke gekettet der Macht, dem Erwerb, der geistigen Schöpfung, der Betrachtung dienten, den Staat für ein Fremdes, Anderes hielten, das man Berufsleuten überläßt wie ein Gaswerk, eine Kirche oder ein Theater, die selten aufblickten und mit einem Kopfschütteln, weil die Sache so schlecht gemacht wurde und doch so leidlich ging, sich wieder an ihre Arbeit machten: diese Menschen werden endlich Willen und Verantwortung
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fühlen, einzugreifen; freilich nicht mit dem leicht befriedigten Ehrgeiz des bierabendfrohen Parteilöwen, sondern mit dem Willen zur Tat. Sie werden, was sie haben und können, auf die Schale werfen und die Wirtshausgrößen der Ortsbezirke aufwägen. Das politische Leben hört auf, tägliches Interessenspiel und mittlere Versorgung zu sein, und wird zur Willensorganisation des Staatsvolks.
Oberflächliche Selbstgefälligkeit sagt, Deutschland sei zu vielfältig in Meinungen und Wollungen gespalten, als daß eine Willensrichtung selbsttätig aus den Kräftebündeln hervorbrechen könne; deshalb müsse eine erbliche Hirtenweisheit uns lehren und lenken. Niemals kann aus Überreichtum der Eigenarten und Färbungen eine vernichtende Hemmung erwachsen, solange alle Richtungen ins Positive gehen, indem sie auf Selbsterhaltung und Wachstum zielen. Eine Kräftediagonale kommt zustande nicht bloß aus zwei, sondern aus beliebig vielen Komponenten, und sie wird um so unverrückbarer sich erweisen, je mannigfacher sie verpflöckt und verankert ist. Absolut schwankend und unzuverlässig ist nur diejenige Kraft, die sich aus sich selbst im Einflusse des Tages orientiert; der Wanderer, der von früh bis spät der Richtung seines eigenen Schattens folgt, dreht sich im Kreise. Hat ein Volk, dessen innere Hemmungen durch Organisation überwunden sind, nicht mehr die Kraft, aus eigenem Fühlen seine Weltrichtung zu bestimmen, so ist seine Geschichte geschlossen, und es verdient das Schicksal, Werkzeug fremden Willens zu werden. Immer wieder erinnere ich daran, daß unter dem Willen eines Volkes nicht zu verstehen ist die plumpe physische Laune einer Tagesabstimmung oder die Regung einer Straßenmenge, sondern die organisch
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destillierte Einsicht seiner stärksten Kräfte, die alle Wollungen des Körpers in sich sammelt und vergeistigt. Nicht der zeitliche Müdigkeitshang, der Hungertrieb oder der Schwerkraftswille meiner Glieder bestimmt mein Wollen und mein Handeln, sondern der seelisch vergeistete Kern meines Wesens, der freilich jedem Gliede Schutz und Hilfe schuldet.
Daß es uns an Richtkraft fehlte, hat dazu geführt, daß wir Bismarcks Erbe, einen straffen, altmodisch gegliederten, soldatisch überkräftigen Machtstaat, den Schiedsrichter Europas, weder nach außen noch nach innen entwickelt haben, daß wir ihm die Hegemonie entreißen ließen durch geduldete, ja geförderte fremde Bündnisse, daß wir an keiner der Weltteilungen beteiligt wurden, daß wir aus Planlosigkeit, die niemand uns glaubte, und aus Verdrossenheit, die jeder uns ansah, verdächtig wurden, daß unser staatlicher Leib das quellende Fett ansetzte, das aus der Einseitigkeit von Technik und Finanz ihm erwuchs und das der Krieg nun hinwegschmelzen soll.
Schlimmer ist, was der Mangel an Stoßkraft, das Fehlen führender Menschen verschuldet hat. Jede Aktion und Verhandlung mußte mißlingen, jeder Entschluß endete mit einem Kompromiß. Aus der Unzahl angebotener Gedanken konnte keiner zu objektiver Größe emporwachsen, die Probleme wurden gestreift, und kopfschüttelnd beseitigt. Dies Land, das so gesund in seinen Wurzeln war, daß es den Begriff der schiefen Situation vergessen hatte, lernte wieder das Gefühl der Verlegenheit. Der Reibungsverlust der Personalsorgen und der Schwierigkeit persönlicher Lagen und Gebundenheiten zehrte an der lebendigen Kraft. Die Besetzung der Verantwortungen begann mit Ratlosigkeit
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und endete mit Enttäuschung. Fortgerissen werden durch irgendeinen starken Willen und irgendeine kühne Phantasie, war romantische Vergangenheit; die Photographie, der Knalleffekt vermeintlich geschichtlicher Momente, die Pose vor dem künftigen Historiographen und die monumentale Redensart traten an die Stelle organischer Arbeit und entsprachen den bombastischen Architekturen, die der erwerbende Eifer um sich streute,
Richtkraft und Stoßkraft, die beiden Hauptwaffen im Daseinskampf der Nationen, sind Sache der Völker. Nicht Geschlechter noch Kasten können diese Kräfte verleihen, denn der Wettkampf fordert, daß die Gesamtheit aller verfügbaren Menschenkräfte aufgerufen werde, um ihr ganzes Besitztum an Geist und Willen zu steuern. Richtkraft ergibt sich als Destillat aller erschwingbaren Gedanken, Stoßkraft als Aussonderung aller erreichbaren menschlichen Genialitäten. Die Beschränkung beider Kräfte auf einen begrenzten Kreis von wenigen hundert oder tausend Seelen bedeutet eine freiwillige Verarmung des Geistes und Willens, an der ein Volk stirbt, wenn seine Nachbarn ihren vollen Besitz ihm entgegenstellen. Ein Volk von Millionen ist metaphysisch verpflichtet, zu jeder Zeit und auf jedem Gebiet eine starke Willensrichtung und eine Vielheit höchster Begabungen zu erzeugen; geschieht das nicht, oder werden diese Kräfte durch Einseitigkeit, etwa des Erwerbstriebes oder der Technik oder des Müßiggangs, abgelenkt, oder werden sie aus politischer Indolenz und Verantwortungslosigkeit nicht aufgefunden, so hat das Volk sich sein Urteil gesprochen.
Bevor wir von den Bedingungen der Stoßkraft handeln, die sich nunmehr darstellt als Resultante der selbsttätigen Auswahl aller verfügbaren Begabungen und
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Genialitäten des Geistes und Willens, haben wir die intellektuelle Form des politisch wirksamen Geistes zu kennzeichnen.
