Henrici: Die Stiftskirche zu Gandersheim

Die Stiftskirche zu Gandersheim

Mitgetheilt von K. Henrici, Stadtbaumeister zu Harburg

(Mit Abbildungen auf den Blättern 117 bis 121 und 6 in den Text gedruckten Holzschnitten.)


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Geschichtliches.

Nach Lüntzel’s Geschichte der Diöcese und Stadt Hildesheim von K. Henrici und aus anderen Quellen wesentlich vermehrt, namentlich vom 16. Jahrhundert bis auf die heutige Zeit vervollständigt von G. L. Brackebusch, Cantor in Gandersheim.

Etwa 50 Jahre nach der Gründung des Bisthums der Kirche zu Hildesheim, sehen wir in demselben unser Kloster Gandersheim entstehen. Wie solche Anstalten in damaliger Zeit aus frommer Begeisterung hervorgegangen, die ersten und einzigen Pflanzstätten für jegliche Bildung, die Träger für lebendige Bewegung waren, wie sie mit Allem, was eine kindliche Kunst an Bau- und Bildwerk und Gesang Schönes zu schaffen vermochte, den Sonnenstrahl des Evangeliums hoben und um sich verbreiteten, mögen wir gern nachempfinden, wenn wir in den Fluren wandeln, welche sie zuerst bebauten, wenn wir ihre Kunstdenkmale studiren, in denen sie uns eine mit Lapidarschrift geschriebene Chronik ihrer geistigen Entwickelung hinterlassen haben.

Auch Gandersheim ladet zu solchen Betrachtungen den Wanderer ein, komme er mit Dampf dahergebraust und sehe von der südlichen Berghalde hinab in das freundliche Städtchen, wie es noch jetzt gleichsam unter dem Schutze der beiden ehrwürdigen Thürme der Stiftskirche sicher zu ruhen scheint, komme er im lieblichen Thale der Gande heraufmarschirt, da sich uralte Bäume mit den Thürmen und hohen Firsten der Stadt zu einer recht malerisch mittelalterlichen Gruppe vereinigen.

Zur Zeit der Entstehung sah es wohl anders dort aus. Freilich hatte die Cultur schon in Etwas das Dunkel des Höhen und Tiefen bedeckenden Waldes gelichtet. Auf dem Gipfel des Kaminadenbrinkes, der da ansteigt aus des Heiligenbleeks quellenreicher Thalmulde, erblickt man schon (wie die Sage erzählt), - ähnlich den Kemnaden an Ohre und Weser,

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens

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eine Zufluchtsstätte der christlichen Glaubensboten zur Zeit Karls des Großen, - den kleinen Steinbau, von welchem der genannte Hügel den Namen erhalten. Von dem, ins Mahmilchthal sich hinabsenkenden Südabhange des Clusbergs, sowie von der an den Nordfuß dieses Hügelzugs stoßenden Bodenfläche war schon ein Theil für den Ackerbau gewonnen und bildete die Feldmark je eines von dem Sachsenherzoge Grafen Ludolf gegründeten und nach diesem (eines Nord-, das andere Süd-) Ludolfshausen, später Ludolfsen oder Luleffsen genannten Dörfchens. Auch prangte schon auf einem, bis an das rechte Gandeufer sich erstreckenden Ausläufer genannten Berges ein dem St. Georg geweihtes Kirchlein, in welchem nicht nur die Colonen der Umgegend ihre Andacht verrichteten, sondern zu dem auch Ludolf von seinem nahen Schlosse (? Heideminde, Wedemerburg ?) aus in einem „bedeckten“ (vielleicht durch eine Hecke geschützten Gange) mit den Seinen fleißig hinpilgerte. Aber in dem jetzt die Stadt bergenden Thalgrunde selbst, der, wie die noch jetzt für einzelne Partien desselben vorhandenen Namen „Teich, Laak, Meer“ anzudeuten scheinen, erst nach der Besitznahme des Gebiets durch die Menschen vom Wasser verlassen worden, da sah man fast Nichts als Sumpf und Gebüsch und dazwischen nur die ärmlichen Hütten der Hirten Ludolphs, sowie die beschränkten Lagerstätten der, vor Allem des Nachts dort untergebrachten Heerden.

Wie nun dem Entstehen von kirchlichen Gebäuden fast immer eine durch überirdische Erscheinung ausgesprochene göttliche Kundgebung zu Grunde gelegt worden ist, damit den Gläubigen die Kunde zukomme, wie und von wem ein so frommes Werk ausgegangen sei, und damit der Ungläubigen Aberglaube zum wahren Glauben sich wandle, so hat auch die

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Stiftskirche von Gandersheim über ihre Entstehung ihre fromme Sage. Das Frauenkloster zn Brunshausen war zu klein geworden und der fromme Graf Ludolph mit seiner Gemahlin Oda, die Stifter desselben, erflehten ein Zeichen vom Himmel, damit sie den rechten Platz für das neue Gebäude fänden. Da erblickten Hirten, welche das Dorf Gandersheim bewohnten, 2 Tage vor dem Feste Allerheiligen im Walde viele Lichter. Die Gegend wurde hell erleuchtet und die erschreckten Hirten eilten zum Grafen, ihm zu erzählen, was sie gesehen hatten. Dieser aber war hoch erfreut, dankte Gott, begab sich in der folgenden Nacht zu dem Orte, um die wunderbare Erscheinung noch einmal mit eigenen Augen zu sehen, und als dies geschah, weihete er den Platz und ließ ihn zu seinem Zwecke bereiten. - Am 1. November 1853 wurde das 1000-jährige Stiftungsfest gefeiert. -

Die Urkunden bestätigen, daß Graf Ludolf, König Heinrichs I. Großvater, der Gründer des Stifts gewesen ist. Seine Gemahlin Oda wird als ein frommes Weib geschildert, und wenn es bei Ludolf hauptsächlich Reue und Bußfertigkeit - über ein rauschvoll verbrachtes Leben gewesen sein mag, bei ihr war es reine religiöse Hingebung, welche beide im Jahre 844 nach Rom trieb. Sie erhielten den Segen des Papstes Sergius II. und auch die Reliquien der heil. Päpste Anastasius und Innocentius und gründeten nach ihrer Rückkehr 852 auf Erbgütern eine klösterliche Genossenschaft bei der Kirche zu Brunshausen.

Der Bischof Altfried ersah später eine gelegenere Stelle am Ufer der Gande und dort wurde (856 ?) ein Kloster von größerem Umfange zu bauen begonnen, dessen Vollendung indeß weder Ludolf noch Hathumoda, seine Tochter, des Klosters erste Aebtissin, erlebten. Beide wurden zu Brunshausen begraben, das Kloster zu Gandersheim aber erst vom Bischof Wigbert am 1. November 881 eingeweihet, von Ludolf mit Erbgütern, von Altfried mit dem Zehnten der umligenden Dörfer ausgestattet. Des Stifters Nachkommen bestiegen den deutschen Königsthron, ihnen blieb das Stift als Ruhestätte ihrer Ahnen ein Heiligthum, und wohl mehr als irgend ein anderes Kloster hat Gandersheim viele königliche Urkunden und Gnadenbezeugungen aufzuweisen. Auffallend jedoch ist der Unterschied, welcher in Beziehung auf die Begünstigungen von Seiten der deutschen Könige zwischen der Zeit, als das Sächsische Haus auf dem Throne saß und der spätern Zeit eintritt. Heinrich III., IV. und V. thaten wenig für Gandersheim, wohlwollender ist wieder der Sachse Lothar gewesen.

Hathumoda, die Tochter Ludolfs, wurde, wie schon erzählt, des Klosters erste Aebtissin. Schon im 12. Jahre ihres Alters war sie zuerst für eine kleinere dann für eine größere Zahl von Schwestern als geistliche Mutter eingesetzt. Sie hatte den frommen Geist ihrer Mutter geerbt und in wahrhaft rührender Weise sehen wir sie in den zuerst dürftigen Verhältnissen, welche ihr und den Klosterjungfrauen kaum

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die Befriedigung der einfachsten Lebensbedürfnisse erlaubte, wirken. Allem äußern Prunk entsagend war sie die Einfachste ihrer Mitschwestern, aufopfernd in der Krankenpflege, ein Vorbild in jeder weiblichen Tugend, außerdem aber gelehrt, indem sie fleißig die Bibel studirte und abschrieb.

Ihr folgte ihre Schwester Gerberg 875. Diese erlangte den von Hathumoda vergeblich ersehnten königlichen Schutzbrief. Damit wurde das Kloster mit Gütern und Leuten der Macht der öffentlichen Beamten entnommen und unter die Gewalt des Vogtes der Aebtissin gestellt. Zugleich wird den weiblichen Nachkommen des Gründers, sofern sich unter ihnen eine Person von strenger Lebenssitte und Kenntniß der heiligen Schrift finde, die Würde einer Aebtissin zugesichert. Fände sich unter den Nachkommen des Gründers nicht eine solche Person, dann dürfen die Klosterjungfrauen zur Aebtissin wählen, wen sie wollen.

Somit erhielt dies Kloster vollständige Immunität, die erste, welche für ein Kloster ausgesprochen worden ist.

Wie schon erwähnt, wurde zur Zeit Gerbergs die neue Kirche 881 geweiht.

