Welfesholz 1115 - Ursachen und Folgen

Steinkreuz Welfesholz 1115
Steinkreuz Welfesholz von 1115

Johann Friedrich Le Bret beschreibt im 2. Band seiner Geschichte der Deutschen auf S. 491ff. die Umstände und Nachwirkungen der Schlacht am Welfesholz vom 11. Februar 1115 wie folgt:

„Aber der Haß wider den Kaiser nahm noch immer zu. Sachsen fiel gänzlich von ihm ab, und Heinrich entschloß sich im Zorne seine Feinde zu demüthigen. Er drang in Sachsen ein, und brachte ein ansehnliches Heer zusammen. Er versuchte zuerst den gelindern Weg, und berief den Bischoff Reinhard von Halberstadt, den Herzog Lotharius, den Pfalzgraf Friderich und den Markgraf Rudolph zu sich auf den Hoftag nach Goslar. Da er einmal ihr Vertrauen verlohren hatte, so erschien keiner von ihnen, sie verschanzten sich vielmehr in Walbeck im Mansfeldischen, und machten Anstalten zum Kriege. Der Kaiser rückte demnach vor Braunschweig, nahm es ein, verwüstete das halberstädtische Gebiet, und ließ durch seine Freunde Orlamünde belagern. Herzog Lotharius rückte also mit seinen Bundesgenossen wider die Völker des Königs an, nachdem er den Graf Friderich von Arensberg, den Graf Wiprecht III. und seinen Bruder Heinrich von Groitsch, den Graf Hermann von Calverla, welche alle mit dem northeimischen Hause verbunden waren, samt dem Herzog Heinrich von Limburg mit sich verbunden hatte. Sie schickten Gesandte an den Kaiser, und liessen ihn versichern, daß sie nicht gesonnen wären, wider ihren Herrn zu streiten, sondern blos aus Noth gedrungen zu ihrer Verteidigung die Waffen ergriffen hätten. Der Kaiser achtete ihre Vorstellung nicht, sondern hofte, durch ein entscheidendes Treffen ihren Ungehorsam zu strafen. Beede Theile fürchteten und schonten einander wechselweise, bis endlich der hitzige Hoyer von Mansfeld einen Trupp auserlesener Mannschaft zu sich nahm, und die Sachsen angrief. Aber seine Hitze wurde bestraft. Er wurde nicht nur bey Welfesholz an der Wipper geschlagen, sondern der jüngere Wiprecht III. ließ in der Hitze des Gefechts nicht eher nach, als bis er den Graf Hoyer von Mansfeld, der seinen Vater gefangen, und ihn dem Kaiser geliefert hatte, mit eigener Hand erlegte. Dieser getreue Sohn, der seinem Vater, als er eben durch den Graf von Pleissen sollte hingerichtet werden, durch Abtretung seiner Schlösser das Leben erhalten hatte, freuete sich nun, die Rache seines Vaters vollendet, die Ehre seines Hauses gerettet, und dem Kaiser seine Tapferkeit bewiesen zu haben, der zuvor schon seinen Muth kennen lernen, ihn mit Eckardsberg beschenkt, und auch zu Naumburg Hofnung gemacht hatte. Eben dieses wenige Zutrauen, das man zu den Versprechungen des Kaisers haben konnte, hatte ihn zum Feinde desselben gemacht. Er wurde der beleidigten Majestät schuldig erklärt, flohe zu seinem Anverwandten, dem Erzbischoff Adelgot von Magdeburg, und fochte wider den Kaiser eben so viel Tapferkeit, als er zuvor vor ihn gefochten hatte.
Dieses Treffen machte den Sachsen immer mehr Muth, der Kaiser aber verließ Sachsen, welches seine Freyheit mit allem Nachdruck zu vertheidigen entschlossen war. Die Religion gab gleich wieder einen Vorwand, den Kaiser noch verhaßter zu machen. Der Bischoff von Halberstadt, der bey dem Treffen selbst zugegen gewesen war, verbot, die Erschlagene des Kaisers zu begraben, und that sie noch nach ihrem Tode in den Bann. Die Fürsten aber giengen noch weiter, und schickten Gesandte nach Ungarn, um den allda sich aufhaltenden päbstlichen Legaten Dieterich bey sich zu haben, und sich zugleich mit dem päbstlichen Ansehen zu wapnen. Dieterich kam, und predigte von nichts, als von dem Schluß des leztern Lateran-Concilii. Nach demselben erklärte er in Goslar den Kaiser als verbannt, und das Echo davon ertönte nicht nur aus dem Munde des Erzbischoffs Adelgots von Magdeburg, sondern auch anderer Geistlichen in Sachsen mit Macht. Die Verwirrung war also wieder so heftig als zuvor, und zum Unglücke kam die Nachricht aus Italien an, daß die Gräfig Matthildis mit Tod abgegangen, bey welchem Todesfall Heinrich ein vielfaches Interesse hatte. Sie hatte noch das vorige Jahr die Stadt Manthua nach vieler Widerspenstigkeit an sich gebracht, und verschied endlich den 24 Julii. Die Jahrbücher werden sie immer als eine grosse, mächtige, tapfere und staatskluge Prinzeßin bewundern, aber auch zugleich ihren falschen Eifer beklagen, der sie verleitet hat, dem Kaiser als ihrem Herrn und Anverwandten ungetreu zu seyn, und oft die gewaltsamste Mittel zu wählen, ihre Herrschaft zu behaupten. Die eigene Minister Heinrichs riethen ihm an, die Güter der Mathildis nicht zurückzulassen, einige Italiäner hatten ihn selbst dazu aufgefordert. So sehr Heinrich wünschte, jezo gleich nach Italien zu gehen, so waren doch die Umstände des deutschen Reichs allzu dringend, als daß er sich hätte entfernen können, ohne vorher der Ruhe in Deutschland gesichert zu seyn.
Seine Minister riethen ihm daher an, eine allgemeine Reichsversammlung zu veranstalten, welche er auch nach Maynz ausschrieb, und voraus versprach, alle Beschwerden gelassen anzuhören, und diejenige Fehler zu verbessern, die er entweder aus Mangel genugsamer Ueberlegung oder aus jugendlicher Hitze begangen hätte. Aber das achteten die mißvergnügte Fürsten nicht, sondern fuhren vielmehr in ihren kriegerischen Unternehmungen getrost fort. Der Bischoff von Halberstadt, der Pfalzgraf Friderich und Markgraf Rudolph belagerten und eroberten Quedlinburg, Lotharius aber jagte die kaiserliche Besatzung aus Dortmund davon. Der Erzbischoff von Cölln nahm ihm eine Festung am Rheine ab, und Lotharius gieng mit seinen Bundesgenossen nach Münster. Die Belagerte ergaben sich, und versprachen, dem Fürstenbund getreu zu seyn, wenn ihr Bischoff etwa in ihre Anschläge nicht willigen, noch Friede bey dem Kaiser auswirken würde. Nachdem dieser Vergleich mit den Bürgern von Münster geschlossen war, so begab sich Lotharius und seine Freunde nach Corvey, allwo sie den Herzog Welf V. von Bayern und den Bischoff von Würzburg antrafen, welche mit ihnen im Namen des Kaisers wegen des Friedens handlen wollten. Aber diese Unterhandlungen waren ganz fruchtlos. Lotharius traute dem Kaiser nicht, er suchte sich demnach mit Völkern zu verstärken, und marschierte, nachdem er ein paar Raubschlösser, Falkenstein und Wahlhausen verheert hatte, nach Erfurt, Hier suchte ihn der Bischoff von Würzburg noch einmal zu überreden, nach Maynz zu kommen, allwo der Kaiser alle Beschwerden in Gegenwart der Reichsfürsten heben wollte. Aber der Kaiser wartete vergebens auf ihn. Kein einiger weltlicher Fürst erschien, kaum fanden sich einige Bischöffe bey ihm ein, vielmehr hielte der päbstliche Legat in Fritzlar eine besondere Versammlung, wo die vereinigten Fürsten sich einstellten, und sich nach dem päbstlichen Orakel richteten.
Der Kaiser, der ohne grosse Gesellschaft in Maynz war, hatte bald hernach einen noch viel heftigern Verdruß. Die Bürger dieser Stadt umgaben den kaiserlichen Pallast, drangen bewafnet in den Vorhof ein, und erregten ein fürchterliches Getöse. Der Kaiser fragte nur behende nach der Ursache ihres Auflaufs, und als sie die Befreyung ihres Erzbischoffs begehrten, so ließ er sich gleich Geissel geben, und versprach, was sie wollten. Die Bürgerschaft war so erbost, daß sie beynahe den Pallast verheert und alles todt geschlagen hätte, wo man ihr nicht gleich ihren Adelbert versprochen hätte. Der Kaiser gieng von Maynz hinweg, und schickte nach drey Tagen seinen Gefangenen, der bereits drey Jahre im Verhaft gesessen war. Kaum saß dieser wieder auf seinem Stuhl, so waren er und der Legat Dieterich Eine Seele. Er schrieb ihm gleich zu, und versicherte ihn seines Gehorsams gegen den apostolischen Stuhl, bat ihn aber zugleich, daß er nach Cölln kommen, und ihm und andern anwesenden Bischöffen, welche seiner warteten, die päbstlichen Befehle eröfnen möchte. Dieterich willigte in sein Gesuch, und trat die Reise nach Cölln an. Der Kaiser hatte bisher die Einweyhung Adelberts zu hindern gesucht. Es war ihm also sehr unangenehm, daß diese nun durch einen päbstlichen Legaten geschehen sollte. Ueberhaupt mußte diese Zusammenkunft den Kaiser schmerzen. Während daß er in Speyer in einer sehr kleinen Gesellschaft von Bischöffen und Priestern saß, kamen in Cölln nicht nur die Metropolitane und andere Bischöffe, sondern auch andere weltliche Fürsten sehr zahlreich zusammen, und hatten zur Hauptabsicht, den päbstlichen Bann wider den Kaiser aufs feyerlichste kund zu machen. Der Legat erreichte zwar Cölln nicht, sondern starb noch zuvor, und wurde in Cölln in Gegenwart von vierzehen Bischöffen und des Herzog Lotharius und seiner Bundesgenossen begraben. Aber die Bannstrahlen wurden dessen ohngeachtet bekannt gemacht, Adelbert eingeweyht, und der kaiserliche Gesandte, der Bischoff von Würzburg, konnte nicht einmal Erlaubniß erhalten, mit einem von der durch einen Legaten des Pabstes geheiligten Versammlung zu sprechen, als bis er sich vom Banne befreyen ließ. Aber nach seiner Rückkehr zum Kaiser wollte auch er nicht mehr mit dem verbannten Kaiser zu thun haben, und Heinrich mußte ihn unter Androhung des Todes zwingen, ihm Messe zu halten, welches der Bischoff so schmerzlich empfand, daß er heimlich davon gieng, sich wieder aussöhnen ließ, und hierauf dem Kaiser, dessen Gnade er verscherzt hatte nicht mehr unter die Augen gieng. Dieses empfand der Kaiser so übel, daß er dem Bischoff das Herzogthum Franken entzog, und damit seinen Neffen Conrad, einen Sohn seiner Schwester belehnte. Er ward über die anhaltende Widerspenstigkeit der Fürsten so erbost, daß er Deutschland gar verließ, und wieder nach Italien zog, um allda die Quelle solcher Bitterkeiten zu verstopfen.“

Quelle:
Le Bret, Johann Friedrich: Die Geschichte der Deutschen. Zweyter Band, S. 491 bis 498, Heilbronn, in der Eckebrechtischen Buchhandlung, 1771. Das Buch ist in der Bayerischen Staatsbibliothek digital über folgenden LINK zugänglich:

http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10015792_00009.html

Le Bret war ein Historiker und evangelischer Theologe, 1786 wurde er Professor der Theologie, Prälat und Propst der St. Georgenkirche in Tübingen und Kanzler der hiesigen Universität. Zugleich war er Abt des Klosters Lorch.

