Der keiser und der kunige buoch (Gedicht des zwölften Jahrhunderts) 1849 T II - Auszug

 

Der ander Liuther. *

 

Die vursten lobeten dô ein sprâche

hin ze dem stuole ze Âche.

die vursten quâmen dâ zesamene,

biscove manige.

Sie rieten listecliche,

wâ sie in dem riche

dicheinen vursten næmen,

der dem riche wol gezæme.

Dô hôrten sie dicke wol loben

von Sahsen einen herzogen

den guoten L i u t h ê r e n.

Sie ladeten in mit grôzen êren.

Ir boten scuosen sie dar zuo,

die arbeitten spâte unde vruo.

Dâ ze Brûnswic sie in vunden.

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Einfügung:

Die Burg Dankwarderode (castrum Tanquarderoth) von Brûnswic wird erstmalig 1134 in einer von Kaiser Lothar III. in Goslar unterzeichneten Urkunde aufgeführt. Lothar hatte bereits als deutscher König 1130 in Braunschweig einen großen Reichstag ausgerichtet, dessen Gästeliste Cyriacus Spangenberg 1572 in seinen Mansfeldischen Chroniken veröffentlichte.

Quellen:

Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, 2. Bd. 1. Abt. 1134, Braunschweig, C.A. Schwetschke und Sohn

Spangenberg, Cyriacus, Mansfeldische Chroniken, Cap. 217, S. 253 Anno 1130, Eisleben 1572


An den selben stunden,

alse er daz mære virnam,

vil schiere besante er sine man:

er sprach, ir rât wolde ers haben, ob erz gewideren mohte.

er sprach daz er netohte

zuo nicheinen grôzen arbeiten mêre.

daz widerrieten im die hêrren.

Jâ sprâchen die hêrren alle,

im solde wol gevallen

daz in die vursten lobeten

ze rihtære unde ze vogete.

mit râte sie in beviengen,

daz sie in ze jungist ubirgiengen

daz er ze M e g e n z e gereit

daz was zwein gebruoderen leit.

der eine hiez K u o n r â t, der andere F r i d e r i c h.

vil tiure virmâzen sie sich,

er newurde nimmer mêre

ir kunic noch ir hêrre.

Daz was daz ander leit:

der herzoge von B ê h e i m virtreip

O t t e n von M e r h e r n

einen vursten harte vreveln.

dô vlôch er zuo dem kunige.

den S a h s e n geviel ez ubele.

Sie sprâchen, iz wære wider dem riche getân,

ez solde in an alle ir êre gân.

die vursten quâmen des inein,

der kunic suochte hin ze B ê h e i m.

dô was der B ê h e i m e walt

allenthalben virhaget,

daz dar niemen nemohte durch komen,

er nehæte den lip dâ zestete virlorn.

Ottô was ein listeger man:

tûsent rittære er zuo sich nam.

sie huoben sich ze vuozen.

die ros sie hie ûze lizen.

sie wolden dar in sin geflichen.

dô was der snê sô michil,

sie neheten wec noch phat.

die helede wurden harte nôthaft.

ir gewæfene sie selbe truogen.

die helede begonden harte muoden.

die B ê h e i m e wurden is gwar:

vil schiere gerehten sie sich dar.

die S a h s e n wurden almeist irflagen.

O t t ô nequam ouch nimmir mêre dan.

Einis morgenes dô iz tagete,

der herzoge U o d a l r i c h behabete

den kunic unde die sine.

die vursten begonden harte zwivelen.

die wisen, die dô dâ wâren,

biscove unde grâven

die gerieten dem herzogen U o l r i c h e,

daz er dem kunige solde intwichen:

er wære des riches hêrre.

dô gevolgete in der hêrre.

des kuniges hulde er gwan:

sit wart er sin heimelich man,

daz er des riches râtgebe was.

vor N u r e n b e r c er mit im saz.

K u o n r â t unde F r i d e r i c h

vil harte vlizeten sie sich,

zwêne herzogen hêre,

swaz sie mêr unde mêre

dem kunige ze leide mohten getuon.

wol hulfen in darzuo

vriunt unde mâge.

die vursten hulfen dem kunige trâge.

die herzogen unde ir man

mit ûfgerihtem van

wuosten sie daz riche

vil harte vrevelliche.

der kunic unde die sælige kunigin

vil dicke vlêheten sie minen trehtin:

beide wile unde stunde

maneten sie got dar umbe

durch siner muoter liebe,

daz er iz gnædicliche schiede

nâch gewarheit der sêle

unde nâch des riches êre.

Die vursten sumeliche

gerieten dô in dem riche,

sie irwelden den herzogen K u o n r â t e n.

sie virgâheten sich ein teil ze harte.

sie hiezen in die riche sagen,

sie wolden K u o n r â t e n haben

ze kunige unde ze hêrren.

dâ zuo N i u w e n b u r c huoben sie den werren.

dâ lobeten sie in ze kunige.

geistlichen hêrren geviel iz ubele.

der strit wonete dô sô lange,

unz die biscove mit banne

zuo dem kunige griffen.

die herogen in dô intwichen.

K u o n r â t vloch ze M e i l a n.

des riches kraft sich dô vurnam.

dô volgete Ku o n r â t e

hin ze L a n c p a r t e n

F r i d e r i c h von V a l k e n s t e i n,

der was siner eitgenoze ein.

Ein burc heizet S p î r e.

daz instuont niht lange wile

unz sie der kunic L i u t h e r besaz,

wande sie der æhtære houbetstat was.

K u o n r â t sie trôste,

daz er die burc lôste.

daz newas vrume niht.

der kunic L i u t h e r sie nie virliez,

unz sie im die burc irgâben.

alle die dar inne wâren,

die swuoren hulde dem riche.

jâ gemêrte got tegeliche

dem kunige L i u t h ê r e

alle sine werltliche êre.

Under diu wart ze R ô m e ein strit:

jâ huoben sie widir ein ander grôzen nit:

sie sazten zwêne bâbese an den stuol.

der kunic L i u t h e r dar mit her vuor.

mit râte der vursten gemeine

sô virwurfen sie den einen,

der dâ P ê t e r L ê w e s hiez.

von dem stuole man in stiez.

sie gevestenôten I n n o c e n t i u m.

wider gote nemac nieman niht getuon.

der bâbes wihete in dô ze keiser.

dô gerieten sie eine reise

in daz lant ze P u l l e.

daz was der vursten wille.

der vurste hiez dâ R u o t g ê r:

den virtreip der kunic L i u t h ê r

in S i c i l i a m.

dô vuorte des keisers van

K u o n r â t von den S w â b e n

und alle, die im ê widerwertic wâren,

die dienden im zwâre

einen turn dâ ze B â r e

den gwan er mit michilen nôten.

des half im got der guote.

Ze B e i e r n was ein herzoge,

der was in michilme lobe.

er was ein vurste hêrsam.

vil willic wâren im sine man.

er was des keisers eidem.

er was der allir tiursten einer,

die dar bi den ziten lebeten.

ô wi waz er guoter tugende habete.

Ein lant heizit T u s k â n.

die marke er dâ gwan.

jâ virdiende er umbe daz riche,

daz im der keiser willicliche

beide lêch unde gap.

des richen herzogen kraft

die schein wol dâ ze P u l l e.

dâ vrumete er wol sinen willen.

Daz buoch kundet uns gwis,

ein berc heizit m o n s c a s t i t a t i s,

ze sancte B e n e d i c t e n berge.

dâ nam er sine helede:

sie karten zuo dem berge: sie wurden dâ wallære.

dâ dienden wol die A b e n s æ r e.

sie sluffen in steheline rocke,

dar uber legeten sie linine kappen,

die swert under den uohsen.

sie giengen barvuoze.

guoter sinne sie phlegeten.

sie venieten unde betten.

den berc sie ûf slichen.

die viande sie begriffen.

sie zuhtigeten sie ungemechliche.

die burc antwurten sie dem riche.

Der herzoge unde sine man

vrô schieden sie dan.

B e n e v e n t e hiez ein stat,

die er mit sineme herschilde irvaht.

dô vuor er aber vurbaz.

zwâre sagen ich iu daz:

ûf deme H o u w e b e r g e

dâ uobeten sich sine helede.

T r ô i e sie dâ gwunnen.

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mit sturme sie dar in drungen

vil harte virmezzenliche.

des danket in der keiser riche.

tl_files/Fotos/Regione_Puglia/Bari-Kastell-IMG-0715.jpg

Vor der burc ze B â r e

der keiser hiez zwâre

wirken ein antwerc,

daz was grôz unde starc,

daz dâ heizit ebenhôhe:

ez wart êrlich unde scône.

dar undir hiez er dar in graben.

die heiden nemohten der burc niht behaben.

daz viur nidene ûs brach.

jâ habeten groz ungemach,

die dar ûffe wâren:

die hiez der keiser hâhen.

Mit der vursten allir lobe

dâ sazte er einen herzogen

den guoten R e i n o l d e n.

Der keiser newolde

dannoch niht irwinden,

er reit ze O r t e r e n t e :

sinen scaft scoz er in daz mere.

Jâ rihte der keiser L i u t h ê r

(daz saget daz buoch vur wâr)

rehte zweilf jâr

zweilf wochen unde zweilf tage.

Swer daz liet virnomen habe,

der sol ein pater noster singen

dem almehtigen gote ze minnen,

des keiser L i u t h ê r e s sêle.

er was wol des riches hêrre

bi im was der vride guot.

die erde wol ir wuocher truoc.

er minnete alle gotliche lêre

unde behielt ouch werltlich êre.

er vorhte minen trehtin.

sam tet die sælige kunigin.

die armen sie bewætten,

die nôtegen sie berieten,

die heidenscaft sie betwungen.

swaz sie ie an dem riche gewunnen,

daz was gotes êre.

nû gnâde got ir beider sêle.

 

 

Veröffentlicht in:

Der keiser und der kunige buoch

oder die sogenannte Kaiserchronik,

Gedicht des zwölften Jahrhunderts“

Zweiter Teil, Seite 515 bis 531

Herausgeber Hans Ferdinand Massmann

Quedlinburg und Leipzig. 1849

Druck und Verlag von Gottfr. Basse

 

Hinweise:

Auf die Wiedergabe der Kommentare zu den einzelnen Gedichtszeilen der Seiten 515 bis 531 wurde zugunsten einer verbesserten Lesbarkeit verzichtet. Bei Interesse können sie im o.g. Buch eingesehen werden.

Die Kaiserchronik ist mit Codex 276 aus dem Augustiner-Chorherrenstift Vorau in der Steiermark erstmals überliefert. Neben Kaiser Lothar III. wird in dem wiedergegebenen Teil der Chronik vor allem der bayerische Herzog Heinrich der Stolze, der Vater Heinrich des Löwen, in eigenen Episoden lebhaft dargestellt.

Weitergehende Informationen sind u. a. der Dissertation von Monika Pohl 2004 an der Ludwig-Maximilians-Universität München „Untersuchungen zur Darstellung mittelalterlicher Herrscher in der deutschen Kaiserchronik des 12. Jahrhunderts. Ein Werk im Umbruch von mündlicher und schriftlicher Tradition“ zu entnehmen.

Die eingefügten Bilder von Braunschweig, Troia und Bari wurden 2014 aufgenommen und sind kein Bestandteil der Kaiserchronik.

 

 

 

 

 

E. Bernheim - Lothar III und das Wormser Concordat

E. Bernheim - Lothar III und das Wormser Concordat

"Lothar III und das Wormser Concordat
von Dr. Ernst Bernheim aus Hamburg.

STRASSBURG.
KARL J. TRÜBNER.

LONDON.
TRÜBNER & COMP.
1874.

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Buchdruckerei von Georg Otto in Darmstadt.

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1

Einleitung.

Wenn wir die Geschichte des grossen Kampfes zwischen Kirche und Reich betrachten, welchem man den Namen des Investiturstreites gegeben hat, so tritt uns eine eigenthümliche Erscheinung entgegen.
Während zuerst bei der tiefgehenden Erregung dieses Streites alle geistigen Kräfte des Reiches zu neuem Leben zu erwachen scheinen, während jedes Interesse sich nur um den einen grossen Punkt zu drehen scheint, so erstirbt auffallender Weise diese lebensvolle Theilnahme mit dem Augenblick, da das Wormser Concordat geschlossen wird. Es ist, als ob man nun nichts mehr von den hochwichtigen Fragen wisse oder wissen wolle, welche die Welt über ein Menschenalter beschäftigt hatten. Eine Abspannung tritt ein, welche deutlicher als alles Andere zeigt, wie gewaltig vorher die Erregung gewesen sein muss, und vollständige Gleichgültigkeit gegen das Schicksal des Wormser Concordates erscheint in allen literarischen Kreisen , welche bis dahin erfüllt gewesen waren von dem grossen Kampfe der Zeit.
Und doch war dieser Kampf mit dem Wormser Concordat keineswegs abgeschlossen, keineswegs waren die Fragen, um die es sich handelte, im Einzelnen endgültig erledigt. Es ist schon öfter bemerkt worden, dass das Wormser Concordat ein Waffenstillstand, kein Friedensschluss zwischen Kaiser und Papst gewesen sei: in der That, noch war der Kaiser nicht von der Höhe seiner Macht herabgestiegen, aber der Papst hatte sich mittels jenes Vertrages zu ihm hinaufgeschwungen. Auf schmaler Höhe standen nun die beiden Herrscher mit gleichen Machtansprüchen neben einander - konnte diese Stellung Dauer haben? war der Nachfolger Heinrichs, war Lothar im Stande, dieselbe zu behaupten?

Bernheim, Lothar III u. das Wormser Concordat.   1

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2

wie kam es, dass der Vertrag von Worms seiner Aufgabe, den Frieden zwischen Reich und Kurie zu erhalten, durchaus nicht genügen konnte, während die rechtlichen Bestimmungen, die derselbe aufstellte, von Jahrhundert zu Jahrhundert die Norm des deutschen Staats-Kirchenrechtes geblieben sind ? Alle diese Fragen scheinen für die Geschichtsschreiber jener Zeit gar nicht vorhanden gewesen zu sein.
Und eine analoge Erscheinung bietet die neuere Geschichtsschreibung in dieser Periode dar.
Alles Interesse der Forscher wie der Darsteller drängt sich um die Zeit vor 1122 zusammen; die darauf folgende Periode ist bis in unsere Tage hinein meist vernachlässigt worden. 1
Erst vor wenigen Jahren hat die Forschung festgestellt, dass Lothar überhaupt an dem Wormser Concordat festgehalten habe, so dass die beiden jüngsten Darsteller der Geschichte dieses Königs, Gervais und Giesebrecht, in diesem Punkte noch ganz entgegengesetzte Meinungen vertreten. Aber wie ihm, der doch von der extremsten Kirchenpartei auf den Thron gehoben war, dieses Festhalten möglich gewesen, ist noch nicht dargelegt worden. Ebenso wenig hat man untersucht, wie Lothar die verschiedenen Rechtsfragen, welche das Wormser Concordat nur andeutungsweise behandelt hatte, aufgefasst und praktisch durchgeführt habe.
Es wird in Folgendem meine Aufgabe sein, diese Punkte zu untersuchen.

1 cf. die Abhandlung von R. Köpke in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Berlin 1844. I, 220.

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Ia.

Die Zurückweisung der Forderungen von 1125.

Lothar's Stellung zum deutschen Klerus und zu Honorius II.

Die Frage, ob Lothar das Wormser Concordat aufrecht erhalten habe, tritt uns sofort beim Eingange seiner Regierung, bei seiner Wahl, entgegen. Denn es wird uns da Nachricht von einem Wahlpakte, der, wenn Lothar ihn eingegangen ist, die Frage kurzweg in negativem Sinne entscheiden würde. Wir müssen daher den Verlauf der Wahl und besonders die Einflüsse, unter deren Herrschaft dieselbe zu Stande kam, zunächst in's Auge fassen.
Als durch den Tod Heinrich's V. der deutsche Königsthron erledigt war und die Grossen des Reiches sich im August 1125 zur Kur in Mainz zusammenfanden, da waren es vor Allen drei geistliche Fürsten, welche nach dem Zeugnisse der Quellen Lothar's Erhebung zum Throne herbeiführten: Erzbischof Adelbert von Mainz, 1 Conrad von Salzburg 2 und Friedrich von Cöln. 3  Dieselben drei Erzbischöfe waren es, welche 1119 den Papst Calixt
zum Banne gegen Heinrich V getrieben hatten, 4  die Vorkämpfer

1  cf. Jaffé, Geschichte des deutschen Reiches unter Lothar dem Sachsen p. 24.
Wichert, „Die Wahl Lothar's III zum deutschen König“ in den Forschungen zur deutsch. Gesch. XII p. 66. - Ausser den dort angeführten Stellen cf. noch chron. Casinens. M. G. SS. VII p. 805, 43.
2  Gesta archiepiscop. Salisburgens. M. G. S.S. XI p. 76. - Narratio de elect Loth. M. G. SS. XII p. 510.
3  Annalista Saxo. M. G. SS. VI ad. ann. 1125.
4  Otto Frising. Chron. M. G. SS. XX p. 255, 45.

1*

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4

für die Freiheit der Kirche. Den Kölner kennen wir als den streitbaren Widersacher Heinrich's im Lütticher Sprengel, welcher es nicht duldete, dass dort ein Bischof sässe, der die Investitur von Königshand genommen hatte. 5  Von dem Salzburger erzählt uns ausführlich die Vita Chunradi: sie schildert ihn uns, wie er aus innerster, religiöser Ueberzeugung für die Lostrennung der Kirche von allen weltlichen, unheiligen Banden kämpfte, Gefahr und Exil nicht scheuend, um sein Gewissen von der Berührung mit Ketzern frei zu erhalten ; weniger geeignet oder gewillt, in dem Gange der grossen Politik eine Rolle zu spielen, aber von nachhaltiger Bedeutung durch die unermüdliche Energie, mit der er es verstand, das Gebiet seiner Diöcese zu einer hohen Burg streng kirchlicher Gesinnung zu gestalten. Dort führte er überall die strenge Regel der Chorherrenstifte ein, sorgte unnachsichtig für die fast ausser Uebung gekommene Entrichtung der Zehnten und bemühte sich, dieselben aus der Verlehnung an Laien zu lösen. Die Lehnsabhängigkeit der Geistlichen von König und Reich war ihm vor Allem ein Gräuel und diese, wie alle seine Ansichten, vertrat er stets mit jener unwandelbaren, rücksichtslosen Kühnheit und Starrheit, welche nur aufrichtige Ueberzeugung einzugeben vermag.
Ein ganz anderer Mann war der Erzbischof von Mainz, welchem fast alle Quellen die Hauptrolle bei der Wahl Lothars zuschreiben. Wir müssen etwas eingehender bei ihm verweilen, da in den modernen Darstellungen dieser Vorgänge sein Antheil daran meist etwas in den Hintergrund gedrängt und der Zusammenhang seines früheren Auftretens mit dem Auftreten bei dieser Gelegenheit nicht scharf genug dargestellt zu sein scheint. 6
Seine Briefe lehren ihn uns aufs Genaueste kennen. Erfüllt von ungezügeltem Ehrgeiz, war er gewohnt, dieser Leidenschaft Alles unterzuordnen, Alles aufzuopfern. Da er noch Kanzler und Vertrauter Heinrichs's V war, hatte er dem Papst und der Kirche jene schmachvolle Demüthigung vom Februar 1111 bereitet, um vom Könige die langversprochene Investitur mit dem erzbischöflichen Amt zu Mainz endlich zu erhalten. Kaum war er auf den

5  Chron. Abbatiae Scti Trudonis bei d'Achéry Spicileg. II p. 697 ff.
6  Auch Wichert; obgleich er a. a. O. p. 69 Adelbert als Leiter der antistaufischen Partei hinstellt, führt diese Auffassung nicht consequent durch: s. unten p. 7 und p. 11 Note 30.

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Mainzer Stuhl gelangt, so genügte es ihm nicht, Freund des Königs, erster Beamter des Reiches und der Kirche von Deutschland zu sein - blieb er doch immer ein Beamter, solange dieser König im Vollbesitz seiner Macht war. Darum erneuerte er den Bund zwischen Fürsten und Geistlichkeit gegen das Königthum und warf sich zum Vorfechter für die Freiheit der Kirche auf; nicht aus Reue über seine früheren Thaten, nicht aus innerem religiösen Triebe - : die Freiheit der Kirche bedeutete ihm Unabhängigkeit der Bischöfe; siegte dieses Princip, so stand Adelbert als erster Erzbischof das Reiches und Legat des apostolischen Stuhles an der Spitze dieser, dann nächst dem Papste von ihm abhängigen Bischöfe da, als Herrscher in Deutschland neben, ja über dem Könige.
Dass dieses Motiv Adelbert durchaus bestimmte, zeigt, ausser dem entschiedenen Urtheile seiner Zeit, 7  besonders sein Verhalten zu dem Wormser Concordat. Er war der Letzte, der vom Kampfplatze wich, als der Befehl des Papstes und die Stimme des ganzen Landes endlich das Ende des Streites verlangte. Und als es sich bei den Verhandlungen um den Punkt drehte, welcher für ihn recht eigentlich der Preis des ganzen Kampfes schien, die Investitur des Reichsklerus, da trat er keck mit der Forderung hervor, dass der König ein für allemal auf jede Investitur verzichten solle. Ob er wirklich auf Annahme dieses Vorschlages rechnete, ob er nur Stimmenzersplitterung und dadurch Zwietracht hervorrufen wollte - jedenfalls hatte er sich hier verrechnet. Aus Einem Munde riefen ihm die Fürsten zu, er sei ein Reichsverräther! Wir besitzen den Brief, 8  welchen er nach diesem Ereignisse an den Papst schrieb, und erfahren dies Alles so in unzweifelhafter Weise. In jenem Augenblick war der Bund zwischen den Fürsten und Adelbert zerrissen - er selbst stand isolirt da.

7  Casus Monasterii Petrishus. M. G. SS. VII p. 659: His temporibus rebellabat regi Moguntinensis electus Adilbertus, cujus consilio et auxilio, ut tunc ferebatur, omnia illa mala egerat, quae Romae perpetraverat. Sed nunc cum regno privare conabatur, quasi pro vindicta apostolici, sed verius pro ambitiono magis quam pro justitia. - Soweit ich sehe, hat man bisher dieses Urtheil eines durchaus kirchlich gesinnten, nahezu gleichzeitigen Schriftstellers über Adelbert's Charakter nicht genug betont. Auch Kolbe, in seiner Monographie: „Erzbischof Adelbert I von Mainz und Heinrich V" Heidelbg. 1872 hat es nicht gethan.
8  Bei Jaffé bibl. rer. Germ. V p. 518.

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Man muss in der That die Genialität dieses Mannes auf's Höchste bewundern, wenn man sieht, wie er sich unmittelbar nach dieser grossen Niederlage wieder zum Beherrscher der Situation aufzuschwingen weiss. Er bringt nun den einzigen Punkt, von dem aus eine Lösung des Conflictes möglich ist, zur Geltung und wird so der eigentliche Schöpfer des Wormser Concordates; sein gefährdeter Einfluss ist aufs Glänzendste gesichert. Und doch hätte Adelbert sein Werk am Liebsten sofort selbst wieder vernichtet: er erkannte nur zu gut, dass dieser momentane, scheinbare Sieg für ihn eine neue, grössere Niederlage sei. Denn durch das Wormser Concordat waren ihm für alle seine Pläne vollständig die Hände gebunden. Vergebens hoffte er noch, der Papst werde dem Vertrage nicht die Bestätigung geben 9 - bald musste er gelegentlich der Entsetzung des Strassburger Bischofs durch König Heinrich bitter klagen :10  „Quod totum assecutus est imperator compositione hujus pacis . . . . . . si tam absoluta potestas imperatori conceditur saeviendi in qualemcunque istum episcopum, reliquis fidelibus qui cum ecclesia Dei permanserunt, scandalum et intolerabilis persecutio generabitur.''
Hier hat der Schlaue im Unmuthe den innersten Grund seiner Politik verrathen, hier sehen wir, warum ihm das Wormser Concordat so tief verhasst sein musste. Trotzdem blieb ihm nach seinem Zerwürfniss mit den Fürsten nichts übrig, als sich Heinrich wieder zu nähern, wenn er nicht jeden Einfluss verlieren wollte. Erst mit Heinrich's Tode war der Moment gekommen, wo er wieder frei handeln konnte. Als Erzbischof von Mainz hatte er nun die Geschäfte des Reichs zu leiten, und er war der Mann, alle Macht, welche in dieser Stellung lag, auszubeuten. Unter

9  s. den erwähnten Brief Adelbert's bei Jaffé bibl. rer. Germ. V p. 519: nil in hoc statuentes nec per hoc (d. h. die Abschliessung der Wormser Bedingungen) in aliquo - quod absit! - apostolicis institutis et canonicis traditionibus praejudicantes. . . . . Immobilia enim per omnem modum et fixa esse praecepta non dubitamus, quac ad tuendam et corroborandam libertatem Christi et ecclesiae acterna lege sancita sunt.
Irrig bezieht Kolbe in der erwähnten Schrift p. 117 diesen letzten Satz auf die Bestimmungen des Wormser Concordates, gegen dessen bindende Bestimmungen Adelbert hier gerade die ewige Freiheit der Kirche betont. Er wollte in der That nie „dem geschaffenen Werke Sicherheit und festes Bestehen gewahrt wissen,“ wie Kolbe a. a. O. sagt.
10  Bei Jaffé bibl. rer. Germ. III p. 394.

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seinem Vorsitz erliessen die an der Leiche Heinrich's versammelten Fürsten gleich einen Aufruf zur neuen Wahl, und es ist, als ob wir Adelbert selbst reden hören, wenn wir dieses Schriftstück lesen: 11  „discretioni vestrae," so werden die Wähler ermahnt, „hoc adprime intimatum esse cupimus, quatenus . . . . Providentiam invocetis, ut in substitutione alterius personae sic ecclesiae suae et regno provideat (sc. Providentia), quod tanto servitutis jugo amodo careat et suis legibus uti liceat." 12  Damit wird der bisher herrschende Zustand als ein geknechteter bezeichnet, die Aufhebung des Wormser Concordates gewissermassen als eine Vorbedingung der neuen Wahl hingestellt, die volle Unabhängigkeit des Klerus vom Reich gefordert. Das waren die Principien, welche Adelbert von Mainz in diesem wichtigen Momente zur Geltung bringen wollte, das war der Mann, welcher berufen war, bei der Wahl Lothars die Hauptrolle zu spielen.
Wir haben bekanntlich ausser den in verschiedenen Quellen zerstreuten Notizen 13  über die Wahl Lothars nur einen ausführlicheren Bericht, welcher bestimmte Nachrichten über Lothar's Verhältniss zur Geistlichkeit überliefert, die Narratio de electione Lotharii in regem Romanorum, 14  unmittelbar nach der Wahl von einem Augenzeugen, wahrscheinlich einem bairischen Kleriker, verfasst. 15  Wir müssen etwas näher auf den Charakter dieses Schriftstückes eingehen, um die Nachrichten, welche es enthält, besonders den vielbesprochenen Wahlpakt, richtig beurtheilen zu können.
Die bereits erwähnten Abhandlungen von Friedberg 16  und Wichert 17  und eine Nachschrift von Waitz zu ersterer vertreten die Ansicht, die Narratio sei verfasst, „um das Verhalten und den Standpunkt des Salzburger Erzbischofs zu rechtfertigen,“ und

11  s. M. G. LL. II p. 79, 34.
12  Sehr charakteristisch ist es, dass zwar im Vordersatz ecclesia und regnum genannt sind, dass aber im Nachsatz offenbar nur von der Kirche gesprochen, das Reich ganz vergessen wird. Friedborg (in d. Forschungen z. deutsch. Gesch. VIII p. 87 Note 5) übersieht diesen Umstand, wenn er sagt, „gleichzeitig mit der Kirche werde parallel auch des Staates gedacht.“
13  cf. die Zusammenstellung derselben bei Wichert in den Forschungen z. deutsch. Geschichte XII p. 108 Note 1.
14  M G. SS. XII p. 509. - Böhmer: fontes rer. Germ. III p. 570.
15  cf. Wichert a. a. O. p. 58.
16  Forschungen zur deutsch. Gesch. VIII p. 77 ff.
17  ibidem XII p. 57 ff

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drücken dadurch diese Quelle zu einer lokalen Parteischrift herab. Mir scheint, ohne ausreichenden Grund. Die Einleitung der Schrift selbst spricht die ganz objektive Absicht aus, zu berichten „qualiter electio regis processerit," und ihr Inhalt ist dieser Absicht vollkommen entsprechend. Allerdings wird der Erzbischof von Salzburg an seiner Stelle mit achtungsvollen Worten bedacht, wie sie einem Geistlichen seines Sprengels - denn das ist wahrscheinlich der Verfasser der Narratio - geziemen, keineswegs jedoch bildet das Eingreifen desselben den „Kernpunkt der Erzählung“, wie Wichert 18  sagt. Vielmehr nimmt Conrad von Salzburg erst das Wort, nachdem der anwesende Kardinal die Bischöfe bei Seite gezogen und sie dringend ermahnt hat, die gestörte Eintracht wieder herzustellen. Somit fiele „das Verdienst um eine ordnungsmässige Wahl" vielmehr dem Kardinal als dem Erzbischofe zu - fürwahr, ein ungeschickter Schriftsteller, welcher mit dieser Darstellung den Letzteren hätte verherrlichen wollen! Dessen Antheil an der Wahl erscheint gerade in der Narratio so unbedeutend, wir erfahren so gar keinen Umstand, der einer Rechtfertigung bedürfte, dass in der That der Verfasser seinen Zweck gänzlich verfehlt haben müsste, wenn es sein Zweck war, den Standpunkt des Erzbischofs von Salzburg zu rechtfertigen. So weit ich sehe, ist die Narratio ohne eine persönliche Tendenz geschrieben: sie stellt die Vorgänge so dar, wie sie einem nicht besonders eingeweihten, den Interessen der Kirche innig ergebenen Augenzeugen von aussen sich darstellen mussten. Adelbert von Mainz ist es, der übereinstimmend mit der Angabe der annalistischen Quellen, auch hier durchaus als Hauptleiter der Wahl hervortritt, und dieses Sachverhältniss darf nicht durch einseitige Hervorhebung des Salzburger Erzbischofs verdunkelt werden.
Wichert hat in seiner öfter erwähnten Abhandlung 19  das meisterhafte Intriguenspiel bis in's Feinste dargelegt, mittelst dessen es Adelbert gelang, die Stimmen der Fürsten auf Lothar zu vereinigen. Ich verweise im Uebrigen auf diese Darstellung und hebe nur die für unseren Zweck wichtigen Punkte hervor. Adelbert hatte wieder mit schlauester Berechnung den brennenden Punkt aufzufinden gewusst, in dem sein und der Fürsten Interesse sich berührte. Er stellte nämlich an Friedrich von Schwaben, den meist berechtigten der drei Throncandidaten, die verfängliche Frage:

18  a. a. O. p. 60.
19  Forschungen zur deutsch. Gesch. XII.

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„utrum ipse quoque . . . . . . ad totius ecclesiae regnique honorem et liberae electionis commendationem perpetuam, idem quod ceteri fecerant, 20  facere vellet (sc. singuli quoquo tertio communiter a principibus electo vellent obedire)."
Das heisst mit anderen Worten, ob Friedrich auf sein Erbrecht an die Krone verzichten und durch solchen bedeutenden Präcedenzfall die Wahl nach Erbrecht auf alle Zeit für antiquirt erklären wolle. Natürlich lag freie Verfügung über die Krone ebensosehr im Interesse der Fürsten, wie es Adelbert's ganzer Wunsch sein musste, einen König gewählt zu sehen, der den Thron nicht dem Erbrechte, sondern seinem, des Erzbischofs, Einfluss verdankte und dadurch von vornherein seinen Ansprüchen gefügig sein müsste.
Es scheint nach der Narratio fast, als ob Conrad von Salzburg den Umtrieben Adelbert's fern gestanden hätte; vielleicht hielt dieser es für gerathen, den durch und durch redlichen Mann nicht in seine hinterlistigen Pläne einzuweihen, da er dessen Unterstützung für Lothar doch gewiss sein konnte. Conrad scheint erst nach der Beseitigung Friedrichs von Schwaben activ eingegriffen zu haben, 21  als es sich darum handelte, für den bereits in den Vordergrund getretenen Lothar zu wirken.
Ob Lothar selbst von Anfang an mit Adelbert unter einer Decke spielte, lässt sich nicht entscheiden. Die geistliche, ihm günstige Partei fasste sein zweimaliges Ablehnen als humilitas 22  auf, die hohenstaufische, entgegenstehende als verabredetes Spiel. 23  Soviel ist gewiss: von dem Moment an, da die Unterhandlungen mit dem Herzog von Baiern begannen, 24  musste Lothar mit seiner eigenen Ernennung einverstanden sein, denn Heinrich von Baiern konnte nur durch die sichere Aussicht - und um sicher zu sein, musste dieselbe doch von Lothar selbst garantirt werden - auf eine Vermählung seines Sohnes mit der zukünftigen

20  Die beiden anderen Kroncandidaten : Lothar und Leopold von Oestreich.
21  cf. die Narratio M. G. SS. XII p. 511, 33: „sine duce Bavarico, qui aberat, nihil de rege se diffinire dicebant (sc. Salzburgensis archiepiscopus cum episcopo Ratisponensi).
22  cf. die Narratio a. a. O. p. 510, 33 und 511, 10.
23  cf. Annales Stadenses M. G SS. XVI p. 322: ex condicto onus imperii suis viribus impar certatim abnuerunt.
24  cf. Wichert a. a. O. p. 105 ff. und p. 70 unten.

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Königstochter, seinem Schwiegersohne Friedrich abtrünnig gemacht worden sein. Der Uebertritt Heinrich's gab den Ausschlag. Die Stimmen aller Fürsten vereinigten sich auf Lothar, und hier ist es nun, wo uns die Narratio jene wichtige Nachricht giebt, mit deren Prüfung wir uns zunächst beschäftigen müssen.
„Concordantibus itaque in electione regis universis regni principibus, - quid juris regiae dignitatis imperium, quid libertatis reginae caelestis, id est ecclesiae, sacerdotium habere deberet, stabili ratione praescribitur et ceptus utrique honoris modus, Spiritu sancto dictante praefigitur:
Habeat ecclesia libertatem, quam semper optaverat; habeat et regnum justam in omnibus potentiam qua sibi per caritatem quaecumque sunt Caesaris sine caede subjiciat! Habeat ecclesia liberam in spiritualibus electionem nec regio metu extortam nec praesentia principis ut ante coartatam vel ulla petitione restrictam; habeat imperatoria dignitas electum libere, consecratum canonice regalibus per sceptrum sine pretio tamen investire sollemniter et in fidei suae ac justi favoris obsequium, salvo quidem ordinis sui proposito, sacramentis obligare stabiliter!"
Was erstens die Form dieser Nachricht betrifft, so lässt sich nicht bezweifeln, dass hier von „urkundlich aufgesetzten Forderungen“ die Rede ist, wie dies bereits Jaffé 25  hervorgehoben hat. Die Ausdrücke „stabili ratione praescribitur" und „modus praefigitur“ sind in dieser Richtung bestimmt genug, wenngleich sie andererseits unbestimmt lassen, 26  ob das Aktenstück vom Könige ratifizirt worden ist. Das ist eine zweite unten zu erörternde Frage. Unzweifelhaft ist es auch, dass in den Worten habeat - obligare stabiliter nicht die Urkunde in ihrer eigentlichen Form wiedergegeben ist, 27  sondern dass wir es mit einer Paraphrase derselben seitens des Verfassers der Narratio zu thun haben, welche die wesentlichen Bestimmungen in knapper Weise zusammenfasst.

25  Geschichte des deutschen Reiches u. Lothar, p. 35 Note 36.
26  Darin stimme ich Waitz in der „Nachschrift" Forschungen z. d. Gesch. VIII p. 90 bei.
27  Der Annahme von Waitz (a. a. O. p. 90, ähnlich auch Berchtold, die Entwicklg. der Landeshoheit in Deutschland 1863 p. 62 Note 56), dass hier ganz subjektive Aeusserungen des Verfassers über das Verhältniss von Kirche und Staat vorliegen, widerspricht die von Waitz selbst anerkannte Bestimmtheit der Ausdrücke praescribitur und praefigitur (s. oben im Text).

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Und was ist der Inhalt dieser Bestimmungen? Sehr mit Unrecht hat Gervais 28  die Tragweite derselben zu verwischen gesucht: es handelt sich hier um Preisgabe der wichtigsten königlichen Hoheitsrechte, um die Aufhebung des Wormser Concordates, um die vollständige Lostrennung der geistlichen Fürsten von König und Reich. War es denn etwa nur eine leere Form, wenn in dem Wormser Concordate festgesetzt war, dass in Deutschland der geistlichen Weihe von Bischöfen und Aebten die Belehnung mit den Regalien vorangehen sollte, nachdem die Wahl in Gegenwart des Königs erfolgt war? Nein, diese Rechte sicherten die Abhängigkeit des hohen Klerus von dem Willen des Königs und gaben den geistlichen Fürsten klar und bestimmt die Stellung von Reichsbeamten. Verweigerte der König die Investitur, so konnte der Gewählte auf rechtmässigem Wege nicht zu seinem Amte gelangen, und desshalb mussten schon die Wähler ganz wesentlich darauf sehen, eine Person zu ernennen, welche der König nicht zurückweisen würde. Die Bestimmungen des in der Narratio berichteten Wahlpaktes ändern das Alles:
„habeat imperatoria dignitas electum libere, consecratum canonice regalibus per sceptrum . . . investire sollemniter.“ Dadurch sinkt die Investitur zu einer unwichtigen Formalität herab, denn der bereits Geweihte ist Abt, ist Bischof und kein König kann ihm die Ausübung seines Amtes wehren. Dazu die Wahl ohne jeglichen Einfluss des Königs, ja noch mehr: eine höchst bedenkliche Abschwächung des Treueides der Geistlichen durch die jeder Auslegung fähige Klausel: „salvo quidem ordinis sui proposito" - es sind die Forderungen der extremsten kirchlichen Partei, welche uns in diesen Sätzen entgegentreten. Befremdlicher Weise sieht Friedberg 29 - und Wichert ist ihm darin gefolgt 30 - in Conrad von Salzburg „den Einzigen, welcher diese

28  Politische Geschichte Deutschlands unter Heinrich V und Lothar III Lpz. 1841. Theil II p. 25; er nennt sie dort „Erweiterungen des Wormser Concordates, mehr wie eine Vervollständigung desselben zu betrachten.“
29  a. a. O. p. 87.
30  a. a. O. p. 60.
Diese Ansicht hängt vielleicht mit der oben von mir angefochtenen einseitigen Hervorhebung von Conrad's Antheil an der Wahl zusammen, welche Friedberg durchführt. Wenn Wichert später (p. 110 Note 2) zugiebt, ,,dass ausser dem Salzburger auch der Mainzer Bischof mitthätig gewesen sein mag,“ so trifft dies das wahre Verhältniss auch nicht genügend.

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Concessionen verlangt haben könne". Allerdings, sie mussten ganz nach dem Herzen dieses eifrigen Kämpfers für kirchliche Freiheit sein, wie ich ihn oben zu schildern versuchte; aber ganz ebenso sind sie der treueste Ausdruck aller Wünsche und Hoffnungen jenes Adelbert, dessen Streben nach voller Unabhängigkeit vom Reich ich ebenfalls früher skizzirt habe. Ihm gerade war ja die neue Wahl nur die ersehnte Gelegenheit, sich von den drückenden Fesseln des Wormser Concordates zu befreien, 31  er als Reichsverweser hatte ja vorzugsweise in seinem Wahlaufruf die Befreiung der Kirche als Aufgabe des neuen Herrschers hingestellt, er war es, welchem in der That Lothar die Krone fast allein verdankte - und nun, auf der Höhe seines Einflusses hätte er nicht versuchen sollen, die Ansprüche durchzusetzen, für welche er seit seiner Erhebung zum Erzbischof in rastlosem Ehrgeiz gerungen?
Ich sehe in dem Berichte der Narratio die Summe der Forderungen, welche die ganze unter Adelbert's Leitung stehende kirchliche Partei unter vorzüglicher Mitwirkung der Erzbischöfe von Salzburg und Cöln an den Nachfolger Heinrich's V gestellt hat, ja, wenn es nicht zu kühn erscheint, mochte ich in der vieldeutigen Wendung „in fidei suae ac justae favoris obsequium, salvo quidem ordinis sui proposito, sacramentis obligare" speciell die Redaktion des hinterlistigen Mainzer Erzbischofes erkennen, welchem die Lehnsabhängigkeit seines Standes als hemmende Fessel erschien 32  und darum ebenso verhasst war wie dem frommen Conrad von Salzburg 33  aus religiösen Gründen. Ich halte diese Concessionen für den Preis, um welchen diese Partei die Erhebung Lothars beförderte.
Dass Lothar sich bereits vor seiner Wahl zu solchen Concessionen bereit gefunden habe, ist nicht zu bezweifeln. Adelbert von Mainz war nicht der Mann, auf die freiwillige Dankbarkeit der Menschen zu rechnen, und da wir gesehen haben, dass die letzten Akte des Wahldramas jedenfalls von dem Sachsenherzog wissentlich mitgespielt sind, so müssen wir es an und für sich als das Wahrscheinlichste gelten lassen, dass Adelbert diese letzten gemeinsamen Schritte nicht ohne bindende Zusagen von jenem gethan habe. Zur Gewissheit wird diese Annahme aber durch das

31  cf. oben p. 4.
32  cf. den Brief Adelbert's bei Jaffé bibl. Rer. Germ. III p. 394.
33  cf Vita Chunradi M. G. 88. XI p. 66, 1.

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Zeugniss der Annales Stadenses. 34  Der Bericht, welchen diese zum Jahre 1126 (rectius 1125) geben, stellt die durch den Verlauf eines Jahrhunderts im Detail ungenau gewordene, in den Hauptzügen aber scharf ausgeprägte Tradition der hohenstaufischen Partei von jenen Vorgängen dar 35  und ist daher völlig unabhängig von der Narratio.
Wenn es nun dort heisst: „dicunt etiam quod promisisset plura quae non persolvit (sc. Lotharius)," ehe die feierliche Wahl Statt findet, so kann damit nichts Anderes gemeint sein als Zusagen Lothars an die Geistlichkeit vor der Wahl. Von anderweitigen, später nicht gehaltenen Versprechungen wissen wir nichts, ja wir können nicht einmal ausfindig machen, nach welcher Richtung solche möglich gewesen sein sollten.
Es steht somit fest: auf der einen Seite eine bis in's Einzelne formulirte Urkunde, auf der anderen bindende Zusage zur Einräumung der darin enthaltenen Forderungen. Nun entsteht die Frage: hat Lothar diese Urkunde nach erfolgter Wahl ratifizirt, sie zum Gesetze erhoben? Nach Jaffe, 36  Gervais, 37  Luden 38  wäre diese Frage zu bejahen, nach Friedberg 39  und Giesebrecht 40  zu verneinen.
Die Quellen, auch die Narratio, geben uns keinen direkten Anhaltspunkt, nur aus Gründen innerer Wahrscheinlichkeit lässt sich hier entscheiden. Diese sprechen aber sammt und sonders für die Meinung der letztgenannten Schriftsteller, zu deren Erwägungen 41  ich noch einige hinzufügen möchte. Lothar hatte allerdings Jahre lang an der Seite Adelbert's von Mainz gegen eine starke Königsgewalt gestritten, aber nie hat er sich zum Werkzeug von dessen ehrgeizigen Plänen gemacht.
Als Adelbert sich auf dem Concil zu Worms mit seinen reichsfeindlichen Ansprüchen hervorwagte, da trat ihm ohne Zweifel

34  M. G. SS. XVI p. 322.
35  cf Wichert a. a. O. p. 62.
Friedberg, der diese Beschaffenheit des Berichtes nicht scharf in's Auge fasst, verlangt an dieser Stelle zu viel im Detail von den Ann. Stad. und schätzt sie zu wenig im Ganzen, cf. a. a. O. p. 78.
36   Gesch. d deutsch. R. u. Loth. p. 35.
37  Gervais: polit Gesch. Deutschlds. unter Heinrich V und Lothar Theil II p 23
38  Gesch. d. deutsch. Volkes Band 10. p. 19.
39  a. a. O. p. 86.
40  Gesch. d. deutsch. Kaiserzeit Bd. IV 1 p. 11.
41  s. diese an den angegebenen Orten.

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mit den übrigen Fürsten auch Lothar entgegen - kaum liesse es sich sonst erklären, dass wir die beiden alten Bundesgenossen im folgenden Jahre (1123) miteinander in Fehde sehen, wenn auch nur für kurze Zeit. Eine tiefe Einsicht in die Grundlagen der königlichen Macht hatte Lothar sich gerade in den Kämpfen gegen das Königthum erworben, wo es gegolten, dessen geheimste Schwächen zu erspähen; wir werden später sehen, dass er trotz einer innigen Verehrung für die heilige Kirche, ein lebhaftes Gefühl für das Recht der königlichen Macht besass, solange er auf dem Throne sass. Er kannte daher genau die Tragweite jener von Adelbert geforderten Concessionen, er kannte aber nicht minder die rücksichtslose Politik seines alten Verbündeten, den er mit dessen eigenen Waffen schlagen musste, wenn er König werden wollte. Er verstand es, List mit List zu vergelten, 42  daher liess er sich zu jenen Versprechungen herbei, während ihm von vornherein die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung klar sein musste. Gesetzt, er selbst hätte sich zu der ungeheuren Erniedrigung der königlichen Hoheitsrechte bequemen können, - würden die weltlichen Fürsten einem solchen Vertrage beigestimmt haben, der Alles in reichem Masse enthielt, was sie vor zwei Jahren entrüstet als Reichsverrath von der Hand gewiesen hatten? Musste also Lothar die gemachten Versprechungen doch einmal brechen - und er hat sie gebrochen - so war es jedenfalls günstiger für ihn, nicht einen aller Welt oflfenen Vertragsbruch zu begehen, sondern sich der Unterzeichnung und Sanctionirung jener, Concessionen gleich bei der Krönung zu entziehen. Wie ihm das gelang, ob er auf den Widerspruch der Fürsten hinwies, ob er einzelne Prälaten, wie etwa den Erzbischof von Salzburg, durch persönliche Begünstigungen zum Verzicht auf die Forderungen bewogen hat, lässt sich nicht ermitteln.
Nur das steht unerschütterlich fest: Den Bedingungen dieses Wahlpaktes ist Lothar niemals, auch unmittelbar nach seiner Thronbesteigung nicht, gerecht geworden. Das hat Friedberg, 43  gestützt zum Theil auf die vorzüglichen Materialien, welche Jaffé in seiner „Geschichte des deutschen Reiches unter Lothar" geliefert hat, an den Bischofswahlen und -Investituren unwiderleglich nach-

42  cf. Cosmas chron. Boemiorum M. G. SS. IX, p. 126.
43  in den Forschungen zur deutsch Gesch. p. 79 ff.

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gewiesen. 44  Ich kann auch von Abtswahlen wenigstens zwei Beispiele hinzufügen.

1. Stablo 1130/31.
Die Notae Stabulenses de Wibaldo 45  haben folgende Daten überliefert:
- 16 Kal. Decembr. Hic electus 46  est dominus Wibaldus in Stabulensem abbatem anno Dom. 1130.
- Idus April. Hic dominus Wibaldus investitus est de abbatia Stabulensi Stabulaus ab imperatore Lothario III 47  anno infra scripto.
- 12 Kal. Maii. Hic dominus Wibaldus consecratus est in abbatem Stabulensem Stabulaus ab Alexandro Leodiensi episcopo. anno Dom. 1131.

2. Fulda. 48
Die Annales Magdeburgenses berichten: „Berthou Fuldensis abbas veneno vitam finivit eique Cunradus . . . . per concessionem imperatoris succedit. - Die Wahl Wibalds zum Abte von Monte Casino 49  beruht auf speciellem Vertrage 50  mit dem Papste.

So bestätigen also die Thatsachen die Worte der Annales Stadenses: Lothar hat Vieles bei seiner Wahl versprochen, was er nicht gehalten hat. Er hat den von Adelbert von Mainz und dessen Partei aufgestellten Forderungen vor der Wahl zugestimmt und nach derselben der Ratifizirung sich entzogen. So ist der Bericht der Narratio in Uebereinstimmung mit dem der Annales Stadenses gebracht und der Anstoss, welchen man meist an dem letzteren nahm, beseitigt.
Es bleibt nur noch eine Frage zu erledigen. Wie ist es zu erklären, dass die enttäuschte kirchliche Partei, besonders die drei mächtigen Erzbischöfe an ihrer Spitze, nicht von dem wortbrüchigen König abfielen, dass wir die Mehrzahl des Klerus und vor Allem den Papst von Anfang an in bestem Einvernehmen mit Lothar

44  s. die ausführliche Untersuchung derselben unter I b.
45  bei Jaffé bibl. rer. Germ. I p. 74.
46  Ueber die Anwesenheit des Königs bei der Wahl s. unten Theil II.
47  Lothar war am 13. April in Stablo cf. Stumpf, Reichskanzler II, 3 p. 279. Nr. 3261.
48  M. G. SS. XVI p. 184.
49  Chron. Mon. Casinensis  M. G. SS. VII p. 839.
50  a. a. O. p. 837, 41 ff.

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erblicken? 51  Zwar einen Mann wie Conrad von Salzburg zu gewinnen, dem Lothar innerlich so nahe stand, der, ein grundsätzlicher Gegner des weltlichen Treibens der Geistlichkeit, zufrieden war, wenn er in seinem Kreise nach seiner Ueberzeugung wirken konnte, den für sich zu gewinnen, konnte Lothar nicht schwer werden. 52  Allein Friedrich von Cöln, Adelbert von Mainz? Wie fand er sich mit diesen ab? Lothar schlug in kluger Berechnung den einzigen Weg zur Sicherung seiner Stellung ihnen gegenüber ein : er setzte sich über sie hinweg mit dem Oberhaupte der Kirche selbst in Verbindung. Honorius II, der als Kardinal von Ostia einst das Friedenswerk zu Worms verkündet hatte, war nicht zu extremen Massregeln geneigt: ihn zu gewinnen, that Lothar - und er musste so thun - einen aussergewöhnlichen für die deutsche Geschichte folgenreichen Schritt: er sandte gleich nach der Wahl den Kardinal-Legaten Gerhard nebst den Bischöfen von Cambrey und Verdun nach Rom und erbat sich die Bestätigung seiner Erhebung von dem Papste. 53  Es ist uns von besonderen Verabredungen bei dieser Gelegenheit keine Nachricht überliefert, auch keine Spur von der Abschliessung irgend welchen Vertrages aufzufinden, 54  aber ebensowenig war ohne Zweifel die Rede von der Anerkennung jenes Wahlpaktes, der vorzugsweise den Interessen Adelberts dienen sollte.
Es musste dem Papste ohne Zweifel höchst willkommen sein, diesem herrschsüchtigen Prälaten gegenüber, der seit 1118 55  als Legat des päpstlichen Stuhles in Deutschland fast allen unmittelbaren Einfluss der Curie absorbirte, die volle Oberherrlichkeit Roms wiederherzustellen und zugleich die Freundschaft eines Fürsten zu erwerben, von dessen frommer Gesinnung er keine Uebergriffe in sein Machtgebiet zu fürchten hatte. Durch diese glückliche Ver-

51  Diese Frage wirft bereits Souchay in seiner Geschichte der deutschen Monarchie Band II p. 304 Note 1 auf, ohne sie indess zu beantworten.
52  Die Erlassung des Hominiums der geweihten Prälaten, welche die Narratio berichtet, dürfte speziell mit Rücksicht auf Conrad erfolgt sein. (s. unten Theil II Note 89.)
53  Annales Disibodenbergenses M. G. SS. XVII p. 23. - Gesta Trevir. M. G. SS. VIII 199, 20. Es ist vielleicht ein Zeichen der Situation, dass keiner der drei genannten Erzbischöfe zu dieser wichtigen Gesandtschaft gewählt wurde.
54  unten I b p. 34. 35.
55  cf Kolbe: D. Erzbischof A. v. Mainz u. Heinrich V. p. 86.

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bindung Lothar's mit dem Papste wurde in der That die gefährliche Macht Adelbert's auf's Empfindlichste getroffen: Honorius verstand es, dessen Stellung als Legat vollständig illusorisch, zu einem blossen Titel zu machen, indem er fast ununterbrochen den Cardinal Gerhard als legatus a latere im deutschen Reiche erhielt.
Wir finden denselben bereits im April 1126 bei der Wahl Norbert's von Magdeburg wieder am Hofe Lothar's, 56  1126 im Juli in Strassburg, 57  1127 wieder mit unmittelbaren Aufträgen vom Papst in Deutschland, während seiner kurzen Abwesenheit in Italien sogar einen anderen legatus a latere, den Kardinal Peter in Worms thätig, 58  1129 abermals Gebhard in Strassburg anwesend, 59  und er ist jedenfalls bis zum Tode des Honorius meistentheils diesseits der Alpen geblieben, denn Innocenz schreibt bei seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl universis archiepiscopis, abbatibus, clero etc. . . . :
„Carissimus pater noster felicis memoriae papa Honorius vices suas dilecto filio suo . . . Gerhardo cardinali presbitero . . . . in Teutonico regno commisit . . . . Nos autem . . . . ut opus sibi injunctum . . . . perficiat . . . . . mandavimus."
Dass in der That ein gespanntes Verhältniss zwischen Adelbert und dem Papste herrschte, tritt am deutlichsten in dem Streit über die Würzburger Bischofswahl zu Tage. Adelbert hat sich beim Papste für den einen der beiden Candidaten, für Gebhard von Henneberg verwandt. Honorius antwortet ihm in einem Tone kategorischen Befehles, Gebhard dürfe nicht Bischof sein, und lässt die Würzburger durch den Legaten Gerhard energisch zur Neuwahl auffordern. 60  Adelbert sucht die Würzburger in einem gleichzeitigen Schreiben zu Hinzögerung der Wahl zu überreden; 61  bald nachher lässt er jedoch Gebhard fallen und spricht den Bann

56  cf. Jaffé, Gesch. d. deutsch. R. u. Loth. p. 55.
57  cf. Ep. Gebhardi bei Jaffé bibl. rer. Germ. V p. 409.
58  cf. Jaffé, Gesch d. deutsch. R. u. Loth. p. 250.
59  cf. Jaffé, bibl. rer. Germ. V p. 401. Dieser Brief ist nicht mit Jaffé in das Jahr 1127, sondern 1129 zu setzen. Die Versammlung in Strassburg, die darin erwähnt wird, kann nämlich nicht die vom Jahre 1126 sein, sondern ist die vom Jahre 1129 (s. unten Note 65).
60  s. die Briefe bei Jaffé, bibl. V p. 399.
61  Jaffé a. a. O. p. 401: quia consulta et considerata dilatio, licet gravis et onerosa sit laborantibus, plus tamen utilitatis solet afferre quam festinatio et indiscreta rei praecipitatio.
Bernheim, Lothar III u. das Wormser Concordat.  2

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über ihn aus. 62  Darüber beschwert sich Gebhard eingehend beim Papste, 63  und dieser ertheilt Adelbert einen Verweis, der an Schärfe das Aeusserste bietet. 64  Der Getadelte rechtfertigt sich in ehrerbietiger Weise, und nun erfolgt von Seiten des Papstes der Bann gegen Gebhard, aber nicht durch Vermittelung Adelberts, sondern durch den Legaten Gerhard, 65  eine neue Demüthigung des stolzen Erzbischofs.
Dieser hatte seinerseits Scharfblick genug, um zu erkennen, dass Lothar ihn durch das Bündniss mit dem Papste entwaffnet habe. So blieb ihm für den Augenblick nichts übrig als sich zu fügen und, um nicht ganz den Einfluss auf die Leitung der Geschäfte zu verlieren, sich dem Könige möglichst unentbehrlich zu machen. Kaum mag ihm die Versuchung nahe getreten sein, die Empörung Friedrich's von Schwaben zu begünstigen, denn er musste wissen, dass er von diesem noch weniger zu erwarten haben würde, nachdem er ihn eben schnöde um Thron und Macht betrogen. Er zog es vor, sich durch eifrige Dienste gegen die Rebellen der Gunst Lothar's zu vergewissern, und dieser wusste klug dem Ehr-

62  cf. den Brief des Würzburger Klerus bei Jaffé a. a. O. p. 402, Zeile 3 von oben.
63  Jaffé a. a. O. p..405 ff.
64  Jaffé a. a. O. p. 412: Quod si ita est, fraternitatem vestram a canonicis regulis divinitus inspiratis liquido constat deviasse.
65  Brief des Würzburger Klerus bei Jaffé a. a. O. p. 402: domnus archiepiscopus publice in pulpito nostro nuntiavit . . . . quomodo postmodum domnus Gerhardus cardinalis una cum ipso et cum tota ecclesia ibidem congregata in Argentinensi ecclesia praesente domno rege, sententiam excommunicationis in eum promulgasset. - Diese Versammlung in Strassburg kann nicht die in Gebhard's Brief (Jaffé a. a. O. p. 410) erwähnte vom Jahre 1126 sein: 1. Wird dort Gebhard angewiesen, nach Rom zu gehen, und er selbst berichtet p. 410 unten, dass Adelbert erst in Würzburg nach der Versammlung von Bann redet. 2. Wenn der Bann schon 1126 in Strassburg unter Autorität des Legaten Gerhard erfolgt wäre, würde Gebhard sich nicht mit Erfolg an den Papst haben wenden, noch dieser den Erzbischof dafür verantwortlich machen können, noch würde Adelbert versäumt haben, in seinem Rechtfertigungsbrief auf die Mitwirkung des Legaten sich zu berufen. Der Bann unter Mitwirkung des Legaten auf dem Reichstag in Strassburg muss daher nach dem Briefe Gebhard's erfolgt sein, d. h. nach 1126. Dann kann er nur auf dem Tage in Strassburg im Jahre 1129 erfolgt sein, und aus diesem Grunde ist, wie ich oben erwähnte, der Brief des Würzburger Klerus (Jaffé p. 401) nach diesem zweiten Strassburger Tag in das Jahr 1129 zu setzen. - Auch die neueste Darstellung dieser Dinge bei Giesebrecht IV, 1. p. 26 ist in diesem Punkte nicht genau.

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geize des immer gefährlichen Intriguanten zu schmeicheln, indem er die Stelle des Erzkanzlers, in welcher er ihn beliess, noch bedeutend an Einfluss erhöhte. 66  Trotzdem, scheint Adelbert bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, auf Abfall gesonnen zu haben. Als der Tod des Papstes Honorius (1130) die bekannte Doppelwahl hervorrief, stellte Adelbert sich sofort auf die Seite Anaklet's; der ihn zum Legaten ernannte, 67  während Innocenz, ganz in die Politik des Honorius eintretend, dessen Geschäftsträger Gerhard zu seinem Legaten machte. 68  Wenn es Adelbert gelang, diesem Anaklet Anerkennung zu erringen, war sein alter Einfluss wiedergewonnen. Er suchte also Lothar für Anaklet einzunehmen, aber dieser durchschaute wohl die innere Absicht Adelbert's und wies ihn zurück; 69  da wandte sich der Enttäuschte an Otto von Bamberg und andere Freunde im Klerus, - und was er im Schilde führte, zeigen ziemlich deutlich die drohenden Worte in dem Briefe an Otto: 69
„Si placeret adhuc principi sanius consilium admittere, nos una tecum . . . laboraremus, ut haec omnia ad communem patriae salutem et regni honorem componerentur. Sin autem, quod solum restat, faciemus.''
Wenn man damit die energische Aufforderung des Papstes Innocenz an Otto von Bamberg „ut omni occasione et excusatione remota quantocius ad nos veniatis" 70  zusammenhält, so wird man kaum zweifeln, dass es sich hier um ein Complott Adelbert's und seiner Freunde gegen Lothar zu Gunsten Anaklet's handelt, welches zum Glück durch die schnellen Fortschritte der Partei des Innocenz, an ihrer Spitze Norbert von Magdeburg und Conrad von Salzburg, vereitelt wurde. Doch macht sich noch 1134 der Groll des immer mehr in den Hintergrund gedrängten Erzbischofs in bitteren Ausbrüchen gegen Lothar Luft. 71  Ich glaube, das Be-

66  cf. Giesebrecht, Gesch. d. deutsch. Kaiserz. IV 1. p. 50.
67  Jaffé bibl. rer. Germ. V p. 423. - cf. Epistolae Bernardi oper. ed. Mabillon T. I p 135, wo bei der Aufzählung der bedeutendsten Anhänger Innocenz's Adelbert fehlt.
68  Jaffé a. a. O. p. 420.
69  Jaffé a. a. O. p. 435: non placuit principi in aliquo nos audire vel exaudire. Dass das generale malum, von welchem hier die Rede ist, das Schisma sei, ergiebt sich aus dem Briefe Adelbert's a. a. O. p. 451 Zeile 5 v. o., wo es heisst: generale malum ecclesiae.
70  Jaffé a. a. O. p. 432.
71  s. Jaffé a. a. O. p. 451.
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nehmen und die Stellung Adelbert's, wie ich sie eben zu schildern versucht habe, entsprechen vollständig der Annahme, dass Adelbert um den Preis seiner Anstrengungen für Lothar, um die Erfüllung seines Wahlpaktes betrogen worden sei. Ein Mann von offenerem Charakter als Adelbert würde anders gehandelt haben. Und das war der dritte Kirchenfürst, welcher hauptsächlich zur Wahl des Sachsen mitgewirkt hatte, Friedrich von Cöln. Wir sehen ihn bereits um Weihnacht 1126 in offenem Abfall von Lothar, ohne dass sich irgend ein Grund anderer Art als der gedachte auffinden liesse, 72  und erst 1129 versöhnte er sich mit dem Könige, 73  der sich darauf beim Papste für den vom Amte Suspendirten verwandte. 74
So wurde selbst die Opposition dieses mächtigen Friedrich von Cöln Lothar nicht gefährlich, und in dem bedenklichen Kampfe um die Krone mit Friedrich und Conrad, den Hohenstaufen, stand die Kirche, trotz des gebrochenen Wahlpaktes, treu auf Lothar's Seite. Aber es war nicht nur das Machtwort des Papstes, welches das bewirkte - eine eigenmächtige und daher kräftigere Stütze fand der neue Herrscher in dem ganzen, grossen Theile des Klerus, welcher mit einem modernen, aber doch zutreffenden Ausdruck als die pietistische Partei bezeichnet werden kann. Auch in der geistlichen Welt war über dem endlosen Streite gegen die Könige, welcher die Leidenschaften auf's Schlimmste entfacht, die religiösen Pflichten des Priesters vor den Interessen der Partei fast vergessen gemacht hatte, eine lebhafte Sehnsucht nach Frieden, 75  nach Vertiefung der religiösen Anschauung eingezogen, und die bedeutenderen Gemüther ergriff ein fast leidenschaftlicher Ueberdruss an dem weltlichen, verflachenden Treiben der letzten Jahrzehnte, welches die Kirche fast zu Grunde zu richten drohte. Von Frankreich her, verkörpert durch Männer von gewaltigem Geistesschwunge, wie Bernhard v. Clairveaux und Norbert von Prémontré, brach sich diese Stimmung damals auch in Deutschland Bahn: sie

72  cf. Giesebrecht Gesch. d. deutsch. Kaiserzeit IV 1. p. 50.
73  cf. Jaffé Gesch. d. deutsch. R. u. Loth. p. 248.
74  Diese Suspension ist zum Theil wohl im Interesse des Königs, hauptsächlich aber wegen der Anklage auf Simonie verfügt worden, welche bei der Weihe Alexander's von Lüttich 1128 den Erzbischof sammt dem Geweihten traf. (s. Chronic. Abbatiae St. Trudonis bei d'Achéry, Spicil. II p 702 Col. 2 unten.)
75  cf. besonders Epist. Scti. Bernardi (opp. ed. Mabillon T. I).