Es folgte die dritte Schwester Christina 897 und dieser Roswitha. Wie letztere sich besonders der Gunst König Heinrich I. erfreute, so konnte sich ihre, um 980 als Nonne im Stift lebende und durch ihre schriftstellerische Thätigkeit berühmt gewordene Namensschwester einer ausgezeichneten Fürsorge von Seiten seiner Tochter Gerberga II. rühmen. Diese wurde Aebtissin des Klosters, nachdem der vorgenannten Roswitha zunächst Windelgard gefolgt war, deren Amtsthätigkeit sich durch Erbauung der Marienkapelle auszeichnete. Sie ließ sich in Gemeinschaft mit der Canonissin Richardis die geistige Ausbildung der Roswitha (Hrotsvitha) angelegen sein, welche auch, obgleich jünger als dieselbe, bei ihr einen höheren Bildungsgrad anerkennt, wie·er einer königlichen Prinzessin gezieme. Unter Gerberg und während ihrer langen Krankheit wurde die strenge Zucht gebrochen, welche so lange den Ruhm des Stifts begründet hatte. Aus den dürftigen Mitteln, mit welchen Hathumoda und eine kleine Zahl gottgeweihter Jungfrauen sich auf das Nothwendigste hatten beschränken·müssen, war in hundertjährigem Zeitraume ein solcher Reichthum erwachsen, daß jetzt eine zahlreiche Jugend Gelegenheit zum Wohlleben fand.

Neben der von Windelgard erbauten Kirche vereinigte Gerberg eine zweite geistliche Genossenschaft nach Benedicts Ordensregel, welche in gewisser Abhängigkeit vom Hauptstifte blieb, nämlich das Marienkloster für 30 Nonnen. Im Jahre 973 brannten die Klostergebäude ab. Die Wiederherstellung wurde durch einen langwierigen zwischen Willegis, dem Erzbischof von Mainz und Bernward, Bischof von Hildesheim ausgebrochenen Streit verzögert, und Gerberg erlebte sie nicht mehr.

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Viele neue Gnadenbezeugungen aber wurden dem Stifte zu Theil.

968 nahm Papst Johann XIII. dasselbe in Schutz 973 bestätigte Otto II. das von Gerberg neugestiftete Marienkloster, schenkte der Aebtissin Güter in Franken, übergab dem Stifte seine Tochter Sophia zur Erziehung und begleitete diesen Beweis seines Vertrauens wiederum mit bedeutenden Geschenken von Grundstücken.

980 bestätigte Otto II. dem Stifte den ihm schon länger zustehenden Burgbann von Gandersheim, und im Jahre 990 gestattete Otto III. der Aebtissin Gerberg die Einrichtung eines Marktes und der Münze, sowie die Erhebung eines Zolles, und verlieh, um diese Anstalten zu sichern, der Aebtissin den Königsbann, damit unter diesem jedes Verbrechen, welches sich zu Gandersheim ereignete, gerichtet werden könnte.

In diesen Verordnungen ist der Keim des in Gandersheim bald so schön heranblühenden Bürgerstandes zu suchen. Die Kaufleute zu Gandersheim erhielten dadurch dieselben Rechte, welche die zu Dortmund genossen, und sie wurden ihnen durch den Königsbann und die schnelle Justizpflege gesichert. Gerberg starb am 13. November 1001.

Die Zeit nach ihr wurde durch die erwähnten Zwistigkeiten lange getrübt. Sophia, die Tochter Otto II.·, durch ihren Hochmuth gestachelt, reizte immer von Neuem dazu an, indem sie es ihrer Würde angemessener hielt, von einem Erzbischof als von einem Bischof abhängig zu sein, und nur zu bereitwillig griff Willegis von Mainz unrechtmäßiger Weise in die Rechte Bernwards, des Oberhirten der Hildesheimer Diöcese, welcher Gandersheim von jeher angehört hatte, ein. Obgleich Bernward bei Papst und Fürsten und in allen eigens dieser Streitigkeit wegen berufenen Concilien Recht erhielt, gelang es doch erst dem König Heinrich, den Streit zu schlichten, indem er Willegis bewog, von seinen Ansprüchen abzulassen. Am 5. Januar 1007 wurde dann endlich die neuerstandene Kirche eingeweiht und die Einkleidung der Novizen vorgenommen.

Unter Godehard, Bischof von Hildesheim, Nachfolger Bernwards, entbrannte der Streit aufs Neue. Sophia ruhte nicht und versuchte wiederum den zweiten Nachfolger des Willegis, Aribo, dazu anzureizen. Godehard beendigte den Streit glücklicher als Bernward, jedoch nur weil die Mainzer Oberhirten, seit Aribo 1030 Verzicht geleistet, ihn wieder aufzunehmen nicht für gut hielten. Aus der Zeit der folgenden Aebtissinnen, Adelheid 1039, Beatrix, Heinrich III. Tochter, Adelheid II. wahrscheinlich 1053-1087), deren Schwester, ist nicht viel bekannt. Unter der letzten hat das Kloster stark durch Brand gelitten.

Anfang des XII. Jahrhunderts zählte Gandersheim unter seinen Vasallen den Kaiser Lothar, die Grafen von Wolfenbüttel,

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Peine, Winzenburg, Spiegelberg, Wernigerode, Wöltingerode u. s. w.

Mitte des XII. Jahrhunderts unter Aebtissin Adelheid IV. brannte wiederum die Kirche nieder. Sie wurde reicher als vorher geschmückt, mit Gemälden wieder hergestellt und vom Bischof Hermann eingeweiht.

Der Aebtissin Mathilde, Tochter des Grafen Burchard von Wöltingerode, derselben, deren Andenken auch durch die Stiftung eines Hospitals für 12 Frauen, des noch jetzt in Gandersheim bestehenden Frauenhauses „zum heil. Geiste“, gesichert ist, gelang es Anfangs des XIII. Jahrhunderts, das Stift von dem Verhältniß der Unterwürfigkeit, worin dasselbe zu den Bischöfen von Hildesheim seit 3½ Jahrhunderten gestanden hatte, zu befreien, und es unmittelbar unter den Papst zu stellen. Es wurde vom Papst Innocenz III· in dem Zinsbuche der päpstlichen Kammer unter den freien und exemten Klöstern eingetragen und mußte jährlich zwei weiße Stolen, worin Gold zu dem Betrage von 30 Byzantinern zu verweben war, zinsen.

Unter den Nachfolgerinnen der Aebtissin Mathilde sinkt das Stift allmählich von seiner gewaltigen Höhe herab. Die großartigen Besitzungen gaben wenig Ertrag, die Vasallen keinen Schutz, und Zwietracht wohnte im Innern der geistlichen Genossenschaft. Hatte diese Zwietracht einestheils in den Wahlangelegenheiten ihren Grund, indem dabei nicht allein einzelne Canonissinnen der Selbstsucht und dem Neide und andern niedern Leidenschaften die Zügel schießen ließen, sondern auch die aus den einfachen Kapellanen nach und nach hervorgegangenen Domherren das Wahlrecht nicht selten mißbrauchten; so entstand sie anderntheils vielfach aus dem zügellosen Verhalten verschiedener Stiftspersonen und besonders dem lockern Regimente und dem keineswegs kanonmäßigen Leben der Oberin. Namentlich gab Judith oder Jutta, geborne Gräfin von Schwalenberg, - die Erste, welche sich eine weltliche Aebtissin nannte und die geistliche Ordenstracht mit weltlicher Kleidung vertauschte, - um die Mitte des XIV. Jahrhunderts ein nichts weniger als erbauliches Beispiel. Ein Chronist schreibt über sie und ihre Zeit: „Das Stift fing an zu verderben. Die Aebtissin war immer mehr der Canoniken Magd worden und nicht länger Frau oder Mutter blieben. Man hat angefangen, sich der Election halber zu zanken, das Stift an allen Orten und Enden anzutasten, zu verkaufen und zu verpfänden, - und da vor Zeiten die Kirche so hoch verziert gewesen, daß eine Aebtissin, wenn sie nach Rom gereiset, nicht unter fremden, sondern unter ihrem eigenen Volke bleiben mögen; ist solches Alles gefallen.“ Eins der größten Aergernisse gab unstreitig im folgenden Jahrhundert der sogenannte Papenkrieg zu Gandersheim. Bei der nach dem Tode der Aebtissin Elisabeth (sie starb 1452) nöthigen Neuwahl spaltete sich der Wahlkörper, welchen die Stiftsfräulein oder

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Canonissinnen und die Dom- oder Stiftsherren (Canonici) bildeten, in zwei Abtheilungen. Die eine wählte Prinzessin Sophie von Braunschweig, die andere die Gräfin Walpurgis von Spiegelberg zur Aebtissin. Beide begaben sich mit ihrer Erwählten zur Einsegnung in die Stiftskirche: - die erstere auf das Fräuleinchor, die andere auf das hohe Chor, verrichteten die herkömmlichen Ceremonien und schlossen diese in möglichster Hast mit dem ambrosianischen Lobgesange. Die Anhänger Sophiens kamen zuerst zu Ende und eilten nun mit ihrer neuen Oberin, damit sie von der Abtei Besitz nehme, nach dem nahen Residenzgebäude. - Obgleich die Gegner alsbald den päpstlichen Bannfluch für die andere Partei erwirkten, so dauerte doch unter gegenseitiger Erbitterung, welche selbst in Verfolgungen mit tödtlicher Waffe sich Luft machte, der Streit über anderthalb Jahrzehnte fort. Im Jahre 1468 ward Walpurgis abgefunden und begab sich nun nach ihrer Abtei Wunstorf.