Wie sehr die Autorität Heinrich V. durch den Sieg der Sachsen in der Schlacht am Welfesholz erschüttert war, ist einem Eintrag in den Regestra Imperii zum 11.02.1115 zu entnehmen, wonach lt. Stumpf 3120-3122 die Urkundentätigkeit des Saliers im Jahr 1115 nahezu vollständig aussetzt.

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Auch Eduard Gervais berichtet in seinem Werk: Politische Geschichte Deutschlands unter der Regierung der Kaiser Heinrich V. und Lothar III, Teil 1 ab Seite 128 von den Vorbereitungen und dem Verlauf der Schlacht am Welfesholz folgendes:

„Die Folgen zweier so schimpflicher Feldzüge gegen die westlichen Rebellen mußten bei der Stimmung, die in ganz Deutschland herrschte, für Heinrich äußerst nachtheilig wirken. Außer seinen Neffen, Friedrich und Konrad von Hohenstaufen, und dem Pfalzgrafen Gottfried vom Rhein konnte er kaum noch einem der größeren Fürsten sicher trauen, und die einzelnen ergebenen Grafen und Ritter in den aufgestandenen oder sich zum Aufstande rüstenden Provinzen waren zu schwach, den mächtigen Verbündeten lange Widerstand zu leisten oder des Kaisers Sache aufrecht zu halten. Fast in allen Gegenden des Reiches erhob sich Zwiespalt, Parteiung und Kampf zwischen Anhängern und Gegnern des Kaisers, vor dessen Zorn Keiner mehr zaghaft zurückbebte.
Die gefährlichste Empörung aber drohte in Sachsen. Allgemein und groß war hier der Unwille über die schmachvolle Behandlung, durch welche Heinrich die meisten Fürsten in ihrer Person verletzt hatte, über die unerhörten Geldfoderungen 1), wodurch Viele zu Gebietsabtretungen genöthigt und in Schulden gerathen waren, über die Ungerechtigkeit, womit er die Einen nach Empfang der Lösungssummen dennoch in Haft zurückhielt, Andere ihrer Würden und Lehen beraubte, wie Ersteres mit den Grafen Wiprecht von Groitsch, Ludwig von Thüringen und Burchard von Meißen 2), Letzteres mit Rudolf von der Nordmark, Friedrich von Sommerschenburg, Friedrich von Arnsberg und Reinhard von Halberstadt 3) geschehen war. Noch fehlte den Misvergnügten ein mächtiges Haupt, bis wieder Lothar an ihre Spitze trat. Ob auch ihn eine besondere Beeinträchtigung nach seiner Demüthigung zu Mainz getroffen, ist nicht bekannt. Es scheint, daß der Kaiser ihm nur die Heeresfolge gegen seine und des

1) Vita Vip., cap. XI, §. 6: Omnes Principes Saxoniae censu ante inaudito cunctis indicto vehementer infestabat. Fast scheint hier von einer neu eingeführten Abgabe, wie Heinrich sie später dem ganzen Reiche auferlegen wollte, die Rede zu sein.
2) Burchard wurde 1116 freigelassen; den Anlaß seiner Verhaftung kennen wir nicht. S. Vita Vip., cap. XI, §. 19.
3) Lib. de fund. Coen. Big., p. 123: Privavit dignitatibus suis Episcopum Halberstadensem venerabilem, Reinhardum Comitem Palat. de Sommerskenburch et Fridericum de Arnsberg ac Rudolfum Nordmarchia potitum substituitque pro eis alios sibi faventes. Vergl. Vita Vip. a. a. O.


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129    Allgemeiner Aufstand Norddeutschlands.

Reiches Feinde auferlegt hatte, welcher Verpflichtung er, wie wir gesehen, gegen Friesland und selbst gegen Köln entsprochen. Unter den Theilnehmern des Herbstfeldzuges erscheint er nicht mehr, sei es, weil er nicht zweimal in einem Jahre zu Felde ziehen durfte, oder, was wahrscheinlicher, weil ein feindlicher Einfall der Slaven ihm einen Vorwand gab zurückzubleiben. Genug, ein Krieg gegen diese nahm seine ganze Thätigkeit in Anspruch und wurde mit großem Ruhm beendet. Nicht nur den Slavenfürsten Dumar und dessen Sohn zwang er zur Unterwerfung, auch einen Häuptling der Rüger, der feindlich eingefallen, trieb er durch eine geschickt und rasch ausgeführte Umzinglung so in die Enge, daß derselbe ohne Schwertschlag sich für überwunden erklärte, um Frieden bat, einen großen Tribut zu zahlen versprach und dazu durch Eidschwur und Geißelstellung seines Bruders sich verpflichten mußte 1).
So ganz geändert hatte sich die Lage Lothar's und des Kaisers, daß jener nun als Sieger ein Heer erprobter Krieger, dieser als Besiegter kaum die Ueberreste eines ihm zum großen Theil nur ungern gehorchenden Reichsaufgebotes von ihren Feldzügen zurückführten. Auf Jenen sahen die misvergnügten, zum Theil schon im Aufstande begriffenen sächsischen Fürsten als ihren mächtigsten Helfer, auf Diesen mit Furcht, daß er seinen Zorn, den erlittene Schmach nur erhöhet, an ihnen auslassen werde. Lothar konnte die auf ihn Hoffenden täuschen, dem Kaiser seinen mächtigen Arm bieten und reichen Lohn dafür erwarten. Doch Eigennutz leitete nicht seine Handlungen. Sein Streben war, die Rechte der Fürsten gegen Willkür des Reichsoberhauptes zu schützen. Noch im Jahr 1114 trat er an die Spitze der sächsischen Misvergnügten, und mit ihm seine Schwiegermutter Gertrud und der Erzbischof Adelgot von Magdeburg, der seine geächteten Neffen, die Söhne des gefangenen Wiprecht von Groitsch, aus dem Versteck der Wälder und unsicherer Schlupfwinkel in seiner Stadt Luburg aufgenommen hatte 2), dem Bunde gegen den Kaiser bei.

1) Ann. Saxo hat hier eine eigene Nachricht, die man selbst bei Helmold vergeblich sucht: Luiderus D. S. expeditionem movet super Dumarum Slavum ejusque filium et eos ad deditionem coegit, principem quoque Rugianorum ad se in bellum venientem sagaci agilitate circumvenit, qui, ut circumventum se vidit, pacem colloquiumque Ducis depoposcit, germanum fratrem suum obsidem dedit, pecuniam copiosam spopondit, fiem sacramento confirmavit.
2) Adelgot war ein Sohn Werner's des Aeltern von Veltheim und der Schwester des ältern Wiprecht. S. Vit Vip., cap. I, §. 9. Das im Text Erzählte berichtet ausführlich Vit. Vip., cap. XI, §. 8 u. 9. Adelgot hatte sich wol von mehr als der seinen Verwandten erwiesenen Gunst vor dem Kaiser zu rechtfertigen. Da die Neffen an der Verschwörung zu Kreutzburg Theil nahmen, mußte auch Adelgot darum wissen, und war dadurch schuldig. Furcht vor Heinrich war gewiß ebenso die Triebfeder seines Erscheinens vor dem Kaiser als seiner Flucht von Hofe, sobald er erkannt, daß er sich nicht würde völlig rechtfertigen können.


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130    Dritter Abschnitt.

Die Verschworenen hielten mehre geheime Berathungen 1), die nicht sogleich auf Empörung und Abfall gerichtet waren, sondern nur einmüthige Beschwerdeführung über die erlittenen Beeinträchtigungen, Abstellung derselben, vornehmlich Freigebung der gefangenen Fürsten, Wiedereinsetzung der Beraubten, eine allgemeine Amnestie und Sicherstellung für die Zukunft bezweckten. Bei aller Mäßigung dachten sie indeß auch daran, wie sie vor jeder neuen Gewaltthätigkeit sich schützten. Zu diesem Zweck ward eine Bewaffnung und Vorbereitung der Vertheidigung nöthig erachtet. Auf der letzten Versammlung zu Kreutzburg 2) an der Werra verpflichtete sich jeder Theilnehmer zu treuester Hülfeleistung und fester Ausdauer, wenn des Kaisers Sinn gegen ihre Bitten und Vorstellungen keine Nachgiebigkeit zeige. Ohne Zweifel fand eine Verbindung der sächsischen und rheinischen Fürsten schon damals statt, und Letztere hatten gewiß viel beigetragen, die Sachsen zu einem neuen Aufstande durch Zusage ihrer Hülfe zu bewegen 3). Kreutzburg, einen soweit westlich gelegenen Ort, der überdies dem am Oberrhein verweilenden Kaiser die Verschwörung leicht verrathen konnte, hätten wol die sächsischen Fürsten nicht zu ihrer Versammlung gewählt, wenn an dieser nicht

1) Vit. Vip., cap. XI, §. 7: Multa conventicula simul habuerunt.
2) Ibidem: Tandem juxta Kruciburg simul conglobati initum foedus juramento firmarunt.
3) Friedrich von Arnsberg gehörte als westfälischer Graf schon zum Sachsenbunde. Seine Verbindung mit den transrhenanischen Fürsten und den Kölnern brachte auch diese mit den östlichen Widersachern in ein Einverständniß. Ob Letztere an dem Aufstande Kölns im Geheimen Theil genommen, oder denselben veranlaßt, um sich unterdessen zu rüsten, ist nicht zu entscheiden. Erst als Lothar wider den Kaiser auftrat, wurde Sachsen der Heerd und die Basis der allgemeinen Empörung durch ganz Norddeutschland. Auf die Stimmung der Sachsen war bei der Empörung in den Rheingegenden gerechnet. Ja selbst weiter noch scheint die Verbindung verzweigt gewesen. Erzbischof Friedrich von Köln in seinem früher angeführten Mahnungsschreiben an Otto von Bamberg meldet diesem: Jungitur se nobis Francia, libero ore veritatem Saxonia profitetur.


