Max G. Zimmermann 1897 über das Wirken des Künstlers Nikolaus in Norditalien

Nikolaus.

 

So lebendig die Darstellungen auf den jüngeren Theilen der Erzthüren von Verona auch sind, und so glückliche Erfolge der Meister durch sein Studium der Form auch erzielt hat, so würden sie doch noch nicht vermuthen lassen, dass die oberitalische Plastik so nahe daran war, einen Höhepunkt zu erreichen, wie ihn der wenig später entstandene Portalbau an der Kathedrale von Ferrara (Abb. 25) offenbart.

 

 

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Abb. 25 Portalbau an der Kathedrale von Ferrara

 

Der untere und der obere Theil des zweigeschossigen Portalbaus sind zu verschiedenen Zeiten gearbeitet, der erstere ist romanisch, der letztere gothisch, der untere von einem italienischen Künstler, der obere, dessen Skulpturen grosse Aehnlichkeit mit denen am Mittelportal der Kathedrale zu Bourges haben, von einem Franzosen. *) Um das Giebelfeld des unteren romanischen Theiles, der uns hier allein interessirt, lesen wir die Inschrift:

 

+ ARTIFICE GNARV Q SCVLPSERIT HEC NICHOLAV
+ HVC COCVRRENTES LAVDENT P SCLA GENTES. **)

und an der Fassade der Vorhalle unter dem den unteren Theil abschliessenden Gesims stehen zu beiden Seiten des Rundbogens die Worte:
+ ANNO MILLENO CENTENO TER QVOQVE DENO
QVINQVE SVPER LATIS ***) STRVITVR DOMVS HEC PIETATIS.

 

Somit haben wir den Namen des Künstlers Nikolaus und die Jahreszahl 1135.

 

Nikolaus hat sicher nicht nur die Skulpturen gearbeitet, sondern diesen ganzen Portalbau erfunden, denn das eine ist nicht ohne das andere zu denken, so innig sind beide mit einander verschmolzen.

 

Nach Analogie anderer oberitalischer Portalbauten können wir annehmen, dass die Vorhalle über dem ersten Stockwerk ursprünglich durch einen dreieckigen Giebel abgeschlossen war, oder dass sich eine Loggia als zweites Stockwerk darüber befand. Vor das nach innen abgeschrägte, mit Pilastern

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*) Auch am Mittelportal der Kathedrale zu Bourges sitzt in der Mitte des Tympanon Christus mit nacktem Oberkörper, den Mantel über die Knie gelegt, aber abweichend von Ferrara die Arme erhoben. Zu beiden Seiten stehen dort zwei Engel mit den Marterwerkzeugen, während hier nur je einer, aber die Haltung ist fast dieselbe. Auch dort knieen zu äusserst zwei Personen, links eine gekrönte Frau, rechts ein Mönch. Die musicirenden Aeltesten sind ebenfalls ein französisches Motiv. Unter dieser Darstellung sind auch dort Scenen aus dem jüngsten Gericht; dort alles in einem Friese vereinigt, auch die Scenen, die hier in Ferrara auf die beiden Lünetten zur Seite vertheilt sind. Abraham mit den Seelen im Schooss beide Mal ganz analog, bei der Hölle dort ebenfalls ein Topf auf dem Feuer, in welchen ein Teufel die Seelen mit der Stange stösst. Die Auferstehenden dort in einem ganzen unteren Streifen sehr ausführlich geschildert.

**) Artificem gnarum qui sculpserit haec Nicolaum
Hunc concurrentes laudent per secula gentes.

***) Über den Fundamenten.

 

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und Säulchen dekorirte eigentliche Portal legt sich ein rundbogiger, auf vier Säulen ruhender Vorbau, wie er sich ähnlich schon an den Vorhöfen altchristlicher Basiliken findet, z. B. an San Cogimato in Trastevere, an San Clemente und an Santa Prassgede zu Rom, freilich erst aus dem 9--12. Jahrhundert. Die Vorhalle erscheint hier in Ferrara gleichsam wie eine Abbreviatur des ganzen, in der romanischen Epoche leider in Wegfall gekommenen Atriums und bewahrt wenigstens die Erinnerung an den schönen Gedanken, dass der Gläubige aus dem Lärm der Strasse kommend, erst einen Vorraum durchschreite, in dem er sich innerlich sammeln kann. Zugleich aber hat dieses prächtige Dekorationsstück die Aufgabe, den Eintritt in das Heiligthum zu schmücken.

 

Schon bei der Betrachtung im Ganzen fallen die schönen, ruhigen und edlen architektonischen Verhältnisse auf. Jedes bauliche Glied ist seinem Charakter gemäss verwerthet. Die eigentliche Thürumrahmung tritt bedeutsam hervor durch kräftige, ganz glatte, nur mit reicheren Kapitellen versehene Pfosten, durch einen starken, mit Skulpturen geschmückten Architrav, durch ein figürlich und ornamental verziertes Tympanon. Je vier reichbehandelte Pilaster und drei Säulchen dekoriren die Schräge, sie setzen sich mit spärlicherem Schmuck über den Kapitellen fort als Rundstäbe und Archivolten, welche das Tympanon umrahmen. Von den aus je vier Säulchen bestehenden Säulenbündeln des Vorbaus ruhen die beiden vordersten auf dem Rücken von sitzenden Männern; die Platten, welche die Unterlage für die hinteren Säulenbündel und die Träger der vorderen Säulenbündel bilden, liegen auf den Rücken von Löwen, welche als Ersatz für die ursprünglichen Greifen später untergeschoben sind. Die plumpen Säulen mit den missverstandenen Knoten sind moderne Ergänzung. Auch die Vorderwand des Vorbaus ist plastisch verziert. Der ganze ornamentale und figürliche Schmuck ist nicht nur im allgemeinen, sondern, wie wir finden werden, auch im einzelnen dem architektonischen Eindruck untergeordnet.

 

Eine ganze Reihe von Figuren muss den baulichen Gedanken des Tragens zum Ausdruck bringen, ein Motiv, welches wir schon bei Wilhelm und bei der ganzen plastischen Ausstattung des Domes zu Modena so gern verwendet gefunden haben. Ausser den beiden überlebensgrossen Figuren unter den Säulen sind zwei ganz zusammengekauerte menschliche Gestalten angebracht unter der Stelle, wo die Architrave des Vorbaus von der Fassadenwand nach vorn absetzen, ferner stehen zwei Träger auf der Innenseite der beiden Kapitelle der Thürpfosten. In allen diesen Figuren ist die Anstrengung des Tragens mit grosser Beflissenheit geschildert. Die beiden Säulenträger sitzen auf vierkantigen Marmorblöcken, haben die Schulterblätter in die Höhe gezogen und den Kopf gesenkt, so dass sie mit vergrösserter Nackenfläche tragen, ausserdem stützen sie die Säulenbasis mit einer oder mit beiden erhobenen Händen. Ihr Körper ist dick und kräftig, so dass er eine massive Unterlage für die Last der Säulen bildet, ihre gespannten Gesichter verrathen den Kraftaufwand. *) Die Zusammengekauerten unter den Architraven des Vorbaus scheinen von ihrer Last fast zerquetscht zu werden. Von den in den Thürpfostenkapitellen Stehenden hat einer die eine Hand in die Hüfte gestemmt und die andere zum Tragen erhoben in vortrefflicher Naturbeobachtung, er streckt dabei vor Anstrengung die Zunge aus.

 

 

Einfügung:

 

Alle Figuren müssen sich den architektonischen Linien anbequemen, sie unterbrechen dieselben einerzeits nicht und füllen andererseits den für sie ausgesparten Raum vollständig aus. Am auffälligsten ist das bei denjenigen, welche in die kleinen Pilaster der Schräge eingelassen sind. Sie stellen dar den Erzengel Gabriel und die Jungfrau Maria einander gegenüber, letztere mit der Inschrift Ecce ancilla Domini, also die Verkündigung, wobei Maria schüchtern abwehrend die Hände erhebt, ferner die vier grossen Propheten Jeremias, Jesaias, Daniel, Ezechiel. Aus den Pilastern ist ein längliches, im Grundriss dreieckiges Stück herausgeschnitten gedacht und in diese Nische, wenn man es so nennen

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*) Zwei sehr ähnliche Figuren in der Villa des Grafen Mattei bei Bologna.