Noch im vorletzten Jahrhundert war Regierung Verwaltungsarbeit. Für Initiative, Erfindung und schöpferischen Entschluß genügte eine Stelle, die oberste, die der königlichen Gewalt; die Kabinettsregierung war nicht der willkürliche, sondern der organische Ausdruck dieses Verhältnisses. Der Verwaltung, kriegerischer wie friedlicher, diente der gehobenste Stand hausväterlicher Ver- fügungsgewohnheit, wie sie in ländlicher Gutsherrschaft vorbildlich sich darstellt.
Reine Verwaltung ist Arbeit im uranfänglichen, unmechanisierten Sinne, wie Landbau und altes Handwerk, vermehrt um die Autorität der ordnenden Entscheidung und väterlichen Fürsorge; sie ist bezeichnet durch Tradition.
Normen und Ziele sind gegeben, örtliche und menschliche Verhältnisse bleiben konstant. Jedes Problem ist dagewesen, jede Lösung erlernbar; auch das selten Geschehende wird durch Erfahrung bewältigt; daher der Wert und die Schätzung des Alters. Der Greis ist überlegen und irrt sich seltener, der Jüngling ist unerfahren und wird gebändigt. Land und Volk, der Gegenstand der Verwaltung, sind willige Objekte; nie würde der Landmann und Handwerker sich vermessen, seine Meinung dem Befinden des Verwaltenden entgegenzustellen, denn auch er ist sich des herkömmlichen Wechselkreises seiner engbegrenzten Bürgerleistung bewußt, der Gedanke des fremden und neuen Entschlusses liegt ihm fern.
Im Kreise aber wiederholen sich alle Geschehnisse, Geburt, Leben und Tod, Saat und Ernte, Wohlstand
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und Teuerung, Feuersbrunst, Wassersnot, Krieg und Pestilenz, Verbrechen und Hochgericht. Ein großes, seltenes Ereignis ist ein Bau, ein Fürstenbesuch, eine Menagerie, eine Hexerei oder gar eine Reise. Häufiger sind Prozesse, Aufläufe, Soldatenwerbungen, Marktzänkereien. Man weiß, was in jedem Falle zu geschehen hat, die Arbeit ist milde, die Zeit billig. Die Verwaltung ist vollkommen, wenn sie unbestechlich ist, die Augen offen hält und Erfahrung besitzt. Das Einmalige geschieht weit über den Häuptern der Regierenden und Regierten; Entscheidungen über Krieg und Frieden, über Eroberung und Reform, über Kirche, Gericht, Steuer, Wegbau, Besiedlung kommen von oben; wo nicht vom Himmel so vom König.
Die geistigen Bedingungen der Verwaltungskunst sind persönliche Autorität, Selbstbewußtsein, Treue und Erfahrung, ihre Wurzeln sind Tradition: des Geschlechtes, der Gesinnung und der Praxis. Es sind die Eigenschaften des alten adligen Grundbesitzes. Erfindung, Phantasie, Schöpferkraft, Ausdehnungslust sind diesem Gesinnungskreis fremd und feindlich, sie verkehren ihn zum Aufruhr, zur Neuerungssucht und zum gefährlichen Draufgehen. Ein schönes Bild dieses natürlichen Konflikts ist uns erhalten: Der jugendlich schäumende Bismarck, der in ländlicher Gebundenheit sich und seine Umgebung aufreibt.
Die neue Welt der Mechanisierung brach an, jede Arbeit verwandelte sich in Kampf und Denken. Technik, Verkehr, Konkurrenz überstürzen sich; was gestern galt, ist heute verjährt; was heute unmöglich scheint, ist morgen verwirklicht und übermorgen vergessen. Erfahrung bedeutet nichts mehr; schlimmer noch: sie ist gefährlich, denn sie verführt zur Schablone. Jede Lage
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ist neu, jeder Entschluß ohne Vorgang, das Wirken schiebt sich von der Gegenwart in die Zukunft; nicht der Rückblickende siegt, sondern der Vorschauende; im Kampf, dessen Maß und Beschleunigung vom andern, vom Feinde, bestimmt wird, sinkt die Tradition, und die Intuition tritt an ihre Stelle.
Sinn und Bedeutung des napoleonischen Sturms ist: daß zum erstenmal das mechanisierte, erfahrungswidrige Denken aus den Werkstätten und Laboratorien hervorbrach und sich der Politik bemächtigte, nicht bloß der leitenden und planenden Zentralpolitik, die auch früher schon traditionslos schuf, sondern aller helfenden und dienenden Glieder, der technischen, finanziellen und administrativen. Vor dieser Explosivgewalt brach das überlieferte Europa zusammen und gewann erst dann wieder Halt, als es sich der neuen Methoden des Denkens und Handelns wenigstens in ihren Anfängen bemächtigt hatte. Noch im Herbst 1813 blieben die Verbündeten monatelang vor dem Rheine liegen, weil in einem Lehrbuch der Kriegsgeschichte stand, ein Fluß sei ein Abschnitt, und vor einem Abschnitt müsse man sich sammeln und neue Kräfte schöpfen.
War Tradition die Grundlage der alten Regierungskunst, so ist die treibende Kraft neuerer Politik jene Fähigkeit, die den Organisator, den Unternehmer, den Kolonisator und Eroberer schafft. Ihr Kennzeichen ist die Vorstellungsfähigkeit für das noch nicht Bestehende, die Veranlagung, die organische Welt unbewußt im Innern nachzubilden und zu erleben, gefühlsmäßig inkommensurable Wirkungen und Motive zu werten und abzuschätzen, die Zukunft im eigenen Geist entstehen zu lassen. Ihre Wirkungsweise ist reale Phantastik, Entschlußkraft, Wagemut und jene Verbindung
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von Skepsis und Optimismus, die auf einfache Naturen sinnlos und widerwärtig wirkt und alle Meister der Politik bei Lebzeiten unpopulär gemacht hat.
Es ist nicht verwunderlich, daß die deutsche Sprache für die Zusammenfassung dieser Kräfte keine Bezeichnung hat; ich wähle den Ausdruck Geschäftskunst, in dem die alte Bedeutung des Wortes Geschäft fühlbar wird, das von Schaffen kommt.
