Die barocken Kopfkonsolen im Langhaus unseres Kaiserdomes

 

Da ragen nun seit fast 300 Jahren sechs kräftige barocke Konsolen in den großen Gemeinderaum unseres Gotteshauses, blicken mit ihren acht Gesichtern auf Prediger, Beter und Besucher herab und sind doch seit langem blind; denn Anschauung ohne Begriffe bleibt blind. So übersah man sie einfach, fertigte sie als nichtssagend ab oder erwähnte sie höchstens als "barocke Konsolen in Form menschlicher oder phantastischer Köpfe." Ursprünglich sagten sie sicher etwas aus, veranschaulichten sie bedeutende Begriffe. Welche? In Matth. 10.26 steht: "Es ist nichts heimlich, das man nicht wissen werde." wiederholt erkannten Dombesucher nach Hinweisen die vier in Blatt- und Schweifwerk gefaßten Masken als Symbole der vier damals bekannten Erdteile. Sagte man ihnen, daß in einer christlichen Basilika der Chor dem dreieinigen Gott und seinen Heiligen, das Querhaus den Engeln und das Mittelschiff dem Irdischen zugeordnet ist, und zeigte man ihnen das lateinische Kreuz auf der Stirn der einen (vgl. Offb. 7.3) und den Ring in der Nase der nächsten Maske, dann strahlte die Freude der Erkenntnis aus ihren Gesichtern. Daß Australien 1693 noch nicht entdeckt war, wissen die meisten auch. Wer aber sind die beiden Paare, deren Köpfe vital die strenge Architektur durchbrechen und zuschauend am Geschehen unter ihnen teilnehmen ? Es müssen gehobene Persönlichkeiten sein, die da einen Rang mit den Erdteilen einnehmen. Den Bärten der Männer. nach gehören sie in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Ob Kaiser, Könige, Feldherren oder Gelehrte, sie alle trugen damals Spitz- und Schnurrbärte wie der auf der Nordwand Dargestellte, der mit zerfurchter Stirn auf das Kaisergrab herabschaut. Der Blick seiner Partnerin ist in das Westgewölbe gerichtet, wo damals der Taufstein stand. Beide sind durch ein Früchtebukett, ein Symbol fruchtbarer Ehe verbunden. Mit dieser Konsole setzten die Bauherren des Gewölbes, die Herzöge Rudolf August und Anton Ulrich, ihren Eltern, dem Herzog August d. J. (1579-1666) und seiner zweiten Ehefrau, Dorothea von Anhalt-Zerbst (1607-1634), ein Denkmal in der erstrangigen Kirche ihres Landes. Das Aussehen des berühmten Herzogs ist uns durch viele Bildnisse bekannt. Von Dorothea gibt es keine zu ihren Lebzeiten entstandenen Bildnisse mehr. Ein später gemaltes zeigt ein rundes volles Gesicht mit weit auseinanderliegenden Augen und unbefangenem warmen Blick. Sie starb 27jährig im siebenten Kindbett und wurde Mutter der Armen genannt. Das Paar gegenüber ist nicht durch ein Fruchtbarkeitsymbol verbunden. Verschränkte Locken drücken zusammen mit den abweisenden Gesichtern eher Abneigung und verhinderte Trennung aus. Da sie als gleichrangig, der gleichen Zeit angehörig und ohne Erben dargestellt sind, kann es sich nur um Herzog Friedrich Ulrich (1591-1634) und seine Ehefrau Anna Sophia (1598-1659), Tochter des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg handeln. Mit Friedrich Ulrich starb 1634 des mittlere Haus Braunschweig aus. Die Entdeckung eines Ehebruchs zwang Anna Sophia, zu ihrem Bruder in Brandenburg zu fliehen. Die vom Herzog erstrebte Scheidung erübrigte sich durch seinen frühen Tod. Anna Sophia erhielt Schöningen als Wittum, residierte dort eigenwillig und erfolgreich, sie gründete z.B. 1639 das Gymnasium, und starb 1659 in Berlin. Ein Zeitgenosse urteilte über beide: "Zwei sehr ungleiche Naturen wurden zusammengefügt. Die Frau war unstreitig körperlich und geistig weit regsamer als der Mann, der gutmütig, aber schwerfällig, schwach und unselbständig, nur zu leicht in die Abhängigkeit anderer geriet." Dies ist dem Gesicht am südlichen Obergaden anzusehen. Die ungewöhnliche Idee der fürstlichen Bauherren, Bildnisse ihrer Vorfahren in diesen Konsolen zu verewigen, entstand wahrscheinlich dadurch, daß sie das Denkmal, welches sich Friedrich Ulrich 1620 durch Gemälde und Inschriften an den Arkadenhochwänden setzte, bei der Erneuerung des 1673 eingestürzten Gewölbes in neuer Form erhalten wollten. Konsolen und Gewölbe sind das Werk des heimischen Maurer- und Steinhauermeisters Johann Friedrich Wendt (1659-1730). Er signierte im Schlußstein des westliche Joches:
M ° JOHAN ° FRlD °  WENDT ° FECIT ° 1695



