Ranke/Kugler: Kloster-Gröningen

Die Kirche von Kloster od. Wester-Gröningen.

(Jetzt Dorf Gröningen, bei dem Städtchen gleiches Namens.)

Stiftungs-Urkunde vom 26. Mai des Jahres 936, durch welche Graf Siegfried dem Convente von Corvey zur Errichtung eines Klosters übergiebt: "hereditatem suam in pago Hardgo, in loco cujus vocabulum est Westergroningen sito juxta fluvium Bade: hoc est ipsam ecclesiam cum clericis, quos ibi proprios habuit etc." Das Kloster von Westergröningen blieb, die Zeit seines Bestehens hindurch, dem Stifte von Corvey zugehörig; weitere Nachrichten über die Geschichte desselben sind nicht bekannt *). Ob die gegenwärtig vorhandene Kirche die in jener Urkunde angeführte sein möge, muß natürlich, in Ermangelung anderweitiger Zeugnisse, zweifelhaft sein; indeß zeigt sie in den erhaltenen Theilen ihrer ursprünglichen
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*) Vergl. u. a. Leuckfeld, Antiquitates Gröningenses, S. 165 ff.  Wigand, Corvey S. 138. - Die Urkunden von Kloster Gröningen sollen nach Corvey gekommen sein.
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Anlage, die durch die späteren Unbilden und Veränderungen, welche sie erlitten hat, nicht gänzlich vernichtet ist, mannigfache Motive, welche wenigstens an sich bereits auf ein beträchtlich hohes Alter zurückdeuten. Zu bemerken ist, daß die Details dieser ursprünglichen Anlage den roheren Theilen der Schloßkirche von Quedlinburg verwandt und einige der vorzüglichst charakteristischen Ornamente beiden gemein sind.

Die Kirche war eine Basilika mit einem Queerschiff auf der Ostseite. Die Seitenschiffe sind gegenwärtig nicht mehr vorhanden und die Bogenstellungen, welche dieselben mit dem Mittelschiff verbanden, vermauert, so jedoch, daß zwischen den Bögen verschieden gestaltete Fenster offen gelassen sind. Die Fenster in den oberen Wänden des Mittelschiffes sind ebenfalls vermauert. Auch die Altarnischen am Chor und an den Kreuzflügeln sind abgerissen und vermauert, und nur von der des südlichen Kreuzflügels bemerkt man im Inneren noch die Spur. Die Kirche hatte keinen hohen Chor, somit offene Zugänge von den Seitenschiffen zu den Kreuzflügeln, welche letzteren zwar wiederum vermauert, doch im Inneren noch deutlich erkennbar sind. Ueber der Durchschneidung des Kreuzes erhebt sich ein achteckiger Thurm. Zur Unterstützung desselben sind die Kreuzpfeiler und die Schwibbögen, welche diese verbinden, neuerdings beträchtlich verstärkt worden (sie haben ein modern griechisches Kämpfergesims); doch bemerkt man in den Ecken noch die ursprünglichen Wandpfeiler des Kreuzes mit ihren Kämpfern, sowie auch die von ihnen getragenen, etwas vorspringenden Bögen.

In den Bogenstellungen des Schiffes wechseln zwei Säulen mit einem Pfeiler (auf jeder Seite nur vier Säulen, und ein Pfeiler in der Mitte). Die auf der südlichen Seite ist so vermauert, daß die Formen nicht mehr mit hinlänglicher Deutlichkeit zu erkennen sind; die auf der Nordseite treten dagegen etwas mehr hervor. Die Basen der Säulen und der Pfeiler, sowie sämmtlicher alten Wandpfeiler sind attisch, mit hoher Kehle und starkem unteren Pfühle; sie stecken meist tief in dem gegenwärtig erhöhten Boden der Kirche und nur die der Wandpfeiler im westlichen Theil der Kirche (von denen weiter unten gesprochen werden wird) sind noch ganz  zu erkennen.
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Die Kapitäle haben die Form eines nach unten abgestumpften Würfels. Eins derselben ist ganz mit kleinen, roh gearbeiteten Sternblumen übersät, welche ohne sonderliche Symmetrie zusammengeordnet sind. An einem zweiten werden die vorderen Flächen des Würfels durch seltsame Doppelkrokodille, an einem dritten durch andre rohe Thierfiguren gebildet; die unteren Rundungen dieser beiden sind wiederum durch kleine Sternblumen ausgefüllt (deren an ähnlichen Stellen auch in der Stiftskirche zu Quedlinburg vorkommen). Das Deckgesims dieser Kapitäle besteht aus einem schrägen Gliede, welches von einer Platte gekrönt wird, und ist mit verschiedenen Ornamenten versehen: theils mit jenem Blattwerk, welches mit einer triglyphenartigen Verzierung abwechselt (wie zu Quedlinburg, Taf. III, 2.),