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erfüllte Conrad von Salzburg und Adelbert von Bremen, sie herrschte auf den Bischofsstühlen, sie herrschte in den Klöstern. An ihr fand Lothar einen mächtigen Rückhalt gegen die weltlich gesinnte Partei Adelbert's von Mainz und seines Gleichen, 76  denn er kam dieser Richtung seiner Zeit mit voller innerlicher Ueberzeugung entgegen. Wir können zwar nicht in die Herzen längst vergangener Geschlechter sehen, aber aus allen Thaten und Worten Lothar's, die uns vorliegen, spricht gleichmässig eine aufrichtige Religiosität im Geiste der genannten Männer. Mit Norbert verband ihn innige Freundschaft: 77  er bediente sich fortdauernd seines Rathes, er erhob ihn zum Erzkanzler von Italien, 78  er unterstützte seine Bemühungen um die nordische Mission ebenso eifrig, wie die des Erzbischofs von Bremen. Eifrig förderte er die Bestrebungen zur strengen Reformation der Klöster 79  und verwandelte selbst einige Nonnenstifte in Mönchsklöster mit strenger Regel. 80  In fast allen seinen Urkunden finden wir Einleitungen, welche hinausgehend über den herkömmlichen Ausdruck kirchlicher Ergebenheit, Lothar's fromme Gesinnung und seinen Eifer für das Gedeihen der religiösen Zucht in schlichten, aufrichtig klingenden Worten darlegen, 81  und der Diakon Petrus von Monte Casino hat uns eine lebendige Schilderung von der frommen Lebensweise des Kaisers überliefert, die wir durchaus nicht übertrieben finden werden,

76  Einen hübschen Beleg für diese Parteistellung bietet der unächte Brief Heinrich's des Stolzen an Lothar in Schlosser und Bercht's Archiv für Gesch. u. Lit. Bd. I p. 369. cf. Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen Band 14 in dem Anhang zu Iter Austriacum von Wattenbach p. 50.
77  cf. Vita Norberti M. G. SS. XII p. 702, 25 diligebat autem et ipse (sc Imperator) virum Dei Norbertum eo quod consiliis ejus plerumque regeretur et per eum refectione verbi Dei quotidie pasceretur.
78  anno 1133. - Annalista Saxo. M. G. SS. VI p. 768 u. Jaffé Gesch. d. deutsch. R. u. Loth. p 127 not. 23
79  Monum. Boica 29a  p. 273: Quem locum (Mönchsmünster) divae memoriae Lotharius imperator . . . . . interventu beatae memoriae Babenbergensis episc. idem monasterium et ordinem monasticum . . . . confirmavit.
80  Annalista Sax. M. G. SS. VI 769, 39: Congregatio sanctimonalium canonicarum in Luttera commutatur ab imperatore in regularem vitam Scti. Benedicti. cf. die Urkunde Lothar's in Origines Guelf. II p. 524: eas (sc. sanctimonales) aliorsum transferri (visum est), quia ex levitate earum non parum religio et res ecclesiae illius dilapsae et minutae erant.
Ebenso Ueltzen s. Wigand, Gesch. v. Corvey p. 175.
81  z. B in der Urkunde von 1127 Monum. Boica 29a  p. 250 und in der von 1130 Mon. Boica 13 p. 151.

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wenn wir damit die Werkheiligkeit eines Ludwig IX und anderer mächtiger Fürsten des Mittelalters vergleichen. 82
Lothar stand in der That auf der Höhe der idealen Bestrebungen seiner Zeitgenossen - das ist die Stärke seiner Regierung und der tiefere Grund, warum es trotz gelegentlich günstiger Umstände den Vertretern einer für den Augenblick überwundenen Partei nicht gelingen konnte, ihre Pläne durchzusetzen, weshalb der Wahlpakt vereitelt und die Ausübung der Hoheitsrechte gegenüber der Geistlichkeit der Mässigung und dem frommen Sinne Lothar's von Seiten des Papstes anvertraut wurde.

82 Chron. Mon. Casinensis M. G. SS. VI p. 838/39.

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Ib.

Lothar's Festhalten am Wormser Concordat.

Seine Stellung zu Innocenz II.

Es ist von verschiedenen Geschichtsforschern behauptet und von Friedberg in dem schon öfter genannten Aufsatz 1  zum ersten Male unwiderleglich nachgewiesen worden, dass Lothar vom ersten Jahre seiner Regierung an nach den Bestimmungen des Wormser Concordates gehandelt hat. Sämmtliche Bischofs- und Abtswahlen unter ihm, deren Verlauf sich im Einzelnen verfolgen lässt, erhärten dies. Aber es ist noch nicht untersucht worden, auf welcher Basis diese Uebung Lothar's beruhte. Vor Allem ist die Bedeutung der ihm 1133 von Innocenz ausgestellten Urkunde noch nicht von diesem Gesichtspunkt aus im Zusammenhang erläutert worden.
Ehe ich jedoch zur Darlegung dieser für die späteren Kämpfe zwischen Kaiser und Papst so wichtigen Verhältnisse übergehe, scheint es nöthig, den Verlauf der einzelnen Bischofswahlen, die uns bekannt sind, nochmals in's Auge zu fassen. Einige sind von Friedberg in seiner Untersuchung übergangen, andere nicht in richtigem Lichte dargestellt worden, und es ist für diesen wie für den letzten Theil der vorliegenden Abhandlung wichtig, hier ganz genau zu sein.
Eine allgemeine Bemerkung über den Wahlmodus muss ich vorausschicken. Das Wormser Concordat bestimmte: freie Wahl der Bischöfe und Aebte Deutschlands in Gegenwart des Königs. Wie ist diese Bestimmung zu verstehen?

1  in den Forschungen zur deutsch. Geschichte VIII p. 77 ff.

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Bekanntlich ist die Hauptstelle über den Wahlmodus, wie er bis zur Zeit des Investiturstreites herrschte, der Bericht in der „Vita Chunradi Episcopi Salisburgensis“. 2  Diesem zur Seite steht der weniger bekannte Ausspruch des Erzbischofs von Trier in der Zusammenkunft mit Paschalis II. anno 1117, welchen uns der Abt Suger von St. Denys überliefert hat. 3  In diesen beiden Stellen sind uns betreffs der eigentlichen Wahl in Gegenwart des Königs, welche ja durch das Wormser Concordat nicht verändert wurde, zwei wesentlich verschiedene Modi angegeben. Und in der That kommt neben dem jedenfalls ursprünglichen, bekannten Verfahren, wie es die Lebensbeschreibung Conrads schildert, seit ältester Zeit auch jenes andere vor, welches sich aus dem Gebrauche entwickelt zu haben scheint, dass man die wünschenswerthe Person dem Könige präsentirte. 4  Auch nach dem Wormser Concordat präsentiren sich die bereits gewählten Gegencandidaten von St. Gallen Heinrich dem Fünften, 5  und unter Lothar finden wir sogar gegenüber demselben Bischofsstuhl beide Wahlmodi ganz unterschiedslos neben einander angewandt. Wir müssen bei dem zweiten ausführ-

2  M. G. SS. XI p. 65, 44: Defuncto ecclesiae cujuslibet episcopo vel monasterii abbate, mox ad palatium proficisci non differunt praepositus, decanus, magister scolarium et prior monasterii et cum eis majores et sanioris consilii personae de civitate, anulum episcopalem secum portantes et baculum; communicatoque consilio cum his quos in palatio circa imperatorem invenerint episcopis, cancellario et capellanis secundum beneplacitum et favorem imperatoris, qui sustinendus erat, eligebatur.
3  Vita Ludovici bei Bouquet Recueil des historiens de la France etc. XII p. 20: Temporibus autecessorum nostrorum . . . . . . hoc ad jus imperii pertinere dinoscitur, ut in omni electione hic ordo servetur: antequam electio in palam proferatur, ad aures domini Imperatoris perferre, . . . . deinde in conventu secundum Canones petitione populi, electione cleri, assensu honoratoris proferre etc.
4  cf. die ausführliche Schilderung der Wahl des Abtes Notker von St. Gallen in den Casus Scti. Galli M. G. SS. II p. 138 ff. anno 971. Er kommt als electus mit 9 Mönchen an den Hof und wird dann in Gegenwart des Königs gewählt: p. 141 Tandem ferula recepta abbate coram se, ut moris est, electo
5  Casuum St. Galli Continuatio M. G. SS. II p. 160. Dieser Theil der Continuatio ist nach einer, demnächst in den „Forschungen zur deutsch. Gesch.“ erscheinenden Untersuchung von Max Bernheim, deren Mittheilung ich dem Verfasser verdanke, ca. 1150 geschrieben; diese Nachricht hat daher den Werth einer fast gleichzeitigen.

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licheren Modus dann also drei Wahlakte unterscheiden: 1) die im engeren Kreise des Kapitels oder der Klostergeistlichkeit stattfindende Vorwahl. 2) Die Präsentation und Wahl bei Hofe, in Gegenwart des Königs. 3) Die feierliche, formelle Nachwahl in der Bischofsstadt oder Abtei durch Volk und Klerus. Bei dem kürzeren Modus fiel die Vorwahl weg, es fand die Wahl wirklich erst am Hofe Statt, abfer nie fehlte die Nachwahl. 6  Worauf
es uns hier ankommt, ist, festgestellt zu haben, dass jene Vorwahl, welche nicht in Gegenwart des Königs Statt findet, keinen Verstoss gegen die Bestimmungen des Wormser Concordates in sich schliesst!

Ich lasse nun die uns zugänglichen Bischofswahlen in chronologischer Ordnung folgen.



A. Die Wahlen bis 1133 Sept.

Magdeburg 1126.

cf. Jaffé p. 245, 7  Friedberg 8  p. 79.

Zwistige Wahl in Magdeburg.
Lothar setzt nicht den Einen der beiden Candidaten, der ein Vetter seines Vaters ist, 9  durch, sondern lässt durch den päpstlichen Legaten zu einer neuen Wahl die majores ecclesiae nach Speyer bescheiden. 10
Dort

6  cf. die Wahl Albero's von Verdun in Laurentii gesta episc. Virdun. M. G. SS X 508, 10: Apostolicus et ipse approbavit, utque omnia canonice procederent, electam personam ad Virdunensem ecclesiam mox remisit, ut cum ipsius ecclesiae et potissimum venerabilis abbatis Laurentii assensu et testimonio sibi Parisius occurreret, imperavit, ut sic eidem sibi visa suorum publica electione, confirmaret spiritualia pontificii etc.
7  In d. Gesch. d. deutsch. R. u. Loth.
8  In den Forschungen z. d. Gesch. VIII.
9  Conrad v. Querfurt, cf. Chron. Magdb. bei Meibohm rer. Germ. T II p. 328. - Chron. Montis Sereni ed. Eckstein p. 12 letzte Zeile.
10  G Torquati Series pontif. eccl. Magdb. bei Mencken, Script, rer. Germ. III p. 380. - Chron. Magdb. a. a. O. p. 326. Der Bericht des Torquatus scheint hier aus flüchtiger Benützung derselben Quelle entstanden zu sein, welche der Verfasser des Chronicon benutzt hat.

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1. Wahl Norbert's in Gegenwart und mit Zustimmung Lothar's. 11  Anfangs Juli.
2. Belehnung mit. den Regalien. 12  Nachwahl in Magdeburg am 18. Juli 1126. 12
3. Weihe in Magdeburg am 25. Juli. 12a
Nachweisliche Uebung des Wormser Concordates. - Kurzer Wahlmodus.

Merseburg 1126.

cf. Jaffé p. 260, Friedberg p. 80.
1. Wahl Meingot's in Merseburg am 14. Juni 1126. 13
2. Präsentation bei Hofe und Belehnung mit den Regalien. 14

11  Annal. Saxo M. G. SS. VI p. 763. - Vita Norb. M. G. SS. XII p. 694. - Chron. Magd. a. a. O. p. 326.
12  Chron. Magdb. p. 326 : qui mox cum sacramento regi debito regalibus ab eo per sceptrum investitus ac missione ejus Magdeburg . . . deductus ibidem X Kal. Augusti (rectius XV Kal. cf. Jaffé a. a. O.) . . . a clero et populo cum ingenti gloria suscipitur, ab omnibus eligitur. - Mit den letzten Worten ist der von mir oben als Nachwahl bezeichnete Wahlakt berichtet, der, wie wir sahen, zur endgültigen Ratifizirung erfordert wurde. Friedberg irrt daher, wenn er (a. a. O. p. 80) darin eine Unregelmässigkeit erblickt. Auch ist es natürlich, dass Norbert von da an seine Regierungsjahre zählte.
12a  Chron. Magdb. a. a. O. p. 326: in festo Jacobi Apostolici ab Udone Olensi episoopo . . . . ungitur. Auch die Vita Norberti a. a. O. lässt die Weihe erst nach der Rückkehr von Speyer Statt finden. Bei den dort erwähnten Speyrer Ceremonien - (die Belehnung ist in den Worten ad imperatoris genua humiliatus angedeutet) - ist ungenau der Ausdruck: virgam pastoralem, quae quasi in manus ejus inserebatur, accipere coactus est. Doch zeigt die darauf folgende Anrede des Kardinallegaten, dass dieser Akt nicht von Lothar, sondern von jenem vollzogen ward.
13  Chron Episcop. Merseb. M. G. SS. X p. 188: Meingotus . . . . tarn unanimi quam concordi electione XVIII Kal. Jul. nobis verus pater eligitur. In hac electione erat Udo Cycensis episcopus, Heinricus marchio et tam laicorum quam clericorum debitus conventus. Electione facta cum electo Lotharii regis praesentia expetitur, sed nihilominus electus regi et a melioribus regni ob personalem acceptionem commendatur. - Es liegt hier in der That eine kleine Unregelmässigkeit vor: es hat nicht eine Vorwahl im engeren Kreise, sondern gleich die publica electio, welche sonst erst in der Nachwahl geschah, Statt gefunden. Daher das nihilominus aus dem Munde des Verfassers.
14  Chron. Episc. Merseb. a. a. O.: Ergo regis dono laudabiliter sublimatur et honoratur.

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3. Weihe in Magdeburg am 20. März 1127. 15
Nachweisliche Uebung des Wormser Concordates. Unbedeutende Unregelmässigkeit bei der Vorwahl.

Lüttich 1128.
cf. Jaffé p. 263.
1. Wahl Alexander's. 16
2. Belehnung mit den Regalien in Mainz 17  vor dem 10. März 1128.
3. Weihe durch Friedrich v. Köln in Gladbach am 10. März. 18  In der Hauptsache nachweisliche Uebung des Wormser Concordates.

Verdun 1129.
1. Vorwahl Ursio's nach dem zweiten Februar 1129. 19
2. Präsentation bei Hofe und Bestätigung durch den König. 20
3. Die Weihe ist nicht erfolgt, denn als Ursio 1131 in Lüttich abdankt, heisst er noch electus. 21
Uebung des Wormser Concordates höchst wahrscheinlich, ein Verstoss unmöglich.

15  Chron Episc. Merseb. a. a. O.: Ordinatio autem differtur, quod Norpertus Magdeburgensis archiepiscopus pallii honore nondum sublimatus erat. XIII vero Kal. Ap. . . . etc.
16  cf. Chron. Abbat. Scti. Trudonis bei d'Achéry Spicil. II p. 702: Alexandri cicatrix veteris morbi bis prius effracta, tertio jam erupit et ad Episcopatum anhelans . . . . assecutus est quod voluit; und vorher p. 698: Alexander war eifriger Anhänger Heinrich's V.
17  Annales Disibodenbergenses M. G. SS. XVII 24, 4: Leodiensis electus Alexander Moguntiae investituram suscepit a rege.
18  Chron. Abbat. Scti. Trud. a. a. O. p. 702: Alexander muss, der Simonie angeklagt, nach Rom gehen, um sich zu reinigen; wird aber 1135 wegen wiederholter ähnlicher Anklagen abgesetzt.
19  Laurentii gesta episc. Virdun. M. G. SS. X p. 507: Virdunensis ecclesia ab ipso concilio (scl. Catalaunensi) commonefacta . . . . sibi Ursionem . . . . in episcopum eligit. Das Concil zu Châlons fand am 2. Febr. Statt s. Mansi Concil. XXI p. 377.
20  Laurentii gesta episc. Virdun. a. a. O.: Jerat siquidem ad curiam regis gratia suae confirmationis.
21  ibid. p. 508, 3: Eo (sc. Leodium) et Ursio Verdunensis electus advenit . . . . episcopale reddidit.

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Halberstadt 1129.
cf. Jaffé p. 258, Friedberg p. 80.
Nach der Absetzung Otto's von Halberstadt findet eine zwiespältige Vorwahl zu Halberstadt Statt. 22  Der König, sowie der Metropolitan von Mainz, Adelbert, weisen beide Candidaten zurück, 23  da ersterer sich bereits für Otto's Wiedereinsetzung bei Honorius verwandt hat. 24
1131 wird Otto von Innocenz wieder eingesetzt. 25
1135 endgültig von demselben wegen Anklage auf Simonie verworfen. 26

Strassburg 1129.
cf. Jaffé p. 253.
Der 1126 vertriebene Bischof Bruno wird nach dem 1127 erfolgten Tode des Gegenbischofs Ebhard 1129 im October von Lothar auf Fürbitte der Königin und einiger Bischöfe wieder eingesetzt, 27  jedoch 1131 wird er zu Mainz wegen Unregelmässigkeit seiner Einsetzung des Amtes enthoben. 28

Verdun 1131.
cf. Friedberg p. 81.
1. Wahl Albero's in Gegenwart Lothar's zu Lüttich. März 1131. 29

22   Gesta Alberonis a. Balderico. M. G. SS. VIII p. 248, 9. - Annales Erphesfurd. M. G. SS. VI p. 537, 33.
23   Annales Erphesfurd. a. a. O.
24   Epist. 241 u. 244 bei Jaffé bibl. rer. Germ. V.
25   Chron. montis Sereni ed. Eckstein p. 11 : Otto etiam Halverstadensis episcopus ibidem (Leodii) petitione regis et totius ecclesiae restitutus est.
26   Annal. Saxo. M. G. SS. VI p. 770, 18.
27   Annales Disibodenberg. MG. XVII 24, 16 - Epistola No. 250 bei Jaffé bibl. rer. Germ. V p. 432.
28   Ibid. Zeile 43: Ubi (sc in concilio Moguntino) Bruno Argentinensis episcopus . . . . a clero et populo super violentia, intrusione et consecratione impetitus . . . . cf. Jaffé a. a. O. p. 103 Note 82. Ein gespanntes Verhältniss zu Lothar ist nach Obigem also nicht der Grund seiner Entsetzung, wie Jaffé a. a. O. Note 85 andeutet.
29   Laurentii gesta episc. Vird. M. G. SS. X p. 508, 5: hi qui capita Virdunensis ecclesiae et populi ibi reperti sunt, mox ab imperatore jussi . . . Alberonem . . . . in praesulem elegerunt.

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2. Belehnung mit den Regalien, 30  Nachwahl in Verdun. 31
3. Weihe am 19. April 1131. 32
Nachweisliche Hebung des Wormser Concordates. - Kurzer Wahlmodus.

Cambray 1131.
cf. Friedberg p. 81.

1. Wahl Lietard's in Gegenwart und auf Wunsch Lothar's zu Lüttich. März 1131. 33
2. Belehnung nicht ausdrücklich erwähnt, s. unten Note 95.
3. Weihe den 26. April 34  in Reims.
Höchst wahrscheinlich Uebung des Wormser Concordates. - Kurzer Wahlmodus.

Trier 1131.
cf. Jaffé p. 102, Friedberg p. 80.

Zwiespältige Wahl, der Klerus erbittet den Rath des Königs, um dessen Beistand gegen die feindliche Laienpartei zu gewinnen. 35  Lothar bestimmt einen Tag in Mainz zur Erledigung der Sache. Darauf wählt ein Theil des Kapitels - die Verfasser des Briefes an Innocenz geben selbst zu, dass sie nicht alle stimmberechtigten fratres herbeigezogen haben 36  - Albero von Metz und präsentirt diesen zu Mainz dem Könige, welcher mit vollem Recht die ungesetzlich vollzogene Vorwahl nicht bestätigen will; Innocenz aber,

30   Ibid.: Electionem ejus curia laudavit, imperatoria majestas confirmavit, datis ei per sceptrum temporalibus episcopii.
31   Ibid.: Virdunensis civitas et ecclesia . . . . venientem cum gaudio suscepit, eum cum testimonio publici assensus ad Papam Parisius Franciae transmisit.
32   Ibid.: A quo (sc. Papa) in sancto Paschali sabbato in presbiterium, die autem festo in episcopum est consecratus.
33   Gesta Episc. Cameracens. M. G. SS. VII p. 506, 40: In qua collocutione (Leodiensi) obtentu regis Lietardus Cameracensium episcopus efficitur.
34   Gesta Episc. Cam. Continuatio M. G. SS. VII p. 524, 7.
35   Brief des Trierer Klerus an Innocenz in den Gesta Alberonis a. Balderico M. G. SS. VIII p. 249, 6: sciebamus enim et adhuc vere scimus, iram et furorem laicorum nullo modo nisi regia potestate et gratia posse sedari.
36   a. a. O. p. 249 Zeile 8.

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dem die Person Albero's sehr erwünscht ist, weiht demungeachtet Albero, und als derselbe denn die Regalien von Lothar verlangt, weigert dieser sich, die Investitur zu ertheilen, 37  weil der Trierer vorher geweiht worden sei. Erst nachdem der Erzbischof sich hinreichend gerechtfertigt hat, lässt sich Lothar herbei, ihn zu investiren.
Demnach bietet diese Wahl folgende Momente:
1. Vorwahl in nicht ganz correcter Form nach dem 24. April 1131. 38
2. Verweigerung der königlichen Bestätigung zu Mainz. 39
3. Weihe durch den Papst zu Vienne. October 1131. 40
4. Belehnung mit den Regalien zu Aachen. April 1132. 41
Verletzung des Wormser Concordates seitens des Papstes. Festhalten an demselben seitens Lothars.

Cöln 1131.
cf. Jaffé 248, Friedberg p. 82.

Zwiespältige Wahl. Mit Begünstigung Lothar's wird Gottfried von Xanten beseitigt, darauf findet Statt
1. Die Wahl Bruno's in Gegenwart des Königs und dreier päpstlicher Legaten 42  zu Cöln. Weihnacht 1131.

37   Gesta Alberonis a. a. O. p. 250; dem entgegen steht die Nachricht der Annales Disibodenbg. M. G. SS. XVII 24, 49: ubi (scl. Coloniae) constituti sunt archiepiscopi Brun Colon. et Albero Trevirensis, qui mox consecrati sunt a Wilhelmo Praenestino apostolici legato. Doch ist Baldericus in diesem Punkte um so glaubwürdiger, als er, der Zeit- und Meinungsgenosse Albero's, bemüht ist, seinen Helden als Vorkämpfer der kirchlichen Freiheit hinzustellen, und offenbar nur ungern diese Demüthigung desselben erzählt: „Praetereundum non est“ beginnt er seinen Bericht.
38   cf. Jaffé a. a. O. p. 102 Note 79.
39   cf. Jaffé a. a. O. p. 103 Note 82.
40   Gesta Alberonis a. a. O. p. 250, 10.
41   Ibid. p. 251, 2.
42   s. Jaffé a. a. O. p. 111 mit den in Note 28 angegebenen Stellen. Die Wahl findet wohl unter dem Einflusse Lothar's, doch nicht unkanonisch Statt, wie im Catalogus Episcop. Colon. von Caesarius Heisterbacensis (Böhmer fontes II p. 275) behauptet wird. Es musste Lothar von besonderer Wichtigkeit sein, gerade in dem unzuverlässigen Cöln einen Erzbischof zu haben, auf den er rechnen zu können glaubte. cf. auch den Brief Bernhard's von Clairveaux (epist. ed. Mabillon T I p. 26) an Bruno, der ihn gefragt, ob er den Bischofsstuhl annehmen solle. Bernhard sagt kein Wort von unkanonischer Wahl.

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2. Belehnung nicht ausdrücklich erwähnt s. unten Note 95.
3. Weihe wahrscheinlich nach der Belehnung bald nach der Wahl in Cöln. 43
Wahrscheinlich Uebung des Wormser Concordates.

Regensburg 1132.
cf. Jaffé p. 267 u. 139.

1. Vorwahl Heinrich's unter Einfluss des Vogtes Friedrich gegen den Wunsch Herzog Heinrich's im August 1132. 43a
2. Weihe durch Conrad von Salzburg nach dem 19. August 44  1132.
3. Bestätigung durch den Kaiser in Würzburg Sept. 1133. 45
Verletzung des Wormser Concordates seitens des Erzbischofs von Salzburg.

Augsburg 1133.
cf. Jaffé p. 255.

1. Wahl in Abwesenheit des Kaisers, der jedoch in Italien ist, 46  am 19. März 1133.
2. Bestätigung durch den Kaiser in Würzburg, Sept. 1133. 47
3. Weihe am 9. Sept. 1135 in Seligenstadt. 48
Der Hauptsache nach Uebung des Wormser Concordates.

43  Annales Disibodenberg. M. G. SS. XVII 24, 48: Rex natale Domini Coloniae celebravit, ubi constituti sunt archiepiscopi Brun Coloniensis et Adalbero Trevirensis, qui mox consecrati sunt a Wilhelmo Praenestino. Dieser war mit in Cöln zugegen.
43a  Leibnitz Script, rer. Brunsvic. I p. 787.
44  In der Urkunde Nr. LXII in Orig. Guelf. II 509 heisst Heinrich noch nondum ordinatus. Diese ist vom 19. August datirt (XIV Kal. Sept.) nicht vom 17., wie Jaffé a. a. O. p. 140 Note 11 angiebt.
45   Annal. Magdeburg. M. G. SS. XVI p. 184, 36 und Annal. Saxo. M. G. SS. VI 768, 37.
46   Chronographia Heinonis ad an. 1133 M. G. SS. X 3: Waltherus eligitur XIV Kal. Aprilis.
47   Annal. Magdeb. M. G. SS. XVI u. Annal. Saxo. MG. SS. VI ad. an. 1133: imperator . . . celebrat nativitatem sanctae Mariae in Wirzburch . . . Ibi confirmantur electiones episcoporum Heinrici Radisponensis et Waltheri Augustensis.
48   Chronogr. Heinonis a. a. O. ad. an. 1134. Waltherus in Seligenstat ordinatur episcopus V Idus Sept.

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B. Die Wahlen nach 1133 Sept.
Basel 1133.
cf. Jaffé p. 270., Friedberg p. 82.

1. Wahl Adalbero's in Gegenwart und mit Zustimmung Lothar's in Basel. Novbr. 1133. 49
2. Belehnung nicht ausdrücklich erwähnt.
3. Weihe durch den Erzbischof von Besancon am 11. Febr. 1134. 50
Höchst wahrscheinlich Uebung des Wormser Concordates. - Kurzer Wahlmodus.

Magdeburg 1134.
cf. Jaffé 247, Friedberg p. 83.

1. Wahl Conrad's von Querfurt in Gegenwart und mit Zustimmung Lothar's in Magdeburg 29. Juni 1134. 51
2. Belehnung nicht ausdrücklich erwähnt.
3. Weihe nicht ausdrücklich erwähnt.
Wahrscheinlich Uebung des Wormser Concordates. - Kurzer Wahlmodus.

49   Lothar am 8. Nov. in Basel, s. Stumpf Reichskanzler II 3 Nr. 3287. Heinrich, der nach Berthold's Tod gewählt worden, war vom Papst auf Wunsch Lothar's verworfen, cf. Annal. Saxo M. G. SS. VI 768, 38: quia Heinricus Basiliensis episcopus a papa omnino degradatus fuit, Adalbero Nienburgensis abbas, eidem canonica electione cleri et populi per consilium imperatoris successit. Wenn Adelbert von Mainz in seinem Briefe an Otto von Bamberg (bei Jaffé bibl. rer. Germ. V p. 451) sagt: videmus canonicas episcoporum electiones ad nutum principis cassari ut pro beneplacito suo ipse substituat, quos voluerit, so drückt sich darin nur der Groll über das Einvernehmen zwischen Lothar und dem Papst und über des ersteren Einfluss übertreibend aus. „Eine Unterdrückung der Wahlfreiheit“ ist hier nicht nachzuweisen. (cf. Friedberg p. 83 oben).
50   s. Monuments de l'histoire de l'ancien évêché de Bâle, Trouillat I p. 261 Note 3.
51   Annal. Saxo M. G. SS. VI 769, 3. Festivitatem apostolorum Petri et Pauli imperator Magdeburch celebravit, et Conradus, ejusdem ecclesiae canonicus, imperatore consentiente generali electione cleri et populi archiepiscopus constituitur.

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Prag 1135.
cf. Friedberg p. 83.

1. Vorwahl 52  des Johannes.
2. Bestätigung durch Lothar. 52
3. Weihe durch Adelbert von Mainz am 18 April 1135. 53
Sichere Uebung des Wormser Concordates.

Halberstadt 1136.
cf. Jaffé p. 259, Friedb. p. 83.

Zwistige Wahl. Lothar bittet Innocenz um endliche Entscheidung:
„Quia vero in partibus Saxoniae, maxime in praefata ecclesia (scl. Halberstadensi) imperialis dignitas consistit, saltem adhuc paternitas tua nobis acquiescat, et audita utraque parte ita nobis eos remittas, ut salva libertate electionis nos pro consilio archiepiscopi et suffraganeorum, adhibitis religiosis personis talem provideamus, qui ecclesiae et imperio expediat 54
Nachdem hierauf die Entscheidung des Papstes ohne Zweifel durch den Legaten Gerhard erfolgt ist, 55  findet Statt

52   Canonici Wissegrad. Cont. Cosmae M. G. SS. IX p. 141, 11: electus sanctae Pragensis ecclesiae ad imperatorem profectus est, quatenus electio sua imperiali assensu et approbatione corroboraretur. Quo postquam ventus est tanto culmine honoris honoratus est, ut imperator . . . ei obviam exierit. Postquam vero pontificales dignitates, id est baculum et annulum sibi tradidit, ad archiepiscopum Moguntinum misit illum, ut Deo dignum praesulem ordinaret. Friedb. a. a. O. und Ficker (vom Reichsfürstenstand p. 252) sehen hierin eine Investitur mit Ring und Stab seitens des Kaisers, indem sie sibi auf den electus Pragensis beziehen. Offenbar ist das Subjekt zu tradidit jedoch der Bischof, und sibi auf den Kaiser zu beziehen. Demnach handelt es sich hier nicht um eine Verletzung des Wormser Concordates seitens Lothar's, sondern höchstens um eine zu weit gehende Devotion des Prager Bischofs, welche Lothar zurückweist, indem er ihn an den Erzbischof von Mainz weist.
53   Canonici Wissegrad. Cont. Cosmae a. a. O.: Itaque praesul Johannes XIII Kal. Martii ab archiepiscopo suo ordinatus . . . remeavit.
54   Brief Lothar's aus dem Annal. Saxo bei Jaffé bibl. rer. Germ. V 524.
55   Wenn Friedberg a. a. O. bei dieser Gelegenheit von „Verwerfung zwiespältig gewählter Candidaten“ seitens Lothar's spricht, so ist dies im Hinblick auf den eben erwähnten Brief nur durch das Bestreben Friedberg's, Lothar's Stellung zur Kirche als eine nicht unterwürfige darzustellen, erklärlich, ein Bestreben, welches ihn hier, und wie gezeigt, auch sonst zur Uebertreibung führt.

Bernheim, Lothar III u. das Wormser Concordat.    3

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1. Wahl Rudolf's in Gegenwart des Kaisers und des Legaten in Goslar. März 1136. 56
2. Belehnung nicht ausdrücklich erwähnt.
3. Weihe in Erfurt am 12. April 1136. 56
Höchst wahrscheinlich Uebung des Wormser Concordates.

Lüttich 1136.
cf. Jaffé p. 263.

1. Wahl Albero's II nicht erwähnt.
2. Präsentation bei Hofe. 57  Belehnung nicht erwähnt.
3. Weihe in Aachen vor dem 22. März. 57
Wahrscheinlich Uebung des Wormser Concordates.

Cambray 1136.
cf. Friedberg p. 89.

Vorwahl Otto's. Lothar versagt seine Zustimmung. 58  Hierauf werden zwei Aebte an den Hof gesandt, „ut per gratiam imperatoris idoneum ecclesiae Cameracensis episcopum providerent“ 59  und es findet Statt
1. Wahl Nicolaus' in Gegenwart Lothar's in nicht correcter Form, weil die wahlberechtigten Geistlichen aus Cambray nur durch zwei Aebte vertreten sind, zu Aachen, Ostern. 60

56   Annal. Saxo M. G. SS. VI p. 770, 23.
57   In einer Urkunde, zu Aachen im März von Lothar ausgestellt, kommt Adalberus noch als electus vor. s. Stumpf, Reichskanzler II 3 Nr. 3315. In einer Urkunde vom 22. März wird er bereits episcopus genannt, s. Stumpf a. a. O. Nr. 3316.
58   Gesta episcop. Cameracens. M. G. SS. VII p. 507, 16.
59   Ibidem.
60   Annal. Camerac. M. G. SS XVI p. 514, 29 (Verfasser: ein Zeitgenosse, der 1139 von Nicolaus selbst zum Sacerdos gesalbt wird) ad annum 1136: Dominus Nicolaus prepositus infra ordines et sine assensu civium in praesentia Lotharii regis Aquisgrani . . . . in pascha Domini eligitur. Igitur a curia rediens cum gratia . . . XII Kal. Jan. Remis episcopus consecratur. Friedbg., der diese Stelle übersehen hat, setzt die Wahl irrthümlich in's Jahr 1137 unter König Konrad. Irrthümlich steht auch in den Mon. Germ. VII p. 507, 12 bei der Entsetzung Lietard's die Jahreszahl 1137 am Rande.

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2. Belehnung nicht erwähnt.
3. Weihe in Reims am 21. Dec. 1136. 60
Incorrecte Wahl. Uebergriff seitens Lothar's auf Veranlassung des betreffenden Klerus.

Was wird sich aus der Betrachtung dieser Wahlen für die oben aufgestellte Frage ergeben?
Ich habe im ersten Abschnitte auf Seite 16 schon erwähnt, dass uns keine Spur auf einen Vertrag mit Lothar oder auf eine Bestätigung des Wormser Concordates seitens Honorius' hinweist. Doch zeigen die bis zu Honorius' Tode stattfindenden Wahlen - Magdeburg, Merseburg, Lüttich, Verdun - sämmtlich consequente Handhabung des Wormser Concordates von Seiten Lothar's in voller Uebereinstimmung mit der Geistlichkeit, nicht etwa nur bei einer zwiespältigen Wahl wie die Magdeburger, wo Eifersucht der Parteien den königlichen Einfluss heranziehen mochte, sondern durchgehends und in einer Weise, welche dem Verhältnisse stillschweigender Uebereinkunft zwischen Honorius und Lothar über diesen Punkt, wie ich es früher annahm, vollkommen entspricht. Es kommt hinzu, dass weder Innocenz noch Anaklet 61  in ihren ersten Briefen an Lothar Etwas von einer Bestätigung des Concordates sagen. Hätte eine gesetzliche oder irgendwie formelle Abmachung zwischen Lothar und Papst Honorius II. bereits bestanden, so wäre eine zustimmende Erklärung in jenen Briefen unmöglich unterblieben, da es beiden Päpsten so wesentlich darauf ankommen musste, dem Könige Vertrauen einzuflössen. 62  Nur, wenn man annimmt, dass diese Verhältnisse ungeregelt der Praxis überlassen waren, lässt sich erklären, warum die beiden Päpste einen so häklichen Punkt für's Erste unberührt liessen.
Wie aber gestalteten sich die Dinge unter dem Schisma, wie stellte sich Innocenz zu Lothar?
Wir haben bereits im ersten Abschnitt gesehen, dass Anaklet sich an Adelbert von Mainz und dessen Partei anschloss, während

61   bei Jaffé bibl. rer. Germ. V p. 419 u. 422.
62   So bieten sie Lothar wetteifernd die Aufhebung der Suspension Friedrich's von Köln, die Beilegung des Halberstädter Streites, die Unterstützung gegen Conrad von Hohenstaufen an. s. a. a. O., letzteres in Anaklet's Brief mehr allgemein gehalten: vestros amicos, seu inimicos nostros pariter deputare (volumus).
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Innocenz keinen Augenblick versäumte, Conrad von Salzburg und Norbert von Magdeburg für sich zu gewinnen, indem er als der zuerst Gewählte das Vorrecht kanonischer Wahl in Anspruch nahm. 63  So bestand in Deutschland dasselbe Verhältniss der Parteien wie gleichzeitig in Frankreich: 64  wie in Frankreich stützte sich Anaklet auf die Partei der Ehrgeizigen, nach weltlicher Macht Strebenden; Innocenz auf die der streng religiös Gesinnten, Ueberzeugungstreuen. Wir sahen, welcher von beiden Richtungen die Zeit huldigte. Innocenz verräth ohne Frage die tiefere Einsieht in die Lage der Dinge, wenn er sich derjenigen zuwandte, welche die Völker und Fürsten und besonders auch Lothar beherrschte. Denn bei Lothar stand die Entscheidung des Kirchenschismas. Anaklet hatte zwar den Gegner schnell aus Rom verdrängt und gebot dort, allein die mächtigen Adelsgeschlechter der Frangipani und Corsi waren nur für den Augenblick unterworfene, stets drohende Feinde. 65  Innocenz, flüchtig, musste sich im Auslande Anerkennung und Hülfe suchen, um den päpstlichen Sitz wieder erringen zu können. Frankreich war ihm wohl schon durch die Energie Bernhard's gewonnen , allein eingreifende Hülfe konnte er doch nur vom römischen Könige erwarten. Ein besonderes Glück für Lothar war es zudem, dass Conrad's Macht in Italien um diese Zeit bereits auf's Aeusserste gesunken war, so dass eine Verbindung mit demselben Anaklet nicht thunlich erschien und derselbe es vorzog, wie es Innocenz bereits gethan, 66  den von Honorius über Conrad ausgesprochenen Bann zu erneuern. 67  Dadurch war Lothar an keinen der beiden Päpste gebunden, war absoluter Schiedsrichter über die Besetzung des päpstlichen Stuhles. Auf wessen Seite er sich stellen würde, war innerlich entschieden, nachdem sich die Männer seines Vertrauens, Norbert und Konrad von Salzburg, für Innocenz erklärt hatten. Wenn er zögerte, mit seiner Ansicht hervorzutreten, so geschah dies jedenfalls nur, um auch äusserlich die Frage mit aller Wahrung des Rechtes zum

63   cf. die Briefe bei Jaffé bibl. rer. Germ. V 245, 246, 247, 248.
64   Hier vertrat der ehrgeizige Gerard von Angoulême im Bunde mit dem Grafen von Aquitanien Anaklet's Partei; der fanatische Bernhard von Clairveaux die des Innocenz. cf. die Briefe des Letzteren b. Mabillon opp. Bernardi T. I.
65   s. Giesebrecht: Gesch. d. deutsch. Kaiserzeit IV, 1 p. 54 ff.
66   s. den Brief bei Jaffé bibl. rer. Germ. p. 419, vor dem 18. Febr. 1130.
67   am 27. März 1130.

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Austrage zu bringen. 68  Noch hatte er das entscheidende Wort nicht gesprochen, als er im März 1131 zur Zusammenkunft mit Innocenz nach Lüttich zog. 69  Und hier war es, wo zuerst von einer Bestimmung über die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche die Rede war.
Die uns hierüber erhaltenen Nachrichten sind folgende: 70
1. Otto Frising Chron. M. G. SS. XX p. 257, 17:
„regem Lotharium ad defensionem sanctae Romanae ecclesiae invitavit (sc. Innocentius Leodii). Qui nil cunctatus, exposito tamen prius modeste in quantum regnum amore ecclesiarum attenuatum, investituram ecclesiarum quanto sui dispendio remiserit, auxilium Romanae ecclesiae promittit".
Wenn man Otto von Freising im Zusammenhang liest, so ist es nur möglich, hier unter der remissio investiturae die Aufgabe der Investitur mit Ring und Stab seitens Heinrich's V. zu verstehen, denn nur von dieser hat Otto vorher gesprochen.
2. Chron. Urspergense beruht auf der Vita Bemhardi. 71  cf. diese unten.
3. Chron. Mon. Casin. M. G. SS. VII p. 811, 29:
„Innocentius juxta Leodium a Lothario rege excipitur, virgam et anulum ei juxta morem antiquum confirmans, nec non et terram comitissae Mathildae ei contradens". 72
4. Vita Scti. Bernhardi C. I § 5:

68   Wie sehr Lothar in diesem Punkte mit Norbert und dessen Freunden eines Sinnes ist, sehen wir aus der energischen Betonung der rechtlichen Seite des Streites, welche aus dem Antwortschreiben Walter's von Ravenna an Norbert als des Magdeburgers Hauptfrage hervortritt, s. Jaffé bibl. rer. Germ. V p. 423.
69   Das zeigt der Brief Bernhard's von Clairveaux (opp. ed. Mab. T I p. 138): Domini Papae Innocentii et innocens vita et integra fama et electio canonica praedicatur; tertium i. e. electio) calumniam habuit, sed per christianissimum Lotharium nuper falsi calumniatores in suo sunt mendacio deprehensi. - Der Brief ist 1132 geschrieben.
70   cf. Jaffé Gesch. d. deutsch. R. u. Loth. p. 98/99. - Gervais, p. Gesch. Deutschl. p. 172 ff. - Friedberg, Forsch, z. deutsch. Gesch. VIII p. 83.
71   s. Jaffé Gesch. d. deutsch. R. unter Loth. p. 242.
72   Es wird nicht zu sehr befremden, wenn der Italiener einen so grossen Irrthum begeht, in Lüttich die Aufhebung des Wormser Conoordates Statt finden zu lassen. Doch spricht die noch so irrige Nachricht immer auch dafür, dass in Lüttich von einer solchen Aufhebung die Rede war, indem der Chronist diesen Umstand mit den Vorgängen von 1133 vermengt.

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„Siquidem importune idem Rex institit, tempus habere se reputans opportunum, Episcoporum sibi restitui investituras, quas ab ejus praedecessore Imperatore Henrico per maximos quidem labores et multa pericula Romana ecclesia vindicarat. Ad quod verbum expavere et expalluere Romani et gravius sese apud Leodium arbitrati periculum offendisse, quam declinaverint Romae, nec consilium suppetebat, donec murum se opposuit Abbas sanctus (scl. Bernardus). Audacter enim resistens regi verbum malignum mira liberalitate redarguit, mira auctoritate composuit“.
Diese Nachricht, wenn sie auch die That des Bernhard in allzu helles Licht setzen mag, ist doch um so glaubwürdiger, weil sie sich nicht ganz mit der gleich folgenden Stelle in Bernhard's Brief über diesen Vorfall deckt; man sieht daraus wenigstens, dass der Biograph nicht nach diesem Briefe gearbeitet hat.
5. Epist. Scti. Bernhardi (opp. ed. Mabillon T. I p. 154), geschrieben 1133 an Innocenz:
„Sed nec Leodii cervicibus imminens mucro barbaricus compulit acquiescere importunis improbisque postulationibus iracundi atque irascentis regis".
Wenn man diese verschiedenen Nachrichten kritisch mit einander vergleicht und überhaupt die Beglaubigung geschichtlicher Thatsachen durch überliefertes Wort gelten lässt, so kann kein Zweifel sein, dass Lothar in Lüttich die Aufhebung des Wormser Concordates von Innocenz gefordert hat. 73  Dass es sich hier nicht um eine Bestätigung des Wormser Concordates handelte, wie man früher meist annehmen wollte, ergiebt sich besonders ganz evident aus der authentischen Stelle in Bernhard's angeführtem Briefe: unmöglich konnte Bernhard

73   Selbst Gervais giebt das zu (pol. Gesch. Deutschl. u. Heinrich V u. Lothar Theil II p. 171), bemüht sich freilich, diese Forderung als ebenso unschuldig und harmlos darzustellen, wie früher die entgegengesetzten Bedingungen des Wahlpaktes. Eine solche Darstellung heisst weder Schwarz noch Weiss, sondern nur Grau kennen. Und doch erhebt sie Köpke auf's Rühmendste gegenüber einem Werke, wie das von Jaffé es ist! (s. den Aufsatz von Köpke in d. Zeitschr. f. Geschichtswissensch. von Dr. W. A Schmidt, Berlin 1844. I p. 220.)
Aus dieser Forderung Lothar's ergiebt sich, so weit ich sehe, übrigens einleuchtend auch von dieser Seite her, dass er früher keine Verpflichtung nach Art des Wahlpaktes eingegangen sein kann. Denn er würde dann nicht plötzlich zur extremsten Forderung übergesprungen sein, sondern wohl zunächst die Wiederherstellung des Wormser Concordats gefordert haben.

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mit „importunis improbisque postulationibus“ das Wormser Concordat meinen, welches Lothar, wie wir sahen, stets in vollem Maasse übte und welches Innocenz selbst ihm später materiell bestätigte, ohne dass Bernhard ein Wort des Tadels darüber fallen liesse. 74  Der Grund dieser Annahme liegt zum Theil wohl in der früher gehegten Meinung der Historiker, Lothar habe den Wahlpakt geschlossen und gehalten, zum Theil aber in der richtigen Einsicht, dass jene offensive Forderung um Aufhebung des Concordates nicht recht zur ganzen Stellung und Anschauungsweise Lothar's zu passen scheint. Wir sahen, er lebte recht in dem Gedankenkreise der Männer, welche die Vermengung der geistlichen und weltlichen Dinge innigst verabscheuten. Er hatte bisher, das sahen wir, consequent an der Uebung des Wormser Concordates festgehalten, somit dieses als maassgebendes Rechtsprincip für sich hingestellt. Auch hatte er bis zu dem Tage von Lüttich durchaus keine Erfahrungen gemacht, welche ihn auf die Unzulänglichkeit der Wormser Bestimmungen hingeführt haben könnten oder dieselben als eine Beschränkung seiner Macht ihn hätten empfinden lassen. Die meisten Wahlen waren - nachweislich - unter seinem Einflüsse vor sich gegangen, 75  er sah fast überall zuverlässige, ihm geneigte Männer auf den Bischofsstühlen - wie kam Lothar dazu, jene Forderung in Lüttich zu stellen? Ich glaube, hier hat der Einfluss Heinrich des Stolzen eine Rolle gespielt. Wir wissen nur wenig von diesem bedeutenden Manne, aber wir wissen, dass er dem Papste gegenüber ebenso hochfahrend auftrat, wie er es sonst gewohnt war, 76  und wissen, dass er eine hohe Stufe in Lothar's Vertrauen und Zuneigung einnahm. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er besonders den König zu diesen extremen Forderungen angestachelt habe. Doch wie dem auch sei - es ist klar, dass Lothar jene Forderungen zurückziehen musste, sowie Bernhard sich energisch gegen dieselben erklärte. Denn mit diesem erklärte sich die ganze Partei, welche ich oben die pietistische nannte, dagegen - die Partei, auf deren inniger Unterstützung Lothar's ganze Macht im Inneren begründet war, wie wir oben sahen. So

74   cf. denselben Brief, der nach der Krönung Lothar's geschrieben ist.
75   Ausser den oben angegebenen Wahlen vor 1131, deren Verlauf dies zeigt, führe ich hier noch die von Münster und Würzburg an, wo intimste Anhänger des Königs gewählt wurden, (cf. Giesebrecht, Gesch. d. deutsch. Kaiserzeit IV 1 p. 46.)
76   cf. Annal. Saxo M. G. SS. VI p. 773, 39.

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musste Lothar, auch ohne den Abschluss eines Vertrages erreicht zu haben, das Versprechen geben, Innocenz nach Rom leiten zu wollen; wie es sich mit sonstigen Gegenleistungen des Papstes verhält, wissen wir nicht. Von einer Bestätigung des Wormser Concordates schweigen alle Quellen, die ausführlicher von jenen Vorgängen berichten. 77  Nur die Angabe des Petrus Diaconus 78  lässt sich vielleicht dahin deuten, dass Innocenz Versprechungen gemacht habe, welche ihre Erfüllung nach vollbrachtem Romzug finden sollten. Keinesfalls hat Lothar die beherrschende Situation, welche er gegen den Papst einnahm, ausgebeutet, und es ist keine Frage, dass sich Innocenz ihm hier diplomatisch überlegen gezeigt hat. Nicht einmal eine Bestätigung des Concordates erlangt zu haben, war für Lothar um so bedenklicher, weil er durch die Stellung darüber hinausgehender Forderungen das Zutrauen des Papstes zu seiner Loyalität erschüttert hatte und bei demselben die Befürchtung erweckt haben musste, dass er die Grenzen des Wormser Vertrages überschreiten möchte. Und die Folge davon zeigte sich sofort in höchst eingreifender Weise. Innocenz weihte Albero zum Erzbischof von Trier, ohne Rücksicht auf die mangelnde Bestätigung des Königs, die fehlende Belehnung mit den Regalien. 79  Diese Thatsache stellt die Lütticher Vorgänge in's klarste Licht: so unabhängig war der Papst doch noch keineswegs von Lothar, dass er es hätte wagen können, einem jüngst von ihm bestätigten Vertrage so rücksichtslos zuwider zu handeln. Von einer Bestätigung des Wormser Concordates in Lüttich kann somit sicher keine Rede sein. Im Gegentheil, da durch Lothar's Forderung und deren Zurückweisung das gegenseitige Vertrauen erschüttert war, suchte der Papst etwa voraussichtlichen Uebergriffen des Königs zuvor zu kommen und demselben dadurch von vornherein die Spitze zu bieten. Ganz dem entspricht es auch, dass Lothar nur von dem Erzbischof, als seinem Unterthanen, nicht von dem Papste Rechenschaft forderte. 80  Nur unter derselben Voraussetzung ist es ferner begreiflich, dass Erzbischof Conrad von Salzburg die Weihe

77   Und die gleich zu erörternden Thatsachen erheben dieses Schweigen zum Beweis.
78   s. oben p. 37.
79   Zu Vienne im October 1131 , also kurze Zeit nach dem Concil zu Lüttich. s. oben die Wahl p. 29.
80   cf. Gesta Alberonis M. G. SS. VIII 250, 52.

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Heinrich's von Regensburg gegen die Bestimmungen des Wormser Concordates vornehmen konnte, 81  ohne wegen der Verletzung eines zwischen König und Papst bestehenden Vertrages zur Verantwortung gezogen zu werden. Und endlich lässt sich nur so jene Urkunde verstehen, welche der Papst am 8. Juni 1133 zu Rom Lothar nach erfolgter Krönung ausstellte. Es ist dies das einzige urkundliche Material, welches uns über Lothar's Beziehungen zur Kirche überliefert ist, und deshalb von ausserordentlicher Bedeutung.
Jaffé hat das Schriftstück in der bibl. rer. Germ. 82  zuerst aus einer Mainzer Membran herausgegeben, Wichert 83  zuerst auf die historische Bedeutung desselben aufmerksam gemacht, und Giesebrecht hat es zuerst in seiner Darstellung Lothar's verwerthet. Doch wird uns dasselbe nach dem vorhin Auseinandergesetzten in etwas anderem, präciserem Lichte erscheinen.
Lothar war am 4. Juni 1133 zu Rom von Innocenz gekrönt worden, am 8. übergab ihm derselbe die Mathildische Erbschaft, 84  und von demselben Tage ist auch unsere Urkunde datirt. Wenn wir mit diesem Umstande die Nachricht der Chronica Monasterii Casinensis zusammenhalten, 85  so dürfen wir kaum zweifeln, dass hiermit Versprechungen, welche der Papst zu Lüttich als Lohn der Romfahrt verheissen hatte, zur Erfüllung gekommen sind. Ob Lothar bei dieser Gelegenheit abermals die Aufhebung des Wormser Concordates verlangt habe, wie die Vita Norberti 86  berichtet, lässt sich quellenmässig nicht entscheiden. Innere Gründe sprechen dagegen. Es ist nicht gerade wahrscheinlich, dass Lothar in einer weit weniger überlegenen Position - nach der Einführung des Papstes in seine Hauptstadt - eine Forderung wiederholt habe, deren Verweigerung er hingenommen hatte, als sich der Papst zu Lüttich ganz in seiner Macht befand. Auch bemerkt Friedberg mit Recht, 87  dass die Erzählung in der Vita ganz den Eindruck theatralischer Uebertreibung zur Verherrlichung Norbert's mache

81   s. oben die Regensburger Wahl p. 31.
82   V p. 522.
83   in dem oft citirten Aufsatz in den Forsch. zur d. Gesch. XII p. 110.
84   Ich übergehe die an diesen Vorgang sich knüpfenden Fragen, welche Ficker (vom Heerschilde p. 33) abschliessend beantwortet hat, weil sie diesem Thema fern liegen.
85   s. oben p. 37.
86   M. G. SS. XII p. 702, 12.
87   Forsch. z. deutsch. Gesch. VIII p 85.

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und daher nicht unbedingten Glauben verdiene. Doch Eins folgt mit Sicherheit aus dieser Erzählung - denn absolut unwahre Nachrichten enthält, so weit ich sehe, die Vita Norberti nirgends - : nämlich, dass in Rom die Regelung der Verhältnisse zwischen Reich und Kirche überhaupt zur Verhandlung gekommen ist. Und zwar verlegt die Vita diese Verhandlungen ganz richtig auf den Zeitpunkt, wo sie nach unserer Urkunde Statt gefunden haben: unmittelbar nach der Krönung. Dass keine der übrigen Quellen von diesem in unseren Augen so wichtigen Ereignisse Notiz genommen hat, erklärt sich wohl aus der Thatsache, die ich in der Einleitung erwälmte, nämlich aus der Gleichgültigkeit der literarischen Kreise gegen die Fortentwickelung der kirchlichpolitischen Verhältnisse nach Abschluss des Wormser Concordates, und wir werden uns daher durch dieses Schweigen nicht beirren lassen dürfen. Lothar musste in Rom 1133 unter allen Umständen auf eine gesetzliche Regelung des Verhältnisses zwischen Reich und Kurie dringen. Wir haben gesehen, dass er durch seine Forderungen - sei es nur in Lüttich oder auch in Rom - die Rechtskräftigkeit des Wormser Concordates erschüttert und die Unsicherheit des nun herrschenden Zustandes in zwei eclatanten Fällen auf das Empfindlichste erfahren hatte. Dieser Unsicherheit ein Ende zu machen, sollte die Bestimmung der Urkunde vom 8. Juni 1133 sein. Nachdem dieselbe in anerkennenden Worten der treuen Dienste des Kaisers gegen die Kirche gedacht und deren Dankbarkeit dafür hervorgehoben hat, heisst es am Schlusse:
„Nos igitur majestatem imperii nolentes minuere sed augere, imperatoriae dignitates [plenitu] dinem tibi concedimus et debitas et canonicas consuetudines praesentis scripti pagina confirmamus. Interdicimus autem, ne quisquam eorum, quos in Teut [onico] regno ad pontificatus honorem vel abbatiae regimen evocari contigerit, regalia usurpare vel invadere audeat, nisi eadem prius a tua [potes] tate deposcat, atque ex his que jure debet tibi, tuae magnificentiae faciat“.
In der That ist dieser letzte Theil der Urkunde ein Meisterstück päpstlicher Diplomatie: sie gewährt dem Kaiser nur das denkbar geringste Maass seiner dringenden Forderungen, und zwar in einer Form, welche die ganze Bestimmung als einen einseitigen Willensakt des Papstes erscheinen lässt. Man kann das kaum eine Bestätigung des Wormser Concordates nennen. Allerdings ertheilt

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die Urkunde in den Worten: „canonicas consuetudines confirmamus“ factisch dem Kaiser die Rechte des Wormser Concordates, welche er ja bisher als sein Gewohnheitsrecht geübt hatte, aber dieselbe greift nicht formell und ausdrücklich auf das Concordat zurück und eröffnet willkürlicher, böswilliger Interpretation jedweden Spielraum, indem eine der Hauptbestimmungen des Concordates, nämlich diejenige über die Folge von Investitur und Weihe 88  in Deutschland, als eine ganz neue und in dem obigen Satze canonicas - confirmamus nicht einbegriffene Bestimmung hingestellt erscheint. Es war damit die Handhabe gegeben, die nicht ausdrücklich genannten Bestimmungen des Wormser Concordates - und das sind vor Allem: die Wahl in Gegenwart des Königs und die Investitur der italienischen Bischöfe 89  - als dem Könige nicht zugestanden zu erklären, und wenn auch Innocenz die Gelegenheit und Möglichkeit fehlte, dergleichen geltend zu machen, so hat es doch später die Kurie verstanden, aus diesem Umstande Nutzen zu ziehen, als sie den Kampf gegen Friedrich I. aufnahm und das Wormser Concordat nicht mehr als zu Recht bestehend gelten lassen wollte. 90
Ob Lothar seinerseits dem Papste eine Gegenurkunde ausgestellt habe und somit ein formeller Vertrag zu Stande gekommen sei, lässt sich nicht entscheiden. Dagegen spricht, dass Lothar bei seiner Thronbesteigung dem Papste schwört : „regalia sancti Petri quae habes manu tenere. juxta meum posse recuperare", eine Zusage, welche zum Theil mit denselben Worten im Wormser Concordat enthalten ist und wohl nicht in den Schwur aufgenommen wäre, wenn sie in einer von Lothar auszustellenden Gegenurkunde Raum gefunden hätte. Jedenfalls hat Lothar sich vom Juni 1133 an im Vollbesitze der Wormser Concordatsrechte gefühlt und energisch danach gehandelt. Mochte auch Adelbert von Mainz in heftigem Groll über „die Zerstörung der kirchlichen Freiheit" klagen und

88   Und dies war gerade die Bestimmung, welche bei Gelegenheit der Wahlen zu Trier und Regensburg von Seiten der Kirche eclatant verletzt worden war, und daher eine ausdrückliche Bestätigung im Interesse des Königs am dringendsten zu erfordern schien.
89   cf. Concord. Worm. M. G. LL. p. 75; besser bei Jaffé bibl. V p. 387.
90   cf. Otton. Frising. Chron. M. G. SS. XX 256, 18: Hoc (scil, pactum Wormat.) pro bono pacis sibi (scil. Heinrico V) soli et non successoribus datum dicunt Romani.
Diese berühmte Behauptung der Kirchenpartei ist ermöglicht durch die oben geschilderte Zweideutigkeit der Urkunde von 1133.