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131    Allgemeiner Aufstand Norddeutschlands.

auch die Rebellen im Westen des Reiches Theil genommen. Die Folge bewies, daß Letztere ihren Beistand Jenen nicht versagten, als dem Schwert die letzte Entscheidung vorbehalten blieb.
Sobald Heinrich von den Bewegungen in Sachsen hörte, bot er seine stets unermüdliche Thätigkeit auf, ihnen zu begegnen. Allein zu den einzig heilsamen Mitteln, Nachgiebigkeit, Milde, augenblicklicher Entlassung der gefangenen Fürsten, Aufhebung der Bedrückungen, nachdrücklichen Verweisen an seine willkürlich im Lande schaltenden Diener und Günstlinge konnte sein Stolz sich noch nicht entschließen. Mit Strenge hoffte er die Widerspenstigen, die er so wenig vorbereitet wie im vorigen Jahre zu überraschen glaubte, zum Gehorsam zwingen zu können. Am Rhein brachte er eine bedeutende Kriegsmacht zusammen, mit der er noch im Winter 1114 in Goslar erschien, und die seine Anhänger in Sachsen und Thüringen noch verstärken sollten 1). Als er um Weihnachten die Häupter der neuen Verbindung nach Goslar beschied, blieben dieselben wie vor zwei Jahren zu Erfurt aus 2). Nur der Erzbischof Adelgot, der eine seinen Verwandten bewiesene Mildherzigkeit für kein strafbares Vergehen wider den Kaiser hielt, oder diesen zu versöhnen hoffte, erschien am Hofe, verließ ihn aber bald wieder, weil die Warnung eines geheimen Anhängers seines Hauses, der im kaiserlichen Gefolge sich befand, in ihm den Argwohn erweckte, Heinrich wolle ihm den Prozeß machen und ihn gefangen setzen 3). Alle Widerspenstigen traf nun die Reichsacht, ihre Würden und Lehen wurden Andern zugewiesen und der Krieg gegen Jene beschlossen. Die dem Kaiser willfährigen

1) Ann. Saxo ad 1115: Imperator considerans Saxoniam manifeste jam a se deficere contra eam ut iratus ita et armatus venit, et tam ex his, quos adduxersat, quam quos inibi voluntarios invenerat, castra non modica instituit.
2) Ann. Saxo a. a. O.: Natalem Domini Goslariae celebravit, et Reinhardo Halberstadensi Episcopo, Duci Liudero, Palatino Comiti Friderico, Marchioni Rodolfo, ut curiae huic intersint, edicit. Geladen waren gewiß alle sächsischen Fürsten. Der Annalist nennt nur die welche ausblieben.
3) Vita Vip., cap. XI, §. 9 u. 10: Quidam Archiepiscopo familiaris a suo nepote, qui in regis erat ministerio, est clam praemonitus, scilicet Archiepiscopum regis circumventum fraudibus et non solum sequenti die deponendum, sed etiam cum suis omnibus capiendum. - Ille (Adelgotus) nil moratus in ipsius noctis tenebris, ignorantibus adversariis et celeriter equis ascensis Magdeburg ante mediam noctem cum suis aufugit. - § 11: Archiepiscopus absens deponitur et ultio fieri de Saxonibus reipublicae contemptoribus illico decernitur.
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132    Dritter Abschnitt.

Fürsten versprachen binnen vierzig Tagen ihre Mannschaft aufzubieten und die alte Pfalz Walhausen wurde zum Sammelplatz bestimmt 1).
Unterdeß waren auch die Verbündeten nicht unthätig und keineswegs von Furcht gelähmt. Gleich nach dem Tage zu Kreutzburg hatten sie die Veste Walbeck an der Wipper stark befestigt und von derselben aus den Grafen Hoyer von Mansfeld, den gefährlichsten Gegner im eigenen Lande, auf alle Weise bedrängt 2). Von dort aus ließen sie durch Gesandte Heinrich erklären, daß sie nur zur Selbstvertheidigung, nicht zum Kampfe wider Kaiser und Reich die Waffen ergriffen hätten 3) und sogleich diese niederlegen würden, wenn er ihren Bitten geneigtes Gehör und Abstellung ihrer gerechten Beschwerden gewähre. Anstatt zu besänftigen, erhöhete dies Heinrich's Zorn, und dem Schwert allein verblieb die Entscheidung. Beide Parteien zogen ihre Streitkräfte zusammen. Im Dienste des Kaisers zeigten sich besonders Diejenigen sehr thätig, denen die Würden und Güter der Geächteten zugesprochen waren, wie der junge Heinrich von Stade, der schon früher die Nordmark erhalten, sie aber seinem Oheim noch nicht hatte entreißen können 4), Friedrich von Putelendorf, der neue Pfalzgraf, und vor Allem der zum Herzog von Sachsen ernannte Hoyer von Mansfeld. Während dieser mit andern Anhängern des Kaisers Orlamünde belagerte, nahm Heinrich selbst Braunschweig, das Erbe der Markgräfin Gertrud, ein und zerstörte das seiner Mauern beraubte Halberstadt nun vollends 5). Die Verbündeten, sei es nun, daß sie dem Kaiser nicht unmittelbar Trotz bieten, oder daß sie leichter den Grafen Hoyer zu bekämpfen dachten, wandten sich gegen diesen und suchten nur die Vereinigung der noch

1) Vit. Vip., cap. XI, §. 9 u. 10: Expeditione dehinc post 40 dies scilicet IV. Idus Februarii suis omnibus indicta, apud Walehusen suum adunant exercitum.
2) Vit. Vip., cap. XI, §. 7: Inde proficiscentes castrum, quod Wallebeche dicitur, ad injuriam Regis aedificarunt. Ex quo Hogerum Comitem onmibus modis infestabant. S. auch Ann. Saxo ad 1115. Walbeck, nicht das ohnweit Helmstädt gelegene Stammschloß von Lothar's Vorfahren, sondern im Mansfeldischen an der Wipper gelegen.
3) Chron. Ursp.: Non pugnandi contra dominum suum audacia sed defendendi necessitate coacti.
4) Ann. Saxo ad 1114: Ejecto Rodolfo, milder Chron. Saxo ad 1115:
Rudolfus remisit marchiam. Der Pegauer Mönch dagegen a. a. O.: Rudolfum Nordmarchia potitum.
5) Ann. Hildesh., Ann. Saxo ad 1115,


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133    Schlacht am Welfesholze.

vereinzelt operirenden Gegner bei Walhausen zu verhindern 1). Diese bewerkstelligte der Kaiser dennoch zu der festgesetzten Zeit 2) an einem Orte, das Welfesholz genannt, in der Gegend von Eisleben, machte es dadurch aber zugleich den westlichen Bundesgenossen der Sachsen möglich, zu diesen zu stoßen. Die Arnsbergischen Brüder, Heinrich von Limburg, Hermann von Cavelage, ein Enkel des berühmten Otto von Nordheim 3) und andere Fürsten und Hülfsvölker 4) verbanden sich mit Herzog Lothar, unter dessen Führung die Gesammtmacht gleichfalls am Welfesholz lagerte. Einige Tage zögerte man noch auf beiden Seiten mit dem Angriff, theils wegen der rauhen Winterkälte und Schneemassen, die Wege und Felder deckten, theils aus Besorgniß über den Ausgang eines Alles entscheidenden Treffens 5). Waren die Verbündeten der Härte und des Zornes eingedenk, mit denen der Kaiser sie bedrohete, wenn er Sieger bliebe und die abermals Abgefallenen züchtigte, so erkannte Heinrich, daß nach einer Niederlage in Sachsen wie am Rhein seine Herrschaft, ja in ganz Deutschland sein kaiserliches Ansehen kaum noch zu behaupten möglich wäre. Aber der ungestüme Hoyer, der nach der Herzogwürde begierig Verlangen trug und für schimpflich hielt, mit fast noch einmal so starkem Heere unentschlossen vor dem Feinde im Lager zu stehen, er, der einst mit 300 Mann das Vorhaben der rebellischen Sachsen vereitelt hatte, wollte mit seiner Schar, einer auserlesenen jungen Mannschaft, die gleich ihm kecker Muth und Kampfeslust beseelte, nicht länger zaudern. Mit Ungestüm warf er sich (am 13. Februar 1115) auf den Feind; ihm entgegen trat, zornentbrannt für des Vaters Gefangenschaft und die Beraubung des Erbes an dem

1) Vita Vip., cap. XI, §. 11: Saxonibus e contra pro posse in id ipsum (Walehusen) enitentibus.
2) Vita Vip. a. a. O.: Ventum erat ad tempus indictum ad locum, qui Welfesholz dicitur.
3) Ann. Saxo p. 563 nennt Hermann einen Sohn des ältern Hermann von Calverla (so wird er hier genannt, p. 631 H. de Cavelage) und der von Welf verstoßenen Ethelinde. Friedrich von Arnsberg war der Sohn einer jüngern Tochter Otto's, die an Konrad von Arnsberg vermählt gewesen.
4) Ann. Hild. und Ann. Saxo a. a. O. geben nur die Genannten an. Chron. Pantal. p. 916: Adjunctis Friderico Archiepiscopo cum Coloniensibus. Daß auch Diese Hülfstruppen nach Sachsen geschickt, ist wahrscheinlich.
5) Vita Vip. a. a. O.: Propter hyemis asperitatem ac nivium importunitatem bellum in crastinum differtur. Chron. Ursp. und Ann. Saxo: Cumque per aliquot dies pars utraque alteri minaretur et parceret.


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134    Dritter Abschnitt.