Otto Kruggel

Veröffentlicht in:
Der Dombote  5. Jahrgang  Nr. 23  Jan./Febr.  1990  S. 9-10

 

 

 

 

Adolf Lüders "Die Neuvermalung des Langhauses"

"Die Neuvermalung.
1. Das Langhaus.

Das Kreuzgewölbe ist nur sehr einfach, vielleicht ein wenig zu hell gehalten. Auf weißem Farbengrunde zeigen sich um jeden Hängezapfen Engelsköpfchen, die wieder von einem Sternenkreis umgeben sind. Links und rechts von letzterem erscheinen vielfarbige Arabesken in Löwenköpfen endigend.

 

Die beiden Wandflächen sind durch ihre Wandsäulen in je vier große Felder geteilt, auf denen sich, als Engel dargestellt, folgende Gemälde zeigen: Auf der Südwand die »vier Elemente«. Umgeben von grüngeschmückten Bäumen zeigt jedes Bild die zutreffenden Attribute und zwar von Osten nach Westen: 1. Das Feuer (ignis), in jeder Hand eine brennende Fackel und zu beiden Seiten feuerspeiende Drachen; 2. die Luft (aer), zwei Tauben auf den Händen und zu beiden Seiten Adler; 3. das Wasser (aqua), mit dem Dreizack und beiderseits Delphine; 4. die Erde (terra), in der Hand volle Ährenhalme und zu beiden Seiten Löwen. Unter diesen Figuren entlang läuft die Inschrift: Benedicite . Domino . ignis .et .aestus .benedicite .Domino .draco .et .quae .vivunt .in . igni (Lobsinget dem Herrn, Feuer und Hitze; lobsinge dem Herrn, du Drache. und alles, was im Feuer lebt). Benedicite .Domino .nubes .benedicite .Domino .omnes .volucres (Lobsinget dem Herrn, ihr Wolken, lobsinget dem Herrn, ihr Vögel alle). Benedicite. Domino. flumina. et .maria .benedicite. Domino .pisces .et .omnia .quae .sunt . in .maribus (Lobsinget dem Herrn, ihr Flüsse und Meere, lobsinget dem Herrn, ihr Fische und alles, was im Meere ist). Benedicas . terra . Domino .benedicite . Domino .animalia .terrae (Mögest du, Erde, dem Herrn lobsingen, lobsinget dem Herrn, ihr Tiere der Erde).

 

Gegenüber an der Nordwand erblickt man die vier Tageszeiten und zwar von Westen nach Osten: 1. Nacht (nox), 2. Morgen (diluculum), 3. Mittag (meridies), 4. Abend (crepusculum). Ihr Attribut ist die Sonne; jederseits die gleichen vorhingenannten Tiergestalten. Die Unterschrift lautet: Benedicite .stellae .cocli .Domino .benedicite .sol .et .luna. Domino .benedicite .noctes .et .dies .Domino .benedicite .lux .et. tenebrae .Domino .benedicite .omnia .opera .Domini . Domino . laudate .et .superexaltate .eum .in .secuIa (Lobsinget dem Herrn, ihr Sterne des Himmels; lobsinget dem Herrn, Sonne und Mond; lobsinget dem Herrn, Nächte und Tage; lobsinget dem Herrn, Licht und Finsternis; lobsinget dem Herrn, ihr alle seine Werke, rühmet und preiset ihn ewiglich)."