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seine Freunde zu offener Empörung auffordern 91  - wenn ihm schon früher das alte Spiel nicht gelungen war, so mussten jetzt seine Bemühungen um so fruchtloser sein, da Lothar siegreich, aus Italien zurückgekehrt und die Macht der Hohenstaufen bereits gebrochen war. Bald muss er sich auch gefügt und seinen Frieden mit Innocenz geschlossen haben, denn er wird in einem Briefe desselben vom 26. März 1137 „apostolicae sedis legatus“ angeredet. 92
Ein Blick auf die Bischofswahlen seit Lothar's Rückkehr aus Italien 93  zeigt uns auch in der That das Bild einer gesetzmässig geregelten Institution. Keine wesentliche Abweichung von der Norm des Wormser Concordates lässt sich nachweisen : die Wahlen finden in Gegenwart des Kaisers 94  oder mit Zustimmung desselben Statt. Die Ertheilung der Investitur vor der Weihe lasst sich zwar nicht bei allen direkt nachweisen, aber doch überall als sicher annehmen, auch wenn sie bei der Bestätigung der Wahl nicht ausdrücklich erwähnt ist, 95  weil die Wahl stets vom Kaiser in Person bestätigt wird, und wir dann erst, zum Theil beträchtlich viel später, die Weihe erfolgen sehen.
Ueber die maassvolle Art, in welcher Lothar von den ihm zustehenden Rechten Gebrauch machte, werde ich unten im folgenden Theil zu reden haben. Nur dadurch ist das ungetrübte Verhältniss zu erklären, welches fortdauernd zwischen Lothar und dem deutschen Klerus obwaltete. Doch war es vielleicht ein Glück, dass Innocenz selbst fortwährend zu sehr in seinem Hause bedrängt war, zu sehr von abermaliger Hülfe Lothar's abhing, um diesem in seinem Walten dem Klerus gegenüber in den Weg treten zu können. Denn Innocenz war ein anderer Mann, als der friedliebende Honorius. Gervais bemüht sich freilich in seinem Buche, 96  das freundliche Einvernehmen zwischen Lothar und Honorius auf Innocenz zu übertragen und bis zu einem Grade von rührender Freundschaft zu steigern, indem er die verschiedene Individualität

91   cf. den Brief an Otto von Bamberg, anno 1134 ineunte b. Jaffé bibl. V p. 451.
92   Jaffé bibl. III p. 398
93   s. oben p. 32 bis 35.
94   Die Wahlen zu Basel, Magdeburg, Halberstadt, Cambray.
95   Es wird wohl nur deshalb in den Quellen meist nur die persönliche Bestätigung seitens des Königs erwähnt, weil sich die Investitur mit den Regalien in diesem Falle von selbst verstand.
96   polit. Gesch. Deutschl. u. Heinr. V u. Lothar III.

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Innocenz's und Honorius' unter dem gemeinsamen Namen „Papst“ vollständig verschwinden lässt. Aber wir kennen Innocenz aus den Vorgängen im Jahre 1137, die uns Petrus Diaconus im ausführlichsten Detail mittheilt, 97  ganz anders. Dort zeigt er sich so kleinlich hartnäckig, gegründeten Rechten und billigen Vergleichsvorschlägen gegenüber so unzugänglich, dass wir unmittelbar den Eindruck bekommen, es habe ihm nur an der Freiheit der Aktion gefehlt, um dem Kaiser bei anderen Gelegenheiten ernste Schwierigkeiten zu bereiten. In seinem Benehmen nach der Lütticher Conferenz und in der Urkunde von 1133 lässt sich derselbe Geist von mala fides erkennen, welcher uns in dem Benehmen des Papstes im Jahre 1137 entgegentritt. Offenbar verstand Innocenz die tiefe, religiöse Innerlichkeit des deutschen Königs nicht: jene Demuth, die ihm Lothar in Lüttich erzeigt, 98  das Zurückziehen seiner Forderungen dort, welche, mit Rücksichtslosigkeit festgehalten, nicht hätten verweigert werden können, das Genügen an jener zweideutigen Urkunde von 1133, das maassvolle Auftreten Lothar's, wo immer es sich um kirchliche Fragen handelte, 99  - das Alles schien dem eigensüchtigen Italiener nichts Anderes als Schwäche. Er meinte wohl, diesem Fürsten gegenüber könne man Alles durchsetzen, wenn man es nur mit Energie festhielte; sonst wäre es unbegreiflich, dass er es bei der Zusammenkunft in Unteritalien über verhältnissmässig so geringem Anlasse bis hart an die Grenzen eines Bruches treiben konnte. 100  Der Kaiser aber steht ihm gegenüber mit der ernsten Ehrerbietung, welche er dem irdischen Vertreter alles Heiligen zollen zu müssen glaubt, mit der festen Gerechtigkeit und wohlwollenden Mässigung des mächtigen Herrschers, bis er endlich sieht, dass hier böser Wille im Spiele ist. Da wirft er dem nörgelnden Papste die energische Frage entgegen: „ob er sich dem Rechte beugen oder eine unheilbare Trennung zwischen der Römischen Kirche und dem Reiche hervorrufen wolle?" 101  - es war kein Wunder, dass dieser Innocenz beim ganzen Heere verhasst und mit Lothar nicht innerlich befreundet war. Der Zwang seiner Lage knüpfte ihn an den Kaiser, nicht aufrichtige Ueber-

97   Chron. Mon. Casin. M. G. SS. VII p. 821 ff.
98   cf. Sugerius, vita Ludovici bei Bouquet, Recueil des hist. XII p. 58.
99   s. die Ausführung im folg. Abschnitte.
100  cf. Chron. Mon. Casin. M. G. 88. VII p. 827, 27.
101  cf. Chron. Mon. Casin. a. a. O.

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einstimmung der Interessen, wie es zwischen Honorius und dem Könige der Fall gewesen war.
So konnte es dazu kommen, - denn auch die Lehnsherrlichkeit über Apulien war eine offene Streitfrage peinlichster Art geblieben 102  - dass selbst ein Kaiser von der Pietät, wie Lothar sie besass, mit dem Oberhaupte der Christenheit in Conflikte gerieth, welche vielleicht nur durch seinen Tod nicht zum offenen Streite gediehen. Und es zeigt sich schon hier, dass der Wiederausbruch des Kampfes zwischen den beiden Weltmächten nicht von der zufälligen Anlage eines Lothar oder Friedrich Barbarossa, sondern vielmehr von der nothwendigen Anlage der Verhältnisse abhängig war.
Wir haben gesehen, dass Lothar dem vorwiegenden Friedensbedürfnisse seiner Zeit entgegenkam, indem er sich auf die Friedenspartei unter der Geistlichkeit stützte, und dass es ihm dadurch gelang, die übertriebenen Forderungen bei seiner Wahl zurückzuweisen.
Wir haben dann gesehen, dass er, immer auf diese Partei gestützt, im Stande war, das Wormser Concordat inne zu halten, dass Honorius ihm dies stillschweigend als Recht zuerkannte, während Innocenz, da die Verhältnisse eine gesetzliche Regelung nothwendig machten, sich einer formellen Bestätigung des Concordates zu entziehen wusste, und in der Urkunde von 1133 nur eine materielle, formell höchst ungenügende Bestätigung der bisher von Lothar geübten Concordatsrechte gegeben hat.

102  Die gemeinsame Belehnung seitens Kaisers und Papstes war nur ein momentanes Auskunftsmittel, „ut . . . . postmodum habita opportunitate loci et temporis utriusque partis allegationibus plenius exhibitis et ostensis haec controversia mediante justitia finiretur." Romoaldi Annales Salernitani M. G SS. IXX p. 422, 35. Diese Stelle wird öfter übersehen, wie es scheint.

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II.
Die Rechtsfragen des Wormser Concordates und Lothar's Stellung zu denselben.

Ich wende mich jetzt zu der Untersuchung, wie Lothar die einzelnen Punkte des Wormser Vertrages aufgefasst und zur Ausübung gebracht hat.
Jene grossen Fragen nämlich, welche die Machtscheide zwischen Kaiser- und Papstthum bildeten und den bedeutenden Kampf hervorgerufen hatten, waren im Wormser Concordat nur im Principe zur Erledigung gekommen. Es waren dort meist allgemeine, unbestimmte Ausdrücke gewählt, welche der Interpretation den freiesten Spielraum gewährten. Und zwar liegt dabei wohl theils die Absicht zu Grunde, sich allerdings innerhalb gewisser Grenzen zu verständigen, aber sich nicht zu eng zu binden; theils waren die in Frage kommenden concreten Verhältnisse so schwieriger, verwickelter Natur, dass eine specialisirende Gesetzgebung unmöglich schien. Auch wissen wir, mit welcher Noth die Einigung der Parteien in Worms zu Stande kam; wenn man sich in die Details all' der häklichen Fragen eingelassen hätte, wäre sicher niemals eine Verständigung erzielt worden. So waren die wichtigsten Einzelfragen der subjektiven Auffassung der Paciscenten anheim gestellt. Wenn der Wormser Vertrag bestimmte: 1
„electiones episcoporum et abbatum Teutonici regni qui ad regnum pertinent, in praesentia tua fieri . . . . . ut si qua inter partes discordia emerserit, metropolitani et comprovincialium consilio vel iudicio saniori parti assensum et auxilium praebeas",

1   s. Pactum Wormatiense LL. II p. 75. - Jaffé, bibl. rer. Germ V p. 387.

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so musste sich erst auf dem Wege gewohnheitsmässiger Uebung herausstellen, worin dieses „assensum et auxilium praebeas" eigentlich bestehen sollte und wie die praesentia des Königs zu fassen sei. 2  Wenn es dort ferner heisst:
„electus autem regalia . . . . per sceptrum a te recipiat, . . .“ so war es fraglich, was denn unter diesen regalia einbegriffen sei; und wenn das Gesetz fortfährt
„et quae ex his (scil. regalibus) iure tibi debet, faciat,“ so konnte daraus Jeder so viel oder so wenig er wollte für die Pflichten des Klerus ableiten, welche durch die Entgegennahme der Regalien entständen. Denn über alle diese Punkte herrschte ja keineswegs stillschweigendes Einverständniss, sondern offener, zum Theil hartnäckiger Streit.
Somit war das Wichtigste künftiger Praxis überlassen, und da Heinrich V. zu bald nach dem Abschluss des Concordates starb, als dass er in allen Punkten seine Auffassung hätte zur Geltung bringen, geschweige denn ein Gewohnheitsrecht hätte schaffen können, so war die Interpretation und Vollstreckung des Wormser Concordates recht eigentlich auf die Schultern Lothar's gelegt. Dieser Umstand ist bisher kaum in's Auge gefasst, noch weniger untersucht worden, obgleich es doch auf der Hand liegt, wie bedeutungsvoll derselbe für die Geschichte des Kirchenstreites zur Zeit seines Wiederbeginns unter Friedrich I. sein muss.
Ich werde daher in Folgendem versuchen zu zeigen, wie Lothar die erwähnten, wichtigsten Rechtsfragen des Wormser Concordates erledigt hat, und zwar werde ich das thun mit stetem Hinblick auf Heinrich V. und Friedrich I., denen gegenüber sich die eigenartige Auffassung Lothar's am deutlichsten hervorheben lässt. 3
In dieser Weise werde ich folgende 3 Punkte behandeln:
a. die Bischofswahlen,
b. Regalien und Kirchengut,
c. die Lehnspflicht des Klerus.
Vorher noch eine Bemerkung allgemeiner Natur. Es war eine geschichtliche Nothwendigkeit, dass in dem Augenblicke nach

2   s. unten.
3   Ich berücksichtige Konrad III deshalb nicht, weil mir eine selbstständige Haltung desselben gegenüber den fraglichen Gegenständen nicht bemerklich geworden ist.

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Heinrich's Tod, als das erschöpfte Deutschland des kaum errungenen Waffenstillstandes dringend bedurfte, eine Persönlichkeit auf den Thron kam, welche einen hohen Grad von Rechtstakt und Mässigung besass. Wir sahen früher schon, dass Lothar in Hinsicht seiner aufrichtigen Frömmigkeit mit Ludwig dem Heiligen auf eine Linie zu stellen sei, - auch in den genannten Herrschertugenden ist er dem französischen Fürsten gleich zu achten. Petrus Diaconus hat uns einen Ausspruch überliefert, 4  welchen Lothar gelegentlich der Streitfragen um Monte Casino that, ein echtes Herrscherwort:
„Lex ergo imperatorum non plus aliis, quam imperatoribus constituitur, immo magis hanc illis conservare condecet, qui eorum originem possident generositatis".
Die hohe Ansicht von der Pflicht seines Amtes, welche sich in diesen Worten äussert, hat Lothar in der That durch alle seine Handlungen bewährt, so lange er König war. 5  Er war es, der zuerst wieder mit initiativer Gesetzgebung in den Gang der deutschen und italienischen Lehnsverhältnisse eingriff, 6  der durch Errichtung eines allgemeinen Landfriedens Rechtes und Gesetzes Uebung im ganzen Reiche ermöglichte, der bei allen streitigen Fragen nicht mit Willkür, sondern nach strenger Prüfung des vorhandenen Rechtsmaterials verfuhr. 7  Mit diesem Sinn für Recht und Gesetz ging Lothar an die grossen Fragen, welche die Ausübung des Wormser Concordates ihm darbot.

a.
Die Leitung der Bischofswahlen war die erste dieser Fragen.
Unbestimmt, wie überhaupt, spricht das Concordat auch hier. Ich zeigte im 2. Abschnitte auf Seite 25, dass unter der Bezeichnung electio sowohl die formelle Wahl bei Hofe wie die Vorwahl am Orte der Sedisvacanz einbegriffen sei. Wenn der

4   Chron. Casin. M. G. SS. VII p. 826, 41.
5   Mit Recht rühmen daher zahlreiche Annalisten von ihm die Eigenschaft der Justitia.
6   cf. die Gesetze in M. G. LL. II p. 82 u. 83.
7   cf. die Vorgänge bei der Belehnung von Apulien Romoaldi Annales Salernitani M. G. SS. XIX p. 422, das Verhalten bei der Abtswahl in M. Casino M. G. SS. VII p. 820 ff. und später p. 837.
Ferner cf. das Privilegium au Stablo bei Lünig dtsches. Reichsarchiv Spicilegii eccl. III p. 789: ubi a fratribus ejusdem loci, ejusdem ecclesiae iura et privilegia diligenter audivimus et relegimus.
Bernheim, Lothar III u. das Wormser Concordat.   4

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König den Wortlaut des Wormser Vertrages urgiren wollte, so konnte er aus demselben die Abschaffung jener, immerhin die formelle Wahl nicht unwesentlich präjudizirenden Vorwahl ableiten. Allein schon Heinrich V. war billig genug, dies nicht so aufzufassen, 8   Friedrich I. später ebenfalls, 9  und wir haben schon oben erwähnt, dass Lothar diese Auffassung theilte. Bald fanden die Wahlen erst in seiner Gegenwart Statt, ohne vorhergegangene Designation, bald präsentirten sich ihm die vorläufig Gewählten und suchten seine Bestätigung nach.
Besonders vorhergesehen war in dem Wormser Concordat der Fall einer zwiespältigen Wahl - auch dies konnte sich auf die Vorwahl wie auf die Wahl bei Hofe beziehen - , weil dabei der weltlichen Macht am Leichtesten Gelegenheit zu Uebergriffen geboten war. Und in diesem Punkte zeigt sich die Auffassung Lothar's wesentlich von der Heinrich's V. und Friedrich's I. verschieden. Der Vertrag bestimmte:
„ut si qua inter partes discordia emerserit, metropolitani et comprovincialium consilio vel iudicio, saniori parti assensum et auxilium praebeas . . . .“
Diese Bestimmung fasste Heinrich V. mit Billigung des ganzen Hofes bei der streitigen Abtswahl von St Gallen 10  so auf, dass es ihm freistehe, ohne Widerspruch der beiden Parteien die Amtsgewalt auf wen immer er wolle, rechtsgemäss zu übertragen. Noch entschiedener behauptete Friedrich I. bei der streitigen Bischofswahl zu Magdeburg, wie uns Otto von Freising 11  erzählt, dass es ihm zustehe, - und zwar in Gemässheit des Wormser Concordates zustehe -, in solchem Falle zum Bischof zu ernennen, wen er wolle, und er setzt in der That aus eigener Machtvollkommenheit Wichmann zum Erzbischof ein. Von einer so willkürlichen Inter-

8   cf die Abtswahl von St. Gallen, die ich oben I b p. 24 Note 5 erwähnt.
9   cf die Wahl des Abtes Bernold von Ottenbeuren in Annales Ottenbeurani Minores. M. G. SS. XVII p. 316.
10   cf. Casuum Scti Galii Contin. II M. G. SS. II p. 160 (geschrieben ca. 1150 s. oben I b p. 24 Note 5). Audiens rex hujusmodi allegationes et dissensiones inter se concordantium partium ex sententia curiae obtinuit, neutram istarum partium iuri suo resistere, quin libere hanc potestatem posset in quemcunque vellet ex iure transferre.
„potestas“ in der That, weil dann ja keine vorgängige Wahl seitens der Geistlichkeit stattgefunden hatte.
11  Otto Frising Gesta Friderici M. G. SS XX p. 393, 2.

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pretation, denn so muss man dieses Verfahren gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes bezeichnen, hat sich Lothar ganz fern gehalten. Wir werden hier nicht die übertreibende Bitterkeit des Erzbischofs von Mainz 12  zum Urtheil aufrufen, wie Friedberg es in seiner Abhandlung 13  zu thun scheint, sondern das thatsächliche Verhalten Lothar's wie es uns vorliegt. Ich brauche hier nur auf die im 2. Abschnitt geschilderten Bischofswahlen hinzuweisen: wenn man den Verlauf der zwiespältigen unter denselben verfolgt, so wird man regelmässig das eifrigste Bemühen des Königs zu wirklicher Einigung der Wähler finden, immer finden, dass er im Einverständniss und unter Mitwirkung der Bischöfe die Sache auszugleichen und zu beenden sucht, wie das Wormser Concordat vorschreibt. Besonders erwähne ich hier Lothar's Verfahren bei dem langen Zwiespalt in Halberstadt, 14  weil es dem Verfahren eines Heinrich V. oder Friedrich I. so charakteristisch gegenübersteht. Nach der Absetzung Otto's werden dort zwei Candidaten aufgestellt, Martin und Gerhard, ohne dass sich trotz aller Bemühungen ein Ausgleich zu Wege bringen liesse. Es ist im Jahr 1135. Lothar steht nach Unterwerfung der Hohenstaufen auf dem Höhepunkt seiner Macht, auch der Kirche gegenüber, denn der bedrängte Papst erwartet sehnlichst seine Hülfe. Es handelt sich zudem um die Besetzung des Halberstädter Stuhles, über welchen Lothar als Landesherr noch einen besonderen Einfluss beansprucht und zu üben gewohnt ist. 15  Verwirft Lothar nun die beiden Candidaten, um einen Mann seines Sinnes durchzubringen, wie Friedrich I. es that, oder bestimmte er willkürlich einen der beiden, wie Heinrich V. verfuhr?
Wir besitzen den Brief, welchen er über diese Sache an Innocenz schrieb: 16
„ . . . . Saltem adhuc paternitas tua nobis acquiescat, ut audita utraque parte ita nobis eos remittas, ut salva libertate electionis nos pro consilio archiepiscopi et suffraganeorum adhibitis religiosis personis talem provideamus, qui ecclesiae et imperio expediat".

12   In dem Briefe an Otto v. Bamberg bei Jaffé bibl. V 451.
13   Forschungen zur deutsch. Gesch. VIII p. 83.
14   cf. oben I b p. 33 Halberstadt.
15   cf. die Verwendung für Otto von Halberstadt oben Abschn. I b p. 28.
16   aus dem Annal. Saxo bei Jaffé bibl. V p. 524. cf. oben a. a. O.
4*

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Hier haben wir das augenfälligste Beispiel, wie streng Lothar sich an die Bestimmungen des Wormser Concordates hielt und wie er es zugleich verstand, den Forderungen der Kirchlichen um Fernhalten des unmittelbaren weltlichen Einflusses auf die Wahl gerecht zu werden, indem er dem Papst den letzten Ausgleichsversuch übertrug, und doch seinen königlichen Rechten nichts zu vergeben, indem er sich die letzte Entscheidung auf Grund des Wormser Gesetzes vorbehielt.
Mit derselben Mässigung handelte Lothar - das dürfen wir nach diesem Beispiel unbedingt annehmen - auch in den Fällen zwiespältiger Wahlen, welche uns nicht näher bekannt sind, so dass diese schwierigen Verhältnisse, welche so leicht zu ernsteren Conflikten zwischen Reichsgewalt und Kirchenrecht führen konnten, unter ihm auf's Glücklichste abgewickelt wurden. -

b.
Wie stellte sich Lothar zu der zweiten der von mir erwähnten Fragen? Wie stellte er sich zu der Frage, was Kirchengut, was Regal sei, diesem wichtigen Punkte, welchen das Wormser Concordat auch nur andeutungsweise erledigt hatte?
Calixt erklärte in dem Vertrage:
„electus vero regalia a te recipiat"
Heinrich versprach:
„possessiones etiam omnium aliarum ecclesiarum . . . . . . . . . consilio principum quae habeo restituo, quae non habeo, ut restituantur fideliter juvabo" . . . . .
Selten ist wohl mit kürzeren Worten eine Rechtsfrage von solcher Bedeutung und so verwickelter Natur entschieden worden; denn das, worum es sich hier handelte, war eine Trennung zwischen Reichs- und Kirchengewalt in grossem Stile, war zugleich eine Maassregel, welche bis in die kleinsten Kreise der Staats- und Kirchenverfassung eingreifende Wirkungen hervorrufen konnte. Um so unbegreiflicher muss uns die Flüchtigkeit und unbestimmte Kürze des Gesetzes erscheinen, wenn wir uns nicht immer wieder daran erinnern, dass es seine Entstehung nur der dringenden Friedensnoth des Augenblicks verdankte und erst durch die ausbauende Uebung der Nachfolger zu einem Grundgesetze des Staates geworden ist. Denn nur aus der momentanen Entstehung ist es zu erklären, dass man so an und für sich vage Begriffe, wie regalia und possessiones ecclesiae nicht näher begrenzte, sondern an Stelle

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authentischer Definition die augenblicklich herrschende Auffassung stillschweigend unterschob. Wir müssen auf die Vorgänge in Rom im Jahr 1111 zurückgreifen, um von da aus weitergehend zu sehen, was man 1122 in den maasgebenden Kreisen unter regalia, was unter possessiones ecclesiae verstand.
Als in der äussersten Bedrängniss des Winters 1111 Paschalis II. den abenteuerlichen Vorschlag gemacht hatte, dass der König alle Reichslehen des Klerus einziehen und dafür die Investitur mit Ring und Stab aufgeben sollte, da war der Umfang des Reichs- und Kirchengutes beiderseits authentisch in folgender Weise festgestellt worden.
In der Versprechungsformel 17  sagt Heinrich V. Namens des Königs:
„dimittet ecclesias liberas cum oblationibus et possessionibus, quae ad regnum manifeste non pertinebant"
und Paschalis erklärt in der Gegenurkunde 18
„domnus papa praecipiet episcopis praesentibus in die coronationis regis, ut dimittant regalia regi et regno, quae ad regnum pertinebant tempore Karoli, Ludowici, Ottonis, Heinrici et aliorum praedecessorum ejus. Et scripto firmabit . . . . ne quis eorum . . . . intromittant se ullo modo vel invadant eadem regalia, i. e. civitates, ducatus, marchias, comitatus, monetas, theloneum, mercatum, advocatias, omnia jura centurionum et villicorum, curtes et villas, quae manifeste regni erant, cum pertinentiis suis, militia et castra regni."
Also werden hier der Kirche nur die eigentlichen, formellen Schenkungen und die vor Karl dem Grossen in irgend welchen anderen Formen erfolgten Uebertragungen belassen 19  - alles Andere, was ausserdem der Kirche seit Karl dem Grossen zugekommen ist, fällt unter den Begriff der regalia.

17   Henrici regis promissionis formula. M. G. LL. II p. 66.
18   M. G. LL. II p. 67.
19   cf. den Ausspruch des Papstes, den Heinrich in seinem Briefe an die Parmenser Jaffé bibl. V p. 270 erzählt: „ecclesiae decimis et oblationibus suis contentae sint; rex vero omnia regalia et praedia, quae a Carolo et Ludowico, Ottone et Henrico aliisque suis praedecessoribus ecclesiis collata sunt, sibi et suis successoribus recipiat et detineat.

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Die Unmöglichkeit, eine solche Maassregel, eine Divisio viel grösseren Stiles als die im achten Jahrhundert, durchzuführen, war beiden Paciscenten wohl gleich klar, 20  und Fürsten und Klerus wiesen diese Ungeheuerlichkeit auf's Entschiedenste zurück; aber ein bleibender Nutzen dieser Vorgänge war der Gedanke einer Scheidung zwischen Reichs- und Kirchengut geworden, welcher sich nun nicht mehr verdrängen liess. In den wiederholten Verhandlungen Calixt's mit Heinrich im Oktober 1119 trat derselbe in neuer Bedeutung hervor. Heinrich hatte vorläufig versprochen: 21
„dimitto omnem investituram omnium ecclesiarum“ . . . .
Dieser unbestimmte Ausdruck erregte den Argwohn der päpstlichen Versammlung in Reims, welche angesichts der früheren Auffassung des Königs gegenüber Paschalis fürchtete:
„ne forte aut possessiones antiquas ecclesiarum sibi conetur vindicare, aut iterum de eisdem episcopos investire" 22 . . . .
Diese „antiquae possessiones" sind identisch mit den in der Versprechungsformel Paschalis' genannten Uebertragungen seit Karl dem Grossen, 23  und indem diese nun von Calixt und seiner Partei in den Begriff des Kirchengutes eingeschlossen wurden, haben wir hier einen viel weiteren Umfang des fraglichen Begriffs „possessiones ecclesiae" als vorhin vor uns. Natürlich mussten die Verhandlungen sich zerschlagen, als die Gesandten Calixt's mit dieser Interpretation zu Heinrich zurückkehrten, 24  denn unmöglich konnte dieser das als Kirchengut anerkennen, was der Papst darunter verstanden wissen wollte, 25  und das Alles mit der Aufgabe der Investitur aus dem Bereich seiner Hoheitsrechte entlassen. Es wäre dann nämlich für den Begriff der Regalia nichts Anderes übrig geblieben, als die Verleihungen, welche von nun an seitens der Könige etwa

20   cf. ibidem weiter unten.
21   cf. Jaffé bibl. V p. 356.
22   Jaffé bibl. V p. 358.
23   oben p. 53: „quae ad regnum pertinebant tempore Karoli, Ludovici etc.“
24   cf Jaffé bibl. V 359 ff.
25   Der Bevollmächtigte des Papstes, der Bischof von Châlons, hatte dasselbe in einem früheren Gespräch mit Heinrich noch schärfer definirt, indem er sagte: „dass er seinem Könige, ohne investirt zu sein, doch de tributo, de militia, de theloneo et de omnibus, quae ad rem publicam pertinebant antiquitus, sed a regibus christianis ecclesiae Dei donata sunt ita fideliter deservio, sicut in regno tuo tibi episcopi deserviunt.
Jaffé bibl. V p. 354.

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an Bischöfe und Aebte unter ausdrücklichem Vorbehalt der Hoheitsrechte gemacht werden würden. Mit anderen Worten: wir stossen hier auf denselben Versuch der Geistlichkeit, welchen sie in Frankreich bereits mit Erfolg durchgesetzt hatte, 26  die sämmtlichen Güter der Kirchen ohne Rücksicht auf deren Erwerbsart und -titel als eine einheitliche, der Oberlehnsgewalt des Königs entzogene Masse hinzustellen. "Wir sahen, wie Heinrich ganz im Gegentheil diese Masse als eine vom Reiche lehnrührige ansah und nur die oblationes und decimae von der Oberlehnsgewalt des Königs ausgenommen wissen wollte. Auf so entgegengesetzter Basis war keine Einigung möglich. Ohne Zweifel dachte bei der Bestimmung des Wormser Concordates jede der beiden Parteien das Ihre bei den Worten regalia und possessiones ecclesiae, denn eine authentische Definition derselben würde den Streit, welchen man beschliessen wollte, zu hellsten Flammen entzündet haben. Allerdings hatte die Frage ihre schärfste Spitze verloren, weil dem Könige ja die weltliche Investitur blieb, und weil es gleichgültig sein konnte, auf welche Güter im Einzelnen sich die Belehnungsceremonie erstreckte; der Ausdruck regalia deckte den Zwiespalt bei dieser Gelegenheit zu. Aber es gab zahlreiche andere Gelegenheiten, wo die Frage noch scharf genug hervortreten musste. Und auch die Lösung dieser immer noch hochwichtigen Principienfrage war der Praxis der kommenden Zeiten, war wesentlich Lothar überlassen.
Er sollte durch seine Uebung entscheiden und zu Rechte schaffen, über welche Theile des gewaltigen Kirchenvermögens dem Reiche jede Controle entzogen, über welche noch eine Verfügung zustehen sollte. Der Standpunkt, welchen Lothar in der Frage der Decimae einnahm, ist hier entscheidend.
Heinrich hatte, wie wir sahen, die oblationes und decimae als eigentliches Kirchengut hingestellt, aber schwerlich würde er im Stande gewesen sein, diese principielle Aufstellung praktisch durchzuführen. So wie ein grosser Theil eigentlicher Regalien allmählich in den Besitz der Kirchen, so waren die Decimae zum grössten Theil in den Besitz von Laien übergegangen, welche die-

26   Diese Auffassung, welche der von Ficker (vom Heerschild p. 51 ff. speziell p. 66) geäusserten entgegen ist, werde ich später bei der Frage vom Lehnsverbande der Geistlichen unter Lothar zu begründen suchen; s. unten.

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selben als erbliche Lehen seit ältesten Zeiten besassen und zum Theil wieder verliehen hatten. 27  Daher erhob sich auf dem Concil zu Reims 1119 auch gegen die Bestimmung:
„investituras omnium ecclesiarum et ecclesiasticarum possessionum per manum laicam fieri, omnibus modis perhibemus" . . . . . . . .
ein gewaltiger Lärm der Laien, welchen es vorkam, als ob
„sub hoc capitulo domnus papa decimas et cetera ecclesiastica beneficia, quae antiquitus laici tenuerant, conaretur minuere vel auferre'' 28 . . . . .
Diese Befürchtung konnte sich desshalb mit dem vorgenannten Decret verbinden, weil in der That ein grosser Theil der decimae von Laienhand wieder an Geistliche als Afterlehen übertragen worden sein muss. Das zeigen die wiederholten Decrete verschiedenster Concilien um diese Zeit, welche den Zweck haben, die Oberlehnsgewalt der Kirche in voller Kraft wieder herzustellen und das gehässige Zwischenglied weltlicher Lehnsleute zu eliminiren. 29
Wenn es den energischen Maassregeln der Kirche auch gelungen sein mag, dieses doppelte Aergerniss zu beseitigen, - die einfache Verlehnung der Zehnten an Laien war zu lange eingewurzelt, als dass sie ausgemerzt werden konnte.
Wohl taucht gelegentlich einmal das Gebot auf:
„decimas sicut Dei summi dominicas ex integro reddi praecipimus" 30 . . . . . . ,

27   Der Anfang des Missbrauches zeigt und erklärt sich bereits in dem Capitulare anni 829 bei Walter corpus iuris Germ. ant. II p. 380: Ut qui ecclesiarum beneficia habent, nonam et decimas ex iis ecclesiae, cujus res sunt donent. Denn es lag für diese Vasallen sehr nahe, solche auf Kirchenlehen lastende Zehnten als Einkünfte ihres Lehens zu betrachten und zurückzuhalten.
28   cf. Jaffé bibl. V p. 363
29   Concil. Rotomagense Titul III bei Mansi Concil XXI p. 376: ut monachi vel abbates ecclesias seu decimas de manu laicorum non recipiant, sed Laici, quae usurpaverant,  Episcopo reddant et ab episcopo pro voto possessorum oblata recipiant.
Ea tamen, quae antea quoquomodo obtinuerant, quiete per indulgentiam Papae possideant, sed vel ulterius aliquid hujusmodi sine Praesulis . . . . licentia usurpare non praesumant. anno 1128.
Ebenso
Concil. Londoniense Tit. XI bei Mansi XXI p. 358. anno 1127.
Concil. Palentinum Tit. XVI bei Mansi XXI p. 387. anno 1129.
Concil. Remense Tit. VII bei Mansi XXI p. 459. anno 1131.
30   Concil. Londoniense Tit. X bei Mansi Conc. XXI p. 357. anno 1127.

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wohl richten sich die vielen Decrete gegen Erblichkeit geistlicher Güter 31  indirect auch gegen die lehnweise Vererbung der decimae, wohl schafft Innocenz auf dem Concil zu Piza die Zehnten der Mönche und Stiftsgeistlichen an die Bischöfe, welche diese meist wieder und zwar wohl an Laien verlehnten, ab, und beseitigt 32  dadurch wenigstens diesen vielgeübten Zweig des Missbrauches - allein das Uebel dauerte im grossen Ganzen fort.
Aus dem Verstummen direkter Verbote geht genügend hervor, dass der Papst selbst auf die Ausrottung desselben verzichtete, und sogar einer der kircheneifrigsten Schriftsteller aus dieser Zeit, der Biograph und Gesinnungsgenosse Conrad's von Salzburg muss einräumen, dass es dem energischen Erzbischof unmöglich gewesen sei, die Zehnten in seinem Sprengel aus Laienhand zu befreien. 33  Wenn das einem Conrad von Salzburg nicht einmal in seinem eigenen Sprengel gelang, dann war in der That die Sache ein Ding der Unmöglichkeit.
Somit konnte es Lothar gar nicht in den Sinn kommen, dem von Heinrich V. aufgestellten, wenn auch nicht mit der Absicht der Durchführung aufgestellten Princip zu folgen und die Decimae aus weltlichen Händen zu lösen. So eifrig er sonst bemüht ist, entfremdete Kirchengüter an die rechtmässigen Besitzer zurückzubringen, 34  - in der Urkunde für Prüfning 35  bestätigt er die von Otto dem Grossen als Ersatz für die Immunität angeordnete Lehnsübertragung eines Theiles der Klostergüter an den Herzog von Schwaben, obgleich darunter „decimae in Hilargewe" befindlich sind. Er theilt darin offenbar die Ansicht Friedrich's I., welcher auf dem Reichstag zu Gelnhausen 1186 sagt: „dass freilich die decimae und oblationes eigentlich den Priestern von Gott bestimmt seien,
„sed cum tempore christianitatis ab adversariis infestarentur ecclesiae, easdem decimas praepotentes et nobiles viri ab ecclesiis in beneficio stabili acceperunt, ut ipsi defen-

31   s. unten Note 76.
32   cf. Brief Innocenz' an Heinrich von Regensburg kurz nach 1134 in Monumenta Boica XIII p. 152.
33   cf. Vita Conradi Salisb. M. G. SS. XI p. 75, 25.
34   cf. Urkunde für Stablo in Lünig's Reichsarchiv, Spicileg. eccles. Thl. 3, p. 789 - ebenso für Corvey ibidem p. 89, in einer Urkunde Conrad's III inserirt.
35   Monumenta Boica 29 a, p. 400.

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sores ecclesiarum fierent, quae per se sua obtinere non valerent" 36
Und es ist ganz consequent, wenn Lothar in derselben Prüfninger Urkunde verbietet:
„ne quis abbatum de praediis sive de reditibus ecclesiae, quae in praesentiarum possidere cernitur seu in futurum possidere acquisierit, aliquam inbeneficiare praesumat personam, sed omnia integre ad usus fratrum conserventur“. . . .
Er zeigte damit, dass er principiell die Verleihung der speciellen Kirchengüter (oblationes et decimae) für einen Missbrauch ansah, welcher einmal eingerissen und somit zu dulden sei, der aber nicht weiter greifen sollte, und musste damit den ganzen Beifall der eifrigsten Kirchenfreunde verdienen, während er zugleich deren Theorien zu Liebe sich nicht verleiten liess, in die durch die Uebung vieler Jahrhunderte gefestigten Rechtsverhältnisse ummodelnd einzugreifen. So beweist auch hier Lothar in erstaunlichem Grade jenes taktvolle Rechtsgefühl, von welchem ich oben sprach, und versteht die gefährliche Scheide zwischen kirchlicher Gesinnung und königlicher Hoheit staatsklug inne zu halten.
Es ist zweifellos, dass Lothar, wenn er sogar auf dem Gebiet des speciellsten Kirchengutes, der decimae, das altkaiserliche Recht in Geltung erhielt, auf dem Gebiete des Reichsgutes gewiss kein Recht des Reiches aufgegeben hat, obgleich urkundliche Beweise mir hier nicht zu Gebote stehen. Er wird in streitigen Fällen, wie es sonst seine Art war, auf das vorhandene urkundliche Material zurückgegangen sein und darnach entschieden haben, was durch die ursprüngliche Erwerbsart den Titel des Kirchengutes, was den des Reichsgutes an sich trug, denn principiell gab es hier nichts zu entscheiden, nachdem Lothar in der Frage der decimae so entschiedenen Standpunkt eingenommen.

c.
Ich komme nun zu dem dritten der angegebenen Rechtspunkte, dem wichtigsten, nämlich zu dem Lehnsverhältniss der Geistlichkeit.
Ganz unbestimmt lässt das Wormser Concordat abermals dieses so unendlich wichtige Verhältniss. Alles, was über die Reichspflicht des Klerus gesagt wird, ist in den Worten gesagt:

36   Arnoldi Chron. Slav. M. G. SS. XXI p. 160, 39 ff.

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„electus vero a te regalia recipiat et quae ex his jure tibi debet, faciat" . . . . . .
So heisst es von dem deutschen und ebenso nachher von dem italienischen Klerus. Hier wird ausdrücklich für die Ausführung des Gesetzes auf das jus, d. i. hier das Gewohnheitsrecht, verwiesen und damit dem Historiker die Frage auferlegt, was galt damals als Gewohnheitsrecht in Deutschland und in Italien betreffs der Lehnspflicht des Klerus? Welches waren die Pflichten, die demselben aus der Belehnung mit den Regalien erwuchsen?
Keine Quelle, urkundliche noch annalistische gibt uns direkte Antwort auf diese Frage, und es bleibt uns nichts übrig als die Untersuchung der Thatsachen, um daraus die herrschenden Rechtsüberzeugungen aufzubauen, in welche Lothar eintrat, welche er aufnahm oder verwarf.
Ich gehe dabei von einer Notiz der Narratio de electione Lotharii aus, der einzigen bestimmten Nachricht über Lothar's Stellung zur Lehnspflicht des Klerus, die wir besitzen.
Nach vollzogener Krönung, erzählt die Narratio nämlich:
„et primo ab episcopis universis, scilicet 24, qui tunc aderant, et abbatibus quam plurimis pro imperii reverentia pro confirmanda regni ac sacerdotii unanimi concordia et pace perpetua, fidelitatem non indebitam de more suscepit; a nullo tamen spiritualium, ut moris
erat, hominium vel accepit vel coegit“ . . . . . . .
Diese Nachricht der Narratio, wegen des Charakters dieser Schrift, wie wir ihn oben 37  darstellten, an und für sich absolut glaubwürdig, wird bestätigt durch die bekannte Stelle in der Biographie Conrad's von Salzburg. 38
„abhorrebat enim et medullitus detestabatur hominii et juramenti praestationem, quam regibus exhibebant episcopi et abbates vel quisquam ex clero pro ecclesiasticis dignitatibus eo, quod nefas et instar sacrilegii reputaret ac praedicaret occulte et publice, manus chrismatis unctione

37   cf. Abschnitt I a p. 7 ff.
38   Vita Conradi Salisb. M. G. SS. XI p. 66, 1.
Dass diese Stelle in voller Uebereinstimmung mit der Narratio steht, hat Waitz in den deutsch. Forschungen VIII p. 90 hervorgehoben: „die Vita hat keinen Grund von den übrigen Bischöfen zu sprechen“. Auch werden wir zu zeigen suchen, dass Conrad in der That „weiter ging, als die anderen Bischöfe“, indem er auch die fidelitas nicht leistete.

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consecratas sanguineis manibus, ut ipse solebat dicere, subiici et hominii exhibitione pollui. Inde est, quod mortuo imperatore Heinrico, cum ei successisset Lotharius, nunquam ei consensit hominium facere vel sacramentum fidelitatis offerre" . . . . .
Auch die Angabe der Annales Stadenses widerspricht in keiner Weise derjenigen der Narratio, denn es heisst dort: 39
„principes tam sacramentis quam hominiis se ei adstrinxerunt" . . . . . .
analog mit den Worten der Narratio:
„Deinde confluebant hinc inde regni principes, fidelitatem suam tam in hominio quam sacramento regi domino firmaverunt" . . . .. .
Dass die weit weniger ausführlichen und den Ereignissen so viel ferner stehenden Annales Stadenses der Ausnahme der geistlichen Fürsten nicht gedenken, kann man doch unmöglich einen Widerspruch nennen, wie Friedberg es thut. 40
Ebenso verhält es sich mit der Angabe des Ordericus Vitalis. 41
„Qui (scil. Adelbertus Moguntinus) mox jussit, ut omnes summi proceres . . . . in conspectu omnium Lothario mox hominium facerent". . . . .
Was bedeutet diese somit unzweifelhaft glaubwürdig überlieferte Nachricht, dass dem Reichsklerus das Hominium erlassen sei? wie verhält sie sich zu der späteren Uebung Lothars?
Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir etwas weiter ausholen.
Es ist nämlich von Ficker 42  behauptet worden, dass erst unter Friedrich I. die Stellung der geistlichen Fürsten zum Könige als Lehnsverhältniss aufgefasst worden sei. Diese Ansicht hat bereits Waitz 43  unter Hindeutung auf die schon zur Zeit der Karolinger übliche Commendation der Geistlichen und speciell auch auf die vorliegende Nachricht der Narratio zurückgewiesen; doch

39   M. G. SS. XVI p. 322, 31.
40   in der oft erwähnten Abhandlung in den Forschungen z. deutsch. Gesch. VIII p. 78.
41   M. G. SS. XX p. 77, 12.
42   Vom Heerschilde p. 64.
43   Götting. gelehrt. Anzeigen 1862 p. 1467.
cf. Scheffer-Boichorst, Kaiser Friedrich I letzter Streit mit der Kurie p. 12 Note 2.

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wird es für unseren Zweck nöthig sein, einige Punkte in der Entwickelung der geistlichen Lehnsverhältnisse hervorzuheben, welche in diesem Zusammenhange noch nicht berücksichtigt worden sind.
Seit dem 8. Jahrhundert erscheinen die Geistlichen der fränkischen Monarchie, trotz vielfachen Widerstrebens aus ihrer Mitte, zur Kriegsfolge, der Hauptpflicht der Vasallen durchaus verpflichtet. 44  Die Formen, unter denen sie bei Empfang der Investitur den Königen entgegentreten, sind den Formen analog, unter welchen die Vasallen sich in die Lehnspflicht derselben begeben. Ausser den von Waitz 45  angeführten Stellen, führe ich hier folgende an:
Annales Bertiniani anno 837:
„Episcopi, abbates, comites, vassalli dominici . . . . . Carolo se commendaverunt et fidelitatem sacramento firmaverunt 46
Ratperti Casus Scti. Galli 47  anno 843:
„Qui (scil. Hartmut) cum manibus regis a Grimaldo fuisset contraditus . . . . . protinus a regia potestate ipsum Scti Galli locum cum omnibus ad illum pertinentibus suscepit regendum" . . . . . .
Ekkehardi Casus Scti Galli anno 971. 48  Bei der Wahl Notker's nach Ueberreichung der Ferula sagt der König:
„Meus tandem eris, ait, manibusque receptum osculatus est. Moxque ille evangelio allato fidem juravit" . . . . .
Ob nun das Vasallenverhältniss überhaupt sich aus dem Schutzverhältniss entwickelt haben mag oder ob es als eine auf einer Verfassungsänderung beruhende Neuerung anzusehen ist - jedenfalls zeigt der dasselbe begründende Akt von vornherein zwei von einander verschiedene Momente: 1. das se commendare, wofür auch der Ausdruck se tradere gebräuchlich ist 49  und 2. das fideli-

44   cf. Roth Benefizialwesen p. 398 Note 39 u. 40: p. 404.
Roth, Feudalität und Unterthanenverband p. 317 ff.
Waitz, Verfassungsgeschichte lV p. 500 ff.
Phillips deutsche Geschichte II p. 314 ff.
45   in den Götting. gel. Anz. a. a. O.
46   M. G. SS. I 431, 20.
Damit vergl. Annales Bertin. ad ann. 883 M. G. SS. I 459, 28: Salomo dux Britonum se illi commendat et fidelitatem jurat.
47   M. G. SS. II p. 67, 45.
48   M. G. SS. II p. 141, 18.
49   cf. Roth a. a. O. p. 208/209.

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tatem jurare. Das erstere besteht in der Handeinlegung des Vasallen in die Hand des Herrn, 50  das letztere in dem Schwur der Treue auf die heilige Schrift, 51  und zwar geht die Handlung der Commendation dem Treueid, in welchem wir wohl den Rest des früheren allgemeinen Unterthaneneids erkennen dürfen, voran. Indem nun das Lehnswesen sich weiter entwickelt, tritt für die Handlung der Commendatio die eigene Bezeichnung Homagium, Hominium, ein und zwar - der Zeitpunkt, wann dieser Ausdruck entstanden, ist noch nicht genau festgestellt 52  - zuerst wahrscheinlich in Frankreich, dem Lande, wo sich der Lehnsverband am Frühsten zu festen Formen entwickelte, fast zugleich in England, wohin das normannische Ritterthum französische Formen brachte. Bereits 1119 begegnen wir dem Ausdruck hominium auch in Deutschland: in einem Briefe Adelbert's von Mainz an den Hildesheimer Klerus; 53  bei Lothar's Wahl ist er zum ersten Male technisch und officiell gebraucht worden, wie es scheint, da gerade bei dieser Gelegenheit mehrere Quellen ausdrücklich die Ableistung des Hominiums seitens der Fürsten erwähnen. 54  In Italien ist das Wort nicht durchgedrungen, und das ist in hohem Grade charakteristisch für die Ausbildung des dortigen Lehnswesens, wie

50   cf. die im Text citirten Stellen aus den Casus Scti Galli, und die stehenden Ausdrücke manus commendare etc. s. bei Roth Feudalität p. 276.
51   cf. die Stelle a. d. Cas. Scti. Galli und den stehenden Ausdruck sacramento fidem jurare, sowie den Brief der Bischöfe von Reims und Rouen an Ludwig bei Walter corpus iuris Germ. ant. III p. 94 - von Waitz Verfassungsgesch. IV p. 209 zu anderem Zwecke citirt - anno 858: nos Episcopi domino consecrati uon sumus hujusmodi homines, ut . . . . . . in vassallatico debeamus nos cuilibet commendare . . . . . aut jurationis sacramentum . . . . .  debeamus quoquomodo facere . . . . . Manus enim chrismate sacro peruncta, . . . . . abominabile est . . . . . ut . . . . saeculare tangat ullo modo sacramentum. Et lingua Episcopi . . . . . nefarium est, ut sicut saecularis quilibet super sacra juret . . . . .
52   Er scheint gegen Ende des 11. Jahrh. aufgekommmen zu sein, denn, in den Canones des Concils zu Rouen 1096 heisst es noch nullus presbyter efficiatur homo laici, während im Gegensatz zu dem folgenden fidelilatem ein Wort wie hominium erwünscht sein musste. Auch in den Canones des Concils zu Clermont 1095 wird das anscheinend fehlende Wort durch (ligiam) fidelitatem facere ersetzt. - Paschalis II gebraucht es dann in seinen Briefen öfter: s. Mansi XX p. 1045 u. ibid. 1021.
53   bei Jaffé bibl. III 391 Zeile 7 v. o., bis jetzt ist diese Stelle nicht beachtet worden.
54   s. oben p. 59/60.

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die Bedeutung des Hominiums in den verschiedenen Ländern überhaupt.
Am Schärfsten ist die Seite des Lehnsverhältnisses, welche auf dem Homagium begründet ist, im englischen Rechte ausgeprägt, wie es uns in dem Tractatus de legibus et consuetudinibus Angliae 55  aus der Zeit Heinrich's II. vorliegt. Hier lautet die Formel des Homagiums so: 56
„Fieri autem debet homagium sub hac forma, scilicet ut is, qui homagium facere debet, ita fiat homo domini sui, quod fidem illi portet de illo tenemento unde homagium suum praestat et quod ejus in omnibus terrenum honorem servet, salva fide debita domino Regi etc." 57 . .
Die Formel der Fidelitas ist uns vom Jahre ca. 1200 überliefert. 58
„Hoc audis Domine NN. quod fidem vobis portabo de vita et membris corpore et catallis et terreno honore, sic me Deus adjuvet et haec sancta Evangelia!“ 59
Man sieht, hominium und fidelitas verhalten sich hier so zu einander, wie das alte se commendare zu dem fidelitatem jurare, nur dass das Homagium sich zu entschiedenerer Bedeutung entwickelt hat. 60  Es wird ganz speciell mit Bezug auf das verliehene Grundstück und für jedes neu hinzukommende auch demselben Herrn von neuem geleistet, während die Fidelitas demselben Herrn nur einmal geleistet wird, weil sie nur ein allgemeines Treuversprechen ist. 61  Das Homagium ist wesentliches Erforderniss

55   bei Phillips Englische Reichs- u. Rechtsgeschichte Bd. II p. 416 ff.
56   a. a. O. lb. IX cap. 1, § 4.
57   cf. die Formel bei Phillips engl. Reichs- u. Rechtsgesch. II p. 212 vom J. ca. 1200.
Devenio homo vester de tenemento . . . . . et fidem portabo de vita et membris et terreno honore contra omnes gentes salva fide debita domino Regi etc.  Aus Bracton de legibus lb. II c. 35  § 8/9.
58   bei Phillips a. a. O. aus Bracton de legibus et consuetud. Angliae.
59   Wir können sehr gut diese Formel von 1200 der Hominiumsformel von 1150 gegenüber stellen, weil man an der eben Note 57 erwähnten Hominiumsformel von 1200 und später in anderen Beispielen noch sehen wird, dass diese Formeln sich in Jahrzehnten kaum ändern.
60   Dass auch in England die Handeinfügung damit verbunden war, erwähnt Phillips a. a. O. p 212.
61   cf. Phillips a. a. O. II p. 92 und desselben „Grundsätze des deutschen Privatrechtes" 3. Aufl. II p. 350.

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eines rechten Mannlehns, die Fidelitas ohne Homagium findet sich nur bei Belehnung von Weibern und geweihten Bischöfen. 62  Dieser überwiegenden Bedeutung des Homagiums entspricht die straffe Organisation des englischen Lehnsverbandes.
Die ganz entgegengesetzte Entwickelung hat das immer mehr gelockerte italienische Lehnswesen genommen. In Italien bildet die Fidelitas allein das Band zwischen Lehnsherrn und Vasallen, das se commendare ist allmählich in Abnahme gekommen und daher auch das neue Wort Hominium dafür nicht eingedrungen. Dass aber in der That der Akt, welcher in dem italienischen Lehnsrechte, das ungefähr um dieselbe Zeit codificirt ist, 63  wie das englische, als Fidelitas auftritt, nichts von der Form oder dem Inhalt des Hominiums in sich begreift und sich wenig von dem allgemeinen Unterthaneneide unterscheidet, zeigt ein Vergleich der folgenden Formeln:
Der liber feudorum sagt: 64
„qualiter autem debeat jurare vasallus fidelitatem videamus : „Ego juro ad haec sancta Dei evangelia quod amodo in antea ero fidelis huic, sicut debet esse vasallus domino: nee id, quod mihi sub nomine fidelitatis commiserit dominus panda malii ad ejus detrimentum me sciente.“
„Si vero domesticus, i. e. familiaris ejus sit cui jurat, aut si ideo jurat fidelitatem, non quod habeat feudum sed quia sub jurisdictione sit ejus, cui jurat, nominatim vita, membrum, mentem et ejus rectum honorem custodire jurabit" . . . . .
Man vergleiche damit die allgemeine Schwurformel, welche Friedrich I. im Jahre 1159 in Verona und anderen Städten als Unterthaneneid schwören liess, wie Ragewin in den gesta Friderici berichtet. 65
„Sane haec est formula sacramenti, in qua omnes juraverunt.
„Ego juro, quod amodo in antea ero fidelis domino meo Friderico Romanorum imperatori contra omnes homines, sicut jure debeo domino et imperatori, et adjuvabo eum,

62   cf. Phillips engl. Reichs- u. Rechtsgeschichte. Bd II p. 208.
63   im liber feudorum ca. 1150
64   lb II Tit. 5
65   M G. SS. XX p. 427, 42.

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retinere coronam imperii et omnem honorem ejus in Italia . . . . . .
Regalia sua ei non auferam . . . . . . et si fuerint ablata, recuperare adjuvabo. Neque in consilio ero, neque in facto, quod vitam vel membrum vel honorem suum perdat, vel mala captione teneatur . . . . Sic me Deus adjuvet et haec sancta quatuor Evangelia." 66
Diesem Verhältnisse entspricht der Umstand, dass, wenn es sich einmal in Italien um Ablegung des Hominiums handelt, dies jedesmal als eine besondere und ausnahmsweise verbindliche Form erscheint. So in dem Briefe Innocenz's an Roger von Sicilien. 67
„Et ut ad amorem atque obsequium Beati Petri apostolorum principis et nostrum ac nostrorum successorum vehementius astringaris, haec ipsa (scil. Siciliam, Apuliam, Capuam) heredibus tuis, qui nobis et successoribus nostris . . . ligium homagium fecerint et fidelitatem, quam tu jurasti juraverint . . . duximus concedenda.
In der Uebertragung der terra Mathildis an Heinrich den Stolzen 1133:
„ita tamen ut dux hominium faciat et fidelitatem beato Petro“ 68 . . . .
Ausserdem ist mir nur noch bei der Belehnung Friedrich's II 69  mit Sicilien von einer Ableistung des Hominiums in italienischen Kreisen bekannt, und somit scheint für Italien die Forderung des Hominiums ein Privileg des Papstes geblieben zu sein. 70  -

66   cf. damit die Schwurformel , welche Heinrich V die Italiener , auch wenn sie „beneficium de regno aut de ecclesiis nicht innehaben, im J. 1111 (oder 1123) schwören lässt bei Jaffé bibl. V p. 284:
„Ab hac hora in antea fidelis ero NN. imperatori per rectam fidem secundum meum scire et posse. Non ero in consilio, ut vitam aut membra perdat. Italicum regnum et suam rectam potestatem infra regnum adjutor ero ei secundum meum scire et posse ad tenendum et defendendum contra omnes homines, qui sibi tollere voluerint.“
Wir sehen, wie unwesentlich sich diese Formeln im Laufe dreier Jahrzehnte geändert haben.
67   bei Mansi Conc. XXI p. 397 anno 1139.
68   Orig. Guelf. II p. 514.
69   cf. Winkelmann in den deutsch. Forschungen I p. 14. Ficker von Heerschilde p. 36.
70   Der einzige sonstige Fall, den Ficker (vom Heerschild p. 63) anführt, ist zweifelhaft und wohl nur ein Versuch seitens Friedrich's I.
Das fidelitatem facere des Abtes von Monte Casino beruht auf Spezialverträgen, (s. oben Ia p. 15 Note 50.)
Bernheim, Lothar III u. das Wormser Concordat.    5

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Italien und England repräsentiren die beiden Extreme der lehnsrechtlichen Entwickelung: dort Verschwinden des Hominiums, hier stärkste Betonung desselben; dem analog dort grösste Lockerung, hier schärfste Anspannung des Lehnsverbandes.
Wie steht das Verhältniss nun in Deutschland? Wir könnten schon a priori annehmen, dass dem strengen deutschen Lehnsverbande gemäss das Hominium auch hier in seiner eigentlichen Bedeutung aufträte. Und das bestätigt sich durchaus. Ficker hat in seinem Buche vom Heerschilde nachgewiesen, dass das Hominium in Deutschland auch im 12. Jahrhundert als unumgänglich für die eigentliche Lehnsverbindung betrachtet wird, 71  dass sich in ihm die strengere Seite der durch die Belehnung begründeten persönlichen Verpflichtung darstellt. Und zwar selbst noch in den Codificationen des deutschen Lehnsrechtes, im Sachsenspiegel, Schwabenspiegel, Spiegel deutscher Leute, welche erst gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts fallen, da doch der deutsche Lehnsverband bereits arg gelockert war, tritt das Hominium unter dem Namen manscap oder hulde dun der Fidelitas, dem hulde swern, als selbständiger Akt mit wesentlich derselben Form und Bedeutung gegenüber, 72  welche wir im karolingischen Zeitalter dem se commendare beilegten. Es besteht doch immer in der Ceremonie des Handeinlegens, geht wie früher dem Treuschwur voraus und begründet das eigentliche Lehnsverhältniss, welches in der Zeit, von welcher wir reden, auf der dinglichen Grundlage der possessio, d. i. dem übertragenen

71   Ficker a. a. O. p. 57.
72   Sachsenspiegel ed. Homeyr. II Art. 22 § 1. 2. Schwabenspiegel § 42. Spiegel deutscher Leute § 59. Besonders Sachsenspiegel Art. 63 § 1:
Svelk gut deme manne ane manschap gelegen wert, dat ne het nen recht len etc.
Und Art. 64 § 1: die man sal jewelkes gudes mit manscap sinnen, al si he doch des herren man.
Dies ist ganz analog dem englischen Lehnrecht s. oben p. 63. - Es ist bezeichnend, dass die etwas späteren Lehnrechtsbücher (Schwabenspiegel und Spiegel deutscher Leute) diesen § fortlassen. Auch zeigt folgender Umstand wohl, dass gerade um die Mitte des 13. Jahrhunderts der Unterschied zwischen hominium und fidelitas zu verschwimmen begann: der Sachsenspiegel sagt Art. 3: die man sal sime herren bi plicht hulde dun unde sveren, dat he ime so trüwe unde also holt si, alse durch recht die man sime herren sole.
Der Schwabenspiegel trennt nicht mehr genau das hulde tun von der fidelitas, denn er sagt § 5 der man sol sinem herren hulde tun mit sinem eide etc. . . . .

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Besitz von Grundstücken oder Nutzniessungen oder Aemtern beruht, und verpflichtet speciell den Vasallen zur Heeresfolge, wie das die Abhängigkeit der Heerschildniederung von der Leistung des Hominiums deutlich zeigt.
Man hat die Bedeutung und Eigenart des Hominiums als wesentlichen Theil des das Lehnsverhältniss begründenden Ceremoniells wohl desshalb oft verkannt, weil mit dem Worte Fidelitas häufig der ganze Akt bezeichnet wird. Man hat eben keinen Ausdruck im Lateinischen, der wie das deutsche „Hulde" beide Theile des Vasallitätsaktes in sich schliesst, greift daher zu dem Aushülfsmittel, pars pro toto zu setzen und nennt den ganzen Akt bald hominium, bald fidelitas. 73  Wo Einem das Wort fidelitas oder hominium begegnet, wird man demnach stets zu untersuchen haben, ob es im engeren oder weiteren Sinne gemeint ist.
Wir sahen also, dass zur karolingischen Zeit der Klerus ohne Unterschied von den weltlichen Fürsten se commendat und fidelitatem jurat regi; für das erstere ist am Anfange des 12. Jahrhunderts die Bezeichnung hominium eingetreten, und ohne Unterschied von den weltlichen Fürsten finden wir auch jetzt den Klerus diesem Akte, welcher die strenge Seite des Lehnsverhältnisses bedingt, unterworfen. 74
Gegen diese Lehnsabhängigkeit des Klerus richtet sich nun seit Anfang des karolingischen Reiches ein mächtiger, unablässiger Kampf der Kirche.