Urheber Beides sich zu rächen, der junge Wiprecht von Groitsch. Wie jenen die Hoffnung auf ein neues großes Besitzthum erfüllte, trieb diesen Verzweiflung, weil ihm nichts von seiner Habe als das Schwert gelassen. Weit voran vor den Seinen, nur von einem Ritter gefolgt, sprengt der Mansfelder in den feindlichen Haufen; weil dieser unberitten, oder weil er durch sein Streitroß sich behindert glaubt, steigt er ab und will mit erhobenem Schwert sich Bahn brechen. Nicht erschreckt dies den jungen Groitscher Helden; auch er, nur begleitet von einem tapfern Brüderpaar, stürzt zum Zweikampf hervor, schleudert die Lanze wider die Brust des Gegners mit solcher Gewalt, daß sie tief in den Panzer dringt; doch Hoyer's Gefährte zieht das Eisen heraus, mit erhöheter Wuth führt Hoyer selbst einen toddrohenden Schlag auf Wiprecht's Haupt; den fängt dieser mit dem Schilde auf, dringt nun auch mit dem Schwerte auf den Gegner ein und glücklicher als der, versetzt er demselben einen Hieb, daß er niederstürzt und den zweiten tödtlichen nicht mehr abzuwenden vermag. Da jeder den Furchtbaren im Leben gekannt, bleibt sein Fall nicht verborgen und erhebt den Muth der Sachsen, wie er den der Kaiserlichen niederbeugt. Jene kämpfen für Freiheit und Recht, diese erfüllt kein höheres Interesse; auch Denen, die Heinrich auf den Lohn des Sieges verwiesen, schwindet die Hoffnung auf Beides, und bald erfaßt Alle die Furcht vor den erbitterten Gegnern, deren Einer zwanzig bis dreißig von ihnen niederwirft oder in die Flucht jagt. Dennoch währete, weil der Kaiser nicht die Fassung verlor und um jeden Preis den Sieg noch zu erringen suchte, die Schlacht bis zum Einbruch der Nacht. Da hielt auch jener die Flucht für das einzige Heil 1). Mit den Ueberresten seines großen Heeres wandte er sich

1) Jenes famosissimum proelium berichten alle Chronisten, am ausführlichsten die Vita Vip., cap. XI, §. 11-14, und nach ihm der Pegauer Mönch bei Hoffm., Scrpt. rer. Lusat. IV, p. 123. Ohne diese Beiden wüßten wir nichts von der Heldenthat Wiprecht's, da die anderen Schriftsteller, obwol auch sie die Niederlage des Kaisers vornehmlich aus dem Fall Hoyer's von Mansfeld herleiten, den Ueberwinder dieses nicht namhaft machen. Differenzen herrschen in der Angabe des Tages. Ann. Hildesh., Ann. Saxo, Chronogr. Saxo geben das Datum III. Idus Februarii, Helmoldi Chron. Slav., Dodechin, Alb. Stad. Kalend. Februarii. Die Angabe der Ersteren, die, wenn man die Nachricht der Vita Vip. aus dem Zusammenhange des Erzählten auffaßt, auch durch sie bestätigt wird (ad tempus indictum, die vorher IV. Idus Febr. angegeben, trafen die Heere im Welfesholz zusammen; bellum in crastinum differtur, also III. Id. Febr.) scheint die richtigere. Vergl. Stenzel II, S. 324. Die Stärke der Feinde nach Helm. und Alb. Stad.: Tres (Saxones) contra quinque pugnaverunt. Daß der Kaiser die Seinen geführt, sagt Vita Vip. §. 13: Imperator adveniens ordinavit acies. Die Gesinnung beider Heere §. 14: Saxones pro patria viriliter agentes, hostes nec spe nec timore enitentes, quasi oves tanto furore aggressi sunt, ut XXX seu XX ab uno Saxone occumberent Die Dauer des Kampfes, ibid: Toto die pugnatum est, et nox interveniens bellum diremit.


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135    Schlacht am Welfesholze.

nach Baiern und dann nach dem Rheine 1). Die Sachsen waren von ihrem unerwartet glänzenden Siege so überrascht, daß sie noch bei des Kaisers Flucht an demselben zweifelten, und in der Furcht, es möchte ein versteckter Hinterhalt ihnen den errungenen Vortheil entziehen, den Fliehenden nicht einmal verfolgten. Auf dem Schlachtfelde errichteten sie zum Gedächtniß des für ihre nationale Freiheit so glücklich ausschlagenden Kampfes eine Kapelle und darin eine Statue nach Weise ihrer Altvordern mit Helm, Schild und Keule, welcher späterhin die Umwohner der Gegend den Namen des heiligen Tyodut oder Jodut beilegten 2). Den Haß gegen Heinrich bezeichnete eine andere minder lobenswerthe Handlung. Auf den Rath des Bischofs Reinhard von Halberstadt, der im Heere der Verbündeten viel galt, der vor und während der Schlacht die Kämpfer durch seine religiös ermahnenden, auf die Gerechtigkeit ihrer Sache tröstend verweisenden Reden ganz besonders ermuthigt hatte, ward den gefallenen Kaiserlichen eine ehrliche Bestattung versagt, weil sie als Anhänger eines gebannten Kaisers in den Tod der Verdammniß gegangen seien. Ueberhaupt fing man an, diesem anfangs rein weltlichen Kampfe in Sachsen, wie in den andern Provinzen, die wider Heinrich im Aufstande waren, eine kirchliche Bedeutung unterzulegen und die Kämpfer für Freiheit und Eigenthum in Streiter für Kirche und Hierarchie umzuwandeln. Nicht alle weltlichen Fürsten mochten darin einverstanden sein, allein noch nicht gestattete ihnen ihr eigenes Interesse sich von der Geistlichkeit zu trennen oder als Vermittler und selbstständiger Stand für Kaiser und Kirche, wie für sich selbst bestimmte Rechte zu fodern. Noch immer schien Heinrich's Macht

1) Ersteres nennt die Vita Vip. a. a. O.: Victores postera die Regem in Bojariam fugisse compererunt. Dagegen sagen Chron. Ursp. und ihm nachschreibend Ann. Saxo ad 1115: Imperator non parum amaricatus ad Rhenum convertitur, was indeß nicht unmittelbar nach der Schlacht geschehen zu sein braucht.
2) Corner p.657 ad 1117 (für 1115) und Dodechin ad 1115. Erster fügt hinzu: Quasi Saxones victoriam ipsius auxilio habuerint. Vergl. Krantz, Hist. Saxon., lib. V, cap. 36. Es charakterisirt auch diese Erhebung der Kriegestrophäe zu einem Heiligen den Geist des Krieges selbst.


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136    Dritter Abschnitt.

gefährlich; um ihn zu beschränken, wider ihn das Volk in Aufregung zu erhalten, damit es nicht gewahr werde, daß an die Stelle eines Tyrannen jetzt der härtere Druck vieler kleinen Despoten getreten, gestatteten sie, daß man der Empörung gegen das Reichsoberhaupt das Ansehen eines heiligen Krieges gab, während weltliche und geistliche Fürsten auf gleiche Weise die Vergrößerung ihrer Macht im Auge behielten. Zur Verhütung jenes Zerwürfnisses, welches dem Kaiser Gelegenheit geben könne, sich für die erlittenen Niederlagen zu rächen, wurde der früher geschlossene Bund auch ferner aufrecht erhalten, wiederholte Zusammenkünfte und Berathungen über des Landes Wohl gaben seiner Thätigkeit Einheit und Nachdruck. Vorerst ward beschlossen für Sicherheit im eigenen Lande durch Unterdrückung aller inneren Zwistigkeiten, durch Bekämpfung der kaiserlichen Anhänger und Abwehr jedes auswärtigen Feindes Sorge zu tragen 1). Denn noch waren viele Vesten in Sachsen und Thüringen mit starker Besatzung versehen und droheten nicht nur mit verheerenden Ausfällen, sondern gewährten auch den Freunden des Kaisers so lange Schutz und Beistand, bis dieser, wie jene mit Zuversicht erwarten durften, einen neuen Heereszug nach Sachsen machen werde. Die feindlichen Burgen zu belagern oder zu beobachten mußte eine bewaffnete Kriegsmacht unterhalten werden.“

1) Helmold, lib. I, cap. 40: Saxones propter victoriam animis sublevati perpendentes Caesaris iram non facile impunitatem tantae calamitati praebituram frequentibus colloquiis causam suam muniverunt, seditiones, quae intra provinciam erant, foederibus conciliant, aliunde auxiliantum manus consciscunt, postremo ne complures foedera rumpant, omnes in defensionem patriae conjurant.



Quelle: Eduard Gervais: Politische Geschichte Deutschlands unter der Regierung der Kaiser Heinrich V. und Lothar III, Teil 1 S. 128 – 136, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1841




Dr. Joh. Janssen zum Verhältnis zwischen Kaisertum und Papsttum

„§. II. Unter der Regierung der letzten fränkischen Kaiser war das deutsche Reich durch die fortdauernden Kämpfe mit dem römischen Stuhle vollständig von Innen zersplittert und aufgerieben worden und hatte zugleich seine Kraft und sein Ansehen bei den auswärtigen Nationen verloren. Tiefes politisches Berechniß und tiefes Bewußtsein von dem, was dem Vaterlande Noth that, hatte deshalb der Wahl Lothar's

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von Suplinburg 1) zu Grunde gelegen, von dessen kirchlichen Gesinnung man eine versöhnlichere Politik dem Papstthum gegenüber erwartete; dessen Herrschertugenden, dessen biedere und edle Persönlichkeit man für die Erhebung des Reiches befähigt hielt. Man hatte sich nicht getäuscht. Wenige unserer Kaiser haben in dem Grade wie er die Stellung zu würdigen gewußt, die sie der Kirche gegenüber einzunehmen hätten, um für das Reich fruchtbar wirken zu können; Wenige in dem Grade eingesehen, daß man unbeschadet eigener Größe eine freie, volle kirchliche Entwicklung gestatten könne. Hätten die spätern Herrscher aus dem Hause der Staufen an Lothar gelernt, was sie dem Reiche geschuldet, so wäre unserer Geschichte manch' blutiges Blatt gespart worden und der Sturz unseres Vaterlandes sobald nicht hereingebrochen.
Lothar hat es bewährt, daß nicht Feigheit und Schwäche ihn geleitet, als er der Kirche Rechte aufopferte, die er gemäß dem Concordate von Worms hätte behaupten können, wodurch aber der völkerbildende Einfluß der Kirche eingeengt schien; er hat es bewährt durch seinen Heldenmuth und durch die Thatkraft, womit er die Größe und den Ruhm des Reiches nach Innen und Außen der Art zu heben gewußt, daß wir fragen dürfen wann denn unser Vaterland eine höhere Glanzperiode, als unter seiner Regierung, erreichte? Die Könige Dänemarks hatten ihre Kronen als Lehen aus den Händen des Kaisers empfangen, das Wendenvolk war zum Gehorsam, Polen zum Tribute gezwungen, Böhmen gewährte willig Vasallentreue,

1) Früher war es ziemlich traditionell in der deutschen Geschichte die Größe eines Kaisers nach dem Grade zu bestimmen, in dem er auf die Kirche losgeschlagen hatte. Während man z. B. Friedrich II., den feindseligsten Verfolger der Kirche, mit Lob überschüttete, wurden ein Heinrich II. ein Lothar III. die mit Rom in Frieden gelebt, als Schwächlinge und Frömmler dargestellt; daß das Vaterland unter jenem gelitten, unter diesen geblüht, blieb unbeachtet. Jetzt ist es anders geworden. Was Friedrich II. für Deutschland gewesen, hat uns Höfler und Böhmer gezeigt; des letztern, auf ein Quellenstudium, wie er es treibt, gestütztes und auf wenige Seiten zusammengedrängtes Urtheil wiegt ganze Bände von Geschichte auf. Für die Beurtheilung Heinrich's II. hat Gfrörer Bahn gebrochen, für Lothar III, Gervais l. c. und Jaffé in seiner Geschichte des deutschen Reiches unter Lothar dem Sachsen.