 

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darf, die Figur hineingestellt (Abb. 26). Diese füllt den Raum so vollständig aus, dass die Kante des Pilasters über den Nasenrücken und an der Vorderzeite des Körpers herablaufend deutlich zu erkennen ist; kein Glied des Körpers ragt über die beiden Seitenflächen des Pilasters hinaus. Trotz dieses Zwanges sind die Figuren in Stellung und Bewegung ganz natürlich, wenn auch stark zusammengehalten.

 

Ferner sind in den Flächen der Pilaster kleine quadratische oder längliche und oben rundbogige kassettenartige Felder vertieft, welche plastische Darstellungen enthalten und zwar ausser einigen Blattrosetten menschliche oder thierische Einzelgestalten, die ganz vortrefflich in den Raum komponirt sind. Wir bemerken unter anderem Hähne, Greife, Vögel in einen langen Schwanz endigend, mit dem sie sich umschlingen und dessen Ende sie in den Schnabel nehmen. Ueberhaupt kommen vielfach Mischgestalten von verschiedenen Thieren oder von Mensch und Thier vor. Sie erinnern an jene abenteuerlichen Wesen, welche wir an der Fassade von San Michele zu Pavia kennen gelernt haben, und die sich auch sonst überall im romanischen Ornament finden, sind aber wohl nirgends mit so grosser künstlerischer Kraft zu organischen Wesen verschmolzen wie hier.

 

Einfügung:

 

 

 

 

Wir gewahren einen Widder mit Flügeln, dessen Hinterleib in einen Drachenschwanz ausgeht, Menschen mit Fischleibern, Vögel mit Menschenköpfen, einen Mann ohne Kopf mit dem Gesicht auf der Brust, ein satyrartiges Wesen mit Menschenleib und Thierfüssen eine Keule schwingend, einen nackten Mann mit übergrossen Ohren, die Geige spielend und auf einem Hunde sitzend; der Schwanz der Thiere geht häufig wieder in einen Thierkopf über. Auch antike Gestalten kommen vor, einmal eine vorzüglich gearbeitete Chimära und ein Kentaur. Diese Reliefs sind flach und nach den Gesetzen des antiken Reliefstils, d. h. von der vorderen Fläche des Pilasters ausgehend in die Tiefe gearbeitet.

 

 

Einfügung IMG_6308:

Abb. 26: Theil von der linken Schräge am Portal des Domes zu Ferrara.

 

Wie mit Reliefplatten schmückend belegt erscheint auch der Architrav (Abb. 27). Acht Rundbogenarkaden, auf zierlichen Säulchen ruhend, stehen neben einander. Diese Arkadenreihe mit ihren

 

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Rundbogen giebt dem Architrav etwas Leichtes, Elastisches, es kommt eine rhythmische, fast möchte man sagen, federnde Bewegung in das Glied, welche ihm alles Starre benimmt. Der Künstler hat aber den Eindruck einzelner Platten zu vermeiden gewünscht, um dem tragenden Architrav den nothwendigen Zusammenhang zu wahren, deshalb sind die dargestellten Scenen nicht streng durch die Arkadenbögen geschieden, sondern ziehen sich zum Theil durch mehrere hin. Die Scenen sind: Begegnung zwischen Maria und Elisabeth; Geburt Christi; Verkündigung an die Hirten, wobei der Engel als geflügeltes Köpfchen in dem Zwickel über den Rundbögen erscheint; Anbetung der Könige; Darbringung im Tempel; Flucht nach Aegypten, wobei der Symmetrie mit der Verkündigung an die Hirten halber wieder ein geflügeltes Engelsköpfchen in dem Zwickel erscheint; Taufe Christi. Das Relief ist erhabener als bei dem Kassettenschmuck der Pilaster, um an dieser wichtigen Stelle und bei dem bedeutsamen Inhalt die Figuren deutlicher und selbständiger hervortreten zu lassen.

 

Um das Tympanon zieht zich ein halbrunder Fries mit meisterhaft nach der Antike gearbeitetem Rankenwerk, welches aus dem Rachen eines Thierkopfes im Scheitelpunkt ausgeht und sich nach beiden Seiten verbreitet; vorzüglich gearbeitete Thiere schlingen sich hindurch. Im Tympanon selbst erblicken wir die grosse Relieffigur des Titularheiligen der Kirche Georg im Drachenkampf. Mit geschwungenem Schwerte sprengt er über den Drachen hinweg, der sich unter ihm mit der zerbrochenen Lanze im Rachen im Todeskampf wälzt. Wenn die Fehler in Reiter und Pferd bei diesen grossen Verhältnissen auch mehr auffallen als in dem kleinen Reiter auf dem rechten Thürflügel von San Zeno zu Verona, so ist die Arbeit doch immerhin bewunderungswürdig und namentlich der Drache ist meisterhaft. Die Komposition in den gegebenen Raum ist überaus glücklich. Als die Hauptfigur ist dieser Reiter in weit höherem Relief gearbeitet als alle anderen Figuren.

 

An der Fassade des Vorbaus sind in den Rand des Rundbogens Kassetten vertieft, auf deren Grund Blattrosetten liegen. Im Scheitelpunkt ist das Lamm mit dem Kreuze angebracht. Zu beiden Seiten des Bogens stehen in hohem Relief zwei Gestalten, in welchen wir nach Analogie des später zu besprechenden Vorbaus von San Zeno zu Verona die beiden Johannes erkennen, rechts Johannes den Täufer, der auch durch ein Fell um die Schultern kenntlich gemacht ist, und links Johannes den Evangelisten als Verfasser der Apokalypse mit einem Buch in der Hand, ersterer auf die Heilslehre Christi vorausdeutend, letzterer sie zu erhabenen Visionen ausgestaltend. Der Täufer streckt die Hand aus, hinweisend auf den, der da kommen soll, in der anderen Hand hält er eine Schriftrolle, die übliche Weise, anzudeuten, dass die dargestellte Person spricht. Johannes der Evangelist steht innerlich gesammelt da. Ueber den Köpfen dieser Reliefiguren zieht sich je ein Streifen mit schönem Rankenornament hin, und zwar besteht jeder aus zwei verschiedenen Stücken, antike Reste, die hier verwerthet sind. Die Konsolen des kleinen Gesimses, welches nach dem späteren Oberbau den Abschluss bildet, sind kleine Menschenköpfe mit fratzenhaften Gesichtern. Wie der plastische Schmuck sind auch der Blätterschmuck aller Kapitelle, die geometrischen Verzierungen der Säulchen und Rundstäbe bescheiden gehalten, um die herrschenden architektonischen Linien möglichst hervortreten zu lassen.

 

Die Löwen, auf welchen der Vorbau jetzt ruht, sind modern, ebenso wie die Säulen und ihr Gebälk. Die ursprünglich an dieser Stelle befindlichen Thiere waren die Greife, welche jetzt an den beiden äussersten Enden der Fassade aufgestellt sind. Von diesen Greifen hat der eine zwei Stiere und einen Menschen, der andere einen gepanzerten Ritter und sein Pferd in den Klauen, beide sind geflügelt und einer hat an den Seiten Räder, wie sie die Vision des Ezechiel bei den vier Thieren, welche später als Symbole der Evangelisten angenommen wurden, beschreibt. *)

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*) Cittadella: Guida pel forestiero in Ferrara, Ferrara 1873: Poggia questo avancorpo (die Vorhalle) Sopra 4 colonne, due delle quali (quelle dinanzi) si basano sopra grottesche figure accovacciate sul dorso di grandi leoni accosciati. Questi sostegni minacciavano ruina, essendosi avvallati nel suolo; ma il Rev: Capitolo nel 1829 ve ne fece surrogare de nuovi, accrescendo il diametro delle colonne, e la mole dei telamoni e dei leoni. I vecchi pezzi erano stati affissi alla facciata, ma nel generale ripulimento fattone nel 1842 furono tolti di la e collocati nel cortile dietro il coro. Una di quelle colonne però ed uno di que‘ leoni si abbrucciarono o meglio rimasero calcinati nel 1559 per un incendio di una botteguccia di legno ivi aderente, e ne venne fatta sostituzione per opera dello scalpellino Castorio Gilardoni. Die letztere Notiz ist nicht verständlich. Jetzt stehen die Greife wieder an der Fassade.