73   Ein prägnantes Beispiel für den ersten Fall ist folgendes : „In einer Urkunde Friedrich's I (anno 1174) bei Reiffenberg Collection des Chroniques Beiges inédites T 8 p. 385 Annales Scti Gisleni heisst es: Statuimus . . . . . ut fratres ejusdem monasterii . . . .  rectorem utilem libere sibi eligerent, qui . . . . facto regiae majestati hominio, investituram abbatiae de manu regia suscipiat.“ Nachdem dies in mehreren Urkunden der Nachfolger wiederholt ist, heisst es dann in der entsprechenden Bestätigung Richard's von Cornwallis anno 1268: recepto a praedicto abbate homagio et fidelitatis debito juramento etc., so dass das obige hominium sowohl homagium wie fidelitas in sich begreift. Beispiele für den zweiten Fall sind häufig.
74   Der Beweis liegt in den folgenden Ausführungen von der Opposition gegen die Lehnsabhängigkeit des Klerus. cf. auch die Stelle aus Sugeri V ta Ludov. in Bouquet XII p. 20 (citirt von Friedberg in d. Forsch. z. dtschen Gesch. VIII p. 77). cf. Gieseler, Lehrbuch der Kirchengesch. 1831 Band II Abschnitt I § 24 Note e p. 211/12, der bereits darauf hinweist.
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Solange Amt und Güterbesitz zugleich aus der Hand des Königs an Bischof und Abt verliehen wurden, konnte kein unterscheidendes Bewusstsein darüber entstehen, an welchem von beiden königlichen Verleihungen die Lehnspflicht haften möchte: Amt und Gut wurden insgesammt als munus regium betrachtet. Natürlich war diese Abhängigkeit der Kirchenbeamten vom königlichen Willen von je her den streng Gesinnten im Klerus aus allen Gründen, religiösen und politischen, ein Dorn im Auge. Schon 858 erklären sich die Bischöfe von Reims und Rouen in heftigsten Worten dagegen. 75
„Nos episcopi Domino consecrati non sumus hujusmodi homines, ut . . . . in vassallatico debeamus nos cuilibet commendare . . . . aut jurationis sacramentum quod nos evangelica et apostolica atque canonica auctoritas vetat, debeamus quoquomodo facere. Manus enim chrismate sacro peruncta . . . . abominabile est, quidquid ante ordinationem fecerit, ut post ordinationem episcopatus saeculare tangat ullo modo sacramentum.
Et lingua episcopi, quae facta est per Dei gratiam clavis coeli, nefarium est, ut sicut saecularis quilibet super sacra juret" . . . . . . . . .
Das se commendare und das sacramentum fidelitatis wollen diese Eiferer zugleich abgeschafft wissen. Vorzüglich kehrt sich indess ihr Groll gegen die erstere Ceremonie: dass die heilig gesalbte Hand des Geistlichen die unheilige Laienhand berühre, ist der Anstoss, den das se commendare ihnen nach ihrer Behauptung erregt; daher verdammen sie ganz besonders diese Ceremonie, wenn sie nach erfolgter Ordination stattfinden soll. Und von hier an bis zu Gerhoh von Reichersperg lässt sich dieselbe erbitterte Opposition der Geistlichkeit mit denselben Argumenten in meist wörtlicher Wiederholung verfolgen. Freilich die Fidelitasleistung, obgleich principiell Allen ebenso verdammlich, wird in der Praxis doch nur von übereifrigen Fanatikern, wie den genannten Bischöfen, wie später von Conrad von Salzburg verurtheilt; denn dass der König einem so mächtigen Stande seines Reiches gegenüber doch mindestens die Sicherheit der Fidelitas, der einfachsten Unterthanentreue, haben musste, leuchtete mit zwingender Nothwendigkeit ein. Aber die ganze Wucht des An-

75   cf. oben Note 51.

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griffes richtete sich um so energischer gegen das Hominium, das gleich verhasst sein musste seiner Form wie seines Inhaltes wegen. Und zwar begründet sich die Opposition geschickter, politischer Weise durchgehends auf dem Anstössigen der Form in der Absicht, den unendlich wichtigeren Inhalt des Aktes mit jener zugleich zu eliminiren.
Und dieser Kampf trat in das lebhafteste Stadium, seitdem gegen Ende des 11. Jahrhunderts die Rechtsbegriffe sich an dem Streite über Reichs- und Kirchenrecht überall zu verfeinern, zu stählen begannen. Während einerseits gegen die Lehnsverbindung zwischen Laien und Geistlichkeit stets erneute Concilbeschlüsse durch Verbot der Vererbung von Kirchengut und direkte Verbote im Allgemeinen eifern, 76  richtet sich im Speciellen gegen die Ableistung des Hominiums der Eifer der kirchlich Gesinnten. Denn nachdem man begonnen hatte, in der Investitur mit dem geistlichen Amt vor allem eine gottlose Einrichtung zu bekämpfen, blieb naturgemäss die Lehnspflicht des Klerus dem Reiche gegenüber an dem Besitze und der Verleihung der Regalien haften. Schon 1103 spricht der scharfdenkende Siegebert von Gembloux das in dem berühmten Antwortschreiben aus, welches er im Namen der Lütticher Kirche an Paschalis erliess. 77   Da heisst es:
„Dominus noster episcopus communicat regi et imperatori suo, cui ex regalibus ejus acceptis juravit fidelitatem. 78  Nimirum effluxit tempus, quo haec consuetudo incepit et sub hac consuetudine migraverunt a saeculo sancti et reverentes episcopi, reddentes Caesari, quae erant Caesaris. Sed quid dicit Ambrosius super

76   Conc. Tolosanum Tit. VI Mansi XXI p. 227. anno 1119.
Concil. Londoniense Tit. V u. VI. Mansi XXI p. 331. anno 1125.
Concil. Remense Mansi XXI p. 461. anno 1131
Concil. General. Roman. Mansi XXI p. 530. anno 1139
Concil. Rotomagense Tit. III Mansi XXI p. 376. anno 1128.
Es ist wohl begreiflich, dass so energischem Arbeiten der Kirche gegenüber nur die Könige im Stande waren, das alte Lehnsverhältniss aufrecht zu halten, aber eine Einfügung des Klerus in niedere Heerschilde sich nicht neu bilden konnte. Damit scheint ein Haupteinwand Ficker's gegen die seit altersher bestehende Lehnsabhängigkeit des Klerus vom Reiche beseitigt.  cf. Ficker vom Heerschilde p. 53 ff.
77   bei Mansi concil. XX p. 993.
78   Dies ist z. B. einer der Fälle, wo fidelitatem jurare für den ganzen Vasallitätsakt in seinen 2 Theilen angewandt ist.

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Lucam? . . . . . . . . . . . sed si habes divitias, obnoxius es Caesari . . . . . . .
Item Augustinus super Joannem . . . . . Nolite dicere: Quid mihi et regi? Quid tibi ergo et possessioni ! per jura regum possidentur possessiones . . . . Igitur ex verbis istorum et aliorum sanctorum patrum consulant sibi episcopi regibus et imperatoribus obnoxii et eorum regalibus acceptis ne proprio gladio id est eorum beneficiis eos interficiant.
Noch schärfer drückt Paschalis selbst in einem Briefe an Anselm von Canterbury 79  auf dessen Anfrage die Ansicht aus, dass mit den Regalien die Lehnspflicht des Klerus verknüpft sei:
„indignum est igitur, ut clericus, qui jam in Dei sortem est assumptus et jam laicorum dignitatem excessit, pro terrenis lucris hominium faciat laico . . . . ."
Wir finden also von entgegengesetzten Seiten, von beiden Parteien die Ansicht als eine feste Rechtsüberzeugung ausgesprochen, dass gerade die Investitur mit den Regalien das Lehnsverhältniss des Klerus begründe 80  und das Hominium seitens desselben bedinge. In der That, wenn die Leistung des Hominiums mit der Investitur in das geistliche Amt verknüpft gewesen wäre, 81  so hätte diese Leistung mit der Aufgabe der geistlichen Investitur seitens des Königs ja fortfallen müssen und es wäre nicht zu erklären, warum der Klerus, seitdem er die Abschaffung der Investitur auf seine Fahne geschrieben, doch noch speciell für die Abschaffung des Hominiums kämpft, ja diesen Kampf mit erneuter Anstrengung fortsetzt, nachdem es ihm 1122 gelungen ist, die Investitur mit dem geistlichen Amt zu beseitigen.
In Frankreich gelingt es nun wirklich Urban II. auf den Concilien zu Clermont 1095 und Rouen 1096 das Hominium abzuschaffen und somit den Zustand einzuführen, welchen wir oben p. 55. Calixt bemüht sahen, auch in Deutschland herbeizuführen, dass nämlich alles bisher den Kirchen Uebertragene dem Reichsverband entzogen und eine Lehnsabhängigkeit nur für neu hinzu-

79   Mansi Concil. XX p. 1021.
80   Ficker bestreitet dies (vom Heerschilde p. 59), wie ich versuchte darzulegen, mit Unrecht.
81   wie das Gervais, Gesch. Deutschlands unter Lothar u. Heinrich V p. 26 Note I, unbegründet behauptet.

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kommende ausdrückliche Einzellehen statuirt würde. 82  In der That zeigen die in Frankreich bestehenden Verhältnisse bis in's späte 14. Jahrhundert den diesen Rouen'schen Bestimmungen entsprechenden Zustand. 83  Die Fidelitas, welche die Bischöfe hier noch leisten, ist nichts Anderes, als ein allgemeiner Treuschwur, der keine persönliche Lehnspflicht involvirt, und die Erfüllung ihrer Reichspflichten ist ihrem subjectiven Belieben 84  und der zufälligen Autorität des jeweiligen Herrschers anheim gestellt.
In England hat der Kampf einen ganz anderen, eigenthümlichen Ausgang genommen. Wir erwähnten bereits, dass seit Alters her das Hauptargument der Kirchlichen gegen das Hominium, welches zum Theil aus wahrem religiösen Bedenken hervorgehen mochte, zum grösseren Theile jedoch nur als Maske diente, 85  war:
die Einfügung geweihter Hände in die ungeweihte Laienhand. Schon die Bischöfe von Reims und Rouen sagen in ihrem Briefe 858: 86
„abominabile est, quidquid ante ordinationem fecerit, ut post ordinationem episcopatus saeculare tangat . . . sacramentum" . . . . . . .
Dieselbe Unterscheidung klingt durch in den Worten des Bischofs von Châlons in der Unterredung mit Heinrich V. 87
„Scito: me in regno Francorum episcopum electum, nec ante consecrationem nec post consecrationem aliquid suscepisse de manu regis" . . . . . . .
Und das englische Lehnsrecht bringt nun diese Anschauung zu gesetzlicher Anerkennung, indem es bestimmt: 88

82   cf. Concil. Rotomag. bei Mansi concil. XX p. 925.
Nullus presbyter efficiatur homo laici, quia indignum est, ut manus Deo consecratae et per sacram unctionem sanctificatae mittantur inter manus non consecratas . . . . sed si feudum a laico sacerdos tenuerit, quod ad ecclesiam non pertineat. talem faciat ei fidelitatem, quod securus sit.
83   cf. Ficker vom Heerschild, p. 59/60.
84   cf. auch die Schilderung, welche der Bischof von Châlons Heinrich V 1119 von dem in Frankreich herrschenden Usus macht, bei Jaffé bibl. V p. 354.
85   Paschalis in dem schon erwähnten Briefe an Anselm von Canterbury (Mansi XX p. 1021) verräth sich einmal, indem er sagt: „Indignum est igitur ut clericus . . . . . hominium faciat laico, ne forte dum reperitur servi saecularis obnoxius vacet aut gravetur ecclesia.
86   s. oben p. 68.
87   bei Jaffé bibl. V p 354.
88   Tractatus de legibus IX cap. 1 § 10 in Phillip's eng. Reichs- und Rechtsgesch. II p. 417.

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„Episcopi vero consecrati homagium facere non solent domino Regi etiam de baroniis suis, sed fidelitatem cum juramentis interpositis ipsi praestare solent. Electi vero in episcopos ante consecrationem suam homagia sua facere solent."
Es ist ein Glück, dass wir dieses Gesetz überliefert erhalten haben, denn die ganze Sachlage wird hierdurch aufgehellt. Mit feiner Berechnung wird hier der Opposition des Klerus die Spitze abgebrochen, indem man ihm formell das gewährt, was er dem Wortlaut nach immer verlangte: „die Aufhebung der unreligiösen Ceremonie, dass ein Geweihter die Hand in ungeweihte Hand lege", während thatsächlich Nichts gewährt wird, denn jeder Bischof muss einmal, vor seiner Weihe nämlich, das Hominium geleistet haben. Der Klerus bleibt also doch im strengsten Lehnsreichsverbande haften.
Und diese meisterhafte Lösung der gefährlichen Frage - Lothar hat sie schon 1125 gefunden, als er den sämmtlich bei seiner Wahl versammelten hohen Geistlichen, als bereits Geweihten, das Hominium erliess!
Keine andere Erklärung für jene Nachricht der Narratio scheint mir zulässig.
Schliesst sich die Methode dieser Politik und Handlungsart nicht ganz analog derjenigen an, die wir Lothar in den anderen Rechtsfragen beobachten sahen? Ist es nicht dieselbe Rücksicht auf religiöse Bedenken, derselbe Takt gegenüber dem geistlichen Gewissen und zugleich dieselbe Wahrung des Reichsrechtes, die wir ihn stets üben sahen? Er erlässt die Ceremonie für einmal in ihrer verhasstesten Form nach vollzogener Weihe, gewissermaassen jedem Einzelnen als einen Beweis persönlichen Zutrauens, 89   vielleicht, ohne sich überhaupt über die principielle Tragweite der Sache zu äussern, um dann sofort durch die Praxis zu zeigen, dass er nicht gesonnen sei, mit diesem formellen Zugeständniss auch nur einen Deut von den ihm gebührenden Rechten aufzugeben.
„Electus vero a te regalia recipiat et quae ex his jure tibi debet, faciat" . . . . . . . .

89   Als einen Akt persönlichen Vertrauens ohne jegliche politische Bedeutung müssen wir auch die Erlassung der Fidelitasleistung ansehen, welche Conrad von Salzburg nach der Vita erlangt haben soll. Vielleicht gehört dies zu den Concessionen, mittels deren Lothar denselben an sich zog.  cf oben I a p. 16.

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so bestimmte das Wormser Concordat. Wir haben vorhin gesehen, was das jus als Pflicht des Reichsklerus forderte - und gleich bei der Wahl Norbert's von Magdeburg wird uns ausdrücklich von dem Chronic. Magdeburg. 90  bestätigt, dass Lothar von dem alten Herkommen nicht abgewichen ist.
„Qui (scil. Norbertus) mox cum sacramento regi debito regalibus ab eo per sceptrum investitur" . . . . . .
Wenn uns sonst keine ausdrücklichen Zeugnisse ähnlicher Art vorliegen, so kommt das ohne Zweifel daher, weil die Ableistung der Mannschaft und des Treueides als selbstverständliches Correlat zur Verleihung der Regalien angesehen wurde. Doch haben wir noch ein authentisches Zeugniss, mit welcher Sorgfalt Lothar darüber wachte, dass auf diesem wichtigen Gebiete dem Reichsrechte nicht der geringste Abbruch geschähe. Als nämlich Wibald, der Abt von Stablo, 1137 zum Abt von Monte Casino gewählt und von Lothar belehnt wird, berichtet uns Petrus Diaconus 91  folgende Worte des Kaisers an den Erwählten:
„Fidelitatem de Casinensi abbatia ideo non accipimus, quia dudum nobis de Stabulensi coenobio fidelitatem dedisti Nolo ut successores tui te trahant in exemplum et dicant se successoribus meis de Casinensi coenobio ideo non facturos fidelitatem, quia a te nostri imperii majestas non exegit; sed consuetudinariam fidelitatem, quam a temporibus Caroli et deinceps abbates de abbatia Casinensi fecerunt, facere studeant" . . . . . . .
Ich erwähnte schon oben, dass die Gleichstellung der Abtei Monte Casino mit den deutschen Reichsabteien auf Sonderprivilegien beruht, 92  daher hier die Belehnung wie in Deutschland der Weihe vorausging und der Erwählte fidelitatem facit, d. i. sowohl Mannschaft, wie Treueid leistet, indem hier der Ausdruck fidelitas für den ganzen Akt zu stehen scheint.
Thatsächlich sehen wir nun auch den Reichsklerus während Lothar's ganzer Regierung allen Pflichten ächter Lehnsleute unbedingt und stetig nachkommen. Auf allen seinen Hoftagen erscheint derselbe zahlreich; 93  gleich bei dem ersten Feldzug gegen

90   Chron. Magdeburg. bei Meibohm II p. 326.
91   Chron. Casin. M. G. SS VII p. 839, 23.
92   ibidem p. 837, 41 ff.
93   cf. die einzelnen Reichstagsakten mit den Angaben der Zeugen in Jaffé's Darstellung in der Gesch. des deutschen Reiches u. Lothar.

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Sobieslaus von Böhmen werden zwei Bischöfe als Heeresfolge leistend erwähnt:
Chron. Montis Sereni ed. Eckstein p. 5: „ubi Arnoldus Mersburgensis episcopus occisus est. 94  In hoc casu episcopus Hildenesheimensis 50 milites  . . . . . dicitur perdidisse'' . . . . .
Dass es nur sächsische Bischöfe sind, wird uns nicht befremden, weil überhaupt zu dem Zuge nur sächsische Fürsten aufgefordert wurden, denn Lothar konnte nur dieses absolut ihm ergebene Gebiet bei der unsicheren Lage des Reiches von allen Freunden entblössen.
1133 folgen ihm nach Italien Norbert von Magdeburg, Bernhard von Paderborn, Adalbert von Bremen, Diethard von Osnabrück, Anselm von Havelberg, die Aebte von Nienburg und Lüneburg und Fulda. 94b  1137 ziehen mit ihm 3 Erzbischöfe, 8 Bischöfe und viele Aebte 95  gegen die Normannen. Und den bei dieser Gelegenheit säumigen Erzbischof von Arles, ruft er mit strengen Worten zur Pflicht, indem er ihm schreibt:
„Saepenumero scripsimus vobis, requirentes fidelitatis et subjectionis tuae debitum . . . . . . . . . . Ea propter tibi tamquam fideli et principi nostro mandando praecipimus, quatenus in festo Scti Michaelis in Placentia cum militia tua nobis occurras, animatus tam ecclesiae quam imperio debitum consilium et auxilium exhibere". 96

94   Diese Nachricht ist ungenau. Nach Chron. Merseb. (gleichzeitig geschrieben) M. G. SS. X p. 188, 1 ist Arnold am 12. Juni, also Monate nach dem Böhmerzug, in Zwenkowa ermordet. Auch die Annales Stadenses M. G. SS.. XVII ad ann. 1126 berichten aus Abschrift der Annales Rosenfeld. (ebenfalls contempor.): Arnoldus Merseb. occiditur, ohne Bezug auf die böhmische Affaire. Ebenso Annales Disibodenbergenses M. G. SS. XVII 23, 41 und Annalista Saxo M. G. SS VI 763, 50 Arnoldus Merseb. episcop. occisus est in vigilia Pentecostes (21. Mai), also jedenfalls auch nach dem Böhmerzug.
Auf dem Zuge ist also Arnold nicht gestorben; er mag aber daran Theil genommen haben, denn gerade er war in den Kämpfen gegen Heinrich V von der Lothar'schen Partei auf den Bischofsstuhl gebracht, s. Chron. Mers. a. a. O. p. 187.
94b  cf. den Brief Lothar's M. G. LL II 81, 39. - Jaffé, Gesch. d. deutschen Reiches u. Lothar p. 122 f.
95   cf. Jaffé a. a. O. p. 179 mit der Note 8.
96   M. G. LL II p. 83. vergleiche damit auch den Brief Lothar's an Innocenz anno 1135 bei Jaffé bibl. V p. 525: Ad quam curiam (scilicet Spirensem) legatum et litteras tuas mitti desideramus, per quas archiepiscopos et abbates qualicumque comminatione ad tuum et nostrum servitium commonefacias

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Auch das Folgende bestätigt die aufgestellte Meinung. Wir sahen bereits, das Lothar zum Ersatz für die an Ottenbeuren ertheilte Immunität nach Otto des Grossen Vorgang einen Theil des Klostergutes an die Herzöge von Schwaben verleihen liess. 97  Ferner heisst es in der Freiheitsbestätigung für Stablo: 98
„Advocatum a nostra manu accipiat, qui nobis exercitum et expeditionem et quae ad ipsam pertinent pro summa et debito sui beneficii faciat, Abbate et suis omnibus super hoc quiescente et nullam pro hoc nobis aut ipsi Advocato redemptionem aut supplementum praestante", . . . . . .
so dass in beiden Fällen die volle Erfüllung der Lehnspflichten als regelmässige Pflicht der Abtei erscheint, welche ausnahmsweise dem Abte erlassen wird, aber zugleich durch Ersatzmassregeln in ihrem materiellen Gehalte dem Reiche gesichert bleibt.
Man wird solchen Erscheinungen gegenüber es für unmöglich erklären, dass Lothar mit dem Hominium auf Etwas verzichtet habe, „das nicht mehr in seiner Gewalt stand", das Heinrich V. aufgegeben hätte, „weil er die Investitur mit Ring und Stab aufgegeben", wie Gervais behauptet. 99
Wir sahen, dass mit der weltlichen Verleihung der Regalien die Leistung des Hominiums, dieser Grundlage der eigentlichen Lehnspflicht, verbunden war, dass somit Heinrich V. keineswegs durch Aufgabe der geistlichen Investitur das Hominium eingebüsst hat; Lothar aber betrachtete sich von dem Augenblick an, da er die Regierung übernahm, als Rechtsnachfolger Heinrich's dem Wormser Concordate gegenüber, und wenn wir auch nicht die Auffassung Heinrich's V. aus dessen Praxis nach 1122 erweisen können, so haben wir doch gesehen, dass die alte gewohnheitsrechtliche Auffassung, auf welche das Concordat mit den Worten
„et quae ex his jure tibi debet faciat" . . . .
verwies, die volle Lehnsabhängigkeit des Reichsklerus involvirte. Und diesem alten Herkommen hat sich Lothar unbedingt angeschlossen.
Nur unter dieser Voraussetzung lässt es sich erklären, dass selbst nach einer so schlaffen, von Kirchenpolitik beherrschten Regierung, wie die Konrad's des Dritten es war, die deutschen

97   Monum. Boica 29 a p. 400.
98   Lünig Reichsarchiv Spicileg. ecclesiast. Th. III p. 792.
99   Polit. Gesch. Deutschlands u. Heinrich V u. Lothar III p. 26 Note 1.

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Prälaten sich durchaus als Fürsten und Getreue des Königs fühlten und wie Ein Mann zu Friedrich I. standen. Und wenn dieser, nicht. zufrieden, den deutschen Klerus in Lehnsabhängigkeit von sich zu sehen, auch von den italienischen Bischöfen das Homagium forderte, 100  ja wenn ein deutscher Bischof diese Forderung gerechtfertigt fand, 101  so ist das ebenfalls ein indirekter Beweis dafür, dass in Deutschland das Hominium des Reichsklerus vollkommen zu Rechte bestand. 102  Wie wäre das möglich gewesen, wenn Lothar auf dieses Recht verzichtet hätte?
Nein, wenn ich nicht irre, so war es auch hier Lothar, welcher mit starker und weiser Hand die unbestimmten Linien des Wormser Concordates zu den festen Grundlinien verband, innerhalb deren Kirche und Staat für Jahrhunderte hinaus ihre bestimmten Bahnen gehen konnten, und er hat es vermocht, den Deutschland und aller Welt so dringend nöthigen Frieden zu bewahren, ohne aus den Positionen zu weichen, welche seine Vorgänger ihm überlassen hatten.
In all' den schwierigen Rechtsfragen, welche das Wormser Concordat mehr dahingestellt als erledigt hatte, sahen wir, ist es ihm gelungen, die Kirche nicht zu verletzen und das Reichsrecht zu wahren. Und wie ist ihm die Lösung so schwieriger Aufgaben möglich geworden? Als Lothar auf den Thron kam, war Frieden das vorwiegende Bedürfniss des Tages; diesem Bedürfniss kam er entgegen, indem er sich auf diejenige Partei stützte, wie wir im ersten Abschnitt sahen, welche den Frieden wollte. Diese Partei zu gewinnen, befähigten ihn, wie ich es in diesem 2. Theile meiner Abhandlung nachgewiesen habe, die aufrichtige Hingabe an die religiösen Ideen seiner Zeit und der geniale, staatsmännische Takt, welchen er besass. So wirkten Verhältnisse und Persönlichkeit auf's Glücklichste zusammen. Und trotzdem sahen wir, dass es auf die Dauer nicht gelang, den Frieden mit der Kurie zu er-

100   Ragewin Gest. Frider. M. G. SS XX p. 461, 50.
Diese Forderung Friedrich's I musste um so widerwärtiger erscheinen, weil ja die Bischöfe Italiens erst nach der Weihe investirt wurden, und daher auch die Leistung des Hominiums nach der Weihe stattgefunden haben würde, wenn man dasselbe eingeführt hätte, s. oben p. 68 ff.
101   s. den Brief Eberhard's von Bamberg bei Ragewin a a. O. vom Jahre 1159.
102   Dies hebt schon Berchtold, Entwicklung der Landeshoheit in Deutschland, p. 58 hervor.

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halten. Die zunehmende Macht Lothar's erweckte bei ihm selbst den Anspruch auf Wiederherstellung der durch das Wormser Concordat beeinträchtigten Kaisergewalt, und schon der vorübergehende Anspruch erweckte das Misstrauen des Papstes, rief Uebergriffe von dessen Seite hervor. Wie sorglich sich Lothar auch bemühte, in den häklichsten Fragen kein Recht der Kirche zu verletzen und so glücklich ihm das gelang, - sobald er auf das Hoheitsgebiet des Papstes kam und sobald dieser sich freier regen konnte, 1137 in Italien, hörte der Frieden auf, häufte sich Streit auf Streit. Es war eben nicht möglich, dass auf dem schmalen Gipfel der höchsten Macht zwei absolute Herrscher neben einander standen, ohne sich zu nahe zu treten. Einer von ihnen musste heruntersteigen; mit anderen Worten: das Wormser Concordat konnte wohl die Grundlage für die kirchenpolitische Verfassung des Reiches werden, aber nie ein Friedensvertrag zwischen Kaiser und Papst sein oder bleiben. Dies ist das Resultat, welches sich aus den Betrachtungen, die ich in dieser Untersuchung angestellt habe, ergiebt, und ich meine, dass von diesem Gesichtspunkte aus die Geschichte Friedrich's I. und seines Streites mit der Kurie vielfach in anderem Lichte erscheinen mag, als bisher. Aus der Vergleichung mit Lothar und seiner Stellung zum Wormser Concordat sieht man, dass Friedrich in mehreren Punkten das Concordat in einer Weise interpretirt und geübt hat, welche mit vollem Rechte den Widerspruch des Papstes hervorrief, aber man sieht auch, dass nicht vorwiegend darum der Kampf zwischen Kaiser und Papst zu abermaligem Ausbruch kommen musste."

 

Information zu Ernst Bernheim:

Ernst Bernheim wurde am 19.02.1850 in Hamburg geboren. Er promovierte 1873 mit der vorliegenden Dissertation zum Thema "Lothar III. und das Wormser Konkordat" als Dr. der Philosophie an der Universität Straßburg. Später war er Privatdozent an der Universität Göttingen und habilitierte hier 1875. Seine Hauptzeit verbrachte Ernst Bernheim an der Universität Greifswald, wohin er 1883 als Professor berufen, und als deren Rektor er 1899 gewählt wurde.

E. Bernheim - Rezension zu Giesebrecht, Kaiserzeit IV - 9. Buch - Die Regierungen Lothars und Konrads III.

VI.

Lothar der Sachse und Konrad III.

Von Ernst Bernheim

Wilhelm v. Giesebrecht Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Vierter Band.

Staufer und Welfen erste Abtheilung 1872, zweite Abtheilung 1875.

 

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Die deutsche mittelalterliche Geschichtswissenschaft darf wol stolz darauf sein, ein Werk wie Giesebrecht’s Kaisergeschichte zu besitzen, welches in den weitesten Kreisen unseres Volkes mit lebhaftem Antheil gelesen wird und zugleich in jedem Punkte des ganzen weiten Gebietes auf der Höhe eindringendster Specialforschung steht. Einem der hochverdienten Führer unserer Geschichtsforschung gegenüber mag es bei Gelegenheit einer zusammenfassenden Besprechung, wie sie hier geboten ist, leicht überflüssig erscheinen, zu sagen, daß auch der vorliegende Band der Kaisergeschichte in Forschung und Darstellung einen bedeutenden Fortschritt gegen die früheren Arbeiten über die Epoche Lothar's und Konrad's zeigt und an vielen Stellen ganz neue Gesichtspunkte aufgesucht und eröffnet hat; dies recht zu würdigen ist Sache der Specialforschung. Hier möge es gestattet sein, im Allgemeinen zu untersuchen, in wie weit der vorliegende Band, - und zwar zum großen Theil durch die darin enthaltenen Forschungen selbst – über sich hinaus auf die Möglichkeit einer vollendeteren

Historische Zeitschrift Bd. XXXV. 14

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210 Ernst Bernheim,

Leistung weist; denn gerade an ein Werk wie dieses wird man den höchsten Maßstab anlegen dürfen.

Mehr als zu einer andern Zeit kommt es in dieser Periode der deutschen Geschichte aus die Persönlichkeit des Herrschers an. Man vergleiche die eben erschienenen letzten Bände von Waitz’ Verfassungsgeschichte. Wir sehen da den König als obersten Lehns- und Kriegsherrn die Wehrkraft des Reiches in seiner Hand vereinen, sehen ihn als höchsten Träger und letzte Instanz der Gesetzgebung, der Rechtspflege, der Verwaltung bis in die entfernten Gaukreise hinab; „jede Angelegenheit, die kleinste wie die größte, konnte in dieser Zeit noch an den König gebracht werden, er in jede eingreifen, in ihr persönlich thätig werden.“ (Waitz 6, 503). Wo er persönlich erschien, war er gesetzlich unbeschränkt, wo er nicht sichtbar und sinnlich wahrnehmbar eingriff, bedeckte das Gewohnheitsrecht und die factische Macht der großen Vasallen den Boden. In den modernen Staaten giebt durchschnittlich nicht so sehr die Individualität des Herrschers als die Einrichtung und die Tendenz der verwaltenden Behörden der Reichspolitik ihr Gepräge. Damals, im 12. Jahrhundert, war es die persönliche Tüchtigkeit und Willenskraft, mit einem Worte der Charakter des Herrschers, welcher ganz vorwiegend und unmittelbar die Wirksamkeit der königlichen Regierung bestimmte. Daher wird eine Geschichte des deutschen Kaiserthums in jener Periode vor Allem immer eine Geschichte der deutschen Kaiser sein müssen, wird die Charakteristik des Regenten immer die Hauptaufgabe der Erforschung und Darstellung der Reichspolitik sein: eine Aufgabe, die Giesebrecht in früheren Partien seines Werkes glücklich gelöst hat, die uns aber in dem vorliegenden vierten Bande nicht so gelungen scheint. Wenn wir nicht irren, hat er die Bilder Lothar’s und Konrad’s nicht einheitlich genug aufgefaßt, nicht wie aus einem Gusse vor uns hingestellt, und daher treten die bewegenden Motive in beiden Regierungen nicht in klarer Ausprägung hervor; Personen und Parteien, Wirkung und Gegenwirkung sondern sich nicht deutlich genug. Dieser Mangel muß sich besonders stark bei der Schilderung einer so energischen Regierung, wie die Lothar’s war, fühlbar machen.

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211 Lothar der Sachse und Konrad III

1.

Als Heinrich V. gestorben, war der 50jährige Streit zwischen Regnum und Sacerdotium durch das Wormser Concordat erst jüngst zu einem Abschlusse gelangt; noch lebte dasselbe Geschlecht, welches in diesem Kampfe groß geworden war, und der heftigste Widersacher des selbständigen Königthums, Adelbert, der Erzbischof von Mainz, hatte durch seine Ränke Friedrich von Staufen, den Erben der salischen Politik, um den Thron gebracht, weil er in seinem früheren Bundesgenossen gegen das Königthum, in Lothar, ein williges Werkzeug für seine ehrgeizigen Pläne zu finden glaubte.

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Giesebrecht hält es (S. 419) gemäß der Nachricht der Narratio de electione Lotharii für ,,fast gewiß, daß die kirchliche Partei bei der Wahl in Mainz sich über Gesichtspunkte verständigt habe, welche sie unter der neuen Regierung zu verfolgen gedenke“; allein es wird bei dem jetzt vorhandenen Quellenmaterial einstweilen Sache der Ansicht bleiben müssen, ob Lothar selbst sich auf eine Wahlcapitulation eingelassen oder ob Adelbert - was freilich kaum zu dem berechnenden Charakter dieses erfahrenen Politikers stimmen will - demselben in zuversichtlichem Vertrauen auf seinen kirchenfreundlichen Charakter ohne jede vorherige Garantie zur Krone verholfen habe. Daß Lothar mit den Umtrieben Adelbert’s zu seiner Erhebung auf den Thron wenigstens da einverstanden war, als dem Sohn des Baiernherzogs des künftigen Königs Tochter versprochen wurde, ist wol auch ,,eine Vermuthung, die sich von selbst aufdrängt“, und Giesebrecht geht entschieden zu weit, wenn er sagt (S. 10):

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,,Wider seinen Willen war Lothar zu der höchsten Würde der abendländischen Welt erhoben.“

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Wenigstens durfte er nicht (S. 8) die Scene, da Lothar auf den Knien unter Thränen die Krone ablehnt, im naiven Ton der Narratio nach erzählen, als ob damit ernsthaft etwas über Lothar’s Willen zur Krone gesagt sei, als ob diese Scenen officieller Bescheidenheit 1) nicht vielmehr bei fast jeder Wahl in jenen Zeiten stereotyp wiederkehrten.

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1) Von Heuchelei darf man hierbei mit eben dem Rechte reden wie bei uns von Heuchelei, wenn wir unsere tausend Redensarten und Bescheidenheitsphrasen vorbringen; nur daß es im Mittelalter, in einer Zeit, die allen Gefühlen stärkeren, unmittelbareren Ausdruck gestattete, bis zu Thränen getrieben wurde. Man sollte sich in der That mehr hüten, dergleichen immer vom Standpunkte unserer Sitten und Ansichten aufzufassen; immer wieder werden diese Scenen, besonders bei den Bischofswahlen als Zeichen höchster Bescheidenheit ausgelegt, während es doch nichts ist als eine herkömmliche Formalität, die man zuerst wol noch mit einem Schein von innerer Wahrheit, später aber ganz schematisch einhält. Den inneren Grund derselben erkennen wir in dem Ausspruch Gregor des Großen (Opp. ed. Congreg. Scti Mauri 8, 135b): sicut autem is, qui invitatus renuit, quaesitus refugit, sacris altaribus est admovendus, sic, qui ultro ambit, . . . est procul dubio repellendus; nam qui sic nititur ad altiora conscendere quid agit, nisi ut crescendo decrescat et ascendendo exterius, interius in profundum, decrescat? Wie sehr das aber schon im 11. Jahrhundert zu einer ganz äußerlichen Form geworden ist, zeigt die Klosterregel von Hirschau (lb. 2, cap. 15, bei Migne, Patrolog. lat. 150, 1054): Electus (scil. abbas) autem, si sapit, recusat quantum potest tale onus suscipere, servata tamen obedientia, si viderit, patrem in sua perstare sententia. Und so ist schließlich denn auch jener Ausspruch Gregor’s geradezu im Sinne einer Vorschrift in das Decretum Gratiani (1 q. 6 cap.·3) übergegangen. Vgl. zu dem Gfrörer Kirchengeschichte 2, 98.

14*

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212 Ernst Bernheim,

Ohne im Uebrigen auf die Wahl und die dabei streitigen Punkte hier weiter einzugehen, weil es in die Specialforschung gehört - eines ist gewiß und Giesebrecht spricht es selbst aus: Lothar hat die Erwartungen, welche die hierarchische Partei Adelbert’s an seine Regierung knüpfte, völlig getäuscht, er hat sich nicht als deren Werkzeug gebrauchen lassen, er hat das Wormser Concordat, welches diese mit seiner Hülfe zu beseitigen dachten, im Gegentheil festgehalten. Wie aber dann? Wie wußte er sich mit dieser so getäuschten Partei abzufinden? War dieselbe mit der Kirche identisch oder gab es damals noch andere kirchliche Parteien, welche andere Grundsätze hatten? Mit einem Worte: welche Stellung - dies mußte für den Gang seiner Regierung entscheidend sein - nahm Lothar zur Kirche ein? und was auf’s Engste damit zusammenhängt, wie faßte er sein Herrscheramt auf? Wir erhalten auf diese Fragen keine präcisen Antworten bei Giesebrecht, weil er dieselben nicht im Zusammenhang mit Lothar’s Charakter und den Verhältnissen in’s Auge gefaßt hat. Das zeigt sich zunächst, wenn wir die Stellung, die der deutsche

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213 Lothar der Sachse und Konrad III.

Episcopat zu Lothar und zur Kirche einnimmt, verfolgen. Auf Seite 51 unseres Bandes heißt es:

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„man wird sich nicht verhehlen, daß wenn Lothar bei der Stellung, die er einmal zur Kirche hatte, doch ein nicht geringes Maß von Selbständigkeit den deutschen Bischöfen gegenüber zu behaupten wußte, er dies nur dadurch ermöglichte, daß er sich unausgesetzt mit Rom im besten Vernehmen erhielt.“ Während wir vorher Nichts von einer derartigen Discrepanz zwischen den deutschen Bischöfen und der Kurie erfahren, während der Verfasser sogar (S. 420)

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eine Verbindung Lothar’s mit Rom gegen Adelbert und dessen Partei, - und das waren doch die Hauptgegner der königlichen Selbständigkeit - ausdrücklich in Abrede stellt, erfahren wir hier plötzlich das Gegentheil. Lothar wäre also des deutschen Episcopats nicht sicher gewesen? Und „doch stützte sich seine Herrschaft noch (d. h. i. J. 1129) besonders auf den Klerus“ und doch „ergriff der gesammte deutsche Klerus mit Feuereifer die Sache Lothar’s und warf sich in den Kampf gegen den Staufer“ (S. 29)?

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Aber vielleicht sind die Ausdrücke hier nur zu voll gewählt, es soll vielleicht von der Mehrzahl des Klerus oder einer Partei die Rede sein. Seite 50 scheint es in der That, als wolle der Verfasser auf eine Parteibildung aufmerksam machen, welche an die Vorgänge der Wahl anknüpft, allein wir suchen vergebens nach seiner weiteren Durchführung dieser Perception; wir erfahren da nur, daß Lothar mit den Erzbischöfen von Bremen und Magdeburg wegen des mit ihnen gemeinsamen Interesses an der Mission gut stand, und daß sein Verhältniß zu den Erzbischöfen, die seine Wahl betrieben hatten, anders war. Adelbert speciell wird uns bald in dem höchsten Vertrauen, bald (nach dem Jahre 1130 und nach 1133) als grollender Gegner Lothar’s vorgeführt (S. 50. 51),

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ohne daß die inzwischen - auch erst unbedeutend - gestiegene Macht des Königs diesen Gesinnungswechsel erklärlich machte. Ja, in dem Briefe an Otto von Bamberg, worin Adelbert voll Haß über Lothar’s Hochmuth und über den Verlust seines Einflusses bei Hofe klagt, deutet Giesebrecht den drohenden Schluß: andernfalls werden wir thun, was uns allein übrig bleibt, so (S. 101, Note): „Adelbert meint, er werde Alles Gott

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214 Ernst Bernheim,

anheimstellen und sich zurückziehen.“ In Wirklichkeit aber bemühte sich Adelbert, dem Gegenpapste Anaclet,· zu dessen Legaten er bereits Ende Februar 1130 ernannt war (Jaffé Bibl. 5, 423), und damit seinem eigenen Einfluß Geltung zu verschaffen; zur Erreichung dieser Absicht meinte er auch vor dem Aeußersten nicht zurückzuschrecken. 1) Hier zeigt sich, daß Giesebrecht diesen wie andere Charaktere nicht individuell genug erfaßt hat - es bleibt Alles mehr typisch: statt eines Adelbert, eines Norbert, eines Conrad von Salzburg mit ihrem so grundverschiedenen Wesen und Streben, wird uns meist nur der mittelalterliche Erzbischof im Allgemeinen vorgeführt, und es kommt uns vor, als seien das Alles nicht Menschen von Fleisch und Blut , sondern schattenhafte Schemen. Freilich wird man zugeben, daß die lückenhafte Ueberlieferung des Mittelalters die individualisirende Darstellung oft erschwert, ja unmöglich macht, aber hier haben wir Daten genug, und gerade bei der Charakteristik des einzelnen hervorragenden Mannes darf der Historiker ungestraft nach Gesetzen der psychologischen Continuität aus gegebenen Zügen frei weiterschließen, indem er die unzureichenden Linien der einzelnen überlieferten Charakterzüge bis zu dem gemeinsamen Mittelpunkt, auf welchen sie deuten, der eigenthümlichen Individualität des Mannes, verlängert. Wir erhalten bei Giesebrecht wol einzelne Charakterziige der verschiedenen Bischöfe, aber keine Charaktere, die nach bestimmten Richtungen wollen und handeln , und ganz nothwendig bekommen wir daher auch kein bestimmtes Bild von ihrer Stellung zum Reich und zur Kirche, kein Bild von Parteien und Gegenparteien. Und doch treten uns in den genannten Prälaten ausgeprägte Parteitypen entgegen. Adelbert von Mainz, der seine ganze, im Dienste des Königthums verbrachte Jugend verläugnet und unter der Fahne der kirchlichen Freiheit sich an die Spitze der Empörung

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1) Daß Adelbert an Resignation nicht denkt, ergiebt sich schon aus dem Nachsatz: ex altera parte ecclesiae tuae et aliis fratribus et amicis nostris quantum possumus laborabimus providere (Jaffé Bibl. 5, 435).

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215 Lothar der Sachse und Konrad III.

gegen Heinrich V. gestellt hat, um sich als Erzbischof von jeder Autorität unabhängig zu machen, der dann kein Mittel scheut, einen, wie er glaubt, ihm unterwürfigen König auf den Thron zu bringen, und der, enttäuscht, wenigstens so viel Einfluß für sich zu retten sucht, als ihm unter den Umständen möglich ist, der dann eifrigster Diener Lothar’s scheint und doch nur auf die Gelegenheit wartet, seine Wünsche nach autonomer Herrschaft zur Geltung zu bringen. Daneben Konrad von Salzburg, der Fanatiker für die geistige Unabhängigkeit und die Reinheit der Kirche von weltlichen Interessen, der sich wenig um die Politik kümmert, wo sie ihm nicht diese, seine heiligen Kreise stört - und dagegen Norbert von Magdeburg, der zähe, energische Geist mit dem scharf ausgeprägten Sinn für Disciplin und Unterordnung, der im Könige seine natürliche Stütze sieht und findet. 1) Das sind Centren von Parteien innerhalb des deutschen Episcopats, auf deren eine Lothar sich stützt, während er die andere zu gewinnen, die dritte unschädlich zu machen weiß, die allmählich heran- und zusammenwachsen, bis sie bei der Gelegenheit des Schismas von 1130 deutlich geschieden einander gegenübertreten: auf Seiten Anaclet’s Adelbert’s Partei, auf Seiten Innocenz’ die Partei Norbert’s und Konrad’s. Und von hier aus werden wir uns nun nicht mehr mit jener allgemeinen Andeutung (auf S. 51) eines directen Verhältnisses zwischen Lothar und der Curie zu Ungunsten der Selbständigkeit des deutschen Episcopats begnügen dürfen. Wir werden untersuchen, ob dieser Adelbert, der sich sofort dem Gegner des Innocenz, des Erben von Honorius Politik, in die Arme wirft, der sich zum Legaten

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1) Höchst wichtig ist hierfür die bisher, soviel ich weiß, nicht beachtete Stelle Gerhoh’s von Reichersperg (Commentarius in psalmum LXIV bei Pez, thesaur. 5, 1166B): De isto consensu honoratorum cujusque civitatis admittendo et requirendo in electione pontificis, copiose memini tractatum in epistola beatae memoriae Chuonradi Salzburgensis archiepiscopi ad archiepiscopum Magdeburgensem Norbertum . . . . Voluerat enim ille inter honoratos cujusque civitatis etiam potestativos principes vel reges, reipublicae administratores esse comprehensos, quod sacrorum canonum censura omnino contradicit.

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216 Ernst Bernheim,

Anaclet’s ernennen läßt und für ihn mit aller Energie zu werben sucht, ob der nebst seinen Gesinnungsgenossen es nicht eben war, gegen dessen Selbständigkeitsgelüste Lothar sich mit Honorius in Einvernehmen setzte, dessen gefährlichen Einfluß er so zu lähmen wußte, obwol er ihn gleichzeitig zum Erzkanzler erhoben hatte. Und wir werden Daten finden, welche uns beweisen, daß ein derartiges gespanntes Verhältniß zwischen Adelbert und Honorius in der That bestand. 1)

Wenn aber diese Charaktere unter dem deutschen Episkopat und ihre verschiedenen Richtungen mit ihren Consequenzen unbestimmt bleiben, so muß auch nothwendig die Schilderung von Lothar’s Regentencharakter schwankend werden.

Es ist uns nicht ersichtlich, weshalb demselben Lothar, von dem es (S. 15) heißt:

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„er hegte von der Macht, die ihm noch an seinem Lebensabend zugefallen war, keine geringere Vorstellung als einst die Ottonen, so sehr sich auch die Stellung des Reichs durch den Kampf mit der Kirche geändert hatte,“ weshalb demselben (S. 11)

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„die Bestätigung seiner Wahl durch den Papst nach den üblen Vorgängen bei der Wahl der Gegenkönige während des Investiturstreites bereits ein wesentliches Erforderniß schien, um die Gewähr dem neuen Regimente zu geben.“ Wir sehen nicht ein, was es bedeutet und wie es möglich ist, daß er gegen den hohen Klerus sich so „zuvorkommend“ erwies, den bisher üblichen Lehnseid nicht zu verlangen (S. 11), während wir anderseits erfahren (S. 45),

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„daß er den Rechten, welche der Wormser Vertrag dem Reiche belassen, niemals etwas vergeben und speziell stets darauf gehalten habe, daß der erwählte Bischof die Weihe nicht vor der Investitur empfing.“ Wir begreifen

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1) Ich muß hier der Kürze wegen auf meine Dissertation „Lothar III. und das Wormser Concordat“ Straßburg 1874 S. 16 ff. verweisen; trotz des erwähnten Verhältnisses konnte doch wol ein Otto von Bamberg den Bischof von Prag tröstend daran erinnern, daß er von dem ersten Erzbischof des Reiches geweiht sei, und in diesem Zusammenhange sagen (Jaffé Bibl. 5, 417): consoletur etiam vos, quod in ecclesia Romana ordinatoris vestri auctoritas magna est. (Vergl. Giesebrecht 420).

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217 Lothar der Sachse und Konrad III

nicht, daß die Entschiedenheit, mit welcher der Kaiser in die kirchlichen Angelegenheiten eingriff, dem Mainzer Erzbischof ganz unerträglich schien (S. 96),

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während Lothar zur selben Zeit in Rom dem Papst, den er selbst erst gesichert hatte, so große Concessionen machte (S. 87),

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daß der Verfasser zu dem Ausrufe kommt: „So hatten wahrlich die Ottonen und Heinriche das Imperium nicht verstanden“. Und die Gesammterklärung von Lothar’s kirchenpolitischer Stellung kann uns nicht über diese Widersprüche hinweghelfen, welche sich nicht etwa durch die steigende Machtstellung Lothar’s erklären lassen, denn sie treten zum Theil gleichzeitig auf und erstrecken sich über die ganze Zeit Lothar’s. Es giebt uns keine richtigen Begriffe von dem Geiste dieser Regierung, wenn Giesebrecht (S. 87) sagt: ,,Lothar’s ganzes Regiment war aber nun einmal von dem Gedanken getragen, daß das Kaiserthum, indem es, um seine Aufgabe zu lösen,“ - wir hören nicht, worin diese Aufgabe besteht - „factisch alle Macht an sich zu ziehen habe, doch zugleich stets seine ideale Abhängigkeit von dem apostolischen Stuhl und der Kirche anerkennen müsse.“ Kann man es auch nur eine ideale Abhängigkeit nennen, wenn „immer von Neuem päpstliche Legaten im Reiche erschienen und sich in alle Angelegenheiten der deutschen Kirche mischten, und Lothar sie wenig behindert, selbst wenn er mit ihrem Verfahren wenig einverstanden war“ (S. 51)?

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Doch wol nicht! und an dieser Stelle leitet Giesebrecht die Nachgiebigkeit Lothar’s gegen den Papst in der That von des ersteren Stellung zu autonomen Bestrebungen im deutschen Episcopat her, freilich in der oben dargelegten unbestimmten Weise. Wenn hier der Verfasser etwas schärfer die Personen und Parteien geschieden hätte, so würden wir klarer erkannt haben, daß Lothar den Sachsen im ersten Theil seiner Regierung die Besorgniß vor der hierarchischen Partei Adelbert’s und vor der staufischen Rebellion zum engsten Anschluß an die Kurie bewog, während hernach die Rücksicht auf diejenigen Parteien im Klerus, welche seine Regierung stützten, es war, die ihn gegen Innocenz über jene „ideale Abhängigkeit“ und über seinen eigentlichen Willen hinaus so nachgiebig machte. In Rom bestimmte der

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218 Ernst Bernheim,

Widerspruch Norbert’s - wenn wir der Nachricht der Vita Norberti Glauben schenken (vergl. Richard Rosenmund, die ältesten Biographien des heiligenNorbert Berlin 1874 S. 93 ff.) - Lothar, nicht auf seinen Ansprüchen an den Papst zu bestehen, in Lüttich der Widerspruch Bernhard’s von Clairvaux, des intimen Gesinnungsgenossen von Norbert. Denn diese nicht hierarchische, aber doch streng kirchliche Richtung unter dem Klerus reichte sich in Frankreich und Deutschland die Hand, um sich zugleich gegen die Aufklärerei eines Abälard und gegen die Verweltlichung eines Adelbert von Mainz zu kehren. Und diese, als eine neu aufstrebende, bald durch die Person Bernhard’s allmächtige Partei war es eben, welche Lothar mit dem richtigen Instincte eines Herrschers zu der seinigen gemacht hatte, derentwegen er gegen den Papst nicht so energisch auftreten konnte, wie er es offenbar gewünscht hätte. So würde in ganz anderem Lichte erscheinen, was in Giesebrecht’s Darstellung als eine Folge idealer Hingebung an die Kirche und daher vom Standpunkt der Herrscherpflicht aus als weichliche Inconsequenz Lothar’s erscheint. Wir würden vielmehr in Lothar den geborenen Herrscher sehen, der die Pflichten der Religion und die der Regierung nicht verwirrt, der bei allem Vollgefühl seiner Aufgabe und Macht doch zur rechten Zeit Unerreichbares aufgiebt und sich mit factischer Machtstellung begnügt, wo das Pochen auf prinzipielle Anerkennung gefährlich scheint. Haben wir so von Lothar’s Verhalten gegen die Kirche das abgeschieden, was ihm die politischen Verhältnisse gegen seine eigentliche Intention geboten, dann würde ein bestimmtes, einheitliches Bild von Lothar vor uns stehen, ein Mann aus einem Gusse, der wahrhaft wie Giesebrecht sagt (S. 15)

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„jede Autorität, die sich ihm darbot, im weitesten Sinne faßte“ und so auch sein Herrscheramt; wir würden nicht einer verkehrten Demuth zuschreiben, was Zwang der Politik war, aber wir würden um so reiner den echten Quell aufrichtiger Frömmigkeit vor uns sehen, jener bis zu Thränen weichen und andrerseits mit gewaltiger Thatkraft stählenden Frömmigkeit, welche fast alle Helden des Mittelalters unbeschadet ihrer Mannhaftigkeit besaßen, welche uns in ihrer eigenthümlich energischen

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219 Lothar der Sachse und Konrad III.

Aeußerung eben daran mahnt, daß Jahrhunderte zwischen uns und jenen Zeiten liegen, deren inneres Verständniß aber trotzdem auch unserer Zeit nicht verloren gegangen ist. Giesebrecht hat beide Seiten dieser Frömmigkeit, die segensreiche Missionsthätigskeit und die demuthsvolle Andacht Lothar’s, mit Bedacht hervorgehoben, allein er verschleiert wieder das Verständniß derZeit wie des Mannes, wenn er zu der Schilderung des Petrus Diaconus von Lothar’s andächtigem Aufenthalte im Kloster Monte Cassino bemerkt (S. 145),

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die Züge dieser Schilderung entsprächen im Großen wol „dem alten, dem Grabe zuwankenden Kaiser;“ denn durch diese Wendung muß uns als eine Altersschwäche vorkommen, was doch ein wesentlicher Charakterzug Lothar’s wie seiner Zeit überhaupt ist. 1) Mit Hinblick auf diese Zeitrichtung und alles vorher Gesagte werden wir dann nicht in Giesebrecht’s Gesammturtheil über Lothar’s Regierung einstimmen, welches er (S. 151) so faßt:

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„Daß in der Stellung, welche er halb freiwillig, halb gezwungen gegen das Papstthum einnahm, indem er sich der idealen Obermacht desselben unterordnete, an sich ein unlösbarer Widerspruch lag gegen seine Absicht, das Kaiserthum in aller Macht und Herrlichkeit herzustellen, ist ihm schwerlich jemals zum Bewußtsein gekommen.“ Durch den langen Investiturstreit zwischen Regnum und Sacerdotium hatte ein Lothar wol gelernt, zu trennen, was - so lautet es in jener Zeit - des Kaisers, was Gottes Sache sei, und wir werden den Widerspruch; von dem Giesebrecht redet, nicht in Lothar’s Verhalten, sondern in dem der Obmacht der Kirche ergebenen Geiste jener Zeit finden, in den durch diesen Geist

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1) Beiläufig haben wir in diesen Worten eine der Giesebrecht’s Stil eigenthümlichen Wendungen, die manches Mal durch ihren poetischen Schwung den Leser frisch und angenehm berühren, aber wegen ihrer Allgemeinheit auch zuweilen mißglücken, wie hier: es mag sein, daß Lothar bereits Ende September den Tod nahen fühlte, aber deshalb durfte Giesebrecht nicht von einem alten, dem Grabe zu wankenden Kaiser sprechen; das giebt uns ein ganz falsches, von G. offenbar selbst nicht gewolltes Bild von dem rüstigen Helden, der noch Anfangs Juli bei einer Emeute

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„sich auf’s Roß warf, unter die Wüthenden sprengte und den Aufstand durch die Wucht seines persönlichen Ansehens unterdrückte.“ (S. 138).

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220 Ernst Bernheim,

beherrschten Parteiverhältnissen, die den Kaiser zwangen, auch da dem Papste zu willfahren, wo er wol das Bewußtsein hatte, daß es sich nicht um Dinge der Religion handelte; denn sonst würde er nicht in Lüttich die Aufhebung des Wormser Concordats verlangt und in Rom ähnliche Forderungen wiederholt haben. So erklärt es sich vielleicht anders, daß sich Lothar in wichtigen Punkten der Reichsgewalt mit der factischen Machtfülle begnügen mußte (wie in der Investiturfrage mit jenem zweideutigen Decret Innocenz’ von 1133), indem er seinem Nachfolger die weitere, etwa principielle Sicherung aller Positionen überließ. Wir sehen, daß nicht nur günstiges Licht auf Lothar’s Regierung gefallen ist, weil ihm ein so unmächtiger Herrscher wie Konrad III. folgte.

2.

Derselbe Mangel, den die Darstellung im ersten Theile des vorliegenden Bandes bekundete, findet sich, wenn ich richtig urtheile, auch in dem zweiten Theile: nur daß er bei einer Regierung, wie die Konrad’s, eines Fürsten, der es eben nicht verstand, sich zum bewegenden Mittelpunkt der Ereignisse zu machen, nicht so hervortritt und nicht so in die Darstellung eingreift wie bei Lothar’s Regierung. In der zusammenfassenden Charakteristik, die Giesebrecht (S. 361 ff. u. 221) von Konrad giebt, fehlt wol kein Zug: er schildert ihn als den ritterlich stolzen, königlich denkenden, wohlwollenden, doch etwas phantastischen und daher leicht bestimmbaren Mann, „wie er mit seinen Gedanken stets in die Ferne griff, ohne je in seiner Nähe eine feste Stellung gewinnen zu können,“ wie er bei einem überaus starken Selbstgefühl sich doch leicht von Anderen beeinflussen ließ, „wie alle die großen Entwurfe, mit denen er umging, lediglich Entwurfe blieben,“ wie das Reich unter ihm der Auflösung entgegen zu gehen schien. Und dieser allgemeinen Schilderung entspricht das Bild, das wir im Einzelnen von dem Wesen und Walten Konrad’s erhalten. Nur einmal geräth dieses Bild in’s Schwanken, nämlich da, wo Giesebrecht die bekannte Correspondenz Konrad’s mit dem byzantinischen Hofe so

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221 Lothar der Sachse und Konrad III.

auffaßt, daß er dieselbe geeignet findet, „auf die Ehrenhaftigkeit, welche man ihm, dem Könige, in Deutschland nachrühmte, einen dunklen Schatten zu werfen“ (S. 203).

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Das ist wol zu scharf aufgefaßt. Der übertriebene, prahlerische Ton dieser Schriftstücke ist doch kaum dem Könige zur Last zu legen; offenbar hat der Verfasser derselben in der königlichen Kanzlei mit dem byzantinischen Hof in dessen eigener gedrechselt überladenen Sprache reden wollen und, wie es in solchem Falle oft geht, darin etwas zu viel gethan. Daß Konrad sich da Imperator nennen läßt, obgleich er noch nicht die Kaiserkrönung erlangt hat, wird aus diesem Gesichtspunkt nicht so arg zu verurtheilen sein: der deutsche König galt ja eo ipso als Erbe des Kaiserthums, wie das Gregor VII. sogar von Heinrich IV. sagt (Jaffé Bibl. 2, 35): qui laicorum est caput, qui rex est et Romae Deo annuente futurus imperator, und wie es die gelegentlich vorkommende Bezeichnung des deutschen Königs als rex Roman imperii in eigenthümlicher Weise zeigt. Somit durfte sich Konrad den Anmaßungen des griechischen Hofes gegenüber wol Imperator nennen lassen, zumal er ja nicht beabsichtigen konnte, dem griechischen Kaiser damit einzureden, er habe bereits die Kaiserwürde factisch erlangt. Einen Schatten auf seine Ehrenhaftigkeit kann dies doch nicht werfen. Und was die Behauptung von der Botmäßigkeit der angrenzenden Länder gegen Konrad betrifft, so hat Giesebrecht selbst angeführt (S. 203), daß allerdings „die Freundschaft des Königs damals von den verschiedensten Höfen gesucht wurde“; also handelt es sich auch da nicht um eine Unwahrheit, sondern höchstens um eine höfische Uebertreibung, die nicht dazu angethan ist, den Charakter des Königs zu trüben.