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theils mit andrer Rankenverzierung. Aehnliche Deckgesimse befinden sich auch als Kämpfer über sämmtlichen Pfeilern und Wandpfeilern der Kirche (nur der Kämpfer der ehemaligen Nische im südlichen Kreuzflügel zeigt eine gegliederte, aus Wulst und Hohlkehle bestehende Form), sowie auch das Gesims, welches über den Bogenstellungen hinläuft, dieselbe Form hat. Zumeist finden sich zur Verzierung dieser Gesimse rohe Bandverschlingungen angewandt, namentlich an dem Gesims über der südlichen Bogenstellung des Schiffes, wo sie nur an einer Stelle durch ein wunderlich gestaltetes Doppelkrokodill unterbrochen werden; das Gesims über der nördlichen Bogenstellung ist mit einem Rankenwerk verziert, welches mit Dreiblättern und Trauben versehen ist. Alle diese Verzierungen an Gesimsen und Kapitälen sind übrigens von sehr unsicherer und schwungloser Bildung und wiederum nur mehr als eine ausgemeisselte Zeichnung, denn als wirkliche, hervorspringende Reliefsculptur zu betrachten. Die fast fingerdicke Tünche, welche dieselben gegenwärtig bedeckt, macht ihre Bildung noch unförmlicher erscheinen, als sie es schon an sich ist. Wenn man die Tünche wegschabt, so bemerkt man allenthalben die, ohne Zweifel ursprünglichen Farben, mit denen diese Ornamente bemalt waren: Roth, Blau, Grün u. s. w.

Eigenthümlich ist die ursprüngliche Anlage des westlichen Theiles dieser Kirche. Hier treten nemlich zunächst Pfeiler nach dem Inneren des Schiffes vor, welche denen in der Durchschneidung des Kreuzes
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ganz entsprechend sind und welche in der Höhe, queer über das Kirchenschiff hin, mit einem ähnlichen großen Schwibbogen verbunden werden; ihnen entsprechen, in den westlichen Ecken der Kirche, die Spuren ähnlicher Wandpfeiler. Ohne Zweifel bildete sich hiedurch eine Vorhalle mit freier Empore, wie sich eine Einrichtung der Art noch gegenwärtig in der Kirche von Wechselburg vorfindet *). Auch scheint es, daß dieselbe in der ganzen Höhe des Mittelschiffes (einem zweiten Queerschiffe vergleichbar) vor die Seitenschiffe hinausgetreten sei; wenigstens ist der aus kleinen Rundbögen zusammengesetzte Fries, welcher im Aeußeren der Kirche, unter dem Dache des Mittelschiffes, hinläuft, nur bis zu der Stelle hingeführt, wo die ersten, so eben besprochenen Pfeiler bemerkbar werden, so daß hier ein Ausbau, welcher die Fortsetzung dieses Frieses aufnahm, vorspringen mußte.

Diese ganze westliche Anlage ist jedoch durch ausgeführte Oueerwände, in welche die genannten Pfeiler eingeschlossen sind, und durch eine, noch in die Periode des byzantinischen StyIes gehörige, höchst interessante Umänderung verdunkelt worden. Es ist hier nemlich eine kleine Kapelle, in der Breitenausdehnung des Schiffes, eingebaut, welche nur durch kleine (nachmals vermauerte) Fensterchen ein geringes Licht empfing. Es scheint, daß diese Kapelle zunächst zu den Zwecken einer Gruftkirche bestimmt war, da die Kirche, nach ihrer ursprünglichen Anlage, keine solche besitzt und das Vorhandensein einer solchen durch die Bedürfnisse des kirchlichen Ritus nöthig geworden sein mochte. Daß sie ein späterer Einbau ist, geht daraus hervor, daß sie sowohl die eben besprochene Pfeilerstellung verdeckt, als sie selbst in die Bogenstellung des Schiffes vortritt und mit der Brüstung, wodurch sie bekrönt wird, das über jener Bogenstellung hinlaufende Wandgesims durchschneidet. An ihrer östlichen Seite hat sie eine, nach der Mitte des Kirchenschiffes hervortretende Altarnische, in welcher sich drei kleine (vermauerte) Fensterchen befinden; zu den Seiten der Nische zwei Thüren, von denen die eine ebenfalls vermauert ist; an der westlichen Wand wiederum drei (gleichfalls vermauerte)
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*) Vergl. Dr. L. Puttrich: Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen, Abth. I, Lief. 1 und 2. (Taf. 7 u. 9.)