 

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Abb. 27: Architrav und Tympanon am Portal des Domes zu Ferrara

 

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Die beiden Nebenportale der Fassade stammen ebenfalls von Nikolaus. Sie sind ohne Vorbauten als einfache Thüren viel schlichter gehalten. Die Tympana werden von einem Rundbogenfries umfasst, welcher ganz dieselbe Art von Kassetten hat wie die Pilaster am Hauptportal.

 

Wir haben keine sichere Kunde darüber, wo Nikolaus herstammt. Maffei hatte die Inschrift, welche sich an den Reliefs rechts vom Hauptportal an der Fassade von San Zeno zu Verona befindet und einen Künstler Nikolaus nennt, falsch gelesen. Er las: Hic exempla trahi possunt Jad. Nicolai und erklärte Jad. für Abkürzung von Jaderensis, woraus er schloss, dass Nikolaus aus Zara stammte! Ein anonymer Führer vom Jahre 1770 *), Baruffaldi **) und Cantu ) nennen den Künstler des Portals vom Dom zu Ferrara Niccolò da Ficarolo, und dieser Name komme daher, weil sich in den Ornamenten oft das Feigenblatt (foglia del fico) wiederholt. Diese irrthümliche Erklärung haben schon Canonici und Leop. Cicognara widerlegt, aber sie verfallen nach Cittadella ††) in einen zweiten Irrthum, weil sie nach Guarini und Boretti das Wort Ficarolo als Vico Ariolo deuten. Auch keine von den andern Inschriften, welche den Meister Nikolaus nennen, giebt eine Ortsbezeichnung. †††) Wenn wir aber erwägen, dass das Domportal von Ferrara das Hauptwerk des Meisters ist, dass es das Einzige ist, wo die genaue Ueberwachung der Arbeit durch den Künstler, wenn nicht seine eigene Hand bis in alle Einzelheiten zu verfolgen ist, so werden wir geneigt sein anzunehmen, dass dieses Werk sein frühestes ist, und dass daher seine Herkunft aus Ferrara oder aus der Nähe dieser Stadt wahrscheinlich ist. Der Herkunft aus dieser Gegend widerspricht der künstlerische Charakter seiner Arbeiten nicht.

 

Ein Werk wie dieser Portalbau beweist, dass sein Schöpfer die eingehendsten Studien gemacht haben muss. Wir haben schon die Weisheit in der Komposition des Ganzen bewundert und Nikolaus daraus als einen feinfühligen und sorgfältig vorgehenden Künstler kennen gelernt. Dem entspricht auch die Ausführung im Einzelnen und die vortreffliche Schulung der Form. Die Marmorarbeit an den Propheten und den Gestalten der Verkündigung, welche in den Pilastern der Hauptthür stehen, ist scharf, als wenn sie für Erz gedacht wäre, und kann manche Aehnlichkeit mit byzantinischen Werken nicht verleugnen. Die Gewandfalten bei dem zur Rechten befindlichen Träger der Vorhalle bilden auf

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*) Pitture e scoltiure che si trovano nelle chiese, luoghi pubblici e sobborghi della Citta di Ferrara. Ferrara 1770 S. 37.

**) Girolamo Baruffaldi: Vite de‘ pittori e scultori ferraresi. Ferrara 1844.

†) Canti: Storia degl‘ Italiani II S. 643.

††) Luigi Napoleone Cittadella: Notizie amministrative, storiche, artistiche relative a Ferrara ricavate da documenti Ferrara 1868. S. 89.

†††) Baruffaldi giebt an, dass eine zweite auf Nikolaus bezügliche Inschrift zu lesen gewesen wäre in dem alten Mosaik, welches sich über dem Architrav des Hochaltars bis zu seiner Zeit befunden habe. Sie lautete :
I mille cento trentacinque nato
Fo questo templo a Zorzi consecrato
Fo Nicolao scolptore
E Glielmo fo lo auctore.
Diese Verse sollen nach Borsetti (Hist. Gymn. Ferr. Tom. I p. 357) auf einem Zettel in der Hand eines Propheten gestanden haben. Bei Baruffaldi ist dieser Zettel mit der Inschrift abgebildet. Frizzi: Memorie per la Storia di Ferrara. p. 126 ff. erklärt diese Verse für modern. Das Richtige giebt F. Avventi in seinem Buch II Servitore di Piazza: Guida per Ferrara 1838 S. 25. Er sagt, die Mosaikinschrift über dem Hochaltar wäre im Jahre 1570 durch ein Erdbeben zerstört und seitdem verändert neu gemalt worden. Die ursprüngliche Fassung lautete:
Il Mille cento trentacinque nato
Fò questo templo a S. Zorzi donato
Da Glelmo ciptadin per sò amore
E ne fò l‘opra Nicolao el scolptore.
Dieses sollen die ältesten Verse in italienischer Sprache sein.

 

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dem Bauch eine Schnecke, wie es bei byzantinischen Miniaturen zuweilen vorkommt. Für den heiligen Georg im Tympanon muss eine vorzügliche altchristliche oder antike Vorlage vorhanden gewesen sein, wahrscheinlich in kleinem Maassstabe, so dass die dabei weniger auffallenden Fehler in der Vergrösserung mit übernommen wurden. Der Bart und die Haare sind bei den Figuren meist in zierliche regelmässige Löckchen gelegt, wie an archaisch griechischen Denkmälern: der gleiche Archaismus erzeugt dieselbe Erscheinung. Viel wichtiger aber als die Anlehnung an fremde Vorbilder in Einzelheiten ist die allgemeine Erhebung, welche Nikolaus seiner Kunst durch das Studium guter, älterer Muster hat zu Theil werden lassen. Er verfährt dabei in derselben Weise wie die deutschen Plastiker des 11. Jahrhunderts, deren Bestrebungen wir schon früher kennen gelernt haben. Er schulte an den Vorbildern sein Auge und seine Hand und kam dann zu selbständigen, in der Form und Technik hochstehenden Leistungen, wobei ihn sein angeborenes Talent und Feingefühl unterstützten. Die rein künstlerischen Gedanken, welche der Portalbau von Ferrara enthält, sind, wie wir gesehen haben, der besten Kunstzeiten würdig, und in dieser einen Beziehung ist das Werk den grössten Meisterwerken aller Zeiten an die Seite zu stellen.

 

Ein wahres Meisterstück sind die naturgetreuen oder phantastischen Thiere. Bei den letzteren ist die organische Verschmelzung verschiedener thierischer Formen so vollständig gelungen, dass eine Kunst auf ihrer Höhe den Künstler darum beneiden könnte. Für alle Thierdarstellungen hatte der Künstler ein vortreffliches Vorbild an der byzantinischen Kunst. Denn so starr bei derselben auch die menschliche Gestalt im Lauf der Jahrhunderte geworden war, die Wiedergabe der Thiere blieb bis zuletzt vorzüglich. Die Schilderung der Thiere war nicht wie die der Menschen von Dogmen und höfischem Ceremoniell in Fesseln geschlagen, sondern konnte sich leichter frisch und lebendig erhalten. In ersterem hatte sich seit dem Beginn des zweiten Jahrtausends eine unverrückbar feste Convention herausgebildet, welche kein Künstler wagen durfte zu durchbrechen, dagegen ist es, als wollten sich die Künstler nach anderer Seite dafür entschädigen. Das berühmte, aus dem 12. Jahrhundert stammende Manuskript mit den Predigten über die Feste der heiligen Jungfrau von dem griechischen Mönch Jakobus *) offenbart eine eingehende Liebe für die Natur. Der Garten des Paradieses ist reich mit Blumen ausgestattet; wie Joachim auf dem Felde betet, sind im Fluss Badende dargestellt; die Verkündigung an Maria geht in einem schönen Garten vor sich. Mit diesem liebevollen Studium der Natur hängt auch die Vortrefflichkeit der Thierschilderung zusammen. Bis in das 13. Jahrhundert hinein kommen noch Thiere von entzückender Grazie und richtigster und feinster Naturbeobachtung vor. **) Stilisirte Thiere sind seltener, und fast nur Greife und geflügelte Löwen kommen vor, das phantastische Thierreich fehlt in der byzantinischen Kunst ganz. Da war Nikolaus ganz allein auf sich selber angewiesen, und grade darin haben wir am meisten Ursache, sein Gefühl für organische Formen zu bewundern.