Der adlige Stand der Grundbesitzer, der seinen Ablegern, Anhängern und Nachahmern die Regierungsverantwortung in Preußen trägt, ist heute wie zur Zeit Friedrichs der unübertroffene Meister traditioneller Verwaltungskunst, sowohl auf eigener Scholle wie im Dienst des Staates. Unbescholtenheit und Idealismus, Gerechtigkeit und Vornehmheit, Pflichterfüllung und Treue, Mut und Männlichkeit machen heut wie ehedem diesen Stand zu einer der edelsten Kasten der Geschichte. Der preußische Subalternoffizier findet in unsrer Kenntnis der Vergangenheit und Gegenwart nicht seinesgleichen. Der preußische Landrat hat kraft seiner Eigenschaften ein theoretisch überflüssiges Geschäft zu einer staatlichen Einrichtung höchster Art, ja fast zur Unentbehrlichkeit erhoben.
Nicht nur Verwaltungen zu führen liegt in den schönen Fähigkeiten unsres Beamtenadels, sondern auch sie auszubauen, und zwar unter kraftvoller Überwindung der angeborenen Abneigung gegen das Neue, mit Hilfe aller wissenschaftlichen und technischen Methoden, selbst der ausländischen. Für solchen Ausbau freilich muß ihm Zeit und Eingewöhnung gewährt werden, denn alles Improvisatorische liegt ihm fern.
Hiermit aber ist der Kreis seiner Wirksamkeit geschlossen.
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Das Einmalige, Neue, nocht nicht Dagewesene liegt dem preußischen Beamten fern. Unter eigener Verantwortung, voraussetzungslos, eine verwickelte, vielleicht verlegene Situation intuitiv durchbrechen, neue Verhältnisse und Dinge schaffen, kommende vorbereiten ist nicht seine Stärke. Ja hier begegnet eine offenkundige Hemmung: Sein Handeln ist mit der vorausgesetzten und unbezweifelten politischen Anschauung des Konservatismus so eng verquickt, daß zu jeder Bindung der Lage eine zweite, die Bindung des subjektiv politischen Ziels hinzutritt und die Auswahl des Entschlusses verengt. Aus sich heraus den Geist zu versetzen in fremde Anschauung, in die Lage des Ändern wird ihm schwer; so ist er weder ein Verhändler noch ein Kolonisator. Es fehlt ihm der Blick ins Ferne und ins Künftige. Es fehlt ihm der Hang zum Schrankenlosen, ohne dessen Sehnsucht der Blick für das Realisierbare sich ernüchtert. Es ist kein Zufall, daß mit Ausnahme des Einen, der nicht reinen Adelsblutes war, Preußen seit Friedrichs Tode keinen europäischen Staatsmann geschaffen hat.
Man hat erzählt, der Krieg habe den Beweis ungemessener preußischer Organisationsfähigkeit erbracht. Es ist wahr, daß die dagewesenen Organisationen des Heeres, der Eisenbahnen, der Zentralbank in Betrieb und Ausbau jeder Forderung entsprachen; was dagegen neu geschaffen und improvisiert werden mußte, als das Unvorhergesehene — weshalb unvorhergesehen ? — herantrat, war, soweit es sich bewährt hat, nicht Werk des Staates.
Kehren wir zum Problem der Stoßkraft zurück: Die Auslese der traditionellen Verwaltungsfähigkeit genügt nicht; wir bedürfen der Auslese absoluter politischer Befähigung mit entschiedenem Hinblick auf die Forderung
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der Geschäftskunst im neuen Sinne. Der Stand, der bisher ausschließlich mit politischer Verantwortung betraut war, ist nicht nur im Verhältnis von fünfundsechzig Millionen zu fünftausend zu eng; er ist für die Aufgaben, die außerhalb des Verwaltungsgebietes liegen, nicht einmal der vorzugsweise Befähigte.
Der Einwand, die Herbeiziehung Außenstehender habe sich mangelhaft bewährt, zerfällt. Denn solange die Atmosphäre besteht, von der wir wiederholt gesprochen haben, wird der Herbeizuziehende in der Regel vierfach gekennzeichnet sein: durch zweifelhafte Erfolge im bisherigen Beruf und folgliche Abneigung, ihn fortzusetzen; durch organische Ähnlichkeit mit seinen künftigen Amtsgenossen, die ihn wünschenswert erscheinen läßt; durch eine gewisse Fixigkeit des merkantilen Denkens und Ausdrucks, die man für tiefgreifend hält und von der man das Neue erwartet; durch Bereitschaft zu unerläßlichen Konzessionen, die innerhalb der neuen Laufbahn Voraussetzung sind, jedoch die Aussichten des Versuchs verringern.
In den führenden westlichen Staaten haben im Laufe langer Zeiträume parlamentarischer Gewöhnung selbsttätig wirkende Selektionsmethoden sich herangebildet, durchweg ohne Zutun der Gesetzgebung und fast ohne in das politische Bewußtsein der Nationen zu treten, die diese Entwicklung vergleichslos als selbstverständlich hingenommen haben. Diese Methoden, die unserm wissenschaftlichen Studium stets entgangen sind, weil das Problem der politischen Auslese niemals ernst gefaßt wurde, sollen hier nicht entwickelt werden. Es genügt der Hinweis, daß sie sämtlich im parlamentarischen Leben wurzeln, daß ihr Aufbau in England auf bewußter Auswahl, Züchtung und Erziehung von Führern innerhalb
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der Parteien, in Frankreich auf parlamentarischer und publizistischer Praxis, in Amerika auf plutokratisch-demagogischer Grundlage ruht. Schwer nachahmbar ist die Methode Englands: Dort ist der werdende Parteiführer gleichsam schon den Schulgenossen erkennbar als der leiblich und geistig Bevorzugte, ein Minister greift ihn heraus, macht ihn außerhalb jeder hierarchischen Laufbahn zu seinem Sekretär und Hilfsarbeiter, treibt ihn durch die stetig verfeinerten Siebe der Parlamentswahl, der parlamentarischen Praxis, der versuchsweis übertragenen höheren Verantwortung, und überträgt ihm, wenn er sich bewährt, Erfahrung, menschliche und gesellschaftliche Kenntnis, Einfluß und Amt. Man behauptet, daß in diesem Lande kein politisches Talent unentdeckt und kein entdecktes Talent unverwertet bleibt.
