Auszug aus Erwin Kluckhohn "Die Kapitell-ornamentik der Stiftskirche zu Königslutter" - Teile II. und III.

"II. KÖNIGSLUTTER.
Wir haben bei der Untersuchung der italienischen Kapitellentwicklung schon mehr-
fach darauf hingewiesen, daß einzelne Kapitelle oder Teile einzelner Kapitelle in Königs-
lutter Nachfolge gefunden haben. Nunmehr haben wir die Königslutterer Kapitelle zu
betrachten und dabei das Ausmaß der Nachwirkungen von Italien zu erörtern. Neben den
beiden „italienischen“ Kapitelltypen, dem korinthisierenden und dem Palmettenfächerkapitell,
werden wir dabei einige Weiterbildungen dieser Typen finden und schließlich einige Kapitelle,
die ganz in der sächsischen Tradition stehen.
                      Ich beginne mit den korinthisierenden Kapitellen. Die reichsten Beispiele haben
wir vor uns an den Arkadensäulen des Hauptchores (34). Die Kapitelle sind in drei Zonen
aufgebaut. Man kann sie sich am ehesten als eine Weiterbildung des Kapitells 11 in S. Zeno

 

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1) Die Daten sind zusammengestellt im Marburger Jahrbuch IV, S. 245, auf Grund der An-
gaben von Porter, Lomb. Arch. Il, S. 371f.
2) Über diese Ereignisse ist ein Bericht erhalten, abgedruckt  M. G. SS. XVIII, S. 642; aus-
zugsweise bei Lehmann-Brockhaus, Schriftquelleu . .. Nr. 2215. Außerdem ist zu vergleichen Porter, Lomb.
Arch. II, S. 485ff.

37 Marburger Jahrbuch Bd. 11

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in Verona vorstellen, indem man dem dortigen Kapitell eine Heliceszone hinzugefügt denkt.
Freilich ist hierbei auch noch eine Veränderung der Kranzblätter erfolgt: sie wachsen
nicht in voller Breite vom Säulenhals an auf, sondern lassen zwischen sich Raum für eine
fünffingrige Palmette. Damit ist ein Motiv aus dem Kapitell 12 am Dom in Verona über-
nommen. Vom Kapitell 11 aus kann man sich die Umbildung auch so denken, daß die
seitlichen Blattlappen der Mittelblätter von diesen abgespalten und durch Palmetten ersetzt
worden sind. Der Vorgang der Abspaltung war auch bei den Kapitellen 1 und 5 in Modena
zu beobachten gewesen, nur waren gerade beim Kapitell 5 die abgeteilten Blätter in ihrer
Struktur dem Mittelblatt verwandter geblieben. Die Palmetten beim Kapitell 34 haben
jedoch nichts mit den benachbarten Blättern zu tun.
                       Alle anderen korinthisierenden Kapitelle in Königslutter geben einen einfacheren
Formenapparat. Die kleinen Kapitelle im Querhaus und Chor (35-38) sind folgendermaßen
aufgebaut: An den Ecken des Kapitells ist ein Kranzblatt angeordnet, zwischen und hinter
den Kranzblättern wächst ein Hochblatt auf, das aber nur in seinem oberen Teil sichtbar
wird und mit seinem Scheitelpunkt nicht wesentlich über dem Scheitelpunkt der Kranz-
blätter liegt; über dem Hochblatt erscheinen die Stengel der Voluten, die sich kräftig
an den Ecken einrollen und zwischen sich Raum lassen für ein aufsteigendes Blatt, das
die Höhe der Deckplatte erreicht und sich dann überschlägt (36) oder breit entfaltet (37)
oder sich schlank emporwindet und sich wie im Winde spielend dreht (38).

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Kaiserdom Königslutter, südliches Querhaus

 


Als kleine Abwandlung treten einigemal statt der Voluten kleine Tierköpfe auf (35),
wie wir sie bereits beim Kapitell 34 gefunden hatten,doch entsprechen sie bei den kleinen Kapitellen in
ihrer Lage und auch in ihrer Durchbildung mehr einem Zwerggaleriekapitell in Ferrara.
                       Bei den Kapitellen 35-38 hat für den Aufbau das Kapitell 9 in Ferrara maß-
gebend gewirkt, aber auch von Verona (11) sind Anregungen verwertet (die ihrerseits auf
das Kapitell 4 in Modena zurückgehen): die seitlichen Spitzen der Blätter berühren sich
frei im Raum vor den Stengeln der hinter ihnen aufwachsenden I-lochblätter.
                       Etwas anders ist ein Kapitell gebildet (39), bei dem die untere Zone aus drei neben-
einander angeordneten Blättern besteht, das Hochblatt also zwischen die Kranzblätter ein-
geschoben ist. Hierbei sind die seitlichen Ränder der Blätter analog den Blättem des
Kapitells 10 in Ferrara gebildet. Die Volutenstengel wachsen steil aus den Blattlücken
der unteren Zone auf, so daß oben zwischen ihnen Raum bleibt für ein größeres Blatt,
das eine verfeinerte Weiterbildung des oberen Mittelblattes vom Kapitell 12 in Verona
bedeutet. Auch die starke Betonung des hängenden Eckzapfens erinnert an dies Veroneser
Kapitell, doch muß für die Durchgestaltung vor allem auf das Kapitell 10 in Ferrara ver-
wiesen werden.
Diesem Kapitell verwandt sind zwei weitere, die wir an den mittleren Lisenen der
Apsis finden (40). Die etwas breitere Proportionierung ergibt sich aus der Form der Lisene,
der sich die lockerer als beim Kapitell 39 verteilten Blätter anschmiegen. Die Blattbildung
und das Lisenenprofil erinnern an den Kämpfer der Ferrareser Seitenportale (8).

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                        Zur Ergänzung muß noch ein Kapitell im nördlichen Seitenschiff genannt werden (41),
bei dem die untere Zone wie beim Kapitell 39 gebildet ist (allerdings sind, wie bei dem
großen Kapitell 34, Palmetten am Säulenhals eingeschoben), in der oberen Zone aber die
Helices aus dem Mittelblatt hervorwachsen; sie ähneln in ihrer unorganischen Durchbildung
Verona 12, während das kleine Blatt zwischen ihnen sich wie bei Verona 11 zur Deck-
platte emporwindet.
                       Ohne nähere Analogie zu den bisher besprochenen Werken sind zwei Kapitelle in
den Seitenchören (42). Mit ihren drei Zonen erinnern sie an das Kapitell 34, doch sind alle Einzelheiten
gänzlich anders. Es fehlen die Tier- und Menschenköpfe, es fehlt ferner die

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starke Betonung der Ecken in der unteren Zone. Die Blätter dieser Zone sind ähnlich wie
bei den Kapitellen 39 und 41 außerordentlich gestreckt, noch schlanker aber sind die Hoch-
blätter. Die Heliceszone steht, abgesehen von den Proportionen, dem klassisch korinthischen
Kapitell näher als etwa die des Kapitells 34. Die Helices wachsen nämlich aus einem
Stengel, der mit einer Blüte abgeschlossen wird. Die Voluten sind jedoch ganz anders als
sonst beim korinthischen Kapitell gebildet: sie erinnern mehr an die Eckknollen der Palmetten-
fächerkapitelle (25-27)

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als an die sonst beim korinthischen Kapitell üblichen Voluten
(7, 9, 10). Auch die Blattstruktur ist Ferrara 25 vergleichbar. Die gleichmäßig geschwungenen
Blattränder haben an ihren Einziehungen eine lebhafte Betonung durch Bohrlöcher, die in
Königslutter freilich durch die unsinnige Bemalung noch stärker hervorgehoben wird.
                      Bei den bisher untersuchten Kapitellen ließen sich für alle Einzelheiten vergleich-
bare Formen an italienischen Werken nachweisen. Allerdings kehrte keins der dortigen
Kapitelle als ganzes unabgeändert wieder, vielmehr waren stets aus mehreren Kapitellen
Anregungen übernommen, und zwar sogar aus den Kapitellen verschiedener Orte (Ferrara
und Verona). Das deutet klar auf schulmäßige Abhängigkeit. Diese wird später noch näher
zu präzisieren sein.
                      Etwas anderen Charakter als die Kapitelle in Chor und Querhaus zeigen die im
Kreuzgang (43-49).
                      Dem Kapitell 39 im Aufbau verwandt ist das Kreuzgangskapitell 43 1).

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Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Zwischen den Blättern der unteren Zone wachsen jedoch, ähnlich wie bei den Kapitellen 35-38.
Stengel auf, aber aus diesen entwickeln sich dort die Hochblätter, hier dagegen die Helices,
die mit ihrer Einrollung die Volute bilden. Die Verschleifung der Stengelansätze mit den
nebenliegenden Blättern geht unmittelbar auf das Kapitell 11 in Verona zurück.

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Der hängende Eckzapfen ist kaum blattmäßig gebildet; wir werden mehr erinnert an die Keimform des
Blattes, die wir in Modena gefunden hatten (1),

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wo ein Stück des Kapitellblocks unverarbeitet
stehengeblieben war. Nur dadurch, daß in Königslutter die Eckzapfen hinterarbeitet sind
und nur sehr wenig das untere Eckblatt berühren, wird die Vorstellung des toten Körpers
etwas nach der Richtung des lebendigen Blattes hin verschoben. -- Zwischen den Helices
dieses Kapitells wächst, wie bei den Kapitellen 39 und 40 (und somit wie bei Verona 12),

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ein großes Mittelblatt auf, das stark aus der Tiefe emporkommt, sich vorwölbt und dann
an die Deckplatte, sie übersteigend, anschmiegt, wobei der Berührungspunkt mit der
Deckplatte, wieder wie bei den Kapitellen 39 und 40, durch zwei Knospen hervorge-
hoben ist.
                     Die Blattgestaltung dieses Kapitells ist sehr frei und lebendig, besonders bei den
unteren Blättern, die in dem freiesten Typus von Ferrara (Hochblätter des Kapitells 10)

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gebildet sind. Das überfallende Blatt ist jetzt sogar beherrschend geworden; es wird mehr
durch das untere gestützt, als daß es die Rahmung für ein vor ihm aufsteigendes Blatt
darstellt, wie es in den Frühformen in Ferrara der Fall gewesen war. Die Voluten sind
wie beim Kapitell 9 in Ferrara gebildet:

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an ein glattes, bandartiges Blatt legt sich ein
Blatt mit gezacktem Rand, in der Volute aber herrscht die Vorstellung, als ob es sich

1) Dies Kapitell trägt an der Deckplatte einige Ziflern, die man als „A D 1741“ lesen könnte.
Demnach würde man hier ein Werk des 18. Jahrhunderts vermuten, doch ist das nach Aussage der
Formen so gut wie ausgeschlossen. Eıne Nachprülung der Bauakten im Landeshauptarchiv in Wolfen-
büttel ergab keinerlei Arbeiten an der Stiftskirche in diesem Jahr. Umfangreiche Arbeiten am Kreuz-
gang sind erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts vorgenommen worden (Akten hierüber beim Hoch-
bauamt in Braunschweig). Eine große Anzahl der Halbsäulen und der Teilungsäulchen in den Fenstem
ist damals erneuert oder überarbeitet worden. Für unsere Untersuchung sind nur Werke herangezogen,
die einwandfrei alt oder nur in unwesentlichen Teilen überarbeitet sind.
37*

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um ein einheitliches aufgerolltes Blatt mit einem gezackten und einem glatten Rand ge-
handelt hätte.
                        Trotz der zahlreichen Übereinstimmungen mit italienischen Werken läßt sich wieder
keine im ganzen vergleichbare Form aufweisen. Am ähnlichsten ist das Ferrareser Kapitell 9
doch hat dort die obere Zone nicht ein so deutliches Übergewicht.
                        Wälırend die obere Zone des Kapitells 43

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Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

sich an die des Kapitells 39 anschließt,
kehrt die untere Zone von 39 an einem anderen Kreuzgangskapitell wieder (44).

 

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Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Hier wachsen die Blätter nebeneinander auf wie beim Kapitell 10 in Ferrara.

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Die überfallenden Blätter sind allerdings sehr vereinfacht und fast wie bei den früheren Formen in Ferrara
gebildet, doch besteht vor allem Verwandtschaft mit den linken Hochblättern beim Kapitell 10.
Die obere Zone mit Caules, Kelchblattblüte, Cauliculus und Deckplattenblüte zeigt Erinnerungen
an das klassisch-korinthische Kapitell, die in Königslutter ohne nähere Parallele sind. Die
Einzelbildung ist jedoch durchaus naturfern: die hängenden Eckblättchen des Kapitells 43
fehlen hier, die Verbindung der Voluten mit den Blättern der unteren Zone ist durch kleine
Kugeln hergestellt. Auch die Blattstruktur ist um ein geringes weniger lebendig als beim
Kapitell 43.
                        Ein Halbsäulenkapitell (45)

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Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

zeigt den gleichen Aufbau, nur sind hier in der unteren
Zone die überfallenden Blätter entsprechend denen beim Kapitell 43 gestaltet.
Die Kapitelle 43 und 44 werden weitergebildet an einem anderen Kreuzgangs-
kapitell (46).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-046-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Die Blätter der unteren Zone entsprechen denen beim Kapitell 44, doch sind
am Säulenhals Palmetten eingeschoben wie bei den Kapitellen 34 und 41. Die obere Zone
ähnelt dem Kapitell 43; allerdings wachsen die Helices nicht aus den Lücken zwischen den
Kranzblättern auf, sondern hinter dem mittleren Blatt zusammen mit dem Mittelblatt der
oberen Zone. Dies ist deswegen schmaler als beim Kapitell 43 gebildet - und auch etwas
unlebendiger.
                         Sehr ähnlich ist das Mittelblatt der oberen Zone an einem Halbsäulenkapitell (47).

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Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang


Im übrigen wachsen hier die Helices wie beim Kapitell 43 aus den Ansätzen zwischen den
unteren Blättern heraus. Die überfallenden Blätter sind jedoch ganz wie beim Kapitell 40
gebildet. Die Helices sind zu dreirippigen Stengeln vereinfacht, wie beim Kapitell 10 in Ferrara.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-010-Ferrara-Dom-Zwerggalerie-der-Suedseite-IMG-6764-Foto-2013.jpg


Eine Weiterbildung des Kapitells 46 bedeutet das Kapitell 48, bei dem die Helices
wie bei 47 an Ferrara 10 anschließen.

 

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Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Die Überfälle der unteren Blätter sind noch stärker
als bei den Kapitellen 44 und 46 geworden, zugleich sind sie auch noch weniger gegliedert;
sie sind wirklich wie eine selbständig quellende Masse gebildet, die von unten durch ein
kleines Blatt gestützt wird.
                        Etwas weniger stark angeschwollen sind sie bei einem weiteren Kreuzgangskapitell (49),
das sonst im Aufbau sehr ähnlich ist.

 

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Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Zwischen den Volutenstengeln wachsen zwei im
Winde spielende Blätter auf, die eine Verdopplung der kleinen windbewegten Blätter bei
den Kapitellen 38 und 41 darstellen (und also auf Verona 11 zurückgehen).

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                        Ein Kapitell außen am Chor ist hier anzuschließen (50).

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Die untere Zone ist am
ehesten vergleichbar dem Kapitell 43, allerdings bleiben kleine Lücken zwischen den Blättern
am Säulenhals. Die obere Zone übersetzt die des Kapitells 44 ins Massige, außerdem sind
noch die Eckblätter des Kapitells 43 hinzugefügt.
                        Sehr vereinfacht ist der Aufbau an einem anderen Kapitell außen am Chor (51).

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Die untere Zone ähnelt den Kapitellen im Querhaus und Chor (35-38), dann aber fehlt
das Hochblatt, und die Helices kommen zu sehr breiter Entfaltung.
                        Da bei den Kreuzgangskapitellen und auch beim Kapitell 50 in der oberen Zone
nur wenig Formen gegeben sind, tritt der Kern des Kapitells hier um so stärker hervor.
Beim Kapitell 43 wird er noch vollkommen verdeckt durch das Blattwerk, ebenso wie bei

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den Kapitellen im Innern der Kirche. Bei den Kapitellen 46 und 48 macht er sich stärker
geltend, sehr stark bei 44 und 45. Dieser Kern scheint nun wie eine Halbkugel gebildet
zu sein, die mit ihrem Scheitelpunkt nicht bis zum Säulenhals herabreicht, sondern von
unten gestützt wird durch den Kranz aufsteigender Blätter. Vor dieser „Masse“ wachsen
die Blätter empor. Die Voluten lösen sich sogar frei von ihr ab, so daß ein Hohlraum
hinter den kleinen Kugeln bleibt, die zwischen den Voluten und den unteren Blättern
vermitteln. Wesentlich ist nun, daß der hier sichtbar werdende Block nichts mit dem Kelch
des klassisch-korinthischen Kapitells zu tun hat, sondern eher dem Block des Würfel-
kapitells verwandt ist, denn die Schwingung ist gerade dort konvex, wo der Kelch des
korinthischen Kapitells konkav eingezogen ist. Bei den Umsetzungsformen des korinthischen
Kapitells in Ferrara und Verona ist nicht klar zu erkennen, wie eigentlich der Block gedacht
ist, vor dem die Blätter aufwachsen, denn diese bedecken den Kern dort jeweils ganz. In
Königslutter aber ist der Schmuck auf wenige Formen beschränkt. Hier muß also die
Frage akut werden, ob ein Kelch oder eine Kugel zugrunde liegt, und die Lösung wird
gegeben in deutsch-romanischem Sinne: Grundform ist ein dem Würfelkapitell annähernd
entsprechender Block.
Die korinthisierenden Kapitelle des Kreuzgangs in Königslutter offenbaren darin
einen Unterschied gegenüber den Werken in Ferrara und Verona, auf die sie zurückgehen.
Zwar lassen sich auch bei ihnen, ähnlich wie bei den Kapitellen in Chor und Querhaus,
für die meisten Einzelheiten vergleichbare Formen in Italien nachweisen, doch scheint sich
hier bereits die Grundauffassung vom Wesen des Kapitells geändert zu haben. Innerhalb
der korinthisierenden Kapitelle des Kreuzgangs spüren wir die langsam stärker werdende
Entfernung von den italienischen Arbeiten. Immer mehr tritt der Kern des Kapitells hervor,
und die Formen selbst werden einfacher. Das Kapitell 43 läßt sich noch unmittelbar mit
italienischen Werken vergleichen. Bei den Kapitellen 48 und 49 empfinden wir jedoch
bereits einen erheblichen Abstand.

