Kaiserdom Königslutter Chor

 

Architektur und Kunst drücken seit jeher den Wunsch ihrer Erbauer, Erschaffer und Auftraggeber aus, Schönheit, Wohlstand, weltIiche und religiöse Machtansprüche abzubilden. Dies geschieht durch Form- und Materialwahl, den Einsatz von unterschiedlichen Technologien, die Art der künstlerischen Ausgestaltung mit Farben, Motiven und Ornamentik, den gewählten Bauplatz und die Qualität der eingebundenen Baumeister, Architekten, Künstler und Handwerker. Der diesjährige Tag des offenen Denkmals am Sonntag, dem 10. September, soll dazu anregen, sich mit den vielfältigen Ausdrucksformen von »Macht und Pracht« in den Bereichen von Architektur- und Kunstgeschichte einmal bewusster auseinanderzusetzen. Die ehemalige Klosterkirche in Königslutter teilt sich den Ehrentitel »Kaiserdom« mit wenigen anderen Kirchen in Deutschland — darunter Aachen, Speyer, Mainz und Worms. Alle sind mit dem römisch-deutschen Kaisertum in Verbindung zu bringen. Sie sind kaiserliche Gründungen, Grablegen oder Krönungsorte. Es sind besondere, architektonisch anspruchsvolle Bauwerke. Außer der Frömmigkeit ihrer Bauherren und Stifter sollten sie auch deren besondere Stellung im Reich zum Ausdruck bringen. So ist es auch in Königslutter: Der Bau ist ein »Statement« Lothars III. Als Kaiser war er weltlicher Verteidiger des Christentums und neben dem Papst der mächtigste Mann im Reich. Am Tag des offenen Denkmals werden am Kaiserdom 30-minütige, kostenfreie Kurzführungen um 14, 15 und 16 Uhr angeboten. Treffpunkt ist jeweils das Löwenportal des Kaiserdoms.

 

 

 

Quelle: Stadtspiegel Ausgabe 17/17. Freitag, 25. August 2017 Seite 6

 

 

 

 

Das Bauwerk im Spiegel der Fachwelt: Constantin Uhde

Constantin Uhde, Professor für Architektur, Baukunst der Antike, Mittelalter und Renaissance an der Herzoglichen Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig, kennzeichnete in seinem Buch „Die Konstruktionen und Kunstformen der Architektur Band 3 ab S. 183 die Architektur des von Kaiser Lothar III. in Königslutter erbauten Kaiserdoms mit folgenden Worten:

 

„Die vom Kaiser Lothar von Süpplingenburg erbaute Stift- und Grabeskirche, Fig. 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, wurde 1135 begonnen und in der Choranlage um 1200 vollendet. Der zum Kloster gehörende Kreuzgang mag sehr wahrscheinlich noch später zu datieren sein.

Man kann an allen Detailformen dieses Bauwerkes die fortschreitende Feinheit bei aller individuellen Selbständigkeit erkennen, die hier ein Bauwerk geschaffen hat, welches in seiner Durchbildung der Technik und monumentalen Grossartigkeit der Verhältnisse, gepaart mit korrekter Gestaltung von Gliederung und Ornament, als Parthenon der romanisch deutschen Baukunst angesehen werden kann.


Fig. 212 Säulenkapitäl a. d. Kreuzgang zu Königslutter
Fig. 212 Säulenkapitäl a. d. Kreuzgang zu Königslutter

Fig. 213.  Haupt- und Gurtgesimse an der Stiftskirche zu Königslutter

 

Fig. 216.  Mittelsäulen des Kreuzganges an der Stiftskirche zu Königslutter

 

Sind auch die Symbole der christlichen Religion geblieben (Löwenportal und Fries an der Abside), so sind doch alle Einzelformen selbständig erfunden, ohne auf die Antike zurückzugreifen. Besonders die Hauptgesimse am Chor mit Bogenfries, Akanthusblattreihe und grosser Hohlkehle sind so schön disponiert, dass sie als formvollendet gelten können und nur ein weiteres Naturstudium dazu gehört, um auf dieser Grundlage die mustergültigen gotischen Hauptgesimse des XIII. Jahrhunderts zu schaffen.
Etwas dürftig und nur konstruktiv gelöst ist das Giebeldreieck. Der Bogenfries wird horizontal unter dem Giebeldreieck weitergeführt, während die grosse Hohlkehle stumpf abgeschnitten wird und das Quaderwerk mit der schrägen Dachfläche stumpf bis zur Spitze ansteigt. Es fehlt in dieser Konstruktion der obere Schluss durch ein vorspringendes, schattenwerfendes Gesimse, für das man die Form der richtigen Vereinigung mit der Hohlkehle der Traufe nicht gefunden hat.
Ob die nebengezeichnete Lösung (Fig. 213, 214) bei vielen rheinischen Kirchen (Sinzig, Fig. 214A) besser ist als die einfache Konstruktion, ist fraglich. Auch hier sieht man römische Tradition.
Die Säulen des Kreuzganges gehören zu den schönsten, welche die romanische Kunst geschaffen hat und können mit Recht als national deutsch angesehen werden.

Der Dom zu Braunschweig.
Eine grosse Zahl von Kirchen, von denen besonders der Dom zu Braunschweig (1173-1227) genannt werden mag, sowie die Kirche in Hamersleben, geweiht 1178, schliessen sich in ähnlichem Aufbau und ähnlicher Formgebung den gleichaltrigen thüringischen Bauten an. Unter diesen soll an Paulinzelle erinnert werden.
Schon durch die verwandschaftlichen Beziehungen der Erbauer steht der Dom Heinrichs des Löwen zu Braunschweig auch in künstlerischer Beziehung der Stiftskirche des Kaisers Lothar von Süpplingenburg am nächsten, obgleich dieser Dom mit geringeren Mitteln und weniger ornamentalen Zutaten ausgestattet war.
Eine bessere Giebellösung sehen wir auf Fig. 219A.
Die quadratischen Pfeiler mit den Ecksäulchen sind feiner und leichter als in Königslutter.
Die Profile des Sockels haben die konventionelle Form des attischen Säulenfusses verlassen und bestehen nur noch aus schrägen Hohlkehlen und Wulsten.“


Quelle:
Constantin Uhde, Die Konstruktionen und Kunstformen der Architeltur – ihre Entstehung und geschichtliche Entwicklung bei den verschiedenen Völkern, Band 3 Der Steinbau, Seiten 181 bis 189
verlegt bei Ernst Wasmuth Berlin 1904

Hinweis: Das Hervorheben zweier Absätze mit Kernaussagen zum Kaiserdom in Königslutter erfolgte nachträglich zur Verbesserung der Lesbarkeit. Die Federzeichnungen im Original wurden durch photografische Aufnahmen von 2012 ersetzt.

2005 organisierte die Universitätsbibliothek in Braunschweig eine Ausstellung zum 100. Todestag Constantin Uhdes. Dabei veröffentlichte man auch eine umfassende Liste seiner in Braunschweig realisierten Architekturprojekte. Material zu dieser Ausstellung ist über folgenden LINK verfügbar:
http://www.biblio.tu-bs.de/ausstellungen/uhde/uhde.pdf

Hr. Prof. Leitzen hielt am 23.10.1905 in Braunschweig eine Gedächtnisrede auf Constantin Uhde, aus der Interessierte Etappen seines Lebens entnehmen können. Diese Rede ist ebenfalls im Internet über folgenden LINK verfügbar:
http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00029893

 

 



Das Bauwerk im Spiegel der Fachwelt: Wilhelm Lübke

„Die Benediktiner-Abtei Königslutter wurde 1135 von Kaiser Lothar und seiner Gemahlin Frau Richsa gestiftet, deren Gräber sich dort befinden. Je reicher und grossartiger dieses ausgezeichnete Monument aus der Blüthezeit romanischer Architektur ausgestattet ist, um so auffallender, dass man, von der anmuthigen, in jener Zeit beliebten Vermischung von Säulen und Pfeilern absehend, zu der etwas nüchternen Anordnung reiner Pfeilerstellung griff. Die drei Langschiffe setzen sich jenseits des Querschiffes fort und schliessen mit den entsprechenden drei Chornischen, zu denen an den Flügeln des Kreuzschiffes noch zwei Nischen kommen; auf der Durchschneidung von Langhaus und Querschilf erhebt sich, wie bei S. Godehard in Hildesheim, der achteckige Hauptthurm , während zwei kleinere achteckige Thürme im Westen sich an die Nebenschiffe lehnen. In der Mitte der Westfassade fand sich ein Portal; durch dieses trat man in die von den beiden Thürmen eingeschlossene Vorhalle, über welcher sich der herkömmlichen Anordnung gemäss eine Empore befand. Das Mittelschiff, durch acht Arkadenbögen jederseits von den Nebenschiffen getrennt, ist von vier Kreuzgewölben überdeckt. Diese sind jedoch später (1695) hinzugefügt; ursprünglich war das Mittelschiff ohne Zweifel flach gedeckt, während der Chor, die Verlängerung der Seitenschiffe und das Querschiff noch das alte Kreuzgewölbe haben. Dieses ruht auf zierlichen, aus der Wand hervortretenden Halbsäulen und andrerseits auf dem Pfeiler, dieselbe Anlage scheint auch in den Nebenschiffen geherrscht zu haben. Von einem feinen Sinn für die Entwicklung des Gewölbebaues zeugt an der mittleren Vierung des Querschilfes die Anordnung schlanker, in den Pfeilerecken aufsteigender Halbsäulen, deren Fortsetzungen die breiten Quergurten einschliessen und so diesen sonst empfindungslosen breiten Bändern einen Ausdruck von Leben und zusammengefasster Kraft verleihen. Aus demselben Gefühl ist eine andre Anordnung entsprungen: vor dem Pfeiler, der die Verbindungsarkade zwischen Chor und verlängertem Nebenschiff trägt, erhebt sich eine freistehende, mit dem Pfeiler jedoch durch Basis und Gesims zusammenhängende Säule mit prachtvollem Kapitäl, von welcher ein kräftiger Bogen aufsteigt, den Arkadenbogen des Pfeilers begleitend und umfassend. - An dem Aeussern der Kirche hat das Bestreben, die architektonischen Massen organisch zu gliedern, zu einer hohen Harmonie sich entwickelt. Doch gilt dies nur für die östlichen Partien; die Langschiffe sind, dem Innern entsprechend, viel schmuckloser gehalten. Bemerkenswerth ist das am nördlichen Nebenschiffe befindliche Hauptportal, dessen Säulen jederseits auf einer ungeheuerlichen Löwenfigur ruht; ein phantastisches, offenbar aus Italien entlehntes Motiv. - Der Kreuzgang, von welchem noch ein Flügel erhalten ist, wird von zehn freistehenden, ausserordentlich zierlichen Säulen der Länge nach in zwei Schiffe getheilt, eine Anordnung, die sich auch in dem Kreuzgange des Klosters Walkenried findet. Diese Säulenreihe schliesst an beiden Enden mit einem aus der Wand vortretenden Pfeiler, dessen Bestimmung originell genug durch eine in der Pfeilerfläche angebrachte unter der Last des Gewölbes sich krümmende koboldartige Figur ausgedrückt ist. Auch diese Säulen, so wie die mit höchster Anmuth dekorirten Fensteröffnungen hat eine unerschöpfliche Phantasie mit zahllosen bildlichen Darstellungen geschmückt, von denen die meisten grosse Eleganz und Schönheit der Formen zeigen.“