So war diese Sache beigelegt; aber in demselben Jahre entstanden neue Zwistigkeiten, und zwar mit der Stadt wegen eines von derselben dem Abteigebäude gegenüber in Bau genommenen, „die Tummelburg“ genannten Hauses. Nach 3 Jahren endeten auch diese mit einem Vertrage. - Aeußerlich war nun zwar die Ruhe wiederhergestellt, wie es jedoch im Innern aussah, kann man sich denken. Während des Papenkrieges war so wenig in der Stiftskirche, wie in den dazu gehörigen Kapellen Gottesdienst gehalten, die geistliche Zucht nicht sonderlich gehandhabt, aber auch die Ablieferung der Stiftsgefälle, wie überhaupt die Verwaltung der Stiftsgüter sehr nachlässig und unordentlich geschehen. - So kam die Abtei im Jahre 1485 auf Agnes, Fürstin zu Anhalt. Diese letzte derjenigen Aebtissinnen, bei deren Bestätigung der Papst aussprach, die Würde einer Aebtissin zu Gandersheim sei eine fürstliche Würde, zu der durch Wahl eine fürstliche Person erhoben werde, wußte oft nicht, woher sie ihr Mittagbrod nehmen sollte. Ihrer sorgsamen Verwaltung gelang es allerdings, das Stift aus solchem traurigen Zustande zu heben, sie ermüdete aber endlich unter der größten Feindschaft ihrer Geistlichen, welche sie sich durch ihr kräftiges Wirken zugezogen hatte, und zog sich im Jahre 1504 in das Stift Kaufungen zurück. Mit ihrem Fortgange schien dem Stifte jedes Ansehen, jede würdige Stellung genommen zu sein.

Die Uneinigkeiten dauerten fort. Der gute Wille der Obern fand nicht immer Anerkennung und Unterstützung bei den Untergebenen. Die Nebenbuhlerin bei der Aebtissinwahl ward nicht selten die lebenslängliche Gegnerin der Bevorzugten und suchte nicht allein selbst dieser das Leben und die Regierung schwer zu macher sondern wußte auch andere, selbst machthabende Persönlichkeiten für ihre Zwecke zu gewinnen. So geschah es z. B. bei Agnesens Nachfolgerin der Aebtissin Gertrud von Regenstei, indem die Dekanissin Katharina von Hohnstein

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ihre beständige Feindin blieb und durch die Herzogin Elisabeth selbst bei dem Herzoge Heinrich von Braunschweig, der doch Schirmherr des Stiftes war, unter anderm dahin wirkte, daß den Zinsleuten die Ablieferung der Korngefälle an die Abtei durch des Herzogs Schergen verboten und sogar, als die Aebtissin zur Einsammluug der Zinsfrüchte selbst mit Wagen und Gespann ihre Residenz verlassen hatte, derselben die Rückkehr in die Stadt wochen-, ja mondenlang unmöglich gemacht ward, bis endlich auf ihre Anklage der Ausspruch des Reichskammergerichts ihr das Stadtthor wieder erschloß.

Nicht allein erwuchsen dem Stifte aus dergl., häufig bis zu den höchsten geistlichen und weltlichen Behörden, bis vor Papst und Kaiser gebrachten Händeln an sich bedeutende Kosten, - bei obigem Prozesse an 19,000 Goldgulden,. - sondern es fischten auch dabei gemeine Seelen im Trüben und unterschlugen Gelder und veräußerten kostbare Güter und werthvolle Kirchenschätze. Kriegsunruhen kamen hinzu. Die Hildesheimsche Stiftsfehde brachte schon Nachtheile, mehr aber noch schädigte der schmalkaldische Krieg die Interessen des Stifts.

Erging's letzterm auch nicht, wie dem Barfüßerkloster, das, nachdem die Mönche, unter andern der feine Historiker Aegidius Sauermage, aus demselben vertrieben, mit seinen Kunstwerken, so einem der berühmtesten 9 Todtentänze Deutschlands, 1552 von Volrad von Mansfeld zerstört ward; so litt es doch durch die Schädigung seiner Censiten und durch Brandschatzungen in Summen von 1000 Thalern und mehr.

Die Herzöge v. Braunschweig hatten, abgesehen von der nach Heinrich dem Löwen auf sie übergegangenen Schirmvogtei zum Theil ihre besondere Gnade dem Stifte zugesagt; sie hielten sich auch, wie es früher, außer den ersten ludolfingischen Kaisern, Lothar und selbst Wilhelm von Holland gethan, zeitweise dort auf. So Heinrich der Friedfertige, der auch in dasiger Münze (von 1442 bis 1473?) Hohl- und Dickmünzen schlagen ließ; ferner Wilhelm der Jüngere, der zu dem Prachtbau der Wilhelmsburg den Grund legte, welchen Dekanissin Katharina, in Hoffnung auf seine Unterstützung bei ihrem Streben nach der Aebtissinwürde, dann vollführte und der, Anfangs Wittwensitz von genannten Herzogs Wittwe Elisabeth, geb. Gräfin von Stolberg, später Collegienhaus des 1570 gestifteten Pädagogiums, zuletzt im Besitze der Herren von Brüningk sich befand; - darauf Heinrich der Aeltere, welcher in unmittelbarer Nähe dieses Schlosses im Jahre 1510 eine neue geistliche Stiftung, das Franziskaner- oder Barfüßerkloster, gründete; - nach demselben Heinrich der Jüngere, welcher letztere nicht allein den siebten seiner Söhne, Andreas (stirbt 1517) im Barfüßerkloster zu Gandersheim begraben ließ, und 2 seiner Töchter: Maria, in deren Antrittsjahre (1530) die 12 Domherrenstände auf dem Chor der Stiftskirche erneuert wurden, und (1589) Clara (bis 1547) zu dasiger Abtei befördert sah; sondern auch das Schloß zu

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Gandersheim, die Wohnung des Blutvoigts etc., durch seinen Voigt Hans von Scharfenstein hatte neu aufführen, das Gandebett um die durch die Neustadt erweiterte Stadt legen, letztere durch einen Wall möglichst vor Ueberschwemumngen schützen und die Stadtgemeinde aus ihrer, bei jenen Wasserbauten verkleinerten, bisherigen Pfarrkirche zu St. Georg 1550 mit in die Stiftskirche aufnehmen lassen; - vor allem aber Julius, der nicht nur, nachdem die durch die schmalkaldischen Bundesfürsten 1542 eingeführte Reformation mit der Rückkehr Heinrich des Jüngern rückgängig gemacht worden, bald nach seinem Regierungsantritt (1568) die lutherische Lehre einführte und seiner Tochter Elisabeth die Abtei verschaffte; sondern auch 1570 ein Pädagogium einrichtete, - dem bis dahin in verschiedenen Städten abgehaltenen Hofgerichte Gandersheim zum festen Sitze bestimmte, auch - wie sein Regierungsnachfolger Heinrich Julius - verschiedene Landtage daselbst abhielt, sodann bei verschiedenen Unglücksfällen, namentlich bei einer schrecklichen Ueberschwemmung 1574, sowie einem großen Brande 1580, dem Orte zu Hülfe kam; - endlich Heinrich Julius, der das Schloßgebäude noch erweiterte.

Trotzdem konnten oder mochten diese Fürsten manchem Unwesen nicht steuern. So führte freilich Herzog Julius die Reformation ein, aber die Aebtissin Magdalene, aus dem bereits unter Hussens Anhängern genannten böhmischen Geschlechte derer von Clum oder Columna, und sämmtliche Stiftspersonen blieben der katholischen Kirche treu und hielten ihre Gottesdienste auf dem hohen Chore, während die Gemeinde im Schiffe in evangelischer Weise Gott verehrte. Mehrere Verträge wegen des Gottesdieustes etc. wurden nun 1570 bis 1572 abgeschlossen; doch beharrten die Genannten bei ihrem Cultus und setzten diesen darauf im Kloster Clus fort, wohin sich die Aebtissin 1576 begab und wo sie im folgenden Jahre starb. So ließ Herzog Julius auch, weil er das Recht der ersten Bitte für seine Tochter Elisabeth erhalten, diese, der durch das Kapitel geschehenen Wahl entgegen, gewaltsam einführen und sich behaupten, bis sie durch richterlichen Entscheid zum Rücktritte genöthigt wurde. Ebenso setzte er, trotz Widerspruchs von Seiten des Stiftspersonales, die Einführung der Margaretha von Warberg durch, welch letztere aber nach 5jähriger übler Haushaltung und höchst anstößiger Lebensweise auf Befehl des Herzogs Julius gefangen nach der Staufenburg geführt ward, wo sie in den unterirdischen Räumen der alten Veste nach etwa 3/4jähriger, strenger Haft am 27. März 1588 ihr Leben beschloß. Erst nach Absetzung dieser Aebtissin ließ er die zweimal übergangene ältere Schwester Magdalenens, von Columna, mit Namen Margaretha, folgen, die aber nach einjährigem Besitze, - die letzte Aebtissin katholischer Confession. - den 10. April 1589 starb.

Wenige Wachen darauf segnete auch Herzog Julius das Zeitliche. An demselben Tage (3. Mai) trat dessen Sohn,

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Herzog Heinrich Julius, die Regierung des braunschweigischen Landes an, nachdem 10 Tage zuvor die Erwählung einer neuen gandersheim’schen Aebtissin in der Person der Gräfin Anna Erica von Waldeck stattgefunden hatte.

Wie diese, - die erste protestantische Aebtissin, - „ein gottesfürchtiges und hochverständiges Fräulein, die das Stift sehr wohl und löblich regiert“, bemüht war, neues Leben in den Stiftskörper zu bringen, so ward sie auch wohl unterstützt von dem neuen Schirmherrn. Ein Vertrag (vom 20. August 1593) ordnete die vereinbarten Bestimmungen. Leider ward 1597 die Abtei nebst mehr als 70 Bürgerhäusern ein Raub der Flammen. Das Capitel verehrte zum Neubau nur 1000 Thaler; doch „fand die Aebtissin Mittel und Wege, ein viel herrlicheres und beständigeres Gebäu auszuführen, als das alte“. Und noch jetzt ziert das meist auf ihre Kosten vom Meister Henrich Ovekate hergestellte Bauwerk den Ort. Unter ihrer Regierung ward in der Stiftskirche, nachdem zur Aufstellung der 1584 gebauten neuen Orgel bereits eine Prieche im Westen des Mittelschiffes angelegt worden, angefangen, auch das nördliche Seitenschiff mit Emporen zu versehen und so den schönen Baustyl theilweise zu verdecken.