Frankreich betrat den Schauplatz der neuesten Geschichte als ein zerschmetterter, in seinen Vesten schwankender Staat, so schwach und tief gedemütigt, daß sein Botschafter den deutschen Kaiser bei seiner Ritterlichkeit um Frieden beschwor. Dank seiner Staatskunst hat Frankreich im Laufe von vierzig Jahren, während deren Deutschland von der Hegemonie herabstieg, seine Wehrkraft wiedererlangt, drei Kolonialreiche erworben und die stärksten Allianzen Europas geschlossen, die im Gegensatz zu zwei der unsern die Belastungsprobe des Krieges ertrugen. Ein Land, das seine Finanzleute und Industriebeamten aus dem Auslande beziehen mußte, weil es an einheimischen Kräften und Talenten fehlte, konnte durch geeignete Auswahl mühelos seinen maßlosen Bedarf und Verbrauch an Staatsmännern decken und darüber hinaus so reichliche Reserven sammeln, daß für jede neue Aufgabe organisatorischer, finanzieller, diplomatischer, parlamentarischer Art Männer aller Schattierungen
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zur Verfügung stehen, während bei uns mancher Wechsel unterblieb, weil kein Nachfolger zu finden war.
Vergleicht man Einwohnerzahl, Bildungsstand, Leistungsfähigkeit, Kulturhöhe und talentbildende Kraft beider Länder, so ergibt sich die hohe Wahrscheinlichkeit, daß Deutschland ein Vielfaches an Zahl und Stärke der französischen Staatsbegabungen jederzeit in Dienst stellen könnte, wenn wir selbsttätige Mittel der Auslese kennten.
Wir kennen sie nicht; mehr als das: wir üben Methoden der Gegenkunst. Was kein Aktiendirektorium, kein Gewerkschaftsvorstand, kein Bezirksverein ertrüge, das vollbringen wir, wo es sich um das höchste Wohl der Gemeinschaft handelt: wir übertragen Verantwortungen ohne die Überzeugung, daß wir uns des stärksten Trägers versichert haben.
Das mächtigste Erwerbsinstitut ginge im Laufe eines Lebensalters rettungslos zugrunde, wenn es durch seine Satzung gezwungen wäre, verantwortliche Leiter nur aus einem Kreise von tausend Familien oder deren Atmosphäre zu wählen. Für die geistige Verteidigung des Reiches gegen einen überhitzten Wettkampf nach außen und innen, für eine Aufgabe, die nichts Geringeres ist als die Daseinsfrage unsres Volkes, sind diese Methoden gut genug. Dieses Unbegreifliche läßt sich nur durch ein andres Unbegreifliches erklären: in die Bezirke, in denen unser Schicksal entsteht, sind die Begriffe des Wettkampfs, der organischen Arbeit, der natürlichen Begabung noch nicht gedrungen. Da, wo so vieles erblich ist, glaubt man an die Inspiration des Amtes, an die geborene Überlegenheit über die Masse, an die Historie der Geschichtstabellen, wo Zeile für Zeile die
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großen Momente aufeinanderfolgen, während von der unermeßlichen Arbeit und Genialität, die zwischen den Zeilen liegt, nichts erscheint; die Weltgeschichte verläuft wie ein Feuilleton, wo jede eingeführte Figur ihre Schuldigkeit tut, und zwischendurch verbleibt die Zeit für Aperçus, Haranguen und Staatsaktionen. Sonst ließe sich auch die Nebenerscheinung nicht erklären: wie rücksichtslos über die Zeit der Staatsbeamten verfügt wird, nicht zum wenigsten seitens der Parlamente; wer große Aufgaben lösen soll, braucht dreihundertfünfundsechzig mal vierundzwanzig Stunden für sich und seine Werke; Rechenschaften, Feste und Eröffnungen müssen andre für ihn erledigen. Die anekdotische Auffassung der Geschichte hat in allen Zeiten vielleicht nur einmal gegolten, und mehr in den Augen der höfischen Berichterstatter als in Wirklichkeit: während des kurzen Höhepunktes der langen Regierung Ludwigs XIV., als dem französischen Reiche ebenbürtige Konkurrenzkräfte nicht erwachsen waren.
Ein angehender Staatsbeamter bewirbt sich um die Laufbahn des auswärtigen Dienstes. Ein adliger Name, eine vornehme Erscheinung, eine Millionärsrente, die Zugehörigkeit zu einer der bevorzugten studentischen Verbindungen, zu einem der bevorzugten Regimenter, die traditionelle politische Überzeugung sind nachgewiesen; die Empfehlung einer höfischen Stelle tritt hinzu. Es ist schwer, diesen Bewerber abzuweisen, der, wenn er sein Vermögen verloren oder seinen Dienst quittiert hätte, sich vielleicht mit der Aufgabe des Verkaufs von Automobilen begnügen würde. Zweifelsohne kann auch dieser bevorzugte Bewerber die Eigenschaften höchster politischer Genialität besitzen, denn zuweilen gefällt sich die Natur in verschwenderischer Gebelaune;
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doch die kalte Wahrscheinlichkeitsrechnung, die auf lange Zeiträume unbarmherzig Recht behält, sagt aus, daß mit jeder geforderten schönen Gabe, sofern sie nicht sachlich unerläßlich ist, der an sich kleine Kreis der Auswahl auf Bruchteile und abermals Bruchteile zusammenschrumpft, so daß schließlich das Wohl und die Existenz des Staates statt auf dem gesamten Spiel der Volkskräfte auf wenigen Karten ruht.
Abermals unzulässig ist der übliche Einwand und Hinweis auf mehr oder minder zahlreiche Außenseiter in den entscheidenden Ämtern: denn die Assimilanten an eine gegebene, nicht überwindbare Atmosphäre haben die Anwartschaft auf die doppelten Schwächen des verlassenen und des imitierten Standes und verarmen weiter in der Assimilation, die zu übertreiben sie gezwungen sind.
Ist der geistige Rohstoff nach falschen Grundsätzen ausgesiebt, so wächst die Gefahr im Aufstieg. Die letzte Auswahl zur hohen Verantwortung ist nicht, wie bei den Verwaltungsbehörden mit geringer politischer Be- deutung, Sache hierarchischer Klimmung, sondern Kabinettsmethode. Die Vorstellung obrigkeitlicher Erleuchtung, die dieser Methode zugrunde liegt, kann in Zeitläuften besonders günstiger Menschenkonstellation zutreffen. Es sind im Laufe der Geschichte Dynasten und Kabinettschefs von so überwältigender Menschenkenntnis und so durchdringender Sachlichkeit aufgetreten, daß keine andre Methode an die Intuition ihrer Auswahl herangereicht hätte. Doch die Einrichtungen eines Staates müssen auf die Jahrhunderte gestellt sein; versagen sie nur eine Spanne lang, so droht Vernichtung. Deshalb muß auch die Möglichkeit unsachlicher, willkürlicher, günstlingsmäßiger Tendenzen erwogen werden,
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und es bedarf keines Hinweises, wie in solchen Epochen Gaben des Äußeren, der Unterhaltungskunst, der höfischen Anpassung, zufällige Dienste und Begegnungen das Staatsschicksal entscheiden können.