Auszug aus:
Der Kaiserdom zu Stift Königslutter.
Zugleich ein Führer durch diesen.
Unter geschichtlicher und architektonischer Berücksichtigung
beschrieben von Adolf Lüders.
Mit mehreren Abbildungen im Texte
im Anhange:
Die farbige Ausstattung des Domes durch Wand- und Glasmalerei in ihren Einzelteilen.
Einige Klostersagen und ein Verzeichnis der Aebte des Stiftes und der Pastoren an der Stiftskirche.

Königslutter. Druck und Verlag von Heinrich Lüders 1904  S. 50-51


 

Die Treppen des Kaiserdomes in Königslutter

"Ochsentreppe" im Kaiserdom
"Ochsentreppe" im Kaiserdom Foto: Stephan Hähnsen

 

Von Otto Kruggel

Kaiser Lothar III. veranlaßte 1135 die Gründung eines Klosters in Lutter zur Ausbreitung des religiösen Lebens und zu seinem und seiner Erben Heile. Die Mönche dafür erbat er aus dem hirsauisch reformierten Benediktinerkloster Berge bei Magdeburg. Damit nun diese ehrwürdigen Männer immer in Freiheit ihre Aufgaben erfüllen könnten, stattete er sie mit reichem völlig freien Grundbesitz und Zusicherung höchsten Schutzes ihres Lebens und Gutes aus. Klosteranlage und Klosterkirche wurden nach bewährtem Grundschema und in solidester modemer Weise geplant und in Bau gesetzt. Das war zur Wahrung der Würde des neuen sächsischen Kaisers erforderlich. Seine Haus- und Gedächtniskirche, zwischen Aachen und Magdeburg gelegen, sollte für alle Zeit im Vergleich mit den Stiftungen Karls des Großen und Ottos des Großen bestehen können. Sie hätte bei Vollendung in ihrer ursprünglichen Konzeption beide überboten, aber durch den baldigen Tod des Kaisers wurde dieser gediegene Protorenaissancebau leider nicht so vollendet, wie Bauherr und Baumeister es erdacht hatten. Trotz späterer reduzierter Realisierung entstand hier am Hang des Elms und Lauf der Lutter ein Bauwerk, das bereits vor hundert Jahren von Fachleuten als „Parthenon der deutsch-romanischen Baukunst“ (Uhde 1904) bezeichnet wurde. Wenn ihm dieser Rang heute noch immer nicht allgemein zuerkannt wird. so liegt das hauptsächlich an unkompetenter bis unsinniger Interpretation, unfairem Verschweigen seiner Besonderheiten und unverantwortlicher Unterlassung von Erhaltungsmaßnahmen. Grundlage für die Erhaltung von Kunst- und Bauwerken ist immer ihre Interpretation! Sind schon die augenfälligen Besonderheiten dieses Baues wenig be- und anerkannt, so sind es die beiden dem Besucherblick entrückten Treppen noch weniger. Bei allgemeinen Führungen werden sie weder erwähnt noch gezeigt und selbst im Reisehandbuch „Wege in die Romanik“ ( 1993) und der dort genannten Fachliteratur findet man nichts über sie. Sie sind ebenso groß- und einzigartig wie diese einzige kaiserliche und hirsauische Kirche: ein majestätischer kaiserlicher Aufgang im Westbau und eine bescheidene Stiege für die Mönche im Osten. Im Nordwestturm windet sich um einen 16 Meter hohen und 1,60 Meter dicken Rundpfeiler aus Kalksteinquadem sechsmal rechtsherum ein 60 Meter langer, 1,60 Meter breiter und 2,45 Meter hoher gewölbter steigender Tunnel. Die Außenwände dieses kreisrunden Schachtes in dem quadratischen Turm sind mindestens 1,97 Meter (7 Fuß) und maximal 3,60 Meter dick. Ihre Muschelkalksteinquader sind nicht so glatt geschliffen und so dicht gefügt wie die des Ostbaus. Dort sind die Fugen der großen Quader meist so schmal, daß man keine Rasierklinge hinein bekäme. Vielleicht hätte der hochbegabte und erfahrungsreiche Meister von Königslutter diesen majestätischen ascendus per cocleam33 ebenso präzise gearbeitet wie die berühmte „vis de Saint-Gilles“ in der Provence. Dort sind auch die Gewölbesteine sphärisch gearbeitet, geglättet und optimal gefügt. Unser schneckenförmiger Aufgang wurde aber erst errichtet als der kaiserliche Bau nur noch Abteikirche war und Heinrich der Löwe, der Erbe des Kaisers, sich kaum darum kümmerte. Für die Wölbung verwendete man den leichteren Duckstein. Die 87 Stufen aus Ziegelstein wurden erst am Ende des vorigen Jahrhunderts gesetzt. In früheren Berichten, zum Beispiel im „Braunschweigischen Magazin“ vom 20. April 1822 ist von einem „merkwürdigen Schneckengang des Hauptturmes, wohinauf man reiten und fahren kann“ die Rede. Die Sage berichtet, daß diese Rampe während des Dreißigjährigen Krieges benutzt worden sei, das Vieh auf den Kirchboden zu treiben, um es vor räuberischen Zugriffen in Sicherheit zu bringen. Daher rührt ihre volkstümliche Bezeichnung Ochsentreppe. Da sie aber in diesen Ausmaßen hauptsächlich als Zugang zur Kapelle des Kaisers geplant war, sollte sie besser Kaisertreppe genannt werden. Sie ist die breiteste romanische Turmtreppe in Deutschland, vielleicht sogar die breiteste Sakralgebäudetreppe, die es bis dahin im Abendland gab. Die früheste Erwähnung einer solchen Treppe finden wir in der Beschreibung des Baus des salomonischen Tempels in 1 Kö 6.8: „... und auf einer Wendeltreppe stieg man in das mittlere und vom mittleren in das dritte Stockwerk hinauf.