Quelle:
Wilhelm Lübke: Beitrag zur Kunstgeschichte des Mittelalters in Niedersachsen; Deutsches Kunstblatt für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk, Jg.1 (1850) Nr. 20 S. 156-158

 

„Von den flachgedeckten Basiliken leitete uns die theilweise gewölbte Laurentius-Kirclıe in Schöningen zu den ganz auf Gewölbe angelegten Monumenten hinüber. Unter diesen ist als eins der bedeutsamsten die Abteikirche Königslutter hervorzuheben, über die ich im Dürer-Jahrgange unseres Kunstblattes No. 20; S. 157ff. berichtet habe. Diese Kirche ist an Grösse und Adel der Verhältnisse; an reicher Pracht der Durchführung, an Trefflichkeit des Materials und dessen Behandlung die Perle unter den Bauwerken weit und breit. Nachdem ich sie selbst wiederholt besucht habe, möge mir vergönnt sein, meinen früheren nicht auf Autopsie beruhenden Notizen noch Einiges hinzuzufügen.
Die Grundform der Kirche ist bekanntlich die der üblichen drei Langschiffe, die durch sieben Pfeilerpaare getrennt werden; eines Kreuzschiffes, auf dessen mittlerem Quadrate sich der achteckige Hauptthurm erhebt; des Chores, der mit den als Seitenchöre verlängerten Nebenschiffen zusammenhängt, und eines reichen Nischensystemes, indem ausser der Haupttribüne noch vier kleinere vorhanden sind. In den östlichen Theilen der Kirche, dem quadratischen Chor-Raume, den Nebenchören, den drei Quadraten des Kreuzschiffes ist das ursprüngliche gurtenlose, rundbogige Kreuzgewölbe erhalten; die tragenden Glieder sind aufs reichste und edelste gegliedert, indem Halbsäulen mit prachtvoll verzierten Kapitälen die Pfeilerecken ausfüllen, als Träger der Verstärkungen der Scheidbögen und der Kreuzgewölbe. Wäre das hier zu hoher Anmuth ausgebildete System durch alle Theile des Baues consequent beibehalten worden, so wäre diese Kirche unbedingt das edelste Produkt der romanischen Architektur in den ganzen deutschen Landen, und selbst die besten Monumente des rheinischen Gebietes, obwohl an Pracht der Ausstattung allen verwandten Anlagen Deutschlands weit überlegen, dürften sich an harmonischer, einheitlicher Durchbildung mit ihm nicht messen. Nun aber hört mit dem Beginne des Langhauses plötzlich jene feine Ausführung auf; das Mittelschiff ist kahl und einförmig, und die offenbar später eingesetzten spitzbogigen Gewölbe, deren Pilasterstützen auf baroken Konsolen unschön dicht über dem Horizontalsims ruhen, und deren Schildbögen hart in die Halbbögen der Fenster einschneiden, geben einen unerfreulichen Eindruck. In den Seitenschilfen ist nur das erste Gewölbequadrat noch in der Weise der angrenzenden östlichen Theile zierlich mit Pilaster und Halbsäulchen gegliedert; von da ab verfällt alles Uebrige gleicher Nüchternheit, und merkwürdig genug begegnet uns beim Aeusseren der Kirche gerade auf derselben Stelle die letzte Spur zierlicher Detaillirung, da die Wandflächen des Langhauses im Uehrigen kahle, unbelebte Mauermassen bieten. Mit der westlichen Vorhalle ist schon früh eine Veränderung vorgenommen worden; man gab nämlich, wie dies oftmals anderwärts geschehen ist, den westlichen Eingang, der ohnehin niemals Haupteingang war, auf, vermauerte das Portal und schuf den Raum der Vorhalle zu einer gruftartigen Kapelle um, deren niedriges rundbogiges Kreuzgewölbe in zwei Säulen seine Stützen fand. Zwischen diesem Gewölbe und dem Boden der Loge ist noch jetzt ein Raum vorhanden, der zur Bälgenkammer dient und dessen Tonnengewölbe das der ehemaligen Vorhalle ist. Man entdeckt an demselben noch die Spuren einer Bemalung, unter welcher wir ohne Zweifel die alte zu erkennen haben. Denn diese, bauliche Uıngestaltung der Vorhalle geschah in den letzten Zeiten des romanischen Styles; dafür sprechen die rundbogigen Kreuzgewölbe, die Kelchform der Säulenkapitäle und die bereits im Spitzbogen überwölbte Thür, die aus dem Mittelschiffe hineinführt. Gegenwärtig ist eine Untersuchung dieser Gemälde nicht ausführbar. Das schon von mir erwähnte seltsam gestaltete Hauptortal hat leider viele Verstümmelungen erfahren; bei einer genaueren Durchforschung der Kirchenräume erst entdeckte ich in einigen, durcheinandergeworfenen Steintrümmern die Tatze des einen Löwen, welche den Oberkörper eines zierlich gelockten Kindes gefasst hält; wahrscheinlich war dem anderen Ungethüm ein ähnliches Bild beigegeben. Die Stellung der Löwen ist nicht, wie in den meisten italienischen Kirchen, dem Herantretenden entgegengewende 1), sondern einander zugekehrt, wie an der Kathedrale von Cremona und S. Quirico bei Sienna. Das Material der Kirche ist ein vortrefflicher Kalkstein, den die Steinbrüche des nahen Elms bieten; die grossen sorgfältig, bearbeiteten Quadern sind sehr genau zusammengefügt, die Fugen äusserst schmal, und an dem ganzen Mauerwerke vermag auch die schärfste Untersuchung keinen Riss zu entdecken. Länge der Kirche 233 F. rh., grösste Breite 110 F. Der prachtvolle Kreuzgang gehört, seiner graziösen Detailbildung nach, den letzten Decennien des 12. Jahrhunderts an.

1) So an San Zenone und der Kathedrale zu Verona, San Donino bei Parma, der Kathedrale von Trient, Sta Maria in Toscanella, den Kathedralen zu Monza und Modena und, doch hier ohne Säulen, San Pietro in Spoleto.

Gehen wir nun zu dem nicht viel später erbauten Braunschweiger Dom über, den Heinrich der Löwe von 1172 bis 1194 neu umbaute, so finden wir hier zwar nicht die zierliche Detaillirung der östlichen Theile von Königslutter, aber auch nicht die unorganische Anlage des Langhauses. Ist demnach der Eindruck ein strengerer, minder malerischer, so zeigt, dafür auch der Gewölbebau einer höhere, consequentere Durchbildung. Die Krypta, die sich von der alten Anlage her noch vorfand, wurde mit in den Plan des Neubaues aufgenommen; der bedeutend erhöhte Raum des Chores und der Querarme erhielt seinen Hauptschmuck in den vor einigen Jahren aufgefundenen und ungeschickt restaurirten Wandgemälden. Im Langhause wurde, mit Ueberschlagung je eines Pfeilers, der nächstfolgende durch einen Pilastervorsprung verstärkt, der den Gewölben zur Stütze diente; vier Gewölbequadrate bilden demnach das Mittelschiff. Durch das Weglassen der Ecksäulen wurde der Ornamentik jeder Raum zur Entfaltung abgeschnitten. Der Mangel des Dekorativen wird aber, wie gesagt, durch den Fortschritt des Construktiven aufgewogen. Später erhielt der Dom zu den vorhandenen Nebenschiffen noch zwei neue gothische."


Quelle:
Wilhelm Lübke: Studien zur Geschichte der mittelalterlichen Kunst in Niedersachsen. Teil III; Deutsches Kunstblatt 2. Jg. 1851 S. 74-75

Hinweis: Einige Kernaussagen wurden zur Verbesserung der Lesbarkeit nachträglich markiert.

 

Wilhelm Lübke lebte von 1826 bis 1893. Er war Professor für Kunstgeschichte in Berlin, Zürich, Stuttgart und Karlsruhe. Er machte die damals noch junge Disziplin der Kunstgeschichte einem breiteren Publikum zugänglich.