Wir haben die Bedeutung echter Parlamente darin erkannt, daß sie nicht der Massenregierung, sondern der Volksvergeistigung, der Sublimation des nationalen Denkens und Wollens dienen sollen; daß sie neben ihrer herkömmlichen mechanischen Eigenschaft als Barometer der Interessen in Zukunft die Schule des Staatsmannes bilden müssen. Gelingt es uns, und es wird uns gelingen, die Parlamente auf diese Höhe zu heben, so erwächst in ihnen das volksmäßige Regulativ für die Auswahl zur Verantwortung. Es ist nicht unbedingt nötig, daß die Parlamente die höchsten staatlichen Leiter ernennen; es ist unbedingt nötig, daß sie die hohen Begabungen, deren die Ernennung bdarf, zur Verfügung halten und daß die Parteien, denen sie entnommen sind, die Männer ihres Vertrauens so stark unterstützen, daß ihnen jegliche Neugestaltung im bürokratischen Aufbau ihrer Ämter ermöglicht wird. Weder die Bürokratie noch die Feudalklasse werden durch diese parlamentarische Reform und Regelung geschädigt, soweit ihre Begabungen dem Wettbewerb standhalten, denn auch sie sind wählbar und werden ihre auf Überlieferung beruhende Erfahrung und Geschäftskenntnis zur Geltung bringen. Die Reform der Parlamente aber, die mit dieser Entwicklung Schritt halten muß, ist Sache der Nation, die, wie wir gesehen haben, durch Schaffung geeigneter Wahlsysteme, durch Vertiefung des Parteilebens, durch Neurichtung der Parteien den einsichtsvollen Regungen der Obrigkeiten, die heute allenthalben keimen, zum Lichte helfen muß.
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Ein letztes Wort muß über die dritte der staatlichen Kräfte gesagt werden, die den beiden ersten, der Richtkraft und der Stoßkraft, den Halt und die Festigkeit des kämpfenden Organismus verbürgt: die Widerstandskraft.
Alle Staatenpolitik ist dauernde Kraftprobe, und die höchste Steigerung der Politik, die des Krieges, ist eine Prüfung, die sich auf alle Fächer, physische, psychische und intellektuelle, erstreckt und die normalerweise nicht beendet werden kann, solange noch eine einzige Frage des Vergleiches unerschöpft ist. Die Reichstagung des 4.August 1914 hat offenbart, was unser inneres Empfinden wußte, daß keine Not des Landes unser Volk gespalten findet. Doch zugleich hat sie fühlbar gemacht, daß die innere Einheit nicht eine Folge, sondern eine bewußte sittliche Überwindung unsrer Einrichtungen bedeutet. Wenn Volksteile geminderten Rechtes, deren Überzeugungen als gesellschaftsunfähig gelten und nach Belieben als staatsfeindlich, vaterlandslos und landesverräterisch bezeichnet werden dürfen, den Kampf um die Heimat, die sie bewohnen, mit gleicher Begeisterung ergreifen wie diejenigen, denen diese Heimat rechtlich und wirtschaftlich gehört und gehorcht, so ist diese Entsagung für jeden, der deutsch empfindet, selbstverständlich. Auf Vorrecht und Entsagung aber erbaut man keinen Staat.
Wenn wir in diesem, der zeitlichen Praxis gewidmeten Abschnitt die ideale Forderung der Aufhebung erblichen Proletariats in den Hintergrund treten lassen, so ist denn doch der politische Aufbau des Staates aus herrschenden und beherrschten Volksgruppen selbst im Sinne der kühlen Festigkeitsberechnung zu verwerfen, weil das Gleichgewicht ihm mangelt.
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Uns ist so eingeboren und eingewurzelt der Gedanke, der Staat sei eine Sache, die nur den bevorrechteten Spezialisten angehe, er sei ein Erbbesitz von Familienverbänden, Parteigruppen und Weltanschauungsformen, er sei ein despotisches Sonderwesen, das mit Polypenarmen in Lebensführung, Recht und Besitz des einzelnen eingreift und dem man sich fügt, teils aus Zwang, teils weil dies Wesen die öffentlichen und politischen Pflichten gut oder schlecht versieht; wir sind so auferzogen im Bewußtsein, jeder von uns habe sich seinem bürgerlichen Beruf, heiße er Erwerb, Beamtenpflicht oder Geisteswerk, restlos hinzugeben mit seltenem Aufblick zur privilegierten Obrigkeit, mit Verzicht auf unbotmäßige und unwissende Kritik, die abgelöst ist durch das Recht, in Zeitläuften einen Wahlzettel zu beschreiben, der im Millionenstrudel der Stimmen verschwindet, daß wir den Staat als Res Publica, als Sache Aller, als Gemeinschaft unsres irdischen Wollens zu denken kaum vermögen. Es fehlen uns die Gegenbilder; was Geschichte und Umwelt an solchen uns bietet, erscheint uns verzerrt durch Übertreibung der Fehler, denn die wenigen, die unsern Blick auf Vergleichsgebilde richten, sind Professoren, reisende Kaufleute und Journalisten gebundener Willensrichtung.
Wir erschrecken nicht vor dem Gedanken, diejenige Hälfte des Volkes, die unsre Lebens- und Wirtschaftsformen als feindlichen Zwang betrachtet, von der Mitgestaltung des öffentlichen Wesens auszuschließen und sie auf agitatorische und parlamentarische Kritik zu verweisen; wir glauben, auf Grund höherer Erkenntnis sie zum Objekt gesetzgeberischer Abwehr, ja selbst kirchlicher und erziehlicher Besserungsversuche machen zu können; wir empfinden nicht das Unorganische, das in
22 Rathenau, Von kommenden Dingen
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der rückhaltlosen Beherrschung einer begehrenden und expansiven Intelligenz durch eine besitzende und restriktive gegeben ist.