Im Uebrigen entspricht das Gesammtbild, welches Giesebrecht von Konrad’s Wesen giebt, wie schon gesagt, den einzelnen Zügen, die im Gange der Darstellung hervortreten. Und doch will uns diese Darstellung nicht befriedigen; wir fragen wieder und wieder: woher kommt es denn, daß einem so rührigen Fürsten mit so vielen trefflichen Eigenschaften Nichts recht gelingt, daß unter ihm das „Gefühl von Unsicherheit, des Elends,

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222 Ernst Bernheim,

des Verfalls im ganzen Reich verbreitet ist“, und wir erhalten keine genügende Antwort auf diese Frage. Giesebrecht selbst wirft dieselbe (S. 221) auf, aber es scheint ihm selbst nicht ganz zu genügen, was er dort als Antwort giebt:

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„Früher pflegte man die Mißstände des Reiches den Zerwürfnissen mit der Kirche zuzuschreiben; darin konnte jetzt Niemand die Ursache finden, denn niemals war die Eintracht zwischen Kirche und Reich größer gewesen . . . . . Viel eher waren die Schäden des Reiches darin begründet, daß die Kirche systematisch die Achtung vor der kaiserlichen Autorität geschwächt hatte . . . . . Je tiefer das Kaiserthum so in der öffentlichen Achtung sank, desto rücksichtsloser brachten die Fürsten ihre besonderen Interessen zur Geltung etc.; ihre Parteiungen waren mächtiger im Reiche als der Wille des Königs.“ Allein dieselben Parteiungen herrschten doch unter denselben und zum Theil noch viel ungünstigeren Combinationen schon zur Zeit Lothar’s und nachher zur Zeit Friedrich’s, und doch bieten die Regierungen dieser Fürsten ein so ganz anderes Bild! Auch die erwähnten Charakterschwächen Konrad’s, die Giesebrecht anführt, genügen ihm selbst nicht zur Erklärung der großen Lahmheit und Zerfahrenheit der Konradinischen Herrschaft (S. 362),

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und es bleibt - auch Alles, was Giesebrecht sagt, zusammengenommen - bei dem Leser die Frage, was der eigentliche Grund der Reichscalamität sei? Nun geben uns die Quellen eine Antwort, mit der nicht viel gegeben scheint: sie sagen, der König war ein guter, tapferer, königlicher Mann, aber er hatte kein Glück. Und doch ist dies, schärfer gefaßt, der Schlüssel zu Konrad’s Regierung. Denn was sich dem äußeren Beobachter als Spiel des Glücks darzustellen pflegt, das ist eigentlich nur das Resultat der Art und Weise, wie ein Mensch das Leben zu erfassen weiß - abgesehen natürlich von den physischen Zufällen, die sich im Ganzen meist ausgleichen: wie auch in der Regierung Konrad’s manche unläugbare Unglücksfälle der Art durch so bedeutende Glücksfälle, wie z. B. der Tod Heinrich des Stolzen es war, ziemlich ausgeglichen werden und bei dem Gesammturtheil kaum in Betracht kommen. Das Herrschergenie oder auch nur Herrschertalent weiß den Personen und Verhältnissen,

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223 Lothar der Sachse und Konrad III.

mit denen es in Berührung kommt, die richtige Stelle anzuweisen, sie seinen Zwecken dienstbar zu machen, es weiß selbst anscheinend ungünstigen Combinationen vortheilhafte Wendungen zu geben, und dann sagt man: das sei Glück. Diese Art des Glückes fehlte Konrad aber gänzlich; er verstand es nicht, die Verhältnisse zu beherrschen, und in diesem Sinne, meine ich, liegt in den Verhältnissen der Grund für die Unfruchtbarkeit seiner Regierung, nicht aber in dem Sinne, den Giesebrecht geltend zu machen scheint, als seien dieselben besonders ungünstig gewesen. Im Gegentheil, wenn man z. B. die Regierungsanfänge bei Lothar und Konrad vergleicht, so muß man finden, daß diesem die Verhältnisse ungleich günstiger und auch später in bedeutenden Punkten nicht ungünstiger lagen als jenem. Beide waren unter dem Einflusse hierarchischer Mächte auf den Thron gekommen, und doch gelang es Konrad nie, dem deutschen Episkopat oder der Kurie gegenüber eine selbständige Stellung zu erringen, sich dauernd auf eine Partei zu stützen oder eine andere zurückzuweisen; ja er verstand es so wenig, die Kräfte, welche ihn umgaben, in sein Interesse zu ziehen, für sich arbeiten zu machen, daß er selbst einen so königstreuen Mann wie Wibald von Stablo nicht ohne bedenkliche Unterbrechungen an sich zu fesseln wußte. Mit einem Worte - wenn die Zeitgenossen sagten, ihm fehlte das Glück, so werden wir sagen: ihm fehlte das Herrschertalent. Das ist der Grund, weshalb Nichts gelingt, Nichts dauernd in Ordnung kommt, die ganze Regierung lahmt. Man könnte meinen, damit sei nicht viel gesagt, es ergebe sich das auch von selbst aus Giesebrecht’s Darstellung ; allein das ist nicht der Fall. Giesebrecht hat Konrad’s ganzes Regiment nicht von diesem Kernpunkte aus gefaßt, er nennt den König sogar (S. 220)

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„nicht unerfahren in den Künsten des Regiments“ und hebt es nirgends hervor, daß derselbe das erste Erforderniß eines damaligen Herrschers, Feldherrntalent, fast gar nicht besaß und sich noch weniger zutraute. Seine militärischen Erfolge verdankte Konrad anscheinend meist seinem Bruder, der auch in der Weinsberger Schlacht, der einzigen namhaften Waffenthat des Königs, mitwirkte. Dadurch erklärt es sich eigentlich erst,

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224 Ernst Bernheim,

daß er, der ritterliche Mann, stets lieber vermittelte als Schlachten lieferte und trotz seines sonstigen Selbstgefühls die militärische Leitung des Kreuzzuges nicht beanspruchte: eine Thatsache, die Giesebrecht freilich anders erklären zu müssen meint. Wieder hat sich der Verfasser nicht ganz in den Mittelpunkt des Regentencharakters versetzt, um von da aus die Wechselwirkung zwischen denselben und den Ereignissen zu beobachten und zu schildern. Und zwar ist es hier nun klar, weshalb dieser Mangel bei Konrad’s Regierung weniger hervortreten muß, als es bei Lothar bemerklich war: während bei Lothar nämlich dieser Mittelpunkt das energische Genie eines geborenen Herrschers war, der die Verhältnisse mit starker Hand erfaßte und zwang, so fehlt eben bei Konrad dieses Genie, und die Verhältnisse sind ihrer centrifugalen Kraft frei überlassen. Daher waren es unter seinem Regimente die autonomen geistlichen und weltlichen Gewalten, welche den Gang der Ereignisse mehr bestimmten, „mächtiger im Reiche waren als der Wille des Königs.“ Und nun zeigt sich, wie vorhin bei Lothar, daß in der That dieser Mangel in der Perzeption des Regentencharakters die ganze Darstellung beeinflußt. Sind es nämlich jenem Charakter des Königs zufolge die Parteiungen in Kirche und Staat, welche statt Konrad’s das Scepter führten, so mußte die organisch fortschreitende Entwicklung derselben die Grundlage der ganzen Darstellung der Jahre 1138 - 1152 bilden.

Ich brauche nicht erst zu sagen, daß Giesebrecht es versteht, die tieferen elementaren Strömungen des geschichtlichen Lebens zu erfassen und darzustellen; auch das vorliegende Buch giebt den Beleg dafür: in glänzender Schilderung - es ist dies wohl der gelungenste Theil des 4. Bandes - entwirft der Verfasser in dem letzten Abschnitt „Rückblick und Umschau“ ein vielseitiges Bild von den treibenden Kräften auf fast allen Gebieten der Zeit. Allein weniger hat er verstanden, diese Kräfte in ihrer organischen Entwicklung vorzuführen, zu zeigen, wie sie im Wachsen und Ringen der Parteien groß werden, sich durch die einzelnen Personen und in den einzelnen Begebenheiten ausprägen und in breiten Massen bald mit, bald gegen einander wirken. Das zeigt

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225 Lothar der Sachse und Konrad III.

sich in diesem Bande aus den angegebenen Gründen besonders bei Konrad’s Regierung. Wir bekommen im Verlaufe der Erzählung nicht die Anschauung, daß wir auf dem eigenartigen Boden des 12. Jahrhunderts stehen, der von dem Investiturstreit überall noch nachhaltig erschüttert ist. Wir erfahren nur etwa gelegentlich, daß das Ansehen des Kaiserthums bedeutend geschwächt sei - Nichts davon, daß die elementaren Bewegungen, die der Investiturstreit im Gefolge hatte, noch wirken und leben. Nur in zwei getrennten Bemerkungen (S. 264 u. 197)

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spricht Giesebrecht von dem Aufschwung der Ministerialen und dem Erblichkeitsprincip der Großvasallen.

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Wir erhalten nicht die Vorstellung, daß es sich mit dem Aufkommen dieser Ministerialen, mit dem Erstehen des Ritterwesens um die Bildung eines ganz neuen Standes handelt, der dadurch, daß er als „Herr den Herren zur Seite tritt“, diese immer dringender zur autonomen Befestigung ihrer Macht, zur Erringung von Territorialhoheit nöthigt; wir bekommen nicht die Vorstellung, daß in den Kämpfen der Welfen und in den endlosen Fehden zwischen den Fürsten überall während Konrad’s Regierung diese elementare Bewegung in die Erscheinung tritt, und es bleibt uns daher unerklärt, weshalb immerfort die Flamme da wieder aufschlägt, nachdem sie hier kaum erstickt war; unklar, daß es sich hier eigentlich um tief greifende Verfassungskämpfe handele. Und die geistige Bewegung der Zeit! So trefflich und scharf der Verfasser in dem erwähnten „Rückblick“ am Schlusse (S. 366 ff.) Bernhard’s von Clairvaux ideale Auffassung vom Papstthum der stark verweltlichten Curie entgegengesetzt hat, so wenig hat er diesen Gegensatz in den Gang seiner Darstellung aufgenommen, noch verfolgt, wie derselbe sich entwickelt und sich in politische Parteien umsetzt. Wir erkennen nicht, daß dieser Gegensatz bis in die Zeit Lothar’s zurückreicht, wir erkennen nicht den organischen Zusammenhang desselben mit dem Investiturstreit, dem er seinen Ursprung verdankt. Es muß uns nach Giesebrecht’s Darstellung in der That ein Wunder oder ein Räthsel scheinen, wie jener gebrechliche Mönch, Bernhard von Clairvaux, Völker und Fürsten mit seinem Worte lenken konnte; erst in dem „Ueberblick“ am Schlusse (S. 366) erklärt der Verfasser

Historische Zeitschrift. XXXV. Bd. 15

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226 Ernst Bernheim,

Bernhard’s außerordentlichen Einfluß:

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„die Hauptsache war doch, daß Bernhard in der überzeugendsten Weise zu sagen wußte, was mehr oder weniger klar in dem Bewußtsein aller seiner Zeitgenossen lag.“ Ein Satz, der wahrhaft innerlich aus dem Leben jener Zeit herausgefühlt ist; nur schade, daß wir diese Hauptsache erst nachträglich erfahren. Es ist doch wirklich von hauptsächlicher Bedeutung für das Verständniß der ganzen Epoche, uns von Anfang an zu vergegenwärtigen, wie unter dem unmittelbaren Einfluß des Investiturstreites zuerst das große Zuströmen von Hoch und Niedrig in die Klöster des Schwarzwaldes begann, wie neben dieser weltentsagenden Richtung besonders in Frankreich und Italien unter dem Einfluß der revolutionären Maßregeln Gregor’s VII. eine freigeistige Bewegung verschiedenster Secten um sich zu greifen drohte: bis auch diese umschlug, und gewissermaßen ihre Ableitung fand in den großen Ordens- und Klosterstiftungen, in der rapiden Verbreitung vorzugsweise der Prämonstratenser und Cistercienser, deren erstere nun auch in Norddeutschland jener strengen Mönchsschwärmerei ungeahnten Eingang verschafften, während die freigeistige Bewegung sich in die Philosophie Abälard’s und der Seinen zurückzog und sich so zu beschränkter, aber concentrirter Bedeutung erhob. Wie dann allmählich die schwärmerisch mönchische Richtung in natürlicher Consequenz ihrer Gefühle und ihrer Anschauungen nicht nur in erbitterte Fehde mit jener Philosophie und deren Vertretern gerieth, sondern auch in Opposition trat zu jener kampffrohen, macht- und herrschsüchtigen Prälaten-Generation des Investiturstreites und so mit einem Male unvermuthet zu einer politischen Partei wurde, als Lothar - wie ich vorhin anführte - dieselbe zu seiner Stütze gegen die hierarchische Partei Adelbert’s von Mainz und dessen Gleichen machte. Wir würden dann eingesehen haben, welche elementare Basis die Stellung Lothar’s zur Kirche hatte, so elementar, daß er sie ohne Gefahr nicht verlassen durfte, wir würden in dem Schisma des Jahres 1130 den offenen Kampf zwischen beiden Parteien ausbrechen und in Anaclet, dem Patron Adelbert’s, des letzteren Partei haben unterliegen sehen. Dann würden wir, worauf es nun hier am meisten ankommt,

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227 Lothar der Sachse und Konrad III.

verstehen, wie die siegreiche idealistische Richtung, die in Bernhard von Clairvaux philosophische Durcharbeitung und zugleich praktische Energie gefunden hatte, nun zur Zeit Konrad’s mehr und mehr Macht gewinnt, daß sie nicht nur die Massen, aus denen sie hervorgegangen und mit denen sie im Zusammenhang geblieben ist, sondern zuletzt die Curie selbst beherrscht, bis diese am Ende mit Unwillen bemerkt, daß nicht eigentlich sie es ist, welche regiert, sondern das Ideal von ihr, das in Bernhard’s begeisterter Vorstellung lebt und in seiner Schilderung die Gemüther fortreißt. Wir würden es dann nicht mit Giesebrecht (S. 255) wunderbar genug finden,

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„daß der Papst, der zu der Kreuzpredigt doch den ersten Anstoß gegeben hatte, mit dem Umfange, welchen die Bewegung“ - unter glänzender Bethätigung von Bernhard’s Einfluß! - „gewonnen hatte, nicht zufrieden war.“ Und wir würden dann mit Erstaunen finden, daß allmählich in der Curie jene weltliche Strömung Platz gegriffen hat, welche Bernhard zur Zeit des Schismas so heftig bekämpft hat, und welche er auch jetzt mit rücksichtslosem Idealismus angreift, während er in Arnold von Brescia, als dem Schüler Abälard’s, nicht minder den anderen Gegner von früher sieht, den er mit Norbert zusammen so erbittert verfolgte. So würden wir in der Entfremdung zwischen Bernhard und dem Papst einen ernsteren Hintergrund erblicken, als jene Verstimmung, die uns Giesebrecht wie eine willkürlich wechselnde Decoration bald vor-, bald zurückschiebt, und wir würden auch die Conflicte Papst Eugen’s mit den deutschen Bischöfen einer eingehenderen Erwägung unterziehen.

Denn hier ist es eben, wo diese Verhältnisse in Wechselwirkung mit dem Regentencharakter Konrad’s treten und recht eigentlich die Unergiebigkeit dieser Regierung erklären. Während Lothar sich mit weiser Einsicht und mit fester Konsequenz auf die Partei stützte, der die Zukunft zu gehören schien, und dieselbe zugleich mit sich gegen die hierarchische Partei erhob, sich so den Ansprüchen der letzteren entreißend, fehlte Konrad solche Einsicht und solche Konsequenz durchaus. Derselbe Gegensatz der kirchlichen Strömungen, der Lothar zu einer selbständigen Stellung verholfen hatte, bot sich ihm in noch viel günstigerer Kombination

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228 Ernst Bernheim,

dar, und zwar zum ersten Male, als die Aufforderung zum Kreuzug an ihn heran trat. Der Papst wünschte damals dringend die Hilfe Konrad’s gegen seine Bedränger in Italien und sah mit Eifersucht auf den steigenden Einfluß Bernhard’s von Clairvaux, der, mit idealer Gleichgültigkeit gegen alle politischen Wünsche der Curie, nur das eine Ziel, die Befreiung des heiligen Landes, verfolgte. Nun bestürmt Bernhard wider Willen und Wissen des Papstes den deutschen König, das Kreuz zu nehmen - Konrad steht vor dem Beginn einer Spaltung der Macht, welche ihm bisher einheitlich gegenüberstand und ihn beengte: aber ergriffen von der großen Begeisterung, welche in jener berühmten Scene im Dom zu Speier unmittelbar durch Bernhard’s schwärmerische Predigt zu ihm dringt, zieht er in die ungewisse Ferne, nicht ohne Grund von politischer angelegten Männern, wie seinem Bruder Friedrich, getadelt. Und der Papst, höchst unwillig gegen Bernhard und den König über diese eigenmächtige Handlung, die seine politischen Wünsche durchkreuzt, wird nun wieder dem Bündniß mit Roger von Sicilien in die Arme getrieben, einem Bündniß, das Konrad in eine so durchaus schiefe Stellung bringt, weil er im engsten Einvernehmen mit dem Griechischen Kaiser, dem natürlichen Feinde des Normannenfürsten, steht. Und an diesem, im Ganzen doch höchst unfruchtbaren Bunde hält er mit jener unbeholfenen Zähigkeit fest, die Männern von geringer politischer Kombinationsfähigkeit eigen zu sein pflegt, wenn sie einmal eine glückliche Kombination gefunden zu haben glauben: etwa so wie der unfähige Schachspieler an einem weit aussehenden Plane festhält, während ihm der Gegner Stein auf Stein nimmt. Kein Versuch Konrad’s zeigt sich, eine feste Stellung zu der Curie oder ihren Gegnern zu ergreifen, die immer stärker hervortretende Entzweiung zwischen derselben und Bernhard, den offenen Zwist derselben mit den deutschen Bischöfen zu irgend welcher Parteibildung zu benutzen. Kurz, überall jene Unfähigkeit zum Regieren, welche selbst Konrad’s nächste Freunde beklagen: - das ist die Signatur seines Regiments und muß in den Mittelpunkt der Betrachtung

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229 Lothar der Sachse und Konrad III.

gerückt werden, wenn wir recht verstehen sollen, woran es lag, daß unter König Konrad „das Reich lahmte.“

So wird es dann erst eigentlich erklärlich, weshalb in die Zustände des deutschen Reiches sofort wieder, wie vorher unter Lothar, ein so ganz anderer Gang und Schwung kam, als die Herrscherkraft Friedrich Barbarossa’s in den Mittelpunkt der Centralgewalt trat, die unter Konrad gewissermaßen todt gewesen war.

Mit der Wahl Friedrichs endet der darstellende Theil des 4. Bandes. Es schließt sich daran der Abschnitt „Quellen und Beweise“, welcher in der bekannten übersichtlichen, klaren, handlichen Art das Detailstudium der Epoche eröffnet und für den Forscher so überaus dankenswerth ist. Ein kleiner Uebelstand macht sich nur in den „Beweisen“ zur ersten Abtheilung des Bandes, der hauptsächlich Lothar’s Regierung enthält, dadurch geltend, daß zwischen dem Erscheinen der beiden Abtheilungen 3 Jahre liegen. Dem Texte in diesem Bande ist auch ein sehr ausführliches Namen- und Sachregister beigefügt, um erwünschter Weise das Nachschlagen zu erleichtern. Wir erkennen hier, wie überall in Giesebrecht’s Geschichte der Kaiserzeit das selbstlose Bestreben, Leser wie Forscher gleichmäßig angenehm in die Geschichte unserer Vergangenheit einzuführen; wir werden wie dem ganzen Werke, so auch diesem Bande die Achtung entgegenbringen, welche wir der Gelehrsamkeit und darstellenden Kunst des Verfassers schulden, aber wir werden uns nicht verhehlen, daß dieser Band der Vollendung ferner geblieben ist, als die früheren Theile des bedeutenden Werkes.

 

Quellen:

Wilhelm v. Giesebrecht: Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Vierter Band. Staufer und Welfen. (zweite Abtheilung.) Braunschweig, C. A. Schwetschke und Sohn. (M. Bruhn.) 1875

Ernst Bernheim: Lothar der Sachse und Konrad III. in Historische Zeitschrift, Bd. 35 (1876), S. 209 - 229

 

 

 

 

Welzhofer 1874 über die Kaiserchronik des 12. Jahrhunderts

 

Untersuchungen über die deutsche Kaiserchronik des zwölften Jahrhunderts

Von Heinrich Welzhofer.

München 1874.

Adolf Ackermann

(vormals E. A. Fleischmann’s Buchhandlung) .

Maximiliansstraße 2.

 

 

Herrn Geheimrath

Dr. Wilhelm von Giesebrecht

in Verehrung und Dankbarkeit

gewidmet.

 

 

Vorwort.

Seit der Kaiser und der Könige Buch, oder, wie der üblichere Titel lautet, die Kaiserchronik in zwei trefflichen Ausgaben bekannt geworden ist, ist ihr die Forschung fast eher aus dem Wege gegangen, als entgegengekommen. Es ist zugestanden, daß sie eines der merkwürdigsten Denkmäler der deutschen Literatur des Mittelalters bildet. Aber die Fragen ihrer Entstehungszeit, ihrer Heimath, ihrer Qnellen, ihres Verfassers wurden nur selten und alsdann in allzu bündiger Weise behandelt. Nur wenig wurde ihr Inhalt, welcher Jahrhunderte lang, in immer neuen Bearbeitungen den wechselnden Zeiten angepaßt, ein beliebter Unterhaltungsstoff des deutschen Volkes war, untersucht, kaum wurde ihr Werth und ihre Bedeutung erkannt.

 

Auf der Grenzscheide zweier wissenschaftlicher Gebiete stehend, blieb die Kaiserchronik unbeachtet und ungepflegt. Wohl ist ihr in der Geschichte der älteren Dichtung ein breiter Platz eingeräumt, aber als Chronik sollte sie der Bearbeitung und Bebauung der Pfleger der Geschichtswissenschaft überlassen bleiben. Die Geschichtsforschung hingegen, die für die Erkenntniß der früheren Jahrhunderte des Mittelalters nur in lateinischer Sprache geschriebene Quellen in ihren Bereich zu ziehen gewohnt ist, schien von germanistischer Seite die Deutung und Zubereitung der deutschen Reimchronik zu erwarten.

 

In Wahrheit verdient die Kaiserchronik von keiner Seite diese stiefmütterliche Behandlung. In der Entwicklung unserer Poesie bezeichnet sie einen mächtigen Fortschritt: an sie knüpft

 

 

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sich die Erstehung und Erstarkung einer nationalen Schriftsprache, das Erwachen des Interesses an der poetischen Behandlung der Vergangenheit, an der wild wuchernden historischen Fabel und Anekdote, die Einführung der Novellen- und Legendenerzählung in die deutsche Dichtung. In der Geschichte der historischen Wissenschaft und Kunst scheint sie im ersten Augenblicke von sehr untergeordneter Bedeutung zu sein. Gegen einen Otto von Freising gehalten, der ungefähr um die Zeit schrieb, als sie im Volke umzulaufen begann, weist sie in der Darstellung der geschichtlichen Begebenheiten fast unbegreifliche Mängel und Schwächen auf. Allerdings für die Erforschung der historischen Thatsachen ist sie fast in ihrer ganzen Ausdehnung unbrauchbar: in einem üppigen Walde von Sagen und Fabeln verliert sich bei ihr die Geschichte fast gänzlich. Erwägt man aber, daß sie die erste Weltgeschichte in deutscher Sprache, die sich der Dichter erst für einen solchen Stoff zubereiten mußte, ist, erinnert man sich, mit wie unscheinbaren und fast verächtlichen Anfängen ein paar Jahrhunderte früher auch die lateinische Annalistik hatte beginnen müssen, dringt man ferner tiefer in das geheimnißvolle Wesen dieser ersten deutschen Chronik ein und gewinnt die Erkenntniß, daß sie keineswegs ohne alle Verbindung mit der lateinischen Geschichtsschreibung ihres Zeitalters dasteht, sondern, wie ein schwächliches Reis auf einen starken Stamm gepflanzt, aus derselben ihren Saft zieht, so erlangt sie wohl Anspruch auf einen besseren Platz in der deutschen Chronikschreibung, als ihr bisher eingeräumt worden ist.

 

Aber ihre größte Bedeutung liegt noch in einer dritten Richtung. Als poetisches Kunstproduct mag sie noch allzu stark die Gebrechen einer sich erst aus dem Chaos der literarischen

 

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Barbarei aufraffenden Epoche an sich tragen; der Quellenforschung mag sie ein schwächlicher Anfang einer neuen Geschichtsbehandlung bleiben. Als historisches Culturdenkmal hingegen eröffnet sie außerordentliche Einblicke in die geistigen Vorstellungskreise der mittelalterlichen Volksmassen. Die lateinischen Annalen und Chroniken lieferten nur den gelehrten Ständen Nahrung; aus dem Inhalte der Kaiserchronik, die zu einem ungleich größeren Publicum sprach als jene, bildete sich das ungelehrte Volk seine Anschauungen von seiner und der gesammten Menschheit Vergangenheit. Das Volk zieht gern die anmuthige Sage der kühlen geschichtlichen Wahrheit vor; nur in der bewußten oder unbewußten Anknüpfung an diesen der Volksnatur innewohnenden Trieb konnte es ein Dichter unternehmen, einer rohen Menge die Weltgeschichte näher zu bringen. Dieselbe kam auf diese Weise zu gar vielen falschen Vorstellungen, aber dennoch war es eine ansehnliche Summe von geschichtlichen und politischen Kenntnissen, die plötzlich an die Stelle der geistigen Leere und Unwissenheit trat. Das Volk lernte allmählich die Gegenwart mit der Vergangenheit verknüpfen und vergangene und gegenwärtige Ereignisse in seiner eigenen Sprache überlegen. Politischer Geist, nationales Gefühl, lebendiges Interesse an der Entwicklung der öffentlichen Angelegenheiten, lauter Dinge, an welchen bisher nur die bevorrechteten Stände der Fürsten, des Adels und der Geistlichkeit Antheil hatten, drangen auch in das Volk, als ihm die Kaiserchronik die unverständlichen lateinischen Ausdrücke des deutschen Staatsrechtes in die Muttersprache übertrug. In der Kaiserchronik nämlich, und nicht erst in den Spiegeln, wie die heutige Rechtsgeschichte lehrt, besitzen wir die ersten deutschen Ausdrücke über Königswahl,

 

 

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Reichsacht, Vasallenschaft und andere Gegenstände des öffentlichen Rechts, und wohl wäre es zu wünschen, daß auch nach dieser Seite hin der bedeutsamen Chronik das ihr längst gebührende Studium zugewendet würde.

 

Es ist kein Zufall, daß die erste deutsche Chronik auf oberdeutschem Gebiete, wie in den folgenden Blättern gezeigt werden soll, entstand. Der Süden war damals in der Cultur dem Norden um einen bedeutenden Vorsprung voraus; dadurch erklärt es sich, daß er wie die meisten übrigen Arten der mittelhochdeutschen Dichtkunst, so auch diese, unser gegenwärtiges Geschlecht freilich etwas seltsam anmuthende Gattung der gereimten Chronik gebar. Es währte ein halbes Jahrhundert, bis der Norden in der Chronik des Eike von Repgove ein ähnliches Werk erhielt.

 

Die folgenden Untersuchungen, die auf die Anregung eines verehrten Lehrers hin, dem sie gewidmet sind, unternommen wurden, beanspruchen nicht, abschließend zu sein und eine Lösung sämmtlicher Räthsel des merkwürdigen Werkes zu geben. Ihr Verfasser hat nur wenige Hauptpunkte in Angriff zu nehmen gewagt und ist im Uebrigen zufrieden, wenn es ihm gelungen ist, die Forschung auf einen Punkt gelenkt zu haben, wo sich, wie ihm dünkt, leicht eine Brücke schlagen läßt, welche die allzu schroff getrennten Gebiete der germanistischen und der historischen Studien verbindet. Denn darauf drängt wohl die gegenwärtige Entwicklung der Alterthumswissenschaft vor Allem hin, daß sich die oft weit auseinander fließenden Arme der einzelnen Wissenschaften in einem großen gemeinsamen Bette wieder finden und sammeln.

 

 

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Zeit und Ort der Entstehung der Kaiserchronik.

Wie die Mehrzahl der deutschen Gedichte des elften und zwölften Jahrhunderts, so kann auch die Kaiserchronik nur in allgemeiner und unbestimmter Weise datirt werden. Zu einer genauen Festsetzung ihrer Abfassungszeit fehlt es uns durchaus an Anhaltspunkten.

 

Die gegenwärtig geltende Meinung, welche sie um 1146, mit welchem Jahre ihre meisten Handschriften die Geschichtserzählung abbrechen, entstanden sein läßt, stützt sich auf allzu schwache Beweisgründe. Man beruft sich auf des Dichters Angabe in seinem Prologe, daß die Erzählung seines Liedes reiche „unz an disen hiutigen tac“, wonach der Dichter allerdings noch die von ihm selbst erlebte Zeit dargestellt und zur Zeit des zweiten Kreuzzugs, von dessen Anfängen er noch am Schluß seines Werkes berichtet, geschrieben hätte. Die Angaben jenes Prologes sind jedoch nur mit großem Mißtrauen aufzunehmen. Findet sich doch unter denselben noch ein anderes Versprechen über den Inhalt der folgenden Chronik, das mit dem wirklichen Inhalte derselben im augenfälligsten Widerspruche steht. Während nämlich der Prolog angibt, die Chronik künde „von den babisen unde von den kunigen“, handelt diese in ihrer ganzen Ausdehnung fast ausschließlich von den letzteren, von den Päpsten dagegen soviel wie gar nicht. Dieser Widerspruch zwischen Prolog und Chronik läßt es gerathen erscheinen, auch die auf die Frage der Datirung der Kaiserchronik bezügliche Angabe des ersteren vorläufig unberücksichtigt zu lassen. Macht man ferner geltend, daß gewisse Ausdrücke, wie bei der Erzählung der Unternehmung des zweiten Kreuzzugs die bloße Bezeichnung des Königs von Frankreich als „kunig Ludewig“,

 

 

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in dem Dichter einen Zeitgenossen Konrads III. vermuthen lassen, so ist entgegen zu halten, daß diese kurze Ausdrucksweise, in welcher geschichtliche Persönlichkeiten ohne alle nähere Angabe ihres Ranges und Wohnortes eingeführt werden, schon viel früher, in der Geschichte Heinrichs V. und Heinrichs IV., ja in der ganzen Ausdehnung der deutschen Kaisergeschichte als ein charakteristisches Merkmal dieser Chronik bemerkbar ist. So wird, um nur ein paar Beispiele anzuführen, unter Heinrich V. ein Graf Sigehart, unter Heinrich IV. ein Hartwig, unter Konrad II. ein Welf vorgeführt, ohne daß der Leser über Stand und Herkunft dieser Personen weitere Auskunft erhält.

 

Es sprechen aber auch, wie uns scheint, gewichtige Gründe gegen die Versetzung der Kaiserchronik unter Konrad III. Schon die Art der Einführung Konrads III. läßt daran zweifeln, daß sie noch unter diesem Könige abgefaßt worden sei;

es heißt:

 

V. 17195 Die vursten quamen do ze rate

an einen Kuonraten,

der ê wider dem riche was.

 

Völlig gegen seine Gewohnheit hält es hier der Dichter für nothwendig, seinen Lesern zu erklären, welcher Konrad gemeint sei, und er gibt diese Erklärung in der rücksichtslosesten Weise. Eine solche Behandlung Konrads III. spricht nicht dafür, daß der Dichter unter seiner Regierung geschrieben habe. Auf eine spätere Zeit weist noch nachdrücklicher folgende Bemerkung, welche sich an die Erzählung der Belagerung von Weinsberg und der Niederlage, welche Herzog Welf bei dieser Stadt durch Konrad III. erhielt, geknüpft findet: „Welf was vehtenes sat.“ (V. 17260). Ein Zeitgenosse Konrads hätte diesen unwahren Ausspruch nicht thun können, da ihm jene Ereignisse noch in frischer Erinnerung sein mußten; denn in Wahrheit dauerte es nach der Ueberrumpelung Welfs noch mehrere Jahre, bis derselbe wirklich „des Fechtens satt war“ und die Waffen niederlegte: erst 1150 versöhnte er sich mit dem Könige. Nimmer konnte ein gleichzeitiger Chronist, war er auch über die Begebenheiten seiner Zeit noch so schlecht unterrichtet, schon 1146 den

 

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Kampf beendigt sein lassen. Die angeführte Stelle ist vielmehr allem Anscheine nach erst geraume Zeit nach Welfs Unterwerfung, als die Erinnerung an seine Empörung schon halb erloschen war, niedergeschrieben worden. Der Dichter ist der Zeit der Fehde so sehr entfremdet, daß sich ihm bereits die beiden, durch einen Zeitraum von mehreren Jahren getrennten Thatsachen der Ueberrumpelung und der Unterwerfung Welfs zu einer einzigen verbinden. Ein weiterer Einwand gegen jene frühe Datirung ergibt sich aus dem eigenartigen Charakter eines Theiles der Darstellung Lothars. Hier tritt uns ein ausgeprägt sagenhafter Zug entgegen, indem von Lothar gesagt wird:

 

V. 17172 er reit ze Orterente:

sinen scaft scoz er in daz mere.

 

Ebenso scheint die einige Zeilen vorher erzählte merkwürdige Geschichte der Einnahme von Monte Cassino durch die „Abensäre“ nur eine Volkssage zu sein; sie wird uns wenigstens in keiner der lateinischen Quellen, welche die Geschichte Lothars behandeln, berichtet. Diese sagenhafte Färbung der Geschichte Lothars macht es unglaublich, daß ein Zeitgenosse Konrads und Lothars die Chronik verfaßt habe; wäre es möglich, daß schon so wenige Jahre nach Lothars Tod seine Regierung mit derartigen Sagengebilden umwuchert und ausgeschmückt gewesen sein sollte?

 

Es empfiehlt sich somit die Annahme, daß die Kaiserchronik erst in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts entstanden sei. Zu einer etwas engeren Begrenzung ihrer Abfassungszeit dürfte der Umstand Anlaß geben, daß sie Bernhard von Clairvaux noch nicht das Attribut „heilig“ gibt, wie dies sonst ihre Gewohnheit bei Einführung von heilig Gesprochenen ist, sondern ihn nur den „abbat Bernhart“ nennt. Daraus mag geschlossen werden, daß sie noch vor seiner Heiligsprechung, die im Jahre 1174 durch Alexander III. erfolgte, verfaßt sei.

 

Vielfach wird angenommen, daß sie ursprünglich vom Verfasser nur bis1137, dem Todesjahr Lothars, geführt und nach Verlauf einiger Jahre noch von demselben Verfasser mit dem die Geschichte Konrads III. enthaltenden Zusatze versehen worden sei.

 

 

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Diese Annahme gründet sich auf eine Art Epilog, der sich der Geschichte Lothars angehängt findet:

 

V. 17178 swer daz liet virnomen habe,

der sol ein pater noster singen

dem almehtigen gote ze minnen,

des keiser Liutheres sele etc.

 

Da die übrigen Regierungen einer ähnlichen Ansprache an die Leser entbehren und unter dem Ausdrucke „liet“ nur das ganze vorangehende Gedicht verstanden werden kann, so ist in diesen Versen allerdings ein Schlußwort zu erkennen. Aber nicht der nämliche Dichter hat diesen Schluß und den folgenden Abschnitt über Konrad III. verfaßt. Schon das oben Bemerkte über die Abfassungszeit der Chronik verbietet es, den Dichter sein Werk schon so früh abschließen zu lassen. Dieses Schlußwort hat vielmehr, wie sich mit Bestimmtheit behaupten läßt, das Ende einer älteren deutschen Kaiserchronik, welche die Vorlage unseres Dichters war, gebildet. Im Prologe, dessen Erklärung wir jetzt versuchen, heißt es nämlich:

 

V. 17 Ein buoch ist ze diute getihtet,

daz unsich romiskes riches wol berihtet:

geheizen ist ez Cronica.

iz kundet uns da ,

von den babisen unde von den kunigen,

beide guoten unde ubelen,

die vor uns waren

unde romiskes riches phlagen

unz an disen hiutegen tac.

so ich allir beste mac,

so wil ich iz iu vorzellen;

iz verneme swer der welle.

 

Ja diesen Versen gibt der Dichter als seine Quelle eine deutsche Chronik an, nach welcher er erzählen wolle. Man würde irren, wollte man behaupten, daß der Dichter mit den Worten „buoch“ und „Cronica“ sein eigenes Gedicht meine; die etwas abweichenden, aber sachlich klareren Lesarten der Prager und der beiden Wiener Handschriften lassen über den wahren Sinn der Stelle

 

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keinen Zweifel. Der Text der einen der beiden Wiener Handschriften lautet nämlich:

 

welt ir nu stille gedagen,

ich sage schöniu märe.

mit einem buche ich diu bewäre,

geheizen ist iz Cronica.

daz kundet uns da etc.

 

Die zweite Wiener und die Prager Handschrift haben folgenden Text:

 

welt ir nu stille gedagen,

so wil wisduom unde ere

iu sagen unde leren

uz einem buoche getihtet,

daz uns Romisches reich wol berihtet,

geheizzen ist iz Cronica etc.

 

Deutlich genug sagt es hier der Dichter, daß er aus einem „buoch Cronica« geschöpft habe. Noch unzählige Male beruft er sich im Laufe seiner Darstellung zur Bewahrheitung seiner Aussage auf dieses „buoch“. Es soll nicht behauptet werden, daß die stets wiederkehrenden Worte „daz buoch“ und „diu buochen“, welch letzterer Ausdruck in der Sprache der damaligen Zeit keineswegs eine Mehrheit von Büchern voraussetzt, immer und ausschließlich auf jenes „buoch Cronica“ zu beziehen seien; denn wahrscheinlich hat der Dichter bei der Abfassung seines großen Sammelwerkes noch andere schriftliche Quellen benützt, auf deren Zeugniß er sich gleichfalls berufen konnte; aber sicherlich hat die Mehrzahl seiner Berufungen auf jene seine Hauptquelle, die er dem Leser ausdrücklich zu nennen sich verpflichtet fühlt, Bezug. Da er dieselbe anstatt des gewöhnlichen „buoch“ manchmal anch „daz liet“ nennt *), so ergibt sich der Schluß, daß sie nicht eine prosaische, sondern eine poetische, wahrscheinlich auch schon gereimte Chronik gewesen sei.

 

Es entsteht die Frage, bis zu welchem Grade unser Dichter

 

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*) Sämmtliche Stellen, in welchen die Worte „buoch“ und „liet“ vorkommen, sind zusammengetragen bei Maßmann, Kaiserchronik III, 383 ff.

 

 

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seine alte Chronik ausgebeutet habe. Erinnert man sich, daß die deutschen Dichter der damaligen Zeit bei der Composition ihrer Werke stets nur das Verfahren der lateinischen Annalisten befolgten, welche ihre Vorgänger in gewissenhafter Weise ausschrieben, so kann man von vorne herein unbedenklich annehmen, daß auch der Dichter der Kaiserchronik seine Vorlage ziemlich wörtlich abgeschrieben habe. Der Umstand aber, daß sich sogar der Schluß der alten Chronik in unserer Kaiserchronik erhalten findet, gibt den thatsächlichen Beweis, daß sich der Dichter so eng an seine Quelle angeschlossen hat, daß er fast eher Abschreiber als Dichter zu nennen ist. Er nahm sich nicht einmal die Mühe, diesen Schluß an das Ende seines Werkes zu versetzen, sondern ließ ihn an dem Platze, den er in der alten Chronik einnahm, stehen und führte in unmittelbarem Anschluß an denselben die Erzählung noch weiter bis zum Jahre 1146. In demselben konservativen Geiste ließen ihn alsdann auch die späteren Fortsetzer und Umarbeiter der Kaiserchronik unverändert an seiner ehemaligen Stelle mitten in ihrer Erzählung stehen. *)

 

Aber nicht bloß in diesem Schlußworte, sondern auch im Prologe glauben wir Spuren der alten Chronik zu bemerken. Diese hatte sicherlich wie ein Schlußwort, so auch einen Eingang. Sollte diesen unser Dichter gänzlich ausgeworfen oder nicht vielmehr seiner Gewohnheit gemäß gleichfalls aufgenommen oder wenigstens für seine Zwecke umgestaltet haben? Die Ungereimtheit, welche zwischen dem Prologe und dem ganzen Werke besteht, spricht nicht für die Auswerfung. Unwiderstehlich drängt sich vielmehr zum Zwecke einer einigermaßen befriedigenden Deutung der unverständlichen Stellen des Prologs die Annahme auf, daß einzelne Verse aus der älteren Chronik in die jüngere geradezu wörtlich übergegangen seien. Es wird, wie schon bemerkt wurde, die Geschichte der Päpste in Aussicht gestellt, aber nur die Geschichte der Kaiser gegeben. Stand nun die bezügliche Stelle

 

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*) Der Schreiber der Münchener Handschrift scheint den Schluß der alten Chronik für das Ende des ganzen Werkes genommen und deßhalb die Fortsetzung über Konrad III. weggelassen zu haben.

 

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in gleichlautender Form schon in der alten Chronik, so erklärt sich einfach der Widerspruch, in welchem sie mit dem Inhalt unserer Kaiserchronik steht. Die alte Chronik mag wirklich, wie sie in ihrem Eingange versprach, die Geschichte der Päpfte neben derjenigen der Könige gegeben haben, wie denn auch der spätere Reimchronist Enenkel, der in seiner Geschichte der römischen Kaiser die Kaiserchronik nach ihren älteren und jüngeren Texten in der ungeheuerlichsten Weise ausgeplündert hat, im Anschluß an seine Erzählung von Kaiser Tiberius noch die Reihe der Päpste, mit Petrus beginnend, folgen läßt. *) Es wäre nicht unmöglich, daß Enenkel, der ein großes Handschriftenmaterial vor sich hatte, diesen Abschnitt über die Päpste noch direkt aus der alten Chronik schöpfte. Der Dichter der Kaiserchronik aber hat denselben, sei es mit Absicht in Folge der Erstarkung des nationalen Gedankens und der Schwächung des Interesses an der geistlichen Oberherrschaft, sei es unabsichtlich aus Versehen, aus seinem Werke hinweggelassen.

 

Auch auf jene andere Stelle des Prologs, in welcher die Fortführung der Geschichtserzählung „bis auf diesen heutigen Tag“ versprochen wird, fällt durch diese Auffassung des Prologs Licht. Wir haben gesehen, daß unser Dichter seine Chronik keineswegs bis zu der Zeit, in welcher er schrieb, fortsetzte, so daß auch hier ein Widerspruch zwischen dem Prologe und der Kaiserchronik besteht. Gehörte aber auch diese Stelle ursprünglich der älteren Chronik an, aus welcher sie der abschreibende Dichter herübernahm, so begreift sich dieser Widerspruch. Die alte Chronik reichte wirklich bis auf die jüngst vergangene Zeit; dies ergibt sich aus der ungewöhnlichen Wärme, mit welcher ihr Verfasser Lothar und dessen Gemahlin Richenza behandelt hat; indem er die letztere sogar „die sälige kunigin“ nennt, gibt er sich unzweideutig als Zeitgenossen derselben zu erkennen. Die Kaiserin Richenza starb im Jahre 1141; um diese Zeit also wurde die alte Chronik verfaßt.

 

Mit derselben Naivetät, mit welcher unser Dichter die alte

 

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*) Ueber Enenkel siehe Maßmann a. a. O. III, 103 ff.

 

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Chronik in sein Werk aufnahm, hat er aber auch zu derselben Zusätze gemacht, die auf seine Heimat einen sicheren Schluß ziehen lassen. Fälschlich hat man die Entstehung seines Werkes nach Trier verlegt. *) Wird die Stadt Trier in ein paar Stellen hervorgehoben, so rührt dies wahrscheinlich daher, daß unser Dichter auch aus Trier stammende Bruchstücke entweder selbst oder durch Vermittlung seiner Vorlage aufgenommen hat. Nicht wenige unzweideutige Stellen geben aber den Beweis, daß er nur in Baiern zu Hause sein konnte. Er nennt die bairischen Grenzmarken bloß „die marke“, woraus hervorgeht, daß er ihnen nicht allzufern wohnte; so sagt er einmal von denUngarn:

 

16413 durch die marke sie do vuoren.

 

Ebenso sind in folgender Stelle die bairischen Marken gemeint:

 

7041 Herolden den Marcgraven

den sant er nach den Swaben,

daz er in die marke werte.

 

Auch den Böhmerwald bezeichnet er einmal nur als „den walt“:

 

16426 ja rieten sie dem kunige,

er hieze die lantliute

den walt nider riuten.

 

Noch deutlicher verräth ihn folgende Stelle als Anwohner des Böhmerwaldes :

 

17008 die ros sie hie uze liezen.

 

Unter „hie uze“ ist, wie aus den unmittelbar vorhergehenden Versen erhellt, der Böhmerwald verstanden. Vollends den Ausschlag geben folgende Verse:

 

16847 Ein wazzer heizet der Regen,

da rinnet da in neben. **)

 

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*) Maßmann III, 290 ff.

**) Diese Lesart haben die meisten und besten Handschriften. Maßmann hingegen liest: daz rinnet da in eben, und scheint zu verstehen „in der Ebene“. In neben heißt jedoch: neben, nebenan, in der Nähe. So heißt es V. 15716:

 

do sie sich gemisceten gar,

in neben unde hinden sie sie anranten.

 

 

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Nahe am Regen ist also der Wohnort des Dichters; wir können behaupten, daß die Kaiserchronik in der Gegend von Regensburg, wenn nicht in Regensburg selbst, abgefaßt sei. Die Stadt Regensburg tritt in den letzten Theilen des Werkes, die für die Bestimmung der Heimat des Dichters die wichtigsten sind, deutlich genug in den Vordergrund; sie wird dort ungleich häufiger als irgend eine andere Stadt erwähnt. Von Regensburger Persönlichkeiten spricht der Dichter mit bemerkenswerther Ausführlichkeit. Bei Erzählung der Wahl Konrads III. zum Könige heißt es: .

 

17198 der Regensburgäre geriet daz,

der biscof Heinrich,

ein Tiezäre also herlich.

 

Die Bemerkung, daß Bischof Heinrich von den Grafen von Diessen abstammte, hat hier fürwahr wenig Interesse für den Leser und verstößt auch gegen die Gewohnheit des Dichters, seine Personen ohne nähere Charakterisirung einzuführen; sie ist wohl nur eingeschaltet worden, weil der Dichter, der in dem Sprengel des Bischofs lebte, hier Auskunft geben konnte, was sonst nicht der Fall war. Noch beachtenswerther ist sein Bericht über einen früheren Bischof von Regensburg zur Zeit Heinrichs IV.:

 

16521 ze Regensburc was do ein biscof,

von dem saget man jedoch,

geheizen was er Grebehart.

 

Sagt der Dichter hienach, von jenem Bischofe gehe noch jetzt das Gerede, so kann nur das Gerede der Regensburger oder der Leute der nächsten Umgebung von Regensburg gemeint sein.

 

Außer diesen kurzen Andeutungen des Dichters über seine Heimat finden sich in der Kaiserchronik noch größere Abschnitte, die, wie sich zeigen läßt, nur in der Gegend von Regensburg entstanden sein können. Lebte der Dichter in dieser Gegend, so ist begreiflich, wie diese lokalen Sagengeschichten in sein Werk übergegangen sind.

 

Die erste Stelle unter denselben nimmt die merkwürdige Episode über den sagenhaften bairischen Herzog Adelger ein, die mehrere hundert Verse umfaßt. Sie war ursprünglich in Strophen

 

Heinrich Welzhofer, Entstehung der Kaiserchronik. 2

 

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gegliedert, wie aus den zahlreichen, in ihrer jetzigen Gestalt noch vorhandenen acht-, zwölf-, sechszehnzeiligen Absätzen zu entnehmen ist. Scheint sie auch bei oberflächlicher Betrachtung als Stammsage dem gesammten Baiervolke angehört zu haben, so weisen doch ein paar Stellen spezieller auf die Donaugegend. Es kommt nämlich in ihr das in der Nähe von Regensburg liegende Cham vor:

 

7062 da zuo Chamb want er sinen van.

 

Ferner wird V. 7063 ein „burcgravis Wirent“ erwähnt, worunter nur ein Burggraf von Regensburg verstanden werden kann. Diese Stellen beweisen hinlänglich, daß die Sage in der Gegend von Regensburg ihren Ursprung hatte.

 

Der ausgeführten Episode von Adelger stehen die übrigen Einfügungen aus der bairischen Sagengeschichte an Umfang bedeutend nach; dagegen umgibt eine viel dünnere Sagenhülle ihren historischen Kern. Eine in die Geschichte des Kaisers Lothar, des Sohnes Ludwigs des Frommen, eingewobene Sage (V. 15259-15318), in welcher ebenfalls Regensburg so stark hervortritt, daß dort ihre Heimat gesucht werden darf, beruht auf einer bestimmten Thatsache der bairischen Geschichte, nämlich der Vertreibung des Herzogs Eberhard von Baiern durch König Otto. Freilich sind die Namen der betheiligten Personen und die Zeit des Ereignisses in der eigenthümlichsten Weise verrückt worden. Historisch ist das zweimalige Einrücken des Königs in das bairische Herzogthum und die Besiegung und Vertreibung des aufrührerischen Herzogs. Aber um hundert Jahre sind diese Ereignisse in der Zeit zurückgeschoben: nicht mehr ein Sachse, sondern ein Karolinger ist es, der Baiern überwältigt. Dem geschichtlichen Herzog Eberhard gab die Sage in launischer Verkehrung der Personen den Namen seines Besiegers — Otto; in der Einflechtung eines Markgrafen Hermann klingt wohl eine Erinnerung an den wackeren Markgrafen Hermann Billing nach **).

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*) Andere Lesarten sind: Kamphe, Kamb, Kambach, Cambach etc.

**) Sollte Agest (Agrest), wo sich der Herzog auf seiner Flucht nach Griechenland niederläßt, Agram sein?

 

 

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Auch diese Episode war ursprünglich ein strophisch gegliedertes Lied: noch jetzt lassen sich die fünf zwölfzeiligen Strophen, aus denen es bestanden hatte, unschwer erkennen.

 

Eine weitere aus der Regensburger Sagengeschichte entnommene Einschaltung ist die gedrängte Erzählung von dem Martertode des Bischofs Emmeran von Regensburg (V. 15570 — 15596). Der Dichter der Kaiserchronik hat sie mit einem chronologischen Fehler um dritthalb Jahrhunderte an seine Geschichte des Königs Arnulph angehängt. *)

 

Einen besonders lehrreichen Einblick in die Compilationsarbeit unseres Dichters gewährt eine vierte Einschaltung, welche sich in der Geschichte Lothars von Supplinburg findet (V. 17111 —17166); sie erzählt die Begebenheiten der zweiten Heerfahrt Lothars nach Italien. Was die alte Chronik hierüber berichtete, und was Zuthat unseres Dichters ist, läßt sich genau unterscheiden. Zweimal nämlich wird diese Heersahrt in der Kaiserchronik erzählt und zwar in widersprechender Weise. Die erste Erzählung schließt mit der Angabe, daß Herzog Konrad von Schwaben, der, obwohl früher ein Empörer gegen Kaiser und Reich, jetzt des Kaisers Fahne führte, ein Castell zu Bari nach härter Anstrengung erobert habe. Hierauf beginnt nun in höchst auffälliger Weise die Erzählung der ganzen Heerfahrt von Neuem; es wird die Eroberung von Toskana durch Herzog Heinrich den Stolzen, die Einnahme von Monte Cassino und anderer festen Plätze berichtet. Zum zweiten Male wird jetzt die Belagerung des Castells von Bari erwähnt; aber, im Widerspruch mit der ersten Erzählung, ist es nicht mehr der Herzog Konrad, der das Castell belagert und erobert, sondern der Kaiser selbst. Diese zweite Erzählung trägt dieselben Spuren der Einschaltung wie die vorhin aufgezeigten. Auch sie war ehemals ein Lied, das sieben achtzeilige Strophen enthielt. **) Dasselbe

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*) Ueber diese Erzählung handelt Maßmann III, 1055.

**) In den Ausgaben der Kaiserchronik von Maßmann und Diemer stehen zuerst zwei Absätze von je sechzehn Zeilen, dann zwei Absätze von je zwölf Zeilen, woraus sich sieben achtzeilige, dem Sinne nach abgeschlossene Strophen bilden lassen.

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ist aber auch der Gegend von Regensburg entsprossen, wie die in ihm enthaltene kleine Erzählung von der Krieglist der „Abensäre“ beweist. Unter diesen „Abensäre“ können nur die Anwohner der Abens — die Abensberger — verstanden werden; die Bewohner von Abensberg, das damals ein Grafensitz war, dienten ohne Zweifel gleichfalls in dem von Heinrich dem Stolzen nach Italien geführten Heere.

 

Noch ist eine kleine, gleichfalls in der Geschichte Lothars befindliche Stelle zu erwähnen, die einen weiteren Ortsnamen aus der Gegend von Regensburg enthält (V. 17071 ff.). Sie besagt — diese Thatsache wird von keiner der uns erhaltenen lateinischen Quellen berichtet —, daß ein Friedrich von Falkenstein mit Konrad von Schwaben, seinem Lehensherrn, nach Italien gezogen sei. Dieses Falkenstein ist wahrscheinlich das zwischen Regensburg und Cham gelegene Falkenstein, welches um dieselbe Zeit, wie wir aus der Chronik des anonymen Mönches von Weingarten *) erfahren, von Heinrich dem Stolzen, dem gefährlichen Gegner Konrads von Schwaben, nach längerer Belagerung genommen wurde.

 

Haben diese Stellen auf des Dichters nächste örtliche Umgebung Bezug, so finden sich andere, in denen er auch seiner weiteren bairischen Heimat gerecht zu werden sucht. Der Baiern Tapferkeit preist er vor der aller anderen Stämme; auch die Schwaben, Sachsen und Franken leisten Cäsar tapferen Widerstand, doch den härtesten Kampf hat er mit den Baiern zu bestehen:

 

295 Die Swabe rieten Julio,

er kehrte uf die Baiere,

da vil mannic degen inne saz.

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304 sie wereten sich mit grimme:

sie vahten mit im ein volcwic,

neweder e noch sit

gelac nie so manic helit guot.

 

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*) Historia Welforum, Mon. Germ. Scipt. XII, 457 ff.

 

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do was michil not. *)

owie wie guote knehte sie waren.

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321 den sige, den Julius an den Beierin gwan,

den muoste er mit bluote sere geldan.

 

Der Baiernherzog Adelger wird als der größte der deutschen Helden, die gegen Roms Macht gekämpft haben, gefeiert; unter seiner Führung haben die Baiern die römische Herrschaft abgeworfen und „Rom geschändet“; dies läßt der Dichter den von Adelger besiegten Severus ausrufen:

 

7144 „Rome, dich hat Beiere lant

gescendet also sere!

nu ne ruoch ich ze lebene mere!“

 

Auch die Erzählungen von den Einfällen der Ungarn, die vorzugsweise Baiern schwer trafen, dürften als Einschaltungen unseres bairischen Dichters zu betrachten sein; dies gilt namentlich von der lebendigen und ausführlichen Darstellung des Ungarnkrieges unter König Konrad II. (V. 16291—16356).

 

So bedeutend nun die Einwirkung erscheint, welche des Dichters Heimat auf sein Gedicht hervorgebracht hat, so ist doch der Einfluß, den sein Beruf auf die Ausgestaltung des Werkes geübt hat, noch ein ungleich größerer. Als Geistlicher, der unser Dichter unbestreitbar war, mußte er vor Allem auf die Pflege der Heiligengeschichte sein Augenmerk richten. Und in der That treten gegen die Masse der von ihm gesammelten Legenden und frommen Novellen die weltlichen Stoffe weit zurück. Unfähig, den historischen Inhalt der von ihm benützten alten Kaiser- und Papstchronik weseutlich zu erweitern, hat er dieselbe vielmehr als Rahmen zu einem breit angelegten Legendenwerke benützt. Kein Platz war aber für die Sammlung solcher heiligen Geschichten günstiger als die Donaugegend um Regensburg; denn gerade diese geistliche Poesie war bekauntlich nicht lange vor der Zeit, in welcher die Kaiserchronik abgefaßt wurde, auf bairisch-österreichischem Boden

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*) Zu bemerken ist, daß die Verse 304-—308 im Annolied, das sogleich besprochen wird, fehlen, somit sicher vom letzten Dichter herrühren.

 

 

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mit besonderer Vorliebe gepflegt worden; hier fand unser compilirender Dichter eine reichliche nnd mühelose Ernte.

 

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Verhältniß des Annoliedes zur Kaiserchronik.

Besteht auch über den historischen Unwerth des Liedes auf den heiligen Anno *) gegenwärtig kein Zweifel mehr, so wird dieses Gedicht doch noch in ästhetischer Beziehung von Vielen hoch gestellt. Bedeutende Autoritäten der Literaturgeschichte — ein Herder, Wackernagel, Holtzmann — haben es mit begeisterten Lobsprüchen auf die Genialität seines Verfassers zu den vollendetsten Erzeugnissen der deutschen Literatur zu stellen gesucht. Sieht man jedoch von dem eigenthümlichen Reiz ab, den die markige Kraft und der volle Klang der in dem Gedichte noch zahlreich auftretenden altdeutschen Sprachformen auf das Ohr üben, und prüft das Lied in vorurtheilsfreier Betrachtung, so überzeugt man sich schwer von dem Vorhandensein der gepriesenen Vorzüge. Die einfache, fast trockene Sprache, in der es sich durchgängig bewegt, der Mangel jedes lyrischen Schwunges und poetischen Schmuckes läßt es unbegreiflich erscheinen, daß es „eine Pindarische Hymne“ genannt wurde. Seine Anlage, der namentlich Holtzmann nicht genug Bewunderung zollen konnte, kann in Wahrheit nur als überaus mangelhaft bezeichnet werden: nur die zweite kleinere Hälfte des Gedichts handelt wirklich von dem Leben und Wirken des Erzbischofs Anno, während die erstere und größere als unverhältnißmäßig ausgedehnter Eingang auf weitab liegende Gebiete gerathen ist. Um nämlich auf den Erzbischof von Köln zu gelangen, beginnt der Dichter seltsam genug mit der Schöpfung der Welt, dem Abfalle Lucifers von Gott und der Erlösung der Welt durch Christus; in verschrobenem Gedankengang gelangt er hierauf von der Erwähnung

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*) Neuere Ausgaben des Annoliedes gibt es von K. Roth, von Bezzenberger und von Kehrein.

 

 

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der Stadt Köln auf die Gründung der ersten Städte durch Ninus und Semiramis, auf den Traum Daniels von den vier Weltreichen, auf die Geschichte Cäsars und Augustus‘, auf die Geburt Christi und endlich auf die Bischöfe Kölns, deren letzter Anno war. Und wie wenig ist er sich des Widerspruchs bewußt, in welchem diese Schilderungen von Kämpfen, Städtegründungen und Weltreichen mit dem frommen Zwecke stehen, den er durch sein Lob des heiligen Anno verfolgen wollte! Hat er doch in seinen Anfangszeilen gerade gegen jene weltlichen Gesänge, die von alten Helden und Königen erzählen, geeifert und in mönchisch düsterem Geiste zum Nachdenken über Tod und Jenseits aufgefordert (V. 7—18). Durch die Vorführung des Musterlebens des heiligen Anno wollte er zu gleicher Tugend und Frömmigkeit aufmuntern. Stellt man diesem moralischen Zwecke des Gedichts, den der Dichter klar ausgesprochen hat (vgl. auch V. 575 ff.), jene Abschweifungen in die bewegte Geschichte grauer Vorzeit gegenüber, so wird man über des Dichters Gestaltungstalent schwerlich ein günstiges Urtheil aussprechen können.

 

Mit nicht geringem Nachdruck wurde aber auf des Dichters Originalität und gelehrte Bildung hingewiesen. Um ihm diese Vorzüge zu wahren, mußte freilich zuvor sein Lied in eine Zeit versetzt werden, in welcher es von den Werken, mit denen es größere Abschnitte in oft wörtlicher Uebereinstimmung gemeinsam hat, noch nicht beeinflußt sein konnte; mit Einem Worte, es mußte zur Quelle dieser Werke anstatt zur Ableitung derselben, wie früher angenommen war, gemacht werden. Und so gewaltsam dies Verfahren auch war, *) so hat es doch allgemeinen

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*) A. Holtzmann hat sich dieser Aufgabe unterzogen in der Zeitschrift „Germania“, 2. Jahrg. 1857, S. 1 ff. — Diese Abhandlung trägt wohl nicht den geringsten Theil der Schuld an der chronologischen Verwirrung, in welcher die deutsche Literaturgeschichte des elften und zwölften Jahrhunderts gegenwärtig liegt. In dem Bestreben, „den Geschichtschreiber Lambert von Hersfeld in die deutsche Literaturgeschichte einzuführen“, hat er vermittels einer Reihe höchst willkürlicher Hypothesen zwei größere Dichtungen, das Annolied und das Alexanderlied, in die Zeit Lamberts, der ihr Verfasser sein sollte, zurückdatirt. Ohne Prüfung wurden die Vermuthungen des hervorragenden Germanisten beifällig aufgenommen und sofort bezüglich der Geschichte des Reimes und der Sprache Consequenzen gezogen, deren praktische Anwendung zur Datirung der einzelnen Denkmäler keine geringe Umwälzung und Verwirrung der Literaturgeschichte jener Periode zur Folge hatte.

 

 

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Beifall gefunden. Es soll hier versucht werden, der älteren Auffassung, die uns der Wahrheit näher zu kommen scheint als die gegenwärtig geltende, wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen.

 

Die Vermuthung, daß der Geschichtschreiber Lambert von Hersfeld der Verfasser des Annoliedes sei, hat im Liede und in dem Annalenwerke Lamberts nicht den geringsten Anhalt. Ist sie auf sogenannte innere Gründe gestützt worden, so sprechen doch gewichtigere Gründe derselben Art gegen sie als für sie. Vor Allem ist die Auffassung Anno‘s in dem Annoliede und in dem Werke des Historikers eine völlig verschiedene. Lambert gehörte zwar zu den überschwänglichsten Bewunderern des Kölner Erzbischofs und war bestrebt, dessen Vorzüge und Tugenden in das hellste Licht zu stellen; aber dennoch kann er sich nicht enthalten, zu verschiedenen Malen offenen Tadel über ihn auszusprechen. Er ist ohne Zweifel ein Lobredner des Erzbischofs, aber er vergißt nicht, daß seinem Lieblinge auch menschliche Schwächen und Fehler anhaften. Er ist weit entfernt, in ihm den vollkommen tadellosen Heiligen zu sehen, der er im Annoliede ist. Seine Lobrede auf Anno fließt aus der Bewunderung, die er dem außerordentlichen Mann zollt. Der maßlofen Glorificirung des Erzbischofs durch das Lied dagegen ist deutlich der Stempel der Legende aufgeprägt: nicht die geschichtliche Bedeutung des gewaltigen Charakters weiß der Dichter zu würdigen, noch seine menschliche Größe zu bewundern und zu preisen, er kennt nur seine geistliche Frömmigkeit und Heiligkeit, die Visionen, die er gehabt, und die Wunder, die er vollbracht. Könnte es ferner von einem Manne wie Lambert geglaubt werden, daß er zum Zwecke der Herstellung eines deutschen Gedichts eine Anzahl von Stellen seines lateinisch geschriebenen Annalenwerkes wörtlich übersetzt hätte?

 

 

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Denn geradezu wörtlich stimmen mehrere längere Stellen des Gedichtes und der Annalen überein. *) Ebenso unwürdig eines Lambert wäre endlich eine naive Angabe des Liedes, wonach dem Erzbischof zur Anerkennung seiner trefflichen Reichsverwaltung reiche Geschenke aus Griechenland, England, Dänemark, Flandern und Rußland zugeflossen seien; nur der Einfalt des gemeinen und geschichtsunkundigen Mannes konnte sich eine solche Erklärung der großen Reichthümer Anno‘s aufdrängen.