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Fensterchen. Ein Tonnengewölbe, an welchem man Spuren von farbiger Verzierung bemerkt, überdeckt die Kapelle; die Altarnische ist, wie gewöhnlich, mit einer Halbkuppel überwölbt. Doch scheint dieser merkwürdige Einbau, außer als Gruftkirche, auch noch zu einem anderen Zwecke gedient zu haben: - etwa zu dem einer Kanzel oder eines Singechores für den in der Kirche selbst abzuhaltenden Gottesdienst. Sie hat nemlich oberwärts, über dem Tonnengewölbe, einen ebenen, horizontalen Boden, welcher sich auch über den halbrunden Ausbau der Altarnische (so daß deren Kuppelgewölbe im Aeußeren nicht sichtbar wird) erstreckt und welcher von einer hohen steinernen Brüstung, die sich somit auch um den genannten Ausbau herumzieht, eingefaßt wird. Diese Brüstung ist auswärts mit großen, in Stuck gearbeiteten Relieffiguren geschmückt, welche Christus und die zwölf Apostel darstellen. Christus sitzt in der Mitte auf dem Regenbogen, die Hände ausgebreitet, über jeden Arm ein lang herabhängendes Spruchband. Zu seinen Seiten sitzen die Jünger auf Bänken, mit Büchern in der Hand, je drei an dem halbrunden Ausbau, die übrigen an den geraden Wänden. Sämmtliche Figuren sind in dem etwas kurzen, schweren, sehr massigen Style gebildet, welchen die deutsche Seulptur um den Anfang des zwölften Jahrhunderts aufweist, und dürften demnach ungefähr diese Zeit als die Periode, in welcher der Einbau ausgeführt worden, bestimmen; sie sind noch ungeschickt, in der Gewandung noch streng stylisirt, aber ohne die Anzeichen jener Verkrüppelungen, welche in der früheren Zeit des elften Jahrhunderts so häufig gefunden werden, und auch nicht ohne ein gutes Gefühl in der Anordnung des Gefältes. Unter der Tünche, womit sie gegenwärtig überstrichen sind, zeigen sich auch an ihnen die deutlichsten Farbenspuren. Leider sind diese Figuren nicht von Beschädigungen frei geblieben; einigen sind die Köpfe abgehauen, und zwei von ihnen fehlen ganz, indem man die Brüstung durchbrochen hat, um solcher Gestalt eine Verbindung des Raumes über der Kapelle mit dem schlechten Orgelchor, welcher gegenwärtig diesen gesammten Einbau verdeckt, zu gewinnen. Unterwärts ist die Brüstung von einer Art attischen Basamentes begränzt, oberwärts
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von einer Rankenverzierung, in deren Blättern man bereits Motive der eigentlich byzantinischen Kunst erkennt.

Der achteckige Thurm, welcher sich über dem Kreuz der Kirche erhebt, trägt ebenfalls das Gepräge einer mehr entwickelten Periode der byzantinischen Kunst und gehört nicht zu der ursprünglichen Anlage der Kirche (vielleicht in dieselbe Zeit, in welcher der eben besprochene Einbau ausgeführt wurde). Die Kühnheit, eine solche Masse über den nicht starken Pfeilern und Bögen des Kreuzes zu errichten, die vermutlich mit der Zeit für die gesammte Kirche gefahrbringend geworden war, hat die oben berührte Verstärkung dieser Pfeiler und Bögen veranlaßt. Er ist, an seinen acht Wänden, mit zwei Reihen zierlicher Fenster geschmückt, von denen die unteren eine einfache, die oberen eine zusammengesetztere Umfassung haben. Jedes dieser Fenster ist in der Mitte mit einem Säulchen versehen, dessen Kapitäl, in mannigfach wechselnder Weise, mit geschmackvoll gearbeiteten Bandverschlingungen verziert ist. Die über den Kapitälen ruhenden abgeschrägten Deckplatten sind ohne eine Verzierung der Art. Das Kranzgesims des Thurmes ist nicht mehr vorhanden.

Quelle: C. F. Ranke, F. Kugler: Beschreibung und Geschichte der Schloßkirche zu Quedlinburg und der in ihr vorhandenen Alterthümer. nebst Nachrichten über die St. Wipertikirche bei Quedlinburg, die Kirche zu Kloster Gröningen, ... S. 99 bis 104. Berlin 1838. Verlag George Gropius

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