“ So ist es auch im Tempel des neuen Salomo auf dem Berge, aus dem die Lutter quillt. Der jüdische Historiograph Flavius Josephus (37/38 - nach 100) schreibt im 8. Buch seiner „Antiquitatis Judaicae“, daß König Salomo selbst es ersann, eine Treppe zum Obergeschoß in der Dicke der Mauern zu bauen. Auch die andere, die Mönchstreppe in unserem Kaiserdom, ist nach dieser vom weisen Salomo um 970 vor Chr. erfundenen Art angelegt. Sie befindet sich in der Südwand des Querhauses und diente den Mönchen zum Gang aus ihrem Schlafraum in die Kirche. Das Dormitorium befand sich, wie dies bei Benediktinerklöstem üblich war, im Obergeschoß des Kreuzgang-Ostflügels. Die Mönche gingen also zur Verrichtung ihrer nächtlichen Stundengebete über den Kapitelsaal und die Sakristei hinweg und die salomonische Treppe hinab in den Südflügel des Querhauses der Basilika. Leider wurde der Ostflügel der Klausur nach der Reformation abgerissen. Dadurch verlor das Kloster seinen schönsten Raum, den einzigen romanischen Kapitelsaal mit vier mal vier Gewölbejochen. Selbstverständlich mußte dieser Plenarsaal der Mönche ihren immer wieder bewunderten Lesekreuzgang an kunstfertiger Gestaltung bei weitem übertreffen. Ihre Treppe ist dagegen ganz nüchtern funktional in der acht Fuß (2,26 Meter) dicken Quaderwand angelegt beziehungsweise ausgespart. Im Treppenschacht von 9,90 Meter Länge und 0,77 Meter Breite führen von Ost nach West 15 Kalksteinstufen 3,20 Meter nach oben. Dann winkelt das 3,10 Meter hohe Gewölbe nach Süden ab. Die kirchenseitige Wand ist 71 Zentimeter dick. Auf drei Viertel Höhe befindet sich ein sich verengender gewölbter Lichtschlitz von 45 mal 73 Zentimeter, der jetzt zugesetzt ist. Für die Klosterseite bleibt eine Wandstärke von 78 Zentimeter. Die Kalksteinquader wurden durch Randschlag egalisiert, und das Gewölbe besteht aus groben längsliegenden Keilsteinen. Im allgemeinen befanden sich die Mönchstreppen an der Wand zwischen Kirche und Dormitoriumsflügel des Klosters, wie dies in Mariental, allerdings in emeuerter Form, ersichtlich ist. Ursprünglich gab es dort eine einläufıge Holztreppe. Bekannt wurde sie durch die 89. Eulenspiegel-Historie, nach der Eulenspiegel etliche Stufen ausbrach, um die zur
Mette eilenden Mönche, die er auf Geheiß des Abtes zahlen sollte, ganz sicher auf seinem Kerbholz zu vermerken. Nach der Reformation beziehungsweise Säkularisierung wurden diese Dormitoriumstreppen überflüssig und die meisten davon abgebrochen. Unsere wird noch heute viel von den Mitgliedern der Kirchenmusikgruppen benutzt, die sich den Raum über der Sakristei als Übungsraum einrichteten. Die Kaisertreppe, der anhaltenden Renovierungsarbeiten wegen als Abstellplatz gebraucht, wird wohl bald besichtigungsreif sein. Laut Chronik der Stiftskirchengemeinde und Berichten der Nachbarin, Frau Höffgen, diente dieser Turmaufgang während des Zweiten Weltkrieges als Schutzraum. Anfang 1942 wurden der Osterleuchter und andere wertvolle Gegenstände der Kirche aus Luftschutzgründen dort an den sichersten Stellen eingemauert. Seit Beginn des Fliegeralarms in Königslutter nutzten die Anwohner den Aufgang als Luftschutzraum. Anfangs waren etwa sechs Stufen mit je zwei Personen besetzt, die ihre Koffer in die Fensterschächte stellten. Nach den ersten Bombentreffern im Ort setzte starker Zustrom zu diesem Schutzraum ein, und bald waren alle Stufen mit drei bis vier Menschen besetzt. Am 12. April 1945 zogen, nachdem in der Umgebung mancherlei Kämpfe stattgefunden hatten, amerikanische Truppen in Königslutter ein. An diesem Tage diente die Kaisertreppe zum letzten Male als Schutzraum. Fortan möge sie von den hohen Leistungen der Erbauer des am meisten original erhaltenen romanischen Kaiserdomes zeugen und bald in einen würdig gestalteten Präsentationsraum dafür münden.