 

Der Dichter des Annoliedes hat aber nicht unmittelbar aus den Annalen Lamberts geschöpft, sondern aus der Vita St. Annonis, welche die übereinstimmenden Stellen fast wörtlich jenen Annalen entnommen hatte. **) So unbestritten diese Annahme früher war, ebenso abgethan erscheint sie gegenwärtig. Man hat darthun wollen, daß nicht die Vita St. Annonis vom Annoliede, sondern umgekehrt das Annolied von der Vita ausgebeutet sei. ***) Aber eine Ausschreibung eines deutschen Liedes durch einen lateinisch schreibenden Autor ist an sich schon höchst unwahrscheinlich und ohne Beispiel in der damaligen Zeit. Auf der anderen Seite besitzen wir einen unwiderleglichen Beweis der Abhängigkeit des Liedes von der Vita in dem Umstande, daß in der letzteren mehrere Begebenheiten aus dem Leben Anno‘s viel detaillirter erzählt werden als im Liede, das wie ein Auszug der Vita erscheint. Namentlich wird die Vision des Liedes V. 695——710 in der Vita mit manchen Einzelnheiten berichtet, die der Dichter, dem es nur um eine kurze Anführung des Wunders und nicht um die Feststellung der Einzelnheiten desselben zu thun ist, hinweggelassen hat. ) Fügt er aber den in

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*) Holtzmann wollte die wörtliche Uebereinstimmung läugnen und nur eine Verwandtschaft der Gedanken zugeben; indessen zeigen die in Bezzenberger‘s Ausgabe des Annoliedes zusammengetragenen Parallelstellen die wörtliche Uebereinstimmung augenfällig.

**) Lamberti Hersfeldensis Annales, Mon. Germ. Script. V, 134 ff. Vita S. Annonis, Mon. Germ. Script. XI, 462 ff.

***) Holtzmann, a. a. O. S. 15 ff.

†) Vgl. Holtzmann, a. a. O. S. 19 ff.

 

 

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der Vita fehlenden Umstand hinzu, daß der Erzbischof während der Vision so schwer geworden sei, daß man sechszehn Pferde vor seinen Wagen spannen mußte, so ist darin nur eine dem Dichter selbst angehörende Uebertreibung und plumpe Ausschmückung, keineswegs aber „ein sehr wesentlicher Umstand“ der Vision zu suchen. Vergleicht man endlich die Tendenzen der beiden Werke so schwindet der letzte Zweifel über ihr wahres Verwandtschaftsverhältniß. Der Verfasser der Vita wollte Anno‘s Tugenden und Wunder ausführlich darstellen, um die Zweifler an seiner Heiligkeit, deren es damals noch gar viele gab, zum Schweigen zu bringen; Anno lag noch zu kurze Zeit im Grabe, als daß die schlimmen Seiten seines Charakters von der Welt schon vergessen gewesen wären. Der Dichter des Liedes dagegen kennt seine Heiligkeit nur als eine bereits allgemein geglaubte und unbestrittene, und kann dieselbe schon zu einer moralischen Nutzanwendung verwerthen. Er braucht deßwegen nicht mehr zum Beweise seiner Aussagen alle Namen der Personen und Orte, welche in seinen Wundergeschichten eine Rolle spielen, auszuführen. Er braucht auch nicht mehr wie die Vita sämmtliche Wunder, die ihm von Anno bekannt waren, aufzuzählen und möglichst eingehend darzustellen, da es keine Zweifel mehr zu beschwichtigen gibt. So erklärt es sich, daß sich das Lied schon mit der ersten ihr von der Vita dargebotenen Wunderthat Anno‘s begnügt, ohne der übrigen auch nur vorübergehend Erwähnung zu thun.

 

Es fällt sonach die Annahme, daß das Annolied schon um das Jahr 1080 verfaßt sei, *) da seine Quelle, die Vita, selbst erst im Jahre 1105 vollendet wurde. Von der Versetzung in so frühe Zeit hätte schon das Eingangswort des Liedes abhalten sollen:

 

Wir horten ie dikke singen

von alten dingen,

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*) Holtzmann‘s Datirung, a. a. O. S. 21. Auch Gewinus hat sie in der fünften Auflage seiner Geschichte der deutschen Dichtung I, S. 266 angenommen.

 

 

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wi snelle helide vuhten,

wi si veste burge brechen,

wi sich lieb in vuiniscefte schieden,

wi riche kunige al zegiengen.

 

Diese Stelle paßt auf keine Zeit weniger als auf die Mitte und das Ende des elften Jahrhunderts. Damals war der Heldengesang in Dentschland fast völlig verstummt, wie wohl nie zuvor oder nachher; er erhob sich wieder in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, auf welche Zeit auch der Verfasser des Liedes zu deuten scheint.

 

Gibt man aber die Abhängigkeit des Liedes von der Vita zu, so kann von einer Originalität des Dichters nicht mehr die Rede sein. Sein Loblied auf Anno ist kaum mehr als eine Uebertragung mehrerer Stellen der Vita in deutsche Reimverse. Selbst jene berühmte Stelle, in welcher in kurzen zutreffenden Zügen die aus dem Investiturstreit hervorgehenden Wirren geschildert werden, findet sich in der Vita mit den fast wörtlich entsprechenden lateinischen Ausdrücken. Ebenso wenig besaß der Dichter die vermuthete gelehrte Bildung, die ihn seine Ausdrücke unmittelbar römischen Klassikern entnehmen ließ; er kann sich nicht Lucan, Tacitus, Boethius und Andere zum Vorbild genommen haben, da er nur das Latein der Vita, die, wie die meisten mittelalterlichen Werke, auch Ausdrücke aus alten Autoren enthält, in deutsche Verse umsetzte. *)

 

Es bleibt noch jener im Annolied unpassend eingeschobene weltgeschichtliche Abschnitt zu betrachten. Derselbe findet sich bekanntlich mit etwas veränderter Ordnung der einzelnen Theile in der Kaiserchronik wieder. Welchem von beiden Werken er nun ursprünglich angehört hat, ist eine lebhaft behandelte Streitfrage geworden. Nahm man früher an, daß er vom Dichter des Annoliedes der Kaiserchronik entlehnt sei ***), so ist in neuerer

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*) Nach dem Vorgange Holtzmanns hat Carnut in „Germania“ 14, 74 ff. den angeblich klassischen Quellen des Dichters nachzugehen gesucht.

**) Lachmann, Maßmann, Bezzenberger u. A. Sie ließen das Annolied erst 1183, zur Zeit der Heiligsprechung Anno‘s und der Erhebung seiner Gebeine, verfaßt sein.

 

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Zeit hiegegen eingewandt worden, daß das Annolied wegen seiner sprachlichen Beschaffenheit für älter zu halten sei und demnach die Quelle der Kaiserchronik sein müsse. Lag es aber dem Dichter der Kaiserchronik vor, warum wird in derselben nicht einmal der Name Anno‘s erwähnt? Wäre es glaublich , daß er dem Annoliede nur eben jenen Abschnitt entliehen hätte, ohne von dem eigentlichen Inhalte des Liedes die geringste Notiz zu nehmen? — Es ist aber noch die dritte Annahme möglich, daß Annolied und Kaiserchronik aus gemeinsamer Quelle geschöpft haben. Diese Annahme erscheint uns als die zutreffende, und in der alten deutschen Chronik, welche die Grundlage der Kaiserchronik war, erblicken wir die gemeinsame Quelle. Denn nur in einer Weltchronik kann jener historische Abschnitt, der im Annoliede so störend und ohne inneren Zusammenhang mit dem Vorhergehenden und Nachfolgenden steht, seine ursprüngliche Stelle gehabt haben. Aus der alten Chronik hat ihn der Dichter des Annoliedes ohne Gefühl für das Ungereimte seiner Compilation wörtlich entnommen. Insbesondere in folgender Stelle verräth er sich als Abschreiber:

 

Annolied. Kaiserchronik.

443 Dü ward diz heristi volcwjg 499 Da wart der herteste volcwic

also diz büch quit, als iz buoch noch quit,

dez in disim merigarten der in diseme meregarten

ie geurumit wurde. ie gevrumet mohte werden.

 

Die zweite dieser Zeilen ist nicht als eine Berufung auf eine Quelle, ein „buch“, wie sie die Dichter des Zeitalters liebten, aufzufassen; denn es ist eine Eigenthümlichkeit des Dichters des Annoliedes, daß er, so gewissenhaft er auch abschreibt, doch nirgends durch eine Berufung auf seine Quellen seine Abhängigkeit von denselben hervortreten läßt. Aus dem Zusammenhange und der Vergleichung dieser Stelle mit der gleichlautenden in der Kaiserchronik geht vielmehr hervor, daß hier also, wie häufig, ein Relativ vertritt und diz nicht Artikel, sondern Pronomen ist: „Da war der größte Kampf, den dieses Buch erzählt (= als dieses Buch noch einen erzählt)“. Vergessend, daß sein Buch nicht von Schlachten handelt, hat hier der Dichter einen

 

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Vers abgeschrieben, der nur in der Weltchronik an seinem Platze ist.

 

Ist das Annolied von der alten Chronik abhängig, so wäre zu schließen, daß es nach dieser, also nach 1140, um welche Zeit wir sie entstanden sein ließen, verfaßt sei. Gegen seine Ansetzung in so späte Zeit möchten aber Manche die Alterthümlichkeit seiner Sprachformen einwenden. Doch kaum läßt es sich rechtfertigen, daß bei Datirung von Werken des elften und zwölften Jahrhunderts soviel Gewicht auf ihre sprachliche Beschaffenheit gelegt wird, wie gegenwärtig zu geschehen pflegt. Es ist wohl anzuschlagen, daß in dieser Periode die Formen der deutschen Sprache eine beispiellos rasche Entwicklung durchliefen, so daß leicht zur selben Zeit ein Gedicht mit neueren und ein anderes mit älteren Sprachformen entstehen konnte, da schwerlich in allen Territorien die Umbildung der Sprache den gleichen Schritt einhielt und selbst auf demselben Gebiete sich nicht jeder Dichter sofort die neuen Formen aneignen mochte. Es soll indessen nicht geläugnet werden, daß der bedeutende sprachliche Unterschied, der zwischen dem Annoliede und der Kaiserchronik besteht, es nicht unbedenklich erscheinen läßt, die beiden Werke in fast gleiche Zeit zusammenzurücken. Ja der That aber könnte ohne Zwang das Annolied anstatt der Mitte des zwölften Jahrhunderts dem Anfange desselben zugetheilt werden. Es braucht nur angenommen zu werden, daß die alte Chronik in ihrem ganzen Umfange nicht erst um 1140 entstanden sei, sondern in ihren vorderen Theilen, die im Annoliede allein benntzt sind, schon eine geraume Zeit vorher existirt habe. Für diese Vermuthung haben wir als bedeutenden Anhalt eine mitten in unserer Kaiserchronik nach der Geschichte des Kaisers Constantin und des Papstes Sylvester befindliche Schlußstelle:

 

10634 Swer daz liet virnomen habe,

der sol ein pater noster singen

in des heiligen geistes minne

ze lobe sancto Silvestro dem heiligen herren

unde ze Wege sinir armen sele,

der des liedes allir erist began.

 

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Mit diesem Epiloge scheint die ursprünglichfte Chronik geschlossen zu haben; diese hätte sonach nur die Geschichte der römischen Kaiser umfaßt und die um 1140 verfaßte Chronik wäre nur eine Fortsetzung von ihr. *) Hat diese römische Kaisergeschichte schon um das Jahr 1105, wo die Vita S. Annonis verfaßt wurde, existirt, so kann auch das Annolied noch in dem ersten oder zweiten Jahrzehnt des zwölftenJahrhunderts entstanden sein.

 

Diese Annahme, daß nicht weniger als drei, immer durch ein Menschenalter von einander getrennte Dichter, die etwa um 1100, um 1140 und um 1170 schrieben, an unserer Kaiserchronik gearbeitet haben , erscheint weniger komplicirt, wenn man den bedeutenden Umfang der Kaiserchronik, sowie die konservative Methode der damaligen Dichter, den überkommenen Werken in ihren eigenen einen breiten Platz einzuräumen, in Erwägung zieht. Es ist auch in Anschlag zu bringen, daß schon die reißende Sprachumwandlung derartige mehrmalige Ueberarbeitungen eines volksthümlichen Werkes erheischte. Mag übrigens das Annolied schon bald nach 1105 oder, falls wir mit der Annahme einer dreifachen Reduktion der Kaiserchronik Unrecht haben, erst um 1140 entstanden sein: dies steht wohl fest, daß es nicht mehr dem elften Jahrhundert, sondern der ersten Hälfte des zwölften angehört.

 

Aus der älteren Chronik, der Grundlage der Kaiserchronik, hat endlich noch ein drittes Gedicht, das sogenannte Loblied auf den heiligen Geist, als dessen Verfasser sich ein Priester Arnold nennt, geschöpft. **) In diesem Gedichte, einer seltsamen Compilation von überallher entlehnten Bruchstücken, findet sich nämlich ein geschichtlicher Abschnitt über Kaiser Augustus,

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*) Holtzmann hat die Stelle als den Schluß eines ursprünglich selbständigen Werkes über Sylvester gefaßt. Da sie jedoch nicht unmittelbar nach der Sylvesterlegende, sondern erst nach der Angabe der Regierungsjahre Sylvesters steht, so kann sie nur von einem Verfasser der Chronik herrühren.

**) Diemer, Deutsche Gedichte des elften und zwölften Jahrhunderts, S. 333 ff. — Die sich entsprechenden Stellen (Kaiserchr. V. 625—664 und Diemer S. 349—350) sind bei Maßmann III, 258 ff. zusammengestellt. Zu vergleichen noch Müllenhof und Scherer, Denkmäler, 2. Aufl. S. 458,

wo behauptet wird, daß die Kaiserchronik aus dem Lobliede geschöpft habe.

 

 

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der, obwohl er mit geistlichen Anwendungen versehen ist und die Einzelnheiten in anderer Reihenfolge erzählt als die Kaiserchronik, doch sonst wörtlich gleichlautend in dieser steht. Der Umstand aber, daß er im Lobliede einzelne ältere Formen als in der Kaiserchronik enthält, läßt annehmen, daß er nicht aus der letzten Bearbeitung der Kaiserchronik, sondern aus einer früheren entnommen sei. Ohne äußere Veranlassung und zum Schaden seines Gedichts hat der Priester Arnold diese, wie manche andere fremdartige Stelle aufgenommen und uns dadurch einen neuen Beweis für die Existenz jener alten Chronik hinterlassen.

 

Hingegen scheinen die in jüngster Zeit veröffentlichten Fragmente eines altdeutschen Gedichts *) in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Kaiserchronik zu stehen **); nur im Ausdrucke klingen sie manchmal an dieselbe an, wie zum Beispiel:

 

Fragment. Kaiserchronik.
35 Ther grimmo kundig Nero 4148 Do sprach Nere
ther zo Roma was herro. der grimmige herre.

 

Ihren Gegenstand aber behandeln sie wesentlich anders als die Kaiserchronik. Auch dürfen sie in Anbetracht ihres sehr alterthümlichen Sprachcharakters unbedenklich noch dem elften Jahrhundert, in welches die Anfänge der Kaiserchronik schwerlich zurückreichen, zugetheilt werden.

 

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Die lateinischen Unterlagen der Kaiserchronik.

Vor dem Eindringen der französischen und britischen Dichtungen in Deutschland stand unsere Poesie bekanntlich unter dem unbeschränkten Einflusse der gleichzeitigen lateinischen Literatur.

Auf lateinischer Unterlage ruhen ohne Zweifel die meisten deutschen Werke des elften und zwölften Jahrhunderts. Nicht eine Volksdichtung im modernen Sinne war es demnach, womit

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*) O. Schade, Fragmenta carminis theodisci veteris.

**) Gervinus vermuthete einen solchen. I, 257.

 

 

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die erste Blütheperiode der deutschen Literatur eingeleitet wurde, nurVolksdichtung insofern, als wieder in der nationalen Sprache gedichtet wurde, sonst aber können die Dichter des Zeitalters eher gelehrte Dichter heißen, da sie Stoffe, Gedanken, ja sogar Ausdrücke der lateinischen Literatur und Sprache, zu deren Verständnis; sie schon ein gewisses Maß gelehrter Bildung besitzen mußten, entlehnten.

 

Auch in der Kaiserchronik sind die Spuren ihres lateinischen Ursprungs deutlich bemerkbar. Sie enthält nicht nur eine Menge lateinischer Worte und Namen, sondern sogar ganze Verse in

lateinischer Sprache, wie zum Beispiel:

 

6191 Der vil grimme Decius

furore repletus

er hiez in allen gahen

den guoten sanctum Sixtum vahen

an sente Peters stuole.

 

Bereits sind von Maßmann, dem Erklärer der Kaiserchronik, für einzelne Verse die entsprechenden lateinischen Texte nachgewiesen worden. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit ist auch dessen Vermuthung, daß die Kaiserchronik, wenigstens in ihren vorderen Theilen, auf einer größeren, in lateinischer Prosa geschriebenen, sagenhaften Geschichte der römischen Kaiser beruhe. Aus diesem fabelhaften Werke hätte alsdann auch der Fortsetzer der Gesta Trevirorum *), der um 1130 schrieb, den Abschnitt über Julius Cäsar, der sich in der Kaiserchronik völlig gleichlautend findet, geschöpft. Da sich derselbe hiebei aus eine „gallica historia“ **) beruft, so könnte diese „historia“ auch die ursprüngliche Grundlage der Kaiserchronik sein.

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*) Mon. Germ. Script. VII, 130 ff. Maßmann III, 303 ff. 319 ff. Nicht schon in der Bearbeitung der Gesta Trevir. von 1101, wie Maßmann meint, sondern erst in der Umarbeitung derselben von 1130 finden sich die den Versen der Kaiserchronik entsprechenden Stellen.

**) „sicut gallica narrat historia“. Unter „gallica historia“ ist wohl nicht ein so betiteltes Werk, sondern eine in Frankreich entstandene Geschichte zu verstehen.

 

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Für den weitaus größten Theil der Kaiserchronik besitzen wir die lateinischen Qnellen nicht mehr; wir haben sie nur für die letzten Abschnitte, in welchen die geschichtliche Wahrheit aus dem immer dünner werdenden Gewirr von Sagen und Fabeln deutlicher hervortritt, die Kaiser in der richtigen Reihenfolge aufgezählt und nicht wenige Thatsachen mit geschichtlicher Genauigkeit erzählt werden. Keineswegs eine bloß mündliche Ueberlieferung und die in den Nachkommen fortlebende Erinnerung an die jüngst verflossenen Jahrhunderte hat den letzten Theilen den Ursprung gegeben, sondern auf Grund vornehmlich Einer lateinischen Chronik entstand die erste in deutscher Sprache geschriebene Kaisergeschichte. Diese lateinische Chronik ist keine andere als die kleine Würzburger Chronik, deren weitreichender Einfluß auf die deutsche Annalistik des elften und zwölften Jahrhunderts schon früher theilweise erkannt war.

 

Das Chronicon Wirziburgense *) ist in seinem weitaus größten Theile nur ein Auszug aus der Chronik des bekannten Hermann von Reichenau; erst zu den Jahren 1055—1057 gibt es selbständige und werthvolle Nachrichten. Sein Inhalt ging auf direktem und indirektem Wege in eine Reihe späterer Annalenwerke über, unter welchen die große Weltchronik des Ekkehard von Aura das bekannteste ist. Aus der Vergleichung dieser abgeleiteten Werke ist nachgewiesen worden, daß es einst bis zum Beginne des zwölften Jahrhunderts gereicht hatte, während es in der erhaltenen Gestalt bereits mit dem Jahre 1057 schließt. **)

 

Wir wagen nicht zu behaupten, daß der Dichter der alten, um 1140 verfaßten Kaiserchronik unmittelbar aus der Würzburger Chronik geschöpft habe. Denn die letztere enthält eine Menge Angaben, die in der ersteren fehlen, und andererseits meldet auch die Kaiserchronik einige Thatsachen, von welchen die lateinische Quelle nichts weiß. Leicht möglich wäre es daher,

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*) Mon. Germ. Script. VI, 17 ff.

**) Vgl. v. Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit III, 1010. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, 3. Aufl. II, 133.

 

Heinrich Welzhofer, Entstehung der Kaiserchronik. 3

 

 

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daß noch ein oder zwei andere verlorene Werke den Weg zwischen Würzburger und Kaiserchronik vermittelt hätten. Gewiß aber ist, daß die beiden Chroniken in nahem Verwandtschaftsverhältniß stehen. Dies soll im Nachfolgenden gezeigt werden.

 

Die Uebereinstimmung der beiden Chroniken beginnt mit der Geschichte Ludwigs des Deutschen. Dessen Brüder, welche die Kaiserchronik noch am Schlusse ihrer Geschichte Lothars behandelt (V. 15319—15330), zählt die Würzburger Chronik erst in ihrer Ueberschrift zur Geschichte Ludwigs des Deutschen, jedoch in derselben Reihenfolge, auf, so daß hier die erste Uebereinstimmung zu erkennen ist: Annus Domini 841. Ludewicus, Ludewici filius, cum fratribus Lothario, Karolo et Pippino annos 36. Von den übrigen Angaben der Würzburger Chronik über Ludwig sind nur folgende in die Kaiserchronik übergegangen:

 

15333 Daz riche besaz do Ludewic.  1. — Bellum inter fratres de par-
do huop sich michil strit.  titione regni exanduit.
Karl unde Pippin  
die gebiegen undir in.  
15351 do quamen zeichen von hi- 28. Terremotus facta est, et co-
mele, meta visa est.
daz dem richen kunige 32. — Wormatium fulminis ictu
geswichen alle sine man. crematur.
Wurmeze die stat virbran  
von einer donrestrale etc.  

 

Was hierauf V. 15363—15402 erzählt wird, hat mit der Würzburger Chronik keine Berührung. Auch die beiderseitigen Darstellungen Karls des Dicken zeigen sich nur in ihrem Anfange und in ihrem Schlusse verwandt:

 

15409 Alse Ludewic von der we- Annus Domini 877. Karolus, ju-
relde virschiet, nior filius Ludewici, cum fra-
dri sune er virliez: tribus Karlmanno et Ludewico
Karlen den mären, ann. 11.
Ludewigen den kuonen,  
der dritte hiez Karleman.  

 

 

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15531 Karl nerihte ouch nimmere. 11. Karolus imperator vivus dimi-
eilf jar was er herre. sit regnumm.

 

Zwischen diesen beiden Stellen ist eine, wie es scheint, ursprünglich strophisch gegliederte Episode, die durch eine Feuerprobe erwiesene Unschuld der Gemahlin Karls betreffend, eingeschoben; in der Würzburger Chronik findet sich hierüber keine Andeutung.

 

Zahlreicher sind die Uebereinstimmungen in den Darstellungen der folgenden Kaiser. Zur deutlicheren Veranschaulichung des Verhältnisses der beiden Chroniken, der Art ihrer Uebereinstimmung und Abweichung, seien hier ihre beiden Behandlnngen der Geschichte Arnulfs gegenübergestellt:

 

15533 Ein vurste was in den ziten, Annus Domini 888. Arnolfus, filius
den lobete man witen, Karlmanni, ann. 12.
geheizen was er Arnolt.  
die vursten waren im willic  
unde holt.  
der was Karlemannes sun.  
sie sprachen was sie baz  
mohten getuon.  
An dem allir ersten jare, 1. Karolus junior imperator obiit.
saget daz buoch zeware, Luitperto archiepiscopo Sunder-
ze Wurzeburc was ein bischof olt successit. 3. Idus Jul. Arn
unde was dicke in des ku- Wirciburgensis episcopus in Sa-
niges hof. xonia occisus est inter missarum
zuo Sachsen er in do sante. sollemnia; sedit ann. 36, m. 7.,
Ir uebele er wol irkante. d. 12. *)
daz gotis Wort er in do  
vorsprach  
daz was dem liute ungemach.  
der biscof hiez Arn.  
der ward ob dem altare  
irslagen,  
alse er den segen sprach.  
hei wie tiure in der kunic  
sit rach.  

 

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*) Diese Angabe über Bischof Arn ist eine der wenigen eigenen Zuthaten des Würzburger Chronisten zu dem Aussage des Hermannus Contractus.

3*

 

 

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Der kunic twanc do die 3. Arnolfus rex exercitum Nord-
Nordman. mannorum prorsus delevit.
sam tet er Italiam, 4. Ratispona incendio flagrat.
daz sie romeskeme riche 6. Sunderolf a Normannis occi-
dienden immer mer mit vlize. ditur. Pro quo Hatto.
Bi des kuniges Arnoldes 8. Arnolfus Italiam Burgundiamque
ziten suo regno subjecit.
der hunger huop sich witen. 9. Arnolfus rex Romam veniens
die erdo was so harte be- imperator efficitur.
der liute wolden alle ein 11. Magna fames homines se in-
ander ezzen. vicem comedere persuasit.
Die Ungern vuoren do ubir 12. Arnolfus imperator obiit. Gentes
lant. Pannonicae, quas Ungarios dici-
Daz der kunic mit gote wol mus, Italiam depopulantur.
ubirwant.  
Der Hunen ward vil irslagen.  
sie muosen schontliche wi-  
der varn.  
Der kunic vuor do se  
Rome.  
der babes Formosus segende  
im die krone.  
ja sprachen Romäre,  
daz er guot rihtäre wäre,  
wande er die Hunen vluhte  
twanc.  
des siges sagten ihm Ro-  
märe dank.  

 

In der Kaiserchronik folgt nun die schon besprochene Erzählung vom heiligen Emmeran — eine Einschaltung des letzten Bearbeiters der Kaiserchronik, wie sich auch wirklich in der Würzburger Chronik keine Andeutung findet, die zu derselben den Anlaß gegeben haben könnte.

 

In der Geschichte Ludwigs des Kindes erzählt die Kaiserchronik einige Begebenheiten ausführlicher als die lateinische Quelle. Die Ueberschrift der letzteren zwar: Annus Domini 900.

Ludowicus, Arnolfi filius, admodum puer ann. 12. entspricht

 

 

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völlig den Versen 15597—15602. Die folgende Angabe aber: 1. Ungarii Baioariam ingrediuntur, et plus mille ex eis occiduntur hat die Kaiserchronik in der Weise erweitert, daß sie den jungen König Ludwig am Flusse Ens diesen Sieg gewinnen und achttauseud Ungarn bei demselben fallen läßt (V. 15603—15618). Die von der Würzburger Chronik zum zweiten und sechsten Jahre angegebenen Ungarnkriege läßt sie aus, setzt dagegen, die chronologische Ordnung verwirrend, den von jener zum achten Jahre berichteten siegreichen Einfall der Ungarn in das vierte Jahr (V. 15633—15638); sie bemerkt hiebei, die Niederlage der Baiern sei am Inn geschehen, während es dort nur heißt: Baioarii ab Ungariis interficiuntur. Noch vorher behandelt sie die Fehde zwischen dem Frankenherzog Konrad und dem Babenberger Adalbert mit komischer Verwechslung der Namen:

 

15619 Ein vurste hiez Kuonrat, 7. Pugna inter Adalbertum, fratrem
alse da gescriben stat, eorum, et Cuonradum, fratrem
der hete einen bruoder, hiez Ludewici imperatoris, committi-
Ludewic. tur, in qua Chuonradus occiditur.
die gerumeten insamt einen  
strit.  
von den zwein herren  
huob sich ze Beieren mi-  
chil werren.  
Kuonrat irslagen lac.  
der kunic Ludewic in rach.  

 

Die übrigen Angaben der beiden Chroniken entsprechen sich ziemlich genau; dieWürzburger Chronik fährt fort: 8. — Adalbertus perfidia Hattonis archiepiscopi et cujusdam Luitpoldi deceptus, Ludowico jubente decollatur (Kaiserchronik V. 15627—15632, worin Adalbert zu einem Bischof gemacht wird). 9. Ungarii Saxoniam et Turingiam vastant (Kaiserchr. V.15640 ff.). Luitpoldus occiditur. 10. Ungarii Alemanniam petunt (Fehlt in der Kaiserchr.). 11. Bellum Francorum cum Ungariis (Kaiserchr. V. 15643 ff., wo noch eine Schlacht bei Frankfurt angegeben wird). 12. Ludewicus rex moritur, Burchardus dux occiditur (Kaiserchr. V. 15657 ff.).

 

 

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Des übersetzenden Dichters Ungeschicklichkeit und sein übles Verständniß seiner lateinischen Quelle zeigen auch die ersten Verse über König Konrad, worin er den Babenberger Adalbert und den von diesem erschlagenen Konrad als noch gar nicht erwähnte Personen einführt (V. 15667—15678); die entsprechende Stelle der Würzburger Chronik lautet: Annus Domini 912. Cuonradus, filius Cuonradi illius, quem Adalbertus Babenbergensis interfecit, in regnum elevatus regnavit ann. 7. Die folgenden Worte: 1. Ungarii ab Alamannis et Baioariis juxta fluvium Ine occidunctur sind in der Kaiserchronik zu einer größeren Schilderung ausgedehnt (V. 15681—15726). Dagegen fehlt bei ihr, was die Würzburger Ouelle zum zweiten und zum fünften Regierungsjahre Konrads berichtet, es folgt sofort der Rachezug der Ungarn (V. 15741—15754), über welchen dort angegeben ist: 6. — Basilea ab Ungariis destruitur. 7. Ungarii per Alemanniam, Alsatiam regnum Lotharii invadunt. Die in der Kaiserchronik folgende ungeschichtliche Erzählung von König Konrads Krankheit und Regierungsunfähigkeit hat in der lateinischen Chronik keinen Anhalt. Uebereinstimmung herrscht jedoch wieder in den beiderseitigen Angaben über Erchanger und Berthold: 6. Erchenger dux et Bertholdus germani frates decollantur 12. Kal. Febr. (Kaiserchr. 15769 ff.).

 

Auch in der Geschichte Heinrichs I. stellt die Kaiserchronik die Ungarnkämpfe in den Vordergrund. Sie macht sogar aus der ganzen Regierung dieses Königs nur einen einzigen großen Ungarnkrieg, indem sie die in der Würzburger Chronik zum achten und fünfzehnten Jahre angegebenen folgenden Kriege in einen einzigen zusammenzieht (V.15787—15840): Ungarii totam Franciam, Galliam, Alsatiam atque Alamanniam gladio et igne devastant. Burchardus dux occiditur. — 15. Heinricus Ungarios in Suirbia interfecit (Kaiserchr. V.15824: „ze Sworben“). In diesen einzigen Ungarnkrieg der Kaiserchronik ist der Name Herigers, den die Würzburger Chronik beim elften Jahre, und der Normannenkrieg, den dieselbe beim dreizehnten Jahre erwähnt, verflochten (V. 15802 ff.): 11. Heriger archiepiscopus obiit. -— 13. Heinricus regem Abodritarum et

 

 

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Nordmannorum christianum fecit. Auf den Ungarnkrieg läßt die Kaiserchronik die unhistorische Romfahrt Heinrichs und endlich den Böhmenkrieg folgen, welch letzteren die lateinische Chronik schon zum zwölften Jahre angibt: 12. Heinricus rex Poemiam petit.

 

Auffallend ist die Abweichung beider Chroniken in der Behandlung Otto‘s I.; hier ist ihnen nur ein einziges Ereigniß, abermals ein Ungarnkrieg, gemeinsam: 19. Ungarii totam Baioariam depopulantur, juxta Augustam Alamanniae urbem ab Otthone rege pugna victi, immensa caede necantur (Kaiserchr. V. 15937—15977). *) Die Kaiserchronik weiß sonst nur einen Krieg gegen Mailand (V. 15873—15936) und die Stiftung des Erzbisthums Magdeburg (V. 15982 ff.), wovon die Würzburger Chronik nichts enthält. Gleichwohl hat letztere Otto‘s Regierung mit weit größerer Ausführlichkeit behandelt, indem sie fast zu jedem Jahre dieser langen Regierung eine Begebenheit berichtet.

 

Große Uebereinstimmung dagegen zeigen die beiderseitigen Behandlungen Otto‘s II. und Otto‘s III. Die erste Angabe der Würzburger Chronik über Otto II.: 8. Otto imperator, apud Galabriam occiso a Grecis exercitu, de navi exiliens, aufugit hat die Kaiserchronik zu einer großen Erzählung, die ihre ganze Geschichte Otto‘s II. ausmacht, ausgedehnt. Ihre letzten Verse über Otto‘s II. Tod und Bestattung beruhen auf der zweiten und letzten Angabe der Würzburger Chronik:

9. — Otto imperator Romae 6. Idus Dec. moritur et sepelitur. Die Ueberschrift zu Otto III.: Otto tercius, Otthonis secundifilius, admodum puer, ann. 18 entspricht den Versen 16079—16083. Der Würzburger Bischof Huc, von welchem die Würzburger Chronik nur den Sterbetag angibt: 6. 4. Kal. Sept. Huc Wirciburgensis episcopus obiit ist vom Dichter (V. 16115 ff.) in eine Geschichte von Dieterich und Willehalm

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*) V. 15958: sente Uodalrich der heilige herre steht wohl in Verwandtschaft mit der Stelle: 38. -— Sanctue Oudalricus obiit anno episcopatus sui 50.

 

 

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verflochten, von welcher jene nichts weiß. Die Geschichte vom Tode des heiligen Adalbert (V. 16135 ff.) fußt hinwiederum auf der selbständigen Nachricht der Würzburger Chronik: 11. Sanctus Adalbertus episcopus de Praga civitate a Prucis martyrio coronatur; ebenso entspricht der Angabe der Bestattung Otto‘s (V. 16156): 18. — cujus intestina Augustae, reliquum corpus Aquisgrani sepelitur.

 

Konnten wir bisher nur die Würzburger Chronik als Grundlage der Kaiserchronik nachweisen, so bemerken wir in deren Darstellung Heinrichs II. neben jener noch eine zweite Quelle — die Chronik Ekkehard‘s *) verarbeitet. Noch aus der Würzburger Chronik stammen in diesem Abschnitte folgende Stellen:

 

16157 Die vursten lobeten do ge- Heinricus dux Boiariae rex effec-
liche tus ann. 23, m. 2.
einen Heinrichen (Bei Ekkehard hingegen heißt es:
— — — annis 23 ac mensibus 5 regnavit.)
er was der Beiere herzoge etc.  
16255 Do wonete guotliche  
der keiser an dem riche,  
daz saget daz buoch vurwar,  
driu unde Zwenzic jar  
unde zweir mande mere.  
16184 die Beheim unde die Polan 3. Heinricus rex Italiam, Boemiam
mit michelen arbeiten et Bolizaum ducem cum omni
betwanc er zuo der kristen-  gente Sclavorum subjugavit.
heite  
und alle windiske Zungen.  
16221 er huop sich ze Rome, 13. Heinricus Romae imperiali be-
do wihete in scone nedictione coronatur a Benedicto
der babes Benedictus. papa.
do ladete in der keiser ze hus  
in die stat ze Babenberc,  
daz er da gestätigte sit werc.  

 

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*) Mon. Germ. Script. VI, 1 ff.

 

 

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16242 ne Babenberc in der stat 19. Benedictus papa Babenberg
da wihete der babes zware veniens aecclesiam sancti Ste-
dem guoten sente Stephane phani dedicavit.
ein munster ze eren.  
des vrouweten sich alle die  
herren.  
undir diu wart ein ertbibede, 20. Terraemotus magnus factus
daz sie harte begonden est 4. Idus Mai feria 6.
zwivelen.  
16261 In sente Peters munstere 23. — in Babenberg episcopio a
wart er begraben. se facto in monasterio sancti
  Petri apostoli sepelitur.

 

Für andere Stellen dagegen findet sich der entsprechende lateinische Text, wie erwähnt, in Ekkehards Chronik:

 

16198 do gedahte er aber des 1001. — data sibi requie a Do-
besten, mino — Dominum bonorum om-
wie er an der erde nium datorem habere delegit
gote ze dienste mohte werden, heredem, sextoque regni sui
so er langer newäre, anno, sapienti consilio episco-
daz sine nachkommen bilide patum Babenberg in honore
dar bi nämen. sancti Petri sanctique Georgii
der herre was dicke in trahte, constituit, locumque ipsum pre-
was er so getanes vrumen diorum divitiis et omni ornatus
mohte, decore, ut in presentiarum cer-
da man sin bi gedähte, nitur, copiossissime ditavit.
ob ers vur brähte.  
ze jungest gedahte er ze  
Babenberc.  
do worhte er ein herlich  
werk:  
da stifte er ein bistuom  
in namen des vater unde  
des sunes  
unt des heiligen geistes  
darzuo.  
da diende er gote spate  
unde vruo.  
den widemen er wol bereite  

 

 

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mit maniger huobe breiter,  
vil manic guot vorwerc.  
16180 got begonde er minnen.  —— religiosus Deoque devotus po-
er was ein warer gotis stea in exsecutione bonorum
dienstmann, operum permansit, quod divina
des er sit groze gnade gwan. pietas post mortem ejus eviden-
etc. etc. etc. tibus indiciis, ad sepulcrum ejus
16262 wir mugen in wol wärliche  facis signorum miraculis, de-
sagen, monstravit
die blinden werdent da ge-  
sehende,  
den sundigen ist er wegende,  
halz unde krumbe  
die werdent da gesunde.  
daz tuot got durch sine ere:  
sente Heinrich wege uns  
an der sele.  

 

In den Versen über Konrad II. und Heinrich III. erscheint wieder die Würzburger Chronik als Hauptunterlage. Die entsprechenden Stellen aus derselben sind: 1. Magna dissensio in regno contra Counradum regem efficitur (Kaiserchr. V. 16273—16276). 3. Brun Augustensis episcopus et Welf comes praedas et incendia inter se faciunt (V. 16277— 16283). 6. Counradus imperator Stephanum Pannoniae regem cum exercitu petit (V. 16291--16296). 7. Stephanus rex missis legatis cum imperatore Counrado pacificatur (V. 16381—16386). 11. Wirbinam castellum in confinio Saxoniae pagani, qui Luittici dicuntur, multis christianis occisis et captis, obtinent; quos Counradus cum exercitu petit (V. 16357—16371). 12. — Pegani supradicti Counrado tributarii facti sunt (V. 16377—16379). 15. Counradus imperator 2. Non. Jun. obiit et Spire sepelitur (V. 16389).

 

Die Darstellung Heinrichs III. ist sowohl in der Kaiserchronik als in der Würzburger Chronik ausführlicher und geschichtlich zutreffender als die bisherigen Abschnitte. Wir heben wieder aus der letzteren die entsprechenden Stellen aus: Heinricus rex pius, filius Counradi, incipit regnare (V. 16391—-16393).

 

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2. Heinricus rex ducem Boemiae Fratislaum bello petit. —- Petrus quoque Ungariorum rex eidem duci contra Heinricum regem auxilia misit (V. 16397—16403). 3. Ungarii quendam Ovonem regem sibi eligentes, Petrum regem suum expellentem (V. 16404—16408). Qui profugus et exul Heinrici regis, cui priori anno rebellaverat, gratiam querit et invenit (V. 16417—16420). Heinricus rex Boemiam ingressus, igne praedaque cuncta devastat, et rebellem ducem obsides dare et ipsum post se Rapisponam ad deditionem humiliter venire sibique jurejurando fidelitatem servitiumque confirmare coartat (V. 16421—16442). 6. — Heinricus rex tercio Pannonias iratus ingrediens — Obonem cum uxore et filiis cognatisque, quibus locus evadenti erat, effugabat (V. 16448—16456). Petrum in regnum restituit (V. 16457 ff.). 7. Heinricus--papas tres non digne constitutos (V. 16470 ff.) synodaliter deposuit et Suidegerum Babenbergensem episcopum papam constituit; ipseque et conjunx ejus Agnes regina eadem die imperiali benefictione sublimantur (V. 16495—16502). 8. Interea Petrus, Ungariorum rex, — captus et cecatus (V. 16505 ff.). 12. — Heinricus imperator iterum Pannoniam ingressus, divisa in duas partes multitudine militum, etc. (V. 16512 ff.; die Zweitheilung des Heeres verstand der Dichter als eine Zweitheilnng des Ungarnreichs!). 15. — Counradus, dux Noricorum, federatis sibi Ungariis, graviter rebellat (V. 16517 ff.).

 

Es muß bemerkt werden, daß die Uebereinstimmnng dieser beiderseitigen Stellen über Heinrich III. manchmal nicht ganz vollständig ist. Manches gibt die Kaiserchronik an, was in der Würzburger Chronik nicht zu finden ist, während doch diese im Allgemeinen weit ausführlicher ist als jene. Vielleicht hat sich auch hier noch eine zweite Quelle mit der Würzburger Chronik zur Unterlage der Kaiserchronik verbunden. Ferner sei auf den anffallenden Umstand aufmerksam gemacht, daß in diesem Abschnitte einige Verse, die wir folgen lassen, ziemlich wörtlich mit dem Texle der Annales Altehenses majores *) übereinstimmen.

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*) Mon. Germ. Script. XX, 772 ff.

 

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16391 Do der kunic Kuonrat vir- 1030. — Caesar — obiit pridie,
schiet, Nonas Junii, Henricum filium
einen sun er virliez. relinquens heredem regni.
daz was der guote Heinrich.  
16401 Alse der kunic Stephan 1041. Stephano demum vita dece-
de ze Wizenburg wart be- dente et Petro ejus gratia in
graben, regno succedente etc. — Petrus
Peter daz riche nach im besaz. rex Ungrorum regno est privatus,
die vursten zurnden daz. conjurantibus adversum se suis
ich weiz sie niene beliben, primatibus. — Ungri autem —
unz sie Petern uz dem riche alium sibi regem statuerunt, qui
vertriben. Obo vocitatus etc.
einen anderen sazten sie do,  
der hiez der schilhende  
Otto etc.  
16417 sie vluhen ze dem guoten Rex tamen noster excepit eum cum
Heinriche, omni gratia et plurima illi im-
der  intphinc sie gnädecliche, pendit beneficia.
So iz wol gezam dem herren.  
er half in sit wol widir  
zuo eren.  
16442 michiln scaz er dem vursten — venit dux die condicto cum
dar umbe gap. plerisque suis principibus et re-
  giis, ut dignum erat, muneribus.
16508 in dem lande sie nieman 1046. -— Exules autem plerique
liezen, sunt interfecti, quidam vero au-
er nehäte den lip virlorn, fugerunt pedestres, nudi et spo-
swer von diutisken landen liati.
dar kom.  

 

Von den Angaben der Würzburger Chronik zu den Jahren 1055—1057, wo dieselbe, wie erwähnt, völlig selbständig ist, finden sich folgende in der Kaiserchronik fast wörtlich übersetzt:

16. — Counradus dux ante Noricus ab imperatore expulsus, in Pannonia exul male moritur (V. 16518—16520). 17. — Gebehardus Radisponensis episcopus, magni imperatoris Heinrici patruus, hostis occulte pessimus deprehensus (die Kaiserchronik

 

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hat hieraus gemacht: „daz er wart gevangen von sinen heimilichen mannen“), victus atque custodiae mancipatus, sed misericorditer tractatus, exilio remittitur et sedi pristinae restituitur (V. 16521—16532). — Magna cedes a barbaris qui Liutici dicuntur in christianos facta est (V. 16533—16536). — Heinricus imperator his doloribus cordetenus compunctus, infirmari coepit, et perductus usque ad mortem; sapienter tamen usus consilio, ab omnibus quibus potuit veniam petens, quibusdam praedia quae abstulit restituens etc. (V. 16537—16541). — 3. Non. Octob. hanc vitam praesentem in Deo finivit (V. 16542). 18. Heinricus, filius Heinrici imperatoris, admodum puer, coepit regnare (V. 16547—-16552). Agnes imperatrix, mater ipsius Heinrici, ducatum suscepit Boioariae (V. 16553). Saxones iterum congregato exercitu gentem efferam Luiticiorum hostiliter invaserunt, diversisque malis eam affligentes, Romanae ditioni subdiderunt, acceptis obsidibus et tributis (V. 16557—16562).

 

So weit reicht die Würzburger Chronik. Wir glauben aber die Grundlage der Kaiserchronik in späteren Quellen, vornehmlich in Ekkehards Chronik, noch weiter verfolgen zu können. Gehen wir hiebei manchmal irre, so wird dies bei der Schwierigkeit der Vergleichuug eines deutschen Reimgedichts mit lateinischen Annalen leicht Verzeihung finden.

 

16563 Do wuohs der kunic Heinrich. Ann. Altah. maj. 1062. Rex igitur
vil harte virsumete er sich, jam adolescere incipiebat.
harte er sich virgahete, Ekkeh. 1068. Heinricus rex adoles-
die vursten er virsmahete, centiae usus libertate — coepit
er virspotte die edelen, principes despicere, nobiles ob-
den wisduom liez er im primere, inferiores sustollere,
intvremeden, venatui, lusibus ceterisque hu-
unkiusce er sich undirwant, jusmodi exercitiis plus, quam
er reit hovesken in die lant, justiciis faciendis, ut incusatus
er honde die edelen vrouwen, est, operam dare, filias illustrium
die sine liez er rouben, quibusdam obscure natis conju-
vriheite undirwant er sich vil, gare, privata praesidia, nimirum
vil dicke saz er ob spil, potentibus regni non satis fidens,

 

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so er solde rihten daz riche. instituere. His discordiae semi-
daz begonde den vursten nariis conligit, regi quam plu-
misselichen. rimos insidiatores tam vitae quam
Die herren begonden sin regni succrescere. Qui tamen
o varen. cum maturitatis attigisset annos,
dicke sazten sie ir lage, erant qui non tam ipsum quam
daz man in solde irslahen. Adelbertum Premensem archie-
do hate er einen kappelan, piscopum culpandum judicarent,
der was erzbiscof ze Breme. quod ejus consilio haec omnia
di vursten wizzen iz harte ageret.
deme.  
sie sprachen daz iz alliz  
sin scult wäre  
unt daz iz dem riche von  
ime niht gezäme.  
16587 do huop sich undir den herren Ann. Albani. *) 1072. Conjurant
ein vil michil werre. principes regni contra regem
die Sachsen dem kunige Heinricum.
geswichen, Ekkeh. 1072. — non cessat gens
daz riche sie anegriffen. Saxonum conjurationem adver-
sie swuoren sich zesamene sus regem unanimi conspiratione
mit allem ir magene. confirmare etc.
16593 der Duringe lant Ann. Altah. maj. 1073. — villas
wart do gar vihert unde quasdam succendertunt, ac deinde
virbrant. mala multa in illa regione ex-
  creverunt.
16595 Vursten die do waren Ekkeh. 1075. Heinricus rex, manu
ze Beiern unde ze Swaben, valita, tam ex Alemannia quam
ze tale bi dem Rine, Baioaria et Germania atque
die heten do ze nide Boemia congregata, Saxones
daz die Sachsen so gewal- petit, eisque juxta Unstruot flu-
dicliche vium congreditur; et non mo-
vuoren in dem riche dica strage utrimque peracta,
unt daz lant von in was tandem victoria potitus rever-
virbrunnen. titur.

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*) Mon. Germ. Script. II, 238 ff. (unter dem Namen Annales Wirzeburgenses).

 

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sie gebuten ir samenunge, Ann. Albani 1075. Bellum juxta
sie suochten sie mit here. Unstruoth committitur 6. Id.
die Sachsen griffen wol ze Junii, contra Heinricum regem,
were. ubi multi potentes ex utraque
ein wazzer heizit Unstruot, parte ceciderunt et Saxones
daz verwandelte sich in das fugam inierunt.
bluot.  
--------- --------- ----------  
der kunic daz wal behabete.  
die Sachsen wurden irslagen  
wen daz ir vil kume dannen  
intran.  

 

In der Kaiserchronik folgt nun die Kreuzfahrt der Markgräfin Ida von Oesterreich, welche wahrscheinlich erst vom letzten Bearbeiter hinzugefügt ist, da sie mit dem von diesem erzählten zweiten Kreuzzug in Beziehung steht; zweifellos von demselben rühren die Verse her, in welchen hier die Darstellung des zweiten Kreuzzugs förmlich angekündigt wird.

 

16630 nu lazen wir die rede da sin;

swenne iz kumit an die Stadt (Rohes-Edessa),

so bescheiden wir die rede baz.

 

Der Vers 16553, in welchem die Kaiserinmutter Agnes als Herzogin von Baiern bezeichnet wird, hat den Dichter verführt, die Geschichte der Markgräfin von Oesterreich auf die „herzogin Agnes“ zu übertragen. Die Historia Welforum Weingartensis *) erzählt die Begebenheit in folgender, mit der Kaiserchronik ziemlich übereinstimmender Weise: Itam comitissam, matrem Leopoldi marchionis orientalis, que similiter in eodem comitatu fuit, unus de principibus Saracenorum rapuit, et impurissimo sibi matrimonio copulavit, ex eaque Sanguinum illum sceleratissimum, ut ajunt, progenuit.

 

An diese Episode reiht die Kaiserchronik die etwas breite Erzählung des ersten, der Zeit nach noch vor die Fahrt der Markgräfin Ida fallenden Kreuzzugs (V. 16633—16804). Auch hier herrscht oft wörtliche Uebereinstimmung mit dem Berichte Ekkehards.

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*) Mon. Germ. Script. XXI, 457 ff.

 

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Ohne auf die, meist leicht erklärlichen Abweichungen der beiden Darstellungen einzugehen, heben wir wiederum nur einige Stellen heraus, um von Neuem die Verwandtschaft der Kaiserchronik mit Ekkehard darzuthun.

 

16633 Undir diu quam die zit Interea Gotefridus dux Lotharin-
daz der herzoge Gotefrit giae — qui priori anno, cunctis
huop sich zuo dem heiligin quae possidebat in precium re-
grabe. dactis, militibus copiosis fideque
er virliez alle sine habe non modica instructus, iter per
dem waren gote ze eren. orientalem Franciam fecerat —
vil was der herren, Pannonias Bulgarias permearet,
die sich mit im uz huoben. — Romaniam attigit, -— in An-
durch Ungeren sie do waren, tiochia consedit obsidio.
dannen durch Bulgerie,  
durch die wuosten Rumenie.  
der heiden kraft  
vloch ze Antioch in die stat.  
der herzoge dar vur saz.  
16659 nu wäre iu ze lanc ze sagene, — tanta Sarracenorum multitudine
mit wie grozen magene obsessi sunt, ut de civitate nullus
sie die burc besazen. ex tanta turba egredi auderet.
ir grozen unmaze, Praeterea fames in civitate ita
so wir alle horen jehen, convaluerat, ut vix ab inhuma-
die nemohte nieman durch- nis dapibus se aliqui continerent.
sehen. *) Longum est enarrare miserias
die burc sie umbe lagen. quae in civitate fuere. -— tanta
die kristen in grozen noten fames in exercitu fuit, ut corpora
waren. Sarrazenorum jam foetentium a
— — — populo christiano comesta sint.
die heiden die sie selbe  
sluogen,  
zesamene sie sie truogen.  
sie azen die irstunken lich-  
amen.  
da mite vristen sie sich  
zware.  

 

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*) Vielleicht zu lesen: durchgehen.

 

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16683 do quam in ze troste, Respiciens autem populum — be-
der uns von der helle irloste, nigne consolatur, ac — lanceam
die kristen gevrouwet er. suam obtulit; deinde corda illo-
sie vunden daz heilige sper. rum adeo animavit, ut etiam
die recken eilende quibus egritudo vel fames am-
racketen uf ir hende; bulandi vires denegaverat, arma
mit hungerigem libe sumendi et viriliter contra hostes
huoben sie sich ze wige. dimicandi virtutem infunderet.
16703 Alse unsir herre sie ir lei- Sic itaque Deo conviatore et coo-
des irgazte peretore usque ad Hierusalem per-
unde sie Antioch besazten, venerunt. Cujus in obsidione
do vuoren sie abir vurbaz. cum laborarent etc.
Jerusalem er do besaz.  
16727 Der kunic von Babilonie Itaque cum in veritate comporissent
der samende sich mit grozer hi qui Hierosolimis erant, exer-
menige. citum Babyloniorum Ascalone
er wolde die burc irlediget esse, contenderunt obviam illis
han. etc.
daz horte der herzoge Gote-  
frit sagen.  
er samende sich mit den  
kristen.  
er newolde iz nicht langer  
vristen.  
16755 Alse die heiden virnamen Deus — antequam confligerent
daz die kristen begonden pro solo impetu eorum hanc mul-
nahen, titudinem in fugam convertit.
ze vluhte huoben sie sich.  
16761 sumeliche sich irtrancten, — de his vero qui in mari in-
sumeliche sich in daz mere terierunt non est numerus; spi-
sancten. neta etiam ex ipsis multos obti-
sumeliche burgen sich undir nuerunt. -— De spoliis vero non
die dornen. est quaerendum, quantum esp-
die kristen da vorne tum sit.
namen so getanen roup,  
daz die rede netouc  
nieman ze sagene.  

 

Heinrich Welzhofer, Entstehung der Kaiserchronik. 4

 

 

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50

 

16786 gotis dienst sie ordinoten. Dux quoque magnanimus et cui
sie dienden gote gewisse vix quisquam in religione com-
mit mettin unde mit misse, parabilis inveniatur, — aeccle-
mit almuosen unde mit ge- sias clerumque, quantum potuit,
bete. reparare, coenobitas alibi con-
-------- ---------- --------- gregare, donaria multa tam
Daz vrumete alliz der her- monasteriis quam hospitali —
zoge Gotefrit. devotissime conferre.
wa vereisketet ir e oder sit  
ie dichein man so spähen,  
dem ie so wol geschähe  
ze allen werltlichen eren?  

 

Die Kaiserchronik kehrt hierauf wieder zur Geschichte Heinrichs IV. zurück; aber äußerst spärlich müssen die lateinischen Notizen gewesen sein, aus welchen ihre Bearbeitung dieses Kaisers hervorgegangen ist. Wir können sie theilweise in verschiedenen Annalen — den Albani, Rosenveldenses *), Hildesheimenses **) etc. — am deutlichsten wieder bei Ekkehard, dessen bezügliche Angaben hier folgen, erkennen:

 

16807 mit der vursten willen 1084. Heinricus — in Campaniam
eine hervart vour er ze Pulle. transiens, ipsam et magnam Apu-
  liae partem cepit.
16829 et reit ze rome in die stat. Roman rediit. — rex cum regina
ze keisere er gewihet wart. Bertha — imperiali benedictione
do kerte er in diutisk lant sublimatus est. Post haec im-
widere. perator Heinricus de Italia dis-
  grediens etc.
16847 Bin wazzer heizet der Regen, 1105. Jam castrum in contrarium
do quamen sie in ein ander positis, spectaculo nimis horri-
intgegene bili, per triduum continum ex
mit vil grozir menige. una ripa Regini fluminis impera-
------- -------- -------- toris, ex altera regis volitabant
Hertwic wart irslagen ***) signa; jam frequentia grassaban-
  tur in ipso fluminis duella, inter
  quae et Hartwicus comes ex
  parte imperatoris occubuit.

 

____

*) Mon. Germ. Script, XIII, 99 ff.

**) Mon. Germ. Script. III, 22 ff.

***) Wahrscheinlich Graf Hartwig von Bogen, der in Urkunden jener Zeit öfters vorkommt. Vgl. Quellen und Erörterungen zur deutschen und bairischen Geschichte, I, 167, wo in einer Urkunde des Klosters Obermünster ein Hartwic comes, wohl derselbe Graf von Bogen, unterzeichnet ist.

 

 

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51

 

Auch die Darstellung Heinrichs V. scheint noch auf derselben, mit Ekkehard, den Annales Rosenveldenses, Hildesheimenses, Elwangenses etc. verwandten Quelle zu beruhen.

 

16879 einen nof lobeten sie do ze Ann. Rogenv 1104., Heinricus na-
Regensburc. talem Domini Ratispone celebra-
-— — — vit, ubi comes Seghehardus a
der grave sigehart militibus regis occisus est.
in der stat irslagen wart. Ann. Hildesh. 1104. Erat in Ra-
  disbona in ali Domini curia,
  ubi comes Sigehardus — est
  occisus.
16889 Ein erzebiscof hiez Adel- Ekkeh. 1112. Adelbertus — qui
breht, per omnia secundus a rege sem-
ez wäre krump oder sleht, per fuerat, sine cujus consilio
er half dem kunige mit vlize. nihil facere solebat.
16956 da ze Spire begruob man Ekkeh. 1125. Cujus corpus more
den herren. regio curatum Spiram est delatum.

 

Die Charakteristik Heinrichs V. bei Ekkehard ist übrigens von derjenigen der Kaiserchronik weit verschieden; dies scheint daher zu rühren, daß Ekkehard bei Behandlung seiner eigenen Zeit nur selten mehr auf seine schriftlichen Quellen Rücksicht nahm. Hingegen bemerken wir in diesem Abschnitte eine auffallende Uebereinstimmung der Kaiserchronik mit Otto von Freising *):

 

16901 Do wolden Romäre Otto Fris. Chron. VII, 14. Populus
ledegen ir herren. etiam Romanus cum infinita
— — — erumens multitudine Tyberim
sie ilden uber die Tiber. transeunt.

 

____

*) Mon. Germ. Scipt. XX, 83 ff.

4*

 

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52

 

16910 der kunic wolde gerne uz sin. Chron. VII, 14. Rex — angustias
Romäre in neliezen. portarum suspectas habens mu-
die mure sie nidirstiezen. ros Urbis rupit.
die burgetor waren enge.  
16928 daz iz alsus wart gescheiden Chron. VII, 16. — investituram
daz der kunic die bistuom episcoporum — resignavit, per
alle up gap. eumque ab anathematis vinculo
— —— — absolutus est.
er intsluoc im den ban.  
16945 Dem keiser muosen do Gesta. Frider. I, 15. Imperator
intwichen Heinricus, revocatis in pacem
die vursten in dem riche. qui ei oppositi erant, principi-
die e wider im waren, bus etc.
die suochten sine gnade.  

 

Nicht unmöglich wäre es, daß der letzte Bearbeiter die alte Chronik an einzelnen Stellen unmittelbar aus Otto‘s von Freising Werken ergänzt hätte; zu seiner Zeit waren diese schon allgemein bekannt und namentlich in den bairischen Gebieten sehr verbreitet. *) Wir glauben auch in den letzten Abschnitten der Kaiserchronik — über Lothar und Konrad III. -— den Einfluß der Werke Otto‘s zu bemerken:

 

17001 do was der Beheime walt Gesta Frid. I, 20. — septis un-
allenthalben virhaget. dique silvis.
17010 do was der sne so michil, Gesta Frid. I, 20. — Ex impro-
sie neheten wec noch phat. visoque supervenientes, Saxones
die helede wurden harte — jam per nives deambulando
nothaft. fatigatos invadunt, ac paucis-
Ir gewäfene sie selbe truogen. per fugam elapsis, quibusdam
die helede begonden harte captis, caeteros crudeliter occi-
muoden. dunt.
die Beheime wurden is gwar.  
vil schiere gerehten sie  
sich dar.  
die Sahsen wurden almeist  
irslagen.  

____

*) Eine schon früher vorkommende Uebereinstimmnng zwischen Kaiserchronik und Otto bezüglich Dietrichs und Etzels hat Maßmann aufgezeigt. III, 342 ff.

 

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53

 

17226 der herzoge ze Sahsen vir- Chron. VII, 25. Ea tempestate
triben wart. Heinricus dux jam Baioaria pul-
von der werlde virschiet do sus in Saxonia moritur.
der herre.  
17230 der herzoge Liupolt Valeie Dum autem in obsidione castri
besaz. Phalaia —moraretur, Welfo
Welf da mit im vaht. — fortissime pugnando, caesis
Liupolt wart da scadehaft. ex uiraque parte pluribus, du-
sine man wurden im ir- cem cedere coegit.
slagen.  
vil kume er selbe dannen  
intran.  

 

Die Geschichte Lothars in der Kaiserchronik hat sowohl im Allgemeinen, wenn man sich die aufgezeigten Einschaltungen des letzten Dichters hinwegdenkt, als auch im Wortausdruck große Aehnlichkeit mit derjenigen der Annales Erphesfurdenses *):

 

16992 der herzoge von Beheim 1125. Otto quidam, principatum
virtreip gerens provintiae quae Mere-
Otten von Merhern, hern dicitur, regem Lotarium
einen vursten harte vreveln. adiit interpellando, conquerens
do vloch er zuo dem kunige se ducatu Boemiorum velut he-
  reditaria dignitate injuste pri-
  vatum.
17015 die sahsen wurden almeist 1126. — multi nobilium de exer-
irslagen. cito ceciderunt regio; — ubi
Otto nequam ouch nimmer et Otto dux de Merehern occu-
mere dan. buit.
17029 des kuniges hulde er gwan; 1127. rex Lotharius — Uodalricum
sit wart er sin heimelich ducem Boemiorum in amicitiam
man, recepit — et mox castrum
daz er des riches ratgebe was. Nuorinberg obsidet, habens se-
vor Nurenberc er mit im saz. cum in auxilium eundem du-
  cem etc.

 

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*) Mon. Germ. Script. VI, 536 ff.

 

 

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54

 

17087 Under diu wart se Rome 1130. — mox diu per dissensio-
ein strit; nem — constituuntur, scilicet
ja huoben sie widir ein an- Innocentius, qui et ante Grego-
der grozen nit: rius, et Anacletus , qui et ipse
sie sazten swene babese an dictus fuerat Petrus.
den stuol. 1183. rex Lotharius Romam in-
der kunic Liuther dar mit greditur. Innocentius papa in
her vuor. sede apostolica restituitur, rex
Mit rate der vursten gemeine quoque ab eo imperiali bene-
so virwurfen sie den einen, dictione — consecratur ac im-
der da Peter Lewes hiez. perator efficitur.
von dem stuole man in stiez.  
sie gevestenoten Innocen-  
tium.  
wider gote nemac nieman  
niht getuon.  
der babes wihete in do ze  
keiser.  
17098 do gerieten se eine reise 1136. Apulian quoque, quam
in das lant ze Pulle. Ruggerus Siculorum dux prius
daz was der vursten wille. invaserat, armis cepit.
der vurste hiez da Ruotger,  
den virtreip der kunic  
Liuther  
in Siciliam.  