Hatten auch schon zu dieser Zeit die Händel der Stadt Braunschweig mit ihren Fürsten auf die Einkünfte des Stifts einigen Einfluß, so konnte doch Anna Erica’s erste Nachfolgerin, Dorothea Auguste von Braunschweig (seit 1611) im Anfange ihrer Regierung noch einige verpfändete Güter wieder einlösen. Eine schwere Zeit indeß stand trotz der erhaltenen alten und neuen kaiserlichen Privilegien, dem Stifte und dem dasselbe bergenden Städtchen im 30jährigen Kriege bevor. Die sämmtlichen Kornmagazine von Abtei und Stift wurden geleert, aber das auf Bezahlung der mitgeführten reichen Vorräthe, sowie auf Schutz des Eigenthums und dergl. gerichtete Versprechen des kaiserlichen Generals Tilly ward nicht stets gehalten. Die Einwohner der Stadt empfanden alsbald, daß man in Kriegszeiten, auch selbst unterm Krummstabe, nicht gut wohne, und litten, gleich dem Stifte, durch Contributionen, Einquartierung, Plünderung mit Kirchenraub, - bald von den Kaiserlichen, bald von den Schweden, - sowie durch andere Kriegsunfälle, zu denen 1626 noch die Pest kam, entsetzlich, so daß ihrer Viele das Weite suchten, und am Schlusse des Krieges, abgesehen von den Verwüstungen in Stadt und Umgegend, der Ort, über dessen Gemeindevermögen schon 1630 der Concurs ausgebrochen war, nur noch ein Viertheil seiner frühern Einwohnerzahl hatte.

Katharina Elisabeth, geborne Gräfin von Oldenburg und Delmenhorst, welche 22 Jahre des Krieges als Aebtissin durchgemacht, überlebte dessen Ende nur um ein Jahr.

Unter ihren 9 Nachfolgerinnen, darunter 4 brauuschweigische und 2 mecklenburgische Prinzessinnen, waren freilich einige, die, eigennützig und genußsüchtig, weniger das Wohl

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des Stiftes im Auge hatten, die in Gastereien und Bällen, in Comödien und Liebesabenteuern ihre Hauptaufgabe zu suchen schienen, und dann, was zwei derselben anbelangt, die Abtei verließen, um im Schooße der allein seligmachenden Kirche, die eine als Conventualin, zuletzt als Aebtissin eines niederländischen Klosters, die andere als Gattin eines nordischen Grafen, ihr früheres Leben vergessen zu machen; doch die meisten suchten das Vermögen des Stifts zu sichern, und zu verbessern, das Ansehn desselben zu heben, den Zwecken des Stifters, für Frömmigkeit und Tugend, für Kunst und Wissenschaft eine Stätte zu gemeinschaftlicher Uebung zu gründen, Rechnung zu tragen. So wurden z. B. von Marie Sabine, einer gebornen Gräfin von Solms, verpfändete Güter, verdunkelte Lehen etc. wieder erworben; so suchte, wenn auch erfolglos, Dorothee Hedwig, geborne Herzogin von Holstein-Norburg das Münzrecht wieder auszuüben; so vollführten Christine Sophie und Henriette Christine von Braunschweig, sowie Christine und Marie Elisabeth von Mecklenburg, die erstere an und in der Abtei, die letztern 3 in der Kirche, verschiedene Bauten.

Besonders aber zeigte sich als würdige Aebtissin Elisabeth Ernestine Antonie, geborne Herzogin von Sachsen-Meiningen. Ausgezeichnet durch Körperschönheit, wie durch Geistes- und Herzensbildung, war sie in ihrer Jugend von Bewerbern um ihre Hand gleichsam umlagert gewesen, hatte aber, obwohl man versucht, erst für Ludwig's XIV. Enkel, dann selbst für den nachherigen Kaiser Karl VI. ihre Neigung zu gewinnen, bei ihrem Entschlusse beharrt, sowohl treu dem evangelischen Glauben, als unvermählt zu bleiben. Von eben genanntem Kaiser selbst zu der Abtei Gandersheim empfohlen, erhielt sie, am 9. December 1713 eingeführt, von ihm auch am 13. April 1714 die allerhöchste Bestätigung. Das betreffende Diplom sichert ihr des Stifts Regalien, Lehen und Weltlichkeit u. s. w., verspricht ihr des Kaisers und Reichs Schutz·und Schirm etc., setzt aber auch, damit sie desto ruhiger bleiben möge, zu Conservatoren, Nachschützern und Schirmern den Herzog August Wilhelm von Braunschweig und das Domkapitel zu Hildesheim.

Von dem, durch fleißige und ausgebreitete Studien tüchtig vorgebildeten, sowie durch weite Reisen an Erfahrung in Staatsgeschäften gereiften Oberhofmeister von Kroll kräftig unterstützt, hat sie durch kluge Vorsorge und löbliche Veranstaltungen das Beste des Stifts auf mannigfache Art und Weise befördert, den Wohlstand desselben vergrößert, sein Ansehen nach allen Richtungen hin vermehrt. Sie erneuerte und befestigte frühere Verträge, namentlich die von 1593, 1665 und 1696, und schloß neue. - Hiernach war die Aebtissin eine unmittelbare Reichsfürstin, mit Sitz und Stimme im Reichstage. Sie ward in der Regel aus, jedoch, da auch alle Canonici, selbst die nicht residirenden, sobald sie den Capitulareid

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geleistet, wahlberechtigt waren, nicht bloß von dem Kapitel der Canonissinnen erwählt Von den Bewerberinnen waren Töchter des Braunschw. Fürstenhauses bevorrechtet. Darnach fanden wohl andere, namentlich diesem verwandte Prinzessinnen Berücksichtigung.

Neben der Aebtissin bestand das Capitel, gebildet aus den Canonissinnen und Canonicis. Die Zahl der, nur aus reichsfürstlichen oder reichsgräflichen Häusern stammenden, der evangelischen Kirche angehörenden Canonissinnen (die zur Zeit der Blüthe auf 24 gestiegen) war unbeschränkt; doch sollten Einkünfte nur ihrer vier beziehen. Jede hatte 16 Ahnen nachzuweisen und deshalb ihre Ahnentafel zu liefern, auch 1000 Reichsthaler Aufnahme-, sog. Statuten-Gelder zu zahlen. Letztere, von denen sie Zeit ihres Aufenthalts im Stifte die Zinsen bezogen, fielen im Falle des Absterbens oder der Resignation dem Stifte zu und wurden verwandt, dessen Vermögen zu bessern, Güter zu acquiriren oder einzulösen. Mit der Aufnahme ins Stift erhielt jede Canonissin den Orden „zur Erinnerung an's Leiden Christi“, welchen Henriette Christine um 1693 gestiftet und Elisabeth Ernestine Antonie 1713 erneuert hatte. Er bestand in einem, am Fuße mit einem weiß geschmelzten Todtentopfe versehenen, schwarz emaillirten goldnen Kreuze mit den Marterwerkzeugen und der Vierungsinschrift I. H. S., ward an einem, von der rechten Schulter nach links fallenden, breiten gewässertblauen, schwarz eingefaßten Bande auf der linken Brust getragen und nach dem Tode der Inhaberin an das Stift zurückgegeben.

Die Canonici oder Domherren, deren Amt aus dem der Messe lesenden Kapellane und Priester entstanden, werden erst 1417 durch Papst Martin V. als eine besondere Corporation des Stifts - (capitulum bursae) - den Canonissinnen oder Stiftsdamen - (capitulum illustre) - beizuordnend, bestätigt. Früher, schon zu Otto des Großen Zeiten, war ihre Zahl je nach dem Wohlstande des Stifts verschieden: es kommen 7 vor, auch mehr oder weniger; jetzt sollten ihrer 4 „residentes“ oder „in floribus“ und 4 „non residentes“ oder „in herbis“ sein. Sie waren landtagsfähig und berechtigt; ja auch aus dem Concil zu Costnitz waren schon ihrer zwei gegenwärtig *). - Dazu kamen die Viecrien, deren Stellen der Compastor, der Pastor zu Clus, die Schulcollegen u. s. w. erhielten.

Was nun Elisabeth ErnestineAntonie that, um das Ansehn des Stiftes mehr und mehr wieder zu heben, können wir hier nicht Alles anführen. Nur das sei mitgetheilt, daß sie schöne Bauten, vor Allem einen neuen Flügel der Abtei mit dem prachtvollen Kaisersaale und zu Brunshausen ein Lustschloß, mit einem Kostenaufwande von mehr als 30000 aufführte, eine Bildergallerie, ein Münz- und Medaillen-Cabinet, eine Naturaliensammlung, eine Daktyliothek sowie zwei

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*) Joh. v. Scheden und Hermann v. Dankelnsen waren sie genannt.