 

Aber das Talent des Meister Nikolaus war nicht nur ein formales, sondern auch inhaltlich gehört der Portalbau von Ferrara zu dem Bedeutendsten, was die oberitalische Plastik in der romanischen Epoche hervorgebracht hat. In der natürlichen, menschlich freien und tiefen Auffassung der dargestellten Scenen ist er desselben Geistes wie Wilhelm von Modena, und in seiner weit überlegenen Form treten uns diese Ideen noch viel vortheilhafter entgegen, seine Typen haben etwas nordisch Derbes. Die Art, wie er vor allem wünscht, den Inhalt deutlich zu machen und die Form nur als Mittel zum Zweck benutzt, weicht nicht von der bisherigen Entwickelungslinie ab, sondern seine Kunst ist darin als erster und, in diesem Zusammenklang von Inhalt und Form, nicht wieder erreichter Höhepunkt zu begrüssen.

 

Einfügung:

 

 

 

 

In den Architravreliefs ist die Umarmung der beiden Frauen überaus innig, sehr natürlich

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*) Nationalbibliothek zu Paris gr. 1208.

**) Beispiele in den Handschriften der Pariser Nationalbibliothek: Brief des Eusebius an Capranicus und die vier Evangelien vom Jahre 964 gr. 64. Zwei Handschriften des Gregor von Nazianz gr. 543 und 550, beide aus dem 13. Jahrhundert.

 

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ist der feste Schlaf des neugeborenen Christuskindes, lebhaft machen sich die Hirten gegenseitig auf die Erscheinung des Engels aufmerksam, sogar die Ziegen springen danach empor. Mütterlich liebevoll, durchdrungen von der Weihe des Augenblicks ist Maria bei der Darstellung im Tempel. Sie hält das auf dem Altar stehende Kind, und dieses bemüht sich in seiner segnenden Geberde Hoheit auszudrücken. Mit väterlicher, fürsorglicher Theilnahme blickt Joseph auf der Flucht nach Aegypten zu Mutter und Kind zurück, das Kind spielt unbefangen mit der Mähne des Esels. Ganz erfüllt von der hohen Aufgabe tauft Johannes den Herrn, und dieser segnet ihn dafür mit milder Liebe.

 

Wir haben gesehen, wie eifrig Nikolaus gelernt hat; antike, altchristliche und byzantinische Vorbilder hat er benutzt, aber das Herrschende in ihm ist doch die frische Ursprünglichkeit des jungen oberitalischen Volkes, dem er angehörte. Seine ausgeprägte Persönlichkeit hat ihn der Tradition frei gegenüber gestellt. Die künstlerischen Gedanken dieses Portals sind grösstentheils im Einzelnen und vor allem in ihrer Zusammenstellung ganz neu und eigenthümlich und konnten nur von einem vorurtheilslosen, an selbständiges Denken gewöhnten Geist so erfunden werden. Er hat alle Anstrengungen seiner oberitalischen Vorgänger zusammengefasst und überboten. Meister Wilhelm hatte mit seiner naiven, von Vorbildern nur das Nothwendigste entnehmenden Kunst eingesetzt, der Meister vom Taufbecken zu Verona hatte sich bei allem selbständigen Gefühl ängstlich an die Formen der Vorlagen gehalten, der zweite Meister von den Bronzethüren zu Verona war der erste, welcher mit dem erlernten Formenschatz frei zu schalten wagte und nicht unglücklich darin war, aber ihm fehlte das Maass und höhere künstlerische Einsicht. Diese finden sich erst in Nikolaus und gleich in erstaunlich hohem Grade. Mit seinem Streben nach Vollendung der Form knüpft er an die formale Richtung an, welche wir im Anschluss an die langobardische Plastik verfolgt haben, und führt diese zu einem schönen Gipfel empor. Seine hohe Begabung für die Form beweist, dass weit mehr Südländisches in seiner Natur war, als bei Meister Wilhelm. Vielleicht lag das in der Abstammung, vielleicht war Wilhelm rein germanisch, während Nikolaus aus einer lateinischen Familie stammte, und die schöne Selbständigkeit kam bei ihm nur daher, weil der allgemeine Geist des oberitalischen Volkes dahin ging. Jedenfalls aber ist er durch die Verbindung germanischer und südländischer Elemente in seiner Kunst der erste wirkliche Italiener.

 

Die grosse künstlerische Verwandtschaft mit dem Portal von Ferrara weist darauf hin, auch in dem Portalbau am Dom zu Verona (Abb. 28) den Meister Nikolaus als Schöpfer zu vermuthen. Bestätigt wird dies durch die Inschrift oben an der Fassade des ersten Stockwerks dicht unter dem Gesims. Sie lautet fast völlig übereinstimmend mit der Inschrift von Ferrara:

 

+ ARTIFICEM GNARVM QVI SCVLPSERIT HEC NICOLAVM
HVNC CONCVRRENTES LAVDANT PER SECVLA GENTES.

 

Dieser Portalbau ist noch vollständiger als der von Ferrara, denn über dem ersten Stockwerk befindet sich noch eine in mächtigem Rundbogen überwölbte Loggia, und auch dadurch erscheint er stattlicher, dass er sich auf einer Terrasse von drei Stufen und über einem Sockel erhebt. Die Thürumrahmung ist einfach, die Pfosten sind nur an den Innenseiten mit zwei Relieffiguren verziert, das Blattwerk der Kapitelle ist etwas organischer als in Ferrara. Der Architrav enthält drei Medaillons mit den Halbfiguren dreier gekrönter Frauen in Relief, welche später fälschlich Beischriften mit den Namen der drei theologischen Tugenden erhalten haben. Im Tympanon ist auf einer mittleren oblongen, aufrecht stehenden Platte in Hochrelief die thronende Madonna angebracht, welche das Christuskind vor sich auf

 

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dem Schoosse hält. Rechts davon sind in flachem Relief die heiligen drei Könige zu Pferde auf dem Wege zur Anbetung, links die Verkündigung an die Hirten. Diese Anordnung mit der von den übrigen Figuren ganz gesonderten Madonna und ihre Anbringung auf einer weiter vortretenden Reliefplatte ist unorganisch und ist ein entschiedener Rückschritt gegen die schöne Füllung des Tympanons durch die Reiterfigur des heiligen Georg in Ferrara. Der Schmuck an den Pilastern und Säulchen der Schräge ist unruhiger als in Ferrara, wo einzelne ganz glatte Streifen sich ruhig dazwischen legen. Auf jeder Seite stehen vier Prophetengestalten, Sie sind aber nicht so streng den architektonischen Linien untergeordnet, sondern treten selbständiger auf, die künstlerische Arbeit an ihnen ist geringer als die in den gleichen Figuren zu Ferrara. An den vordersten in der Fassadenfläche liegenden Pilastern sind in Relief Roland und Ollivier dargestellt. Es sind derbe und rohe Arbeiten, welche wahrscheinlich von einem älteren Bau stammen. Zum zweitenmal also finden wir hier in Oberitalien die nordische Heldensage vertreten. In den Ornamenten der Pilaster an der Schräge und in der Rundbogenumrahmung sind viele natürliche und phantastische Thiere dargestellt, aber auch Guirlanden tragende Genien nach antiker Weise.

 

Abb. 28: Portal am Dom zu Verona.