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Ungarn legte die Entscheidung über den Besitz des Landes in Lothar's Hand, die übermüthigen Griechen sah man um kaiserliche Gunst buhlen, in Italien war der deutsche Waffenruhm glänzend gewahrt. Das Reich selbst war beruhigt, pünktlich wurde für die Pflege der Gerechtigkeit gesorgt, ein zehnjähriger Landfriede, in den letzten Jahren seiner Regierung verkündet, wurde einmüthig von den Fürsten und vom Volke beschworen. Die Zeitgenossen haben den Kaiser den Vater des Vaterlandes genannt und mit Recht konnte Helmold sagen: „In den Tagen von Kaiser Lothar begann ein neues Licht zu scheinen; nicht blos im Sachsenlande, sondern im ganzen Reiche waren die Zeiten ruhig geworden, die Dinge im Ueberfluß, zwischen Reich und Kirche Friede.  2)"
Dieser Friede grade hatte die übrigen Segnungen herbeiführen helfen und das mußte Lothar erkennen, als er ihn aufrecht erhielt in einer Zeit, wo es vollständig in seiner Macht gestanden die Kirche zu drücken. Unter seiner Negierung nämlich war das traurige Schisma ausgebrochen zwischen Innocenz II. und Anaclet II., welches allenthalben in der Kirche eine unheilvolle Parteistellung hervorgerufen hatte. Beide Päpste gingen den Kaiser um Hülfe an; demüthig bittend kam Innocenz im Jahre 1131 nach Lüttich an Lothar's Hof. Kein Augenblick konnte günstiger sein für den Kaiser Rechte zu erpressen von dem Papste, der wie im Exil umherirrte; er hat es nicht gethan. Vor aller Welt legte er vielmehr die Ehrfurcht, die er dem Stellvertreter Christi zollte, offen an den Tag; als der Papst der Stadt nahte, ging er ihm an der Spitze der Großen seines Reiches entgegen, hielt ihm demüthig den Steigbügel und, selber zu Fuß einhergehend, führte er ihm mit der einen Hand den weißen Zelter am Zügel und trug in der andern eine Ruthe, mit der er die andringende Menge von dem Gesalbten des Herrn fernzuhalten suchte. Lothar wußte, daß er durch diese Ehrenbezeugung, die er dem

2) „Coepitque in diebus Lotharii Caesaris oriri nova lux, non tam in Saxoniae finibus, quam in universo regno, tranquillitas temporum, abundantia rerum, pax inter regnum et Sacerdotium.“ Chr. Slav. I, cap. 41.
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Papste erwies, nur sich selber ehrte; als erster Fürst der Christenheit betrachtete er sich auch, wie es Karl der Große gethan, gleichsam als erstgebornen Sohn der Kirche und hielt es als solcher sowol für sein Recht wie für seine Pflicht den übrigen christlichen Fürsten, seinen Brüdern, ein Beispiel aufzustellen von Ehrfurcht und Anhänglichkeit, die der Mutter gebühre. Wibald und andere Fürsten fanden in spätern Jahren Gelegenheit, Friedrich I. an dieses Beispiel von Lothar zu erinnern und dadurch einer Friedensstörung zwischen Kirche und Reich vorzubeugen.
Allerdings wollte Lothar anfänglich einige Forderungen in Betreff des Investiturrechtes an Innocenz stellen und schien an diese, gleichsam wie an Bedingungen, seinen Feldzug nach Italien und die Zurückführung des Papstes in die ewige Stadt knüpfen zu wollen; allein er ließ baldigst alle fallen, als der heil. Bernhard mit hinreißender Beredsamkeit die Sache der Kirche vertheidigt hatte. Dieser wunderbare Mann galt gleichsam als Orakel seiner Zeit; er übte durch seine sittliche Charactergröße, durch seine geistige Kraft und die Fülle seiner Rede einen solchen Einfluß aus auf die damalige Weltlage, daß man einen langen Zeitraum passend das Zeitalter des heil. Bernhard nennen kann. Wol zu Lüttich schon mochte es sein, wo Wibald ihn kennen lernte und von der Bewunderung seiner Beredsamkeit so erfüllt wurde, daß er einem Freunde schrieb: „Dieser ehrwürdige Mann, aufgerieben durch das langjährige Elend der Einöde, durch Fasten und Bläße gleichsam zurückgebracht auf die Zartheit einer geisterhaften Gestalt, überzeugt schon durch seinen Anblick, bevor er noch redet. Gott hat ihm die besten Anlagen verliehen, die höchste Ausbildung, eine unvergleichliche Thätigkeit, eine ungemessene Uebung, eine helle und klare Sprache, Bewegungen des Leibes, wie sie jeder Redeweise angemessen sind. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn er durch die Gewalt so großer Eigenschaften die Schlafenden, ja um noch mehr zu sagen, die Todten erweckt; und indem der Herr ihm beisteht und seine Rede bekräftigt, die Menschen umkehrt und unter das Joch Gottes als Gefangene schleppt, die auf den Wagen Pharao's standen. Ihn würdest du wahrhaft beredt nennen: der nicht durch seine

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Handlungen zu Nichte macht, was er mit seinem Munde predigt, der nicht im Innern ein Nero, im Aeußern ein Cato ist. Wenn du ihn siehst, wirst du belehrt, wenn du ihn hörst, unterrichtet, wenn du ihm folgst vollkommen werden."  3) Beide Männer sind in spätern Jahren in weltlichen und kirchlichen Angelegenheiten so häufig zusammen getroffen, und haben Beide so übereinstimmend ein Ziel verfolgt, daß man sich wundern möchte, daß zwischen ihnen kein Briefwechsel vorliegt.
Obgleich wir für Wibald's politisches Wirken in den Quellen keinen nähern Aufschluß finden,  4) so können wir doch aus einigen Andeutungen schließen, daß es von großer Bedeutung gewesen sein muß; bedenken wir nur, daß die Cardinäle Guido und Gerhard, die damals in Deutschland großen Einfluß ausübten, mit ihm in engster Freundschaft standen. Gleich nach dem Concile von Lüttich besuchte ihn Lothar in Stablo, bestätigte die Klosterprivilegien  5) und bald darauf treffen wir

3) „Vir ille bonus longo eremi squalore et jejuniis ac pallor confectus, et in quandam spiritualis formae tenuitatem redactus, prius persuadet visus, quam auditus. Optima ei Deo concessa est natura, eruditio summa, industria incomparabilis, exercitium ingens, pronuntiatio aperta, gestus corporis ad omnem dicendi modum accomodatus. Non igitur mirum si potenti tantarum rerumvirtute excitat dormientes, immo, ut plus dicam, mortuos et Domino cooperante et sermonem confirmante alterat homines et ad jugum Dei trahit captivos qui fuerant in curribus Pharaonis. Hune tu vere dixisses cloquentem, qui non destruit opere, quod praedicat ore, qui non est intus Nero, foris Cato. Quem si videas, doccris: si audidias, instrucris, si sequare, perticeris.“ ep. 147.
4) Martene (Coll. ampl. II. 160) läßt seiner Conjecturirlust freien Lauf; in Stablo meint er, seien die ersten Berathungen über den italienischen Zug gepflogen, erst nach der Unterredung mit Wibald habe Lothar die Investiturfrage fallen lassen, gleich darauf ein Heer gesammelt u.s.w. Am Ende kommt es bis zur Behauptung, daß Deutschland ohne Wibald’s Rath nie dem rechtsmäßigen Papste würde zu Hülfe gekommen sein („nunquam utique legitimo pontifici subvenisset Germania, si ejus (Wibaldi) consilio fuisset destituta“ pag. 157). Er läßt ferner den Wibald eine Rolle spielen in den Kämpfen Lothar’s mit Conrad, findet es dann sehr wahrscheinlich, daß auf seine Bitten Lothar dem Rebellen verziehen, und ist dann bald mit dem Satze fertig: daher schreibe sich die spätere Freundschaft Wibald’s mit Conrad. (p. 160, 161). Die Quellen wissen von all‘ diesen Sachen Nichts.
5) Reg. W.‘s Nro. 10

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den Abt in der Umgebung des Kaisers.  6) In einer im Jahre 1136 zu Gunsten Wibald's ausgestellten Urkunde lobt Lothar dessen Zuverlässigkeit und Treue in der Leitung von Reichsgeschäften  7) und Herzog Heinrich der Löwe erinnerte sich noch in spätern Jahren voll Dankbarkeit der Dienste, die der Abt seinem glorreichen Ahn, dem Kaiser Lothar, mit einer ungewöhnlichen Standhaftigkeit lange, vielfach und treu geleistet habe.  8) Daß er Proben von Tüchtigkeit und Entschlossenheit abgelegt, muß uns vor Allem aber daraus einleuchten, daß ihn Lothar auf seinem zweiten Feldzuge nach Italien zum Admiral der kaiserlichen Flotte ernannte. Wollten wir uns mit der Geschichte dieses Zuges näher beschäftigen, so würden wir nur wiederholen können, was Jaffé quellenmäßig dargestellt hat. Bei Besprechung von Verhältnissen, worin sich Wibald's Einfluß nicht in's Spezielle verfolgen läßt, wird uns überhaupt der Werth der vorliegenden Bearbeitungen bestimmen, ob wir näher in dieselben eingehen, oder nur im Allgemeinen berühren werden.
Jedenfalls bedurfte es für die Stellung, die Wibald angewiesen war, eines Mannes, der militärische Anlagen und Kenntnisse besaß, der mit der Umsicht im Unternehmen Ausdauer im Durchführen verband, den Entbehrungen und Gefahren nicht abschrecken konnten. Wibald hat die Hoffnungen, die Lothar auf ihn gesetzt, vollkommen gerechtfertigt; bei Neapel sowol, als bei der Unternehmung gegen Salerno, durch welche dem Kriege ein Ende gemacht wurde,  9) zeigte er sich seiner

6) Reg. W.‘s Nro. 11.
7) „Venerande abba Wibalde fidelitatis tuae constantiam et labores, quos nobiscum in administratione imperii nostri perfers. pensantes..“
Reg. W.‘s Nro. 16. Auf W.‘s Verwenden bestätigte Lothar an demselben Tage die Verbindung des Klosters Hastieres mit dem Kloster Vasor. Reg. W.‘s Nro. 17.
8) „Venerabilis abbas nobisque carissimus Wibaldus gloriossimo avo nostro imperatori Lothario diu multumque ac fideliter servivit, et in administratione Romani Imperii singulari constantia usque ad mortem adhaesit.“ Reg. W.‘s Nro. 105.
9) „Guibaldus super navalem expeditionen ab imperatore constitutus et Neapolim est transmissus.“ Petr. Diac. I. cap. 124.  „Navalemque expeditionem, super quam Stabulensis abbas Guibaldus ordinatus erat, supra Salernum direxit.“ I. c. cap. 117.