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Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Dabei muß betont werden, daß es sich nicht um einen
Abstand der Qualität handelt, sondern um ein andersgerichtetes Wollen. Es ist bedeutsam,
daß wir dies bereits von Werken sagen können, die sich noch so unmittelbar der aus
Italien übermittelten Formen bedienen.
Ehe wir den hier in seinen Anfängen sichtbaren Prozeß weiterverfolgen, müssen wir
die Fortbildung des Palmettenfächerkapitells als des anderen der beiden aus Italien nach
Deutschland übermittelten Kapitelltypen untersuchen. In Italien konnten wir die Entwicklung
von Modena nach Ferrara und Verona verfolgen. Im Aufbau schließen die Kapitelle von
Königslutter unmittelbar an Verona an, d. h. im Gegensatz zu Ferrara entfalten sich die fächer-
förmigen Eckblätter erst in halber Höhe des Kapitells über den Berührungspunkten der seit-
lichen Spitzen der Mittelblätter. Auch die Verschleifung der Eckblattstengel mit den Rändern
der Mittelblätter ist aus Verona übernommen. Dagegen erinnern die gedrückten Proportionen
eher an Ferrara, und die Ausladungen beim Zusammentreffen der Blätter an den Seiten-
mitten treten viel stärker hervor als in Verona. Auch die Blattbildung erinnert am stärksten
an Ferrara, und zwar durch deutliche Teilung in Blattlappen, die von unten an nebenein-
ander aufwachsen und durch Stege voneinander getrennt sind, und ferner dadurch, daß
auf die Seitenblätter in der Mitte ein schmales Blatt aufgelegt ist. Schließlich sind die
Ränder der Eckblätter sehr ähnlich gebildet: in Ferrara wie am Löwenportal in Königs-
lutter (52, 54) sind die Einschwingungen durch starke Bohrlöcher betont. An den Kreuz-
gangskapitellen (53, 55)

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Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-055-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

sind diese Bohrlöcher auch vorhanden, aber die Einziehungen des
Blattrandes führen nicht bis zu ihnen hin. Die Bohrlöcher haben also ihren ursprünglichen
Sinn verloren und dienen nur noch zur Auflockerung der Blattoberfläche. Wir können
hier die gleiche Beobachtung machen wie bei den korinthisierenden Kapitellen: die Kapitelle

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im Kreuzgang entfernen sich stärker als die übrigen Werke von den italienischen Vor-
bildern. Die Entfernung bleibt gering, aber sie ist immerhin spürbar 1).
                   Wesentlich stärker wird sie dagegen an einigen Kapitellen am Äußern der Kirche.
Diese bedeuten eine freie Verbindung der Möglichkeiten, die im korinthischen wie im
Palmettenfächerkapitell liegen. Wir können uns einen mehrmals wiederkehrenden Typus
am besten an einem Kapitell am Querhaus verdeutlichen (56).

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Kaiserdom Königslutter, nördliches Querhaus

 

Die obere Zone entspricht den kleinen Kapitellen im Innern der Kirche (36, 37).

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Charakteristisch sind die Voluten
mit den stark ausgebildeten hängenden Eckzapfen, die hier fast wie selbständige Gebilde
wirken. Die untere Zone dagegen ist gänzlich verändert. An der Ecke befindet sich ein
Blatt, bei dem von einer tiefliegenden Mittelfurche aus die Blatteile energisch auseinander-
streben. Dies Motiv ist im Grunde schon im Fächerblatt des Palmettenfächerkapitells ent-
halten, nur fehlt bei den Kapitellen am Querhaus die dort vorhandene volutenartige Ein-
rollung der Blattspitze, außerdem entfaltet sich das Blatt unmittelbar vom Säulenhals an,
nicht erst über den Seitenmittelblättern. Damit wird das Motiv der Ferrareser Palmetten-
fächerkapitelle wieder aufgenommen (24, 25).

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                    Das Kapitell 56 wird weitergebildet an einem anderen Querhauskapitell (57).

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Kaiserdom Königslutter, nördliches Querhaus

 

Hier sind in der oberen Zone nur noch Rudimente der Voluten vorhanden. Wir könnten von
einem verdoppelten hängenden Eckzapfen sprechen. So ist hier als Ergebnis eines Um-
bildungsprozesses ein Kapitell entstanden, dem man seine Herkunft zunächst nicht ansieht.
Es wirkt wie eine völlig eigenwillige Schöpfung. Dabei ist wesentlich, daß der Umriß ganz
dem eines Würfelkapitells entspricht, dieser Würfel aber von der Oberfläche aus so sehr
nach der Tiefe hin durchgearbeitet ist, daß die Würfelform nicht mehr unmittelbar sinn-
fällig wird. Wir sehen hier von jeder Naturanschauung gelöste Stengel und Blätter, und
dennoch wirkt dies Kapitell aufs stärkste von lebendigen Kräften durchströmt: die unteren
Blätter drängen auseinander, zwischen ihnen schießen Stengel empor, die sich unter der
Deckplatte mühsam nach der Seite biegen, sich dann in Blättern entfalten, die schwer
herabzuhängen scheinen. Dieses Kapitell steht in seiner Erfindung und Durchbildung dem
Palmettenfächerkapitell an Eigenart und Gehalt nicht nach. Die Umrißlinie ist weniger
eigenwillig als dort, und dies ist wesentlich, wenn wir die Anbringung des Kapitells berück-
sichtigen. Es bildet nämlich die Bekrönung einer kleinen eingestellten Ecksäule, und hier
lassen sich nur Formen verwenden, die sich einfügen in den Ablauf der architektonischen
Linien, während bei einer freistehenden Säule am Portal oder im Kreuzgang viel mehr
Freiheit im Umriß herrschen kann. Allerdings hatten wir in Ferrara gesehen, daß das
Palmettenfächerkapitell an der Zwerggalerie ausgebildet worden war, aber dort handelte
es sich um vor breiteren Wandstreifen stehende Halbsäulen und damit für das Kapitell um
eine recht frei entwickelbare Form, während hier bei den Kapitellen 56 und 57 nur eine
eng eingebundene Viertelsäule zur Verfügung steht.
                     Sehr selbständig sind auch die Bekrönungen der Ecklisenen des unteren Geschosses am Chor (58).

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Hier geht die Konzeption von einer Reihe aufsteigender Blätter aus, zwischen
denen Stengel angeordnet sind. Aus diesen wachsen über einer Blüte je zwei Blätter
empor in einer Bewegung, die der der kleinen Blätter vom Kreuzgangskapitell 49 ver-

1) Hiermit sind die Auswirkungen der beiden Kapitelltypen von Ferrara und Verona verfolgt.
Außerdem wird die Beziehung zwischen Italien und Deutschland noch besonders deutlich durch einige
Kapitelle mit Tierdarstellungen, durch eine in die Ostwand des Kreuzgangs eingemauerte Tragefigur,

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durch die Portallöwen. Vgl. hierzu die Zeichnungen von Eichwede. Dort ist auch die Ähnlichkeit der
Schaftformen von Ferrara, Verona und Königslutter zu erkennen. In Königslutter ist die Zahl der Motive
vergrößert, außerdem wirken die Säulen freier in der Erscheinung, da sie nicht in ein Portalgewände
eingebunden sind und stärnmigere Proportionen haben.

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wandt ist. Aber die Blätter sind von ganz anderem Volumen, nicht leicht im Winde spielend.
sondern von schwerfälliger Dicke, wie bei einer Sumpfpflanze. Über den Blättern der
unteren Zone berühren sich die Ränder der oberen Blätter, und dabei umschließen sie
einen Hohlraum, ähnlich wie beim Kapitell 57 die unteren Blätter hinter ihren Berührungs-
punkten Tiefenhaltigkeit fühlen lassen. Bei beiden Kapitellen ist das plastische Grundgefühl
verwandt. Dies wird um so deutlicher, wenn wir uns das Veroneser „Vorbild“ für diese
schwingenden Blätter ansehen, denn dort (28, 29)

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sind sie frei und leicht ausgebreitet und den spielenden Blättern des Kapitells 11 nahe.

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                  Schließlich gehört in diesen Zusammenhang noch ein ganz frei gebildetes Kapitell an der Ostwand des Chores (59).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-059-Kaiserdom-Koenigslutter-Chor-Ostwand-.jpg

Die aufwachsenden Stengel und das hängende Eckblatt
sind dem Kapitell 57 verwandt. Dagegen ist das Blatt der unteren Zone eine sehr freie
Erfindung, bei der nur die Struktur (erhabene Rippen, Bohrlöcher) den Zusammenhang
mit den Eckvoluten der Palmettenfächerkapitelle erweist. Am erstaunlichsten ist das Motiv
der Traube als Gegenstück zum hängenden Eckblatt der oberen Zone. Merkwürdig an
diesem Kapitell ist der „Mangel“ an Formen und die Anordnung in bewußter Asymmetrie.
Dabei ist, wie beim Kapitell 57, die Bindung in den Block stark genug, um dem Kapitell
Festigkeit zu geben.
                 Wir haben hier eine Gruppe von Kapitellen gefunden (56 bis 59), zu denen wir
in Italien keine Vorbilder aufweisen können. Doch konnte gezeigt werden, daß es sich um
ein selbständiges, Weiterdenken der aus Italien übermittelten Anregungen handelt. Freilich
entfernen wir uns dabei schon erheblich von den in Italien auftretenden Formen.
                 Alle bisher untersuchten Kapitelle gehören zum Typus der Blattkapitelle. Ein kleines
Halbsäulenkapitell im Kreuzgang (60)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-060-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

kann zu der letzten Gruppe der Königslutterer
Kapitelle führen, die wir gegenüber den bisher behandelten als „tektonisch“ bezeichnen
müssen, um Dehios Unterscheidung aufzugreifen. Es handelt sich um ein Würfelkapitell
mit geringer Durchbildung nach der Tiefe hin, bei dem Formengut verwendet wird, das
in Königslutter sonst auch an „Blätterkapitellen“ vorkommt. Die Eckblätter der unteren
Zone wölben sich nicht vom Kern fort, sondern schließen sich an ihn an, seine Gestalt
betonend und bildend. Die Blätter der oberen Zone erinnern an die Helices des Kapitells 43.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-043-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang


Zwischen ihnen aber erscheint kein Blatt, sondern ein rein geometrisches Gebilde, eine
Kugel. Alle Teile haben sich einzufügen in die Gesamtform des Würfelkapitells, und dabei
ist ihnen das eigentliche Leben genommen.
                 Ein anderes Halbsäulenkapitell (61)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-061-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

erinnert in der unteren Zone an das Kapitell 60.
Hier läßt nur noch die Anlehnung der bewegten Blätter an eine ruhige Folie Zusammen-
hänge mit den italienisch beeindruckten Werken spüren.
                 Drei weitere Kapitelle im Kreuzgang zeigen durchweg die reine Würfelform (62-64).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-062-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-063-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-064-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang


Zwar ist die Oberfläche restlos aufgelöst, aber trotz der Fülle der Überschneidungen ent-
steht nicht die Vorstellung einer räumlichen Tiefe. Es bleiben immer abstrakte Bildungen
an der Oberfläche des Kerns, es kommt niemals zu einem Geschehen vor einem Kern:
Dabei verraten die Kapitelle 63 und 64 dennoch, daß neben ihnen die italisierenden Werke
entstanden sind. Hier ist die Blattaddition wie beim Kapitell 60 übernommen,

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-060-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

und die Blätter, die beim Kapitell 64 vom Säulenhals an aufsteigen, zeigen in ihrer Gliederung
durch aufgelegte Rippen die Nähe der Blätter des Palmettenfächerkapitells. Aber dies ist
unwesentlich gegenüber dem Gesamteindruck, denn es herrscht nicht mehr der Wille zu
einer nach der Tiefe durchgegliederten und durchempfundenen Form, sondern ein Gefühl
für die tektonische Masse, die nur in ihrer Oberfläche durch Ornament belebt wird.
                In diesem Sinne sind einige Halbsäulenkapitelle im Kreuzgang gestaltet, auch wenn
sie etwas stärker nach der Tiefe gegliedert sind (65-67). Ihr Schmuck, der sich aus den

549

verschiedensten Elementen zusammensetzt, entfernt sich weit von der Naturanschauung und
wirkt rein ornamentaL Das Kapitell 65

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-065-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

besteht aus verschlungenen leblosen Blättern,
die wie mehrsträhnige Bänder anmuten. Am Kapitell 66

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-066-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

finden wir die Tierköpfe, wie
wir sie aus Ferrara und von den Kapitellen 34 und 35 im Innern der Kirche kennen.
Hier gehen von ihren Mäulern Stengel aus, die in Voll- und Halbpalmetten enden. Noch
naturferner ist das Kapitell 67 gestaltet,

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-067-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

denn hier treten statt der Stengel diamantierte
Bänder auf. -- Es drückt sich an diesen Kapitellen ein gänzlich anderes Wollen aus als
an den „italienischen“ Werken in Königslutter, aber es findet klaren und ihm gemäßen
Ausdruck. Durchweg sind die Formen mit sehr feinem Kompositionsgefühl über die Fläche
verteilt. Vor allem das Kapitell 65 zeigt einen ausgesprochen persönlichen Charakter. Als
Schöpfer müssen wir hier sehr selbständige Werkstattgenossen annehmen, denen volle
Freiheit gelassen wurde, und die sich nur in wenigem beeindrucken ließen durch das, was
zu gleicher Zeit neben ihnen geschaffen wurde.
                      Gleiches blockhaftes Grundgefühl scheint in einigen Kapitellen der Vierung zu herrschen (68 und 69).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-068--Kaiserdom-Koenigslutter-nordwestlicher-Vierungspfeiler-.jpg

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-069-Kaiserdom-Koenigslutter-nordoestlicher-Vierungspfeiler-.jpg

Am Kapitell 68 verteilen sich die Formen ähnlich wie bei 65 in
der Fläche, aber die Elemente, aus denen sich das Kapitell zusammensetzt, sind aus ganz
anderen Bereichen genommen. Die Tierköpfe gehen zusammen mit denen der Querhauskapitelle (35),

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-035-Kaiserdom-Koenigslutter-noerdliches-Querhaus-.jpg

und das Blattwerk dazwischen besteht ebenfalls wie bei den dortigen Kapitellen
aus kräftigen Helices mit Voluten. Bei der etwas einfacheren Wiederholung dieses Kapitells (69)
sind die verbindenden Stengel der unteren Zone nicht mit Blattreihen verziert, sondern nur
durch eine dichte Fülle von Bohrlöchern belebt.
                     Nur noch das Gerippe des Kapitells 68 gibt dagegen eine Wiederholung außen am Chor (70).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-070-Kaiserdom-Koenigslutter-Hauptapsis-Obergeschoss-.jpg

Sein besonderes Gesicht bekommt dies Kapitell dadurch, daß die Stengel, die alle
streng in der vorderen Blockebene liegen, vom Grund gelöst sind und vor dem Kapitellkern
zu schweben scheinen und in der Tat auch nur durch Stege mit ihm verbunden sind.
Diese drei Kapitelle zeigen ein freies Spiel mit den Formen, die aus Italien über-
mittelt worden sind. Sie denken nicht mehr die dortigen Möglichkeiten weiter, wie es
etwa beim Kapitell 57 geschehen war. Andererseits sind sie in ihrer Durchgestaltung enger
an die „italienische Schule“ gebunden als etwa die Kapitelle 65 oder 62.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-065-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-062-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Hier ist der Punkt erreicht, wo Formen absolut gesetzt werden können, um dann Verbindungen
einzugehen, die mit den ursprünglichen eigentlich nichts mehr zu tun haben. Diesen Vorgang
werden wir in der Nachfolge von Königslutter vielfach wiederfinden, und deswegen ist
die Feststellung wesentlich, daß in Königslutter selbst sich bereits Tendenzen in dieser
Richtung zeigen.
                     Für den Zusammenhang dieser Arbeit ist es unnötig. die Kämpfer der Kreuzgangs-
kapitelle näher zu untersuchen. Sie sind in ihrer ganz flächenhaften Verteilung der Formen
und auch in ihren Motiven eng an die sächsische Tradition gebunden. Interessant ist jedoch
der Kämpfer des Kapitells 66,

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-066-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

denn hier kehrt die Akanthusblattwelle des Chores in
vereinfachter Form wieder. Die Akanthusblattwelle entwickelt nämlich die Kämpfer der
Ferrareser Seitenportale weiter (8).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-008-Ferrara-Dom-Fassade-rechtes-Seitenportal-IMG-7182-Foto-2013.jpg