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Bibliotheken - eine öffentliche und eine zum Privatgebrauche – u. s. w. einrichtete, - die Urkunden, darunter die auf violettem Pergamente mit Goldbuchstaben enthaltene Ehestiftung zwischen Kaiser Otto III. und der griechischen Prinzessin Theophania, ordnen, wohl verwahren und durch Abschriften aus dem Reichsarchive etc. vervollständigen ließ, - die Kirche mit kostbaren Gefäßen beschenkte und mit eigenhändig gesticktem Ornate, sowie das Fräuleinchor mit den zum Theil sehr kunstvollen Ahnenproben der in ihrer Zeit eingeführten Stiftsdamen schmückte; daß sie Gelehrte und Künstler, z. B. den Bildhauer Kaspar Käse, dauernd, oder, wie den niederländischen Naturforscher Alb. Seba, den römischen Baumeister Alessandro Russini, den Maler Haburg, nur auf eine Zeit lang an ihren Hof berief; daß sie die Erbämter, z. B. das Erbschenkenamt, wieder einrichtete, und dabei noch immer Zeit zu regelmäßigem Kirchenbesuche und schriftlichen, jetzt noch in 72 Folianten vorhandenen Predigtwiederholungen, zu Beschäftigung mit in- und ausländischer (latein., französ., italien.) Literatur, mit Malerei und Musik etc., zu Liebeserweisungen gar mancher Art, sowie Mittel zur Unterstützung Nothleidender, namentlich in den schweren Zeiten des 7jährigen Krieges und bei einer 1761 stattgehabten großen Ueberschwemmung der Stadt, aber auch zur Einrichtung und Förderung zahlreicher milden Stiftungen übrig hatte.

Sie starb nach 53 jähriger Regierung am 24. December 1766 und ward in einem, schon 18 Jahre vor ihrem Tode hergestellten Marmorsarkophag, der noch die Stiftskirche ziert, beigesetzt.

Ihre Nachfolgerinnen, die in ihrem Sinne fortwirkten, waren nach einander die braunschweigischen Prinzessinnen Therese Natalie ( 20. Juni 1778) und Auguste Dorothea. Unter letzterer, über welche man ein Mehreres in „von Strombeck's: Darstellungen aus meinem Leben“ findet, erfolgte der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803, zufolge dessen auch unser Stift säcularisirt werden sollte. Der Herzog Karl Wilhelm Ferdinand ließ aber seine Schwester gern im Besitze der Abtei und das Stift als braunschweigisches Landesstift fortbestehen. Auch der Kaiser Napoleon, der durch Dekret vom 18. August 1807 das Herzogthum Braunschweig und damit Gandersheim dem Königreiche Westphalen einverleibte, behandelte die Aebtissin rücksichtsvoll und hob das Stift bei ihren Lebzeiten nicht auf; ebenso erwies sein von ihm auf den Thron dieses Königreichs gesetzter Bruder Hieronymus, der sich mit einer Enkelin von Augustens obengenanntem Bruder, mit Katharina von Württemberg, vermählt, ihr verschiedentlich Aufmerksamkeiten. Doch mit dem Tode der Aebtissin, am 10. März 1810, ward aus dem frühern kaiserlich frei weltlichen Reichsstifte eine französische Krondomaine geschaffen und den Pfründnern eine Pension ausgesetzt. Die Dechantin Karoline Ulrike Amalie, geb. Herzogin von Sachsen-Koburg-Saalfeld,

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erhielt außerdem das Inventarium der Abtei vom Könige geschenkt und der als Geheimrath und Ober-Appellations-Gerichts-Präsident zu Wolfenbüttel am 17. Aug. 1848 gestorbene Hof- und Abteirath Friedrich Karl von Strombeck hatte in dem Testamente der Aebtissin seine Besoldung für die Dauer seines Lebens zugesichert erhalten.

Wohl ward, nach siebenjähriger Unterbrechung durch die Fremdherrschaft, die rechtmäßige Regierung wieder eingesetzt; aber das Stift blieb aufgehoben. Seine früheren Glieder waren hierhin und dorthin verschlagen; eins nach dem andern ging den Weg alles Fleisches. - Von den Stiftsdamen starb zuletzt, am 1. October 1829, oben genannte Dechantin, - von den Stiftsbeamten, am 14. April 1858, der Abteirath Thedel von Grone.

Die Güter und Gerechtsame des Stifts wurden dem Kammergute einverleibt, und werden noch jetzt von der, der Kreiskasse in Gandersheim übertragenen Stiftsamtskasse verwaltet.

Die Gebäude befinden sich, soweit sie nicht in Folge Baufälligteit oder anderer Gründe halber abgebrochen worden, in Nutzung des Domainenpächters oder einzelner Landesbehörden (Kreisdirection, Kreiskasse) oder sind öffentlichen Unterrichtsanstalten eingeräumt.

Die Abtei ist vor einigen Jahren äußerlich restaurirt und im Innern ihrer jetzigen Bestimmung gemäß eingerichtet worden. Der Kaisersaal, dessen Plafond-Gemälde in kräftigem, anscheinend auf Effect bei brillanter Abendbeleuchtung berechneten Farbengemisch heidnische Mythologie und christliche Legende vereinten und dessen Wandfelder sowohl mit Sprüchen, als mit historischen und allegorischen Darstellungen aus der Bibel bemalt waren, hat ein einfaches Farbenkleid erhalten, zeigt aber noch, außer dem Standeswappen und dem Namenszuge (E. E. A.) der Erbauerin und den sämmtlichen Schildern des sächsischen Gesammtwappens, 11 große und mehr als die doppelte Zahl kleinere Portraits zu dem Stifte in Beziehung gestandener fürstlicher Personen. Außer Karl VI., dem kaiserlichen Oberschirmherrn des Stifts und seiner Gemahlin Elisabeth Christine, auch der letztern Eltern: Herzog Ludwig Rudolf von Braunschweig und seiner Gemahlin Christine Louise von Oettingen, sowie dem Könige Georg I. Von Großbritannien, sind weltliche und geistliche Conservatoren, Nachschützer und Schirmer (Erzbischof von Köln und Bischof von Hildesheim Josef Clemens und sein Nachfolger Clemens August, sowie die Herzöge Anton Ulrich und August Wilhelm von Braunschweig), aber auch fast sämmtliche Aebtissinnen von Magdalene von Columna bis Auguste Dorothea von Braunschweig und verschiedene Decanissinnen und Canonissinnen in jüngst aufgefrischten Bildern zu schauen.

Die Urkunden und Acten dürften wohl größtentheils den betreffenden rechtmäßigen Behörden überkommen sein; während die Kunst- und Büchersammlungen, soweit sie nicht noch vorhanden,

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theils auf Befehl der fremden Machthaber in der westphälischcn Zeit veräußert, theils durch gewisse Verwaltungsbeamte des französischen Usurpators und andere unrechtliche Leute geplündert, theils auf nicht hinlänglich anfgeklärte Weise in fremde Hände gekommen sind und so, wenn sie nicht vernichtet, einzeln bald hier, bald da - ganz oder bruchstückweise unerwartet auftauchen. So traf Referent in einem Sollingstädtchen Wände voll Miniatur-Portraits ehemaliger hiesiger Stiftsdamen mit dem Monogramm der Aebtissin Elisabeth Ernestine Antonie - und in einem Pariser Bücher-Auctions-Kataloge eine Sammlung genealogischer Tabellen aufgeführt, in denen er nach ihrer Bezeichnung die oben angeführten Ahnenproben erkannt zu haben glaubt.

Die früheren GandersheimischenVerkehrsmünzen scheinen sich bis jetzt dem suchenden Auge der neuern Münzliebhaber entzogen zu haben; dagegen begegnet man in Sammlungen wohl noch zwei Denkmünzen: 1) einer, welche auf die Inthronisation der Aebtissin Elisabeth Ernestine Antonie deren Bruder Herzog Ernst Ludwig I. von Sachsen schlagen lassen und welche in Rethmeyers braunschw. Chronik Tab. XXXVII Nr. 6, Harenbergs Geschichte von Gandersheim Tab. VII Nr. 11 abgebildet und in Köhlers Münzbelustigungen Th. 19 S. 6 etc. beschrieben worden; - 2) einer andern, welche auf das 50 Jahre nachher stattgehabte Jubelfest derselben Aebtissin geprägt ward, aber unseres Wissens noch nicht näher beschrieben worden. Sie enthielt auf der Vorderseite das Brustbild der Gefeierten sammt Umschrift, ihre Personalien betreffend, und auf der Rückseite die Worte:

Zum Denkmal auf das Jubelfest,

Das Gottes gnadenreiche Führung

Nach funfzigjähriger Regierung,

Im Segen mich begehen läßt.

Gefürstete Abtei Gandersheim, den 9. November 1763.

Die kunstvollen Grabdenkmäler sind nicht nur erhalten, sondern zum Theil selbst ausgebessert und angemessener aufgestellt; aber der Elisabethsbrunnen hat, seiner Bestimmung „zum immerwährenden Gedächtniß der Aebtissin Elisabeth Ernestine Antonie“ zu dienen, entgegen, vor etwa dreißig Jahren ökonomischen Zwecken weichen müssen und harrete, dem Vernehmen nach in seinen Theilen noch vorhanden, bis jetzt vergebens einer entsprechenden Wiederaufstellung.

Besondere Berücksichtigung hat nun seit mehr als dreißig Jahren der altersgraue Ludolfsdom erfahren. Im Innern und Aeußern restaurirt, macht er auf den Besucher einen erhebenden Eindruck. Möge er noch lange in seiner edlen Einfachheit erhalten bleiben! Möge er, nicht bedroht von Feuers- und Wassersnoth, nicht entweiht und zerstört von frevelnden Händen, noch viele Jahre in sich versammeln eine zahlreiche fromme Gemeine und Seelenfrieden und Herzensfreude schaffen Allen, die zu seinen Thoren eingehen!