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schwierigen Stellung vollkommen gewachsen. Treue und Aufopferung bewährte er in einem solchen Grade, daß ihn Lothar seiner vorzüglichen Liebe und Freundschaft für würdig erklärt,  10)
Noch findet sich ein Brief Lothar's an Wibald, worin diesem Titel beigelegt werden, für deren Erklärung die Geschichte keinen Aufschluß gibt und die auch Wibald später nie wieder gebraucht hat. Der Kaiser nennt ihn nämlich Kanzler des römischen Reiches, Magister Capellanus und Friedensfürst;  11) ob er diese Würden schon früher bekleidet, oder sie auf dem italienischen Feldzuge erhalten, muß dahingestellt bleiben; Urkunden, die er als Kanzler recognoscirt, liegen nicht vor.
....
10) „Praccipue tamen personam domni ac venerabilis abbatis Wibaldi ... praccipuo amore ac familiaritate nostra dignam judicamus, cujus fides et devotio circa stabilitatem et honorem imperii hac Italica expeditione manifeste satis enituit, qui post multos labores et pericula, quae pro nobis et nobiscum in administratione nostri imperii in Apulia fideliter pertulit ..“ Reg. W.‘s Nro. 23.
11) „Dilectissimo fideli suo Guibaldo Casinensi gerarchae, et Romani imperii Cancellario (so bei Pertz, Moratori hat archicancellario) et magistro capellano ac principi pacis.“ Brief Lothars vom 30. September 1137 bei Petr. Diac. I. c. cap. 125. Vergl. Archiv für ältere deutsche Geschichte V. 124, 341. Die Behauptung Ficker’s (Rainald von Dassel, p. 10), Wibald sei Kanzler dreier Kaiser gewesen, ist nicht zu erweisen.“




Veröffentlicht in:
Janssen, Johannes,  Wibald von Stablo und Corvey 1098-1158, Abt, Staatsmann und Gelehrter, S. 40 - 46
Münster 1854
Verlag der Coppenrathschen Buch- und Kunsthandlung



Dr. Constantin Höfler zum Verhältnis zwischen Kaisertum und Papsttum (Rezension)

Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 300, Montag, 27. October 1845

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Kaiser Friedrich II. Ein Beitrag zur Berichtigung der Ansichten über den Sturz der Hohenstaufen. Mit Benutzung handschriftlicher Quellen der Bibliotheken zu Rom, Paris, Wien und München, verfaßt von Konstantin Höfler. München, Literarisch-artistische Anstalt. 1844. Gr. 8. 2 Thlr. 5 Ngr.

 

Wer Hrn. Höfler aus seinem Werke „Die deutschen Päpste“ kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat, wird leicht errathen können, auf welchen Standpunkt er sich stellte, als er das vorliegende Buch schrieb; welches, wie wir beiläufig aus der Vorrede bemerken wollen, ursprünglich nur eine kurze Abhandlung werden sollte, aber um das Dreifache wuchs, um wenigstens einigermaßen den Stoff unterzubringen, der dem Vers. zu Gebote stand. Dessenungeachtet hat der Leser keine vollständige Biographie Friedrich’s II. vor sich. Fragt man nun, was denn der·Verf. eigentlich geben wollte, auf welchem Standpunkte er·bei seiner Darstellung steht und welche Quellen er benutzte, die es namentlich rathsam erscheinen ließen, das Buch zu schreiben und der wissenschaftlichen Lesewelt vorzulegen, so erhält man in der Vorrede, die aber keineswegs das Buch selbst vollkommen und deutlich genug charakterisirt, im Wesentlichen folgende Auskunft:

„Unsere Schrift beschäftigt sich eigentlich nur mit Lösung gewisser Probleme im Leben Friedrich’s II., sie ist eine biographische Skizze, welche, ohne erschöpfend zu sein, Das mit besonderer Vorliebe behandelte, was andern Arbeitern entweder entging, insofern der vor ihnen liegende Stoff hierzu nicht ausreichte, oder was sie auf eine Weise darstellten, welche nach dem vor mir liegenden Stoffe als unhaltbar angesehen werden muß. Ein Augenmerk schwebte hierbei dem Verf. besonders vor, daß sein Büchlein für die Geschichte des Mittelalters so viel als möglich unentbehrlich und nicht gerade von ephemerer Dauer werden möge. Sollten später neue Forschungen in diesem Gebiete der Geschichte statt·finden, so hegt der Verf. die Hoffnung, daß sie sich zu den seinigen doch nicht anders verhalten werden als wie zum Vordersatz die coneclusio, wie zur Basis die Säule. Die Geschichte Friedrich’s II. bleibt für alle Zeiten von dem höchsten Interesse, weil der Wendepunkt des Mittelalters in sie fällt. So große Schwierigkeiten hierbei der Gegenstand darbietet, so liegen doch die bedeutendern in den Anfoderungen der Leser, indem die meisten von dem Verf. geradezu verlangen, er solle sich entweder lobend oder tadelnd über das Recht der Päpste, die Könige abzusetzen, und die Pflicht der Letztern, der Hierarchie zu widerstehen, aussprechen. Je nachdem dies geschehen, wird ihm auch Anerkennung oder Verwerfung zu Theil werden. Mit Absicht hat jedoch der Verf. darauf gar keine Rücksicht genommen. Was auch gegen die innere Begründung eines aufgestellten Rechtssatzes eingewendet werden mag, dem positiven Rechte wird man seine Geltung nicht versagen können. Jedweder allgemeine Satz enthält des Wahren beinahe ebenso viel als des Falschen in sich. Darüber mögen die Leser, welche Lust haben, sich ereifern; der Historiker hat nur das Particulaire, die gegenseitigen Beziehungen zu erforschen und zu würdigen. Alle Gewalt aber war, dem Begriffe der Zeit gemäß, wenn sie rechtlich sein sollte, nur eine gegebene; es gab keine Rechte ohne besondere Pflichten. In der Bewahrung jener, in der Erfüllung dieser bestand die Freiheit jener Tage. Die neuern Zeiten haben diesen Grundsatz zu nichte gemacht und die Freiheit in die Willkür gelegt, sodaß aufs neue Herrschen oft nichts Anderes heißt als die Willkür üben. Auf dieser Bahn ist, wie mehre Hohenstaufen, vor Allen Friedrich II. ihnen vorangegangen. Sein Kampf mit dem Klerus trug hervorragend diesen Charakter, da der Grundsatz des Traditionnellen sich nirgend so kundgegeben hatte als in diesem Stande. Der Kampf des Kaiserthums mit dem Papstthum erhielt in der vorliegenden Schrift eine neue Berücksichtigung, da er nicht nur dem Papste und Klerus gegenüber, sondern insbesondere in seiner Beziehung zu dem Laienstande verfolgt wird, welcher, gleichsam Erbe des gewaltigen Streits zwischen dem Priester- und Königthume, von nun an eine Stellung in der christlichen Welt einnimmt, die mit jedem Jahrhundert von größerer Bedeutung wird. Ist deshalb auch das Resultat dieses Buchs ein von der gewöhnlichen Auffassungsweise abweichendes, so möge dieses dadurch entschuldigt werden, daß die auf dem Titel angekündigte Benutzung von Handschriften in- und ausländischer Bibliotheken volle Wahrheit ist. Salimbene’s werthvolle Chronik aus der vaticanischen Bibliothek, die Regestenauszüge Papst Gregor's IX. und Innocenz’ IV. aus der Ballicelliana, der Regestenband Innocenz’ IV., den die königliche Biblothek zu Paris aufbewahrt, das Conceptbuch des bekannten päpstlichen Legaten Albert von Beham, welches als Autographon und seines seltenen Materials wegen zu den vorzüglichsten Kostbarkeiten der königlichen Bibliothek zu München gehört, die den Manuscripten der

 

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kaiserlich-königlichen Bibliothek zu Wien entnommenen Briefe rc. können dem Leser bürgen, das ich nicht in den Schuhen meiner Vorgänger einherzuschreiten, sondern eigene Wege zu wandeln suchte.“