 

In der Darstellung Konrads III. endlich finden wir Anklänge an die Annalen von Pöhlde *):

 

17250 der kunic Kuonrat Wines- 1140. Rex castrum Welfi ducis
berc besaz. Bawariorum Winesberg dictum
Welf samende eine helede, obsedit. Dux autem congregato
er wolde die burc ledegen. exercitu super regem, uti spe-
mit dem kunige er da vaht. rabat negligentius agentem, me-
Welf hete merer kraft. ditabatur irruere. — Interfectis
vil lutzel iu daz half. namque multis, plures fuge re-
daz riche da vur trat. medium querentes fluvius Necker
Welf vil kume intran. juxta quem congressi fuerant,
im wurden gefangen sine absorbuit, nonnullis preter hos
man. captis. Rex vero — casrtum in
Winesberc man do irgap. deditionem accepit.

 

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*) Annales Palidenses. Mon. Germ. Script. XVI, 48 ff.

 

 

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55

 

17262 ein beiden hiez Sangwin, 1147. Quidam scelestus princeps
der sleich hin ze Roas, paganus nomine Sangvin ex
alse is von den kristen ge- insidiis invasit christianorum ur-
raten was. bem Edissam, que et Roas di-
  citur.
17271 sie sluogen den biscofzware. Ipsius quoque civitatis archiepis-
daz houbet viel im uf daz copum cum clericis suis perimens,
corporale. infinitam cedem promiscui sexus
da wart der waldende got et etatis exercuit, et sanctorum
ander stunt gemarterot. reliquie in conculcationem infi-
der kristen martere wart delium date sunt et disperse;
groz. et non tamtum sacras edes quam
daz pluot zuo den turn uz etiam altaria quoque, quod dictu
vlos. nefas est, fornicationibus inple-
du genas lutzel dichein wip vit ad contemtum Dei celi et
odir man. subsannationem christiane reli-
wir nekunen iu niht rehte gionis.
gesagen,  
wie vil der kristen irslagen  
wart.  
17283 Der babes Eugenius Probat hoc tenor litterarum ab
der gewarp do alsus: Eugenio papa pro his rebus di-
er hiez iz klagen drate rectarum Ludowigi regi Fran-
demo kunige Kuourate corum. Ad quod ulciscendum
unt deme kunige Ludewige. ipsius apostolici monitu multitudo
daz ne stuont niht lange christianorum impetu Spiritus
wile, ducti ceperunt ire velle Jerosoli-
unz der abbat Bernhart mam. Primi ad hanc expeditio-
den vursten geliebete die nem accepta cruce signantur rex
vart. et regina Francorum cum nu-
er quam zuo dem kunige merosa multitudine plebis ipso-
Kuonrat. rum; Conradus — samens et
er manete in harte ipse crucem ad eandem expedi-
mit sinir suozen lere. tionem cum aliis principibus
er sprach daz selbe unser preparatur, Bernhardo Clareval-
herre lensi abbate nimium urgenti ejus
in darzuo erwelde. profectionem.
der kunic niht langer net-  
welde.  

 

 

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56

 

Haben wir in dieser Weise für den sachlichen Text der Kaiserchronik eine große Menge Parallelstellen, deren nähere oder entferntere Verwandtschaft zu demselben wohl nur selten bestritten werden kann, aufgefunden, so ist uns doch unmöglich, für ihre chronologischen Angaben, welche die Zahl der Regierungsjahre der Kaiser betreffen, die zu Grunde liegende oder verwandte lateinische Chronik zu entdecken. Wir möchten annehmen, daß hier der Dichter einen der kurzen chronologischenAbrisse, wie sie damals schon sehr verbreitet waren, neben seinen übrigen Quellen benützte. Diese Abrisse, die uns größtentheils verloren gegangen sind, gaben in der Regel nur die Regierungszeiten der Kaiser an. Von solchen Abrissen waren im zwölften Jahrhundert namentlich diejenigen des Honorius von Autun (oder Augsburg?) *) in Süddeutschland viel im Gebrauch. Wir erwähnen diesen Autor, weil wir zwischen ihm und der Kaiserchronik in der That eine, wenn auch nur geringe Uebereinstimmung in den Zahlenangaben bemerken. Lothar, Karl der Dicke, Ludwig das Kind, Konrad I., Otto II., Konrad II., Heinrich III., Lothar von Sachsen haben in der Kaiserchronik und in der Imago mundi **) des Honorius die gleichen Regierungszeiten: besonders auffallend ist die Uebereinstinnnnng der beiden Werke bezüglich der Regierungszeit Lothars von Sachsen:

 

17174 Ja rihte der keiser Liuther, Lotharius regnavit annos 12, ebdo-
daz saget daz buoch vur war, madibus 12, diebus 12.
rehte zweilf jar  
zweilf wochen unde zweilf  
tage.  

 

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*) Vgl. über Honorius Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen II, 182 ff.

**) Mon. Germ. Script. X, 132.

 

 

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57

 

Ebenso oft aber weichen die beiden Werke in der Chronologie von einander ab; ein Hauptunterschied ist, daß Honorius fast durchgängig nur die Zahl der Jahre, die Kaiserchronik aber außerdem noch häufig die Zahl der Monate und Tage angibt.

 

_____________

 

 

Der Dichter der Kaiserchronik.

Wenn wir zum Schlusse noch die Person des Verfassers der Kaiserchronik ausfindig zu machen unternehmen, betreten wir allerdings gleichfalls den unsichern Boden der Hypothese, die in unserer älteren Literaturgeschichte ohnehin schon den breitesten Raum einnimmt. Es sei nämlich an der Spitze dieser Untersuchung bemerkt, daß wir nur eine Vermuthung äußern wollen, keineswegs aber eine auf feste Beweisgründe gestützte Wahrheit auszusprechen beanspruchen. Wir glauben aber, daß unserer Annahme ein solcher Grad innerer Wahrscheinlichkeit beiwohne, daß sie mit jenen geistreichen Einfällen, durch welche man die Verfasser der Nibelungen und des Alexanderliedes entdeckt zu haben meinte, nur wenig Aehnlichkeit haben dürfte.

 

Unsere Vermuthung geht dahin, daß die Kaiserchronik und das deutsche Rolandlied *) von einem und demselben Verfasser herrühren. Als Dichter des Rolandliedes nennt sich bekanntlich in einem längeren Epiloge desselben ein „Pfaffe Konrad“, der am Hofe eines „Herzogs Heinrich“ lebte. Diesem Pfaffen Konrad theilen wir somit auch die letzte, uns erhaltene Bearbeitung der Kaiserchronik zu.

 

Zur Begründung dieser Annahme verweisen wir vor Allem auf die in der damaligen Zeit ganz ungewöhnliche Gleichheit der Sprache der beiden Gedichte. Nicht bloß daß beide dasselbe

 

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*) W. Grimm, Ruolandes liet.

 

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charakteristische Merkmal besitzen, daß ihre Sprache aus einer eigenthümlichen Mischnng von fränkischen, bairischen und niederrheinischen Dialektformen besteht, haben sie auch Uebereinstimmungen im Ausdruck und Gedankeninhalt, die sich nicht mehr bloß aus der die ganze Zeitliteratur kennzeichnenden Gleichförmigkeit erklären lassen. Schon Wilhelm Grimm, der Herausgeber des Rolandliedes, machte auf einige gleichlautende Stellen aufmerksam:

 

Rolandlied. Kaiserchronik. *)
10,34 sie ilden sich gerechten. 426,23 Dietmar unt sine man.
sie wolten mit in uechten. ilten sich gerehten.
  si wolten gerne uechten.
111,9 het ich dir niht wol ge- 376,19 het ich dir niht geleitet.
lonet. du mahtest doch mines
mahtestu gotes haben an trehtines han gesconet.
gesconet.  
302,10 ich gichtige dich mit dem 449,5 der chunic hiez sie it un-
champhe. tankes
  gihtigen mit kampfe.

 

Derartige wörtliche Uebereinstimmungen finden sich in den beiden Werken in zahlloser Menge. Es seien nur noch aus dem Epiloge des Rolandliedes, der allein für des Pfaffen Konrad volles Eigenthum gelten kann, da das eigentliche Lied nur eine, wie es scheint, ziemlich wörtliche Uebersetzung eines französischen Werkes ist, einige mit der Kaiserchronik zusammentreffende Stellen angeführt. Unter ihnen verdienen folgende Zeilen, welche im Rolandlied sowohl als auch in der alten Chronik Schlußverse bilden, besondere Beachtung:

 

 

Rolandlied. Kaiserchronik.
310,15 swer iz iemir hore gesagen. 526,17 swer daz liet uernomen habe.
der sol in der waren gotes der sol ein pat no singen.
minne dem almähtigen got ze-
ein pat no singe. minnen.

 

 

*) Die folgenden Citate aus der Kaiserchronik sind der Vorauer Handschrift, welche Diemer herausgegeben hat, entnommen.

 

 

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59

 

In dem Lobe ferner, das der Pfaffe Konrad seinem „herzogen hainrichen“ spendet, finden sich Verse, die in der Kaiserchronik auf Gottfried von Bouillon gedichtet sind:

 

Rolandlied. Kaiserchronik.
309,27 wo fraiste ir ie mere. 514,25 wa fraiscet ir e oder siht
daz iemen *) baz geschahe. ie dehain man so spähen.
308,29 wa lebet dehain furste nu. Dem der ie so wol gescähe.
dem ie so wol gescahe.  

 

Neben dieser sprachlichen Aehnlichkeit haben die beiden Werke aber auch auffallende Berührungspunkte in ihren Grundtendenzen. Nach der übereinstimmenden Annahme Aller war es ein Geistlicher, der die Kaiserchronik in ihre letzte Form gebracht hat. Allenthalben begegnen uns in ihr Aussprüche, die nur von einem geistlichen Bearbeiter herrühren können. In der nämlichen Weise ist nun das Rolandlied mit geistlichen Sprüchen ausgestattet, und niemand würde an seinem geistlichen Ursprunge zweifeln, selbst wenn denselben jener Epilog nicht noch ausdrücklich bezeugte. Wir sehen ferner beide Werke von demselben merkwürdigen Geiste getragen, der durch die Kreuzzüge über die Gemüther kam; im Rolandlied hat sich der Dichter rückhaltlos der neuen Strömung hingegeben, aber auch der Verfasser der Kaiserchronik zeigt sich von glühender Begeisterung ergriffen, wenn er auf die Sache der Kreuzfahrer zu sprechen kommt. Der dritte gemeinsame Grundton, der sich durch Kaiserchronik und Rolandlied hindurchzieht, ist ihrer Verfasser nationale Gesinnung und ihr warmes Gefühl für des deutschen Reiches Ehre und Größe. In der Kaiserchronik tritt aller Orten „daz riche“ in den Vordergrund und ihre gesammte deutsche Kaisergeschichte ist von deutschnationaler Gesinnung durchweht. Kann auch das Rolandlied gemäß der Natur seines Gegenstandes diesen patriatischen Geist nicht in so deutlicher Weise wiederspiegeln, so klingt doch derselbe in dem Epiloge, in welchem der Dichter noch einen Blick auf die Gegenwart wirft, hinlänglich vernehmbar durch. Der Dichter rechnet es nämlich dort seinem Herzoge zum Ruhme

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*) So verbessert O. Schade das handschriftliche im.

 

 

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an, daß er auch das Reich wohl in Ehren halte, wozu, wie er in seiner patriotischen Denkweise meint, ihn schon seine Tugenden bestimmen müßten:

 

308,27 da ist daz riche wol mit geret.

eine tugente dwngin in dar zu.

 

Auf demselben Boden ferner entstanden die beiden Gedichte; denn auch das Rolandlied hat nach allgemeiner Annahme in den bairischen Landen seine Heimat. Aber auch die Zeit ihrer Entstehung ist die gleiche — beide fallen nach der Mitte des zwölften Jahrhunderts. Mit Unrecht hat man nämlich die Abfassung des Rolandliedes noch der Regierung des Kaisers Lothar zugewiesen, wonach dasselbe durch einen Zeitraum von ungefähr dreißig Jahren von der letzten Bearbeitung der Kaiserchronik getrennt wäre. Zur Begründung dieser Behauptung sei hier eine kurze Abschweifung auf die Entstehungszeit des Rolandliedes verstattet.

 

Zu seiner gegenwärtig geltenden Datirung hat hauptsächlich das trügerische Kriterium seiner sprachlichen Beschaffenheit den Anlaß gegeben. Da nämlich in dem Werke einige wenige Formen von älterem Sprachcharakter vorkommen, so glaubte man es in die erste Hälfte des zwölften Jahrhunderts zurückschieben und seinen Dichter an den Hof des Welfenherzogs Heinrich des Stolzen, der in Baiern von 1126 bis 1139 herrschte, versetzen zu müssen. Allein die Andeutungen, welche der Dichter im Epiloge über seinen „Herzog Heinrich“ gibt, passen keineswegs auf Heinrich den Stolzen.

 

Nach dem Epiloge hat nämlich der Herzog Heinrich des Dichters „aines richen kuniges barn“ zur Gemahlin. Man hat darunter Gertrud, die Tochter des Kaisers Lothar, mit welcher sich Heinrich der Stolze 1127 vermählte, verstanden. Es wurde geltend gemacht, daß Lothar auch noch nach seiner Krönung zum Kaiser, die erst 1133 erfolgte, in lateinischen Annalenwerken bloß als König bezeichnet wird. Lothar war ferner auch ein reicher König, wie insbesondere seine Tochter Gertrud in den Quellen eine reiche Erbtochter genannt wird. Dennoch scheint es uns im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß derselbe

 

 

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61

 

Dichter, der, wie eben bemerkt wurde, für „daz riche“ so warm empfindet, vom Reichsregenten, dem man noch dazu in allen Theilen des Reichs mit Liebe und Treue anhing, in so unbestimmter und theilnahmsloser Weise gesprochen haben sollte. Es wäre vielmehr zu denken, daß er mit Nachdruck aufLothars erhabene Stellung im Abendlande als deutscher König und römischer Kaiser, woran auch Heinrich der Stolze schon bei Lebzeiten seines Schwiegervaters, der keinen männlichen Nachkommen besaß, einen gewissen Antheil hatte, verwiesen hätte. Heinrich der Stolze galt seinen Zeitgenossen als der Erbe der deutschen Krone. Kein Zweifel, daß der Dichter in seinem Preise Heinrichs vor allem Andern diesen Punkt in das hellste Licht gestellt hätte. So thaten die Verfasser der lateinischen Annalen und auch die Kaiserchronik verkennt nicht die Bedeutung dieses Verwandtschaftsverhältnisses Heinrichs zu Lothar, indem sie bei der Aufzählung seiner Vorzüge sagt: „er was des keisers eidem“ (V. 17115).

 

Wenn es ferner in dem Epiloge von dem „Herzoge Heinrich“ heißt: „die haiden sint von im bekeret“ (309, 9), so läßt sich nicht einsehen, auf welche Begebenheit im Leben Heinrichs des Stolzen sich diese Stelle beziehen sollte. Denn niemals hat Heinrich der Stolze gegen Heiden, seien nun Muhammedaner oder seien Slaven damit gemeint, einen Krieg geführt; der Schauplatz seiner Kämpfe war vielmehr ausschließlich das christliche Deutschland und Italien. Es läßt sich die Stelle also nicht, wie geschehen ist *), auf Lothars siegreichen Slavenzug gegen die Häuptlinge Niklot und Pribislaw im Jahre 1131 beziehen. Heinrich der Stolze hat an diesem Feldzuge, der sich zuerst gegen die Dänen und dann erst gegen die Slaven richtete, keinen Antheil genommen, wenigstens wird dies nirgends berichtet, während uns doch die lateinischen Annalen über die Schicksale seines Lebens ein ziemlich vollständiges Bild geben. Aus dem Berichte der Historia Welforum Weingartensis **),

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*) O. Schade, Veterum Monumentorum theotiscorum decas p.65.

**) Man. Germm. Script. XXI, 457 ff.

 

 

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die seine Kriegsthaten am ausführlichsten behandelt, ist zu entnehmen, daß er damals gerade in Süddeutschland durch Kämpfe mit den Hohenstaufen und mit eigenen aufrührerischen Vasallen in Anspruch genommen war. *)

 

Man glaubte in einem angeblichen Briefe des Papstes Innocenz II. an Kaiser Lothar eine Parallelstelle zu einem vom Pfaffen Konrad angestellten Vergleiche zwischen seinem Herzog Heinrich und dem König David gefunden zu haben. **) Dagegen genügt die Bemerkung, daß der Brieswechsel, in welchem sich dieser Brief findet, schon seit längerer Zeit von der historischen Kritik als gefälscht erkannt ist. ***)

 

Aus diesen Gründen kann nicht Heinrich der Stolze für den vom Dichter gefeierten Herzog gehalten werden. Es bleiben aber noch zwei Herzoge dieses Namens, auf welche der Epilog gedeutet werden kann, Heinrich Jasomirgott und Heinrich der Löwe. Für den letztern haben sich nach dem Vorgange von Wilhelm Grimm ) einige ältere Stimmen ausgesprochen, an Heinrich Jasomirgott hingegen ist unseres Wissens nie gedacht worden, so sehr auch auf diesen die Andeutungen des Dichters passen. Heinrich Jasomirgott hatte wirklich „aines richen chuniges barn“, nämlich Theodora, die Nichte des griechischen Kaisers Emanuel. Sie war seine zweite Gemahlin, indem seine erste, die hier schon erwähnte Gertrud, die ihm bald nach dem Tode ihres Gemahls Heinrich des Stolzen angetraut worden war, schon am 18. April 1143 gestorben war. Sie wird in den österreichischen Annalen die Tochter eines hochedlen Fürsten oder Herzogs genannt, so daß es nicht Wunder nehmen dürfte, wenn ihr der Dichter einen „chunig“ zum Vater gibt. Nennt sie doch Otto von S. Blasien in seiner Fortsetzung der Chronik Otto’s von Freising sogar eine Kaisertochter: 1148. Conrado rege repatriante, Heinricus Noricorum dux — — filiam imperatoria

 

*) Vgl. v. Giesebrecht, IV, 70. 74.

**) Gervinus I, 362.

***) Vgl. Wattenbaeh, 11, 188.

†) Ruolandes liet, XXXI ff.

 

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63

 

Constantinoplitani prius sibi in intinere desponsatam in matrimonium accepit. Mit Recht konnte aber der Dichter den Vater der Herzogin Theodora einen reichen Fürsten nennen, zumal gerade damals das byzantinische Herrscherhaus den Kreuzfahrern gegenüber eine überaus glänzende Hofhaltung und verschwenderische Pracht gezeigt hatte. Sehr einleuchtend wäre es nun, daß diese griechische Prinzessin, die, wie so viele ihrer Landsleute, vorzugsweise an französischer Art und Kunst Gefallen finden mochte, vom Pfaffen Konrad die Uebertragung eines französischen Gedichts ins Deutsche begehrte.

 

Die Stelle von der Bekehrung der Heiden:

309,8 di cristen hat or wol geret.

di haiden sint uon im bekeret.

daz erbet in uon rechte an.

 

Läßt sich, auf Heinrich Jasomirgott bezogen, leicht erklären: sie kann auf den Kreuzzug, auf welchem Heinrich die griechische Prinzessin kennen lernte, Bezug haben, sie kann aber auch, namentlich wenn man die beiden letztenVerse als zusammengehörig betrachten will, auf seine Kämpfe mit den Ungarn, mit denen es alle Babenberger unaufhörlich zu thun hatten, gedeutet werden. Der Umstand, daß Heinrich im Jahre 1146 gegen die Ungarn eine große Schlacht verlor, würde den Dichter kaum an seinem Lobe des siegreichen Herzogs gehindert haben. Die Verse:

 

309,6 got gap ime di craft.

daz er alle sine uiande eruacht.

-------- --------- ----------

zefluchte gewant er nie sin uan.

got tret in ie sigehaft.

 

dürfen in einer so ausgesprochenen Lobrede nicht wörtlich genommen werden. Auch Heinrich der Stolze und Heinrich der Löwe waren, wie natürlich, nicht allezeit Sieger. Diese haben ohne Zweifel in der Geschichte ihrer Zeit eine hervorragendere Rolle gespielt als Heinrich Jasomirgott , aber dennoch konnte auch dieser während eines kurzen Zeitraums der mächtigste Herzog in Deutschland heißen; dies war die Zeit, als er zu

 

 

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seiner Markgrafschaft Oesterreich von König Konrad III. noch das Herzogthum Baiern erhalten hatte (1143). Als er aber 1156 Baiern an Heinrich den Löwen abtreten mußte, stand er freilich dem Welfen an Macht bedeutend nach, hatte aber an dem vergrößerten und zu einem Herzogthum erhobenen Oesterreich noch immer ein höchst ansehnliches Gebiet. Er starb im Jahre 1177, seine Gattin Theodora gar erst 1184; wir können daher das Rolandlied, falls wirklich Heinrich Jasomirgott der Gefeierte ist, mir in der unbestimmten Weise datiren, daß wir es vor 1177 entstanden annehmen.

 

Nicht zu läugnen ist, daß die Anspielungen des Dichters auch auf Heinrich den Löwen zutreffen. Denn auch dieser hatte „eines reichen Königs Tochter“, nämlich Mathilde, die Tochter des englischen Königs Heinrich II., und die Bekehrung der Heiden läßt sich gut auf seine großartige Thätigkeit im Wendenlande beziehen. Für Heinrich den Löwen spricht, falls man unserer Vermuthung von der Identität der Verfasser der Kaiserchronik und des Rolandliedes beistimmt, noch der weitere Umstand, daß in der Kaiserchronik die Kriegsthaten und das Lob Heinrichs des Stolzen, des Vaters Heinrichs des Löwen, erst vom letzten Bearbeiter eingefügt sind; dieser konnte nicht, wie die ältere Chronik, den berühmten Vater seines herzoglichen Gönners ignoriren.

 

Bei der Unbestimmtheit der Anspielungen läßt es sich übrigens nicht entscheiden, ob Heinrich der Löwe oder Heinrich Jasomirgott gemeint sei. In jedem Falle aber entstand das Rolandlied um dieselbe Zeit wie die Kaiserchronik — um 1170. Rühren beide Werke von demselben Dichter her, so entstand die Bearbeitung der Kaiserchronik vor dem Rolandlied; wir schließen dies aus folgenden Versen der Kaiserchronik:

 

15085 Solden wir sine wundir alle sagen,

so muosen wir die wile haben.

des zites inist nu niht;

Karl hat ouch andere liet.

 

Diese Stelle, welche unsere Vermuthung vom Dichter der Kaiserchronik wohl am stärksten stützt, will offenbar besagen, daß der

 

 

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65

 

Dichter jetzt aus Mangel an Raum oder Zeit auf die Darstellung der übrigen wunderbaren Thaten Karls des Großen verzichte; er stellt damit die Erzählung derselben für spätere Zeit in Aussicht und im Rolandlied erblicken wir die Erfüllung dieses Versprechens. In der Kaiserchronik erwähnte er den Namen Rolands gar nicht, wahrscheinlich weil er sich diesen Helden für ein eigenes Buch versparen wollte.

 

Es sei noch auf den bemerkenswerthen Umstand hingewiesen, daß die Haupthandschrift des jüngern, um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts entstandenen Textes der Kaiserchronik (von Maßmann mit W bezeichnet) nach ihrer Geschichte des Kaisers Friedrich II., womit die Fortsetzung der Kaiserchronik schließt:

 

In Pulle verschiet chaiser Friderich.

We wenne wirt uns sein geleich.

Explicit Cronyca.

 

in einem Nachtrage einen Konrad als Dichter oder Schreiber nennt:

 

Bei Jugent hat auch er die scham:

Chunrat so nennet in sein nam.

Der ditz buch geschriben hat.

Eur hulde ir in haben lat.

AMEN.

Finito libro sit Laus et Gloria christo.

Sor supern scrip li poci

te orum tor bri atur. *)

Mor superb rap li mori

 

Rühren auch die lateinischen Verse unzweifelhaft von einem Abschreiber her, so wäre es doch nicht ganz unmöglich, daß die deutschen noch dem geistlichen Dichter Konrad angehört haben. Wie der Epilog des Rolandlieds nur durch die schlechteren Handschriften dieses Gedichts auf uns gekommen ist, in den bessern dagegen fehlt, so haben sich vielleicht auch in dieser späteren Handschrift der Kaiserchronik ehemalige Schlußverse des Pfaffen Konrad erhalten.

 

Haben wir mit unserer Hypothese von der Bearbeitung der

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*) Maßmann, III, 20.

Heinrich Welzhofer, Entstehung der Kaiserchronik. 5

 

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66

 

Kaiserchronik durch den Pfaffen Konrad recht; so gewinnen wir folgende Ansicht von der Art und Technik seines dichterischen Schaffens. Er unterzog sich zunächst nur der leichteren Aufgabe, ein etwas veraltetes deutsches Werk den Fortschritten der Sprachentwicklung anzupassen und es mit schon in poetischer Form umlaufenden Legenden, Liedern und Sagen, an denen er sich gleichfalls nur die unwesentlichsten Aenderungen erlaubte, auszuschmücken. In dieser Weise eignete er sich die Ausdrücke seiner Vorlagen an und gewann seine dichterische Sprache, die freilich in ihrer Einförmigkeit und Wortarmuth ihres Gleichen sucht. So vorbereitet unternahm er das schwierigere Werk der Uebertragung eines fremden Gedichts in seine Muttersprache. In dem neuen Produkte seiner Muse kehren aber allenthalben die Wendungen wieder, die er sich bei seiner ersten Arbeit erworben hatte. Niemals war er selbst produzirender Dichter; Stoff und Form mußten ihm von Außen zufließen.

 

 

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67

 

Anhang.

Die Verwandtschaft der Altaicher Annalen mit der Würzburger Chronik und Ekkehard.

 

Im Verlaufe dieser Untersuchungen wurde auf die Uebereinstimmung einiger Stellen der Kaiserchronik mit solchen der Altaicher Annalen hingewiesen. Da letztere in der Kaiserchronik sicher nicht benützt sind, so liegt die Vermnthung nahe, daß sie mit der Würzburger Chronik, der Hauptquelle der Kaiserchronik, in einem, wenn auch vielleicht entfernten Verwandtschaftsverhältniß stehen. Und in der That finden sich in den beiden lateinischen Annalen Spuren wörtlicher Uebereinstimmnng. Freilich wird die Vergleichung durch den stark rhetorischen Charakter der Altaicher Annalen, deren Verfasser seine Quellen in ungemein freier und selbständiger Weise und mit bedeutender Sprachgewandtheit verarbeitet hat, außerordentlich erschwert und wir vermögen in dem unabhängigen Theile der Würzburger Chronik, der allein hier in Betracht kommen kann, und in den Altaicher Annalen nur wenige gleichlautende Ausdrücke, die wir hier folgen lassen, zu entdecken.

Chron. Wirzib. Ann. Altah.
1055. — Heinricus imperator Ita- 1055. — sicque dispositis aliis,
liam cum exercitu petens, om- quae voluit in Italiam transivit.
nia cum pace disposuit.  
Arnolfo Spirensi episcopo Coun- Arnoldus Nemidonensis obiit, cui
radus successit. Chounradt successit.
1056. — Gebehardus Ratisponen- Gebehardus patruus ejus Ratisbo-
sis episcopus, magni impera- nensis episcopus etc.

 

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68

 

toris Heinrici patruus — victus -postremo manifestis signis est
atque custodiae mancipatus etc. victus, constodiae mancipatur.
Magna cedes a babaris qui Liutici 1056. — Hac ipsa tempestate prin-
dicuntur in christianos facta est; cipes Saxonici contra Luidilizos
quorum quidam gladio, quidam pugnarunt, sed heu tupiter victi
fugientes in aqua perierunt; inter- inde fugerunt, magno inibi sus-
quos Willehalm marchio occidi- cepto suorum detrimento, inter-
tur. Hisdem temporibus multi fecto etiam marchione Eilli-
diversarum provinciarum princi- helmo. Annus iste extitit deste-
pes perierunt. tabilis et luctum inconsulabilem
  intulit multis.
1057. Heinricus, filius Heinrici 1057. — rex Henricus adhuc puer
imperatoris, admodum puer etc. parvulus etc.
Hic [Victor] etiam eodem anno Ipsa aestate papa Victor moritur,
finivit vitam. Pro quo Fridericus, et in ejus locum frater Gotefridi
qui et Stephanus, jam monachus ducis Fridericus, cognomine Ste-
factus; a Romanis pontifex con- phanus, a Romanis subrogatus etc.
stituitur.  

 

In gleicher Weise finden sich auch in Ekkehards Weltchronik einzelne Wortanklänge an die Altaicher Annalen.

 

Ekkeh. Ann. Altah.
1060. Luitpoldus archiepiscopus 1059. — et archiepiscopus Ma-
Moguntinus obiit. gontiacensis Luitpoldus viam in-
  gressi sunt carnis universae.
1064. Sigfridus episcopus Mogon- 1065. Inter eos igidur, qui perge-
tiacensis et Guntherus Baben- bant, principes isti erant: Sigi-
bergensis et Willihelmus Trei- fridus archiepiscopus Mogunti-
ectensis aliique quam plures acensis, Wilelmus episcopus Tra-
presules vel nobiles multo comi- jectensis, Otto episcopus Ratis-
tatu Hierosolimam tendentes etc. bonensis, Guntherius praesul
  Babenbergensis.
1068. Heinricus rex adolescentiae 1062. Rex igidur jam adolescere
usus libertate — coepit principes inciebat etc. 1072. Igitur per
despicere, nobiles obprimere, in- ductuslongum jam tempus potentes
feriores sustollere etc. quosque rex ceperat contemnere,
  inferiores vero divitiis et facul-
  tatibus extollere etc.

 

 

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69

1071. Sic ducatum Baioariae Otto 1070. — reus majestatis esse decer-
ut reus majestatis amisut etc. nitur, et in reges potestatem
1072. Rex ottonem usquequaque redacto ducatu, quem habuerat.
persecutus, quam plures muni- Ipse, ubicunque inveniretur, per-
tiones ejus destruxit, predia sequi ab omnibus jubetur. Qua-
vastat, et ut vere reipublicae propter quidam ex familaribus
hostem omnino eum delere per- regis predia illius invasere, om-
tractat. nibusque vastatis edificia ipsius
  villasque concremavere etc.

 

 

Wir glauben außerdem noch hie und da in den beiden Chroniken des Ekkehard und des Altaicher Mönchs eine gewisse Verwandtschaft des Inhalts zu bemerken; aber wir würden uns allzusehr der Gefahr aussehen, in unbegründete Vermuthungen zu verfallen, wollten wir nach dieser Seite hin die Vergleichung weiter fortführen. Selbstredend kann Ekkehard die Altaicher Annalen nicht benützt haben; diesen Gedanken kann der Gesammtcharakter der beiden Werke nicht aufkommen lassen. Es läßt sich nur annehmen, daß der Altaicher Mönch und Ekkehard über einzelne Vorgänge die gleichen Notizen vor sich hatten, die übrigens in ihren breit angelegten Werken fast ganz verschwinden.

 

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Inhalt.

Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . 5

Zeit und Ort der Entstehung der Kaiserchronik . . . . 9

Verhältniß des Annoliedes zur Kaiserchronik . . . . . . . 22

Die lateinischen Unterlagen der Kaiserchronik . . . . . . 31

Der Dichter der Kaiserchronik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Anhang. Die Verwandtschaft der Altaicher Annalen mit der Würzburger

Chronik und Ekkehard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

 

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Quelle:

 

Heinrich Welzhofer: Untersuchungen über die deutsche Kaiserchronik des zwölften Jahrhunderts.

München 1874. Adolf Ackermann (vormals E. A. Fleischmann’s Buchhandlung) .

 

 

Rezension zu E. Gervais: Politische Geschichte Deutschlands 2. Teil Kaiser Lothar III.

„Der Verf. hat mit großer Ausführlichkeit und mit umfassender Quellenbenutzung, die selbst für die speciellsten Verhältnisse und Begebenheiten die erfoderlichen Autoritäten zu Tage zu fördern weiß, die Regierungsgrundsätze und den Charakter Lothars III. sowie die damaligen Zustände des Reichs dargestellt und in ein helles Licht zu setzen gestrebt. Das Ganze darf nicht nur als eine rühmliche aus selbstständiger Forschung hervorgegangene Ausfüllung der Lücke in unserer Geschichkenntniß von jenem Theile des Mittelalters angesehen werden, sondern auch zugleich als eine Apalogie des Kaisers Lothar. Man kann dieselbe, wenn nicht direct, so doch indirekt auf das Endurtheil, welches Pfister in seiner „Geschichte der Deutschen“ über jenen Fürsten ausgesprochen und damit die so ziemlich allgemein verbreitete Meinung der Historiker, namentlich Luden's und Raumer's, getroffen hat, beziehen. „Der sächsische Fürst“, sagt Pfister, „der früher als Herzog nicht unrühmlich an der Spitze der Fürsten gegen die Übermacht des fränkischen Kaiserhauses gestanden, ließ sich im Besitz der Krone auf unwürdige Art von den Bischöfen leiten und bewies nur in der Abneigung gegen das mit dem seinigen wetteifernde Haus der Ghibellinen Beständigkeit.“ Dagegen urtheilt nun unser Verf. auf folgende Weise:

Deutschland verlor in Lothar einen Vater des Vaterlandes, wie die gleichzeitigen Schriftsteller ihn nennen, denn nicht nur mit Kraft hatte er den gesunkenen Thron hergestellt, auch durch seine Milde und Herzensgüte ein Band zwischen Herrscher und Volk geknüpft, was unter den streng, willkürlich, oft despotisch verfahrenden fränkischen Kaisern niemals möglich gewesen war. Um nicht als König in die Willkür zu verfallen, der er als Herzog gewehrt, sollte nicht nicht an das Schwert, nicht an die Gewalt die Vollziehung seines Willens, die Geltendmachung seines Handelns geknüpft sein, sondern die Vermittelung durch das Wort des Herrschers, durch das Ansehen seiner Majestät, durch seine eigene Persönlichkeitgab er überall den Vorzug und brauchte nur die zu Gebote stehende Macht, wo Trotz, Anmaßung, Zügellosigkeit oder gar Frevel nicht anders gehemmt und gezüchtigt werden konnten. In einem Zeitalter, wo alle Leidenschaften ungestüm hervorbrachen, wo die gesetzlichen Schranken niedergerissen oder schwach gestützt waren, wo ein kaum beendeter Kampf zwischen Kirche und Reich die Verfassung untergraben, den Thron in Schwanken gebracht, die Majestät des Kaisers zum Schatten herabgesetzt hatte, war es eine schwierige Aufgabe: Die Macht der Vernunft, die Verweisung auf das Recht, die Nothwendigkeit des Friedens und die Heiligkeit der Majestät als wirksame Hebel der Herrschaft über alle ihnen widerstrebende Kräfte zu gebrauchen. Gleichwol gelang es Lothar, auf diesem einzig heilbringenden Wege Deutschland vom gänzlichen Verfall zu erretten und es zu einer kaum zu hoffenden Größe zu erheben. Es erscheint nach den zwölf Jahren seiner Regierung wie umgewandelt, und Lothar's zweite Heerfahrt in Italien zeigt die wildaufgeregten Elemente, die bisher sich zu vernichten drohten, unter seiner Leitung so wirksam gegen einen äußern Feind vereint, daß auch das gemeinschaftliche Handeln, das Beisammensein der nach entgegengesetztem Ziele strebenden, vor kurzem noch einander Vernichtung drohenden Gewalten den glücklichen Erfolg nicht aufheben. Auf dem Wege, den er gebahnt, durfte, was er noch unvollendet gelassen, sein Nachfolger errungen und die Krone des Reichs zu der Bedeutung, die sie unter Karl dem Großen und Otto I. gehabt, zurückgebracht haben. Doch war es nicht leicht einem Andern möglich, mit dem Papste in Gemeinschaft ein Unternehmen glücklich durchzuführen, welches Papst und Kaiser beinahe auf jedem Schritt in neuen Zwiespalt zu stürzen drohte. Der feste Grundsatz: mit der Kirche nie brechen zu wollen, und auch: dem eigenen Ansehen nichts zu vergeben, berührten sich hier wie auf der scharfen Schneide des Messers, und doch wurde Beides, wie jeder Unbefangene erkennen wird, nicht verletzt. Der feste, edle und fromme Charakter des Mannes erscheint uns hier in seinem vollen Lichte und verdient sein Verfahren dem Papste gegenüber nicht Tadel, sondern das höchste Lob.

Wenn der Verf. Veranlassung nimmt zugleich die Frömmigkeit des Kaisers im Geiste seiner Zeit zu schildern, so gab ihm eine Urkunde des Klosters Monte Cassino Veranlassung und eine beglaubigte Auctorität. Die Die hierher gehörige Stelle jener Urkunde ist merkwürdig genug, um das Interesse der Leser zu erwecken:

Nam et ipse testis sum (Petrus Diaconus), in expeditione constitutus summo diluculo missam pro defunctis, dehinc pro exercitu, tertiam postremo diei missum audiebat. Demum viduis et orphanis cum Augusta pedes lavans tergebat crinibus et osculabatur, cibumque illis ac potum large distribuens quaestiones et oppressiones ecclesiarum prius relevans ultimo in loco imperii ponebat. Quamdiu vero in Cassinensi claustro remoratus est, ita omnes officinas monasterii ac si Abbas vel Decanus circuibat scire cupiens quomodo quisque sub Beati Benedicti magisterio viveret, factoque mane orans monasterii ecclesias nudis pedibus circuibat. Et haec agens nunquam a consortio Episcoporum et Abbatum avellebatur et cum sapientibus sermocinatio ejus. Erat profecto coecorum baculus, esurientium cibus, miserorum spes, lugentium consolatio atque ita in singulis eminebat virtutibus, ut omnes perfecte haberet. Sacerdotes honorabat ut patres, pauperes fovebat ut filios, viduas ut matres. Erat orationibus pervigil lacrimasque creberrimas contriti cordis Deo afferebat.

Unser Verf. hat nun die Wahrheit seines Urtheils über den Kaiser nicht blos durch Combinationen, die auf die Chronisten der Zeit und auf andere glaubwürdige Urkunden gestützt sind, zu erhärten gesucht, sondern ist auch bemüht gewesen sie noch speciell dadurch zu sichern, daß er sich selbst auf Albert von Stade und Otto von Freisingen beruft, die in dem Lobe des Kaisers bei dessen Tode übereinstimmen Der Letztere erklärt in der That bei dieser Gelegenheit, was bei seiner sonstigen Parteilichkeit für die Hobenstauffen'schen Verwandten allerdings beachtenswerth erscheint, Lothar würde, falls ihm ein längeres Leben zu Theil geworden wäre, dem Reiche seinen frühern Glanz wieder verschafft haben. Wir glauben deshalb, unser Verf. würde seiner Apologie Lothar's und der Wissenschaft einen recht wesentlichen Dienst erwiesen haben, wenn er eine auf unbefangene Kritik gegründete Werthbestimmung der Quellen, namentlich des sächsischen Annalisten und des schon genannten Otto von Freisingem vielleicht in der Form einer Einleitung, schon jetzt seinem Werke beigegeben hätte, statt dieselbe, wie er verspricht, an einem andern Orte erscheinen zu lassen. Wir dürfen dies um so mehr bedauern, da der Verf. bei der Bekanntschaft mit seinen Quellen unstreitig etwas Vorzügliches zu leisten im Stande ist; denn die hier und da im Werke zerstreut liegenden Andeutungen reichen nicht aus und gewähren selbst dann, wenn man sie mühevoll zusammensucht nicht das zu wünschende und erfoderliche Resultat. Raum und Zweck d. Bl. erlauben uns nicht auf Einzelnes und weitläufige Erörterung desselben einzugehen; nur so viel wollen wir bemerken, daß der Verf. Widerspruch erfahren und dem Vorwurfe einer gewissen Parteilichkeit für Lothar besonders den Hobenstaufen gegenüber, wie insbesondere der siebente und letzte Abschnitt seines Werks an den Tag legt, sowie auch der Anschuldignng, hier und da die Umstände und die Politik des Kaisers etwas zu künstlich gedeutet zu haben, nicht ganz entgehen wird. Das kann und darf aber den Unparteiischen nicht hindern, des Verf. „Politische Geschichte Deutschlands“ für eine rühmenswerthe Bereicherung unserer Geschichtsliteratur zu erklären und den Wunsch auszusprechen, das derselbe bald auf einem ähnlichen wissenschaftlichen Gebiete wieder erscheinen möge.

Karl Zimmer.“

Quelle: zitiert aus: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 45 v. 14.02.1843 S. 178-179
SLUB Dresden Signatur Eph. Lit. 227-1843 erster Band


 

 

 

 

Lotharius Röm. Keyser / Churfürst und Herzog zu Sachsen

Zu Sipplenburg ein Graff war Ich /
Heinrich der Vierde wirdigt mich /
Mit Chur und Reichs Gerechtigkeit /
Heinrich den Fünfften Ich bestreit.
Bey Welfesholtz siegt Ich Ihn an /
Erwarb nach Ihm des Reiches Kron /
Da man nach Christ geburt zehlt dar /
Tausent / hundert / siebnzwentzig jahr.
Viel grosser that / mit kleiner macht /
Ich offt mit Gottes hülff vollbracht.
Das Römisch Recht bracht Ich ans liecht /
Welchs lange war gebrauchet nicht.
In Schulen ließ Ichs lesen auch /
Damit es wider kem in brauch.
Dazu mir halff ein glerter Mann /
Irnerius recht war sein Nam.

 

 

 

Quelle:

Agricola, Johann: Abcontrafactur und Bildnis aller Grosshertzogen, Chur und Fürsten, welche vom Jahre nach Christi geburt 842 biss auff das jetzige 1599. Jahr, das Land Sachsen, Löblich und Christlich regieret haben, Sampt kurtzer erklerung ihres Lebens, aus glaubwirdigen Historien zusammen getragen, und in deutsche Reime bracht.

Verleger: Sauberlich, Lorenz Wittenberg 1599

Online-Ausgabe Halle, Saale: Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt 2013

 

 

 

Feudorum Liber secundus. De prohibita feudi alienatione per Lotharium. Titulus LII

„TITULUS LII. DE PROHIBITA FEUDI alienatione per Lotharium.
Feudum vasalli non alienent sine voluntate dominorum suorum: Et si vasallus contra fecerit, pretio et beneficio carebit: notarius vero qui scripsit instrumentum, officio suo priuabitur, et fit infamis: Baldus.
Lotharius diuina fauente clementia. III. Imperator Romanorum pius, felix, inclytus, ac triumphator, semper August. uniuerso populo.
Imperalis beneuolrtiae propriuesse iudicamus, commoda subiectorum inuestigare, & eorum calamitatibus diligenti cura mederi: similiter reipub. bonum statum, ac dignitatem imperii omnibus priuatis commodis praeponere. Quocirca omnium fideliu nostrorum tam futurorum quam praesentium nouetit universitas, qualiter dum apud Ronchalias secundum antiquorum Imperatorum consuetudinem pro iustitia ac pace regni componenda consideremus: omnia quae ad honorem Imperii Romani spectare videntur, solicite indagantes perniciosissimam pestem, & reipub. non mediocre detrimetum inferentem resecare proposuimus. Per multas enim interpellationes ad nos factas coperimus milites sua beneficia passim distrahere: ac ita omnib. exhaustis, suorum seniorum seruitia subterfugere: per quod vites Imperii maxime attenuatas cognouimus, dum proceres nostri milites suos omnibus beneficiis suis exutos ad felicissimam nostri numinis expeditionem nullo modo transducere e
e {Imperalis. Transducere. cum ipsi mi lites qui beneficia habent a dominis suis, debeant ire cum eis quando vadunt Roma cum rege in hostem, id est, in exercitu. illi autem vasalli qui cum eis non vadut, debent praestare eis hostenditias, b
b [Hostenditic quid & earum quantitas antiqua & nouz]
olim scilicet in Lombar.xii. denarios de modio. in Theutonia tertiam parte fructuum, facta computatione fructuum solummodo eius anni in quo hostem faciunt: vt §. de cap. Cor. s. similiter in hostenditiis. Hodie vero aliter statuum est, scilicet, quod si non iuerit secum in praedicta expeditione, vel alium pro se domino acceptabilem non miserit: debebit tam in Lombardia quam in Alemania subministrare domino dimidium reditus feudiunis anni. & si C
C [Hostendias non soluentis vasalli poena.]
alterum istorum a domino admonitus siue vocatus spatio competenti no fecit, feudum amittit: vt in constitu. Frider. Imperialem. §. firmiter. & hoc debebit probari, s. quod vocatus fuerit a domino per compares ipsius vasalli, ar. j. de allo. § vt autem aequitas.}
valeant. Hortatu itaq. & consilio f
f {§ Consilio. secutus fuerit Imperator iste modum Iustiniani in condenda lege, seam faciendo consilio procerum suorum: vt C. de legi. et consti. l. humanum.}
archiepiscoporum, episcoporu, ducum, comitum, marchionu, palatinorum, caeterorumq. nobilium, similiter etiam iudicum hac edictali lege g
g {§ Hac edictali lege. unde habet d
d [Lex generalis esse his ver bis hac edictali, & in omne aeuum & similibus colligicur.]
vim generalis legis hoc ipso quod in ea ponitur verbum istud, hac edictali I. quod solum sufficerent etiam sequens verbum, scilicet in omne aeuum, & c. ad hoc vt haberet vim generalis legis: vt C. de legi. l. leges vt generales. Accursius.}
in omne aeuu Deo propitio valitura decernim 9 nemini licere beneficia quae a suis seniorib. habent, sine ipsorum permissione h
h {§ Permissione. alias enim si e
e [Alienari feudum a vasallo potest domini consensu.]
eorum consensu vendictio fieret, bene valeret: & hoc verum est siue dominus consentiat tacite ipsi venditioni siue expressim: vt arg. C. de remis. pi. l.ii. et l. si hypothecas. et ff. de re. iud. l. sreditor. qui enim alii consenit, sua iura perdit: vt C. de admi. tu. i. cum quidam. § Sed quid si eo sciente & non contradicente vendatur Respon. & tunc forte bene valeret venditio: vt arg. supra si deinue. inter do. et ff. mand. l. si vero. §. idem Papianus. et C. de nupt. l. si vt proponis. Item intelligitur consentire g
g [Consentire tacite quis dicatur.]
si praesens h
h [Praesentia sine contradictione an & quado pro cosensu habetur.]
fuit, & non contradixit: vt. arg. ff. de decu. l. honores. §.ultim. nisti forte feiat u bique ius suum durare dum tacite consentit: vt arg. ff. quibus mod. pign. vel hypoth. sol l. siut. § non videnur. & haec vera sunt quando ex certa scientia. alias enim potius videretur errare: vt ff. de iudi l. ii}
distrahere, vel aliquod commercium i
i {§ Commercium. puta i
i [Commercii species.]
forte pretium ipsum accipiendo sub colore inuestiturae: vel etiam pignori obligando: vel aliter alienando: quod quidem facere non potest: vt i. in consti. Frider. Imperialem. §. callidis. Vel forte in feudando aliis qui non possunt feudum seruare, sicut ipse potest: cum no fit forte miles sicut ipse est: Vel etiam dando alia lege quam ipse habet. quod simpliciter prohibetur facere: vt S. de lege Corradi. §. ex eadem lege.}
adversus tenorem nostrae constitutionis excogitare a
a {§ Excogitare. Non intelligas secundum literam, quod ex sola a
a [Cogitationis nudae nemo reguliter poenam patitur, sed eius quae ad actum aliquem processit]
cogitatione patiatur poenam sequentem: sed intelligas de ea quae iam processerat ad actum, & factum compleuit: cum ex sola b
b [Cogitatione sola non minuitur utilitas imperii vel dominorum.]
cogitatione non minuatur utilitas imperii, vel dominorum. & hoc est quod sequitur, per quod Imperii vel dominorum minuatur utilitas, &c. eum nemo debeat poenam pati cogitationis: vt notatum est supra titu. proxi. cap. si voluerit. & ad hunc intellectum facit etiam quod I. dicit, pretio ac beneficio se cariturum, &c. per quod videtur quod completae c
c [Veditio feudi, nisi copleta sit & perfecta non panitur.]
debeat esse venditio. 2 Vel dicias quod bene debet d
d [Cogitationis n d poenam an & quado quis patia tur.]
pati vasallus poenam inferiorem ex sola cogitatione, s. quia beneficio debet carere: vt hic sit unus casus in quo patiatur quis poena cogitationis & tentationis. hoc est quod infra dicit, in fraudem legis machinari tentauerit, &c. & intelligas quod hic dicitur minuatur, id est minui possit. & quod infra sequitur, pretio, scilicet quando completa erat venditio: ac beneficio, scilicet quando solummodo cogitauerat, vel tetauerat. priorem tamen intellectum puto meliorem}
,p quod imperii vel dominorum minuatur utilitas b
b {§ Utilitas. in hoc minueretur c
c [Veditio feudi, nisi copleta sit & perfecta non panitur.]
utilitas Imperii, si beneficia ita alienarentur: quoniam milites qui beneficia venderent, non irent amplius in expeditionem cum dominis eorum, quod facere debent: vt supra no. est: & ita vires Imperii attenuarentur, secundum quod s. dixit, per quod vires Imperii attenuatas, &c. dominorum autem utilitas in hoc minueretur: quoniam non possent amplius habere ab eis hostenditias superius nominatas: vel etiam alia seruitia quae vasali dominis praestare tenentur. & hoc est quod dixit in superiori parte istius legis, ubi dicit, suorum seniorum sernitia subterfugere.}
§ Si quis vero contra haec nostrae legis saluberrimae praecepta ad huiusmodi illictum comercium accesserit, vel aliquid in fraudem huius legis machinari tentauerit: pretio c
c {§ Pretio. quod f
f [Pretium feudi a vasallo sine consensu domini alie nati emptori bone fidei restituitut: alias fisco cedit.]
pretium restituetur bonae fidei emptori: vt in const. Frider. imperialem. circa fi. i. respon. Sed quid si esset male fidei emptor, puta quia sciebat feudum esse quod emit. Respon. tunc non repetet, secundum quod hic videtur dici: Vel aluid si in fraudem I. machinaritentauerit & ita secundum hoc poteris referre istud cariturum agnoscat, tam g
g [Alienati feudi in fraudem legis, qui poe ham patiantur]
ad emptorem, quam ad venditorem, de hac materia dices secundum quod plenius not. in d. constit. Frider. Imperialem.}
ac beneficio d
d {§ Ac beneficio. quod beneficium dominus recuperabit nulla a
a [De vi huius clauiulae seu formalae vide quae seripsi. s. titu.40. in verbo praescriptione]
praescriptione obstante: quia quod ab initio b
b [Inualida ab initio tempore non cofirmantur.]
non valuit, tractu temporis confirmari non potest: vt supra de cap. Corra. c. j. et in consti. Frider. Imperialem.}
se cariturum agnoscat. Notariu vero qui super hoc tali contractu libellum e
e {§ Libellum. forte quia c
c [Coserip sisse illiciium instrumentum, quando quia dicatur]
imbreuiauit tantum contractum ipsum super aliqua schedula: vel forte scripsit super aliqua chattula qualiter debeat contractus celebrari, quem dedit uni ex contrahentibus vel ambobus: & nihil ultra fecit.}
vel aluid instrumentum conscripserit: post amissionem officii, ipsum infamiae f
f {§ Infamiae. & ita non patietur aliam poena notarius d
d [Notarii illicitum feudi instrumentam conseribentis poena]
per constitutionem istam, nisi quia officium tabellionatus amittet, & infamis efficietur. per constitutionem autem Friderici, Imperialem decet solertiam, debet similiter manum amittere. in §. illo, callidis. Sed nunquid verum erit, si sciens, siue ignorans feudum esse, inde instrumetum fecit non puto quod ignorans e
e [Ignorantia excusit seribente instrumentum illicitum.]
puniatur. nam nec vasallus alienans per ignorantiam, punitur. vt S. de controu. inter do. et empt. $.i.}

† [Concor. C. de ser. fugit. Auth.novo sure. & hoc verum secundum Bal. hic, si notarius etat legitimaeaetatis, scilicet 25. annorium completorum vt C.de liu que ve. ata impetra. I. 2. alias non amputa tuc ei manus:quia instrumentum isi d reuera no cit falsum, edtemerarium. Bald.]
periculum sustinere sancimus. Datum vii. die mensis Novembris M.CXXXVI.
Primo thema, Secundo quaestio. Tertio responsio. Secunda ibi, defuncto. Tertia in versi. quas amputantes. Baldus.
Imperator Lotharius Augustus uniuerso populo.
§2 Satis bene dispositum ad utilitatem regni, & ad perniciosam pestem destrucdam, in scriptis inserere curauimus. Quida miles bina beneficia a duob. dominis, prout solitum est, acquisiuit: qui decedens duos reliquit filios, qui paterna beneficia inter se diuidentes, alter eoru domino suo pro beneficio quod ad eum peruenit, fidelitatem nullo anteposito, sicut pater fecerat, fecit. Alter vero frater pro suo beneficio alteri domino suo similiter, quia nullum alium dominum habere videbatur, nullo anteposito fidelitate fecit, Defuncto posteriore fratre sine filiis, utiq. feudum in querimonia venit: ut prius persona, & sic dominus posterior tale fidelitatem quaerit, quale eius frater fecerat. Quas amputantes altercationes, sancimus, qd frater fecit (s. in dado simpliciter) nil superstiti obesse: licet in secundam & tertiam generationem, & usque in infinitum peruenit, si hoc actum erit.
Si vasallus intra annum et diem dolose no petierit inuestituram, amittit feudu. Si vero iusta causa impeditus no fecerit: non perdit feudu. Bald.
Imperator Lotharius Augustus et C. Eugenio Papae, et universo populo.
§3 Quoniam inter g
g {Quoniam inter. Et not. quod lex ista tantum locum habet in futurum, secundum quod dicitur in praedicta constitutione Friderici, Imperialem. circa principium: ubi dicitur: unde Imperator, &c. nimirum cum in hac no dicatur aliud de praeteritis contractib. leges f
f [Leges futuris negotiis formam dare solent]
enim & constitutiones futuris certum est dare formam negotiis, & c. vt C. de legi. et consti. l. leges et constitutiones.}
dominum & vasallu nulla fraus nec ullum malum ingenium deber intervenire, idcirco per hanc praesentem legem sancimus, si vasallus non dolose per annum & diem steterit quod a domino sui beneficii inuestituram non petierit: feudum non ob hoc amitrat. dolus enim abesse videtur, si iusta causa h
h {§ Si iusta causa. quando autem intelligatur iusta g
g [Iusta causa impediri quia dicatur]
causa impediri, dicitur supra quo tempo. mi. inue. pe. c. i. § Et nota, quod haec lex &c superior proxima inveniuntur in paucis consuetudinib. feu lorum. unde quia dubito utrum sunt leges, vel no, circa eas no institi.}
impediente steterit.
Datum sexto kalendas Septembris, anno a natiuitate Domini M.CXXXVII. indictione V.“


Quelle:
Feudorum Liber secundus. De prohibita feudi alienatione. Tit. LII,
Volumen Legum
Quod paruum vocant: In quo haec insunt.
Tres posteriores libri Codicis D. Iustiniani
sacratiss. Prinzipis, eadem cura,
qua priores nouem emendati.
Authenticae seu Nouellae Constitutiones eiusdem Principis.
Feudorium libri duo
Constitutiones Friderici II. Imperatoris.
Extrauagantes dux Henrici VII. Imperatoris.
Tractatus de pace Constantix
Commentariis Antonii Contii apud Biturigas olim professoris ordinarii, accesserunt notae Accursium Dionysii Gothofredi I. C. in quibus obserutae Glossae similes Contrariae, Improbatae: Obscuriores definitionibus vel diuisionibus explicarae: dictionis, historiae & iuris admissa Accursiana subiecta.
Renouata et prioribus correctior editio
Lugduni, Sumptibus Horatii Cardon. MDCIIII.
Cum privilegiis Sacrae Caesar. Maiest. et Christianiss. Francorum Regis.

Der vollständige Text aus Tomus V: Volumen Parvum: Libri feudorum ist unter folgender Internetadresse verfügbar:
http://amesfoundation.law.harvard.edu/digital/CJCiv/CJCivMetadataNov.html



Hintergrundinformationen zum Edict vom 07.11.1136 in L.F. TITULUS LII. DE PROHIBITA FEUDI alienatione per Lotharium

„.....
Großes war dem Kaiser während der kurzen Zeit seines Aufent-
haltes in der Lombardei gelungen. Die meisten Fürsten und Städte
hatten seine Oberhoheit anerkennen müssen. Die Wenigen, welche
wie Cremona in Widerspenstigkeit verharrten, waren von seinen Ver-
bündeten rings umstellt, sodaß sie sich auf ihre Stadt beschränkt
sahen und vor den Thoren die Zerstörung ihrer Vesten, die Ver-
wüstung ihrer Besitzungen nicht abzuwenden vermochten. Hätten
aber nur Strenge und Gewalt seine Herrschaft begründet, so wäre
sie für ihn von kurzer Dauer und für die Italiener ein Unsegen,
eine Tyrannei gewesen. Doch nach Jahrhunderten pries man noch
seine Anordnungen und hielt seinen Namen in dankbarer Erinnerung
fest. Mitten im Geräusch der Waffen, die er nur, gezwungen durch
den wechselseitigen und unversöhnlichen Haß der vielen kleinen Staa-
ten, verbunden mit den Einen zum Kampfe gegen die Andern ge-
braucht hatte, war er bemüht, der allgemeinen Zerrüttung durch


____
355 Lothar's Verfahren in Oberitalien.

Erneuerung alter in Vergessenheit gerathener Gesetze Einhalt zu thun,
den Beschwerden der Stände wie einzelner Beeinträchtigter 1) Abhülfe
zu gewähren, vornehmlich aber seinem italienischen Königthume Kraft
und Festigkeit zu geben. Als ein Haupthinderniß für Letzteres er-
kannte er die große Zersplitterung der kleinen Lehngüter, die es beim
besten Willen den größern Landesherren unmöglich machte, eine kräf-
tige Stütze zu gewähren, ja auch nur eine mäßige Anzahl Krieger
für ihn ins Feld zu stellen 2). Darum berief er in die roncalische
Ebene nicht nur die hohe Geistlichkeit, Herzoge, Markgrafen, Pfalz-
grafen und Grafen, kurz nicht blos die Stände des Reichs, sondern
auch rechtskundige und in praktischer Ausübung rechtserfahrene Män-
ner zu sich 3), um mit ihrem Beistande und nach ihrem Rath den
Uebelständen abzuhelfen, über die bald klagend, bald bei der man-
gelhaften Ausrüstung sich entschuldigend, die Lehnsherren jener fast
besitzlos gewordenen Ritter und Vasallen schon vielfache Anzeige ge-

1) Ein Beispiel, wie auch Privatsachen zu des Kaisers und der Fürsten Ent-
scheidung gelangten und von ihnen keineswegs abgewiesen wurden, gibt Landulf
von sich selbst cap. 44: Tunc ego quoque ibi per tres dies affui et licentiam
lamentandi ad Imperatorem a Domino meo Conrado Rege praesente (Landulf's
große Anhänglichkeit für diesen, dem er auch den frühern Würdetitel läßt, ist ein
seltenes Beispiel bei den Italienern) Sigifrido (?) filio ejus interprete suscepi
et Principibus cujuscunque dignitatis circumsedentibus et vocem meam
audientibus sub tentorio Imperatoris querelam de Andrea Sugaliola feci.
Quam querelam Archiepiscopus Trevirensis (wie richtiger für Taurinensis zu
lesen ist) cum caeteris Archiepiscopis et Episcopis aliisque literatis viris in-
tellexit et me sicut vir prudens et sapiens interrogavit et post meam respon-
sionem Domino Imperatori causam meam per verba mibi barbara revelavit
(Lothar verstand italienisch nicht, Albero machte den Dolmetscher; daß der Kaiser
des Lateins unkundig gewesen, ist nicht zu glauben, da er im römischen Rechte
so erfahren sich bewies) et Dominus Imperator secundum petitionen meam prout
Pontifices mihi fidem fecerunt, imperavit Consulibus Mediolanensibus, ut
Mediolani causam meam juste et paterne tractarent.
2) In der Verordnung de feudis vom 7. November II, tit. 52 gibt Lothar
diesen Umstand als Grund seines Verbots an: Per multas interpellationes ad
nos factas comperimus milites sua beneficia passim distrahere ac ita omnibus
exhaustis suorum seniorum servitia subterfugere: per quod vires Imperii
maxime attenuatas cognovimus, dum proceres nostri milites suos omnibus
beneficiis suis exutos ad felicissimam nostri numinis expeditionem nullo modo
transducere valeant.
3) Ebendaselbst: Hortatu et consilio Archiepiscoporum, Episcoporum, Du-
cum, Comitum, Marchionum, Palatinorum caeterorumque nobilium similiter
etiam Judicum hac edictali lege in omne aevum Deo propitio valitura de-
cernimus.
23*

____
356 Sechster Abschnitt.

macht hatten, sodaß die Ursache der geschwächten Reichsmacht ihm
nicht länger verborgen bleiben konnte. Nach demselben Grundsatz
wie in Deutschland verfuhr Lothar in Italien, weil hier wie dort
die Maximen seiner Vorgänger, der fränkischen Kaiser, das Staats-
verband gelöst, die Reichskraft untergraben hatte, indem den kleinen
Fürsten, Rittern und Edelleuten durch das Recht der Vererbung
eine allzugroße Losgebundenheit von den Landesherren, eine willkür-
liche Vertheilung, Benutzung und Veräußerung der Lehngüter ge-
stattet worden war, sodaß Vasallen und Landesherren zugleich dadurch
in Ohnmacht versanken und der allgemeinen Auflösung des Feudal-
systems, das noch durch kein anderes ersetzt war, nicht zu steuern
vermochten. Lothar gebot nun, daß ohne den Willen und Rath der
Lehnsherren deren Vasallen die Lehen weder zerstückeln noch veräußern
durften. Indem er durch dieses Edict dem verarmten und niedern
Adel zu Wohlstand verhalf, gab er der Lehnsoberhoheit der Landes-
herren neues Ansehen, und indem er als Ordner dieses Lehnsverbandes
die größern Fürsten um sich versammelte, sie an sein Interesse knüpfte,
gewann er mittelbar schon größeres Ansehen, aber auch unmittelbar
größere Streitkräfte, weil nun der frühere Entschuldigungsgrund
der italienischen Fürsten wegen Mangelhaftigkeit ihrer Contingente
beseitigt wurde. Jenes Edict vom 7. November 1136 spricht mehr
für Lothar's erhöhte Macht in Italien als alle seine Eroberungen;
denn diese, vom Glück, von der Stellung der Parteien abhängig
und überdies ihm nirgends eine unumschränkte Gewalt gewährend,
waren keine dauernden Stützpunkte, sondern schwächten und zer-
stückelten oft die Streitkräfte. Jenes Feudalgesetz aber war, wie er
richtig erkannte 1), für die Wiederherstellung des königlichen Ansehens
in Italien der wirksamste Hebel. Wenn er selbst auch noch nicht
die Früchte der Anordnung erlebte, wurde doch durch die freudige
Anerkennung des so naturgemäßen Gesetzes bei allen Fürsten Italiens
das Bestreben derselben, dem Kaiser sich dankbar, gefällig, dienst-
fertig zu erweisen sehr erleichtert und der Hauptzweck des Letztern,
Einheit und Festigkeit auch diesem Theile des Kaiserthums zu geben,
gefördert.