Wir halten es für zulässig und politisch vertretbar, daß eine obrigkeitliche Regierung eine unveränderliche Parteipolitik betreibt, Parteipolitik von Klasse zu Klasse, von Gruppe zu Masse; wir nennen diese Politik konservativ und staatserhaltend. Was gibt es denn, das inmitten organischen Lebens dauernd erhalten werden könnte? Nur das organische Leben selbst, das sich aus sich selbst heraus erneut; nicht seine zeitlichen und individuellen Formen. Der scheinbar Erhaltende verbürgt sich für ein lebenbekämpfendes Prinzip, für Verzögerung und Veraltung. Schlimmer aber ist, daß jede Politik, die nicht Gesamtpolitik ist, sondern Parteipolitik, dauernd mindestens zwei Herren dienen muß, ihrem äußeren objektiven Ziel und ihrer inneren geheimen Parteiüberzeugung; sie bleibt unfrei und unsachlich gebunden und unterliegt auf die Länge jeder dem Zwange enthobenen und in der Wahl der Mittel unabhängigen Gegenpolitik.
Seit zwei Jahren sucht man nach innerer, metaphysischer Begründung unsres Weltkriegschicksals; dieses ist sie und keine andre: Eine Politik ohne Stetigkeit und ohne Erfolge hat das deutsche Volk nicht davon überzeugt, daß es verpflichtet ist, die Verantwortung für sein Leben und Geschick zu tragen. Das Volk, in unermeßlicher Bereicherung, Geschäftigkeit und Technisierung befangen, begnügte sich mit schlaftrunkenen Stoßseufzern über die Mangelhaftigkeit einzelner Ämter und lehnte es ab, von den tief fundamentalen Gebrechen, deren äußere Symptome es für zufällig, ja für nebensächlich hielt, sich Rechenschaft zu geben. Ein paar weitere glückliche Jahre persönlichen Erfolges
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schienen einem jeden wichtiger als die Sache der Gemeinschaft, die schließlich wohl oder übel sich selbst erhalten mochte. In jenen Tagen habe ich immer wieder in Wort und Schrift auf die drohende innere Logik hingewiesen, die unabhängig vom politischen Sonderfalle die Schicksalsstunde herausforderte. Der Krieg, dessen Ursachen heute noch durch populären Hinweis auf nebenseitige Auslösungsmomente abgetan werden, mußte kommen, um uns durch die Not der Gemeinschaft auf die Verantwortung und Solidarität der Gemeinschaft zu weisen.
Es gibt eine schöne Tugend dienender Naturen: für Leben und Besitz nicht der Menschheit, sondern des Andern, des Herrn dazusein; in seinem Hause und Betrieb, in seinem Schicksal und Charakter aufzugehen und die anhängliche Treue auch den Nachkommenden zu wahren. Dies Geschick und Dasein ist echt und gut; es kann ehrwürdig sein, denn jedes vollkommen menschliche Verhältnis, ob schaffend oder leistend, ist Selbstzweck. Es ist die Bestimmung Dessen, der nicht Herr sein kann, dem kein Haus, kein Freiheitsdrang, kein individuell gelöstes Leben und Wirken beschieden ist. Dem deutschen Volke aber ist es nicht bestimmt, in einem Staatsverbande zu wohnen, der nicht in jedem Sinne sein eigen ist, ein Schicksal zu vertreten, das eine erbliche Kaste ihm fügt, Einrichtungen zu beschirmen, die das Vorrecht Einzelner bedeuten. Dies Volk, das eigenlebigste von allen, die sind und waren, hat Rechenschaft zu geben von eigenem Wollen und eigenen Pflichten.
Wenn es überhaupt möglich sein soll, auf lange Dauer den schillernden Individualismus, die reichen und fruchtbaren Gegensätze der Naturen und Interessen, die unser
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Land kreuz und quer durchfurchen, in einem und einheitlichen Staatsverbande zu erhalten, so müssen von allen geistigen und leiblichen Gliedern starke und ungestaute Nerven und Adern zum Zentralorgan der Bestimmung führen; nur dann gelingt der Ausgleich der Rechte und Lasten und die Erweckung der freien Kräfte. Wege zu diesem Ziele haben wir dargetan: Die Reform des politischen und parlamentarischen Lebens, die Auswahl der Befähigten, die Mitwirkung des geistigen Volkes an der Verwaltungsarbeit und Staatspolitik. Im Sinne der Widerstandskraft des Staates erscheint uns das Ziel als Ausgleich der inneren Spannungen, die heute den Körper spröde und brüchig machen. Trag- fähig aber ist nur der organische Körper, der von gesunden, geordneten Sehnen durchzogene. Auf ihm ruht jede Last fremden Drucks und eigener Verteidigung, weil jedes gesunde Element den gemeinsamen Endzweck der Erhaltung will und sich für ihn und seine Mittel verantwortlich und stark macht. Auf ihm ruht gesichert und beschützt die Krone der Monarchie, über parteilichen Willen erhoben und freudig getragen, weil in ihr nur das Gemeinwohl, unbeschattet von persönlichen Wünschen, sich verkörpert, und weil ein jeder im Aufblick zu ihr der selbstlosen, zum Dienste Aller verklärten Gerechtigkeit sich bewußt wird. Auf ihm ruht das höchste der politischen Güter, das wirkende Staatsbewußtsein, weil nicht Einer aus dem Besitz und Verbande des vaterländischen Staates sich ausgeschlossen fühlt, weil Keiner, der sich dem Dienste der Gemeinschaft hingibt, insgeheim von dem Bewußtsein bedrückt wird, nur einer klugen Schicht und Klasse zu dienen, weil Jeder die Solidarität und mitbestimmende Verantwortung erlebt, die Quelle jenes adligen Stolzes auf
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Staat und Königtum, der uns von fern berührt und jedem Untertanenlande fremd ist.
So sind wir aus zeitlichen und politischen Erwägungen zum Volksstaat zurückgekehrt, der uns aus absoluten und sittlichen Betrachtungen vorschwebte. Wir haben das zeiträumlich gebundene Gebiet der eigenen Zustände durchschritten, so nahe es unsre Herzen berührt, nicht als ein Hauptgebiet unsrer Aufgabe, sondern nach dem Bilde des Antäus, um der kämpfenden Idee durch den Druck der Heimatserde die Kraft der Wirklichkeit einzuhauchen. Zum letzten Male umspannen wir das Gesamtbild unsres gesellschaftlichen Daseins mit rückgewandtem Blick des Abschieds.