Die deutsche Geschichtschreibung ist gewohnt, das Zeitalter der Hohenstaufen als die Glanzperiode des deutschen Reichs im Mittelalter darzustellen, d. h. als diejenige Zeit anzusehen, in welcher das deutsche Volk durch seine Kaiser repräsentirt politisch und geistig den Gipfelpunkt erstieg, der ihm im Mittelalter bestimmt war. Von da an Verfall, Auflösung und allmäliger Ubergang zu neuen Verhältnissen. ,,Deutschlands Verhältnisse“, sagt Bülau ganz treffend, ,,führten sichtlich darauf hin, daß auf allen·Punkten das Besondere seinen eigenen Ausdruck erhielt.“ Friedrich II. hatte das Geschick, „an dem Ausgange jenes Kampfs zu stehen und die Entscheidung tragen zu müssen“. Und unsere Geschichtschreibung, den national-politischen Gesichtspunkt festhaltend, hat in ihre Geschichtsbücher über diesen Fürsten, der sieben Kronen auf seinem Haupte trug, im Wesentlichen Folgendes eingetragen. Friedrich II. hatte einen furchtbaren Kampf zu bestehen gegen die Lombarden, gegen die Päpste und die Feinde, die ihm von diesen sowol offen als im Geheimen entgegengestellt wurden. Sein ganzes Leben ging in diesem Kampfe unter. Er entwickelte aber auch Muth, Kraft und Klugheit in einem solchen Grade, daß er mit Recht in der Reihe der ausgezeichnetsten Fürsten Deutschlands steht. Nie sind, kann man mit vollkommener Berechtigung sagen, schönere Talente und größere Kräfte an die deutsche Herrschaft über Italien und an die Demüthigung der Hierarchie gesetzt worden. Von denselben Herrschergrundsätzen ausgehend, die seinen Großvater Friedrich Barbarossa geleitet hatten, verkannte er wie dieser die Unmöglichkeit, den Freiheitsgeist der Städte, mit denen sich die Interessen der päpstlichen Politik verbanden, durch das Lehnssystem zu besiegen. Darum führten aber auch die vielen Gesetze, die Friedrich in Verbindung mit seinem berühmten Kanzler Peter de Vineis zur Beschränkung der Städte und zur Begründung oder Wiederherstellung der kaiserlichen Macht gab, ebenso wenig zum Ziele als die unermüdete Thätigteit und Grausamkeit seines talentvollen und selbstsüchtigen Bundesgenossen Ezzelino da Romano. Um seine Erbstaaten, Sicilien und Neapel, gegen offene und geheime Angriffe der Päpste zu sichern und Italiens Herr zu werden, vergaß Friedrich Deutschlands Interessen nur zu sehr, wohl wissend, daß ihm von dortaus keine wahrhaft ernstliche Gefahr drohe, und führte durch die Überlassung der Territorialoberhoheit an die deutschen Fürsten, deren Anhänglichkeit er in dem Entscheidungskampfe gegen Rom bedurfte, nothwendig die Zerstückelung Deutschlands herbei. Wie aber Friedrich nach der Unterwerfung Italiens strebte, ebenso trachteten die Päpste um jeden Preis den wegen seiner italienischen Erblande doppelt furchtbaren Kaiser aus ihrer Nähe zu entfernen. Die Nothwendigkeit seiner Gegenwart in Italien fühlte der Letztere nur zu gut; daher seine wiederholte Weigerung, den längst versprochenen Kre·uzzug anzutreten. In Folge dessen sprach der Papst Gregor IX., der noch im Greisenalter die Hitze eines Jünglings und die Thatkraft eines Mannes besaß, den Bann über ihn aus. Und als Friedrich den Kreuzzug 1228 unternahm und selbst Jerusalem ohne Schwertstreich den Christen wieder gewann, wie er der christlichen Welt in einem Briefe selbst verkündigte, umgab ihn die erbitterte Curie in dem heiligen Lande mit Feinden und Gefahren. Und ihr Verdienst war es in der That nicht, daß der Kaiser nicht durch Meuchelmord fiel und der Sultan von Ägypten sich ehrlicher und großmüthiger zeigte als man von einem mohammedanischen Feinde damals zu erwarten gewohnt oder berechtigt war. Des Kaisers Abwesenheit benutzend hatte Greor IX., wie vorauszusehen war, Krieg und Aufruhr in dessen Erblande geworfen; die Rückkehr des Gewaltigen verscheuchte jedoch bald die Schlüsselsoldaten. Die Opposition, die sich in Deutschland gebildet und an deren Spitze man den jungen und unerfahrenen Schon Friedrich's, Heinrich, zu drängen gewußt hatte, unterdrückte der Kaiser sehr schnell und der Sohn büßte seine Schuld oder Verführung mit lebenslänglichem Gefängnisse. Um seinem Kampfe in Italien, den er, es koste was es wolle, zur Entscheidung zu führen entschlossen war, ungestört obliegen zu können, hielt er einen großen Reichstag zu Mainz (1236); ein ·allgemeiner Landfriede, dessen Verkündigung zum ersten Male in deutscher Sprache geschah, ward geboten. Friedrich sah Deutschland nicht wieder. Da zwischen seinen Herrschergrundsätzen, den Ansprüchen der lombardischen Städte und den Plänen Roms keine Ausgleichung möglich war, nahm der Kampf zwischen Kaiser und Papst, nachdem der Letztere insbesondere den Erstern excommuinicirt·hatte, eine solche Heftigkeit und Erbitterung an, daß beide Kämpfer selbst der Gefahr nicht achteten, mit welcher nicht· nur Deutschland, sondern der größte Theil der europäisch-christlichen Welt durch die Mongolen bedroht ward; beide Streiter, an Ehrgeiz, Kraft und Ausdauer einander würdig, fühlten lebhaft, es sei für Jahrhunderte vielleicht der Tag der Entscheidung gekommen zwischen der Fürstenkrone und der· päpstlichen Tiara.·Friedrich erklärte, Das was auf dem Spiele stand richtig würdigend, nach seiner Besiegung würden die übrigen Könige bald an die Reihe kommen; und diese durften denn in der Wahrheit den Ausspruch des Historikers Florus auf sich anwenden lassen: ,,post Carthaginem neminem vinci puduit.“ Als Gregor IX. Starb, theils aus Gram über die Niederlage seiner genuesischen, reich mit Geistlichen und englischem Gelde beladenen Flotte, theils an den Folgen ungünstiger Gesundheitszustände in Rom(1241), stand Friedrich dem Anscheine nach auf dem Punkte obzusiegen. Allein bald änderte sich die Scene. Er ward 1243 bei Viterbo von den mit Erbitterung und Verzweiflung kämpfenden Italienern geschlagen und der neue Papst Innocenz IV., der ihm als Cardinal Sinibald Fiesco befreundet gewesen war, trat mit solchem Herrscherstolze und solcher Festigkeit gegen ihn auf, daß er sich zu Unterhandlungen entschließen mußte. Aber ehe diese noch zum Abschlusse kamen, entfloh der Papst nach Lyon zum größten Unmuthe des Kaisers, der daraus ganz klar erkannte, daß sein erbitterter Feind in dieser sichern Stellung nun das Außerste gegen ihn wagen würde. Und er täuschte sich nicht. Auf einem dahin berufenen großen Concil, vor dem der kaiserliche Gesandte Thaddäus von Suessa vergebens seine Beredtsamkeit zur Vertheidigung seines Herrn erschöpfte, sprach Innocenz IV. am14. Juli 1245 einen ebenso verhängnißvollen als schmählichen Bannfluch aus *): er galt der Vernichtung des im verhaßten Hohenstaufischen Geschlechts. Der Papst verfügte über die Kronen und Länder desselben, Deutschland eingeschlossen, mit maßloser und despotischer Willkür. Mit prophetischem Geiste rief Thaddäus aus: „dies ista, dies irae, calamitatis et miseriae! Doch ungebeugten Muths, im Vertrauen aus seine Rechte und der noch inwohnenden Kraft setzte der Geächtete in Italien den Kampf mit abwechselndem Glücke fort; während er in Deutschland die Bekämpfung zweier Gegenkönige, die ihm die Päpstliche Politik schnell nacheinander entgegensetzte, seinem Sohne Konrad überließ. Plötzlich aber machte der Tod dem stürmischen und welthistorischen Leben Friedrich's ein Ende. Gift und Dolch hatten ihn nicht zu erschüttern vermocht; aber die Treulosigkeit seines Kanzlers Peter de Vineis und die Gefangennehmung seines Lieblingssohnes Enzio brachen ihm zuletzt das Herz. Sein Fall war der erste Art der großen historischen Tragödie, in der seinem gewaltigen Hause unterzugehen bestimmt war. Welchen Eindruck aber dieser Hohenstaufe namentlich auf das deutsche Volk durch seine Thaten und durch die Verfolgung der Mönche gemacht hatte, sieht man daraus, daß noch unter Rudolf von

 

*) Der Papst machte ihn der ganzen christlichen Welt bekannt, er theilte ihn selbst dem Sultan Melaheddin mit. Dieser gab aber eine Antwort die vortrefflich geeignet war, das Haupt der Christenheit tief zu beschämen; schwerlich war eine solche erwartet worden.

 

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Habsbnrg Betrüger auftreten konnten, die sich für Friedrich II. Ausgaben; in Mainz mußte Rudolf sogar die Waffen gegen den Anhang eines solchen Pseudo-Friedrich ergreifen. Deutschland und Italien übrigens lagen blutend und zerrissen da; das war der vielgerühmte Segen der Hierarchie und der sogenannten Befreiung der Kirche aus der Knechtschaft der Hohenstaufen. Das aber an diesen Triumph des Papstthums der Anfang seines Sturzes sich knüpft, das haben katholische und protestantische Historikers schon längst und allgemein anerkannt. Die Nemesis hängt an den Füßen des Frevlers gegen die Gerechtigkeit!

(Der Beschluß folgt)

 

Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 301, Dienstag, 28. October 1845

 

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Kaiser Friedrich II. Ein Beitrag zur Berichtigung der Ansichten über den Sturz der Hohenstaufen. Von Konstantin Höfler.

(Beschluß aus Nr. 100.)

Sehen wir nun, wie unser Verf. Friedrich II. und die Verhältnisse aufgefaßt hat. Seine Quellen, denen er vorzugsweise folgt, sind durch und durch mit römisch-hierarchischen Ansichten geschwängert. Und diesen einseitigen Charakter trägt auch sein ganzes Buch an sich. Den Schlüssel dazu kann man in den Worten Salimbene's d' Adami, der dem Verf. als besonderer Gewährsmann dient, finden: ,,Friedrich würde seines Gleichen nicht gefunden haben, hätte er Liebe zur Kirche gehabt; der Haß aber, welcher ihn zu dem Streite mit ihr entflammte, hat alle seine guten Eigenschaften zerstört. „Hinc illae lacrimae! In Folge Dessen ist alles Unrecht auf Seiten des Kaisers und seiner Anhänger, die Kirche oder vielmehr die Hierarchie ist schuldlos, befindet sich nur im Stande der Nothwehr, während sie doch handgreiflich mit schauderhafter Willkür in weltliche Rechte und Verhältnisse übergreift. Wer gab dem Papste auch nur im geringsten die Befugniß, die

 

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Hohenstaufen Konrad, Manfred, Konradin diesseit und jenseit der Alpen ihrer Kronen zu berauben? War Friedrich schuldig, was hatten Kinder und Enkel verbrochen? Man gestehe es nur, die unparteiische Geschichte und die Gerechtigkeit drängen unwiderstehlich zu diesem Geständnisse: die Hierarchie bebte vor keinem Gewaltstreiche zurück, um das verhaßte, mächtige und kraftvolle Geschlecht der Hohenstaufen zu verderben. Deutschland, das Vaterland des Verf. erntete Blut, Verwilderung und Zerstückelung von den Bestrebungen und endlichem Siege der päpstlichen Macht. Hat der Verf. ein Herz für diese bejammernswerthen Folgen? Nein, seine Augen sind mit dem Herzen zugleich nach Rom gerichtet, dort ist der einzige Sitz des Rechts, dort die wahre Quelle des Segens. Und fast möchte man glauben, folgende Worte wären zum Hohne geschrieben:

„Die Angelegenheiten des deutschen Reichs überwachte Innocenz mit der unermüdlichsten Sorgfalt, und wenn dasselbe als nächste Folge der Absetzung der Hohenstaufen eine grenzenlose Verwirrung erntete, so darf man hierbei nicht die natürliche Folge dieses Ereignisses und des charakterlosen Ehrund Ländergeizes seiner Fürsten auf Kosten der Anordnungen hinsetzen, die Innocenz für das allgemeine Wohl ergreifen mußte, oder die Augen für Dasjenige schließen, was zur Herbeiführung eines bessern Zustands, der mislichen Verhältnisse ungeachtet, Treffliches und Geeignetes geschah. Der König selbst kam unter den besonderen Schutz des Papstes.“