In die einfache Reihung von Ferrara ist dabei ein
alternierender Rhythmus gebracht, indem ein voll ausgebreitetes Blatt an jeder Seite von
einem halben Blatt begleitet wird. Die Blätter sind ganz antikisch in ihrer Erscheinung,
in ihrer lebhaften Gliederung in Lappen, die durch erhabene Rippen getrennt werden.
Die Halbblätter scheinen hinter den Vollblättern hervorzukomnıen und erwecken die Vor-
stellung der Tiefenhaltigkeit. Zwischen zwei Halbblätter ist die Spitze eines Blattes ein-
geschoben, dessen Körper in einer dritten Zone zu liegen scheint. - An dem Kämpfer des
Kapitells 66 ist dieser Formenapparat etwas vereinfacht, um ihn den großzügigen Linien
des Kapitells anzupassen.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-066-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang



550

                            Aus der Kämpferform der Vierungspfeiler (36, 37, 39, 68, 69), die aus einer fort-
laufenden Reihe umschriebener Palmetten besteht, wird das Motiv eines Kapitells am Ober-
geschoß der Apsis entwickelt. Der Reiz dieses Kapitells liegt darin, daß die Palmette sich
nicht an der Kapitellseite ausbreitet, sondern an der Ecke umbricht, gerade so wie an
den Ecken der Vierungskämpfer. - Dieser Kämpfer erinnert ganz an in Sachsen im
12. Jahrhundert übliche Gestaltungen des Palmettenlotosfrieses 1). --
                           Der Stilstufe nach schon in das folgende Kapitel über die Ausbreitung der Königs-
lutterer Ornamentik gehören zwei Kapitelle, die sich jetzt im Vaterländischen Museum
in Braunschweig befinden, aber laut Aussage des Museumsinventars aus Königslutter
stammen (71, 72). Freilich ist der einstige Standort nicht sicher zu ermitteln, und dem
Stil nach würde man eine Entstehung in Königslutter nicht vermuten. Wenn auch der
Formenapparat kaum verändert ist, so sind doch alle Einzelheiten qualitativ geringer.
Dadurch wird der Eindruck sehr unlebendig.
                          Das Kapitell mit der Inventarnummer 5570 zeigt eine merkwürdige Kombination (71):

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH_71_ehemals_im_Kaiserdom_Kreuzgang.jpg

Kapitell Nr. 71 aus dem Kreuzgang des Kaiserdoms Königslutter. Derzeitiger Standort: Dom- und Steinmetzmuseum Königslutter (Leihgabe BLM)

 
neben den Helices, die wie bei den Kapitellen 48 und 49 gebildet sind, finden wir noch
einmal Blätter, die in ihrer Bildung den Helices des Kapitells 46 entsprechen. Dieses
Spiel mit Formen läßt erkennen, daß wir uns schon erheblich aus der Sphäre des italienisch
geschulten Meisters entfernt haben. Auch bei den Kapitellen 56-59 zeigte sich, daß
Formen anders als in ihren ursprünglichen Zusammenhängen verwendet waren, doch lag
dort eine Durchdringung von Vorstellungen vor, während hier einzelne Teile aus ihnen
gelöst sind, ähnlich wie beim Kapitell 68. - Die Blattbehandlung wirkt dadurch besonders
schematisch, daß die Rippen nicht mehr erhaben gebildet sind, sondern nur durch zwei
parallele Riefelungen von der übrigen Masse unterschieden werden. An der rechten Seite
des Kapitells (auf der Aufnahme) sind die inneren Blätter der oberen Zone nicht ganz
ausgearbeitet. Das Kapitell ist also nicht fertig geworden. Aber auch wenn alle Einzel-
heiten wirklich zu Ende gearbeitet worden wären, würde der Gesamteindruck nicht ver-
ändert worden sein.
                          Das andere Kapitell (72), das die Inventarnummer 2348 trägt, verzichtet auf die
Formenhäufung in der Heliceszone. Es treten große Teile des Kerns hervor, dessen Masse
nur unter den Voluten abgearbeitet ist, um diese deutlicher werden zu lassen. Die Blätter
sind noch stärker an den Kern gebunden als beim vorigen Kapitell.
                          Beide Kapitelle zeigen den im folgenden Abschnitt zu untersuchenden Umbildungs-
prozeß der Königslutterer Formen bereits in sehr starkem Maße.
                          Überblicken wir noch einmal, was sich bei der Untersuchung der Königslutterer
Ornamentik ergeben hat, so sehen wir, daß ein großer Teil der Formen italienischer
Herkunft ist. Einige Kapitelle zeigten jedoch, daß bei ihnen nur vereinzelte Anregungen
aus Italien übernommen waren. Diese Kapitelle gehören in ihrer blockhaften Geschlossenheit
und ihrem abstrakt-flächenhaften Schmuck ganz in die sächsische Tradition. Andere Kapitelle
hingegen ließen ein Weiterdenken der italienischen Eindrücke erkennen, indem sich Vor-
stellungen aus verschiedenen Kapitellen durchdrangen. Hierfür lassen sich in Italien keine
Parallelen aufweisen. Es bestehen auch keine Beziehungen zu den in Italien auf Ferrara
und Verona folgenden Werken, weder zu den verfestigten Kapitellen von Piacenza (13, 27),

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-013-Piacenza-Dom-rechtes-Seitenportal-der-Fassade-Obergeschoss-des-Vorbaus-IMG-5456-Foto-2013.jpg

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-027-Piacenza-Dom-rechtes-Seitenportal-der-Fassade-Obergeschoss-des-Vorbaus-IMG-5458-Foto-2013.jpg


noch zu den lebhaft aufgelösten in Cremona und Lodi (14-16).

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-014-Cremona-Dom-Hauptportal-IMG-5552-Foto-2013.jpg

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-015-Cremona-Dom-Hauptportal-IMG-5584-Foto-2013.jpg

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-016-Lodi-Dom-Hauptportal-Vorbau-IMG-5324-Foto-2013.jpg


Wir haben bisher die Frage offengelassen, ob die Königslutterer Kapitelle von
Italienern oder von Deutschen gearbeitet worden sind. Einwandfrei hat sich nur ergeben,
daß die italienischen Werke die Vorstufen zu denen in Königslutter bedeuten. Auf das

1) Der Kämpfer wird in Ballenstedt wiederholt an einem der wenigen Reste der dortigen
Stiftskirche.

551

nähere Schulverhältnis kann erst eingegangen werden, wenn die von Königslutter ab-
hängigen Kapitelle untersucht worden sind. Wir haben bereits in Königslutter selbst
starke Umprägungen der aus Italien übermittelten Vorstellungen gefunden. An den von
Königslutter abhängigen Bauten aber werden uns sehr bald ganz andersartige Formen
begegnen, die erkennen lassen, daß dort die für Königslutter verantwortlichen Meister
kaum tätig gewesen sein können.

III. AUSBREITUNG.
             Es ist eine schon mehrfach beobachtete Tatsache, daß die Kapitellornamentik von
Königslutter der Ausgangspunkt einer großen Schule geworden ist. P. J. Meier hat 1901
in der Kunstchronik auf die Michaelskirche in Hildesheim und die Neuwerkskirche in Goslar
verwiesen. Eichwede hat 1905 in seiner Dissertation die Abhängigkeit von Königslutter
für eine Reihe weiterer Orte gezeigt, deren Zahl  P. J. Meier in der Besprechung der Eich-
wedeschen Arbeit in der Kunstchronik 1905 (N. F. 16) noch wesentlich hat erweitern können.
Freilich haben Eichwede und P. J. Meier davon abgesehen, über die Nennung der Werke
hinaus vorzudringen und das Abhängigkeitsverhältnis näher zu untersuchen. Ansätze hierzu
hat  H. Joachim („Die Stiftskirche zu Königslutter“, Leipziger Dissertation, 1935) gemacht,
doch beschränkt er sich wieder auf eine kleinere Anzahl von Werken. Außerdem war es
nicht die Absicht seiner Arbeit, eine Untersuchung der Ornamentik zu geben, sondern bei
ihm stand die Baugeschichte von Königslutter im Vordergrund.
Im folgenden sollen nun mit einem noch erheblich erweiterten Material die Aus-
wirkungen von Königslutter auf verschiedenen Wegen verfolgt werden, um schließlich ein
Bild von der sächsischen Kapitellornamentik unter dem bestimmenden Eindruck von Königs-
lutter zu gewinnen.
             Sehr eng an Königslutter schließen die Kapitellreste an, die von den Trümmern
der Burg Dankwarderode in Braunschweig jetzt dort unter dem Treppenvorbau auf-
bewahrt werden. Eichwede hat das wichtigste davon in Zeichnungen wiedergegeben. Maß-
gebend für die Betrachtung muß das bei Eichwede abgebildete große Kapitell sein 1),

tl_files/Fotos/Allgemein/Europa - Dissertation Eichwede/Eichwede_Tafel_IX_.jpg

das im wesentlichen die Anordnung der großen Kapitelle im Chor von Königslutter wiedergibt (34).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-034-Kaiserdom-Koenigslutter-Chor-.jpg

Die Teile unmittelbar über dem Säulenhals sind nicht mehr vollständig zu erkennen,
doch müssen wir wohl drei nebeneinander aufwachsende Blätter annehmen, so wie etwa
bei den Kapitellen 39, 40, 44, 45. In der oberen Zone wachsen in Braunschweig abweichend
von Königslutter die kleinen Blätter zwischen den Helices nicht über den Deckplattenrand
hinaus, sondern knicken vorher um. Sie wirken dadurch etwas starrer. Überhaupt sind die
Helices nicht so lebendig gebildet wie in Königslutter, sondern mehr wie beim Kapitell 60.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-060-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 


Sonst aber sind die Übereinstimmungen sehr groß.
             Die Kapitelle der Burg Dankwarderode lassen sich ziemlich sicher datieren, denn
die Burg ist kurz vor dem 1173 begonnenen Dom in Angriff genommen worden, vielleicht
unmittelbar nach der Aufstellung des Löwen im Jahre 1166. Wir kommen also zu einer
Datierung um 1170.
             Dieses Datum wird bekräftigt durch ein anderes Werk in Braunschweig, das ebenfalls
ganz eng an Königslutter anschließt. Im Keller der Domsakristei sind ein paar Reste der

1) Tafel IX. Es ist zu berücksichtigen, daß das Braunschweiger Kapitell stark zerstört ist, das
Königslutterer andererseits nicht zu den besten Stücken dort gehört und durch eine dicke Bemalung
verdorben ist. Die jetzigen Kapitelle der Burg Dankwarderode sind nicht nach den erhaltenen Resten
gearbeitet, sondern in unmittelbarem Anschluß an Königslutter.

552

 

früheren Chorschranken eingemauert (73).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-073-Braunschweig-Dom-Keller-der-Sakristei-.jpg

Braunschweig, Dom, Keller der Sakristei - derzeit im BLM untergebracht

 

Wenn auch die Stücke sehr zerstört sind, so
fühlen wir doch noch die nahe Beziehung zum Apsisfries in Königslutter und zum Kapitell 66.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-066-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Königslutter, Kaiserdom, Kreuzgang


Blattanordnung und Gliederung sind übereinstimmend. Es ist nicht mehr zu erkennen, ob
der Fries ursprünglich die volle Anordnung der Königslutterer Apsisformen gehabt hat
oder die reduzierte des kleinen Kämpfers. Jedenfalls spüren wir hier die Qualität der besten
Stücke von Königslutter und werden annehmen müssen, daß in Braunschweig die gleichen
"Hände" tätig gewesen sind wie in Königslutter. Das bedeutet, daß der Braunschweiger
Fries im nahen Anschluß an Königslutter geschaffen sein muß. Die Chorschranken, von
denen diese Bruchstücke stammen, können nicht älter sein als die 1173 bis 1195 errichtete
Kirche. Also muß sich die Arbeit in Königslutter bis gegen 1170 hingezogen haben.
Die Zahl der erhaltenen Reste der Burg Dankwarderode wie auch der Chorschranken
des Domes ist sehr gering. Dennoch können wir unsere Vorstellungen über die Tätigkeit
der Steinmetzen von Königslutter in Braunschweig erweitern, wenn wir einige Kapitelle
des dortigen Ägidienklosters heranziehen, die zwar wohl etwas später entstanden sind,
aber noch die älteren Werke in ihren wesentlichen Zügen widerspiegeln. Eins der bei
Eichwede abgebildeten Kapitelle von den Resten der Burg Dankwarderode 1) zeigt nämlich
große Übereinstimmungen mit einem Kapitell des Ägidienklosters (74),

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-074-Braunschweig-Aegidienkloster-Kapitelsaal-.jpg

Braunschweig, Ägidienkloster, Kapitelsaal

 

die so weit gehen,
daß wir hier sogar vielleicht die gleichen Hände vermuten dürfen. Der Aufbau gibt in
beiden Fällen den des Kapitells 44 wieder.

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-044-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Gegenüber Königslutter aber sind alle Formen
verhärtet. Die Helices kommen nicht mehr in einem weichen Schwung aus der Blüte
heraus. Die Deckplattenblüte steht nicht mehr in Verbindung mit der Kelchstengelblüte,
sondern ist aus dem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und in die Deckplatte eingelassen.
Bei den Helices haben wir nicht mehr die Vorstellung eines umgeschlagenen Blattes, das
sich vor dem Kern aufwärtsbewegt, sondern der obere Rand ist glatt gebildet, während
der untere Blatteil völlig unlebendig aus einem durch parallele Riefelungen gegliederten
Formenkomplex besteht, der keinerlei Verbindung mit dem oberen Blattrand hat und
hart an den Kern des Kapitells anstößt. In der Volute herrscht die Vorstellung, als ob
das Blatt in seinem ganzen Körper, nicht nur am Rand, auf das lebhafteste gezackt wäre.
In Königslutter ist nichts Vergleichbares vorhanden; wir haben hier wohl die Stelle, wo
die "Schule" im engeren Sinne aufhört und wo wir bereits abgeleitete Formen vor uns
haben. Das bedeutet, daß wir im Ägidienkloster eine Werkstatt tätig sehen, die von der
aus Königslutter nach der Burg Dankwarderode übergesiedelten gelernt hat. Da nun noch
andere Erzeugnisse dieser Werkstatt des Ägidienklosters Motive von Königslutter ziemlich
genau wiedergeben, dürfen wir annehmen, daß auch für sie Vorbilder in Braunschweig
geschaffen worden sind.
       Im Ägidienkloster findet sich das eben untersuchte Kapitell zweimal abgewandelt.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH_75_Titelseite_BLM-Programm_2012.jpg

Kapitell Nr. 75 bei Kluckhohn auf der Titelseite des BLM-Programms 2012

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-075-Braunschweig-Aegidienkloster-Kapitelsaal-.jpg

Braunschweig, Ägidienkloster, Kapitelsaal


Das Kapitell 75 steht 74 noch sehr nahe. In der unteren Zone zeigt sich eine Verschleifung
der Blattansätze, wie sie auch in Königslutter vorkommt (43, 47)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-043-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-047-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

und vermutlich in der
Dankwarderoder Werkstatt Nachfolge gefunden hat. Freilich wird sie hier sinnlos verwandt,
denn beim Kapitell 43 sind die zwischen den Blättern der unteren Zone vorhandenen
Stengel die Ansätze für die Helices, hier in Braunschweig dagegen wächst aus diesen
Stengeln nichts empor.
       Eine etwas weitergehende Abwandlung bedeutet das Kapitell 76.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-076-Braunschweig-Aegidienkloster-Kapitelsaal-.jpg

Braunschweig, Ägidienkloster, Kapitelsaal

 

In der unteren Zone sind die überfallenden Blätter kaum noch in Einzelblätter zerlegt, vielmehr sind sie
zu einer durchgehend gewellten Fläche zusammengezogen. Aus dem Mittelblatt wachsen
die sehr unförmigen Helices auf. Zwischen den plumpen Voluten liegt ein fächerförmiges

1) Tafel IX, 2. Kapitell von links in der 2. Reihe von oben.