Von der gewaltigsten Bewegung unsrer planetaren Menschheit sind wir getragen, der mechanistischen. Ihre Anfänge wurden verspürt, wo immer vor Jahrtausenden in wasserreichen Niederungen, an Küsten und Flußläufen das menschliche Geschlecht seßhaft wurde und zu Myriaden sich verdichtete, sei es am Euphrat, am Nil, am Mittelbecken oder in Ostasien. Die Verdichtung schritt auf drei Kontinenten unaufhaltsam fort, das Waldreich war gelichtet, das Tierreich wich. Das Werben des Einzelnen, der Horde, des Stammes um die Güter der Natur wurde unergiebig, der Eroberungskampf der Menschheit gegen die Gesamtheit der Naturkräfte setzte ein.
Ihn haben wir Mechanisierung geheißen.
In der Weltenära der Mechanisierung leben wir; als Naturkampf hat sie ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, als Geistesepoche hat sie ihn überschritten, denn sie ist bewußt geworden. Physisch betrachtet ist sie ein Urzeitliches, denn sie ist animalischer Kampf um Nahrung, Leben und Glück, metaphysisch betrachtet ist sie kein
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Endgültiges, denn sie ist Herrschaft der niederen Geisteskraft des Intellekts.
Aller menschlichen Kräfte hat Mechanisierung sich bemächtigt, allen Denkens und aller Tätigkeit. Um sich selbst zu schaffen hat sie Wissenschaft und intellektuale Philosophie gebildet, um sich zu erhalten bedarf sie der Technik, des Verkehrs, der Organisation und der Politik.
Alles praktische Denken hat ihre Formen angenommen; ausnahmslos bewegt es sich in den Zeitmaßen der Polarität, der Abstraktion, der Entwicklung, des Gesetzes und des Zwecks, mit den Werkzeugen des Maßes und der Beobachtung. Alles metaphysische Denken hat unwillkürlich diesen Formen sich angeschmiegt und die Bewegungen des zweckhaften Intellektes nachgeahmt; ja selbst das religiöse Empfinden hat innerhalb der Mechanisierungsform der Kirchen, des organisierten Erbauungs- und Erlösungsbetriebes seine transzendentale Ursprünglichkeit auf die Bedürfnisse diesseitiger und jenseitiger Massenordnungen eingestellt. Die seltenen Stimmen, die im Laufe der Jahrtausende von Indien und Palästina her, ahnend aus Griechenland und schwärmend aus dem germanischen Mittelalter durch die Atmosphäre des intellektualen Denkens drangen, haben im Bewußtsein der Welt nur Niederschläge mechanisierten Kompromisses hinterlassen.
Doch das Denken selbst, die riesenhafte, gebundene Macht der Erde, bricht über seinen zweckhaften Willen hinaus und ringt um Freiheit. Es erkennt die notwendige Gewalt der Mechanisierung, die im Physischen liegt, und begreift ihre transzendente Armut. Es erblickt die intuitive Macht der schauenden Seele, erkennt ihre weltvernichtende Einheit und erschrickt nicht vor dem Opfer seiner selbst. Entschleiert liegt die Mechanisierung in
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irdischer Hilflosigkeit; sie hat alle Kräfte des Planeten und seiner Sonne aufgerufen, doch nur, um sich neue Massen und neue Arbeit zu schaffen; sie hat alle Menschheit zu gemeinsamem Dienst verkettet, doch nur, um hinter dem Schutzschild sie zu heißerer Wechselfeindschaft zu reizen; sie hat alles Sinnen und Trachten geordnet, doch nur, um es in Reih und Glied in den Abgrund der Unwirklichkeit zu treiben.
Der unbekannte Erdgeist, dem wir dienten, wird zum Objekt; bald duldet er das Siegel Salomonis, das zum Dienste bindet. Hatte die Mechanisierung das Unerhörte geleistet, indem sie unser geistiges, leibliches, gesellschaftliches Sein zum Naturkampf formte, so hatte sie weder den Sinn dieses Kampfes uns gegeben, noch unsre urzeitlichen Regungen gemeistert. Ja sie hat aufs höchste diese Regungen gestachelt und mißbraucht, die Furcht, die Gier, den Eigennutz, den Haß: alles was den ewigen Geist zur Täuschung des Ich und seiner Herrschaft spaltet. Die Formen des Raubes, des Schatzes, des Kampfes und der Knechtschaft hat sie zur anonymen Not vernebelt und verewigt; als Lockung und Drohung gewährte sie uns Entbehrung und Genuß, die kalten Pflichtideale und Nothilfen der intellektualen Philosophie, das himmlische Spiegelbild unsrer irdischen Hölle, oder das Nichts.
Unabhängig vom Zweck und Denken ist der Sinn unsres Seins in uns erwacht; der ist das Werden, Wachsen und Leben der Seele. Unabhängig von Zweck und Wollen prüfen wir das Wesen der Mechanisierung und erkennen im Kern des erdgebundenen Werks der Naturbezwingung ein echtes Gut, das uns gegeben ward und dessen wir uns in der Trübnis seines Widerspiels noch nicht in Reinheit bewußt sind.
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Der Naturkampf der Mechanisierung ist ein Menschheitskampf. Alles frühere Streben war Werk des Einen, des Geschlechts, der Kaste, des Stammes; so wurde Tierheit und Wildheit, Boden und Meeresfläche bezwungen. Der Gesamtkampf der menschlichen und natürlichen Gewalten aber schließt jedes menschliche Dasein und Wesen ein; der planetare Geist kämpft als Einheit. Praktisch und handgreiflich hat die Mechanisierung nach dieser Voraussetzung gehandelt; zu millionenfachen Organisationen hat sie die menschlichen Einheiten zusammengeschlossen, durch Ketten aus Äther, Luft, Wasser und Metall die Erdvesten verbunden, zu Werken und Handlungen die entferntesten Glieder und Geister vereinigt. Im Geiste aber hat sie das Wesen der Bindung und des Gemeinschaftswirkens nicht erkannt; noch immer bedient sie sich der urzeitlichen und sklavischen Reize und Instinkte im Sinne des Kampfes und der Entzweiung. Begehrlichkeit und Eigensucht, Haß, Neid und Feindschaft, die Furiengeißeln der Vorzeit und der Tierwelt halten den Mechanismus unsrer Welt im Schwunge und trennen Mensch von Mensch, Gemeinschaft von Gemeinschaft. Die Tränen des Glaubens vertrocknen am Feuer des mechanistischen Willens, und Priesterworte müssen sich zum Segen des Hasses fügen. In die Galeere geschmiedet, sollen wir uns in Ketten zerfleischen, obwohl es unser Schiff ist, das wir rudern, und unser Kampf, zu dem es auslief.