Der Autor ist ausgebildeter Kunsterzieher und hat sich vornehmlich mit der Geschichte über den Kaiserdom in Königslutter am Elm und Kaiser Lothar von Süpplingenburg beschäftigt.



veröffentlicht in:
Kreisbuch 2000 des Landkreises Helmstedt S. 79-82


Der Kaisersaal von Königslutter 2007

Könige und Kaiser erhielten traditionell in den von ihnen gegründeten oder bevorzugt besuchten Kirchen im Westteil einen separaten Raum. Nach dem ursprünglichen Plan hätte das Kaiserpaar selbstverständlich einen solchen in seiner Gründung bekommen, der nach deren Tode aber nicht eingerichtet wurde.

Der Raum über der Orgel, der bisher pietätlos als Lagerraum für Dachziegel genutzt wurde, könnte durch Einrichtung eines Kaisersaales als Teil des Kaiserdom-Museums in eine würdige kulturelle Funktion erhoben werden. Durch seine Lage sogar als Hochsicherheitsraum.

Durch Einbau von Vitrinen an den Stellen, wo während des Krieges Wertvolles eingemauert war, ließe sich die Turmtreppe dieser Nutzung gut anpassen.

Vorstellungen von der Gestaltung einer solchen Gedenkstätte für den Stifter unseres bedeutendsten Kulturgutes liegen seit über 20 Jahren vor.

Otto Kruggel
22.03.2007


Der Kaisersaal von Königslutter 1984

 

Kennen Sie den Kaisersaal von Königslutter? Nein?