553

Blatt, das seine Vorstufe im Kapitell 37 in Königslutter haben dürfte.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-037-Kaiserdom-Koenigslutter-nordoestlicher-Vierungspfeiler-.jpg

An den Ecken des Kapitells 76 wachsen die Voluten vollständig mit den Eckblättern der unteren Zone zu-
sammen; es herrscht nicht mehr das Bedürfnis, jeden Teil für sich dem Auge klarzulegen,
sondern ein schon ganz konventionell gewordener Formenapparat wird ohne Verständnis
für den organischen Zusammenhang seiner Elemente auf das Kapitell aufgetragen.
      Dies trifft auch für ein Palmettenfächerkapitell im Ägidienkloster zu (77).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH_77_Seite_10_BLM-Programm_2012.jpg

Kapitell Nr. 77 bei Kluckhohn im BLM-Programm Mai - August 2012 Seite 10

"Romanisches Säulenkapitell, Klosterräume Hinter Aegidien"

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-077-Braunschweig-Aegidienkloster-Kapitelsaal-.jpg

Braunschweig, Ägidienkloster, Kapitelsaal

 

Es sind noch alle Motive von Königslutter vorhanden. Dennoch haben wir nicht mehr das Gefühl,
daß sich ein Mittelblatt emporwölbt und daß es dabei an seiner Spitze heruntergedrückt
wird durch ein ihm entgegenkommendes Blatt. Wir spüren keine Dynamik mehr in dem
Auseinanderfahren der Fächerblätter. Die unteren Mittelblätter wachsen fest mit den Fächer-
blättern zusammen, so daß wir zunächst, wenn wir Königslutter nicht in der Vorstellung
hätten, bei genauer Seitenansicht die Vorwölbungen als eine Einheit auffassen würden,
ohne ihre Zusammensetzung aus vier Blättern zu erkennen. Dadurch ist das Kapitell block-
hafter geworden, wenn auch keinerlei Ähnlichkeit mit dem Würfelkapitell besteht. Für den
Eindruck ausschlaggebend ist der stark sprechende Umriß.
      Ein fünftes Kapitell im Ägidienkloster (78)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-078-Braunschweig-Aegidienkloster-Kapitelsaal-.jpg

Braunschweig, Ägidienkloster, Kapitelsaal

 

ist eine getreue Wiedergabe eines Königslutterer Halbsäulenkapitells (67).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-067-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Die Übereinstimmungen sind so groß, daß man an
gleiche Hände denken könnte, doch zeigt sich bei näherer Betrachtung, daß die in Königs-
lutter übliche feine Flächenbehandlung in Braunschweig einer schematischeren Gestaltung
gewichen ist. Das Königslutterer Kapitell zeigt noch die typischen Bohrlöcher an den
Blattenden, die übrigens an dem großen Kapitell der Burg Dankwarderode auch noch
vorhanden sind, dagegen schon nicht mehr an dem kleinen Kapitell, das zu denen des
Ägidienklosters überleitete  1).
      Genaue Anhaltspunkte zur Datierung der Bauornamentik des Ägidienklosters sind
nicht überliefert. Wír sind deswegen auf die Stilanalyse angewiesen. Eine Ansetzung auf
die Spätzeit des 12. Jahrhunderts dürfte wohl richtig sein, wenn wir um oder nach 1170
den Arbeitsbeginn an der Burg und am Dom annehmen 2).
Stärkeren Zusammenhang mit Königslutter, und zwar eine sehr enge Anlehnung
an das Palmettenfächerkapitell, zeigt ein Kapitell im Refektorium des Klosters Michael-
stein bei Blankenburg am Harz (79).

 

Einfügung: LINK: http://www.baufachinformation.de/denkmalpflege.jsp?md=2001057125317

(siehe Aufnahme "Palmettenfächer-Kapitell der südlichen Säulen, Zustand 1952")

 

Die Proportionen sind etwas verändert: der kelch-
artige Ansatz ist in die Länge gezogen, indem die unteren Blätter zunächst steiler ansteigen
und dann erst sich nach vorn biegen. Die Fächerblätter entfalten sich erheblich später
als in Königslutter; ihre Stengel werden nicht überschnitten von den Eckpunkten der
Mittelblätter; die kleine Eckknolle entwickelt sich etwas zaghafter als in Königslutter. Die
Blattränder sind nicht hart und zackig, sondern in schwingender Kurve gebildet. Der
Gesamteindruck wird bestimmt durch die etwas weiche Behandlung der Oberfläche. Dabei
steht die handwerkliche Fertigkeit auf der Höhe der besten Stücke in Königslutter. Dennoch
werden wir nicht an den Kapitellen 55 und 79 die gleichen Hände vermuten, denn es zeigt
sich eine leise Umdeutung des Umrisses nach der Kelchform hin.

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-055-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Ich möchte annehmen,
daß es sich um das Werk eines Schülers handelt, der in Königslutter unmittelbar mit dem
Meister zusammengearbeitet hat und hier nun aus eigenem Empfinden ein Werk schafft,
das die Nähe des Meisters noch stark spüren läßt. Der Kämpfer ist nämlich unmittelbar
vergleichbar dem des Kapitells 46.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-046-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Die steileren Proportionen machen die Einschiebung

       1) Die Zusammenhänge zwischen Königslutter und dem Ägidíenkloster werden noch besonders
durch die Schaftformen hervorgehoben. Es kehren wieder die Säulen mit Längsriefelung, mit gedrehten
Wulsten und l-lohlkehlen, mit Palmetten zwischen verknoteten Bändern.
       2) Im Inventar und bei Dehio-Gall (I, S. 46) ebenfalls nur die aus der Stilkritik entwickelte
Angabe: letztes Viertel des 12. Jahrhunderts.

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einer fallenden Palmette notwendig, die freilich in ihrer Durchbildung etwas steif wirkt.
Sonst aber sind die Übereinstimmungen so groß, daß wir annehmen können, in Michael-
stein den Gehilfen des Königslutterer Meisters vor uns zu haben, der dort diesen Kämpfer
gemeißelt hat.
Im Umriß Michaelstein verwandt sind zwei Kapitelle am Portal der Klosterkirche
von Hecklingen in Anhalt (80 rechts, ganz ähnlich ein Kapitell im linken Gewände).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-080-Hecklingen-ehemalige-Benediktinerinnen-Kloster-Kirche-Portal-.jpg

Hecklingen, ehem. Benediktinerinnen-Kl.-Kirche, Portal

 

Die feinere Struktur weicht allerdings etwas ab. Unterschiede zwischen Königslutter und Heck-
lingen bestehen darin, daß der obere Abschluß der aufsteigenden Blätter in Hecklingen
zu einer harten wagerechten Linie geworden ist. In Michaelstein schmiegen sich, wie in
Königslutter, die Blattspitzen an die schwingende Linie des oberen Mittelblattes an.

 

Einfügung: LINK: http://www.baufachinformation.de/denkmalpflege.jsp?md=2001057125317

Einfügung: LINK: http://www.transromanica.com/de/poi/?suchen_poi=1&poi_region_id=1&poi_kategorie_id[1]=1&poi_kategorie_id[3]=1&artikel=352

 

In Hecklingen dagegen bildet das aufsteigende Blatt einen gleichmäßig gezackten oberen
Rand; jede Gliederung dieses Blattes durch Teilung in Lappen ist aufgehoben. Auf dem
oberen Mittelblatt laufen die Blattrippen als parallele Streifen, und das Gefühl für den
Schönheitswert einer Kurve scheint verloren zu sein. Entscheidend ist nur noch der
Gesamtumriß, der freilich eine großartige Geschlossenheit erreicht. Dabei sind die Einzel-
formen Königslutter noch sehr nahe verwandt, wenn auch für die Gesamterscheinung andere
Momente bestimmend geworden sind.
Auf der Hecklinger Stufe steht auch ein Kapitell in der Domvorhalle in Goslar (81).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-081-Goslar-Domportal-.jpg

Goslar, Domportal


Einige kleine Unterschiede sind nicht grundsätzlicher Natur. Die Umrißlinie der unteren
Blätter ist etwas stärker ausgeschwungen. Andererseits ist die Zeichnung der Blätter
schematischer geworden, denn die einzelnen Blattrippen kommen nicht mehr von einer
Mittelrippe her, sondern sind vor allem bei den oberen Blättern nur parallele Furchen (in
Hecklingen nur bei den unteren Blättern).
Vergleichen wir die hier erreichte Umsetzung des Königslutterer Palmettenfächer-
kapitells mit der, die wir im Ägidienkloster in Braunschweig gefunden hatten, so ergeben
sich wesentliche Unterschiede: zwar hat in beiden Fällen das Gefühl für Masse den Sieg
davongetragen über die lebendige Struktur, aber in Goslar zeigt sich ein feineres Emp-
finden für die Gestaltung eines Blockes, dadurch bedingt, daß der Umriß doch noch dem
von Königslutter ähnelt, während die geringe Verkürzung der aufsteigenden Zone in Braun-
schweig dem Block jede Elastizität der Ausschwingung genommen hat. In Hecklingen und
Goslar biegen sich die Blätter immer noch unter einer Last, die ihnen diese ganz bestimmte
Lagerung gibt. In Braunschweig dagegen ist das Gefühl für diese Feinheiten verloren.
Auch die korinthisierenden Kapitelle in Hecklingen (80)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-080-Hecklingen-ehemalige-Benediktinerinnen-Kloster-Kirche-Portal-.jpg

Hecklingen, ehem. Benediktinerinnen-Kl.-Kirche, Portal

 

und Goslar (82) sind einander ähnlich.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-082-Goslar-Domportal-.jpg

Goslar, Domportal

 

Hecklingen gibt den Formenbestand der Kreuzgangskapitelle von Königs-
lutter (43-49) noch vollständig wieder, wenn auch wie bei den Kapitellen 75 und 76 im
Ägidienkloster in Braunschweig die Stengelansätze zwischen den Blättern am Säulenhals
nicht nach oben fortgeführt werden, sondern die Helices unabhängig von ihnen hinter dem
Mittelblatt aufwachsen. - In Goslar weicht die untere Zone darin von Hecklingen ab, daß
nur zwei Blätter an jeder Seite gegeben sind, doch ist das bereits an den Vierungskapi-
tellen in Königslutter vorgebildet (allerdings fehlt das in Königslutter dann immer vor-
handene Hochblatt, 35-38). Der Stengelansatz zwischen den Blättern steht sinnvoll in
Verbindung mit den Blättern der oberen Zone. Die Zusammensetzung der Blätter entspricht
ebenfalls am ehesten den Vierungskapitellen in Königslutter, nicht den stark geschwollenen
Formen des Kreuzgangs. Dies trifft für Goslar wie für Hecklingen zu, verbindet die beiden
Orte also miteinander im Unterschied zum Ägidienkloster in Braunschweig und zu den
meisten Orten, die wir noch zu untersuchen haben.
Ob die Goslarer oder die Hecklinger Stücke älter sind, wird sich kaum entscheiden
lassen. Jedenfalls dürfen wir wohl bei der Fülle der Übereinstimmungen die gleichen Hände

555

 

vermuten. Ob diese auch schon in Königslutter tätig waren, wird sich nicht sicher ent-
scheiden lassen. Das Kapitell von Michaelstein, das wir ebenfalls zu diesem Kreis zu zählen
haben, spricht nur dafür. Diese Ansicht wird außerdem bekräftigt durch die Akanthus-
blattwelle über den Hecklinger Kapitellen. Sie gibt den Apparat von Königslutter fast
genau wieder. In Goslar wird eine Beziehung zu Königslutter außerdem noch durch die
Rahmung des Portals hergestellt, die genau der des Königslutterer Löwenportals entspricht.
Leider haben wir für Goslar wie für Hecklingen keine genauen Datierungsanhalte.
Bei den Kapitellen im Refektorium in Michaelstein können wir ziemlich sicher sagen, daß
sie etwa im achten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts entstanden sein müssen. Der Bau des
Klosters ist in Verbindung zu bringen mit der Verlegung des Klosters vom Volkmarskeller
an seine jetzige Stelle, die laut Inventar zwischen 1152 und 1167 stattgefunden haben muß,
wobei vermutlich kurz vor 1167 mit dem Bau begonnen wurde 1). Für diese Entstehungszeit
sprechen auch die anderen Bauteile, soweit sie noch erhalten sind. - Für Hecklingen werden
im Inventar 2) eine Fülle von Daten gegeben, die aber alle nicht mit dem Bau der Kirche in
Verbindung gebracht werden können. Ludwig Grote, der sich als letzter mit der Frage
der Entstehung befaßt hat., gibt an, daß das Kloster erst 1176 an die jetzige Stelle ver-
legt worden ist, der Bau dann aber sofort begonnen worden sei 3). Die Ornamentik würde
dem zum mindesten nicht widersprechen. Anfang der siebenziger Jahre wurde in Michaelstein
gearbeitet, sicher mehr, als jetzt erhalten ist; dann sind die Steinmetzen entweder nach
Hecklingen oder nach Goslar übergesiedelt. In Hecklingen können sie um 1180 tätig
gewesen sein (auch die Architekturformen sprechen für diese Zeit und für den Zusammen-
hang mit Königslutter). -- Für Goslar haben wir keine genauen Anhaltspunkte, sind also
auf die Stilkritik angewiesen. Eine Datierung auf die letzten zwei Jahrzehnte des 12. Jahr-
hunderts ist im Hinblick auf Hecklingen das wahrscheinlichste.
Hier ist noch ein Kapitell anzuschließen, das zwar wohl etwas später entstanden
ist, auch kaum noch zu dieser Werkstatt gehört, aber doch eine Reihe von verwandten
Zügen aufweist (83). Es stammt aus dem Kloster Holzzelle, ist dann in den Garten der
Domäne Sittichenbach bei Eisleben überführt worden und ist jetzt anscheinend ver-
lorengegangen 4). Eine alte Aufnahme und die Abbildung im Inventar 5) müssen uns des-
wegen Auskunft geben. Die Anlage ist grundsätzlich verschieden von allen bisher unter-
suchten Stücken, indem das Kapitell nicht eine Säule, sondern ein Säulenbündel krönt.
Daraus ergeben sich Verschiebungen in den Proportionen, wenn auch versucht ist, den
Apparat möglicht vollständig und unabgewandelt wiederzugeben. Der Anschluß wird nicht
an Königslutter selbst genommen, sondern an Ableitungen, wie sie etwa in Hecklingen
vorliegen. Eine klare Vorstellung, wie die einzelnen Blätter sich zu verteilen haben, ist
kaum noch vorhanden. In den Fächerblättern bricht das geschlossene Blatt plötzlich ab
und die Volute scheint einem selbständigen Blatt anzugehören. Am klarsten sind die oberen
Mittelblätter, denen genau symmetrisch von unten ein Blatt entgegensteigt, das aus einer

1) Inv. Braunschweig, VI, Blankenburg, S. 157ff. Die neuerdings von Diestelkamp (Die Anfänge
des Klosters Michaelstein, Jahrbuch Sachsen und Anhalt 10, 1934) veröffentlichten Urkunden beziehen
sich nur auf den Volkmarskeller und geben keinen Aufschluß über das genaue Datum der Verlegung.
2) Inv. Anhalt, S. 155ff. (Kreis Bernburg).
3) L. Grote, Das Land Anhalt (Dt. Lande - dt. Kunst), S. 30.
4) Eine Nachsuche auf der Domäne Sittichenbach verlief ergebnislos. Eine Anfrage beim Heimat-
museum in Eisleben ergab, daß auch dort nichts über den Verbleib bekannt ist; man habe zwar früher
versucht, dies Kapitell zu erwerben, da man schon im Besitz eines Tympanons aus Holzzelle sei, die
Bemühungen seien aber erfolglos gewesen.
5) Geheimrat Dr. P. J. Meier war so liebenswürdig, mir diese Aufnahme zu überlassen. Die
Abbildung im Inv. Mansfelder Seekreís, S. 277.

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Vergrößerung der ganz kleinen, nur als Verstärkung der Mittelrippe in Königslutter wie
auch in Michaelstein und Hecklingen aufgelegten Blättchen entstanden ist. -- Über das
genaue Alter dieses Kapitells ist nichts bekannt. Das Werk stammt von den Kloster-
gebäuden von Holzzelle und soll laut Inventar ein vierteiliges Gewölbe getragen haben.
Eine Ansetzung auf um oder kurz nach 1200 dürfte wohl richtig sein.
           Wir haben bis jetzt zweimal den Weg von unmittelbar an Königslutter anschließenden
Formen bis zu stark umgebildeten verfolgt. Derartige Entwicklungslinien lassen sich noch
mehrfach ziehen.
           In ganz engem Anschluß an Königslutter sind einige Kapitelle in Schöningen
bei Helmstedt entstanden (84 bis 87).

 

Einfügung: LINK: http://www.st-lorenz-schoeningen.de/

 

Auch der Bau weist auf unmittelbare Beziehungen
zu Königslutter hin, denn es handelt sich um den gewölbten Umbau des Chores einer
Kirche des frühen 12. Jahrhunderts, der vermutlich eine Nachahmung der Königslutterer
Choranlage ist. Auch die Gliederung der Apsis läßt dies erkennen 1). Die Kapitelle des
Portals (84 und 85)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-084-Schoeningen-ehemalige-Nonnenkloster-Kirche-Portal-.jpg

Schöningen, ehem. Nonnenkloster-Kirche, Portal

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-085-Schoeningen-ehemalige-Nonnenkloster-Kirche-Portal-.jpg

Schöningen, ehem. Nonnenkloster-Kirche, Portal

 

sind dem Kreuzgangskapitell 49 in Königslutter besonders durch das
windbewegte Blatt in der oberen Zone verwandt.

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-049-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

Da es sich in Schöningen aber nicht
um die Bekrönung einer freistehenden Säule, sondern nur um eine Ecksäule handelt, sind
Verschiebungen im Aufbau notwendig. Beim Kapitell 84 steckt für die Vorstellung ein
Teil der Formen in der Wand, denn das jeweils der Wand zugekehrte Blatt ist nur teil-
weise ausgeführt. Beim Kapitell 85 hat der Steinmetz dies zu vermeiden versucht und hat
die betreffenden Blätter sehr verkleinert. Diese Lösung ist für das Auge entschieden weniger
befriedigend, und wir fühlen hier einen deutlichen Abstand zu den Ecksäulenkapitellen im
Chor und Querhaus von Königslutter (36-39). Weiter verarbeitet wird dieser Gedanke
im Innern der Kirche. Bei einem Vierungskapitell (86)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-086-Schoeningen-ehemalige-Nonnenkloster-Kirche-Chor-.jpg

Schöningen, ehem. Nonnenkloster-Kirche, Chor

 

wird der Aufbau genau wiederholt,
nur sind die Proportionen etwas gedrückter; darunter leidet der Gesamteindruck empfindlich.--
Eine andere Lösung geben einige Kapitelle an den unteren Arkaden des Chores (87).