 

 

 



Eugen Lüthgen: Romanische Plastik in Deutschland

„In ganz Deutschland treten seit den siebziger Jahren sporadisch Formen des lateinischen Kunstkreises auf. Im Süden Deutschlands, in Straubing und Altenstadt bei Schongau, am Rhein in Mainz, Worms und Speier, in Köln wie im deutschen Kernlande in Königslutter.

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Italienische, lombardische Künstler mögen damals die deutschen Gaue durchwandert haben. So waren nach urkundlicher Bezeugung lombardische Künstler in Regensburg um die Mitte des 12. Jahrhunderts tätig; so haben Künstler, die die oberitalienischen Bauten von Verona, Ferrara, Modena genau kannten, beim Bau der Benediktiner-Klosterkirche St. Peter und Paul in Königslutter in den Jahren von 1170 bis nach 1180 mitgewirkt. Die eigenartigen Kapitälformen, die Skulpturen der Hauptapsis, die Schaftdekoration der Kreuzgangsäulen, die säulentragenden Löwen am Nordportal, sie sind Entlehnungen der bekannten oberitalienischen Bautengruppe. Was diese lombardischen Künstler der deutschen Plastik übermittelten, ist leicht zu sagen. Die inhaltliche Bereicherung, wie wir sie etwa in Straubing im Tympanon von St. Peter in dem Kampfe eines Ritters mit einem Ungeheuer, aus dessen Rachen der Kopf eines verschlungenen Ritters sichtbar wird, und in der Wiederholung in Altenstadt bei Schongau, wo auch Italiener arbeiteten, wahrnehmen, mag belanglos sein (Taf. LII). Denn schließlich hätte die Darstellung von Tieren, wie die an der Apsis von Königslutter, auch aus der deutschen Geistesart und Weltanschauung hervorwachsen können. Was neu und wesentlich ist, ist die Belebung des plastischen Formdenkens, die durch die italienische Auffassung erfolgte. Die Werke der lombardischen Steinmetzen in Königslutter, Kopf- und Tiermasken, verschlungene Drachen, spielende und sich jagende Tiere, gehören zur reinen Bauornamentik. Und trotzdem - man vergleiche sie nur mit der deutschen Formprägung, wie sie in den zu kristallinischen Gebilden umgewandelten, völlig erstarrten Körpern der Figurenkapitäle der Godehardkirche in Hildesheim um 1173

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oder der Kapitäle in Brauweiler oder Mainz vorliegen (Taf. LI) -, sie bedeuten für die deutsche Formauffassung ein in dieser Zeit nie gesehenes noch geahntes Neues. Denn diese Körper der Tiere sind der Wirklichkeit nachempfundene, lebensvolle, bewegungsfrohe Organismen (Taf. XLVIIl). Sie sind so sehr bis in feinste Formverästelungen hinein durchgebildet, daß sie fast genrehaft wirken, womit der denkbar größte Gegensatz zu der Monumentalisierung der Form in der deutschen Auffassung ausgedrückt ist.

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Man vergleiche nur die Formabstraktion, wie sie in dem Mindener Löwen-Aquamanile der gleichen Zeit und selbst noch im Anfang des 13. Jahrhunderts, wenn auch ein wenig dem Organischen angenähert, in dem Aquamanile des Kölner Kunstgewerbemuseums gegeben ist, um die lebendige Frische dieser echten Tierdarstellungen in Königslutter zu verstehen (Taf. LXX, LXXI). Und was vom Tierkörper gilt, das gilt auch von der Darstellung des menschlichen Antlitzes, in dem trotz der Größe der Form, die diesen „Konsolen" des Rundbogenfrieses zukommt, eine fast nervöse Belebung statthat, wovon die atmenden, fast zitternden, aufgeblähten Nasenflügel, die energiesprühenden Lippen, die Nasenmundfalten, das emstblickende Auge Zeugnis ablegen.

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Das alles darf man als eine Erweiterung des Stoffgebietes betrachten, wenn auch die Darstellung im einzelnen sich als dem Wesen nach verschieden von der deutschen Formensprache erweist. Darin ist nicht das Neue, das vor allem formanregend wirkte, zu ersehen, sondern in dem abgewandelten Kunstwollen, das sich in technischen Einzelheiten sinnvoll ausprägt. Zunächst: der Stil der zeichnerischen Strenge, der die deutsche Kunst des siebenten Jahrzehntes beherrscht, der in dem benachbarten Hildesheim in den Kapitälen von St. Godehard um 1172 in schärfster linearplastischer Betontheit, in St. Michael um 1182

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in den Kapitälen wie in den sogenannten Seligpreisungen kurz nach 1182 nicht ganz so scharf akzentuiert auftritt, dieser zeichnerische Stil ist gemildert und durch eine Fülle neuer Darstellungsmittel bereichert. Diese alle zielen auf eine Anerkennung und Hervorkehrung der Wirkung von Licht und Schatten im Raume. Die Raumtiefenbeziehungen werden fast für wichtiger erachtet als die Flächenbeziehungen. Die taktischen Flächen werden deshalb so abgewandelt, daß zwar die taktische Stofflichkeit des Körpers restlos gewahrt bleibt, daß diese Flächen aber durch deutlich merkbare leiseste Wellung feinste Licht-Schatten-Spiele auf den Flächen abgeben. Dadurch wird das Ablesen der Form nach der Raumtiefe zu bedeutsam erleichtert. Zugleich wird die Komposition in den Dienst dieser neuen künstlerischen Absicht gestellt.

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Die Profilierung des Rundbogens, in den das Tier wie in eine umrahmte Nische gestellt wird, führt von der Oberschicht der Mauer sinnfälligst in die Raumtiefe, die nach rückwärts durch die ebene Rückfläche fest abgeschlossen wird. Der Tierkörper schafft sich in den Bewegungen seiner Glieder wie in den Überschneidungen des Umrisses absichtsvoll mannigfaltige Deckungen. Mit ihnen gehen, wie die verschlungenen Drachen zeigen, Verkürzungen, Hell- und Dunkelwirkungen, optische Flächenwerte Hand in Hand zur Erzielung des Eindrucks der lichtumflossenen kubischen Vollräumigkeit. Körper- und Raumwerte sind in gleichem Maße an der Formung des kubischen Ausdrucks beteiligt. Zuletzt sei noch ein Blick auf die Darstellung des Menschenleibes gestattet.

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Die kleinen Figuren in dem Rundbogenfries wirken durch ihre sicher beobachtete organische Bewegtheit.

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Dem fast nackt erscheinenden Körper schmiegt sich das Gewand so an, daß es z. B. am Bauch und an den Hüften in seiner Fältelung der Körperrundung auf das genaueste folgt, um dadurch deutlicher noch, als es ohne Gewand möglich wäre, den Wuchs des Leibes zu versinnlichen. Es wäre nicht zuviel, zu sagen, wenn diese Welle italienischen Formsinnes über ganz Deutschland hingegangen wäre, dann hätte sie eine Annäherung an die organische Struktur des natürlichen Formgewächses, eine Verstärkung der Raumtiefenbeziehungen und damit manche neue Darstellungsmittel bringen müssen. Erweist es sich nun, daß der Einfluß der französischen Kunst in der gleichen Richtung wirkte, daß er auch in die gleiche Zeit fällt, nämlich in das achte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts, so findet unsere Annahme von einem Einschnitt in der Entwicklung der deutschen Plastik um diese Zeit eine sichere Stütze. Es ist nicht ohne Bedeutung, festzustellen, daß die neuen Darstellungsmittel und Anschauungen, die wir in Königslutter kennenlernten, um die gleiche Zeit in einem der schönsten Werke des belgisch-niederländischen Kunstkreises auftreten, nämlich in der Madonna des Dom Rupert aus der Laurentius-Abtei in Lüttich im dortigen Museum (42). Die optischen Flächen des Gesichtes sind aus gleichem Form- und technischem Gefühl entstanden. Das zeichnerische Element ist als Mittel der Auflockerung und Bereicherung der malerischen Wirkung stärker geltend gemacht. „Die vielen Säume der vier übereinanderliegenden Kleidungsstücke durchkreuzen sich, schwingen in Kurven und Wellen gegeneinander und werden von parallelen Faltenläufen begleitet" (43).“

(42) Abb. bei Clemen, P.: Belgische Baudenkmäler, a a. O. Bd. I. Taf. 9.
(43) Ebenda im Aufsatz von Goldschmidt. Bd. I. S. 56

 

Hinweis: Die abgebildeten Fotos wurden zwischen 2012 und 2014 aufgenommen und sind nicht Bestandteil des Buches.

 

Veröffentlicht in: Lüthgen, Eugen: Romanische Plastik in Deutschland S. 84-86, Verlag Kurt Schroeder 1923

 

 

 

Das Bauwerk im Spiegel der Fachwelt: Conrad Wilhelm Hase

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Geschichtliches.

(Diese geschichtlichen Mittheilungen sind entnommen aus einer Schrift des Johann Fabricius, unter folgendem Titel erschienen:

Joh. Letzner's kurze Beschreibung des im Wolfenbüttelschen Herzogthume gelegenen Kaiserlichen Stiftes Königslutter; mit nöthigen Anmerkungen, worinnen Letzneri und anderer Scribenten Fehler entdecket, sammt Hen. Meibomii Bericht von der Comthurey Süpplingburg. Herausgegeben von Johann Fabricius, unwürdiger Abt des Stiftes Königslutter.

Wolfenbüttel A. C. MDCCXV.)

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Die Stiftung des Klosters fällt in das Jahr 1110, in welchem der Graf Bernhard zu Haldesleben das Kloster Lutter, zwischen Braunschweig und Helmstadt gelegen, zu einem Jungfrauenstifte St. Augustini-Ordens zu bauen angefangen und vollendet.