Wir wollen im nächsten Jahr zusammen mit vielen Gästen aus aller Welt, Liebhabern von Lutter und Lothars Stiftskirche, das 850 jährige Jubiläum dieses Juwels der deutsch-romanischen Baukunst feiern. Da müssen wir doch gut informiert sein über diesen Kaiserdom! Der Kaisersaal nimmt in ihm einen besonderen Platz ein, das oberste Geschoß zwischen den trutzigen Westtürmen. Von außen sieht man weithin das große Spitzbogenfenster. Eine Mittelsäule gliedert es in zwei kleeblattbogig auslaufende Bleiglasflügel mit einem sauberen Vierpaß darüber in der Spitze. Durchaus dem Kaisersaal angemessen. Wie in Castel del Monte. Die wuchtige und wahrlich majestätische Wendel-Spindeltreppe im nördlichen Westturm führt mit 88 Stufen bis an die Schwelle des hohen Raumes. Vier Personen können bequem nebeneinander durch den soliden siebzig Meter langen getörnten Tunnel die 22 m hinaufsteigen. In sechs Umläufen winden sich die mehr als zwei Meter dicken Wände aus altersgrauen Kalksteinquadern um den 1,60 m dicken Kern, ein imposantes Netzband bildend. Der breiteste Block mißt 1 1/3 m. Wo gibt's das noch einmal? Ein Spitzbogenportal führt aus dem Treppenturm in den Saal. Die gleichgroße, gleichförmige Fensteröffnung darüber bildet ein Pendant zum Portal und zum erwähnten Westfenster. Während dessen Grisailleglas das Licht fast voll einfallen läßt, wirkt das Nordfenster mit gedämpfter Farbigkeit wie ein Wandbild. Eine rustikale Balkendecke in etwa 8 m Höhe schließt den Raum nach oben ab, aber Bogenansätze zeigen uns, hier wurde wie im Langhaus die konzipierte Wölbung zugunsten der billigeren Flachdecke aufgegeben. Schade! Das hätte nämlich ein stützenfreies gotisches Gewölbe in gotischen Raumproportionen gegeben. Dem gotischen Gewölbe des Refektoriums fehlt leider die gemäße Raumhöhe. Unter der Balkendecke ein schwerer schmiedeeiserner Leuchter mit Messingbeschlägen und Schalen für Kerzen. Da deren Licht, das für besondere Benutzung gedacht ist, dem Betrachter der Sammlung, die dieser Raum birgt, nicht genügen würde, sind elektrische Lampen geschickt mit installiert. Sie strahlen die Tafeln und Bilder an den Wänden an. Von allen Kaiser-Lothar-Bildnissen befinden sich Großfotos hier. Achtzehn solcher Abbildungen bzw. Darstellungen sind den Experten bisher bekannt. Fünf davon haben oder hatten ihren Platz in Königslutter, drei in Braunschweig, je zwei in Aachen, Wolfenbüttel und München. Die übrigen vier sind in Frankfurt, Staffelstein, Hecklingen und Romzu finden.Vielleicht weichen einige der Fotos im Laufe der Zeit guten Kopien der Originale oder gar den Originalen selbst. Bei den meisten, wie z.B. beim Karlsschrein von Aachen oder dem Lateranfresko in Rom, werden wir uns mit den Fotos begnügen müssen.Eine genealogische Tafel zeigt die Herkunft Lothars und die vielfachen Verbindungen zwischen den Geschlechtern der Salier, Staufer,Babenberger, Welfen, Billunger, Askanier, Brunonen, Northeimer,Katlenburger, Haldensleber, Querfurter und Wettiner bis nachFrankreich, England, Dänemark, Norwegen, Polen, Rußland, Ungarnund Byzanz.Die Kaiserstochter Gertrud ist auf einem Bild neben der byzantinischen Prinzessin Theodora zu sehen, dessen Original aus derZeit um 1490 im Museum der babenberger Stiftung Klosterneuburgbei Wien hängt. Das Krönungsblatt des Evangeliars Heinrichs desLöwen zeigt sie indes neben dem Kaiserpaar und als Schwiegermutter der Tochter des Königs von England und Enkelin der KaiserinMathilde.Eine Landkarte verdeutlicht die Grafenrechte, Vogteien und Eigengüter und eine andere die Wegstrecken des Kaisers nach seinemItinerar. Als aufschlußreicher Kontrast daneben eine Nachbildungder berühmten Ebstorfer Weltkarte.Der Bericht über Lothars Wahl zum König, die Texte der beidenKrönungseide, seine Königs- und Kaisersignen, Abbildungen derReichsinsignien und seines Sterbehauses in Breitenwang in Tirolsowie Fotos der Königsgräber von Heinrich I. bis Heinrich VI. inQuedlinburg, Magdeburg, Rom, Aachen, Bamberg, Speyer, Goslar undMessina, alles in schlichten Rahmen, bilden einen informativenFries aufder Ostwand.Die höher gelegene Tür in dieser Wand mit ihren sieben Stufendavor wirkt wie ein Thronplatz. Dort kommt der alte Teppich mitKaiseradler- und Löwenmuster endlich wieder zu Ehren.Der Platz des Königs bezw. Kaisers wird zu Lothars Zeit im allgemeinen nicht wesentlich repräsentativer ausgesehen haben.