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-087-Schoeningen-ehemalige-Nonnenkloster-Kirche-suedliche-Arkaden-.jpg

Schöningen, ehem. Nonnenkloster-Kirche, südliche Arkaden

 

Hier ist die untere Zone dem Kapitell 86 verwandt, und auch die Voluten sind ähnlich. Statt
des Schlängelblattes aber ist ein neues Motiv gefunden, ein lappenartiges Blatt, das sich
über den Helix legt. Bei diesem Blatt hat man den Eindruck, als ob die Struktur, die sonst
nur bei den überfallenden Blättern der unteren Zone verwendet wurde, nämlich die glatte
Bildung ohne Gliederung durch Rippen, auf Blätter der oberen Zone übertragen worden
sei. Dies Kapitell bedeutet gegenüber Königslutter und auch gegenüber dem Kapitell 84
eine starke Umsetzung, die wir hier also innerhalb der Entwicklung eines Ortes beob-
achten können.
         Zur Datierung müssen wir uns auf die Stilkritik verlassen. Bei dem unmittelbaren
Anschluß an Königslutter wird der Beginn der Arbeiten etwa auf 1170 anzusetzen sein.
         Eine weitere unmittelbare Abhängigkeit von Königslutter zeigt sich in einigen
Kapitellen am Kapitelsaal des Klosters Mariental bei Helmstedt (88-90).

 

Einfügung: LINK: http://www.evangelische-zisterzienser-erben.de/mariental.html

 

Hier finden wir den Steinmetzen des Königslutterer Kapitells 65

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-065-Kaiserdom-Koenigslutter-Kreuzgang-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Kreuzgang

 

wieder, nämlich am rechten Kapitell der Abb. 88.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-088-Mariental-ehemaliges-Zisterzienser-Kloster-Kapitelsaal-Fenster-.jpg

Mariental, ehemaliges Zisterzienser-Kloster, Kapitelsaal, Fenster

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-088-Mariental-ehemaliges-Zisterzienser-Kloster-Kapitelsaal-Fenster-Teilansicht-.jpg

Detail zu Mariental, ehemaliges Zisterzienser-Kloster, Kapitelsaal, Fenster

(rechtes Kapitell entspr. Abb. 88 bei Kluckhohn)

 

Der kleinere Maßstab bedingt einige Reduktionen, und zugleich tritt der
Kern etwas stärker hervor. Daneben sehen wir ein Blattkapitell, das etwa auf der Stufe von Hecklingen (80) steht.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-080-Hecklingen-ehemalige-Benediktinerinnen-Kloster-Kirche-Portal-.jpg

Hecklingen, ehem. Benediktinerinnen-Kl.-Kirche, Portal

 

Auch hier finden die Blattansätze zwischen den Blättern der
unteren Zone keine organische Fortsetzung nach oben hin. An einem benachbarten Kapitell (89)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-089-Mariental-ehemaliges-Zisterzienser-Kloster-Kapitelsaal-Fenster-.jpg

Mariental, ehemaliges Zisterzienser-Kloster, Kapitelsaal, Fenster


werden dafür dreifingrige Palmetten eingeschoben, die nicht als Blatt gedacht sind, sondern
als reines Ornament (ähnlich wie bei den Kapitellen in Schöningen).
         Die Kapitelle von Mariental nähern sich im Blockgefühl schon sehr dem tektonischen Kapitell. Ein Palmettenfächerkapitell (90) zeigt diese Tendenz besonders deutlich:

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-090-Mariental-ehemaliges-Zisterzienser-Kloster-Kapitelsaal-Portal-.jpg

Mariental, ehemaliges Zisterzienser-Kloster, Kapitelsaal, Portal



1) Inv. Braunschweig I, Helmstedt, S. 295ff.

557


an den Seitenmitten treten die Blätter nur noch wenig hervor, außerdem nicht mehr schwingend,
sondern hart und gerade aufwachsend, fast senkrecht sogar, so daß auch die von oben
herabfallenden Blätter fast senkrecht geführt werden müssen; dadurch wird die typische
Form des Palmettenfächerkapitells aufgehoben und wir nähern uns sehr dem Block des
Würfelkapitells. Dabei zeigen die Einzelheiten, daß die Königslutterer Vorbilder sehr wohl
bekannt sind; von den dortigen Formen wird kaum etwas unterdrückt, nur der Gesamt-
eindruck ist gänzlich verschieden.
         Wir können hier einige Kapitelle anschließen, bei denen die Schulzusamrnenhänge
nicht unmittelbar klarliegen, die aber in gleicher Weise wie Mariental vollständige Wieder-
gabe des Formguts von Königslutter bei ganz anderer Grundauffassung zeigen.
         Ahnlich flächenhaft wie in Mariental ist ein Kapitell in Wimrnelburg bei Eisleben
gebildet (91).

 

Einfügung: LINK: http://www.harz-saale.de/impressionen/kirchen_und_kloester/wimmelburg_kloster/wimmelburg_kloster.html

 

Ganz schwach erkennbar ist die Zusammensetzung der Blätter aus mehreren
Teilen mit einem glatten Rand zwischen den beiden gezackten. Die Ähnlichkeit mit
Königslutter ist nur noch gering, denn die obere Zone ist ganz eingegangen in die
kompakte Würfelmasse, und auch die unteren Blätter wachsen gerade und ohne jede
Schwingung auf.
         Etwas freier wirkt daneben ein Kapitell in der Maria-Magdalenen-Kapelle an der
Liebfrauenkirche in Halberstadt (92).

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-092-Halberstadt-Liebfrauenkirche-Taufkapelle-IMG-5474.jpg

 

Die überfallenden Blätter der unteren Zone sind
sogar sehr lebendig den unteren Blättern entsprechend gebildet, mit denen sie sich nur lose
berühren. Die obere Zone ist ohne Analogie zu Königslutter; zwar sind innere und äußere
Helices vorhanden, aber sie rollen sich nicht zu Voluten ein, sondern enden in hängenden
Eckblättern, wie sie sonst außer den Voluten noch angebracht waren. Die Gesamterscheinung
ist flächig und die Bindung in den Block jedenfalls in der oberen Zone sehr stark.
         Kräftiger in den Einzelheiten ist ein Kapitell in der „Bibliothek“ des Klosters
Huysburg (93).

 

Einfügung: LINK: http://www.harz-saale.de/impressionen/kirchen_und_kloester/huysburg_kloster/huysburg_kloster.html

 

Alles ist hier sehr kompakt, ohne Elastizität. In erster Linie spricht der
Block, doch verraten alle Einzelheiten die genaue Kenntnis von Königslutter. Dennoch
können wir nicht glauben, daß der Schöpfer dieses Kapitells dort aktiv mitgearbeitet hat.
        Ähnlich verhält es sich mit einem Kapitell im nördlichen Seitenschiff der Stifts-
kirche in Gandersheim (94). Die Anordnung entspricht den Querhauskapitellen von Königs-
lutter (36-38).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-036-Kaiserdom-Koenigslutter-suedwestlicher-Vierungspfeiler-.jpg

Kaiserdom Königslutter, südwestlicher Vierungspfeiler

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-037-Kaiserdom-Koenigslutter-nordoestlicher-Vierungspfeiler-.jpg

Kaiserdom Königslutter, nördöstlicher Vierungspfeiler

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-038-Kaiserdom-Koenigslutter-suedliches-Querhaus-.jpg

Kaiserdom Königslutter, südliches Querhaus

 

In Gandersheim sind alle Formen schwer und träge geworden. Die Blätter
der unteren Zone bestehen noch deutlich aus vorderem und hinterem Blatt, doch bilden
beide zusammen einen dicken und dichten Komplex, so wie auf der Huysburg. Die Helices
mit ihren Voluten und den hängenden Eckblättern sind zu ungegliederter Masse geworden,
aber doch nicht ohne Leben.
        Auch bei einem Kapitell der Dorfkirche in Obergreislau bei Weißenfels (95)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-095-Obergreislau-Dorfkirche-Portal-.jpg

Obergreislau, Dorfkirche, Portal


spüren wir noch das Vorbild der Königslutterer Querhauskapitelle, doch sind die Voluten
ganz ornamental; sie wirken ebenso wie die neben ihnen angebrachte Halbkugel rein als
Flächenfüllung. Typisch für die Zersetzung der ursprünglichen Zusammenhänge ist die
untere Zone: die Eckblätter berühren sich nicht mehr an der Seitenmitte, aber der sonst
bei ihrer Berührung entstehende Formkomplex mit dem Ansatz der Stengel der oberen
Blätter ist hier in Obergreislau erhalten geblieben und steht nun sinnlos in der Fläche des
mittleren Blattes (vgl. dagegen Gandersheim).
        Wenn wir neben diese Kapitelle die Urformen von Königslutter halten, so sehen
wir sofort den gewaltigen Abstand, der zunächst meist rein qualitativ ist. Aber es fehlt
auch der Wille zu lebendiger Durchempfindung der einzelnen Teile. Das Gefühl für Masse
hat gesiegt. Das schulmäßige Abhängigkeitsverhältnis zu Königslutter läßt sich schwer
angeben, denn Vermittlungsstadien lassen sich nicht finden. Auch fehlt es an genauen
Datierungsanhalten.

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         In Mariental haben wir einen Königslutterer Steinmetzen wiedererkannt. Deswegen
wird eine Datierung auf die siebenziger Jahre richtig sein. Jedenfalls sind die Kloster-
gebäude später entstanden als die 1138 begonnene Kirche. Im Inventar wird als Datierung
das Ende des 12.Jahrhunderts angegeben 1).
         Das Kloster Wimmelburg ist 1121 an den jetzigen Platz verlegt worden. Die Chor-
anlage im Hirsauer Schema ist bestimmt jünger, wohl aus dem letzten Drittel des 12.Jahr-
hunderts 2).
         Zu gleicher Zeit wird die Taufkapelle in Halberstadt entstanden sein. Im Inventar
werden die letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts angegeben 3).
         Das Gandersheimer Kapitell befindet sich an einem Eckdienst für das Gewölbe und
ist in Verbindung zu bringen mit der Einziehung der Chorgewölbe, doch haben wir dadurch
noch keine genaue Datierungsmöglichkeit. Immerhin ist die durch die Stilkritik gewonnene
Ansetzung auf die letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts auch für die Gewölbe möglich 4).
         Gleichfalls fehlt es an Anhaltspunkten für das Kloster Huysburg. Hier sind die
Klostergebäude ebenso wie in Mariental jünger als die Kirche. Das fragliche Kapitell wird
um 1180 entstanden sein. Mit dieser Ansetzung sind die anderen Formen des Bibliotheks-
saales vereinbar 5).
          Die jetzige Kirche in Obergreislau ist jünger als das Portal mit dem Kapitell 95;
das Portal ist der einzige Rest eines Baues aus dem 12. Jahrhundert. Dem Portal fehlen
jetzt die eingestellten Säulen, so daß die Kapitelle frei aus dem Block herauswachsen, der
über ihnen den Anfang des um das Tympanon herumgeführten Rundstabprofils bildet 6).
          Wir kommen nun zu einer Gruppe, bei der wir wenigstens für den Ausgangspunkt
sicheren Boden unter den Füßen haben. In der 1180 unter Bischof Adelog neu geweihten
Michaelskirche in Hildesheim sind in der Zeit zwischen 1173 und 1180 eine Reihe
großer Kapitelle eingesetzt worden, die Anschluß an Königslutter zeigen. Dabei ist Hildes-
heim offenbar nicht direkt von Königslııtter abhängig, sondern von Braunschweig.
          Der Aufbau der Kapitelle 34

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-034-Kaiserdom-Koenigslutter-Chor-.jpg

Kaiserdom Königslutter, Chor

 

in Königslutter und 96 in Hildesheim ist gleich,

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-96-Hildesheim-St.Michael-Langhaus-.jpg

Hildesheim, St. Michael, Langhaus

 

doch wird als Vermittlungsstufe das große Kapitell der Burg Dankwarderode (Abb. 3 bei Eichwede, Tafel IX)

tl_files/Fotos/Allgemein/Europa - Dissertation Eichwede/Diss-Eichwede-Tafel-IX-Abb.3-Foto-2012.jpg

Braunschweig, Dankwarderode, Kapitell im Rittersaal, Foto 2012

 

dazwischenstehen. Die Helices wachsen in Königslutter und in Braunschweig
unmittelbar aus den Blättern der mittleren Zone heraus, in Hildesheim dagegen erst aus
einer Kelchstengelblüte (wie bei den Braunschweiger Kapitellen 74 und 75). Der Unter-
schied scheint nur unbedeutend zu sein, hat aber doch eine starke Wirkung, denn der für
diese Zone zur Verfügung stehende Raum hat nur geringe Höhe, und deswegen müssen
die Helices sehr an die Deckplatte gedrückt werden. Dadurch kommen die Kelchblätter
in eine fast horizontale Lage; das Kapitell erhält unter dem horizontalen Abschluß durch
die Deckplatte schon eine Querleiste in den Helices. Auch die darunterliegenden Blätter
betonen die Horizontale viel stärker als ihre Vorbilder; der ganze Aufbau ist mehr in die
Breite gedrückt. Das tektonische Gefühl hat sich gegenüber Königslutter verändert: wir

1) Inv. Braunschweig I, Helmstedt, S. 127ff. (S. 135). `
2) Angaben über die Verlegung im Inv. (Mansfelder Seekreis, S. 398) auf Grund einer Urkunde
im Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt I, Nr. 150.
3) Inv. Halberstadt, S. 315.
4) Auch im Inventar (Braunschweig V, Gandersheim, S. 68ff.) wird keine genaue Datierung
gegeben. Dehio-Gall I, S. 156: Ende des 12 Jahrhunderts.
5) Aus dem Inventar (Oschersleben, S. 165ff.) erfahren wir nur, daß die Bibliothek „aus roma-
nischer Zeit“ stammt. Die Ansetzung bei Dehio-Gall (I, S. 90) auf „bald nach M. 12. Jh.“ geht von
der Voraussetzung aus, daß Königslutter in allen wesentlirhen Formen um 1150 fertig gewesen ist. Diese
Ansicht ist nach den Untersuchungen der Vorstufen nicht mehr haltbar.
6) Im Inv. (Weißenfels, S. 14) die Angabe: 12. Jahrhundert.

38 Marburger Jahrbuch Bd. 11

559

empfinden jetzt sehr stark den Block, der von der Oberfläche aus in die Tiefe durchgearbeitet
ist. In Königslutter und Braunschweig wird er nicht so unmittelbar sinnfällig, dort erscheint
alles mehr als ein Geschehen vor einem Kern. In Hildesheim hat demgegenüber das
Blockgefühl gesiegt.
           Die anderen Hildesheimer Kapitelle bestätigen diesen Eindruck. Besonders block-
mäßig sind zwei einander sehr ähnliche Kapitelle empfunden (97). Die obere Zone beschränkt
sich auf Eckvoluten, aus denen so starke Eckblätter herauswachsen, daß sie die Köpfe der
mittleren Zone vollständig ersetzen und unmittelbar zu den unteren Blättern herabführen.
Deutlicher kann die Einheit und Geschlossenheit eines Blockes nicht zum Ausdruck gebracht
werden. Die Einzeldurchbildung führt stärker nach der Tiefe als beim Kapitell 96;

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-96-Hildesheim-St.Michael-Langhaus-.jpg

die Blätter sind lebendiger, an den Helices üppig schwellend und so voller Energie, daß sie
auf die Deckplatte übergreifen, indem sie diese zu verdrängen scheinen. Der Kämpfer
des Kapitells 97 zeigt noch einmal die Verbindung zu Königslutter, indem hier offenbar
die Akanthusblattwelle der Apsis als Vorbild gedient hat. Doch haben sich die Blätter
einer anderen Umrißform einzufügen; sie wachsen nicht mühelos auf, sondern müssen erst
einen Widerstand überwinden, indem sie sich um einen Stab herumwinden.
           Neben den Tendenzen zur Vereinfachung und Verfestigung gibt es in St. Michael
auch andere Strömungen. Während bei den Kapitellen 96 und 97 in der oberen Zone ein
Blockstück sichtbar bleibt, herrscht an einem anderen Kapitell (98) ein wahrer horror vacui.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-98-Hildesheim-St.Michael-Langhaus-.jpg

Hildesheim, St. Michael, Langhaus


Hier sehen wir ein üppiges und ruheloses Wuchern des kleinteiligen Blattwerks, wobei
mit den Anregungen von Königslutter frei geschaltet wird. Im Ganzen bleibt der Block
erhalten, doch wird er an seiner Oberfläche stark aufgewühlt. - In der Formenhäufung
verwandt ist das Kapitell 99,

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-99-Hildesheim-St.Michael-Langhaus-.jpg

Hildesheim, St. Michael, Langhaus

 

doch bringt der Anschluß an das Palmettenfächerkapitell
einen ruhigeren Gesamteindruck. Wir haben hier nicht die Vorstellung, daß die aufsteigenden,
herabfallenden oder auseinanderdrängenden Blätter das Kapitell formen, sondern die Kon-
zeption scheint von einem festen Block auszugehen, der dann auf seiner Oberfläche ungeheuer
stark belebt wird. Nirgends sehen wir einen ruhigen Blattrand, überall ein Vor- und Zurück-
schwingen, überall Richtungsveränderungen in den Blattriefelungen. Besonders die Trennungs-
linien zwischen den Blattlappen sind zu selbständigen Wucherungen geworden. Die aufgelegten
Rippen folgen bis in die feinsten Verästelungen hinein. Hier wie beim Kapitell 98 empfinden
wir besonders den Reichtum der Formen; in beiden Fällen wird frei mit den Anregungen
gespielt, die von Königslutter übernommen worden sind.
           Andere Kapitelle in St. Michael stehen nicht in Beziehung zu Königslutter, sondern
ganz in der sächsischen Tradition. Bemerkenswert ist ein Kämpfer (am 3. Kapitell von
Osten in der nördlichen Arkadenreihe), da er sehr einem Kämpfer in Michaelstein ähnelt,
der zwar mit Königslutter nicht unmittelbar zu tun hat, aber sich im gleichen Raum befindet
wie das von Königslutter beeinflußte Kapitell 79. Die kleinen Veränderungen in Hildesheim
wirken nur wie Korrekturen. Da für Michaelstein die Zeit um 1170 in Frage kommt, ist
diese Entstehungsfolge sehr wohl möglich.
           In mehrfacher Richtung hat Hildesheim weitergewirkt nach Wunstorf bei Hannover.
Eichwede gibt ein kleines Palmettenfâcherkapitell im Chor leidlich zuverlässig wieder 1);
wir erkennen dabei sehr deutlich, wie eng die Übereinstimmungen zwischen Hildesheim
und Wunstorf sind.
           Andere Kapitelle in Wunstorf entfernen sich schon etwas mehr von denen in
Hildesheim, vor allem die großen Kapitelle im Langhaus (100 und 101). Wir erkennen in
ihnen eine Vereinfachung des Kapitells 97 vor allem im Fortlassen der mittleren Blattzone.