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Quellen: Harenberg: Historia diplom. Gandes. - Leuckfeld: Antiquit. Gandersh.. - Bode's Geschichte der Feudalstände und dessen Münzwesen Niedersachsens. - Spittler's Geschichte Hannovers. - Scheller's Shigt-Bôk d. St. Brunswyk — Rethmeyer's Braunschw. Chronik. - Köhler's Münzbelustigungen. - v. Bechsteins Leben der Herzöge von Sachsen etc. —- Städtische Acten, Manuskripte in Chorbüchern, Nachbarschaftsb., - Gelegenheits-Gedichte, Inschriften etc.

 

Beschreibung der Kirche *)

Wie aus den vorhergehenden Notizen ersichtlich ist, ist die Kirche allein in der romanischen Zeit dreimal niedergebrannt:

973 zur Zeit der Aebtissin Gerberga.

1073 „ „ ,, „ Adelheid II.

1170 „ „ „ „ Adelheid IV.

Der erste Wiederaufbau ist noch in das X. Jahrhundert zu rechnen, da die Einweihung 1007 stattgefunden hat.

Ueber den zweiten Wiederaufbau ist keine Jahreszahl angegeben, derselbe fällt aber vermuthlich noch in die Zeit Adelheid II., 1053 bis 1087.

Die Herstellung nach dem dritten Brande unter Adelheid IV. scheint der Hauptsache nach nur ein innerer Ausbau gewesen zu sein, welcher der Kirche Gewölbe und reichen, für das XII. Jahrhundert charakteristischen ornamentalen Schmuck gab.

Von der Zeit vor dem ersten Brande ist nichts mehr vorhanden, was auf die ursprüngliche Gestalt der Kirche irgend welche Schlüsse erlaubte, wohl aber ist anzunehmen, daß manche Werkstücke alle 3 Brände überstanden haben und später wieder verwandt worden sind. Dieser Umstand und der für damalige Zeit kurze Zwischenraum zwischen den Hauptperioden, machen es schwer, sich ein klares Bild über die allmählige Formentwickelung des Gebäudes, wie es jetzt dasteht, zu schaffen. Die in dem Folgenden gegebene Reconstruction kann also auch nur als ein Versuch angesehen werden, der dazu dienen mag, die Zeichnungen zu ergänzen.

Der romanische Bau, wie er im Wesentlichen jetzt besteht, ist eine Basilika, deren Mittelschiff eine gerade Decke trägt, deren Seitenschiffe aber überwölbt sind. Den Pfeilern sind, wie in St. Godehard zu Hildesheim und der Stiftskirche zu

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*) Wegen der Abbildungen wird bemerkt, daß sich leider einige Unrichtigkeiten eingeschlichen haben. Im Grundrisse der Kirche Blatt 117 ist in der mittleren Säulenreihe des westlichen Querschiffes in der Achse der Arkaden des Langhauses eine Säule angegeben, während hier nicht eine Säule, sondern ein Pfeiler von der Breite des entsprechenden Wandpfeilers steht, wodurch sich schon im Grundrisse die im Texte mehrfach besprochene Scheidung des Querhauses in drei Theile ausspricht. In den im Texte in Holzschnitten eingedruckten Grundrissen derKirche sind diese Pfeiler richtig angegeben. Ferner wird bemerkt, daß Blatt 118 Ansicht nach Süden das Dach des Seitenschiffes viel zu hoch angegeben ist (vergl. Querschnitt Bl. 119) und daß die Fenster des Mittelschiffes auch außen sichtbar sind.

Die Redaction.

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Wunstorf etc., je zwei Säulen zwischengeordnet, nur nächst dem östlichen Querschiff findet eine einmalige einfache Abwechselung zwischen Pfeiler und Säule statt. Dem Mittelschiffe lehnt sich an der Ostseite eine etwas oblonge Vierung an, mit ihrer größeren Dimension der Breite des Mittelschiffes entsprechend, und an diese Vierung schließen sich nördlich und südlich quadratische Querschiffflügel.

Zu Seiten des Chores, welcher in fast voller Breite durch eine halbkreisförmigeApsis abgeschlossen wird, liegen Kapellen, deren Außenwände die Fortsetzung der Querschiffmauern bilden. Diesen haben sich früher noch zwei schiefwinklige Kapellen östlich angereiht, deren eine an der Südseite nicht mehr vorhanden, die andere mit der nördlichen erstgenannten Kapelle zu einem Raume verbunden ist. Alle letztgenannten Räume sind überwölbt, jedenfalls aber erst nach dem dritten Brande. Die zur Unterstützung der Gewölbe vorhandenen Pfeilervorlagen sind ohne Frage, nach dem Ornament der Kapitäle zu urtheilen, Arbeiten des XII. Jahrhunderts. Unter dem Chor, in voller Ausdehnung desselben und bis in die Mitte der Vierung sich erstreckend befindet sich eine dreischiffige Krypta, deren 12, durch 6 freistehende Säulen und 6 Halbsäulen getragene Kreuzgewölbe durch eine gerade Wand abgeschlossen und von der einfachen Kuppelwölbung der Apsis getrennt werden.·

An der Westfeite des Mittelschiffes und der Seitenschiffe, diese von dem Thurmbau trennend, befindet sich wiederum ein Querbau, welcher den drei Schiffen entsprechend, dreitheilig, außerdem aber auch zweigeschossig ist, demgemäß 6 Räume enthält, welche aber in ihrer jetzigen Gestalt weder unter einander noch mit den übrigen Gebäudetheilen in organischem Zusammenhange stehen. Die Geschosse des Mittelraumes sind erheblich höher als die der Flügel. Die Dimensionen dieses Querhauses sind fast genau dieselben wie die des östlichen Queerschiffes.

Der Thurmbau endlich schließt in sehr stattlicher Weise die Westseite ab. Noch über den First des Mittelschiffdaches mit einem durch gekuppelte Fensteröffnungen durchbrochenen Glockenhause hinausragend, ist er in Form eines vollen Querhauses aufgeführt, und erst in einer Höhe von ungefähr 90 Fuß lösen sich zu beiden Seiten achteckige Thürme, die durch Abstumpfung der Ecken über dem unteren Bogenfriese vorbereitet sind und in einfachen achteckigen, hölzernen, mit Blei gedeckten Pyramiden endigen.

Für die verschiedenen Umgestaltungen des Chorbaues finden sich einige Anhaltepunkte, die kaum erhebliche Zweifel zurücklassen. Gehen wir von der jetzt bestehenden, vorhin beschriebenen Form aus (siehe nebenstehenden Holzschnitt Nr. 3),

 

tl_files/Fotos/Bad_Gandersheim/Stiftskirche-Bad-Gandersheim-Grundriss-Nr-3-Sp-50-IMG-0495.jpg

 

so finden wir hier eine regelrechte Bildung, wie sie durchaus dem XII. Jahrhundert entspricht. Daß, wie hier gezeichnet, auch an den Seitenkapellen sich Apsiden befunden haben, ist aus Bogenöffnungen an entsprechender Stelle, deren eine in

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens.

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der nördlichen Kapelle zugemauert, die andere in der südlichen Kapelle des schiefwinkligen Anbaues wegen verändert ist, mit Sicherheit zu schließen. Die Krypta, welche vor der letzten Restauration 1850 noch einen seitlichen Eingang vom nördlichen Querschiffflügel aus hatte, schmiegt sich den Umrissen des mittleren Chorraumes genau ein. Sie wird gleichzeitig mit der Erweiterung des Chorraumes Ende des XI. Oder Anfang des XII. Jahrhunderts nach dem zweiten Brande entstanden sein, wofür die Säulenkapitäle und die an mehreren Säulenbasen vorhandenen Eckblätter sprechen.

Um nun zu der Form zwischen dem zweiten und dritten Brande zurückzugelangen (siehe nachstehenden Grundriß Nr. 2),

 

tl_files/Fotos/Bad_Gandersheim/Stiftskirche-Bad-Gandersheim-Grundriss-Nr-2-Sp-50-IMG-0496.jpg

 

müssen die beiden Kapellen fort und die südliche und nördliche

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Außenmauer der Querschiffflügel um ein Weniges hinausgerückt gedacht werden. Für Ersteres, daß die Kapellen nämlich lediglich Werk des XII. Jahrhunderts sind, sprechen die auf Blatt 119 rechts gezeichneten Details, welche dieselben Bildungen zeigen wie die auf Blatt 121 unten gezeichneten Gesimse etc. Jene gehören nämlich den im XlI. Jahrhundert behuf der Ueberwölbung vorgelegten Pfeilervorlagen in den Kapellen an. Solche Pfeilervorlagen mit ganz ähnlichen Kämpfergesimsen und Gewölbeanfängen sollen vor der letzten Restauration auch noch an den Pfeilervorlagen des Mittelschiffes vorhanden gewesen sein (siehe Holzschnitt Nr. 3).

 

tl_files/Fotos/Bad_Gandersheim/Stiftskirche-Bad-Gandersheim-Grundriss-Nr-3-Sp-50-IMG-0495.jpg

 

Diese für Aufnahme von Kreuzgewölben bestimmten Pfeilervorlagen sind bei der gedachten Restauration 1850 entfernt. Daß ferner die bezeichneten Außenmauern weiter hinaus gerückt waren, beweisen die jetzt zugemauerten Absidenöffnungen. Von diesen ist nämlich an den Außenseiten durch die jetzigen Mauern ein Stück abgeschnitten.