Einige Darstellungen damaliger Thronsitze sowie zu
m Pfalzenproblem und über das Gastungs- und Herbergsrecht mittelalterlicherHerrscher bestätigen das.Weitere Bestätigungen über die Aktivitäten Kaiser Lothars werdenin dezent beleuchteten Tischvitrinen gezeigt: Urkunden in Originalen und Kopien mit ihren Übersetzungen.Zwei seiner Urkunden wurden in "Lutere" bzw. "Luttera" verfaßt.Selbstverständlich liegt auch eine Kopie der Gründungsurkunde fürdas Benediktinerkloster in "Luttera" hier unter Glas. Das Originalging leider verloren.Besonders interessant sind die Nachrichten der Magdeburger undPaderborner Annalen über den Friedenstag von Pfingsten 1135, woder im März in Bamberg von Lothar verkündete Landfriede von densächsischen Fürsten, dem Herzog von Böhmen, den Gesandten der Könige von Dänemark und Ungarn und des Herzogs von Polen beschworenwurde. Im Jubiläumsjahr 1985 fällt Pfingsten ebenfalls auf den26. Mai wie damals.Die Aktivitäten des Kaisers allein in diesem Zeitraum vom Märzbis zum August 1135 gedanklich nachzuvollziehen, bietet eine wichtige Grundlage für das Verständnis des Geistes und der Umstände,die zum Bau seiner Grabeskirche führten, läßt seine enorme Leistungsfähigkeit und den auf ihn einwirkenden komplexen Leistungsdruck erkennen und führte die Forschung vielleicht zu weiterenErkenntnissen.Auch die 1620 und 1978 gefundenen Grabbeigaben werden, auf Samtgebettet, in drei Vitrinen dem Betrachter präsentiert: die Bleiplatte mit den Regierungsdaten des Kaisers, sein Szepter, dieRinge mit der rätselhaften Inschrift und die Krone der Kaiserin.

 

Hoffentlich gesellt sich auch bald ein Faksimile des EvangeliarsHeinrichs des Löwen, des einzigen Enkels Kaiser Lothars, zu diesenZeugnissen aus großer Zeit unserer Region.Prof. Herrenberger schlug laut "Braunschweiger Zeitung" vom 1.2.84vor, unter der Alten Burg von Braunschweig einen Tresorraum mit80 cm dicken Betonwänden zur Aufbewahrung des Evangeliars für1.2 Millionen Mark einzurichten. Und das nach der Restaurierungder Burg für 11 Millionen Mark! Zum Glück erübrigt sich das.

Unser Kaisersaal hat 2 m dicke Wände, die schon lange stehen undbezahlt sind. Ob sich das mal jemand von der Obrigkeit anschauenkommt. Wenn ja, müßten wir uns sehr beeilen, das, was hier beschrieben wurde, wenigstens annähernd zu realisieren; denn bis jetzt istdieser herrliche Raum noch immer ein Schuttplatz.




Otto Kruggel
1984


Der Kaisersaal von Königslutter 1986

Die hier etwas glossenhaft dargestellte Nutzungsmöglichkeit erscheint mir immer noch als die beste.

Der für das "Kaiserdommuseum" ausgebaute Raum der ehemaligen Steinmetzschule reicht bei der heute üblichen Präsentation von Museumsgut kaum für die Ausstellung "Königslutter und Oberitalien" aus.


Selbstverständlich bieten sich für die Nutzung dieses herrlichen kleinen Saales und der anschließenden Turmräume aus vergleichbaren Fällen auch mehrere andere Möglichkeiten an.

 


Otto Kruggel
31.05.86