1) Tafel IX, Mitte.

560

Folgerichtig sind auch die Stengel zwischen den unteren Blättern fortgelassen, so daß hier
der ungegliederte Block zum Vorschein kommt, und zwar nicht in einer tieferen Ebene,
vor der die anderen Blätter gedacht sind, sondern als ungegliederte Masse, aus der die
anderen Blätter hervorzukommen scheinen und dabei doch mit ihrer Substanz in sie gebunden
bleiben. Bereichert sind dagegen die Eckzapfen, die zu selbständigen Gebilden ohne eigentliche
Verbindung mit den Voluten geworden sind; sie erfüllen auch nicht mehr die eckbetonende
und abschließende Aufgabe wie beim Kapitell 97. Wir hatten in Hildesheim einen zwie-
spältigen Charakter feststellen können: einerseits Vereinfachung, Verhärtung, andererseits
aber Formwucherung, und zwar entsprachen die Kapitelle entweder dem einen oder dem
anderen Typus. In Wunstorf finden wir nun beides an einem Kapitell vereinigt. Dadurch
wird das Abhängigkeitsverhältnis klar, indem dort getrennt auftretende Eigentümlichkeiten
hier widersinnig miteinander verbunden werden.
               In gleicher Weise ist bei einem anderen Langhauskapitell (101) die untere Zone
einfach, wie beim Kapitell 100, gebildet, in der oberen aber lassen die Helices zwischen
sich Raum für ein ganz eigenartiges Blattgebilde; außerdem werden die Ränder der Kelch-
blätter, die bis dahin immer glatt waren, nun durch ein gedrehtes Tau ersetzt; das bedeutet
also noch stärkere Formwucherung als beim Kapitell 100.
               Gänzlich anders muten zwei Kapitelle in einer Arkadenstellung im Chor an (102,
103). Hier hat jedes Blatt wieder stärkeres Leben. Beim Kapitell 102 sind die Stengelansätze
zwischen den Blättern widersinnig. Die hängenden Eckzapfen verraten unmittelbare Be-
ziehung zu Hildesheim und sind gegenüber den Langhauskapitellen mit neuem Leben erfüllt.
In der Volutenzone wird außerdem in gleichem Sinne wie in Königslutter der Kern sichtbar.
Dies Kapitell hat nichts von der Zwiespältigkeit der Langhauskapitelle, wir spüren kaum,
daß es sich um eine abgeleitete Form handelt.
                Noch weniger empfinden wir dies beim Kapitell 103. Die untere Zone ist wie
bei den Querhauskapitellen von Königslutter und wie in Gandersheim auf die Eckblätter
beschränkt, doch fehlt hier das Mittelblatt in der Zwischenzone. Die Eckblätter des Kapitells 102
scheinen hier so weit vergrößert, bis sie zusammenstoßen und das Blatt zwischen sich auf-
gesogen haben. Dabei haben sie an Höhe gewonnen und lassen nur noch für eine relativ
kleine Heliceszone Raum.
                Diese neue Form hat nun weitergewirkt. Zunächst finden wir sie an einem Kapitell
auf dem Petersberg bei Halle (104) 1). Die Übereinstimmungen sind eindeutig, nur spricht
die obere Zone etwas stärker mit und die Blätter der unteren sind etwas reicher gestaltet.
Die soeben vollzogene Vereinfachung wird also sofort wieder mit Tendenzen der Bereicherung
durchsetzt.

 

Einfügung: LINK: http://www.harz-saale.de/impressionen/kirchen_und_kloester/petersberg_kirche/petersberg_kirche.html



Viel stärker zeigt sich dies bei einem Kapitell im Obergeschoß der Doppelkapelle
in Landsberg bei Halle (105),

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-105-Landsberg-bei-Halle-Doppelkapelle-Obergeschoss-.jpg

Landsberg bei Halle, Doppelkapelle, Obergeschoß

 

also in unmittelbarer Nachbarschaft des Petersberges.

 

Einfügung: LINK: http://www.saale-tourist.de/de/staedte/stadt_landsberg/doppelkapelle_landsberg.html


Hier werden die Motive von Wunstorf und vom Petersberg an einem Kapitell größeren
Maßstabes verwandt. Dabei werden die einzelnen Bestandteile nicht einfach vergrößert,
sondern in gleichem Sinne wie in den großen Kapitellen in Wunstorf (100, 101) bereichert.
Die Blätter der oberen Zone entwickeln sich sehr breit aus einem Hüllblatt heraus; dafür
lassen sich nirgends Vorstufen nachweisen.
Daß die angenommene Beziehung Hildesheim - Wunstorf - Petersberg - Landsberg
keine willkürliche Konstruktion ist, ergibt sich daraus, daß an all diesen Bauten auch ein

1) Dies Kapitell wird jetzt im Untergeschoß des rechten Seitenchores aufbewahrt, unter einer
Fülle anderer Baureste der Kirche und des Kreuzgangs, die beim Neuaufbau der Kirche im vorigen
Jahrhundert (1853-1857) nicht wiederverwendet worden sind. Die anderen dort aufbewahrten Werke
sind zumeist jünger und stammen aus dem Wiederaufbau der Klostergebäude nach einem Brand 1199.
38*

561

anderes Motiv immer wiederkehrt, nämlich eine Reihung stehender Palmetten, die in ihren
Ansätzen von einem fortlaufenden Band durchzogen werden.
         In Landsberg haben wir außerdem noch ein sehr interessantes Beispiel der Form-
wucherung (106).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-106-Landsberg-bei-Halle-Doppelkapelle-Obergeschoss-.jpg

Landsberg bei Halle, Doppelkapelle, Obergeschoß

 

Dies Kapitell läßt sich von Königslutter aus nicht erklären; verwandt
ist nur die Blattaufteilung, doch ist das untere Blatt eine ganz abstrakt gebildete Palmette,
von dem oberen ist nur ein gezackter Rand sichtbar, im wesentlichen aber spricht die
Masse. Hinter den Blättern ist der Block ausgehöhlt, darüber aber wuchern die Formen
in ungeahnter Fülle, lauter kleine einzelne Palmetten und Blattenden, die ohne Zusammen-
hang über die stark gebrochene Oberfläche verteilt sind. Die Aushöhlung des Blocks hat
Parallelen in Kapitellen des 11. Iahrhunderts im Hildesheimer Domkreuzgang. Am Kämpfer
ist nur noch ganz schwach zu erkennen, daß es sich hier um die Akanthusblattwelle von
Königslutter handelt, bei der aber wie in Hildesheim die Blätter sich zunächst über einen
Rundstab emporwinden 1).
         Damit ist diese Entwicklungsreihe abgeschlossen. Die Endformen zeigen wieder
nur schwache Erinnerungen an Königslutter und sind nur über die Zwischenstufen ver-
ständlich, müssen aber doch als Nachwirkungen von dort angesehen werden.
         Für die zeitliche Ansetzung dieser Bauten müssen wir von Hildesheim ausgehen.
Die Kapitelle von St. Michael müssen mit den 1172 begonnenen und 1186 abgeschlossenen
Erneuerungsarbeiten in Verbindung gebracht werden 2). Für Wunstorf ergäbe sich dann
eine unmittelbar darauffolgende Entstehungszeit, für die wir Quellenbelege allerdings nicht
besitzen 3). Die Klostergebäude auf dem Petersberg bei Halle, denen unser Kapitell zuzu-
rechnen ist, sind unter Abt Eckehardt, der bis 1192 im Amt war, im Anschluß an die
1184 geweihte Kirche aufgeführt worden 4). Die Doppelkapelle in Landsberg wird nach
1173 gleichzeitig mit der Burg entstanden sein 5). Über ein Vollendungsdatum ist nichts
bekannt. Der Stil der Kapitelle spricht für eine Entstehung im letzten Jahrzehnt des
12. Jahrhunderts. - Die Baudaten widersprechen also auch hier nicht der aus der Stil-
entwicklung abgeleiteten Entstehungszeit. -
         Weitere Auswirkungen von Königslutter finden wir in einigen Bauten in Goslar.
         Zwei Kapitelle in der Westempore der Kirche auf dem Frankenberg zeigen die
gleiche Stilstufe wie die reich wuchernden Kapitelle in St. Michael in Hildesheim. Das
korinthisierende Kapitell (107)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-107-Goslar-Frankenberger-Kirche-Westempore-.jpg

hat eine besonders reiche obere Zone, indem von den Voluten
nicht nur ein hängender Eckzapfen ausgeht, sondern außerdem noch ein Blatt, das sich
in umgekehrtem Sinn wie die Volute in den zwischen Eckzapfen und aufsteigenden Blättern
freibleibenden Raum hineinfügt. An den Kelchblättern schwingt der sonst gleichmäßig

1) In Wunstorf befindet sich im Tympanon des Westportals ebenfalls die Akanthusblattwelle
von Königslutter, doch stammt sie in der jetzigen Form aus einer Restauration und ist also keineswegs
zuverlässig für die Einzelheiten.
2) Inv. Hildesheim, S. 197.
3) Dehio-Gall I, S. 41: 2. Hälfte 12. Jahrhundert.
4) Angaben hierüber im Inv. Halle, S. 553 ff. Dazu kommt die Dissertation von Spindler (Das
Kloster auf dem Petersberge bei Halle, 1918). Zahlreiche Irrtümer Spindlers sind richtiggestellt worden
von Plathner (Die Baugeschichte des Klosters auf dem Petersberge, Thüringisch-Sächsische Zeitschrift
für Geschichte und Kunst, Band 10-11, 1920/21).
5) Im Inv. Delitzsch, S. 110ff., wird die Zeit um 1180 als Baubeginn angenommen, da in
diesem Jahr zum ersten Male der Name "marchio de Landsberg" in Verbindung mit dem Erbauer Dietrich
genannt wird. Inzwischen ist durch W. Giese (Die Mark Landsberg, Thüringisch-Sächsische Zeitschr. f.
Gesch. u. Kunst, 8, 1918) festgestellt worden, daß der Titel bereits 1174 nachweisbar ist. Die Datierung
wird dadurch nicht wesentlich verschoben. Giese weist darauf hin, daß nach dem Zeugnis der Altzeller
Annalen die Landsberger Kirche zusammen mit der Burg gebaut worden ist.

562

gezackte Rand alternierend stärker und schwächer, so daß auch hier Blattlappen entstehen.
Alle Formen entwickeln sich nicht nach der Tiefe hin, sondern rein in der vorderen Ebene.
Unbedingte Geschlossenheit des Umrisses scheint höchstes Ziel zu sein, dem zuliebe die
Voluten nicht bis an die Ecken des Blockes vordringen, sondern den Eckzapfen selbständig
aus der Ecke unter der Deckplatte hervorkommen lassen.
             Den gleichen Eindruck fester Geschlossenheit macht das Kapitell 108.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-108-Goslar-Frankenberger-Kirche-Westempore-.jpg

Goslar, Frankenberger Kirche, Westempore

 

Die für Königslutter typische Eigenschaft des Palmettenfächerkapitells, daß die Seitenmitten in
den Raum vortreten, ist ähnlich wie in Mariental (90) aufgegeben. Die Blattanordnung ent-
spricht zwar noch dem Kanon von Königslutter und ist zurückhaltender als beim Kapitell 107

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-107-Goslar-Frankenberger-Kirche-Westempore-.jpg

Goslar, Frankenberger Kirche, Westempore


oder in Hildesheim, die Einzelformen aber sind konsequent eingebunden in den Block,
der nur unter den volutenartigen Eckblättern ganz leicht aufgelockert wird.
Anregungen von der Frankenberger Kirche, aber auch von Königslutter selbst
und außerdem aus der sächsischen Tradition werden an der Apsis der Neuwerkskirche verwendet.

 

Einfügung: LINK: http://www.neuwerkkirche-goslar.de/

 

Die Kapitelle wirken teilweise bizarr und bestehen aus Mischungen verschiedener Vorstellungen.
          Relativ klar ist die Konzeption des Kapitells 109.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-109-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

An den Kapitellen im Ägidien-
kloster in Braunschweig (74-76) hatten wir gesehen, wie die Blattränder zu einer festen
Masse erstarren, wie vorderes und hinteres Blatt nicht mehr getrennt erscheinen, sondern
aus einer Masse gebildet sind. Die Kapitelle der Neuwerkskirche gehen noch darüber
hinaus, indem der Blattrand mehrerer nebeneinanderliegender Blätter zusammengenommen
als einheitliches Ornament aufgefaßt wird. So schließt die untere Zone nach oben hin
mit einer festen Linie, deren Endpunkte etwas höher liegen als der Scheitelpunkt in der
Mitte. Die obere Zone gibt in korrekter Analogie zu Königslutter zwei Voluten mit einem
schmalen Blatt dazwischen.
               Diese Form wird nun langsam weiter umgesetzt. Den nächsten Schritt bedeutet das Kapitell 110.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-110-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

Hier fehlen die Voluten, nur ein vergrößerter Eckzapfen ist geblieben,
der sich aus einem großen übereck gestellten Blatt entwickelt. Zwischen den Eckblättern
bleibt an den Seitenmitten nur ein geringer Raum, der durch senkrechte Riefelungen
gegliedert wird; hier scheint die Vorstellung eines hängenden Blattes zugrunde zu liegen.
Sowohl in dem hängenden Blatt an der Seitenmitte wie in den großen Eckblättern haben sich
in das korinthisierende Kapitell Vorstellungen des Palmettenfächerkapitells eingeschlichen.
               Dies können wir auch bei einem weiteren Kapitell beobachten (111).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-111-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

Hier hat sich das hängende Blatt in der Mitte der oberen Zone bereits einen breiten Raum erobert,
und die Seitenmitten wölben sich sogar etwas nach außen vor. Dies ist noch stärker der
Fall bei dem Kapitell 112;

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-112-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

das obere Blatt an der Seitenmitte hat noch mehr Bedeutung
gewonnen, denn es besteht aus zwei übereinanderliegenden Blättern. Durch den hängenden
Eckzapfen wird zugleich noch einmal die Beziehung zum korinthisierenden Kapitell betont.
Überhaupt kann man in diesem Kapitell die innigste Durchdringung der beiden Typen
von Königslutter sehen, und die Lösung erscheint durchaus als geglückt.
               Daneben gibt es an der Neuwerkskirche in Goslar auch Umdeutungen des Palmetten-
fächerkapitells ohne Verbindung mit dem korinthisierenden Kapitell (113).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-113-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

Der Apparat der Ausgangsform ist nur noch sehr teilweise erhalten, aber wir erkennen noch die Fächer-
blätter mit ihren Umbiegungen an den Enden, außerdem die an den Seitenmitten von der
Deckplatte herabfallenden Blätter; nur sind die ihnen von unten her begegnenden Blätter
eigentlich ganz getilgt. An ihrer Stelle ist der Kern geriefelt, und man hat den Eindruck,
als ob hier das Aufsteigen des von oben herabfallenden Blattes gezeigt würde.
                Wenn die Eckblätter sich noch weiter auf die Ecken zurückziehen und die Mittel-
blätter sich entsprechend noch weiter ausdehnen können, so entsteht das Kapitell 114.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-114-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis



563

Hier denken wir kaum noch an das Palmettenfächerkapitell, und tatsächlich ist eine Form
erreicht, wie sie den in Sachsen auch unabhängig von Königslutter üblichen entspricht.
                Im Chor der Neuwerkskirche wird an einer Ecksäule nochmals das Palmettenfächer-
kapitell verwandt, allerdings bis zur Unkenntlichkeit umgesetzt (115).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-115-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Chor-Nordwand-.jpg

Goslar, Kl-Neuwerkskirche, Chor, Nordwand

 

Da die Gesamthöhe gering ist, müssen sich die Eckblätter weit ausdehnen. Für ein unteres Blatt
an der Seitenmitte bleibt dabei kein Platz mehr.
                Dem Kapitell 113

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-113-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

ähnlich ist eins am Kaiserhaus in Goslar (116).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-116-Goslar-Kaiserhaus-Treppenvorbau-.jpg

Goslar, Kaiserhaus, Treppenvorbau

 

Die Anordnung und der flächenhafte Charakter sind ganz gleich, die Voluten stehen Königslutter etwas
näher als die Blattendigungen beim Kapitell 113.
                Die Neuwerkskirche ist in ihren Ostteilen 1186 geweiht worden 1). Demnach er-
gäbe sich für die Ornamentik eine Datierung auf die achtziger ]ahre des 12. Jahrhunderts.
Allerdings ist nicht notwendig, daß bei der Weihe des Hochaltares alle Schmuckformen
fertig gewesen sind. Stilgeschichtlich jedenfalls steht die Ornamentik hier schon auf einer
jüngeren Stufe als in der ebenfalls 1186 geweihten Michaelskirche in Hildesheim, mit deren
Stil die Kapitelle der Kirche auf dem Frankenberg zusammengehen 2). Das Kapitell am
Treppenvorbau des Kaiserhauses ist aus stilistischen Gründen gleichzeitig mit der Neuwerks-
kirche anzusetzen 3).
                Hier kann ein Kapitell angeschlossen werden, das sich an der Außenseite der Domvorhalle befindet (117).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-117-Goslar-Domvorhalle-rechtes-Fenster-der-Nordwand-.jpg

Goslar, Domvorhalle, rechtes Fenster der Nordwand

 

Die geringe Qualität erschwert die Einordnung. Wir haben
eine ähnlich weitgehende Umsetzung des Palmettenfächerkapitells vor uns wie an der
Neuwerkskirche, doch treten die Seitenmitten, vielleicht im Anschluß an die Kapitelle im
Innern der Domvorhalle (81), stark hervor.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-081-Goslar-Domportal-.jpg

Goslar, Domportal.