Als aber in der Folge es sich zeigte, daß die Nonnen zu schwach waren. die Rechte und Güter der Kirche aufrecht zu erhalten, ward auf Veranlassung der Kaiserin Richsa, Lothars Gemahlin, das Frauenkloster im Jahre 1135 in ein Benedictiner Mönchskloster verwandelt. Wahrscheinlicher indeß ist, daß die Umwandlung durch den Kaiser Lothar selbst betrieben wurde, da in dem Diplomate fundationis monasterii Regio-Lothariensis, datiert zu Nienburg, 1.August 1135, der Kaiser Nichts von seiner Gemahlin erwähnt, welches, wenn seine Frau Antheil daran gehabt hatte, gewiß nicht unterlassen wäre, da der Kaiser mit großer Liebe und Achtung an seiner Frau hing. Die Nonnen wurden in ein Kloster zu Drübeck am Harze versetzt. Alte Niedersächsische Reime melden diese Umwandlung (Leibnitz Tom. III.) folgendermaaßen:

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens.

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Hunderte unde XXXV gar

Ward gewandelet dat gestichte

To Lutter, dat erste uprichte

Van Haldesleve Greve Bernhart,

De ock er genomet wart.

De et hadde begunnen

Also dat et weren nunnen:

Dat de Keiser unde sin Frowe

Rixe de doeget schowe

Wandelen, dat et worden

Swarte moeniche, de das horden

To sancte Benedictus Orden.

Ueber die Stiftung sagt Meibom im Chron. Monast. Bergens.:

„Der Kaiserlichen Gnade ist auch zuzuschreiben, daß die schöne große Kirche (welche durch Gottes Vorsorge mit dem Kreuzgang und Reventer und des Abts Wohnunge noch stehet) sammt den Cellen der Mönche, die zwar in dem Kriegswesen hernach abgebrannt, ist gebauet worden, und hat der Keiser mit seiner Gemahlinn den ersten Stein zur Kirche gelegt, hat sich auch die Gnade Vorbehalten, daß der älteste unter seinen männlichen Erben des Stifts Edler Voigt sei.

Die Kirche ward in honorem S. S. apostolorum Petri et Pauli consecrieret, und führt deshalb auch der Abt des Klosters Schlüssel und Schwerdt im Siegel. Das Kloster gehörte zur Diöcese Halberstadt. Der Kaiser hatte eine besondere Liebezu der Kirche; er stattete sie auch mit vielen Gütern aus, so daß das Stift außer den Laienbrüdern 80 bis 100 eingekleidete Chorherren unterhalten konnte.

Als Kaiser Lothar Anno 1137 aus Italien zurückkehrte, bekam in Verona die Pest (infirmitatem), eilte indeß, von Sorge und Unruhe getrieben, noch über die Alpen, kam aber nur bis Bredin, einem kleinen Dörflein zwischen Inn und

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Lech, wo er in den Armen des Erzbischofs Conrad von Magdeburg Anno 1137 den 5. December verschied. Die Kaiserliche Leiche ward von seinem Schwiegersohn, Herzog Heinrich zu Baiern, über Augsburg und Nürnberg nach Sachsen gebracht, und in der Kirche des Klosters Lutter in Gegenwart aller sächsischen Fürsten, Grafen, Herren und Ritterschaft ehrlich und christlich zur Erde bestattet. Nach dieser Zeit ward das Kloster Königslutter genannt.

Das Kaiserliche Grab ist in der Mitte der Kirche *); zu seiner Linken ward die Leiche seines Schwiegersohnes, Herzogs Heinrich zu Baiern und Sachsen, genannt der Stolze, Herzogs Heinrich des Schwarzen Sohn nnd Heinrichs des Löwen Vater (gestorben 20. October 1139 zu Quedlinburg), beigesetzt; an seiner Rechten aber ruht Frau Richsa, 1141 gestorben.

Die Gräber inmitten der Kirche hatten aus Sandstein ein monumentum, worauf die 3 hohen Personen in Lebensgröße ausgehauen waren. Durch den Einsturz eines Theils der alten, morsch gewordenen, hölzernen Kirchendecke ward dasselbe gegen Ende des 17. Jahrhunderts zertrümmert. Der Abt Fabricius ließ deshalb ein neues verfertigen aus Nordheimischem Alabaster, mit schwarz gebeiztem Fuße, darauf die Personen aus weißem Alabaster fein und künstlich von Michael Helwig, Bildhauer in Helmstädt, verfertigt, ruhen.

Durch den erwähnten Einsturz der Decke veranlaßt, ward in den Jahren 1693, 1694, 1695 die ganze Kirche mit einer solideren Decke versehen. Die Umgegend von Königslutter bietet ein zum Wölben ausgezeichnetes Material in dem bekannten Duckstein, einem sehr leichten porösen, aber zugleich sehr dauerhaften Kalksinter, aus welchem man in halbkreisförmigen Kreuzgewölben in den genannten Jahren das Langschiff der Kirche überwölbte.

Die in diesen historischen Notizen gegebene Schilderung von dem Zustande des Klosters und der Kirche vom Jahre 1715 dürfte noch im Wesentlichen für die jetzige Zeit passen,

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*) Anno 1620 öffnete man das Grab und fand darin eine bleierne Tafel sammt Reichsapfel und Schwerdt, deren jenen der Kaiser in der linken, dieses aber in der rechten Hand hatte, wie auch einen Kelch und Oblatenschüsselein, welche zwei letztern von Silber und vergüldet waren. Der Reichsapfel war von Blei mit eisernem Kreuz. Die Schrift auf der bleiernen Tafel lautet:

LOTARIVS DIGRA

ROMANORVM IMPERATOR

AUGVSTVS REGNAVIT

ANNOS XII. MENSES III.

DIES XI OBIIT AVTEM III

NONAS DECEMBRIS VIR IN

XPO EIDELISSIMVS VERAX

CONSTANS PACIFICVS

MILES IMPERTERRITVS

REDIENS AB APVLIA SAR

RACENIS OCCISIS ET

EIECTIS.

Die beiden andern Gräber hat man nicht geöffnet.

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da Kirche, Krenzgang, Refectorium und Abtswohnnng noch heute stehen. Freilich gehört hiervon nicht Alles der alten Zeit an; namentlich stammt ein Theil des Kreuzganges, das Refectorium und die Abtswohnung, welche letztere gegenwärtig als Beamtenwohnung benutzt wird, aus dem späteren Mittelalter. Der Theil des Kreuzganges aber, welchen wir auf unserem Grundrisse abgebildet haben, fällt in die Romanische Periode.

Wie wir hören, stehen der Anlage abermalige Veränderungen bevor, indem das Kloster zu einer Irrenanstalt benutzt und erweitert werden soll. Möchte bei dieser Gelegenheit die Herzoglich Braunschweigsche Regierung die ehrwürdigen Alterthümer mehr würdigen, als dies bei dem neuerdings stattgefundenen Abbruche eines Theils des Riddagshäuser Klosters der Fall war.

 

Der Grundriß.

Link: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/objekt/display/bsb10933641_00279.html

Aus dem Grundrisse (auf Blatt 9) sehen wir schon, daß die vorliegende Kirche zu den größten und ausgebildetsten deutschen Basiliken gehört. Das Wesentliche der Anlage schildert sich in kurzen Zügen. Sie ist eine dreischiffige Pfeilerbasilike mit einer Doppelturmanlage im Westen, und einem aus 3 Quadraten gebildeten Querschiffe gen Osten, über das hinaus sich Mittel- und Seitenschiffe in gleicher Länge, und zwar um ein Quadrat des Mittelschiffes, hinaus erstrecken. Mittel- und Seitenschiffe schließen an der Ostseite mit Apsiden, deren Weiten denen der betreffenden Schiffe entsprechen. Das Verhältniß der Weiten vom Seiten- zum Mittelschiff ist genau 1:2, auch bildet das Mittelschiff vom Kreuzbau bis zum Turme genau 4 Quadrate. Diese streng rhytmischen Verhältnisse sehen wir mit ziemlicher Consequenz bei dem ganzen Werke verfolgt. Die Dimensionen sind nicht unbedeutend, und zwar haben Seiten- und Mittelschiff Weiten von resp. 18 und 36 Fuß. Die bedeutenden Mauerstärken der Chorpartie und des Querschiffes zeigen die ursprüngliche Absicht der Wölbung dieser Theile, wie auch der Anlage des Kreuzesvierungs - Turmes. Vergleichen wir den Grundriß dieser Kirche mit dem im I. Bd. Heft 1. gegebenen Plane der Godehardikirche in Hildesheim, so finden wir eine auffallende Aehnlichkeit in der Anlage der beiden Kirchen. Wir heben hier nochmals hervor, was wir bei Beschreibung der Godehardikirche dargethan, daß dort unzweifelhaft die ursprüngliche Absicht dahin ging, ebenfalls eine Pfeilerbasilike zu bauen. Wir sehen die Hildesheimer Anlage nur in dem Umgange des Chors reicher gestaltet, auch der Capelle zwischen den Türmen noch eine Apsis hinzugefügt. Im Uebrigen läßt die Anlage beider Kirchen erkennen, daß sie gleichzeitig geschaffen wurden, und daß beide gleichgeübte Baumeister hatten. Die Godehardikirche ward im Jahre 1133, Lothars Kirche 1135

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gegründet; die Nähe beider Kirchen erklärt nun um so eher eine stattgehabte Wechselwirkung Das Verlassen des ursprünglichen Planes bei der Godehardikirche durch Einschränkung der Mauern, Hinzufügung des Vierungsturmes u. s. w. führte bis auf die heutigen Tage nicht endende Restaurationen herbei, während Lothars Kirche, trotzdem das Langschiff noch Gewölbe bekommen, fest und unerschütterlich stehen geblieben. Auch die Anlage der Capellen zwischen den Westtürmen in 2 Geschossen über einander *) und selbst die Wahl des nördlichen Turmes zur Schnecke sind bei beiden Kirchen übereinstimmend.