Doch so wahr wir wissen, daß die erwachende Seele das göttliche Heiligtum ist, für das wir leben und einstehen, daß Liebe die Erlöserkraft ist, die unser innerstes Gut befreit und uns zur höhern Einheit verschmilzt, so unbeirrt erkennen wir in dem unentrinnbaren Weltkampf der Mechanisierung das eine Wesentliche: den
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Willen zur Einheit. Indem wir der Mechanisierung das Zeichen entgegenhalten, vor dem sie erblaßt, die transzendente Weltanschauung, die sie bei allem Aufgebot intellektualer Philosophie zu verdunkeln wußte, die Andacht zur Seele, den Glauben zum Absoluten; indem wir ihr Wesen durchleuchten und zum verheimlichten Kern des Einheitswillens hinandringen, ist sie entthront von der Herrschaft und zum Dienst gezwungen.
Wir werden sehend; um des Hungerlohns willen und des Höllenglücks von etlichen Genüssen und Eitelkeiten, vom Dank der Trägheit, der Eigensucht und Verantwortungslosigkeit verschreiben wir nicht die Würde unsrer Menschheit und das Leben unsrer Seelen. Wir streben zur Einheit und Solidarität menschlicher Gemeinschaft, zur Einheit seelischer Verantwortung und göttlicher Zuversicht. Wehe dem Geschlecht und seiner Zukunft, wenn es den Ruf seines Gewissens betäubt und beharrt in materieller Stumpfheit, in der Freunde am Flitter, in den Banden der Eigensorge und des Hasses.
Wir sind nicht da um des Besitzes willen, nicht um der Macht willen, auch nicht um des Glückes willen; sondern wir sind da zur Verklärung des Göttlichen aus menschlichem Geiste.
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WERKE
VON
WALTHER RATHENAU
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ZUR KRITIK DER ZEIT
Neunte Auflage. Geh. 3 Mark 50 Pf., geb. 4 Mark 50 Pf.
Ein außerordentlich knapp gefaßtes, überall von fundierter Lebensbeobachtung ausgehendes, überzeugend zusammengefaßtes Buch. Und für den, der es recht zu lesen versteht, ein spannendes und erregendes, ja geradezu unterhaltsames und anfeuerndes Buch. Man sitzt gleichsam am Webstuhl der Zeit und sieht die Fäden herüber- und hinüberschießen. Und in allem offenbart sich das Gesetzmäßige, das Mechanisierende. Die absolute Unentrinnbarkeit der heutigen mechanistischen Weltordnung, ihr Hinübergreifen auf alle Gebiete der Produktion, der Verwaltung, der Politik, der Intellektualität, ja des familiären Lebens und der Ichkultur enthüllt sich uns wie ein eisern-klammerndes Gefüge. (Leipziger Neueste Nachrichten)
Es ist kein Buch des ironischen Skeptizismus, der pessimistischen Verneinung aller Zukunftswerte. Darin gerade ruht seine Bedeutung, daß von einer bejahenden, einer zuversichtlichen Stimme diese schweren Mahnungen kommen. Es ist ein männliches Buch, in der tapferen Überwindung naheliegender Resignationsstimmungen. Und darin liegt auch sein Anspruch, sein Recht auf Echo und auf Wirkung. Denn nur die Kritik, nur die Anklage, die aus der Hoffnung, aus der Zuversicht leidenschaftlicher Liebe kommt, hat ein Recht auf das Forum der Volksgemeinschaft.
(Rheinisch-Westfälische Zeitung)
ZUR MECHANIK DES GEISTES
Vierte Auflage. Geh. 4 Mark 50 Pf., geb. 6 Mark.
Die „Mechanik des Geistes“ ist ein prachtvolles Gemälde der Seele. Mit vorsichtiger Hand ist es auf die großen Unterlagen der Welt, wie wir sie heute sehen, gestellt. Es wird nicht zu Eis in der Kälte der Abstraktion, und es wird nicht verdunkelt von dichten, lichttötenden Überschwerungen des Gedankens. Rathenaus neuestes Buch ist so gänzlich frei von alledem. Ohne posierte Originalität und schöngeistige Spielerei. Die betrachtsame Art eines ernsten Mannes, der aus inneren Zuständlichkeiten, aus der Tiefe seines Wesens redet, eines Mannes, der für alles im Leben Verständnis hat, hell übersichtlich von dem Sichtbaren spricht und doch zögernd innehält, wenn er dessen Grenzen anrührt — das alles ist Walther Rathenau. Das Unbekannte ist seine Sehnsucht. Er spricht gegenständlich, plastisch, er sieht die Dinge von allen Seiten, aber es ist niemals die charakterlose Sprache des Tages hörbar. Rathenau ist kein Utopist. Seine Zukunftsausblicke sind keine Prophetien. Zukunftswege und Zukunftspläne haben nichts Pathetisches. Er hofft auf den unendlichen Wert der menschlichen Seele. Das ist alles. Es hat etwas Beglückendes, daß ein moderner deutscher Kaufmann so gar nicht mit ernüchtertem Auge Kommendes erwartet. Ein stiller Glaube an das Gute in der Welt steigt aus diesem Buche ins Künstlerische empor.
(Neue Freie Presse, Wien)
DEUTSCHLANDS ROHSTOFFVERSORGUNG
Vortrag, gehalten in der „Deutschen Gesellschaft 1914“
Geheftet 60 Pfennig.
PROBLEME DER FRIEDENSWIRTSCHAFT
Vortrag, gehalten in der „Deutschen Gesellschaft 1914“
Geheftet 75 Pfennig.
Ferner ist erschienen:
REFLEXIONEN
(bei S. Hirzel, Leipzig)
Vierte Auflage. Geh. 4 Mark 50 Pf., geb. 6 Mark.
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Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig
Quelle:
Walther Rathenau: Von kommenden Dingen.
S. Fischer-Verlag 1917
Das Buch wurde durch die digitale Bibliothek UMCS der Uni Lublin eingescannt
und ist online einsehbar über folgenden Links:
http://dlibra.umcs.lublin.pl/dlibra/publication/9937/edition/15932/content
http://dlibra.umcs.lublin.pl/dlibra/docmetadata?id=15932