 

Es entsteht fast ein kugeliger Block, bei dem
nur unter den Ecken der Deckplatte leichte Einziehungen vorgenommen sind 4).
                Etwas klarer wird der Königslutterer Typus wiedergegeben von einem Kapitell
des oberen Kreuzgangs der Stiftskirche in Gernrode (118).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-118-Gernrode-Stiftskirche-oberer-Kreuzgang-IMG-5627.jpg

Gernrode, Stiftskirche, oberer Kreuzgang.

 

Einfügung: LINK: http://www.harzfreund.de/Kirchen/Trautenstein/Frose/Wiperti/Gernrode/gernrode.html

 

Wir dürfen wohl die gleiche
Entstehungszeit wie in Goslar annehmen. Beide Kapitelle sind kaum vor dem Anfang
des 13. Jahrhunderts entstanden 5). Die meisten Kapitelle in Gernrode stammen aus einer
Renovierung des 19. Jahrhunderts, können also nicht mehr zu Vergleichen herangezogen
werden. Wenn man jedoch durch sie hindurch die Formen des frühen 13. Jahrhunderts
erschließen darf, so ergibt sich auch hier die Stilstufe der Neuwerkskirche in Goslar.
                Eine weitere Kapitellgruppe entfernt uns noch weiter von Königslutter, gehört aber
doch noch zu seinen Auswirkungen. Diese Kapitelle lassen sich am ehesten von der Neu-
werkskirche aus erklären. Beim Kapitell 109

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-109-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

hatten wir hervorgehoben, daß die Blätter
der unteren Zone zu einer festen Masse zusammenwachsen und nicht mehr als gegenein-

1) Inv. Goslar, S. 85, auf Grund einer Urkunde über die Altarweihe.
2) Die Datierung der Frankenberger Empore ist in der bisherigen Literatur sehr wechselnd
vorgenommen. Dehio (Hb. V, S. 147) bringt die Entstehung in Verbindung damit, daß 1236 den Nonnen
des Magdalenenklosters ein Anteil an der Kirche eingeräumt worden ist und daß man für sie die Empore
eingezogen habe. Diese späte Ansetzung scheint mir unmöglich. Gall gibt an (Hb. I, S. 114), daß die
Einschiebung bereits um 1150 stattgefunden habe. Er geht wie bei der Huysburg (vgl. Anm. 44) von
einer zu frühen Datierung der Königslutterer Ornamentik aus. Nach Aussage des Stils scheint mir die
Datierung auf um 1180 richtig.
3) Dehio-Gall I, S. 118: um 1200. (Angabe Dehios auf Grund der Bauanalyse von P. J. Meier.)
4) Eine stilistische Differenz zwischen dem inneren Portal und dem Vorbau ist unverkennbar.
Burkhard Meier (Die romanischen Portale zwischen Weser und Elbe, Zeitschr. f. Gesch. d. Arch., Beiheft 6,
Heidelberg 1911, S. 36) glaubt, daß das innere Portal später sei. Dies ist den Formen nach nicht möglich,
oder zum mindesten ist das untersuchte Kapitell im rechten Fenster des Vorbaus später als das innere
Portal entstanden.
5) Dehio Hb. V, S. 139: A. 13. Jahrhundert.

564

ander abgesetzte Individuen aufgefaßt sind. In noch viel stärkerem Maße finden wir dies
bei einem Kapitell im südlichen Domkreuzgang von Magdeburg (119).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-119-Magdeburg-Dom-Kreuzgang-Suedfluegel-.jpg

Magdeburg, Dom, Kreuzgang, Südflügel

 

Die einzige Gliederung geschieht durch Furchen und gelegentlich durch Diamantstäbe. Die Voluten haben
ihren plastischen Wert nicht dadurch, daß sie sich aus eigener Kraft vorwölben, sondern
nur dadurch, daß neben ihnen die Masse des Kapitellblocks abgearbeitet ist.
In noch stärkerem Maße ist dies beim Kapitell 120 der Fall.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH_120_Magdeburg_Dom_Kreuzgang_Suedfluegel.jpg

Magdeburg, Dom, Kreuzgang, Südflügel

 

Die untere Zone ist kleiner gebildet, lädt dafür aber um so stärker aus. Die Helices sind kräftiger; hinter den
Voluten ist tiefer Hohlraum, dessen Wirkung durch starke Schatten noch verstärkt wird.
Wieder handelt es sich um einen Block, der von der Oberfläche aus durchhöhlt wird.
Ganz anders setzt sich das Kapitell 121

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-121-Magdeburg-Dom-Kreuzgang-Suedfluegel-.jpg

Magdeburg, Dom, Kreuzgang, Südflügel

 

mit Goslar auseinander. Eine Auflockerung
der Ecken ist vermieden, indem die Blätter außerbrdentlich dickfleischig gebildet sind. So
plump war die Königslutterer Blattzusammensetzung bis jetzt noch nie umgedeutet. Ansätze
dazu enthält das Kapitell 111,

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-111-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

doch ist die Wirkung dort ganz anders.
In der Umdeutung des Blätterkapitells nach dem Blockhaften hin verwandt ist das Kapitell 122.

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-122-Magdeburg-Dom-Kreuzgang-Suedfluegel-.jpg

Magdeburg, Dom, Kreuzgang, Südflügel

 

Die einzelnen Blätter wirken nicht ganz so massig. Der Aufbau wiederholt
letzten Endes den der Querhauskapitelle von Königslutter (30-38), in den Einzelheiten aber
entspricht das Kapitell eher dem in Obergreislau (95),

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-095-Obergreislau-Dorfkirche-Portal-.jpg

Obergreislau, Dorfkirche, Portal

 

das Magdeburg zeitlich sicher sehr
nahesteht, aber doch wohl nicht von ihm abhängig ist, denn Obergreislau gibt die Blatt-
form von Königslutter noch korrekter wieder. Die in Obergreislau bereits recht unbedeutend
gewordenen Voluten sind in Magdeburg noch mehr reduziert, ihre Stengel sind ganz getilgt.
Zwischen Magdeburg und Obergreislau brauchen keine Beziehungen schulmäßiger Ab-
hängigkeit zu bestehen, doch zeigt sich, daß die Endstadien der aufgezeigten Entwicklungs-
linien Berührungspunkte miteinander haben, die nicht nur durch die gleiche Quelle, sondern
auch durch einen verwandten Stilwillen bedingt sind. Über diese „Querverbindungen“
zwischen den Entwicklungslinien wird noch zu sprechen sein.
Die weiteren Kapitelle im Magdeburger Domkreuzgang zeigen keinerlei Verwandt-
schaft mit Königslutter, doch ist eines deswegen interessant, weil es die Bossenform des
Kämpfers an einem Portal der Bartholomäuskirche in Zerbst enthält und damit unmittel-
bare Beziehungen Magdeburg-Zerbst herstellt. In Zerbst finden wir zugleich an einem
Kapitell noch Nachwirkungen von Königslutter (123).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-123-Zerbst-Bartholomaeuskirche-Nordportal-.jpg

Zerbst, Bartholomäuskirche, Nordportal

 

Die Einzelheiten sind lebendiger als
in Magdeburg. In der unteren Zone dominieren die Eckblätter, zwischen denen nur ein
kleines Blatt mit seiner Spitze überfällt, dem ein gleiches in der oberen Zone zwischen
den sich kräftig einrollenden Voluten entspricht. Wir würden kaum an Beziehung zu
Magdeburg denken, wenn nicht das Kämpferornament diesen Weg wiese, doch könnte
immerhin das Zerbster Kapitell „Vorbild“ für Magdeburg gewesen sein und seinerseits auf
noch zu analysierende Werke in Braunschweig zurückgehen. - Die Bartholomäuskirche
in Zerbst ist 1215 geweiht worden und zeigt in ihrer Architektur Einflüsse vom Magde-
burger Domchor, der 1209 begonnen wurde. Das Portal wird einige Zeit vor der Weihe
entstanden sein; es steht in deutlicher Beziehung zum Magdeburger Domkreuzgang, der
um 1200 errichtet worden ist 1). Vielleicht müssen wir mit wechselseitigen Anregungen
zwischen Magdeburg und Zerbst rechnen.
Die Kapitelle von Magdeburg wirken noch mehrfach weiter. Nicht weit von Magde-
burg, in Großammensleben,

 

Einfügung: LINK: http://www.strasse-der-romanik.net/stationen/station2.htm

 

zeigt ein Kapitell (124)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-124-Grossammensleben-Klosterkirche-Nordportal-.jpg

Großammensleben, Klosterkirche, Portal

 

im Grundsätzlichen noch den Aufbau
der Magdeburger korinthisierenden Kapitelle. In der vorderen Ebene liegen die gezackten
Blattränder nebeneinander, teilweise mit einem glatten Streifen in der Mitte. Die Blätter der

1) Angaben über das Portal und die Kirche im Inv. Anhalt, S. 438ff". und bei Grote, (Das Land
Anhalt), S. 46.

565



oberen Zone sind übereck gestellt wie in Goslar (110, 112),

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-110-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-112-Goslar-Kloster-Neuwerkskirche-Apsis-.jpg

Goslar, Kl.-Neuwerkskirche, Apsis

 

nur fehlt der Eckzapfen, der
allerdings teilweise durch einen Stab ersetzt ist. Alle Einzelheiten sind außerordentlich
hart, im Gegensatz eigentlich zu Magdeburg. Die Verbindung mit dort wird aber durch
ein anderes Kapitell betont, das einen in Magdeburg gebräuchlichen Typus darstellt.
Als eine Vereinfachung des Kapitells 124 kann man ein Werk am Portal der ehe-
maligen Nonnenklosterkirche in Hohenlohe (Kreis Merseburg) auffassen (125).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-125-Hohenlohe-ehemalige-Nonnenkloster-Kirche-Nordportal-.jpg

Hohenlohe, ehemalige Nonnenklosterkirche, Nordportal

 

 

Einfügung: LINK: http://www.sanktnikolaikitzen.de/kirchegeschichte.html

 

Hier ist die untere Zone der oberen entsprechend gestaltet. Sonst sind die Übereinstimmungen,
vor allem in der harten Blattbildung, sehr groß.
Schließlich kann hier auch noch ein Kapitell in Knobelsdorf bei Döbeln (126)

 

Einfügung: LINK:  http://www.kirche-region-waldheim.de/texte/seite.php?id=27046


angeschlossen werden, das in seinem Aufbau wieder etwas mehr an Magdeburg erinnert,
dessen Blattstruktur aber mit Hohenlohe übereinstimmt. Die veränderte Blattanordnung
bringt jedoch eine geringere Durchbildung nach der Tiefe.
Anhaltspunkte zur Datierung haben wir für diese drei Bauten nicht. Wir können
sie in den Anfang des 13. Jahrhunderts setzen, in die Zeit um 1210, im Anschluß an den
Magdeburger Domkreuzgang 1). In Magdeburg selbst entstehen allerdings damals schon
gänzlich andere Formen, auf die später einzugehen sein wird.
Sehr schwer zeitlich einzuordnen sind zwei Kapitelle im Langhaus der Stiftskirche in Frose (127, 128).

 

Einfügung: LINK: http://www.harzfreund.de/Kirchen/Trautenstein/Frose/frose.html

 

Sie wandeln die Königslutterer Möglichkeiten sehr frei ab und knüpfen
eigentlich nur an die dortige Blattgliederung an. Am einen Kapitell (127)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-127-Frose-Stiftskirche-Langhaus-.jpg

Frose, Stiftskirche, Langhaus

 

wird der Körper mit drei Blattreihen überzogen, während am andern (128)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-128-Frose-Stiftskirche-Langhaus-.jpg

Frose, Stiftskirche, Langhaus

 

die beiden oberen Zonen zusammengefaßt sind, indem die Helices hinter den Blättern der unteren Zone aufsteigen und
ihre Voluten durch Stäbe an den Ecken mit den unteren Blättern verbunden sind. Dies
Motiv ist wohl aus den hängenden Eckblättern entwickelt und erinnert an Knobelsdorf (126).-
Die beiden Kapitelle in Frose sind ohne nähere Analoga. Die Weichheit der Blattformen
läßt vermuten, daß sie vor dem Magdeburger Domkreuzgang entstanden sind 2).
Vielleicht läßt sich noch ein weiteres Kapitell anschließen, das noch späteste Nach-
folge von Königslutter erkennen läßt. Es stammt aus dem ehemaligen Kloster Posa bei
Zeitz und wird im Schloßmuseum in Zeitz aufbewahrt (129).

 

Einfügung: LINK:  http://www.kloster-posa.de/index.php?option=com_content&task=view&id=18&Itemid=32

 

Die in zwei Reihen angeordneten Blätter zeigen noch deutlich die Königslutterer Blattaddition, doch
sind alle Formen im Übermaß aufgeweicht. - Dies Kapitell läßt sich nicht genauer datieren. Es wird zu
den Klostergebäuden von Posa gehören, über deren Baugeschichte nichts bekannt ist. Eine
Ansetzung auf um 1200 wird richtig sein. Jedenfalls kann das Kapitell nicht in Verbindung
gebracht werden mit dem Bau der Klosterkirche, die 1114 begonnen und anscheinend nicht
viel später vollendet worden ist 3).
Wir haben nun noch eine Reihe von Werken zu untersuchen, die nicht mehr ein un-
mittelbares Weiterleben der bereits stark umgeprägten Königslutterer Motive zeigen, sondern
wohl einen bewußten Rückgriff auf Königslutter selbst darstellen; von dort holt man sich
Anregungen, um sie frei zu verwerten und in eine ganz andere Formenwelt umzusetzen.

1) Für Großammensleben (Inv. Wolmirstedt) ist eine Weihe 1140 überliefert. Mit dieser Weihe
ist das Portal unmöglich vereinbar. Auch Burkhard Meier (Die romanischen Portale . . . S. 36) betont
den Zusammenhang mit dem Magdeburger Domkreuzgang. - Hohenlohe ist laut Inventar (Merseburg,
S. 54ff.) 1240 von Nonnen bezogen worden, während vorher eine Besiedlung nicht bekannt ist. Daraus
wird geschlossen, daß die Kirche erst 1240 gebaut sei. Diese späte Datierung scheint mir unglaubhaft;
es wird ein Mangel in der Überlieferung vorliegen. - Für Knobelsdorf wird im Inventar (Döbeln,
S. 84 f.) die Zeit um 1200 angegeben. Urkundliche Überlieferung beginnt für die Kirche erst im 16. Jahr-
hundert.
2) Im Inventar (Anhalt, S. 19 ff.) wird als Bauzeit die 2. Halfte des 12.]ahrhunderts angegeben.
3) Über die Kirche von Posa Angaben im Inventar Zeitz, S. 19 f. Dort wird das hier unter-
suchte Kapitell nicht erwähnt.