Der im Grundrisse am südlichen Kreuzflügel gezeichnete, als Sacristei gegenwärtig benutzte Raum mag als letzter Rest des alten Dormitoriums übrig geblieben sein.

 

Das Innere.

Wenngleich die Godehardikirche durch die bei Weitem belebtere und malerischer gestaltete Choranlage Vorzüge bietet, so heben wir bei dieser Kirche einen Umstand hervor, der seinerseits ungleich größere Vorzüge gewährt und zwar in der organisch ausgebildeten Wölbung des Querschiffes und Chores. Während das Langhaus ursprünglich für flache Holzdecken angelegt und ausgebildet ist, sind Querschiff und Chor in sehr einfacher schöner Weise auf die Anlage von Kreuzgewölben berechnet. Diese Wölbung ist dergestalt ausgeführt, daß die Hauptgurten der Kreuzesvierung auf vorspringenden Pfeilern getragen werden. Im Grundrisse bilden die Hauptpfeiler demnach ein Kreuz. In den einspringenden Winkeln dieses Kreuzes stehen dann Dreiviertelsäulen, welche als Träger der Schildbögen dienen. Die schlank emporstrebenden Säulen haben kräftig decorierte Capitäle, die Pfeiler der Gurten ein verziertes Kämpfergesims, welches, in gleicher Höhe den Abacus der Säulen bildend, als horizontaler Schluß der Gewölbstützen dient. Die Kreuzkappen der Mittelvierung sind bedeutend überhöht, so daß die Durchschneidungskante ein Halbkreis wird; bei den übrigen Gewölben ist die Ueberhöhung der Kappen aus constructiven Rücksichten nicht so bedeutend genommen.

Aus dieser Wölbung erklärt sich die nahe gerückte Stellung der Fenster in den Kreuzesarmen.

Wie schon in den historischen Notizen angegeben, ist die Ueberwölbung des Langhauses nicht ursprünglich, sondern im 17ten Jahrhunderte hinzugefügt, wie denn auch der Längendurchschnitt die Richtigkeit dieser Angabe nicht bezweifeln läßt.

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Die Wölbung erscheint also als eine besondere Auszeichnung des Haupttheiles der Kirche, und möchte in Niedersachsen zu

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*) Die untere Capelle (siehe den Längendurchschnitt) ist eine Anlage späterer Zeit.

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den frühesten Beispielen gehören. Die Sicherheit der künstiekisch durchbildeten Anlage derselben, so wie die aber 7 Jahrhunderte lang bewährte Solidität bekunden die Meisterschaft des Baumeisters, dessen Name leider uns nicht erhalten ist. Die Gliederungen der Gurtgesimse, Kämpfer und Basen sind überall einfach, aber von guten Verhältnissen. Die Höhe des Langhauses bis zur Holzdecke betrug früher wahrscheinlich 65 Fuß bei einer Weite von 36 Fuß, also etwas weniger als des Doppelte der Weite, wie ein solches Verhätniß bei den meisten der Niedersächsischen Basiliken absichtlich befolgt zu sein scheint.

Da das Innere durch tüchtigen Ueberzug von Kalkweiße unterhalten ist, so sind Spuren von Wandmalerei nirgend sichtbar, obgleich zu vermuthen steht, daß Kaiser Lothar seine Kirche auch damit ausstattete. In dem gegenwärtigen Zustande, wo ein recht frischer weißer Ueberzug alle Wände, Pfeiler, Säulen ec. überzieht, macht das Innere einen fast nüchternen Eindruck; auch dienen die Gewölbe des Langhauses keinesweges zur Verschönerung.

 

Das Aeußere.

Wenn die meisten der alten Basiliken, ihres inneren malerischen und bildnerischen Schmuckes beraubt, im Hinblick auf die alte Zeit im Innern einen dürftigen, oft wehmüthigen Eindruck hervorbringen oder durch entstellende Decorationen einer späteren, flacheren Zeit ein anderes Gepräge angenommen haben, wodurch das meist besser erhaltene Aeußere mit dem Inneren in erschreckendem Mißverhältnisse steht, so tritt ein solches hier besonders auffallend hervor. Gewaltig ist der Eindruck dieses so wohl erhaltenen Denkmales, wenn man, aus den kleinen, steilen Gäßchen auf den Kirchhofsplatz tretend, unter hohen, grünenden Linden das ehrwürdige, altersgraue und doch noch so frische Werk Kaiser Lothars erblickt. Alle Formen, alle Verhältnisse zeigen sich hier in einer Abrundung und einer Vollendung, die sie, verbunden mit ihrer bedeutenden Größe, in die erste Reihe der deutschen Basiliken stellt, unter Niedersachsens Denkmälern ihr aber den vordersten Platz einräumt. Die beigegebenen perspectivischen und geometrischen Abbildungen überheben uns weiterer Beschreibung. Wir heben hier nur hervor, daß die Chorpartie überhaupt, namentlich aber die Chornische selbst, besonders reich durch kraftvoll profilierte Gesimse, Bogenfriese, Consolen, Säulencapitäle und durch interessante plastische Darstellungen geschmückt sind. Auf letztere werden wir später wieder zurückkommen. Eigenthümlich ist die Anordnung des nordwestlichen Portales, dessen dreifach geschwungener Bogen an den beiden Knickpunkten durch Säulen gestützt wird, die auf liegenden Löwen ruhen. Beide nördlichen Portale sind reich profiliert und mit geschmückten Capitälen ausgestattet. Noch bemerken wir, daß bei der

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Godehardikirche in Hildesheim wie auch hier an der nordöstlichen Turmecke im Uebergange aus dem Viereck ins Achteck eine eigenthümliche Verzierung angebracht ist. Dort tritt als Vorläufer vielleicht für die spätere gothische Bildung eine Art Türmchen empor, während hier ein Affe oder irgend eine Thiergestalt sich erhebt. Etwas stiefmütterlich sind die Türme behandelt, namentlich im Vergleich mit der Godehardikirche, indem hier die ganze Masse ungegliedert in der viereckigen Gestalt bis zur Firsthöhe des Mittelschiffdaches sich erhebt, wo dann die etwas zu kurzen, achteckigen Turmaufsätze beginnen. Wir bemerken, daß das jetzige Dach des Langhauses

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wahrscheinlich bei der Restauration 1693 erneuert, und der First um 9½ Fuß niederer gelegt wurde (siehe den Längendurchschnitt).

Das ganze Werk ist aus sorgfältig bearbeiteten Quaderstücken, den Sandsteinbrüchen des naheliegean Elm entnommen, aufgeführt.

Wenngleich der Mangel äußerer Gliederung am Langhause unser Werk gegen andere, namentlich die Godehardikirche zurückstellt, so muß demselben doch die größere Gediegenheit aller Verhältnisse unbestritten den höchsten Rang einräumen.

(Fortsetzung folgt.)

 

Die Kirche des Kaiserlichen Stiftes zu Königslutter.

Vom Bau-Inspector C. W. Hase in Hannover.

(Mit Zeichnungen auf Blatt 11 und 12.*)

(Fortsetzung.)

 

Das Ornament.

Höchst interessant ist die in dem prachtvollen Kreuzgange wie an der Außenseite der großen Chornische wohl erhaltene Ornamentation.

Link: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/objekt/display/bsb10933641_00285.html

Auf Blatt 11 haben wir, so viel der Raum des Blattes es gestattete, bildliche Darstellungen aus dem merkwürdigen Theile des Kreuzganges gegeben, welcher sich der Südseite der Kirche anschließt. (Siehe den Grundriß der Kirche.)

Link: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/objekt/display/bsb10933641_00279.html

Zwei Flügel des Kreuzganges sind überhaupt nur erhalten; von diesen gehört der im Grundrisse auf Blatt 9 eben angedeutete, nach Westen zu liegende der späteren, gothischen Bauperiode an. An ihn schließen sich das Refectorium, wie andere nicht uninteressante Baulichkeiten aus derselben Zeit. Eines der schönsten Beispiele des Lieblingsaufenthaltes der Klosterbrüder zeigt sich uns in dem ersterwähnten, der Südseite der Kirche sich anschließenden Flügel des Kreuzganges. Geräumiger als sonst ist derselbe hier zweischiffig angelegt und mit Kreuzgewölben aus dem Halbkreise geschlossen. Fenster und Säulen zeigen die reichste Formenbildung und bekunden eine Sorgfalt und Liebe, welche gerade diesem Theile eine Ausstattung zugewandt hat, dem derselbe seinen weiten Ruf verdankt. Von den Fenstern, welche durch eine Mittelsäule getheilt, zwei Öffnungen und ein geschlossenes Bogenfeld zeigen, haben wir eine Abbildung gegeben. Die Durchbrechung des Bogenfeldes wechselt in mehreren Formen bei den verschiedenen Fenstern. Mannigfaltig und in höchst eleganten Formen ist die Ornamentation der Säulencapitälchen, von denen wir 8 verschiedene Muster beigegeben haben. In gleichen oder ganz ähnlichen Motiven sind auch die Capitäle der großen Mittelsäulen des Kreuzganges gehalten, außerdem aber haben dieselben

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*) Die Redaction glaubt nicht unterlassen zu dürfen, dem Herrn Baurath Kuhne in Braunschweig für die freundliche Mittheilung der auf den Blättern 9, 10 und 12 gegebenen Zeichnungen den verbindlichsten Dank hierduch auszusprechen.