 

Der Vorbau ruht auf vier

 

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Abb. 29: Portalbau von San Zeno maggiore zu Verona

 

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Säulen. Die hinteren sind glatt, die vorderen schlankeren sind geometrisch verziert und stehen auf dem Rücken von Greifen, von denen einer die Räder an der Seite hat, wie zu Ferrara. Das statische Moment ist an der Stirnzeite der Architrave über den Säulen unter dem Tonnengewölbe der Vorhalle durch kauernde Träger ausgedrückt. Im Innern des Tonnengewölbes dicht über den Architraven sind in Relief die vier Evangelistensymbole dargestellt. Die Freude am Schmuck geht so weit, dass das ganze Tonnengewölbe mit parallelen Streifen ausgelegt ist, welche durch Ornamente oder durch die von Ferrara bekannten Kassetten mit Thieren verziert sind.

 

Die Fassade des Vorbaus ist ganz ähnlich wie in Ferrara. Ein Streifen von Kassetten, die abwechselnd Rosetten und Thiere enthalten, zieht sich um den Rundbogen, im Scheitelpunkt das Lamm, zu beiden Seiten des Rundbogens, hier in Nischen, die beiden Johannes. Unmittelbar unter dem schmalen Gesims, welches den oberen Abschluss des unteren Stockes bildet, zieht sich ein kleiner Rundbogenfries hin, in dessen Feldern eine Jagd dargestellt ist: ganz rechts kniet ein Schütze, ganz links laufen die Hunde herbei, und in den mittleren Bögen befindet sich das verfolgte Wild, Hirsche und Hasen. Je eine Rosette dazwischen erinnert daran, dass es sich hier doch nur um ornamentale Ausschmückung handelt.

 

Das Tonnengewölbe der Loggia im oberen Stock ruht auf je vier kurzen Säulchen, von denen die beiden vordersten Greife zur Unterlage haben. An der Fassadenwand um den Rundbogen ebenfalls Kasetten mit Rosetten und Thieren, im Scheitelpunkt ein sehr scharf gearbeiteter weiblicher Kopf in Hochrelief, an dem dreieckigen Giebel des Daches zieht sich ein gestelzter Rundbogenfries hin, der in Kerbschnittmanier reich verziert ist.

 

Auch an diesem Portal zeugt der ganze Aufbau von feiner architektonischer Empfindung. *)

 

Noch ein zweites Werk des Nikolaus befindet sich in Verona. Es ist der Portalbau von San Zeno maggiore (Abb. 29). Auch hier wird der Künstler genannt und zwar in einer Inschrift um den äussersten Rand des Tympanon, da steht:

 

ARTIFICEM GNARVM QVI SCVLPSERIT HEC NICOLAVM
OMNES LAVDEMVS CHRISTVM DNMQ ROGEMVS
CELORVM REGNVM SIBI DONET VT IPSE SVPNV. **)

 

Hier an San Zeno war die Thür schon von früheren Zeiten fertig. Sie liegt nach altchristlicher Weise flach in der Fassade. Wahrscheinlich lies man sie den Erzthüren zu Liebe bestehen, da bei einem Portal mit Schrägen die Thüröffnung hätte verkleinert werden müssen. Mit dieser Thürbildung passt ein Tympanon, welches durch diese neue Art von Vorhallen gefordert wurde, nicht zusammen. So ist denn die ganze Anordnung auch vollständig unorganisch. Ueber dem älteren, ursprünglich mit Malerei verzierten Architrav sitzen zwei Kapitelle, als endigten hier erst die Thürpfosten. Sie haben zwischen sich noch einen zweiten Architrav, welcher aus zwei über einander liegenden Streifen besteht. In dem niedrigeren unteren Streifen sind die beliebten Kassetten mit Rosetten und Thieren, welch letztere lange nicht so gut in den Raum komponirt sind wie in Ferrara, der obere Streifen ist mit einer

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*) Ob das südliche Seitenportal des Domes zu Verona eine Vorstufe zu dem Hauptportal oder eine vereinfachte Nachbildung desselben ist, kann nicht leicht entschieden werden. Der schwere Baldachin mit Tonnengewölbe und Dreiecksgiebel, auf dessen Spitze ein Löwe steht, ruht auf je zwei Säulen, in zwei Geschossen über einander. Der Architrav zwischen den beiden Geschossen links ist mit einem tragenden Mann in Relief verziert, welcher von einem Drachen bedroht wird. Da das Tragen in dieser Figur nur schlecht ausgedrückt ist, gewinnt es an Wahrscheinlichkeit, dass dieses Werk eine nicht ganz verstandene Nachahmung der Werke des Nikolaus ist. An der rechten Seite ist der Architrav durch einen liegenden Löwen ersetzt, was ebenfalls dem tektonischen Gefühl des Nikolaus widerspricht. Die Kapitelle der oberen Säulchen haben zwischen den Blättern Figürchen, bei den unteren sind die Seiten des Kämpfers plastisch verziert.

**) Artificem gnarum, qui sculpserit haec, Nicolaum,
Omnes laudemus, Christum Dominumque rogemus,
Caelorum regnum sibi(!) donet ut ipse Supernum.
Z. Plastik. 12

 

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Gallerie kleiner Rundbogenarcaden in Relief dekorirt, innerhalb derselben ist die Geschichte des heiligen Zeno dargestellt.

 

Der heilige Zeno empfängt von dem König Galienus als Dank die Krone und treibt der Tochter des Königs den Teufel aus. In der Ueberschrift

REX GALIENVS. ZENO QVERIT. ANELVS (Krone).

sind die Personen und Gegenstände bezeichnet.

 

In einem Kessel kocht ein Fisch, zwei Männer mit Fischen stehen dabei. Ueberschrift:

PISCES LEGATIS TRES DAT BONITAS SVA GRATIS. *)

 

Der Heilige fischt, ein Teufel entflieht. Von einem Karren, der mit zwei Ochsen bespannt ist, fällt ein Mann. Ueberschrift:

ZENO PISCATVR. VIR STAT DEMONQVE FVGATVR.

 

Dieses obere Stück des Architravs wird in der Mitte durchbrochen durch die schmale und hohe Reliefplatte, welche die Mitte des Tympanons einnimmt und den heiligen Zeno in Bischofstracht auf einem Drachen stehend enthält. Die Figur in höherem Relief auf besonderer Platte, wie am Dom zu Verona die Madonna, hebt sich vereinzelt heraus gegenüber den zu beiden Seiten des Heiligen in flachem Relief dargestellten Soldaten zu Fuss und zu Pferde. Beide Truppengattungen schaaren sich um Fahnen. Bei den Fusstruppen steht um den Rand des Tympanonfeldes der Hexameter:

DAT PRESVL SIGNVM POPVLO MVNIMINE DIGNVM. **)

 

Bei den Reitern:

VEXILLVM ZENO . A. GITVR CORDE SERENO. ***)

 

Der Künstler hat versucht, die Reihe der Reiter in die Bildfläche vertieft perspektivisch darzustellen und auch bei den Fusstruppen mehrere Reihen hintereinander zu geben. Das widerspricht dem klaren und einfachen Reliefstil des Nikolaus. Auch sind die Reliefs an dem Architrav im Ausdruck lange nicht so bedeutend, wie die Darstellungen an der gleichen Stelle des Domes von Ferrara. An diesen Reliefs ist die Bemalung ziemlich gut erhalten. Der Grund ist blau, die Gewänder sind grösstentheils grün.

 

Um das Tympanonfeld zieht sich im Halbrund ein Streifen mit schönem Rankenornament.