Die ursprüngliche Gestalt der Kirche aus der Zeit nach dem ersten Brande dürfte der im Holzschnitt Nr. 1

 

tl_files/Fotos/Bad_Gandersheim/Stiftskirche-Bad-Gandersheim-Grundriss-Nr-1-Sp-51-IMG-0499.jpg

 

angedeuteten Form dem Wesen nach ähnlich gewesen sein. Der Hauptsache nach soll hiermit nur die Form der doppelchörigen Anlage betont werden. Schon die Form der beiden, in gleicher Breite das Langhaus sowohl östlich als westlich begrenzenden Querschiffe läßt auf die Anlage einer doppelchörigen Kirche schließen, und zwar hier um so mehr, als zu derselben Zeit in dem nahe gelegenen Hildesheim der Bischof Bernward sein Hauptwerk, die St. Michaeliskirche, in doppelchöriger Form erbaute. Für die hier gezeichnete Form der großen Abside nebst Umgang sowie der beiden kleineren Absiden finden sich an dem Bauwerke selbst keinerlei Hinweise, und dürften nur die oben für die Annahme einer doppelchörigen Form angeführten Gründe als maßgebend angesehen werden.

Bei Betrachtung des östlichen Querschiffes liegt nichts

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vor, was auf wesentliche Umbildungen schließen ließe, ausgenommen die im XII. Jahrhundert vorgenommene Ueberwölbung uud die vorhin erwähnte Einziehuug der südlichen und nördlichen Außenmauern. Anders ist es mit den Seitenschiffen. Dieselben sind mit ihren jetzigen Dimensionen, die in der Breite zum Mittelschiff ein Verhältniß von kaum 2:5 zeigen, wofür sich aus der ältern romanischen Zeit schwerlich ein analoges Beispiel finden wird, nur mit dem Thurmbau in Zusammenhang zu bringen, während sie mit den beiden anliegenden östlichen und westlichen Querschiffen nichts gemein haben. Es liegt deshalb sehr nahe anzunehmen, daß die Seitenschiffe, wie in der Grundrißskizze Nr. 1 gezeichnet, ursprünglich erheblich breiter gewesen sind. Es entsteht dadurch ein Grundriß von organischer Gestaltung, in dessen rhythmischen Verhältnissen sich ebenfalls eine Uebereinstimmung mit St. Michael in Hildesheim zeigt.

Im Anfange dieser Baubeschreibung ist bereits erwähnt, daß das westliche Querhaus einen eigenthümlichen inneren Säulenbau hat. Durch die größere Höhe der Säulen im Mitteltheile trennt sich das Querhaus, der Theilung des Mittelschiffes und der Seitenschiffe entsprechend, in drei Theile.-Mitteltheil wie Seitentheile haben je zwei Geschosse. Das zweite Geschoß des Mitteltheiles (siehe Längendurchschnitt Bl. 117) hat Säulenstellung mit Kreuzgewölben überdeckt, wie im unteren Geschosse. Die freistehenden mittleren Säulen daselbst scheinen jünger zu sein als die in den Arkaden nach dem Mittelschiffe zu stehenden Hallsäulen. Die beiden schmalen Seiten dieser Empore werden durch gemauerte Wände gebildet, deren nördliche Wand eine Thür (siehe Längenschnitt) hat, welche in das zweite Geschoß der nördlichen Abtheilung des Querhauses führt. Da aber die Fußbodenhöhen der beiden benachbarten Räume sehr verschieden sind, so führt von der genannten Thür eine (moderne) hölzerne Treppe hinab zu dem benachbarten Raume. Beide der mittleren Empore südlich und nördlich anliegenden Nebenräume sind nicht gewölbt, sondern nur mit Holzdecke versehen. Der oben genannte nördliche Nebenraum enthält jetzt die Reste der Stiftsbibliothek. Von hier gelangt man durch eine Thür in den nördlichen Treppenthurm, dem einzigen Zugange zu dieser sonderbaren Emporen-Anlage. Der südliche Nachbarraum der mittleren Empore wird in ganz analoger Weise mit der nördlichen Seite durch Thür und Holztreppe erreicht. Hier ist jetzt ein kleines recht interessantes Museum, aus Reliquien, Paramenten, Altären, Schränken, Kasten und Kästchen der alten Zeit bestehend, aufgestellt. Eine Verbindung mit dem südlichen Thurme (analog der Nordseite) findet hier nicht statt; aber zu erwähnen ist noch, daß in der Mitte der Scheidemauer zwischen diesem Raume und der Mittel-Empore: ein gekuppeltes Fenster angelegt ist, dessen Mittelsäule ihrem Charakter nach denjenigen der vorderen Arkade der Mittel-Empore völlig gleicht, also auf sehr frühe Zeit (mindestens 1000) hinweist. Die schwierige,

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ja sonderbare Zugänglichkeit aller drei Rämne des zweiten Geschosses dieses westlichen Querhauses zeigt, daß Restaurationen (wahrscheinlich die des XII. Jahrhunderts) den ursprünglichen Organismus dieser Anlage verwischt haben. Hat die mit prächtigen Säulen geschmückte·Mittel-Empore als Chor der Stiftsfräulein gedient, wie die historische Nachricht bestätigt, daß 1452 bei der Neuwahl der Aebtissin die von den Stiftsfräulein gewählte Prinzessin Sophie von Braunschweig zu ihrer Einsegnung sich auf das Fräulein-Chor begab, während die von den Domherren gewählte Gräfin Walburgis von Spiegelberg auf das hohe Chor ging, so dürfte man annehmen, daß eine unmittelbare Verbindung zwischen ihr und dem nördlich der Kirche belegenen Kloster existirt hätte, von welcher jetzt aber keinerlei Spuren sich mehr zeigen.

Die Außenmauern des Querhauses (südlich und nördlich) scheinen zugleich mit den Seitenschiffs-Außenmauern und mit der Anlage der Treppenthürme, vielleicht nur um ein Geringes eingezogen worden zu sein. Den Beweis liefert dafür ein Bogenfries, welcher an Thurm, Querschiff und Seitenschiff bruchstückweise an der Nordseite bis an das östliche Querschiff zu verfolgen ist, und in seiner Form auf die Zeit um 1100 hinweist.

Zu der in der Grundrißskizze Nr. 2 angedeuteten Annahme, daß früher zwischen den beiden Treppenthürmen noch eine Verlängerung des Mittelraumes vorhanden gewesen sein mag, führt eine innere Bogennische in der westlichen Außenmauer des Thurmbaues, welche in Höhe und Breite ungefähr den Vierungsbögen entspricht, und an der Westfacade, hier allerdings scheinbar in Form eines Entlastungsbogens zu erkennen ist. Außerdem aber ist noch vor der letzten Restauration an dieser Stelle ein Anbau gewesen, dessen unterer Raum mit dem jetzigen Portal dem Vernehmen nach das Paradies genannt wurde. Auch die Merian'sche Abbildung Gandersheims scheint eine Verlängerung des Mittelschiffes über die Thurmanlage nach Westen hinaus darzustellen *).

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*) Der oben genannte Bogen, der in der Außenmauer, wie bemerkt, scheinbar als Entlastungsbogen auftritt, dürfte etwas näher noch beleuchtet werden müssen. Nach der obigen Erläuterung könnte man annehmen, als habe sich das Mittelschiff in gleicher Höhe und Breite über den Thurm hinaus nach Westen fortgesetzt, und habe hier in verschiedenen Geschossen kirchliche Räume für die speciellen Zwecke der Klosterbewohnerinnen gebildet. So wahrscheinlich dies beim ersten Anblicke auch scheinen mag, so sprechen doch wenigstens mancherlei Umstände dagegen, daß dieser Bogen je dergleichen Zwecke zu unterstützen gedient hat. So sehr wir anzunehmen geneigt sind, daß die Kirche ursprünglich doppelchörig war, daß die Frauen-Empore ursprünglich eine Erweiterung nachWesten haben mußte, etwa wie dies der in Holzschnitt gegebene Grundriß Nr. 1 andeutet, so können wir doch nicht glauben, daß dieser in der Westwand zwischen den Thürmen, dem Triumphbogen gleich groß angelegte Bogen dazu dienen sollte, der Frauen-Empore (Fräulein-Chor) eine Erweiterung nach Westen über die sehr wahrscheinlich später angelegten Thürme hinaus zu ermöglichen. Zunächst sträuben sich die Höhenverhältnisse der betreffenden Räume gegen den Gedanken einer Vereinigung derselben. Aus dem Längenschnitte Bl. 117 ersieht man, daß der Fußboden der Frauen-Empore weit niedriger liegt, als der des Raumes zwischen den Thürmen und über dem Paradiese, welcher letzterer doch die nächste Erweiterung der Frauen-Empore bilden müßte; man könnte zwar denken, das Portal sei zu jener Zeit noch nicht angelegt gewesen, und es wären beide Räume durch nichts behindert gewesen, gleiche Höhe im Fußboden zu haben, was wieder sehr glaublich erscheint, dann müßte man aber doch in den oberen Höhenverhältnissen Gleichheit finden; die Frauen-Empore müßte also bis zur Höhe des Triumphbogens hinansteigen, welches, wie der Kägenschnitt zeigt, bei weitem nicht der Fall ist. Auch hierüber könnte man hinwegkommen, wenn man die mittlere Säulenreihe der Emporen und die durch sie getragenen Kreuzgewölbe als später eingesetzt annimmt, was wiederum sehr wahrscheinlich ist, da die Kapitäle der Mittelsäulen aus späterer Zeit sind, als die der Arkaden der Ostseite der Empore. Wären diese beiden Facta, welche jetzt die Sache unmöglich scheinen lassen, also als spätere Veränderungen anzusehen, so möchte die Frauen-Empore eine angemessene Größe und Form gewinnen, wenn wir uns nach West zu dieselbe dann durch eine große Apsis geschlossen denken. Aber leider ist doch noch ein Umstand der gegen die Richtigkeit der Annahmen spricht. Wenn nämlich der große Bogen in der Westwand der Thürme für die Erweiterung der Frauen-Empore dienen sollte, so müßte nothwendig in der Ostwand zwischen den beiden Thürmen ein ebenso großer Bogen sein, um Thurm- und Emporen-Räume zu einem gemeinsamen Raume zu vereinigen. Hier ist aber kein derartiger Bogen, und das Mauerwerk steigt in gleicher Stärke und ohne irgend welche Unterbrechung bis zu der Glockenstube empor. Außerdem spricht der Umstand gegen die Annahme eines jemaligen Vereinigtseins der Räume zwischen den Thürmen und der Frauen-Empore, daß im Thurme die Mauern an den betreffenden Stellen noch völlig rohes Bruchsteinmauerwerk zeigen, welches nie einen Ueberzug von Putz hatte. Demnach war hier nie ein Raum, der von den Stiftsfräulein zu gottesdienstlichen Zwecken benutzt war. Wir erlauben uns hinzuzufügen, daß der große Bogen der Westseite, wie man im Innern des Thurmes gut sehen kann, aus Quadermauerwerk sorgfältig ausgeführt ist, daß er bis an die Vorderfacade hindurchgeht, und durch eine weit schmälere als die Turmmauer bündig mit der Außenseite zugemauert ist, so daß sich im Innern des Thurmes eine große Nische bildet. Ein Kämpfergesims mir der echt romanischen steilen Hohlkehle fehlt nicht. Daß der Bogen die ganze Stärke der Thurmwand einnimmt, kann man von innen bemerken, indem man an vielen Stellen zwischen Quaderbogen und Bruchsteinausmauerung hindurchsehen kann.