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens

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einen höheren, ebenfalls ornamentierten Abakus. Einem der in sächsischen Kirchen, Kapitelsälen, Vorhallen und Krypten mehrfach vorkommenden Fälle (Wechselburg, Hecklingen, Huysburg, Ilsenburg, Riechenberg) begegnen wir hier, wo bei großen Säulenschäfteneine plastische verzierung angewandt ist, welche dem Prachtsaale einen höchst pikanten Reiz verleiht. Die Verzierung der Schäfte ist nur an den Mittelsäulen, während die Wandsäulen glatt gelassen sind. Kleinere Säulenschäfte an Galerien haben häufiger diese plastische Ornamentation, während an größeren Schäften wohl aus Oeconomie nur eine Bemalung in ähnlichen Mustern angewandt zu sein scheint. Statt der Wandpfeiler oder Halbsäulen, welche die Reihe der Mittelsäulen an beiden Enden schließen sollten, ist hier abermals eine Auszeichnung, indem eine sitzende Figur statt des Pfeilers das Gewölbe trägt. In Königslutter geht die Sage, daß in diesen beiden Figuren Meister und Lehrling des Kreuzganges dargestellt seien. Letzterer habe seinen Meister in der Ornamentation der Capitäle übertroffen und sei deshalb von seinem Meister erschlagen. Wahrscheinlich ist, daß die Figuren Werkleute darstellen sollten, da, freilich ziemlich unkenntlich, Steinmetzgeräte neben den Figuren angebracht sind. Die Erhöhung der Säulensockel an der Außenwand auf einem durchlaufenden Mauerabsatze geschah hier, wie an anderen Orten, (Riechenberg und viele andere) offenbar nur, um eine bequeme Sitzbank zu bilden. Nach den Ornamenten möchte die Erbauung dieses höchst interessanten und eleganten Kreuzganges in das Ende des 12. Jahrhunderts zu setzen sein.

In gleicher Weise interessant ist auch die ornamentistische Behandlung an der Außenseite der großen Chornische. Wir sprachen uns schon oben über die prachtvolle wie kräftige Profilirung der architektonischen Details dieser Partie aus; mit gleicher Liebe und in richtigem Verhältnisse ist auch die daran in reichem Maße verwandte Ornamentation behandelt. Namentlich ist es der untere Bogenfries, welcher die Aufmerksamkeit

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besonders fesselt. Die Wand wird durch 2 Eck- und 2 Mittelpfeiler in drei gleiche Theile getheilt; je zwei benachbarte Pfeiler sind durch 5 Bögen mit einander verbunden. Die Pfeiler haben reichgebildete Capitäle, aus welchen, ohne daß ein Abakus einen horizontalen Schluß bildete, die Profilirung des Bogenfrieses hervorwächst. Die Bögen des Frieseszwischen den Pfeilern werden durch Consolen getragen, welche an Höhe den Pfeilercapitälen gleichen und ebenso wie diese eines horzontalen Gesimsschlusses ermangeln.

Eine krönende prachtvolle Gesimsung bildet oberhalb der Bögen den horizontalen Schluß der durch diese Anordnung ausgedrückten Geschoßabtheilung.

Link: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/objekt/display/bsb10933641_00287.html

Auf Blatt 12 haben wir, so groß es der Raum gestatten wollte, eine möglichst detaillirte Schilderung der ganzen Anordnung gegeben. In dem seitwärts abgebildeten Profile wird das kundige Auge die Ueberzeugung von der höchst kraftvollen plastischen Wirkung derselben finden. Die sonst an Ornamenten fast arme Kirche zeigt hier einen Reichthum und eine Gediegenheit, welche das Werk den besten Arbeiten der Art gleichstellt. Das Blattwerk der Pfeilercapitäle wie des horizontalen Gesimses zeigt das feinste ornamentistische Verständnis. In den Consolen wechseln menschliche und thierische Köpfe mit verschlungenen Thiergestalten; auch hierin zeigt sich ein Adel in der Behandlung, welcher an die Antike erinnert. In den Bogenfeldern selbst aber erscheint der Hauptschmuck in der Darstellung einer Jagd. Auf beiden Capitälen der Endpfeiler tritt der Jäger auf, sein Hund aber ist ihm schon vorausgesprungen und hat bald das wehrlose Wild ereilt. So schreitet die Jagd von beiden Seiten nach der Mitte der Chornische vor, wo wir im Mittelfelde die höchst auffällige Aenderung des Jagdglücks sehen. Der Jäger ist überwunden, und zwei der wehrlosesten Jagdthiere,

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zwei Hasen, binden den niedergestreckten Jäger mit Stricken. Die Darstellung der Thiere zeigt eine getreue Naturbeobachtung und deren geschickte stilistische Uebertragung in Stein. Die Größe und Mächtigkeit der Darstellung in diesem Bilde der Jagd nöthigt uns sofort zu der Ueberzeugung, daß dabei nicht ein gedankenloses Spiel obwaltete, daß hier nicht ein sonderbares Jagdabenteuer, sondern etwas für die Kirche hoch Bedeutungsvolles geschildert werden sollte. Das wehrlose Wild erscheint in manchen früheren Darstellungen symbolischen Inhaltes als das Bild der bedrängten Christenheit, und gewiß haben wir hier nichts Anderes vor Augen, als die Verfolgung und in der Mitte der Apsis den Sieg des Christenthums; in jeder Beziehung also für die Kunstgeschichte eine höchst beachtenswerthe Darstellung.

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Wir erwähnen hier noch der auf demselben Blatte in Fig. 4 gegebenen Darstellung des nordwestlich gelegenen Portales, welches interessant durch seine ungewöhnliche äußere Form, wie durch die in Deutschland seltener vorkommenden Löwen ist, und eine Bekanntschaft des Baumeisters mit den oberitalischen Kirchen vermuthen läßt.

Link: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/objekt/display/bsb10933641_00287.html

Ein sehr bemerkenswerther aus Sandstein gefertigter Kerzenstock, welcher in einem Seitenraume noch aufbewahrt wird, ist gleichfalls in Ansicht und Grundriß auf demselben Blatte mitgetheilt *).

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*) Wir bemerken zu dem unter demselben gegebenen Maßstabe, daß die Ueberschrift: Maßstab zu Fig. 1 und 2 unrichtig und statt dessen: Maßstab zu Fig. 2 und 3 zu lesen ist.

 

 

Quelle:

Zeitschrift des Architecten- und Ingenieur-Vereins für das Königreich Hannover. Band II Heft 1 Anhang: Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens. Sp. 37 bis 48, 4 Bl. Mit Abbildungen. Hannover. Carl Rümpler 1856

 

Der Artikel liegt in der Bayerischen Staatsbibliothek unter folgendem Link vor:

http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/objekt/display/bsb10933641_00275.html

Zur Verbesserung der Lesbarkeit wurden die Links zu den Abbildungen in den vorliegenden Text integriert.

 

 

 

Die Kapitelle in Vierung, Querhaus und Chor des Kaiserdoms von Königslutter

Die Kapitelle sind über die blauen Felder anklickbar. Eine Bewegung über die Kursortasten des Lichttisches ist ebenfalls möglich. Viel Spaß bei der virtuellen Erkundungstour in unserem Kaiserdom in Königslutter!

 

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Kaiserdom: Querhaus, Vierung und Chor

 

                                                                             
                                                                     
                                                                     
                                                                     
                                                                     
                                                                     
                                                                     
                                       
                                                                          
                                                                         
                                                                         
                                                                         
                                                                         
                                                                         
                                                                         
                                                                           
                                                                           
                                                                         
                                           
                                                                         
                                                                       
                                                                       
                                                                       
                                                                       

 

 

Hinweis: Einige Kapitelle des Kaiserdoms Königslutter werden im Rahmen der Dissertationen von Erwin Kluckhohn 1938 und Ferdinand Eichwede 1904 ausführlich besprochen und mit italienischen Vorbildern und in ihrer Ausstrahlung auf Deutschland des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts verglichen. Die Texte der Dissertationen Eichwedes und Kluckhohns sind unter den Rubriken Königslutter > Gesamtschule Europa sowie Bildergalerien > Kreuzgangkapitelle mit aktuellen Bildern versehen für Interessenten auf dieser Homepage einsehbar.

 

 

 

 

Es dauert nur, was stets sich erneuert

 

 

 

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Von Otto Kruggel


Das Jahr der Romanik ist vorüber. Es führte viele Besucher in Kaiser Lothars Triumph-, Sühne-, Mahn- und Grabeskirche in Königslutter. Die meisten hakten ab, was sie im Reisehandbuch oder Faltblatt fanden und gingen weiter die „Wege in die Romanik“ oder zur „Straße der Romanik“. Leider fanden sie in den Broschüren nichts darüber, daß die Reformmönche und ihr kaiserlicher Klostervogt die klugen und törichten Jungfrauen ihre Mahnung zum rechten Leben im Allerheiligsten verkündigen ließen, die auch am Portal und an der Außenapsis ebenso einzigartig und eindringlich ins Bild gesetzt wurde.


Auch auf weitere Einmaligkeiten dieser einzigen kaiserlichen Grabeskirche zwischen Aachen und Magdeburg, wie die drei Kissen unter dem Kopf der Kaiserfigur des gotischen Grabmals, den einzigen vier- mal vierjochigen Kapitelsaal der Romanik, die Kopfkonsolen im Langhaus und die Essenweinsche Ausmalung findet sich kein Hinweis irı den Handreichungen. Vor hundert Jahren wurde mit dieser Ausmalung eine lange, wechsel- und wertvolle Restaurierung dieses am meisten original erhaltenen mittelalterlichen Kaiserdomes beendet.