 

Der Vorbau ist nur eingeschossig und ruht auf zwei Säulen, die auf dem Rücken von zwei Löwen stehen. Die Architrave, auf welchen das Tonnengewölbe der Vorhalle aufsitzt, sind an der Stirnzeite wieder mit zwei kauernden Männern verziert, die mit dem Nacken und den erhobenen Händen den Oberbau tragen. Die beiden Seiten jedes Architravs zeigen in flachem Relief unter Rundbogenarcaden die Figuren der zwölf Monate. Der Cyklus fängt rechts aussen mit März an: März, ein Mann mit wehendem Haar, der in zwei Hörner blässt, also ein Windgott. April, ein Mann mit Blumen. Mai, ein Reiter. Juni, ein Früchte Pflückender. Juli, ein Mann beim Schneiden des Getreides. August, ein Mann, der ein Fass beschlägt. September, ein Winzer bei der Traubenlese. October, ein Mann mit einem Schwein, Eicheln vom Baum schlagend. November, ein Schweineschlächter. December, ein Mann, der im Walde geschlagenes Holz und eine Axt über der Schulter trägt. Januar, ein Mann, der

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*) In dem Gedicht des Presbyters Jakobus: Miracula S. Zenonis wird unter der sehr kurzen und nur andeutenden Aufzählung der Wunder von dem Heiligen gesagt:
Pisciculisque tribus concessis, quartus in unda
Ferventi, proprio velut amne, natabat, et inde
Ipsius imperio decoctus redditur ori.

Zu den drei Fischen, welche der heilige Zeno ihnen geschenkt, hatten die Gesandten noch einen vierten gestohlen, und dieser blieb selbst in dem kochenden Wasser lebendig.

**) Der Anführer übergiebt dem Volk das Feldzeichen, das des Schutzes werth ist.

***) Hexameter: Vexillum Zeno largitur corde sereno. Zeno verleiht das Feldzeichen mit heiterm Herzen.

 

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sich die Hände am Feuer wärmt. Februar, ein Gärtner, der Bäume beschneidet. Diese Monatsbilder kennzeichnen sich durch natürlichen und unbefangenen Stil.

 

Die Fassadenwand der Vorhalle ist wie gewöhnlich verziert. Der Rand des Rundbogens ist mit Kassetten versehen, in welchen Rosetten und Thiere liegen, im Scheitelpunkt das Lamm mit der Beischrift:
AGNVS HIC EST CVNCTI QVI TOLLIT CRIMNA MVNDI.

Zu beiden Seiten des Rundbogens stehen die beiden Johannes, links der Evangelist mit einem Schriftbande, auf welchem die Anfangsworte seines Evangeliums IN PRINCIPIO ERAT VERBVM stehen, während eine Inschrift neben ihm auf ihn als den Verfasser der Apokalypse hinweist. Sie besteht aus zwei Hexametern, von denen dem zweiten ein Versfuss fehlt:
ASTRA PETENS ALES BIBIT ALTA FLVENTA IOANNES
PECTORE DE XPI GVSTANS ARCANA. *)

Rechts steht Johannes der Täufer, auf dem Schriftbande in seiner Hand stehen die Worte ECCE AGNVS DEI und neben ihm die Inschrift:
SENSIT PREDIXIT MONSTRAVIT GVRGITE TINXKIT.

Nach oben schliesst die Fassade mit einem Dreieckgiebel ab, in dessen Mitte die Hand Gottes abgebildet ist, mit der Inschrift:
DEXTRA DEI GENTES BENEDICAT SACRA PETENTES.

 

Dieser Portalbau ist noch weniger sorgfältig gearbeitet als der am Dom zu Verona. Bei beiden werden wir eine starke Mitarbeit von Gehülfen annehmen dürfen, da wohl die wachsende Zahl der Aufträge dem Meister nicht mehr gestattete, so sehr bis ins Einzelne alles Selbst auszuführen wie in Ferrara.

 

Der Portalschmuck von San Zeno zu Verona wird vervollständigt durch die Reliefs, welche sich zu beiden Seiten der Thür an der Fassade befinden. Sie werden durch Pilaster, die mit antikisirendem Rankenwerk verziert sind, in zwei senkrechte Reihen geschieden und haben auch wagerechte Ornamentstreifen zwischen sich.

 

Auf der rechten Seite des Portals sind dargestellt von unten links anfangend:
1. König Theodorich zu Pferde auf einem Horn blasend. Dabei die Hexameter:
O REGEM STVLTVM PETIT(IT) INFERNALE TRIBVTVM
MOXQVE PARATVR EQVVS QVEM MISIT DEMON INIQVVS
EXIT AQVA NVDVS PETIT INFERA NON REDITVRVS **)

2. Zwei Hunde verfolgen einen Hirsch, welchen ein Mann beim Geweih packt; Inschrift:
NISVS EQVVS CERVVS CANIS HVIC DATVR. HOS DAT AVERNVS.

3. Erschaffung der Thiere. Gott, in jugendlich unbärtiger Gestalt wie Christus, steht links, während die rechte Seite des Feldes mit einer Anzahl verschiedener Thiere gefüllt ist.

4. Erschaffung Adams. Vor einem mit Ranken verzierten Hintergrunde schläft Adam in halb sitzender Stellung. Gott steht vor ihm und erhebt segnend die Hand gegen ihn.

5. Erschaffung der Eva. Gott zieht Eva aus der Seite des schlafenden Adam hervor. Hintergrund des Feldes Rosetten.

6. Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntniss beim Sündenfall. Sie stehen einander gegenüber, Eva nimmt der Schlange, welche sich um den zwischen ihnen stehenden Baum windet, die Frucht aus dem Maul.

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*) Beflügelt nach den Sternen strebend, trinkt Johannes die Strömungen der Höhe, die Geheimnisse aus der Brust Christi kostend.
**) O, der höllische Tribut sucht den thörichten König. Und alsbald wird das Pferd bereitet, welches der erzürnte Teufel schickte. Er geht nackt aus dem Wasser hervor und eilt in die Hölle, von wo er nicht zurückkehren wird.

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7. Vertreibung aus dem Paradiese. Der Engel treibt Adam und Eva vor sich her.

8. Adam und Eva bei der Arbeit. Eva sitzt da mit ihren beiden Kindern an der Brust und spinnt. Adam bearbeitet mit einer Hacke das Feld.

 

In den beiden Lünetten, welche die beiden senkrechten Reihen von Relieffeldern oben abschliessen, sind dargestellt links ein Kentaur, der einen Drachen mit der Rohrflöte schlägt, rechts ein Esel, welcher Zither spielt. Zu beiden Seiten und zwischen den Rundbogen ragen die Halbfiguren von Löwen hervor.

 

Ueber dem Felde, auf welchem Gott Adam erschafft, steht der Hexameter:
+ HIC EXEPLA TRAI POSSVT LADS NICOLAI. *)

 

Hier tritt uns wieder der Name Nikolaus entgegen, und obgleich diese Reliefs zum grössten Theil ziemlich ungeschickt sind, werden wir hinter diesem Namen doch den uns bekannten Künstler der Portalbauten vermuthen müssen, wenn der Meister selbst an dieser Arbeit wohl auch so gut wie gar nichts gethan, sondern alles durch Gehülfen hat ausführen lassen. Künstlerische Gründe sind es, welche für die Werkstatt unseres Nikolaus sprechen: Das freilich sehr verdorbene Pferd des Theodorich stimmt mit den Pferden im Tympanon überein. Bei dem nackten Körper Adams ist die Muskulatur der Beine durch vertiefte Striche angegeben, das gleiche findet bei den Pferden im Tympanon statt. Ferner zeigen die Vögel und vierfüssigen Thiere, welche Gott erschafft, Verwandtschaft mit ähnlichen Gestalten in den Kassetten des Portalbaus. Die beiden untersten Reliefs sind begrenzt durch einen Streifen von Kassetten mit Thiergestalten, der bei Nikolaus so beliebten Decoration. Ferner spricht für Nikolaus die Schönheit des Ornaments, das desselben Geistes ist wie die Rankenornamente an seinen anderen Werken. Die Gestalt Gottvaters erhebt sich in ihrem künstlerischen Werth bedeutend über die anderen, das kommt daher, dass hier dem Steinmetzen ein ganz besonders gutes, jedenfalls altchristliches Vorbild zur Hand gewesen ist.