Wozu aber hat der Bogen gedient oder dienen sollen? Das ist eine schwer zu beantwortende Frage; es läßt sich eine Menge Hypothesen aufstellen, allein die präcise Beantwortung dürfte ein weit genaueres Studium des Bauwerkes erfordern, als dieser skizzenhaften Darstellung zu Grunde liegt. Es möchte sich indeß empfehlen, bei Gelegenheit der Darstellung der Clus noch einmal diesen Punkt ins Auge zu fassen und mit guten treuen Zeichnungen erläutert zur Klarheit zu stellen. Damit würde auch zugleich wohl die gleiche Frage für den analogen Bogen am Mindener Dome erledigt werden.

Die Redaction.

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Ein Blick auf die Details, welche theilweise so lebhaft an die nach ganz antik gehaltenen Säulenkapitäle erinnern, die sich in Hildesheim unter den alten Domresten sowie in der Krypta der Moritzberger Kirche (1059) finden, die Verbindung solcher Kapitäle mit Basen, an welchen sich Eckblätter befinden, beweist, daß bei jedem Neubau willkürlich alte und neue Werkstücke durcheinander gewürfelt sind. Nur das neue Kleid, welches Ende des XII. Jahrhunderts der Kirche angelegt wurde, zeigt sich überall unverkennbar.

Aus älteren Chroniken führen Leuckfeld und Harenberg an:

Adelbaidis IV. suo tempore tertio combustum monasterium Gandesianum decentissime reaedificavit et ecclesiam fenestris picturis tabulis et id genus aliis ornamentis decoratum a quinque episcopis consecrari fecit.

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Von Farbenschmuck, Glasmalerei etc. ist nichts mehr vorhanden.

Die später an der Süd- und Nordseite angebauten gothischen Kapellen sind von keinem hervorragenden kunstgeschichtlichem Interesse. Die erste derselben ist wahrscheinlich die sog. Bartholomäus-Kapelle, in welcher das Reliefbild des Stifters Heinrich von Sebexen (s. Blatt 118 unten links) mit der Inschrift:

Anno domini MCCCXL . . . .. obiit Henrico de Sebetessen subdiaconus fundator istius capellae cujus anima requiescat in pace.

Dann die Peter-Pauls- und die Eingangskapelle.

Ueber dem Portal der letzteren befindet sich ein Tympanon, auf welchem ein Relief noch aus der früh-romanischen Zeit mit Christus zwischen Petrus und Paulus sich befindet.

Die letzte der südlich angebauten Kapellen wird die sog. Johannes-Baptistae-Kapelle sein und einer noch späteren Zeit gehören die Kapellen an der Nordseite an.

Die Antonius-Kapelle, worin jetzt die über Lebensgröße in Holz geschnitzte (s. Blatt 118 in der Mitte unten) schöne Figur des Herzogs Ludolf liegt, ist einer Inschrift zufolge von zwei Gandersheimer Stiftspersonen: Arnoldus jun. &sen. von Rohringen 1452 erbaut. Die aus Eichenholz geschnitzte Figur Ludolfs stammt wahrscheinlich aus dem XIII. Jahrhundert. An den Wänden hängen eiserne Ketten, welche von gleicher Form mit den im Campo santo zu Pisa aufgehängten Ketten sind; die Sage läßt jene wie diese aus einem Kreuzzuge von Jerusalem mitbringen.

In der daneben liegenden Andreas-Kapelle befindet sich ein aus verschiedenfarbenem Marmor in reichem Barockstyl vom Bildhauer Kese gefertigter Sarkophag der Aebtissin Elisabeth Ernestine Antonie geb. Herzogin von Sachsen-Meiningen. 1766.

Von demselben Bildhauer existiren noch ein Epitaphium ihres Oberhofmeisters Johann Anton Croll von Freyhen, 1749; ferner die der Stiftsfräulein Christine Elisabeth von Griesheim, 1717, Christine Friederike von Bronsard, 1748.

Einer besondern Erwähnung verdient der prachtvolle auf dem Chore aufgestellte bronzene 5armige Leuchter, welcher in Holzschnitt nebenstehend dargestellt ist. Ueber seinen Ursprung ist nichts bekannt, jedoch dürfte die Form und Detailbildung auf den Anfang des XV. Jahrhunderts hinweisen *).

Um den Fuß läuft eine Inschrift mit den Namen der darüber befindlichen unter Baldachinen fast freistehenden etwa 12zm hohen Figuren. Maria mater - Johannes baptist.

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*) In der nahen St. Georgskirche befindet sich ein in Holz geschnittener St. Georg, welcher, nur in großem Maßstabe, dem des Armleuchters in auffallender Weise gleicht.

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Anastasius papa — Livinus episcopus —- Innocennius papa —- stephanus martyr. —- Darüber und unter den beiden auf Blatt 118 unten rechts gezeichneten auf Consolen stehenden Figuren der Ritter St. Georg und St. Moritz die Inschrift gots si . benediet. —

Jede dieser beiden letztgenannten Figuren ist 2 Mal da, je vorn und hinten. Auf dem Schilde des St. Moritz ist einmal das egyptische zu erkennen. Die sonst rohen 3 Füße tragen in Hochrelief ebenfalls Figuren, scheinbar Knappen darstellend.

Was endlich die Baulichkeiten des Klosters selbst anlangt, so lagen die eigentlichen Klosterräume an der Nordseite der Kirche, doch ist so wenig von ihnen erhalten, daß man von der Lage und Ausdehnung des Kreuzganges und der anliegenden Räumlichkeiten kein Bild gewinnen kann. Parallel mit der Kirche steht noch jetzt ein zweigeschossiges Gebäude mit einigen interessanten, die Frühzeit des 13. Jahrhunderts charakterisirenden Details. Man nennt dies noch jetzt „das Schlafhaus“. Andere noch auf die Zeit des Mittelalters hinweisende Gebäude findet man nicht, dagegen eine große Zahl größerer und kleinerer Gebäude, die nach und nach aus Erweiterung der mittelalterlichen Klosterbauten werden entstanden sein, welche ein großes Areal westlich, nördlich und östlich von der Kirche bedecken, und nimmt man einen Situationsplan von Gandersheim zur Hand, so sieht man aus der ganzen eigenthümlichen Anlage, daß die Klostermauern wahrscheinlich einst einen großen Theil des jetzigen Gandersheim einschlossen.

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Wenn wir in diesem Kreise nun noch eine kleine Rundschau halten, so trifft unser Auge manche mittelalterlichen Reste, die mit der Geschichte des Stiftes gewiß in innigem Zusammenhange stehen. Keine Spuren sind mehr vorhanden von dem Marienkloster mit Kirche (940 von Aebtissin Windelgard gestiftet), von dem Barfüßerkloster (1552 zerstört), schließlich von der Abteihofkapelle St. Michaelis, welche Ansang dieses Jahrhunderts eingegangen ist.

Dagegen erblicken wir in dem Thurme des Rathhauses (Siehe die hierunten stehende Abbildung·)

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noch einen Theil der alten Moritzkirche und außerhalb der Stadt von prachtvollen uralten Bäumen umgeben in etwas erhöhter malerischer Lage die St. Georgskirche, mit romanischem Thurm, gothischem Mittelbau und einem polygonen in Fachwerk hergestellten Chorabschluß einer späteren Zeit.

Vor allen andern aber theilt die nahe romanische Kirche zur Clus mit der Gandersheimer Stiftskirche ihre Entstehungsgeschichte. Für dieses so interessante Bauwerk muß eine besondere Abhandlung vorbehalten werden.

 

tl_files/Fotos/Bad_Gandersheim/Bad-Gandersheim-1883-Blick-von-der-Stiftskirche-zum-Marktplatz-IMG-0515.jpg

 

Quelle:

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens. Bd 3 Sp. 33-58, Bl. 117-121

Hannover, Schmorl & Seefeld 1883