566

Ein Kapitell im 1209 begonnenen Magdeburger Domchor (130)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-130-Magdeburg-Dom-Chorumgang-.jpg

Magdeburg, Dom, Chorumgang

 

 

Einfügung: LINK: http://www.kukma.net/dom2004/dom_vi_1.html

 

hat schulmäßig mit den von Königslutterer Anregungen lebenden Werken des Kreuzgangs nichts zu tun,
aber wir erkennen die Motive des Palmettenfâcherkapitells: an der Ecke steigt das Fächerblatt
auf, das sich oben volutenartig einrollt: daneben wächst an der „Seitenmitte“ das Mittel-
blatt auf, dessen Ränder von den Fächerblättern eingerahmt werden. Nur das unter der
Deckplatte hervorquellende Blatt ist etwas verkümmert, aber dennoch sichtbar. Die Blatt-
struktur hat mit Königslutter nichts mehr zu tun und entspricht ganz den anderen
Kapitellen im Magdeburger Chorumgang, von denen sonst keines eine Anregung von
Königslutter verwertet 1).
Dies Kapitell hat in Riddagshausen bei Braunschweig Nachfolge gefunden (131).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-131-Riddagshausen-Zisterzienser-Kloster-Kirche-Vierung-.jpg

Riddagshausen, Zisterzienser-Kl.-Kirche, Vierung

 

Einfügung: LINK:  http://kirche-riddagshausen.de


Die Entfernung vom Urbild des Palmettenfächerkapitells ist noch größer geworden. Die
F ächerblätter werden nämlich zerlegt; statt eines Blattes finden wir drei, indem das eigent-
liche Eckblatt nicht ganz aufsteigt, sondern kaum über die Höhe des Mittelblattes hinaus-
kommt, dafür aber an jeder Seite von einem Blatt begleitet wird, das sich ganz wie das
Fächerblatt ausbreitet und auch die Eckvolute bildet. Noch mehr als in Magdeburg ist
das obere Mittelblatt verkümmert. Die Kelchform ist müheloser und überzeugender er-
reicht als dort, da die Blätter durch ihre Vermehrung gleichmäßiger aufsteigen können,
während andererseits die starke Betonung der Ecken den Anfang der Blockzone deutlich
macht. - Dies Kapitell ist in die Zeit um 1225-1230 zu setzen 2).
Zeitlich Königslutter etwas näher stehen einige Kapitelle in Braunschweig, die
aber doch schon in die Zeit der Rückgritfe auf die alten Formen gehören und die in ihrer
Weiterentwicklung auch in die Zeit des Magdeburger Chorumganges führen.
Am Südportal der Martinikirche zeigt sich nach der starken Verhärtung im
Ägidienkloster eine Neubildung im Sinne von Königslutter; sie erinnert an Zerbst (123).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-123-Zerbst-Bartholomaeuskirche-Nordportal-.jpg

Zerbst, Bartholomäuskirche, Nordportal


Die Anregung kann durch die Schulwerke der Königslutterer Werkstatt in Braunschweig
gekommen sein, doch geben die Kapitelle die Königslutterer Proportionen getreu wieder
(im Gegensatz zum Ägidienkloster).
Am Hauptportal der Martinikirche werden die Formen des Südportals weiter-
gebildet (132).

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-132-Braunschweig-Martinikirche-Westportal-.jpg

Braunschweig, Martinikirche, Westportal

 

Einfügung: LINK:  http://www.martini-kirche.de

 

Das mittlere Kapitell auf Abb. 132 zeigt noch einen engen Anschluß, während
die Kapitelle rechts und links ein Weiterdenken bedeuten im Sinne der Entstehungszeit,
die kurz vor 1200 anzunehmen ist 3). Die Helices wachsen hier vom Säulenhals an auf;
deswegen muß das Mittelblatt der unteren Zone getilgt werden, oder vielmehr wird es in
zwei kleine Blätter zerteilt, die sich von den Eckblättern abspalten und sich im Raum vor
den Stengeln der Helices treffen. Ähnlich wird das Mittelblatt der oberen Zone zerlegt in
zwei Blätter, die aus den Helices herauswachsen und sich unter der Deckplatte an der
Seitenmitte treffen. Für den Eindruck bestimmend ist nicht der Block, sondern das organische
Wachstum der Blätter; hinter den Blättern wird kaum ein Kapitellkern fühlbar. Darin sind
diese Kapitelle denen im Magdeburger Chorumgang vergleichbar.
Unmittelbaren Anschluß an die Kapitelle der Martinikirche zeigen die des Süd-
portals der Katharinenkirche (133);

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-133-Braunschweig-Katharinenkirche-Suedportal-.jpg

Braunschweig, Katharinenkirche, Südportal

 

Einfügung: LINK:  http://www.katharinenbraunschweig.de

 

sie teilen jedoch auch noch den hängenden Eckzapfen in zwei kleine Blätter.

1) Auch Richard Hamann (Die Kapitelle im Magdeburger Dom, Jahrbuch d. pr. Kunstsamml.
1909) erwähnt diese Beziehung zu Königsluıter.
2) Dehio-Gall (I, S. 59) spricht von einem aus den Stilformen ermittelten Baubeginn etwa
1220-1230.
3) Dehio-Gall (I, S. 47) nimmt für den ganzen Westbau eine Entstehungszeit um 1180-1190
an. Das Westportal kann aber sehr gut auch etwas später entstanden sein, denn die Kapitelle leiten
unmittelbar über zu denen der Katharinenkirche, die (S. 49) in den Anfang des 13. ]ahrhunderts gesetzt
werden. Außerdem bestehen Anklänge an rheinische Werke; Kapitelle in Andernach (zwischen 1198 und
1210) zeigen große Verwandtschaft, Abb. bei Weigert, Zeitschr. f. Kunstgesch. V, 1936, S. 42.

567

Hier ist die lebendige Struktur vorhanden, die für Königslutter
typisch war und die jetzt urn 1210 wieder da ist. Man sucht wieder wie einst das ganz
in pflanzliches Wachstum aufgelöste Kapitell und knüpft deswegen an Königslutter an 1).
In die gleiche Zeit gehört ein Kapitell an der Neumarktskirche in Merseburg (134),

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-134-Merseburg-Neumarktskirche-Hauptportal-.jpg

Merseburg, Neumarktskirche, Hauptportal


das wahrscheinlich an das Südportal der Braunschweiger Martinikirche anknüpft, aber die
dortigen Formen ganz ins Leblose übersetzt.

 

Einfügung: LINK: http://www.merseburg-tourist-ev.de/index.php/neumarktkirche-st-thomae.html

 

Darin geht es stilistisch mit dem Magdeburger
Domkreuzgang zusammen 2).
Später als an allen bisher untersuchten Werken, nach 1230, hat an der Kanzel der
Schloßkirche zu Wechselburg das Palmettenfächerkapitell nochmals Nachfolge gefunden (135).
Sehr deutlich erkennen wir die Fächerblätter wieder mit ihren Einrollungen an der Spitze
und ihrer Gliederung in Lappen. Das obere Mittelblatt freilich ist etwas verkümmert und
das untere fehlt ganz. Aber die Fächerblätter verraten, daß Königslutter bekannt gewesen
sein muß.

 

Einfügung LINK: http://www.rochlitzer-muldental.de/region-entdecken/burgen-a-schloesser/item/13-basilika-kloster-und-schloss-wechselburg


Dagegen ist fraglich, ob wir am Doppelportal der Kirche noch mit Erinnerungen
an Königslutter rechnen dürfen (136). Der Kapitellaufbau kann auch durch andere Werke
angeregt sein. Auffallend ist allerdings, daß die Blätter der unteren Zone aus zwei parallel
hintereinander aufsteigenden Blättern gebildet sind. Freilich fällt das hintere Blatt nicht
wie in Königslutter über das vordere herab, sondern ist parallel zum vorderen geführt.
Trotzdem können hierbei Anregungen von Königslutter gekommen sein, denn wir finden
uns bereits in der Sphäre, wo die Vorbilder sehr frei verarbeitet werden 3).
An einem Kapitell der stilistisch von Wechselburg abhängigen Dorfkirche in Rochs-
burg (bei Wechselburg) könnte man an Nachfolge des Königslutterer Palmettenfächer-
kapitells denken (137),

 

Einfügung: LINK: http://www.kirche-lunzenau.de/Kirchenchronik_Rochsburg.html


doch zeigt gerade dieses Kapitell, daß man Königslutter nicht für
zu viele Werke verantwortlich machen darf, denn ähnliche Eckblätter treten bedeutend
früher im Langhans der Klosterkirche von Talbürgel in Thüringen auf.
Zwei Orte sind noch zu erwähnen, die gelegentlich in Zusammenhang mit Königs-
lutter gebracht worden sind, deren Kapitelle meiner Meinung nach aber auch unabhängig
von dort entstanden sein können.
Beim Refektorium von Ilsenburg haben vor allem die verzierten Säulenschäfte
dazu geführt, daß man Königslutter als Vorbild hingestellt hat und nun von vergröberten
Ableitungen spricht (Dehio)4).

 

Einfügung: LINK: http://www.klosterilsenburg.de


Einerseits sind die Schaftmotive dem „Vorbild“ gar nicht so
ähnlich (Königslutter könnte überhaupt nur für einige wenige verantwortlich gemacht
werden), andererseits ist dabei zur Voraussetzung gemacht, daß es verzierte Säulenschäfte
unabhängig von Königslutter in Sachsen nicht gibt. Bei den Säulen der Hildesheimer oder
Halberstädter Chorschranken wird jedoch niemand an eine Nachfolge von Königslutter
denken. Von den Kapitellen kann auch höchstens eins (138) in Verbindung mit Königslutter
gebracht werden, indem man hier eine Auswirkung der Königslutterer Blattzusammen-
setzung sehen könnte.
In ähnlicher Weise werden in der Krypta von Riechenberg bei Goslar motivische
Übereinstimmungen mit Königslutter dazu geführt haben, daß man von einer Abhängigkeit

1) Aus dieser Stellung in der Entwicklung ergibt sich eine Bestätigung von Dehios Datierung
auf das frühe 13. Iahrhundert (Dehio-Gall I, S. 40).
2) Ein etwas älteres Portal der gleichen Kirche zeigt deutliche Beziehungen zum Magdeburger
Domkreuzgang.
3) Die Wechselburger Kanzel ist nach Dehio (Hb. I, S. 379) um 1230 entstanden, zusammen
mit der anderen Innenausstattung kurz nach Vollendung der Kirche. Das Portal setzt Dehio in das 2.
bis 3. Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts und spricht von „Erinnerungen an den sog. Königslutterer Stil
und noch mehr an Kreuzgang und Chorumgang des Magdeburger Doms“.
4) Dehio Hb. V, S. 229; Dehio-Gall I, S. 110.

568


von Königslutter gesprochen hat 1). Für die verzierten Säulenschäfte gilt das gleiche wie
für die in Ilsenburg. Außerdem stimmen die Motive hier überein mit einer Säule der
Domvorhalle in Goslar und vor allem mit der dortigen Neuwerkskirche, bei der Anregungen
von verschiedensten Gebieten übernommen waren. In Goslar und Riechenberg zeigt sich
in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die ausgedehnte Tätigkeit einer Werkstatt, die
nur wenige Anregungen von Königslutter verwertet, sonst aber viel eigene Züge zeigt.
Wir haben die Ausbreitung der Königslutterer Kapitellornamentik in verschiedenen
Richtungen verfolgt und dabei verschiedenartige Auswirkungen gefunden. Jetzt müssen
wir demgegenüber noch einmal die verbindenden Elemente feststellen, denn die einzelnen
Entwicklungslinien sind nicht nur durch den gemeinsamen Ausgangspunkt miteinander
verbunden, sondern sie werden durch einen gemeinsamen Stilwillen zusammengehalten,
der sich bei fortschreitender Zeit immer stärker ausdrückt. Schon einmal konnte auf Quer-
verbindungen zwischen den Entwicklungslinien hingewiesen werden, als wir Verwandt-
schaft zwischen den auf verschiedenen Wegen entstandenen Kapitellen im Magdeburger
Domkreuzgang und in Obergreislau beobachteten. Wenn wir in gleicher Weise bei den
anderen Entwicklungslinien nach dem Vereinigenden suchen, so ergibt sich, daß in dem
behandelten Zeitraum von etwa 1170 bis etwa 1230 die Stilentwicklung nicht gradlinig auf
einen Endpunkt hingeht.
Die Kapitelle in Königslutter waren dadurch gekennzeichnet, daß der Block für das
Auge weitgehend in aufwachsende oder herabfallende Pflanzen umgesetzt war; dabei ging die
Gliederung sehr stark nach der Tiefe. In der Nachfolge von Königslutter zeigt sich dem-
gegenüber zunächst die Tendenz, die Oberfiäche des Blockes geschlossen zu lassen, um die
Formen an einem möglichst einfachen Block entwickeln zu können; alles Leben entfaltet sich also
in der Fläche. Bezeichnend für diese Stufe sind die Kapitelle in Michaelstein, in Hecklingen
und am Dom in Goslar (79-82), auch die in Schöningen, Mariental, Wimmelburg, Halber-
stadt (86-92). Diese Werke sind wohl meist in den siebziger oder am Anfang der
achtziger Jahre des 12. Jahrhunderts entstanden. Ihr Stil lebt aber auch in späteren Werken
weiter, etwa in Sittichenbach. Wir dürfen überhaupt die „Stufen“ nicht rein zeitlich auf-
fassen, sondern müssen sie mehr entwicklungsgeschichtlich verstehen, denn es gibt ja immer
konservativ verharrende Werke neben solchen, die die Entwicklung weitertreiben. An
manchen Orten finden sich auch verschieden „fortschrittliche“ Werke nebeneinander. In
St. Michael in Hildesheim z. B. stehen wir auf der Grenze zur zweiten Stufe. Das Kapitell 99
gehört zur ersten, die den geschlossenen Block betont, während andere Kapitelle (97) viel
stärker nach der Tiefe aufgelockert sind. Dem Kapitell 99 verwandt sind die der Franken-
berger Kirche in Goslar,

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-107-Goslar-Frankenberger-Kirche-Westempore-.jpg

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-108-Goslar-Frankenberger-Kirche-Westempore-.jpg

während die anderen Hildesheimer Kapitelle mit ihrem starken
Tiefendrang stilistisch die der Goslarer Neuwerkskirche vorbereiten. Die Entwicklung von
Hildesheim über Wunstorf nach dem Petersberg und Landsberg bei Halle zeigt diese
Tendenz immer stärker. Diese Entwicklung wird sich im Wesentlichen in den neunziger
Jahren des 12. Jahrhunderts vollzogen haben. Für die hier erreichte Stufe ist auch der
Magdeburger Domkreuzgang bezeichnend, indem bei den dortigen Kapitellen der klare
kubische Kern ganz durchwühlt wird. In Hohenlohe (125)

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-125-Hohenlohe-ehemalige-Nonnenkloster-Kirche-Nordportal-.jpg

Hohenlohe, ehemalige Nonnenklosterkirche, Nordportal

 

schließlich greift der Freiraum.

1) Gaul (Die romanische Baukunst und Bauornamentik in Sachsen, Kölner Diss., 1932) S. 81 und S. 46. Ebenfalls Dehio-Gall I, S. 121 (bei Dehio selbst findet sich kein Vermerk in diesem Sinne). - Gaul sieht in Riechenberg übereinstimmend mit Königslutter ein „weiches, beinahe malerisches Modellieren“, „eine erhebliche Plastizität der Herausarbeitung der figürlichen Darstellungen“ und „eine erstaunliche Naturnähe“. Derartig allgemeine Züge können höchstens den gleichen Zeitstil dokumentieren, niemals aber eine schulmäßige Abhängigkeit.

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ganz tief in das Kapitell hinein und der Kapitellkern wird gleichsam negiert. Hier bilden
also aufs neue die Blätter das Kapitell. Zu gleicher Zeit, also etwa im zweiten Jahrzehnt des
13. Jahrhunderts, entstehen die Kapitelle des Magdeburger Chorumgangs, bei denen eben-
falls der Block in pflanzliches Geschehen umgesetzt ist, das sich nun vor einem Hohlraum
abzuspielen scheint. Es wird das sogenannte „Kelchblockkapitell“ gebildet, aber alle „Block“-
vorstellung im alten Sinne ist getilgt, denn nicht mehr der Block bestimmt den Formen-
ablauf, sondern die Blätter bilden das Kapitell. Damit ist eine Königslutter im Grund-
sätzlichen verwandte Situation geschaffen. Daher ist auch ein Zurückgreifen möglich auf
Einzelheiten von Königslutter unter Umgehung der Umsetzungsformen, die dazwischen-
stehen. Die nun entstehenden Schöpfungen können weiter führen zum Kelchkapitell, bis
schließlich in der beginnenden Gotik der Blattschmuck ganz selbständig und vom Kern
gelöst wird. Von Königslutter aus wäre dieser Weg noch nicht möglich, denn dort handelte
es sich trotz aller Freiheit in der Einzelbildung immer noch um eine streng geschlossene
Form, stilgeschichtlich gesprochen um reife Hochromanik, in Magdeburg aber bereits um
reife Spätromanik. Die erste Stufe bedeutet, wenn man Begriffe aus der figürlichen
Plastik heranziehen darf, symbolhafte Darstellung des Seins, die zweite hingegen Darstellung
eines Geschehens. Davon ist in dem Magdeburger Kapitell 130

tl_files/Fotos/Allgemein/Kapitelle Dissertation Kluckhohn/KH-130-Magdeburg-Dom-Chorumgang-.jpg

Magdeburg, Dom, Chorumgang

 

zwar erst wenig vorhanden, aber es ist der Weg dahin eröffnet."

...

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Quelle:

Erwin Kluckhohn: "Die Kapitellornamentik der Stiftskirche zu Königslutter. Studien über Herkunft, Form und Ausbreitung."   Dissertation an der Universität Göttingen, veröffentlicht in Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft Bd. 11 S. 527-578; 138 Abbildungen auf Tafel 1-8

 

Abbildungen auf der Homepage wurden soweit verfügbar zur Verbesserung der Verständlichkeit des Textes teilweise durch neuzeitliche Fotos verbesserter Auflösung ersetzt und direkt in den Text eingefügt.