 

Links von dem Portal ist dargestellt ebenfalls von unten links anfangend:
1. Zwei zu Pferde kämpfende Ritter. Links neben diesem Relief am Pilaster kniet ein Betender, hinter ihm steht eine Frau mit der Beischrift: MATALIANA.
2. Zwei zu Fuss kämpfende Ritter. An dem Pilaster neben diesem Feld ebenfalls eine Frau.
3. Auf die Pilaster übergreifend: Verkündigung, Begegnung und Geburt Christi.
4. Verkündigung an die Hirten und die drei Könige vor Herodes.
5. Anbetung der drei Könige. Die Composition wird durch zwei Säulchen getheilt, welche wohl andeuten sollen, dass die Scene sich in der Halle eines Hauses oder Palastes abspielt. Die Madonna thront links mit dem Kinde, der vorderste König ist auf die Knie gesunken, während die beiden anderen mit ihren Gaben in der Hand wartend dahinter stehen.
6. Darbringung im Tempel und der Engel sagt zu Joseph, er solle nach Aegypten fliehen. Bei der letzteren Scene schläft Joseph nicht, sondern steht dem Engel gegenüber.
7. Flucht nach Aegypten. Joseph trägt an einem Stock ein Bündel über der Schulter und führt den Esel, welcher die Madonna mit dem Kinde trägt, am Zügel.
8. Taufe Christi. Nur Christus, Johannes und die Taube, welche auf Christus herabfliegt.
9. Gefangennahme. Christus empfängt von Judas den verrätherischen Kuss, Kriegsknechte umringen die Gruppe, Petrus schlägt dem Kriegsknecht über‘s Ohr.
10. Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes.

 

Ueber den beiden senkrechten Reihen von Reliefs befinden sich zwei kleine Dreiecksgiebel. In dem links ist die segnende Hand Gottes dargestellt, in dem rechts das Lamm. Zu beiden Seiten und

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*) Hic exempla trahi possunt laudis Nicolai. „Laudes“, wie Giov. Orti Manara (L‘antica basilica Veronese di S. Zenone Maggiore. Verona 1838) liest, giebt keinen Sinn.

 

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zwischen den beiden kleinen Giebeln sind in Hochrelief kauernde Gestalten, welche das obere Gesims stützen.

 

Ueber den Verfertiger dieser Reliefs belehrt uns eine aus zwei Hexametern bestehende, sehr beschädigte Inschrift am oberen Gesims:
+ QLEGISIS/LILN\TVMPLCCM\RIESALVE- TIETNVQSCULPRITISTAGUILLELMVM. *)

 

Diezer Wilhelm ist sicher nicht der Wilhelm vom Dom zu Modena, sondern ein Schüler und Gehülfe des Nikolaus. Dass Nikolaus auch bei diesen Reliefs, die noch viel schlechter sind, als diejenigen rechts von der Thür, die Hand mit im Spiele hat, zeigt der kleine Streifen mit Kassetten unter den untersten Reliefs, das beweisen die Trägerfiguren zwischen den Dreiecksgiebeln. Wie bei den Reliefs rechts von der Thür sind hier ältere Vorbilder, wie es scheint, Elfenbeinarbeiten nachlässig und ungeschickt nachgeahmt. Die Rankenornamente an den Pilastern sind ganz missverstanden und denjenigen von der anderen Seite weit unterlegen. Auch an der Vorderseite der beiden Thürpfosten sind Rankenornamente und zu oberst ganz unorganisch je eine tragende, knieende Figur, wo nichts zu tragen ist. Die Ornamente schlieszen sich in ihrem Charakter jedesmal dem Charakter der benachbarten Fassadenreliefs an.

 

Diese Seitenreliefs, deren Gesammteindruck unordentlich und unruhig ist, haben nicht dazu beigetragen, die Fassade von San Zeno zu verschönern.

 

Den bisher genannten, durch Inschriften beglaubigten Werken des Nikolaus reiht sich noch ein weiteres an, welches zwar durch keine Inschrift ihm zugewiesen wird, das aber durch genaue Uebereinstimmung der ganzen Anordnung und vieler Einzelheiten mit seinen früher genannten Arbeiten

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*) Qui legis . . . . . natum . . . . . . . . . mar . E (?)

 

Salvet in eternum qui sculpserit ista Guillelmum.

 

 

Einfügung: Fassade des Domes zu Piacenza IMG_5498

 

Abb. 30: Linkes Nebenportal in der Fassade des Domes zu Piacenza.

 

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Abb. 31: Rechtes Nebenportal in der Fassade des Domes zu Piacenza.

 

sich als in den Kunstkreis dieses Meisters gehörig erweist. Es sind die beiden Nebenportale an der Fassade des Domes zu Piacenza mit ihren Vorbauten (Abb. 30 u. 31) und das Hauptportal ohne den im 16. Jahrhundert hinzugefügten Vorbau. Zwar werden wir hier ebensowenig wie an den Portalen zu Verona überall die eigene Hand des Meisters erkennen, aber jedenfalls ist er mit weiner Werkstatt hier thätig gewesen.

 

An der Fassade des Vorbaus vor dem Nebenportal zur Rechten steht eine moderne Inschrift, welche jedoch ohne Zweifel die Copie einer alten Inschrift ist, die vielleicht an anderer Stelle gestanden hat. Die Inschrift lautet:
CENTVM VICENI DVO XPI POST MILLE
FVERE
ANNO CVM INCEPTVM FVIT HOC
LAVDABILE TEMPLVM. **)

 

Wenn wir die Jahreszahl 1122 nicht nur auf den Beginn des Kirchenbaus, sondern auch auf die Errichtung der Portale beziehen, so wäre dieses Werk 13 Jahre früher entstanden, als das Portal des Domes von Ferrara, von welchem wir in unserer Betrachtung ausgegangen sind. Wie schon erwähnt, ist in Piacenza wenig eigenhändige Arbeit des Nikolaus zu erkennen, und das Ganze trägt nicht einen so ausgesprochen persönlichen Charakter wie das Portal von Ferrara. Daher werden wir nicht fehl gehen, wenn wir es mit den Portalen zu Verona erst in die spätere Zeit des Meisters setzen. In der Schönheit

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*) Der Verfasser verdankt die Copien der Inschriften an diesen Portalen der Güte der Herren Prof. Camillo Guidotti und Arciprete Gaetano Tononi in Piacenza. Ein Buch des ersteren über die Kathedrale von Piacenza zu Gunsten ihrer Wiederherstellung wird in Piacenza verkauft. In dem Buch Descrizione dei monumenti e delle pitture di Piacenza corredata di notizie isforiche. Parma 1828 S. 16 wird angegeben, dass die ältere Kirche, welche an der Stelle der jetzigen Kathedrale stand, im Jahre 1117 durch ein Erdbeben zerstört wurde. Vergl. ferner Luciano Scarabelli: Guida ai monumenti storici ed artistici della città di Piacenza. Lodi 1841

 

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der architektonischen Composition erreichen die Portale von Piacenza selbst die von Verona nicht, so dass ein noch geringerer Antheil des Meisters wie an jenen anzunehmen ist.

 

Die beiden Nebenportale sind zweistöckig. Die Säulen des Vorbaus werden wie in Ferrara von sitzenden Männem getragen, welche beide Hände (einmal nur eine Hand) stützend erheben. Der äussere Träger am linken Nebenportal sitzt auf drei Löwen, deren Köpfe vorn und an den beiden Seiten hervor schauen. Der linke Träger des rechten Portals sitzt auf einem nicht mehr erkennbaren geflügelten Thier. An den Postamenten liest man die Inschrift:
O QAM GRANDE FERO PONDVS SYCVR (?)