1) In der Verordnung de feudis vom 7. November, im Eingange: Cum
apud Roncalias secundum antiquorum Imperatorum consuetudinem pro ju-
stitia ac pace Regni componenda consideremus omnia, quae ad ho-
norem Imperii Romani spectare videntur, sollicite indagantes perniciosis-
simam pestem et Reipublicae non mediocre detrimentum inferentem resecare
proposuimus.“

Quelle:
Dr. Eduard Gervais, Politische Geschichte Deutschlands unter der Regierung der Kaiser Heinrich V. und Lothar III., Teil 2, S. 354 - 356
Leipzig: F. A. Brockhaus 1841



PHILIPP MELANCHTHON: ORATIO DE DIGNITATE LEGUM (1543)

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241    DE DIGNITATE LEG.
„....
Oratio de dignitate legum. 1543.
Usitatum est, hoc loco, et in hic spectaculis aliquid de legum dignitatte dicere, ad quarum reuerentiam certe excitari homine maxime pro dest. Etsi autem et ego de eodem argumento dicere cupio, tamen quo saepius de imperiis, de vitae gubernatione, de legibus et indiciis, quae sunt nerui gubernationis, tranquilitatis, et disciplinae, cogito, eo nihil difficilius est eligere ex tanta mole reru quod dicam. Primum enim quam difficile est respondere cyclopum et Cetaurorum opinioni, qui in tanta confusione rerum humanarum, hoc totum quod vocamus legem, et politicam sapientiam, dicunt inane nomen esse, vi et armis rapi imperia, et regi arbitriis potentum tantisper dum tenentur. Nam vt vetera exempla omittam, quid Turcica barbaries vllas leges curat? Progreditur quoad potest et vi oppressis imperat quae libet. Ante centum annos Constantinopolis florentissima schola fuit nostrarum legum: Nuncprocul pulsa hac doctrina, omnia vnius tyranni nuru, aut barbari alicuius ducis reguntur. Sic cum orbis
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242    ORATIO
terrarum dilaceraretur ab Alexadri satellitibus, quae ibi legum vox, quae doctrina politica vsquam audiebatur? Cum igitur magis rabie Tyrannorum, et arbitriis potentum omnia gerantur, qui locus est sapientiae, et nostrae politicae arti? Nec enim illud imaginandum est, nostram arte similem esse militari, quae nunc hostibus, nunc ciuibus seruit, et vtrinq iniustis cupiditatibus opera locat. Alia res est haec politica ars, seu iuris doctrina, nusquam locum habet, nisi in tranquilla ciuitate et in eo consilio, quod ad normam institiae suas sententias accommodat. Vt Athenis donec Solon praesuit ciuitati, valuit legum autoritas. Romae legum reuerentia mansit, donec Augustus vixit: sed vtrog, locobrem post opressi sunt ciues Tyrannide, et leges conticuerunt: vt Solone viuo, Pisistratus rapuit dominationem: post Augustum, mox Tyranni aliquot quam crudeliter grassati sunt in Rempub? Haec exempla saepe mouent etiam magnos bomines, vt aut nullum, aut exiguum vsum esse nostrae doctrine arbitrentur, qui quidem dictum illud Ciceronis in ore habent: Inter arma silent leges. Marius dixit, se legum vocem inter classica et tubarum sonos non audiuisse. Et Nazianzenus de Iuliano inquit: Voluntatem principis esse ius non scriptum. Vt igitur ipse meum animum, et si quos fortasse alios, confirmem, resutare illam vituperationem nostrae doctrinae institui, et ostendam et esse, et futurum esse vsum huius artis, etiasi magnae fuerunt, et nunc sunt, et impendent aliae rerum
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243    DE DIGNITATE LEG.
humanarum mutationes, nec nobis studiu abiiciendum esse, sed eo magis colendu, vt conseructur. Ac Primum constituamus esse artem politicam: Non enim frustra Deus indidit humanis mentibus leges naturae. Harum explicationem voluit extare inliteris et monumentis sapientum, hanc voluit esse imperatorum et indiciorum regulam, quae non propterea nihil est, etiamsi multae aliaeres gubernationem interturbant. Vt. ars medica vera, est diuinitus tradita, et salutaris humano generi, etiamsi corpora humana non tantum medicae artis praeceptis reguntur, sed saepe occultis, aut subitis causis laeduntur, quae prouideri non possunt ita nostra ars vera est, diuinitus monstrata gene ri humano, et salutaris, etiamsi aliae res accedut, quae hanc sapientiam saepe reprimunt. Lacerantur imperia inter dum fatalibus poenis, vel Diaboli furore et Tyrannorum cupiditatibus: Cedit talibus temporibus sapicntia politica.
Quid enim loci erat bonis viris, cum triginta Tyranni tenerent Athenas? Et quia saepe violetia dominatur, et multae existum subitae, et improuisae mutationes, Epicuraei putant res humanas casu ferri, et tatum quemq obtinere posse, quantum valet potentia. Sed nos, qui in Ecclesia Dei instituti, certo scimus Deum esse inspectorem et indicem vniuersi generis humani sciamus imperia neq oriri, neq interire casu. Deinde hac nos consolatione maxime sustentemus: Eisi concutit Deus aut euertit imperia, tamen
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244    ORATIO
ecclesiam suam non sinit funditus deleri, et haec, vt maneat dat hospitia, conseruat connubia, procreatione, educationem, contractus, literas, doctrinam de coelo traditam: Esse igitur coetus legibus iunctos necesse eri. Quare etiamsi multa incidunt tempora, quibus politica sapientia parum habet loci, vt in saeuissimis tempestatibus nautae periti vincuntur, tamen donec erit Ecclesia, coetus erunt legibus iuncti, hos si regerent indocti, sine certo iure, sine literis et eruditione, quales tenebrae essent vitae? ac redeo ad exempla superiora. Solon leges tradidit Atticae ciuitati, quae etiamsi non sustulerunt omnia vitia, tamen contractus et iudicia quadam humanitate rexerunt, et voluntates civium coniunxerunt. His legibus ad Romana tempora annis plus quingentis civitas vsa est. Etsi autem interea vrbs bello Persico incensa, et deleta est, cum ciues essent in nauibus, et vxores et liberos abdidissent inter scopulos marinos, tamen non propterea Solonis leges fuerunt inutiles, quae et antea in pace tranquillitatem retinuerant, et aliquandto post, rursus instaurant civitatem. Nec illud vrbis incendium, etsi ligneas tabulas consumsit, propterea leges delere potuit, quae infixae animis ciuium tum maxime valuerunt. Hac disciplina instituti ciues, norant barbaricos mores non esse admitttendos, norant dimicandum esse coniunctis viribus pro defensione libertatis hoc est, disciplinae et honesti status, et ob hanc causam omissis privatis certaminibus, concordiam inter
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245    DE DIGNITATE LEG.
se tuebantur extrabant leges et quotidie earu exempla spectabantur in factis Temistoclis, Aristidae, Cymonis, et aliorum honestorum civium. Ita cum Roma a Gallis caperetur, non propterea Respub. deletaest, etiamsi aedificia incensa sunt: Mansit enim virtus et disciplina civium a legibus orta. Haec praesidio, et saluti sunt civibus. Etiamsi Nero aliquantisper latrocinium inter ciues exercuit, ac oppressis legibus etiam Iurisconsulto Cassio Longino oculos effodit: etiamsi Bassianus fratre necato, etiam Pampianum Iurisconsultum molientem praetextus fingere ad excusandum parricidium interfecit, tamen non propterea in vniuersum deletae erant leges. Ne funditus periret humanum genus, Deus adhuc politicum ordinem apud aliquos tuebatur, erant alicubi in provinciis Magistratus mediocres, qui legum vocem audiebant. Non admittenda est igitur doctrinae professio, etiamsi autbella aut Tyrannides aliquantisper eius usum impediunt: Imo bona ingenia hoc pugnent ardentius de ve rarum legum defensione, quia vident in tanta infirmitate humana, in tanta confusione earum autoritatem saepe, tum negligi, tum opprimi. Ideo tradidit Deas humano generi artem politicam, et hanc ipsam doctrinam, vt quantum potest, sanabiles homines ad instinctam flectat, et iniustos impetus reprimat. Nihil mirom est eos, qui ignorant causas harum confusionum in imperiis, nec didicerunt ex coelesti doctrina, quomodo confirmandi sunt animi, verhementer odisse
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246    ORATIO
imperia, in quibus raro boni praesunt, et vt sunt mediocres, imo boni et sapientes, tame multitudo et varietas negociorum, no concedit eis, vt in omnia sint inteti. Pompeii iustitiam et integratem amabat provinciae, vt cum secum duceret multos rapaces, comites, tamen has iniurias propter beneuoletiam erga Pompeium dissimularent. De Dauide etiam querelae sint filii. Deniq amentia est in hac naturae humanae imbecillitate, et in tanta Diaboli saeuitia, quaerere animo politiam sine vitiis et sine erroribus. Vt igitur imperia oderunt hi, qui causas confusionum nesciunt, ita et leges aspernantur, cum vident eas multis ingentibus malis non mederi, et hanc totam doctrinam vitae inutilem esse censent: sed nos monet coelestis doctrina, oriri multas ingentes confusiones vitae, cum a Diabolo, tum ab humana vel negligentia, vel petulantia, nec posse gubernatorum consiliis, ac legibus reprimi omni um furores, aut corrigi: Et tamen inter has difficultates non esse gubernatoribus curam depondam, nec inutile esse eoru diligentia: sed quaeda mala, vel reprimere, vel mitigare. Iubet item Deum innocari, vt adsit huic difficilimo labori, et quidem monet sine auxilio Dei, sapentia illam politicam saepe hallucinari, et exitiosam esse civitatibus. Quam multi summis ingeniis praediti, cum quidem patriae bene vellent, tamen suis consiliis euerterunt Resp. quia freti sua sapientia, res mouerunt non necessarias, vt Pericles, Demosthenes, Pompeius, Cicero. Tota via erramus, si sine Deo foelicem
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247    DE DIGNITATE LEG.
esse sapientiam arbitramur. Hac igitur consolatione nos confirmemus, praesertim in his orbis terrarum periculis, et labate tota mundi machina: sciamus ruere res humanas, et tame fulciri hanc ruina a Deo, et bonus viros debere suo quenq loco anniti, vt prosint communi saluti. Haec in praesentia duxi comemoranda esse. Nam mihi aspicienti legum libros, et cognita pericula Gernaniae, saepe totum corpus cohorre scit, cum reputo quanta incommoda sequutura sint, si Germania propter bella amiteret hanc eruditam doctrinam iuris, et curiae ornamentum. Crescent Tyrannides, erunt omnes literae in maiore contemptu, Ecclesiae magis negligentur, deniq multiplex barbaries sequetur. Quare primum oremus Deu, vt pacem nobis concedat, deinde vt haec studia tueatur, quod quidem eo magis impetrabimus, si nos ipsi consilia nostra fideliter ad gloriam Dei illustrandam, et salutem communem referemus. Non igitur deterraemur periculis, non frangamur animis, etiamsi interdum vel iniquitate hominum, vel perturbatione communi rerum humanarum, pia, moderata, salutaria consiliaimpediutur, nec possessionem studii nostri deseramus, idq praesertum, cum labor multorum nostri ordinis in consiliis publicis etiam Ecclesiae Dei seruiat, quam cum Deus seruaturus sit, seruabit et politicas arteis Ecclesiae seruienteis. Non ideo architectonica deserenda est, etiamsi multae arces vel bellorum cladibus, vel aliis modis euertuntur. Tuendae et colendae sunt
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248    ORATIO
bonae artes et petendum a Deo, vt ipse gubernet studia, et exitus det utiles Ecclesiae suae. Quid Daniel, Esdras Nehemias exules fecerunt? videranttemplu quod Deus condi iusserat, funditus deletum esse: viderant urbem reginam omnium solo aequatam, cui promiserat Deus regnum, neque tamen fracti desperatione, sua studia abiecerunt: imo ne in exilio, et inea gentis dissipatione, doctrina propria Ecclesiae interciderat, maiore eam diligetia, et discebant, et suis tradebant, norant enim non interituram esse Ecclesiam Dei. Ita et nos vota nostra et spres nostras, ad ecclesiam Dei adiungamus, hanc intueamur, et hac spe nostra studia colamus. Haec nauis et nostram doctrinam vehat, et vehet haud dubic, si nos hanc nauim ornare studebimus. Possunt autem optime mereri de Ecclesia nostri ordinis viri: cum mentes principum a quibus consuluntur, et curam defendendi pia studia, et artes salutares humano generi flectunt. Dixi pauca de professoribus. Sed priusquam desino, etiam hic coetus scholasticus de suo officio commonefaciendus est, saepe in concionibus sacris, saepe in lectionibus pro ponuntur vobis diuinae sententiae, de disciplina, de bo nis moribus, de poenis quae violationem disciplinae sequuntur. Et poene sunt in complectu. Turci impune grassantur in vicinia, distractae sunt principum voluntates, Germania non defenditur, imo et domesticum bellum satis crudele, tum gerit, tum parit. Si hoe tantae causae non movent vos vt viuatis modestius, vt
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249    DE DIGNITATE LEG.
confugiatis ad Deum, quid mea oratio proficere potest? quid nos de legum dignitate apud eos concionari possumus, qui vt Cyclopes, neque Deum neque leges ullas curant? Pudet talia dicere in schola, quae debebat non solum audire, sed etiam colere virtutis doctrinam. Si esse Deum conditorem rerum, et iudicem factorum nostrorum sentitis afficiamini monitis coelestibus, ipsum autorem rerum, et iudicem vestrum agnoscite, et ei in his officiis, quae legum voce requirit, obedite. Videtis a Deo ordinatas esse vices dierum ac noctium, aestatis et autumni: Has vices esse certas, omnes fatemini: cur igitur de praemiis rectefactorum, et de poenis malefactorumdubitatis? Certa lege Dei obruuntur poenis omnes scelerati. An casu putatis subiici iam mundu barbaricae tyrannidi Turcarum qualis alia nulla similis unquam fuit? Nequaquam hoc casu accidit: Sed hoc tristi carcere, hominu furor cohercendus et compescendus est, qui nullis legibus frenari suos mores sinunt, qui concedi sibi licentiam, vt belae volunt, exercendae petulantiae, vt libet. O deplorandam principum negligentiam: His malis mederi eos oportebat, vt hanc indomitam turbam severissimis poenis ad modestiam reuocarent, quod nisi tandem facient, Deus iratus has getes seruitute Turcica opprimet: sed redeo ad schol asticos. Obtestatur vos hic universus coetus praeceptoru vestroru et praecipit voce divina, vt et revereamini Deu, et vivatis mo destius, eaq in re cu vestrae saluti, tum comuni consulatis.
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250    ORA. DE DIG. LEG.
Nisi n. erunt modestiores mores profecto haec bona, lucem doctrinae de Deo, Ecclesias, leges, literas, et caetera vitae ornamenta amissuri estis. Quanta bona amisit Adam uno lapsu? Quamdiu Ethnici in tenebris, et horrendis sceleribus vixerunt? propterea quod eorum maiores spreuerant doctrinam primorum patrum. His exemplis vos ad pietatem et modestiam excitate: quod si facietis non solum dignitatem legum vere intelligetis, sed etiam in gubernatione eritis foelices: Deus enim promittit suis sapientiam et successus. Ita intelligetis legis esse Dei vocem, et hunc politicum ordinem a Deo, et institutam esse, et aliqua ex parte conseruari, vt in societate humana innotescat ipse, et nos copulati mutuis officiis, testimonia nostrae sententiae, de Deo et de filio Dei, et mutuam beneuolentiam ostendamus, nosque mutuis exemplis ad virtutem accendamus. Ad haec intelligenda, profecto opus est vt dixi, quodam studio virtutis, timore Dei, modestia, et diligentia regendorum morum.
DIXI.“


Quelle:
Philipp Melanchthon, oratio de dignitate legum (1543)
in Philippi Melanchthonis, Select. declamat. Tomus Primus. Servestae, Zerbst: Schmidt, Bonaventura 1587  p. 241-250

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http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd16/content/pageview/5068911

 

DE VITA DE IRNERIO ET BARTOLO


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409
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DE VITA DE IRNERIO ET BARTOLO
Iureconconsultis oratio recitata a D. Sebaldo Munstero.

Arbitror plerisq vestrum notissimam esse historiam de Imperatore Romano Alexandro Severo, qui cum caetum haberet frequetem In

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410    DE VITA
reconsultorum, plenum dignitatis (nullam enim constitutionem faciebat, nisi viginti iurisconsultis adhibitis, cum quidem singulorum sententias scribi ac disputari vellet (magna beueuolentia omnes coplexus est. Sed cum Ulpiano maior erat familiaritas, qui vt nunc vocant, summus Cancellarius erat: Hunc tanquam patrem venerabatur, hic non modo curiam, sed etiam priuatam Principis vitam consiloi et authoritate regebat: Incidit igitur et ipse in ea pericula, quae natiua sunt omnibus aulis, magnis et paruis. Necesse erat eum interdum aduersari praetorianorum militum et praesidium cupiditatibus, quorum in illa Imperii opulentia et tranquilluate, praesertim tunc ingens erat licentia, superbia et rapacitas, Itaque hi, qui videbant licentiam suam frenari consilio Ulpiani, aliquoties in praetorio impetum in eum fecerunt. Ibi Imperator suum corpus militibus obiecit, ac toga sua Ulpianum texit, acerrima oratione furorem militum castigans, aiq ua tumultuantes compescuit, quo officio magnam Imperator iustitae et fortitudinis laude consectutus est. Quos enim magis defendere debent principes, quam cosiliarios fideles, quos membrorum loco eos habere covenit. Sed hoc exemplo non solum admonuit caeteros Principes, vt corporategant suorum,

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411    IRNERII ET BARTOLI
sed vt illam ipsam Iuris doctrinam ac professione cogitent acerrimis dimicationibus propugnandam esse. Pro hac opponant corpora sua, hac autoritate sua tanquam clypeo tegent, aduer sus opiniones illorum, qui leges scriptas ac certas, qui hanc erudi tam iuris forma et doctrinam e Rep. tolli cuperet quae aequitatem ac libertatem singuloru munit, frenat licentiam potentu ne quid sumat adversus imbecilliores contra iustitiam: Deniq quae magnum decus est civilis societatis. Itaq Deus flecta animos principum ac potentu ad huius doctrinae conseruationem, magnopere decet optare bonos et prudentes. Nam hac remota, ne dici potest quanta in aulis Tyrannis in iudiciis barbaries, deniq confusio in tota civili vita secutura esset, quam vt Deus prohibet, ex animo petamis.
Ab his votis piis et sanctis auspicari orationem volui. Nam de laude professionis, saepe hic copiose dictum est. Singulare et admirabile Dei opus ac beneficium est haec civilis societas, qua Deus inter se coniunxit ac deuinxit homines praecipue, vt ipsius noticiam alii communicare possent. Huius diuini operis, videlicet humanae societatis custos est lex, haec retinet ac munit societem, vt noticia Dei late propagari, vt regi Ecclesiae in pace, et erudiri, vt institui iuuentus ad agnitionem

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412    DE IRNERIO
Christi possit. Ad hos fines tranquillitatem lex efficit, nec leuis est ea in re Iuriscnsulti boni et pii opera. Lucere etiam ipsius fides in gubernatione solet. Quare leges et iudicia, politicum ordinem, iuris enarrationem et conseruationem tanquam eximia Dei dona amare ac venerari ex animo debemus. Haec nota sunt sed magnitudo harum rerum, et quam pulebra, quam dulcis vitaeres sit, tota harmonia politici ordinis, quam utilis Ecclesiae, non satis cogitari a iuuenibus potest. Quae cogitantes, etiam ordinem Iurisconsultorum intelligent, preclare de vita hominum mereri. Sed de toto genere doctrinae saepe dictum est.
Cum autem et mihi hoc loco dicendum esset, vt postulat consuetudo scholae honestra, et utilis, delegi historias aliquas Iurisconsultorum, qui inde vsq a Lothario Imperatore floruerunt: Magnum enim calcar est bonis ingeniis ad virturem, intueri in exempla illustria. Nec fieri potest quin professionis reuerentia augeatur in iis, qui illa lumina excellentium virirum intuentur, qui tot ia seculis togata administrationem Reip. magna ex parte, in Europa gubernarunt. Quis enim nostru de Romano senaiu cogitans, cum ibi Scipionem, Laelium, Fabium, Paulum Aemilium, et similes quosda heroica virtute praestantes animo recenset, no vehementer

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413    ET BARTOLO.
admiratur illos viros, tanquam coelo missos ad illud imperium constituendum et gubernan dum Omnes profecto accendimur illorum amore quanqua tot ante secula extincti sint, et optamus diuinitus etiam nostrae aetatitales heroas donari. Sic offici opinor bona ingenia, cum celebrari audiunt Irnerium, qui longe tempore Italia rexit: aut Bartolii, cuius cosilio plurimum vsus est Carolus Quartus Imperator. Accedo igitur ad historiam.
Cum Italiam Longobardi et Franci dilacerarent, paulatim ibi forma iudiciorum mutata, bar barici mores recepti sunt, et Romanae leges conticuerunt. Quandam autem in Italia veteris illius doctrinae studia nulla erant, tamen Constantinopoli sicut ibi aliarum artium studia adhuc aliquanto magis florebant quam in Italia. Extant adhuc  Commentarii in ius Romanum scripti Constantinopoli, similes glossis et enarrationibus Italicorum doctorum. Ideo postquam Italia a Germanis pacara esset Othonum tempore, et paulatim mores Longobardici emendarentur, apparet homines ingeniosos Romanorum ius iterum desider asse.Nonnulli etiam instituti et exculti Constantinopolitana doctrina, dexteritate in negotiis excellebant. Ita paulatim celebrari hoc studium cepit.

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414    DE IRNERIO
Sed Henrici Quinti tempore, fuit in Italia vir summae autoritatis, gubernans eam partem, quae tunc erat Romani imperii Irnerius, is cum esset eruditus, vt arbitror, Constantinopoli, aut ab iis, qui audierant Constantinopolitanos, saepe ritus barbaricos in successionibus et aliis negotiis ex Romano Iure corrigebat, aut moderatur.
Fuerat Italia grauiter afflicta bellis Henrici quarti: multorum patrimonia varie, vt fit bellis ci uilibus, translata fuerant. Ergo cum opus esset gubernatione praedito magna sapientia et equitate: Italia no nihil recreata est prudentia et moderati one Irnerii, qui cum posteritati etiam consulendu putaret, cupiebat autoritate Imperatorio rursus proferriius Romanum, vt ceterae leges et erudite scriptae extarent: Na incertum ius aeternas discor dias parit. Sed in germania indicit in bella ciuilia. Postea Irnerius cum perspecta eius virtus in gubernatione tam longa, et grandior aetas auxisse eius autoritatem, nactus imperatorem Lotharium Saxonem, non impeditum civilibus bellis et qui plurima in Italia ad munienda traquillitate constituit, fuit huic bortator, vt curaret Romanae et Bononiae rursus enarrari ius Romanum, et vt controversiae ex Romanis legibus diiudicaretur. Ita rursus celebrari et coli studium Romani iuris coepit,

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415    ET BARTOLO
Nec inhonestum sibi Irnerius duxit, postquam tot annos cum magna gloria versatus erat in Rep. in ultima aetate redire ad scholam. Sed quicquid ei autoritatis, gloria reru gestarum et aetas pepere rat, id conferre ad ornandum iuris studium voluit. Meminerat principes. Romanae ciuitatis, Sceuola, Crassum, Sulpitiu et alios multos, qui cum essent casulares, cum provincias rexissent, cum bella magna gessissent, tame senes et docuisse ius et de Iuro respondisse. Fertur autem Irnerius et Romae et Bononiae docuisse, et primus ex Italis glossas textibus addidisse. Hinc auspicia fuerunt renouandae buius doctrine fausta et laeta Reip. Iam cogitate quanti sit negocii leges restituere mutata veteri Reip. forma, prorsus antiqua fori consuetudine, amissa proprietate linguae. Ex tantis difficultatibus cum primi illi restauratores feliciter eluctati sint, et quasi quandam imaginem veteris Reip. restitueriat necesse est eos non solum ingeniis et prudentia excelluisse, quem rerum usus acuerat, sed etiam diligentia mirabilem ac studium adhibuisse in conferendis legibus, et considerandis fontibus ac rationibus eruditissimarum constitutionum. Opinor tamen Graecorum commentariis adiutos esse, quoru aliq adhuc in Italia habentur. Vt autem Romae Papinianus auditores plurimos summa eruditione,

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416    DE IRNERIO
et summis ingeniis praeditos post se reliquit Vipianum, Paulum, et alios multos: Ita Irnerium secuti sunt ipsius auditores Bulgarus, Azo et alii, qui pariter et in administratione Reip. et in schola floruerunt, Excitata igitur Italia huius doctrinae ad miratione, magno studio in eam incumbere coepit. Quare multi extiterunt, qui docendo, scribendo, respondendo, regendis imperiis, optime de vita hominum meriti sunt. Nec negari potest huius doctrinae cognitione, Italia Gallia et Germania factas esse cultiores, atq mitiores. Postquam enim in iudiciis multi barbarici ritus correcti sunt, et actiones ac sententiae requirebant quandam eruditionem, mores etiam flecti ad humanitatem magis ceperunt, et accesserunt literae eruditiores, et quaedam Philosophia ac maior discendi cura. Nam hoc ius Romanum haud dubie erudita quaedam Philosopia est. Quare etiamsi non reuocatum esset in forum, tamen legendum et cognoscendum fuisset hominibus doctis accessuris ad Remp. multo magis quam Aristotelis Politica, quae quidem sapienter et utiliter scripta esse iudico. Nec vero mihi legenti vetera ac barbarica Iura horridae gentis Germanicae, vt sunt Vuestphalici ritus, venit in mentem perinde hac nationem factam cultiorem accepiis Romanis legibus: vt ita fabulis ferunt, monstratis

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417    ET BARTOLO
frugibus, homines uiuere coepisse commodius, eum antea pecudum more glandibus vescerentur. Magna profecto et diuina res est constitutio ciuitatu, et legum mutatio in melius. Eaq quae costat recte et feliciter costituta esse, notemere labefactanda sunt, ne et donum Dei aspernarisic videamur, et motis rebus publicis sine necessaria causa sequantur maiora incomoda. Facile est aute vt Pindarus inquit, cuiuis mutare ciuitatis statu, sed rursum sedare et intranquillum restituere solius Dei. Cum igitur euentus ostendat in ipsa iudicioru emendatione ius Romanum diuinitus institutu esse agnoscamus, et grati tueamur Dei beneficium. Sed redeo ad scriptores: Bartolus vixit tempore Imp. Caroli quarti, et quanqua magnam laudem adeptus est, propterea quod plura scripserit quam quisquam ante ipsum tamen in summa admiratione est propter ingenii dexteritatem et amore veritatis,. Ingenii felicitas ex eo aestimari potest, quod iuuenilia studia celerrime absoluit, et ad huc adolescens celebritate nominis fere totam Italiam copleuit. In I. quidam cum filium de verbis oblig. Narrat Bartolus ipse primum curriculum suoru studiorum, his verbis, quae recitabo, vt haec commemoratio magis moueat animos: est etiam ipsius oratio quasi quaedam pictura humanissimi et

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418    DE IRNERIO
modestissimi. Cum enim ea lex dicat, si quis promittat se aliquem tractaturum vt filium, non esse praetereundum in testamento. In hac lege cum sit casus, vt ipse ait, qui nusquam alibi extat in Iure, multa disputans Bartolus, narrat praeceptore suu aliquos expositicios pueros hac stipulatioe aliis commendasse, ac adiicit mentionem gratissimam praeceptoris, et primae aetatis suae, sic enim ait: Ego magistrum habui, q vocabatur frater de Ascisio: Nunc vero vocatur Frater Petrus pieatatis, sic dictus, quia locum ibi erexit, q domus pietatis vocatur, ubi infantes expositicii aluntur. Vir est expertus nullius hypocrisis, mirae sanctitatis, apud me et omnes, qui eum bene noscunt, cui gratias ago exemplo Aquilii Reguli in titulo de Donat. L. Aaquilius, qui dum me rexit, custodiuit a lapsu, et Dei beneficio et sua doctrina me talem reddidit, vt in quartodecimo anno aetis meae in ciuitate Perusina sub domino Cynode pistorio, iura ciuilia audire inceperim. Et eius perseuerante gratia, continue sudando ita profeci, vt vicesimo anno Bononiae reputando et disputando publice de iure responderim. Deinde vicesimo primo anno Doctor creatus sum. Et ex magno amore, quem erga illius fratis Petri bonitatem habeo, cum calamus hac scribit, cordis oculus lachrymas mouet: Ipseq vir

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419    ET BARTOLO
venerabilis Petrus dixit mihi, se plures ex illis pueris expositiciis hoc pacto aliis tradidisse, vt eos non aliter, quam filios tractarent.
Haec sunt Bartoli verba, quae ostendunt non modo vim ingenii, qua mirabili celiritate ad fastigiu. amplissimae doctrinae contendit, sed etiam pie tatem erga Deum, et gratitudinem erga praeceptorem. Paulus de Castro narrat, ab eo repetitio nem legis de aetate ff. de minoribus ita elaborata esse, vt quinquennio eam retinuerit ante editionem, et subinde correxerit, et perpoliuerit: Ida ait praedicasse ipsum Bartolum, additq obiurgationem innentutis, quae nunc stulte gloriatur de celeritate, inquiens: Nunc puderet aliquem si frateretur se menses sex tribuisse tali operi, sed scribunt subito pereuntia. Illa Bartoli repetito durabit ad omnem posteritatem. Haec Paulus de Castro.
Omitto pleraq praeconia Bartoli, de eius ingenio et scriptis, ac tantam referam Panormitani dictum, in Cap. cum nobis de praescript. qui ait, omnium indicio Bartolus omnes scribentes in aequitata et veritate antecellit. Nec profecto minus fidei et autoritatis hoc testimonium hebere censendum est, quam quod Cicero impertit Servio Sulpitio, cum ait: Nec vero silebatur admirabilis et incredibilis, et pene diuina eius in legendis, interpretandis,

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420    DE IRNERIO
aequitate explicandis, scientia: neq enim ille magis Iurisconsultus, quam institiae fuit. Hanc ipsam laudem quam Servio tribuit Cicero, doctores probatissimi magno consensu tribuunt Bartolo. Etsi autem non peruenit ad senectam, mortuus est in anno aetatis suae 46 tamen Reipu. praeclare satisfecit, non solum in schola, sed etiam in foro et curia. Fuit enim assessor Tuderti et Pisis: Fuit et consiliarius Imperatoris Caroli quarti laudatissimi Principis, qui magna virtute placauit Italiam diu conflictatam bellis intestinis sub Ludovico Bavaro: Iniis Italiae moribus sedandis, in constituendis indiciis, et pace munienda, Caroles maxime vsus est Bartoli consilio, perinde, vt Augustus Capitonem et Trebatium adhibuit post bellum civile, ad legum et indiciorum, et totius civilis status emendationem.
Haec de Bartolo breuiter ex veris historiis collegimus Iam cogitate qualis error sit, vt nihil durius dicam, tantos viros de toto genere hominum optime meritos, non magnifacere, nec eorum virtutes et merita intelligere. Iuuentutem vero ad hortor, vt discat venerari hos excellentes viros praeditos singularibus et coelestibus donis, et bene merentes de communi societate. Nec vero ulla voce homana satis praedicari potest magnitudo

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421    ET BARTOLO
huius meriti, quod non solum suam aetatem erudiit, et contulit industriam, et patem, ad disciplinam retinendam, ad tranquillitatem communis societatis, quam Deus vult nobis curae esse sed etiam omnem posteritatem scriptis docet, in quibus neruos tradit pacis et disciplinae.
Utinam talium virorum consilia valerent in Rep. Sicut apud Lotharium Irnerii, apud Henricum Lucelburgensem Bulgari, apud Carolu quartum Bartoli autoritas valuit. Nam veteres omitto, Iulium, Augustum, Traianum, Severum, Alexandrum qui nihil decernebant, nisi adhibitis aliquot Iurisconsultis. Cum enim Princeps sit custos legum, et insticiae, et Resp. haeat opus scripto Iure, non potest sine voce, sine consilio Iurisconsulti recte tueri suum munus. Sed vt Demosthenes inquit: Dei sedi astare iustitiam gubernatricem hominum sic adesse Principibus monitores eruditos in legibus oportet.
Dixi de duobus Iurisconsultis, de caeteris fortassis aliis dicturus. Nunc adhortor iuuenes primum vt venerati hoc heroicus viros discant, deinde vt quide eorum doctrina frui studeant. Postremo vt quantu quisq pro ingenu sui viribus potest diligentiam eorum, et sedulitatem imitari conentur,quod, vt faciant, multae graves causae singulos

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420    DE IRNER. ET BART.
huic professioni deditos adhortantur. Pertinet enim haec ars ad custodiam publicae pacis, quam si adiuuamus, ita vt officia nostra referamus eo, vt ornemus religionem, vt luceat nostra fides in his actionibus, et prosimus verae Ecclesiae, sciamus nos Deo gratissimum cultum praestare. Hunc enim finem esse ciuilis societatis Deus voluit, vt vera ipsius noticia inter homines illucescere et latespargi possit: Hunc finem nos in omnibus civilibus officiis intueri omnino convenit. Dixi.



Quelle:
De Irnerio et Bartolo Iureconsultis oratio recitata a D. Sebaldo Munstero
in Philippi Melanchthonis, Select. declamat. Tomus Secundus. Servestae, Zerbst: Schmidt, Bonaventura 1587  p. 409-422

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Die römisch-deutsche Kaiserin Richenza von Northeim in Benevent im September 1137

Kaiserin Richenza von Northeim im Fuerstensaal des Lueneburger Rathauses
Kaiserin Richenza von Northeim

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"[1137.12.1] Cumque taliter in predicto loco castrametati sunt, triduo post, die videlicet kalendarum Septembris, imperatrix nomine Florida, militibus fere centum assumptis, ad ecclesiam Beati Bartholomei Apostoli venit portam Auream ingrediens, et Missarum solemnia ibi audiens pallium quoddam super altare Beati Bartholomei et libram unam argenti obtulit. [1137.12.2] Prae gaudio vero Beneventanus populus utriusque sexus, et quia per innumera annorum curricula imperatricem sive imperatorem non vidimus, cursu precipiti ad ipsam intuendam imperatricem ex omni parte civitatis festinavimus; et gratias Deo agentes exultavimus, quia quod patres, avi, proavi videre non potuerunt, temporibus nostris vidimus. [1137.12.3] Et basilicam ipsam Beati Bartholomei egrediens per mediam plateam civitatis ascendit et per portam Summam exiens ad exercitum suum remeavit."

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"...Nur Richenza begab sich mit zahlreichem  Gefolge von Rittern hinein, um in der Kirche des h. Bartholomäus ihre Andacht zu verrichten und Weihgeschenke auf dem Altare niederzulegen 1). Entzückt waren die Beneventaner, in deren Mauern seit undenklichen Zeiten kein Kaiser, noch weniger eine Kaiserin verweilt hatte, dieses seltene Schauspiel zu genießen. Von allen Seiten strömte das Volk herbei, die hohe Frau zu sehen, deren gefeierter Name noch die Würde der Majestät erhöhte, zahlreiche Scharen von Männern, Weibern und Kindern begleiteten ihre Schritte vom "goldenen Tore" bis zur Kathedrale unter Jauchzen und Dankgebeten, und ebenso, als sie durch einen anderen Stadttheil zum "hohen Thore" ihren Rückweg nahm 2)."

Quellen:

Falcone di Benevento - The Latin Library
http://www.thelatinlibrary.com/falcone.html

Dr. Eduard Gervais, Politische Geschichte Deutschlands unter der Regierung der Kaiser Heinrich V. und Lothar III.,
Teil 2: Seite 403, Leipzig: F. A. Brockhaus 1841






Heinrich der Stolze aus Sicht von Lorenz Westenrieder

§. III.
Heinrich X., gen. der Stolze, wurde Herzog 1126, wurde entsetzt 1138, gest. 1139

1) Diese Macht, welche Herzog Heinrich X. bei dem Antritte seiner Regierung in Bayern ( er trat sie gewisser Massen erblich an) erhielt, verschaffte ihm eine noch ungleich größere. Kaiser Heinrich V. war der letzte aus dem rheinfränkischen Kaiserhause, und nach seinem Hintritte, welcher 1125 erfolgt ist, wurde Lothar von Suplinburg, Herzog von Sachsen, zur kaiserlichen Würde befördert. Dies verdroß den hohenstauffischen Herzog Friedrich II. von Schwaben; denn er glaubte nicht anders, als daß er Kaiser werden würde. Er ließ sich nur mit Mühe bereden dem Kaiser Lothar zu huldigen, und dieser merkte wohl, daß es nur auf den Schein geschehen sey. Dieser Kaiser hielt es daher der Klugheit gemäß, die Macht der Hohenstauffer einzuschränken, und er bediente sich der Mittel, welche er dazu in seinen Händen hatte. Er erklärte nämlich auf einem Hoftage, welchen er gleich nach seiner Erhebung in Regensburg hielt, daß die Güter derjenigen, welche in die Acht verfallen, und auch die, welche durch die Abtretung kaiserlicher Kammergüter sind eingetauscht worden, nicht zu des Kaisers Eigenthum, sondern zu eben diesen Kammergütern oder dem Reichsfiscus sollten gezählt werden. Diese Erklärung that auf die hohenstauffischen Brüder sogleich die Wirkung, welche der Kaiser voraussah und wünschte. Jene Brüder besaßen eine Menge solcher Güter, auf welche die kaiserliche Kammer Anspruch machen konnte, und zeigten sogleich, daß sie nicht gesinnt seyen, einige herauszugeben. Der Herzog Friedrich II. von Schwaben vergieng sich so weit, daß er sich dem Ausspruche des Kaisers mit Gewalt widersetzte. Hierüber erklärte ihn der Kaiser Lothar zum Reichsfeind, und beschloß sogleich wider ihn die Vollstreckung der Reichsacht.
Um dieß desto nachdrücklicher ins Werk setzen zu können, bewarb er sich um die Gunst eines Fürsten, der ihn durch seine Macht unterstützen könnte. Diesen Fürsten sah er an dem bayerischen Herzog Heinrich X., und damit er sich diesen Heinrich umso näher verbinden möchte, trug er ihm seine Erbtochter Gertraud zur Gemahlinn an. Er beschenkte seinen Tochtermann zugleich mit der herzoglichen Würde in Sachsen, und gab ihm Suplingenburg, Königslutter, Sommerschenburg, Hallensleber, das ist ein großer Theil des schoningischen Distrikts im Herzogthum Braunschweig, und des Holzkreises im Erzstift Magdeburg, dann einen Theil des jetzigen göttingischen Distrikts, ferner Blankenburg, ingleichen das Land um die Oker, wo jetzt Braunschweig und Wolfenbüttel liegen. Die Hochzeit wurde 1127 zu Gunzenlech im Beiseyen des sämmtlichen bayerischen und schwäbischen Adels, mit einer Pracht, welche dem Herzog Heinrich X. den Beinahmen des Stolzen zuzog, gefeiert. Der Kaiser Lothar ließ es dabei noch nicht bewenden. Er belohnte den Herzog Heinrich X., seinen Tochtermann, gleich nach der Hochzeit mit Nürnberg, doch mit der Bedingniß, daß sich der Herzog dasselbe (denn es war in den Händen des hohenstauffischen Herzogs Conrad von Franken) erst erobern sollte, welches Heinrich X. nach drei Jahren 1130 auch wirklich zu Stand gebracht, und mithin diesen ursprünglich bayerischen Ort, welchen die Kaiser im zehnten Jahrhundert wider die Einfälle der Ungarn mit Mauern umgeben und befestigt hatten, wieder mit Bayern vereinigt hat. Bald darauf, nämlich 1133, brachte es Kaiser Lothar durch einige Freundschaftsdienste, womit er den Pabst Innocenz II. unterstützt hatte, dahin, daß sich dieser Pabst gefallen ließ, dem Herzog Heinrich X. die Erbgüter der (1115 verstorbenen) Mathilde, welche in einem Theile des Herzogthums Manthua, Parma, Reggio, Modena und Garfagna bestanden, durch eine eigene Bulle (wiewohl nicht erblich) zuzustellen. Drei Jahre nachher gab Lothar seinem Tochtermann auch die reichslehenbare, ehemals mathildische Markgrafschaft Toscana, und wenn der Erdkreis sein gewesen wäre, er hätte ihm alle Güter des Erdkreises gegeben. Der Herzog Heinrich X. selbst fühlte seine Macht, und er soll öfters gesagt haben, das Gebiet seiner Herrschaft erstrecke sich von einem Meere zum anderen.
Man kann sich bei diesen Umständen leicht vorstellen, daß der Herzog Heinrich X. nichts werde unterlassen haben, die Wünsche seines Schwiegervaters, des Kaisers Lothar zu erfüllen, und die zwei hohenstauffischen Brüder und Herzoge zu erniedrigen. Er that dieß in der That auf eine Art, welche diese Brüder auf das empfindlichste kränken mußte. Er brannte 1134 die Stadt Ulm ab, wohin sich diese Brüder mit zwölf der Vornehmsten geflüchtet hatten, verheerte das Land von Congindorf an der Donau bis nach Stauffen, und setzte demnach jene Brüder sowohl in Rücksicht ihrer Länder als Würden in die äußerste Verlegenheit. Die Brüder sahen kein anderes Mittel sich zu retten, als eine gänzliche Ergebung. Sie ließen sich auch standhaft und stillschweigend alle Demüthigungen, so sehr sie dagegen in ihrem Innersten zu kämpfen haben mochten, gefallen, nur um sich zu erhalten. Sie hofften, daß die Umstände sich ändern würden, und faßten einstweilen ihre Maßregeln, worunter diese die erste war, daß sie es zu ihrem ordentlichen Haussystem machen wollten, das Haus Bayern zu schwächen.
2) Damals stand es in Deutschland mit der Macht eines Hauses nie mißlicher, als eben dann, wann diese Macht ungleich größer als die Macht anderer, und diesen fürchterlich war. Im Gefühl von Übermacht bemerkte weder der Kaiser Lothar, noch der Herzog Heinrich X. die Gefahr, welche sich zusammenzog, nicht einmal die Entfernung, da diese Gefahr doch ganz in der Nähe war. Der K. Lothar starb 1137 den 3ten Dec. auf seiner Rückreise aus Italien (in einer armen Hütte zu Breitenwang in Bayern, einem Dorfe, welches oberhalb Hohenschwangau an der Landstraße von Italien unweit des Lechstroms, in dem heute tyrolischen Gebirg Ehremberg liegt), und nun glaubte Herzog Heinrich X. es würde gar keinen Anstand haben, daß man ihn zum Kaiser wählen würde. Er glaubte, daß sich die Reichsfürsten darum, weil er so viele Länder besaß, nicht getrauen würden, einen anderen zu wählen, und nahm die Reichskleinodien sogleich zu sich; allein die deutschen Reichsstände, welche zwar an ihrem König ein gemeinschaftliches Oberhaupt, aber keinen unabhängigen Herrn erkennen wollten, trugen Bedenken, die kaiserliche Würde einem Reichsmitstande aufzutragen, welcher die große Macht seiner Länder dazu mißbrauchen könnte, sich zu ihrem frei gebietenden Herrn aufzuwerfen, die kaiserliche Würde auf sein Haus erblich zu machen, und die freie Wahl von Deutschland zu unterdrücken. Heinrich X. mochte sich zuweilen schon etwas ähnliches habe merken lassen, und sein stolzes Betragen war den Fürsten schon seit langer Zeit verdächtig. Selbst der Pabst Innocenz II., welcher ihm doch bei Lebzeiten des Kaisers Lothar sehr geschmeichelt, und welcher diesem Lothar, so wie selbst dem Herzog Heinrich X. unendlich viel zu danken hatte, dachte jetzt ebenfalls wie die Reichsfürsten, und mit einem Worte, Herzog Heinrich X. wurde übergangen, und was für ihn höchst schmerzlich seyn mußte, so wurde der hohenstauffische Herzog Conrad von Franken 1138 den 22. Febr. zum Kaiser gewählt, und zwar durch eine einseitige, offenbar erschlichene Wahl, welche zu zernichten, zu einer jeden andern Zeit leicht gewesen, und welche von selbst zerfallen wäre; aber jetzt war man zufrieden, nur einen Kaiser, dessen Haus nicht übermächtig wäre, bekommen zu haben. Der päbstliche Legat krönte den Conrad sogleich zu Aachen, und die Reichsfürsten huldigten ihm.
Herzog Heinrich X. oder der Stolze huldigte nicht.  Er sah die Wahl Conrads (dieses Namens als Kaiser III.) für das an, was sie wirklich war, nämlich für eine erschlichene Wahl, und verließ sich auf seine Macht. Indessen ließ er sich bereden, auf einen Tag nach Regensburg zu kommen, und daselbst ließ er sich die Reichsinsignien, die Lanze, das Kreuz und die Krone unter Versprechungen abschwatzen, welche ihm nicht gehalten wurden. Also gieng die Versammlund auseinander, und die Sache wurde immer gefährlicher. Der damalige Erzbischof Conrad von Salzburg nahm sich um den Herzog Heinrich X. an, und brachte einen Vergleichstag zu Stand. Wie die Sache geendet worden ist, will ich mit den Worten des Aventinus erzählen. "Auf Anhalten und Fleiß dieses Erzbischofs Conrads von Salzburg, Graf Babons mit den zweiunddreißig Söhnen von Abendsberg Urenkel, wurde ein anderer Tag gen Augsburg gelegt. Dahin kam Herzog Heinrich mit einem großen reisigen Gezeug, lag vor der Stadt heraus, König Conrad in der Stadt, da wurde viel gehandelt zwischen den Herzogen und König , aber alles vergebens. Der König wollte Toscana und andere Gegend mehr in Italien, zu Nürnberg, vom Herzog zum Reich wieder haben. Der Herzog wollt behalten, was ihm der alte Kaiser geliehen, er vom Reich empfangen, und dasselbig ruhiglich nun nach nütz und gut ersessen hätte. Der Kaiser, als er nun das Nachtmahl geessen hatte, that er gleich, als ob er schlafen wollt gehen, macht sich heimlich bei der Nacht mit gar wenigen aus der Stadt, sagt niemand nichts davon, eilt gegen Würz burg, da hielt er einen neuen Reichstag, da ward Herzog Heinrich verurtheilt, und erkannt vor einen Widerspenstigen des h. Reichs, und als ein Feind des Kaisers öffentlich ausgerufen. Demnach auf einem andern Reichstag zu Goßlar in Sachsen (um Weihnachten) wurde er entsetzet von allen Fürstenthümern, und in die Acht und Oberacht gethan, und verliehe König Conrad Sachsen Herzog Albrecht, Markgrafen in der Nordmark, (gen. der Bär) und zohe darnach für Nürnberg, gewann dasselbig, und ließ überall anschlagen über den Herzog die Achtbrief. Da fiel jedermann (so ein groß Ansehen hätte, dieselbe Zeit die kaiserliche, königliche, und des heiligen Reichsacht) von dem Herzog. Und das ein erbärmliches Ding war, daß der allerreichste Fürst Herzog Heinrich in Bayern, gleich den Königen, der von einem Meer bis zum andern gewaltig war, von dem Venedischen und Lombardischen, bis an das Teutsche hinan, so liederlich und kurz von jedermann verlassen wurde, daß er nur selbst vierdte, heimlich davon, aus Bayern von Land und Leuthen entrinnen must in Sachsen. Dieß geschah im J. 1138."
3) Im folgenden Jahre starb derselbe, da er eben im Begriffe war, dem K. Conrad III. mit bayerischen und sächsischen Truppen zu Leib zu gehen (gemäß dem Zeugniß der meisten Geschichtschreiber) an beigebrachtem Gift. Er hinterließ einen unmündigen Sohn Heinrich, den Löwen, und einen Bruder, Welf III.



Quelle:
Lorenz von Westenried, Sämtliche Werke: Abriss der bayerischen Geschichte, Band 10, S. 90-92, 1838

 

 

Heinrich der Stolze aus Sicht von Constantin Höfler

„Bei der Betrachtung der Geschichte der Hohenstaufen wird wohl Niemanden der große Unterschied entgehen, welcher zwischen der Stellung und Herrschaft Friedrichs I und der Friedrichs II stattfand. Es kann darüber kein Zweifel mehr obwalten, die Herrschaft der Hohenstaufen war ursprünglich eine Parteiherrschaft, selbst mehr durch Hinterlist und die Befriedigung eigennütziger Interessen als durch einen glänzenden Sieg begründet, der das Haupt der Welfen, Heinrich den Stolzen von Bayern, zu Boden warf. 1) Victrix causa Diis placuit. Heinrich, welcher unter allen deutschen Fürsten wohl am meistem das Reich den Factionen hätte entreißen und die leidenschaftslose Stellung seines trefflichen Schwiegervaters, Lothars III hätte be-

 

1) Vgl. hierüber das treffliche Werk von Gervais, polit. Gesch. Deutschlands unter der Regierung der Kaiser Heinrich V und Lothar III. Bd. II. S. 470.: ,,Nach dem Stande der Dinge war Deutschland, als Lothar es auf den Gipfel der Größe gehoben, an das von ihm mächtig hingestel1te Haus der Welfen gewiesen. Die Geschichte des Reichs; in dem nachfolgenden Jahrhundert läßt keinen Unbefangenen es verkennen, wie jenes Erschütterungen, Zerrüttung, Verfall, trotz aller Kraft und Herrlichkeit der schwäbischen Kaiser in dem Verstoß gegen die natürliche Forderung, welche an die Fürsten erging, und diedurch die Ränke einiger Eigennützigen und Selbstsüchtigen hintangesetzt wurde, ihren vornehmsten Grund haben.“

 

Dr. Höfler, Kaiser Friedrich II.

 

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haupten können, starb in dem Augenblicke, wo er sich an die Spitze der Bayern stellen und seinen Gegner in Süddeutschland aufsuchen wollte, 1139. War hiermit Deutschland der Gefahr entgangen, in ein welfisches und in ein hohenstaufisches Reich zersplittert zu werden, so verlor, nachdem diese nicht durch das Talent des ersten hohenstaufischen Königs beseitigt worden war, dasselbe doch den Charakter einer Parteiherrschaft erst unter dem zweiten Hohenstaufen, als im J. 1156 Heinrich der Löwe von Sachsen auch das ihm unrechtmäßig entrissene Bayern wieder erlangte, freilich unter ganz anderen Verhältnissen, als es sein Vater besessen hatte. Denn indem das Haus der Markgrafen von Oesterreich zu gleicher Zeit die herzoglicheWürde erhielt, wo dem alten Bayern seine östlichen Theile entrissen wurden, bekam der neue Herzog von Bayern ein Fürstengeschlecht zu Nachbarn, welches auf das Innigste durch Bande des Blutes wie des Interesses mit den Besitzern von Franken und Schwaben, den Hohenstaufen, verbunden war. Heinrich der Löwe begriff diese Lage vollkommen, wußte aber in dem nachherigenStreite des Kaisers mit den Päpsten und den lombardischen Städten eine solche Stellung zu behaupten, daß er allmählig in eben dem Maaße fast königliches Ansehen gewann, in welchem Friedrich durch seine übermäßigen Prätensionen kaiserlicher Allgewalt sich selbst der richtigen Mitte entrückte und Parteihaupt wurde. Man sieht es ebenso deutlich, wie sehr der Kaiser bemüht war, seine Sache zur Sache des Reiches zu machen, als die besseren Fürsten strebten, sich den kaiserlichen Zumuthungen und das Reich dem unnatürlichen Kampfe mit der Kirche zu entziehen. Hierbei hatte aber der Kaiser gerade in Betreff

 

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derer das leichtere Spiel, von welchen eigentlich ein Widerstand am ehesten hätte erwartet werden sollen - den geistlichen Fürsten. Nicht nur erklärte der Erzbischof von Mailand 1) (auf den Roncalischen Feldern), des Kaisers Wille sey Gesetz, sondern die deutschen Bischöfe hatten schon früher bei der ersten Controverse Friedrichs mit P. Adrian den Ausspruch gethan, die Krone ihres Reiches 2) sey nur einer göttlichen Wohlthat zuzuschreiben. Aber auch bei dem zweiten und ungleich wichtigeren Streite, über die Rechtmäßigkeit, der Wahl Aleranders III und Victors IV konnte es dem Kaiser nicht schwer fallen, die Reichsbischöfe auf seine Seite zu ziehen, da er den Schein annahm, sie nicht sowohl als solche, denn als kaiserliche Vasallen in den Kampf zu rufen. Um so mehr mußte es den Kaiser befremden, als sich von einer Seite ein Widerstand kund that, den er nach diesen Vorgängen kaum erwartet haben mochte. Gerade die beiden angesehensten Kirchenfürsten Deutschlands, der Erzbischof Gebhard von Salzburg, Bruder des Herzogs Heinrich von Oesterreich, und Erzbischof Conrad von Mainz·, aus dem Stamme der Friedrich so sehr befreundeten Pfalzgrafen von Wittelsbach, erklärten sich

 

1) Radivicus IV. c. 1 - 8

2) Imperii nostri. Radivicus I. c. 16 (anstatt regni), darin lag der Mißverstand. Friedrich hatte gesagt: cum per electionem principum a solo deo regnum et imperium sit (M. G. H. IV. S. 105) was freilich ganz anders lautete, als seine Ergebenheitserklärung gegen Eugen III: omnium Christi sacerdotum obedientiae devoti colla submittere parati sumus, M. G. H. p. 90. Wie gut Friedrich aus der obigen Behauptung Consequenzen zu ziehen wußte, geht aus Radivicus II.c. 40 und aus seinem Schreiben über die zwiespältige Papstwahl M. G. H. IV. p. 119 klar hervor

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unumwunden für den von dem Kaiser verfolgten P. Alexander III, und als sie der Kaiser entsetzte, und andere Männer an ihre Stelle ernannte, verstärkte er·zwar die kaiserliche Partei; allein die Verfolgung, welche er jetzt über die beiden ausgezeichneten Prälaten verhängte, trieb ihn selbst unvermerkt gleich Heinrich IV und Heinrich V aus der Stellung eines Beschützers der Kirche und gerechten Kaisers in die eines Bedrückers und Gewaltherrschers. Vergeblich hatte Heinrich der Löwe, den Grundsätzen seines Stammes getreu, den aufsteigenden Sturm zu beschwichtigen gesucht. Stimmte er als Fürst mit dem Kaiser darin überein, daß der Trotz der lombardischen Städte gebrochen werden müsse, und bestritt er den Bischöfen von Hildesheim und Freising, den Erzbischöfen von Magdeburg und Lübeck ihre weltlichen Gerechtsame, so war er andrerseits bedacht, den Bereich des deutschen Gebietes durch Besiegung slavischer Völker nach alter Kaisersitte zu erweitern. Er gründete, was seit Heinrich II kein Kaiser mehr gethan, neue Bisthümer, und während der Kaiser durch seine Verfolgung des Papstes das gesammte Abendland in Verwirrung stürzte, das Morgenland hülflos ließ, unterzog sich Heinrich einer andern königlichen Pflicht, dem Kampfe gegen die Ungläubigen im Oriente. Es war vorauszusehen, daß ein solcher Tausch der Rollen nur so lange von Friedrich ertragen werde, als er von der italienischen Fehde gänzlich in Anspruch genommen, denselben theils nicht bemerkte, theils nicht bemerken wollte, oder die Hoffnung nährte, den Welfen doch noch in sein Interesse ziehen zu können. Höchst eigenthümlich aber ist, daß, als der folgenreichste Kampf der deutschen Geschichte ausbrach, der Streit Friedrichs I mit Heinrich

 

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dem Löwen, das deutsche Episcopat hauptsächlich sich unter Heinrichs Ankläger reihte und bei der großen Revolution, die der Sturz der Welfen in Deutschland hervorbrachte, auch am meisten gewann.

Der erste Theil des Kampfes Friedrichs I um die höchste Gewalt war auf italienischem Boden geführt und durch die Niederlage bei Legnano 1176, die Anerkennung P. Alexanders III 1177, die Bestätigung der italienischen Republiken 1183 beendigt worden. Der zweite Theil begann in Deutschland mit der Theilung Bayerns, und endigte mit der Zertrümmerung des großen Erbfürstenthums Heinrichs des Löwen durch die Aechtung nicht nur des Hauptes, sondern auch der Principien der Welfen. Das deutsche Reich mußte dadurch ein anderes werden. Die Erhebung des babenbergischen Hauses auf den österreichischen, des wittelbachischen auf den bayerischen, des anhaltischen auf den sächsischen Herzogstuhl vermehrte das Gewicht des hohenstaufischen Einflusses durch drei von dem Kaiserhause abhängige fürstliche Familien. 1) Da, wie schon früher das Hochstift Würzburg die herzogliche Würde erhalten hatte, jetzt auch Köln über Westphalen und Engern, die sächsischen Markgrafen von Brandenburg, Meissen, Lausitz rc. die herzoglichen Rechte erwarben 2) oder wie die Grafen von Meran selbst den herzoglichen Titel sich beilegten, der Lechrain und ein Theil der Grafschaft Sulzberg dem Kaiser zugewendet wurden, so erhob sich jetzt dieser zu einer Macht, die keinen Widerspruch mehr aufkommen

 

1) Siehe Gemeiners Gesch. von Bayern S. 216 n. 667 über die Absicht Friedrichs bei dieser Erhebung der neuen herzoglichen Geschlechter.

2) Gemeiner S. 356.

 

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ließ. Sein Bruder Conrad war Pfalzgraf bei Rhein; da das Geschlecht seines Oheims Conrads III mit dessen Söhnen Heinrich und Friedrich ausgestorben, fielen Franken und Schwaben an des Kaisers Söhne, 1) Friedrich und Conrad. Ein anderer von diesen, Otto, ward Pfalzgraf von Burgund, Philipp, Herzog von Toscana, der erstgeborne aber, Heinrich VI, empfing die königliche Würde der Deutschen und mit der Hand Constanza's die Anwartschaft auf den Königsthron der Normannen in Unteritalien, der hauptsächlichsten weltlichen Stütze, welche bisher die Päpste besaßen und die allein Gregor VII der Rache des vierten Heinrichs entzogen hatte. . . .

 

1) Wegelin thesaurus rerum Suevicarum II. p. 190“

 

Auszug aus:

Dr. Constantin Höfler

Kaiser Friedrich II.

München. Verlag der literarisch-artistischen Anstalt. 1844.

S. 1 bis 6