 

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Dem bedenkenlosen Abbau von Kirchen und Klöstem nach der Sakularisierung, dem die hirsauischen Schwesterkirchen in Paulinzella und Breitenau und auch die Mutterkirche in Hirsau zum Opfer fielen, entging die einzige kaiserliche Kirche dieser Reformbewegung. Ihre solide Konstruktion aus tonrıenschweren Quadem und ihr Nimbus als Kaiserdom ließ wohl kein Abrißansirmen aufkommen. Aus dem kaiserlichen Legat an die damaligen Reforrner wurde nach der Reformation die Pfarrkirche von Stift Lutter und Oberlutter. Für die kleine Gemeinde war und bleibt sie zu groß und zu teuer in Wartung und Würdigung. Nach dem Erscheinen von Schinkels „Memorandum zur Denkrnalpflege“ im Jahre 1815 und mit dem Wachsen des historischen Denkens begann die Wiedergutmachung der Vergehen an den Bau- und Kunstdenkmälem. Die 700-Jahrfeier von 1835 veranlaßte Restaurierungsarbeiten, von denen ein Chronostichon des Pastors Dieckmann im Tympanonbogen des Marienpoıtals, des ersten mehrstufigen Säulenportals auf deutschem Boden verkündete:

ZV IHRER SIEBENTEN IVBELFEIER WURDE LOTHARS STIFTVNG NEV GESCHMVECKT


Daß dies der Anfang einer Restaurierung war, die er begeistert angestrebt hatte, deren Ende er aber nicht mehr erlebte, wußte Dieckmann damals nicht. Auch seinem Nachfolger Willecke (1876 bis 1884) war es nicht vergönnt, dieses Ende zu erleben. Ihm gelang es aber, erhebliche Änderungen und Anschaffungen durchzusetzen, die besonders für die Verlegung des Gottesdienstes vom Querins Langhaus nötig wurden: Verlegung des Hochaltars, Versetzung der Kanzel vom südöstlichen Vierungspfeiler in die südliche Langhausarkade, Anschaffung neuen Gestühls und einer leistungsstärkeren Orgel sowie deren Aufstellung im oberen Turmzwischenraum. Dieses Anpassen alter Bauten an neue Nutzanforderungen und neuen Zeitgeschmack ist noch heute ein Problem der Denkmalpflege, zumal die museale und musikalische Nutzung der Kirchen die gottesdienstliche immer mehr überwiegt. Es gab und gibt seit Beginn der Denkmalpflege Unzählige, die Kirchen in keiner anderen als musealer Absicht besuchen. Darauf weisen Geistliche dann auch hin, wenn sie, wie Pastor Willecke, solche Forderungen stellen: „Polychrome Ausstattung wie sämtliche Klosterkirchen sie seit Jahren besitzen“ und „Öffnung der vermauerten Tür zum Kreuzgang und Anlegung einer Glastür, die den Blick in letztere gestattet.“

 

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Der Kreuzgang war zwischen 1850 und 1860 gründlich restauriert worden. Was nach hundertjährigem Verfall nicht mehr vorhanden war, wurde, wie später bei der Ausmalung, stilgemäß ergänzt. Es folgten Instandsetzungen der Türme, Dächer, Türen, Fenster, Wandschäden, der Sakristei und Grabtumba, des Fußbodens, Hauptgesimses, Löwenportals und Westgewölbes. Dadurch und durch das Öffnen der vermauerten südlichen Seitenschiffenster und Neugestaltung des Umfelds wurde der Gesamteindruck sicher sehr verbessert und durch eine Blitzschutzanlage der Bau gesichert, aber die Krönung dieser umfassenden Erneuerung erfolgte erst nach dem Regierungswechsel in Braunschweig im Jahre 1885. Da Herzog Wilhelm 1884 kinderlos starb, wurde der Neffe des Kaisers, Prinz Albrecht von Preußen, als Regent des Herzogtums gewählt. Er wertete Repräsentation ausdrücklich als „zur Erreichung von Staatszweck erforderlich“, und die Stände billigten dies.

Hatte man für die Ausmalung des Kaiserdomes bisher „nur auf eine einfache Abtönung Bedacht genommen“, so hieß es nun: „Se. Königl. Hoheit Prinz Albrecht geruhten indessen bei einer Besichtigung der Kirche den Wunsch zu äußem, daß der hohen Bedeutung des Gebäudes entsprechend, eirıe förmliche stylvolle Ausmalung, wenn auch in bescheideneren Grenzen als die Ausmalung der Hof- und Domkirche (in Braunschweig) zur Ausführung gebracht werden möge.“ Es gelang, für den Entwurf dieser Ausmalung August Essenwein, den ausgewiesenen Kenner mittelalterlicher Kunst, die führende Autorität in Deutschland für derartige Aufgaben, zu gewinnen. Er war erfahrener Architekt, Künstler, Kunsthistoriker, Denkmalpfleger und erfolgreichster Erster Direktor des Germanischen Nationalmuseums in Nümberg.
Nach Ausstattung der Kölner Kirchen St. Geron, Groß St. Martin und St. Maria im Capitol, Restaurierung der Frauenkirche in Nürnberg, Fußbodengestaltung im Kölner Dom und Ausstattung des Braunschweiger Domes wurde die Ausmalung der Stiftskirche zu Königslutter seirı letztes Werk dieser Art. Es ist außer dem Fußbodenmosaik des Kölner Domes das einzig erhaltene. Die arıderen gingen durch Krieg und Nachkriegsrestaurierungen verloren.


Wie der Meister von Königslutter aus dem damaligen Fundus von Gestaltsvorbildem aus antiken Jagddarstellungen, mythischen Bildnissen, dekorativem Relief und klassischen Kapitelformen sein Gesamtbildwerk an der Außenapsis komponierte, so schuf Essenwein sein Ausmalungskonzept aus den vorgefundenen Resten alter Malerei im Chor und Westgewölbe und sinngemäßen Ergänzungen mit Bildzyklen der gleichen Zeit. lm Langhaus der Basilika, das dem irdischen Bereich zugeordnet ist, symbolisieren vier Personifikationen der Tageszeiten - Morgen, Mittag, Abend und Nacht - die mit der Schöpfung beginnende und endende Zeit und die ihnen beigegebene Sonne den dauemden Wechsel irı ihr. Die flankierenden Tiere deuten auf das zweite Charakteristikum der Schöpfung, den Raum. Irı anderer Folge flarıkieren und verstärken sie auf der Südseite die Symbolisierungen der Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde. Nach den von Hugo von St. Victor (1096 bis 1141) aufgestellten Stufen des Erkennens in der geistlichen Auslegung der geschaffenen Welt soll der Mensch über Schauen, Denken und Erfassen hier zu dem Resultat geführt werden: Die gesamte Schöpfung lobt Gott wie jedes Werk seinen Meister lobt, und der Mensch möge voll in dieses Lob einstimmen, dem im Querhaus sich die himmlischen Heerscharen anschließen. Als Mittler zwischen Himmel und Erde verbinden sie zugleich zum Chor, dem Allerheiligsten. Dort ergänzte Essenweins Entwurf die Darstellung des Jüngsten Gerichts durch die des Himmlischen Jerusalems, des neuen Paradieses, und der Tugenden, durch deren Einhaltung der Mensch jenes anstreben soll.


Manche Besucher fühlen sich von dieser vergleichsweise knappen und klaren Komposition überfordert oder lehnen, wie es 1709 der Frankfurter Ratsherr Uffenbach mit dem Jagdfries tat, diese Sinnbilder ab. Sie finden sie hohl, weil sie nichts von sich darin finden.

Das Jubiläum der Neuweihe vom 14. Oktober 1894 wäre geeignet, die Leistungen der müh- und bedeutsamen Restaurierung zu erläutern, Vertiefung gegen verbreitete Verflachung und Oberflächliclıkeit zu setzen, das Ergebnis zum Erlebnis zu machen. Erst die Kenntnis über Absicht, Argumentation und Möglichkeiten der damaligen Denkmalpflege macht reife Bewertung ihrer Leistungen möglich. Die Zahl derer, die das wollen, wächst.

veröffentlicht in:
Kreisbuch 1994/95 des Landkreises Helmstedt S. 63-66

 

 

Johann Friedrich Wendt - der große Baumeister von Königslutter

Heinz Bruno Krieger Johann Friedrich Wendt (1659 – 1730)

der große Baumeister von Königslutter

1981

Es sind nicht nur die Berge und Täler, Felder und Wälder, die den Begriff der Heimat ausmachen. Es sind vor allem die Menschen, mit denen wir zusammen leben, die das Gesicht der Städte und Dörfer prägen und die ihr Können, ihren Geist, ihr Wirken dazu verwenden, das Miteinander lebenswert zu gestalten. Zu den größten Baumeistern unserer Elmheimat gehört ein Mann, dessen Name es wert ist, der Vergangenheit entrissen zu werden, hat er doch gerade Bauwerke geschaffen, die heute noch weithin Beachtung und Anerkennung finden.

Johann Friedrich Wendt, Baumeister, Maurer- und Steinhauermeister – der Erbauer des Quellhauses der Lutterquelle – der Baumeister und Erneuerer der barocken Gewölbedecke der Stiftskirche! –

 

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Als Sohn unserer Stadt, wurde Johann Friedrich Wendt zu Oberlutter am 16. September 1659 geboren. Sein Vater, Meister Ulrich Wendt, war Sohn des alten Marrus Wendt, den 1649 das Zeitliche gesegnet hatte und von dem bekannt ist, daß er in Oberlutter mehrere Grundstücke besessen hatte, die aber, wohl infolge der Kriegereignisse, 1649 als „wüste Hausstätten“ bezeichnet werden. Johann Friedrich Wendt erlernte, wie sein Vater und viele Mitglieder dieses alten Maurer- und Steinhauergeschlechtes das Baugewerbe. Anno 1686, den 8. Junius, vermählt er sich mit Elisabeth Bergen, der Tochter des Cordt Bergen. Der Ehe entsprossen mehrere Kinder.