 

Die Säulchen sind schlank und mit korinthischen oder Compositkapitellen versehen. Die Schräge ist nur wenig tief und besteht aus zwei Pfosten und einem Säulchen. An den Kapitellen dieser Glieder am linken Portal sind knieende Tragefiguren angebracht, von denen die eine vor Anstrengung die Zunge ausstreckt. An den entsprechenden Stellen des rechten Portals ist links der Brudermord Kains (CAIN) an Abel (AB . .) dargestellt, rechts zwei Weinende, vielleicht Adam und Eva nach ihrer Vertreibung aus dem Paradiese. An der Vorderseite der innersten Thürpfosten sind an Stelle der Kapitelle Tugenden dargestellt, links PACIENcia und eine unbezeichnete gekrönte weibliche Figur; rechts PACIENCIA und VMILITAS. *) Ihnen entsprechen an der Innenzeite der Pfosten als Tragefiguren des Architravs wahrscheinlich an allen drei Portalen die Laster. Die betreffenden Figuren sind an den Nebenportalen durch die modernen Hotzthüren verdeckt, am Hauptportal aber sind sie durch die Inschriften VSVRA und AVARITIA kenntlich gemacht. So sind hier die Laster in dienender, geknechteter Stellung, die Tugenden triumphirend dargestellt. -- Der Architrav der beiden Nebenportale ist wie in Ferrara durch eine kleine Arcadengallerie gegliedert, der aber das Schlanke und Elastische an jenem Portal fehlt. Am Architrav des linken Portals (Abb. 32) sind dargestellt: Verkündigung, Begegnung, Geburt Christi, wobei Maria und Joseph beide schlafen, das Kind in der Krippe liegt und Ochs und Esel hinein schauen, Verkündigung an die Hirten, Anbetung der Könige. Am Architrav des rechten Seitenportals wird die Erzählung fortgesetzt, und jede Scene wird von einer Inschrift am oberen Rande begleitet: Darbringung im Tempel OFFERTVR DEVS, Flucht nach Aegypten AETOS FVGIT, Taufe Christi SIC FONTE LAVAT, und die drei Scenen der Versuchung Christi durch den Teufel: der Herr in der Wüste, auf der Zinne des Tempels und auf dem Gipfel des Berges, Darstellungen, welche in der Plastik der damaligen Zeit ganz vereinzelt dastehen, TEMTATVR TRIPLICE DEVS ARTE DOLISINI(?). An der unteren Kante des Architravs steht der Hexameter:
HOC OPVS INTENDAT QVIS QVIS BONVS EXIT ET INTRAT.

An allen drei Portalen ist das Tympanon nicht figürlich verziert, nur ein schmaler halbrunder Streifen mit Rankenornament umrahmt es nach oben.

 

Der Rundbogen, in welchen sich die Vorhalle nach oben öffnet, ist am Rande mit viereckigen Kassetten verziert, welche nicht wie an den früher genannten Werken des Nikolaus Zwischenräume zwischen sich haben, sondern dicht aneinander gereiht sind, wodurch die Umrahmung nicht zu ihrem Vortheil schwerer erscheint. Am linken Nebenportal befindet sich im Scheitelpunkt in einem Medaillon das Lamm mit dem Kreuzesstabe. Zu beiden Seiten des Rundbogens sind bei beiden Portalen die üblichen Einzelgestalten in Relief angebracht, welche wohl auch hier die beiden Johannes bedeuten sollen. Bei dem oberen Stockwerk ruhen die Säulchen auf dem Rücken von Löwen, im Giebeldreieck des linken Portals ist ein Adler dargestellt. In diesen oberen Stockwerken ist die Fassadenwand in einer Nische vertieft.

 

Vom Figürlichen sind am besten die je zwei Johannes an der Vorderwand gearbeitet, während die Skulpturen der Achitrave ziemlich plump und ausdruckslos sind.

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*) Nicht utilitas, wie Scarabelli angiebt.

 

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Einfügung: Tympanon und Architrav des Hauptportals am Dom zu Piacenza IMG_5502

 

Abb. 32 Architrav des linken Nebenportals am Dom zu Piacenza.

 

Die Kunst des Nikolaus Gipfel der oberitalischen Plastik ist der erste Gipfel der oberitalischen Plastik in der romanischen Epoche. Wir haben gesehen, wie der Künstler aus der vorhergehenden Entwicklung herausgewachsen ist und bei eifrigem Studium, glücklichster harmonischer Veranlagung und ausgestattet mit selbständiger und beherrschender Persönlichkeit alle früheren Bemühungen zusammenfasst und zu einer bedeutenden Kunstleistung erhebt. Aber Gedanken und Formen, welche eines Zeitalters vollendeter Kunst würdig waren, liegen in ihm dicht neben archaisch Unvollkommenem und Ungeschicktem. Das ist im Einzelnen dieselbe Erscheinung, die in der ganzen romanischen Kunst aller Länder zu bemerken ist. Alle Künste der romanischen Epoche, ja selbst die weitaus bedeutendste unter ihnen, die Baukunst, haben keine folgerichtige, auf ein bestimmtes Ziel zuschreitende Entwicklung aufzuweisen, sondern gehen durchaus sprunghaft vor. Das liegt daran, dass sie immer nach den vollendeteren Kunstleistungen früherer Epochen, nach der Antike, der altchristlichen und byzantinischen Kunst zurückschielen und die Form von ihnen entlehnen, ja auch im Inhalt oft nicht selbständig sind. Bei der Baukunst, der einzigen Kunstgattung, welche nach dem höchsten künstlerischen Maassstabe gemessen werden kann und sich der Architektur der grössten Epochen gleichwerthig an die Seite stellt, hat dieses Schwankende Vorgehen die herrliche Vielgestaltigkeit gezeitigt, welche dem

 

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romanischen Baustil eine solche Mannigfaltigkeit verliehen hat, wie sie keine andere Zeit aufweisen kann. Wohl kaum eine einzige romanische Kirche ist nach einem einheitlichen Plan erbaut, und die Zusammenstellung der einzelnen Bautheile erhält immer etwas Willkürliches, und wenn dieses auch grade einen Theil der hohen Schönheit der romanischen Architektur ausmacht, so ist es doch andererseits sehr charakteristisch für die Zeit. Auch bei der Architektur hat eine Paarung von archaisch Unbeholfenem und vollendet Freiem und Schönem stattgefunden, was dem Stil einen ganz besonderen Reiz verleiht, bei Plastik und Malerei hingegen muss man sich in Folge davon sehr oft an das halten, was die Künstler gewollt, und nicht, was sie erreicht haben. Das Architektonische und das Tektonische in den Leistungen des Nikolaus ist von vollendeter Kunsthöhe und Schönheit, im Inhaltlichen finden wir die herrlichsten Gedanken. Seine persönliche künstlerische Kraft ist so gross, dass wir im Figürlichen die Unbeholfenheit und Fehlerhaftigkeit der Form übersehen, aber diese Fähigkeit reicht schon nicht aus, dass er sie auf seine Schüler und Gehülfen übertragen kann: die Arbeiten, welche nicht direkt aus seiner Hand hervorgegangen sind, stehen zum Theil sehr tief. Es fehlte dieser ganzen Epoche eine systematische Schulung. Wir haben in den Reliefs der zweiten Reihe an den Bronzethüren von Verona überaus glückliche Momente gefunden, aber das, was ihr Verfertiger an künstlerischer Schulung besass, war sehr wenig. Wilhelm von Modena war seinem natürlichen Instinkt gefolgt, ohne sich viel um Vorbilder zu kümmern, das haben wir als sehr gut gepriesen, denn dadurch ist die oberitalische Plastik davor bewahrt worden, sklavisch zu kopiren, und von vornherein mit frischem Leben erfüllt worden. Wir haben diesen freien, selbständigen Geist in allen anderen Skulpturen wiedergefunden. Auf der anderen Seite aber hat er die systematische Ausbildung der Bildhauer behindert, und als nun einmal in Nikolaus ein Mann von ganz besonders glücklicher Veranlagung für die Form auftrat, da konnte er das Erlernte, -- und es war im Figürlichen auch nur äusserlich erlernt -- nicht weiter vererben. Er blieb mit seiner Formvollendung vereinzelt.

 

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Quelle:

Oberitalische Plastik im frühen und hohen Mittelalter

von Max G. Zimmermann.

Leipzig. Verlag von A. G. Liebeskind. 1897. S. 77 bis 97.

 

Hinweis: Die eingefügten Fotos sind kein Bestandteil der Originalarbeit. Die Fotos wurden 2013 bei einer Studienreise nach Norditalien aufgenommen.