Als im Jahre 1690 die bis dahin gerade Balkendecke des Langhauses der Stiftskirche einstürzte, das Kaisergrab und den Innenraum verwüstend, wurde Meister Johann Friedrich Wendt, der damals gerade 31 Jahre alt war, von dem Abt Friedrich Ulrich Calixt damit beauftragt, die entstandenen, bedeutenden Schäden auszubessern und die Decke im barocken Styl wieder neu herzustellen.

Es entstand nun eine Einwölbung der bis dahin geraden, romanischen Balkendecke, deren spitzbogige, profillose Quergurte und Diagonalgrate auf Wandpfeiler, mit gut geschnittenen Profilen an Kämpfer und Sockel, gesetzt wurden. Diese wiederum wurden auf barocke Konsolen, die meist in Form menschlicher oder phantastischer Köpfe, zu stehen kamen. Die Schlußsteine dieser gewaltigen Deckenkonstruktion, waren rosettenartig, mit langem Hängezapfen. An dem westlichen Schlußstein befindet sich die Inschrift: M.(eister): Joh. Friedr. Wendt: fecit: 1695.-

Der Deckenbau und die Restaurierung des Innenraumes hatte von 1693 – 1695 gedauert. Wendt hatte sich durch diese gewaltige Leistung hohes Ansehen und Achtung erworben. Noch im selben Jahre, 1695 fing er mit dem Verbau der Grundstücke auf der Renne 26 (Nr. Ass. 435, heutiger Besitzer Spalding) an, über dessen Tür sich eine in Arkantusblätter eingefasste Kartusche mit der Inschrift: „1695 ist dieser Bau angefangen durch Joh. Friedr. Wendt Vnd Elisabeth Bergen Volented Ao 1713 – Trau Schau Wem“.- Die heute leider in einem desolaten Zustand befindliche Hausfront dieses Baudenkmals, wäre es wert in einen würdigen Zustand gebracht zu werden.- Nach dem Abt Johann Fabricius 1701 die „Regierung“ des Klosters übernommen hatte, beauftragte er im Jahre 1708 Meister Joh. Friedr. Wendt mit dem Bau eines Quellhauses über den Lutterquellen. Wendt erbaute nun hier „ein 22 Fuß langes, 11 Fuß breites und aus dem Grund bis unter das Gewölbe 15 Fuß hohes, die 7 Quellen der edlen Lutter in sich begreifendes Gewölbe oder Gebäude, von Quadersteinen, mit einer schönen facciata, gegen dem Kloster zu.“ Den Eingang zur Quelle, im Korbbogen, krönt eine Darstellung im Vollrelief von guter Arbeit, den Flußgott darstellend mit darunter befindlicher latainscher Inschrift. – Noch heute, nach bald 300 Jahren, zählt die Lutterquelle zu den meist besuchten Sehenswürdigkeiten des Elmraumes. –

Viele Lehrlinge und Gesellen waren durch Joh. Friedr. Wendt ausgebildet und weitergebildet worden. Er war neben einem vielseitigen Beruf viele Jahre hindurch im Kirchenvorstand der Stiftskirche. Im Jahre 1719 erbaut er noch das Haus Stiftskirche 6 (= Nr. ass. 585) mit der Inschrift: „Anno 1719 ist dieser Bau angefangen und unter der hülfe Gottes durch Johann Friedrich Wendt und Elisabeth Bergen vollendet den 20. May. Wer Gott vertrauet hat wol gebauet.“ –

An der Südwest-Ecke des Hauses befindet sich eine Sonnenuhr. –

Ein weiteres Baudenkmal von der Hand Wendts, dürfte das schöne Haus Bahnhofstraße 1 (= Nr. ass. 168, in dem Hause befindet sich seit 1963 die Gaststätte: Zur Kaiserschänke“) mit dem repräsentativen Portal sein, das der reiche Ducksteinbierbrauer Peter Kerrl 1711 erbauen ließ, und dessen Portal mit den Säulen ANNO 1720, wohl das Jahr der Fertigstellung zeigt.

Diese würdigen Beispiele allein zeigen, wie sehr sich Johann Friedrich Wendt um die Erhaltung und den Aufbau, noch heute bewunderter Bausubstanz in und um Königslutter verdient gemacht hat. Am 5. Dezember 1730 ist Meister Wendt gestorben. Seine Frau, Elisabeth Bergen war ihrem Manne bereits am 1. Weihnachtstag 1728 im Tode voraus gegangen. Der große Leichenstein dieses Paares liegt nun schon seit vielen Jahren vor dem Marienportal der Stiftskirche; viele, viele Menschen trampeln darauf herum, noch kann man, gibt man sich etwas Mühe, die Inschrift, die Namen und Daten entziffern. – Wäre es nicht eine schöne Aufgabe, einfach eine Verpflichtung, diese Grabplatte aufzurichten, die Inschrift leicht zu vertiefen und zu tönen, um sie der Nachwelt kund zu tun? – Die Steinmetzschule ist ja so nah . . . . .

Mögen diese Zeilen dazu beitragen, den Namen eines Mannes im Gedächtnis der Stadtgeschichte wach zu halten, der über seine Erdentage hinweg sich um unsere Stadt Königslutter verdient gemacht hat! –

 

Quelle: handschriftliches Original Heinz Bruno Kriegers im Nieders. Staatsarchiv Wolfenbüttel Sign. 287 - N –

 

 

Christof Römer "Die Klosterkirche"

Auszug aus Veröffentlichung: „SONDERDRUCK AUS GERMANIA BENEDICTINA Band VI: NORDDEUTSCHLAND KÖNIGSLUTTER“
von Dr. Christof Römer
Herausgegeben zur 850-Jahr-Feier des Kaiserdomes Königslutter 1985


„Bau- und Kunstgeschichte
...

Die Klosterkirche: Die überkommene Benediktinerkirche (heute meist „Stiftskirche“ genannt) besteht aus einem architektonisch fein durchgegliederten, mit Bauplastik reich geschmücktem Chorteil in gebundenem System (Querhaus und dreischiffiger Chor) sowie einem wesentlich einfacher gestaltetem Langhaus. Die Kirche ist großzügig angelegt: die Länge beträgt 65 m, die Breite des Mittelschiffes 10 m, die Scheitelhöhe im Querhaus 18,5 m. Der Vierungsturm ist 58 m hoch, der Westriegel erreicht mit den beiden Westtürmen die Höhe von 52 m. Über die Bauphasen und die Bauzeiten ist viel gestritten worden, da mangels fehlender Nachrichten der Bau selbst stilistisch und ikonographisch befragt werden muß.
Der Chorteil mit dem Chorrnittelschiff und den beiden Chorseitenschiffen entspricht hirsauischen Baugewohnheiten und damit der in der Gründungszeit des Klosters maßgebenden monastischen Richtung. Die Akanthusblatt-Kapitelle, von denen sich heute einige im Braunschweigischen Landesmuseum befinden (Zg 2318, VMB 5570a und VMB 5570b, VMB 5747, VMB 5992 a und b, VMB 11108, letzteres in einer Gruft aufgefunden), sind für die norddeutsche Kapitellornamentik maßgebend geworden. Berühmtheit erlangten die Rundbogenfriese am Ostchor und das Portal mit den Löwen (Original heute in der Kirche). Diese Bauplastik ist das Werk von Künstlern, die Verona (Westportal, 1132 vollendet) und Ferrara (Zwerggalerie, 1132 begonnen) gekannt bzw. dort gearbeitet haben. Die Inschrift „hoc opus eximium vario celamine mirum sc(ilicet) . . .", die vor der Nennung des Meisternamens abbricht, läßt erkennen, daß die vielgestaltete Bildlichkeit als Prunk bewußt geschaffen worden ist. Die Symbolik - etwa des Jagdfrieses - spiegelt wohl die kämpfende und siegende Kirche und hat viele Deutungen gefunden.
Das Langhaus ist für die Wölbung gebaut, doch wurden die Gewölbe erst 1695 nach dem Einsturz der Flachdecke 1690 durch den Baumeister Johann Friedrich Wendt errichtet. Das Langhaus dürfte bis zum Beginn des Braunschweiger Dombaues (1166/1173) fertiggestellt worden sein.
Ein noch romanisches Tonnengewölbe hat die Sakristei am südlichen Querhausarm. Im 12. Jh. wurde die Marienkapelle am nördlichen Querhausarm errichtet (1835 abgebrochen); nach den ergrabenen Grundmauern muß sie etwa 10,5 m breit und 8 m tief gewesen sein. Eine Ansicht um 1830 läßt eine Laube („Paradies") mit Bogen erkennen. Ebenfalls im 15. Jh. erhielten unter Abt Heinrich Wyting (1431-1460) die Seitenschiffe der Kirche Rippengewölbe. Zwischen 1450 und 1460 wurde auch der Achteckturm mit einfachen Bruchsteinen (nicht mehr mit den Kalksteinquadern) neu hergerichtet und mit acht mal vier Figuren geschmückt (die Stiftsheiligen Petrus und Paulus zwischen Andreas und Matthias; die vier Evangelisten; die vier Kirchenväter; die gekrönte Muttergottes segnend zwischen zwei Engeln; Kaiser Lothar III. und Kaiserin Richenza zwischen zwei Knappen usw. (vgl. SCHEFFLER 1951, SCHADENDORF u. DIESTELMANN 1954). Abt Wyting hat auch die niedrigen Achtecktürme auf den Westriegel setzen lassen. Größere Reparaturen und Erneuerungsarbeiten erfolgten Ende des 16. Jh.s (ab 1591), Ende des 17. Jh.s (nach 1691), dann 1835-1836 und 1892-1894, schließlich 1974-1979."

 

Herausgegeben von der BAYERISCHEN BENEDIKTINER-AKADEMIE MÜNCHEN in Verbindung mit dem ABT-HERWEGEN-INSTITUT MARIA LAACH