Wir enthalten uns jeder weitern Bemerkung über diese Stelle; unsere Leser werden von selbst die Stimme eines Mannes daraus vernehmen, der das „Rom hat gesprochen“ auch für sein Vaterland als die suprema lex anerkennt. Wenn endlich der Verf. in der Vorrede erklärt, er habe keine Biographie Friedrich's II. zu liefern beabsichtigt, sondern nur neue Beiträge liefern und berichtigen wollen, so wäre das an sich ebenso rühmlich als verdienstlich. Allein es hat derselbe wohlweislich nur die Verhältnisse, Kämpfe und Fehler Friedrich's zum Gegenstande seiner Darstellung gemacht, die seinem speciellen Zwecke dienten, während er voraussah, daß eine umfassende und nach allen Richtungen hin greifende Biographie ihm manchen schmerzhaften Pfahl in sein hierarchisches Fleisch treiben mußte, wenn er sich nicht zum Falsarius der Geschichte hergeben wollte. Nach·allen diesen Bemerkungen wird man übrigens auch unsere Außerung erklären, die wir zu Anfang gethan haben, daß die Vorrede des Verf. keineswegs völlig klar und offen sei. Sollen wir nun unser Urtheil über sein Buch in wenige Worte zusammenfassen, so glauben wir es in folgender Art ohne alle Ungerechtigkeit und Nebenabsicht thun zu dürfen: der Verf. hat gleich einigen Andern im Interesse einer gewissen Partei einen Versuch der Rehabilitation der vor dem Forum der Geschichte verurtheilten Hierarchie gemacht, wie sie im 13. Jahrhundert den Hohenstaufen gegenüber erscheint. Seine neuen Quellen dienten ihm glücklich als Veranlassung und Beweismittel. Die theilweise mühevolle Sammlung und die Mittheilung dieser Quellen verdient den Dank der Geschichtswissenschaft schon aus dem Grunde, weil diese das audiatur et altera pars als ein Recht unbedingt anerkennen muß und dieses natürlich weder dem Verf. noch der Partei, die er vertritt, zu verweigern geneigt sein kann. Allein sollen jene Quellen ihren wahren Werth für die Historiographie erhalten, so dürfen sie keinem Parteizwecke zum Mittel dienen, sondern müssen außerhalb desselben nach den Gesetzen der historischen Kritik geprüft *) und benutzt werden. Die historische Kritik hat aber in den Geschichten des Mittelalters solche Fortschritte gemacht, daß sie recht wohl im Stande ist zu beurtheilen, welcher Werth, welche Autorität dieser oder jener Urkunde gebührt. Sie läßt sich nicht mehr durch Alter oder sogenannte heilige Hände täuschen und bestechen; sie hat die Wahrheit, auf welcher Seite sie auch liegen möge, zum Endziel ihrer Prüfungen gemacht. Und so können wir uns denn auch jetzt, um es mit kurzen Worten noch einmal auszusprechen, von der Überzeugung unmöglich trennen, des Verf. Quellen bedürfen einer Kritik und Benutzung, die von jedem Parteizwecke sich entfernt halten, um auf ihren wahren Werth für die Geschichte der Hohenstaufen zurückgeführt zu werden. Wir hegen aber die Hoffnung, daß die Befriedigung jenes Bedürfnisses nicht lange außenbleiben werde, sowie daß des Verf. Buch auf die Darstellung und Beurtheilung der Hohenstaufischen Geschichten im Ganzen von keinem wesentlichen Einflusse sein werde. Indem der Verf. am Schlusse noch manche charakteristische Züge aus der Zeitgesehichte, besonders aus dem Mönchsleben der Franziskaner, nach seinen Quellen mittheilt, schließt er das Ganze mit folgender Stelle:

„Die ungeheuern Anstrengungen, zu welchen unter Innocenz IV. die Kirche genöthigt gewesen war, hatten dieselbe in einen so unnatürlichen Zustand versetzt, daß Jahrzehnde vergingen, bis sie aus dem Schwanken wieder zur Ruhe gebracht werden konnte. Innocenz hatte von Anfang an nach Frieden gestrebt; allein die Unmöglichkeit, einen solchen ohne die unverantwortlichste Verletzung seiner Pflichten zu schließen, hatte ihn zu den äußersten Schritten vermocht, welche sein Pontificat mit dem Hasse der Ghibellinen erfüllten. Als er schnell nach dem Sturze des Kaisers wieder einzulenken versuchte, mußte er die Erfahrung machen, wie die Aufregung der Parteien ein selbständiges Leben zu gewinnen vermöge, auch wenn die Ursache derselben längst weggefallen war. Dafür konnte ihn aber das Bewußtsein trösten, in der äußersten Bedrängniß nur Dasjenige gethan zu haben, was zum Heile der Kirche menschliche Weisheit für unumgänglich erachtetete. Es blieb einem höhern Ermessen überlassen, im Laufe der Weltgeschichte die Ursache klar zu machen, warum die alte Verbindung zwischen Papstthum und Kaiserthum gelöst, das Abendland der Zerrüttung, das christliche Morgenland dem Untergange preisgegeben werden sollte. Die Saat, die seit Heinrich IV. unablässig ausgestreut worden, war endlich aufgegangen; sie hatte ihre Früchte gebracht und vergeblich mochte jetzt die Welt miskennen, was nur die natürliche Folge vorausgegangener entsetzlicher Ursachen war. Entrinnen konnte sie den Übelständen derselben nicht mehr; dann erntete sie auch die bessern Früchte.“ 73.

 

 

*) Der Verf. erkennt es an, daß er den kritischen Werth seiner Quellen in dem vorliegenden Buche habe besprechen sollen, es sei aber unterlassen worden, weil das Erfoderliche von ihm bereits in den „Münchner gelehrten Anzeigen“ niedergelegt wäre. Wir glauben denn doch, er hätte besser gethan, wenn er jene Kritik auch dem Buche selbst einverleibte, die wissenschaftliche Welt würde es ihm gewiß Dank gewußt haben, abgesehen von der Zweckmäßigkeit, die Quellen und ihre Kritik aus einem Punkte zu vereinigen.

 

 

Veröffentlicht in:

Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 300, S. 1202-1204 sowie Nr. 301, S. 1207-1208 vom October 1845

 

 

Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. - Druck und Verlag von F. H. Brockhaus in Leipzig

 

 

Hinweis: Der deutsche Historiker Constantin Höfler war 1839-1847 Professor der Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und 1851-1881 an der Karls-Universität in Prag.

 

 

Stüve 1828: Bemerkungen über den Sächsischen Krieg (1070-1125) und seine Folgen für Westphalen.


I. Bemerkungen über den Sächsischen Krieg (1070 bis 1125) und seine Folgen für Westphalen,

von Dr. Stüve.

Wenn es gleich thöricht ist, in der Geschichte diese oder jene Veränderung des geselligen Zustandes, von einer einzelnen Begebenheit abzuleiten; so ist doch unverkennbar, daß die Keime solcher Veränderungen, welche durch günstige Umstände verschiedner Art genährt worden, in der Regel irgend eine große äußere Bewegung bedürfen, um sich völlig zu entwickeln. In dieser Beziehung ist der Krieg auch für die innere Entwickelung der Staaten bedeutend, und fast jeder längere Kriegszustand wird entscheidende Folgen auch in dieser Rücksicht haben. -- Von diesen Gesichtspunkten aus muß der große Sächsische Krieg (von 1070 bis 1125) für das nördliche Deutschland als eine der großen Begebenheiten betrachtet werden, auf die sich die Aufmerksamkeit des Geschichtsforschers am meisten richten sollte. Wenn dennoch für denselben in Beziehung auf Westphalen insbesondere wenig geschehen ist: so mag dies zwar in der Mangelhaftigkeit der Quellen Entschuldigung finden; allein es bleibt eine große Lücke in unserer Geschichtsforschung, und eine Lücke, welche wir um so weniger unausgefüllt lassen dürfen, da eben die Ergebnisse genauerer Forschungen für diesen Zweck vorzüglich


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dazu dienen möchten, die herrschenden Ansichten über die Auflösung der Carolingischen Verfassung und die damit verbundene Entstehung der Abhängigkeit des Bauernstandes näher zu bestimmen und zu berichtigen. Die folgenden Bemerkungen über den allgemeinen Gang jenes Kriegs in Bezug auf Westphalen, über seinen Einfluß auf die freien Landeigenthümer, über die Schicksale einiger Comitate können und sollen den Gegenstand keineswegs erschöpfen. Hoffentlich werden sie indeß einen nicht ganz unnützen Beitrag zur Geschichte jenes Kriegs geben. -- Heinrich IV. hatte den Plan gefaßt, Sachsen sich unmittelbar zu unterwerfen, und dadurch, so wie durch sein leidenschaftliches Verfahren in einzelnen Dingen den Haß der Sächsischen Fürsten auf sich geladen. Das Volk fühlte sich gedrückt durch seinen beständigen Aufenthalt und seine Burgen, die vom Lande erhalten werden sollten. Alles dieses traf am meisten Niedersachsen, zumal die Gegend des Harzes. Hier waren Erzbischof Wezel von Magdeburg, Bischof Bucco von Halberstadt, hier Otto von Nordheim, wenn gleich auch in Westphalen begütert, am gewaltigsten; hier die Markgrafen Dedi, Udo und später Ekbert. -- Als 1070 der Krieg von Heinrich zur Unterdrückung Otto's und des Markgrafen Dedi begonnen wurde *), traf der erste Stoß auch die Westphälischen Güter, besonders den Desenberg **). Als sehr bald der neue Herzog von Baiern, Welf, die Tochter Otto's, Ethelind, verstieß, wurde diese einem Westphälischen Grafen Hermann von Calvelage vermählt; eine andere, Hedwig, war Gemahlinn Conrads von Arnsberg ***). -- Nach einigen Jahren, 1073, zwang der Aufstand der Sachsen den Kaiser, von Goslar zu weichen, und bei dem folgenden Feldzuge standen drei Westphälische Bischöfe auf Seiten der Sachsen, Eilbrecht von Minden, Immad von Paderborn und Friedrich
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*) Wegen Dedi s. Chronogr. Saxo. ad. 1070. -- Daher der Zorn seiner Gemahlinn Adela. Lamb. Schafnab. ap. Pistor. p. 356. --
**) Lamb. Schafn. p. 342. Castello quod Tesenberg nominatur exercitum jam admoverat. etc.
***) Vgl. Lamei, Gesch. der Gr. von Ravensberg. §. 3. Annal. Saxo ad 1111. 1


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von Münster. Benno von Osnabrück, des Kaisers unzertrennlicher Gefährte, mußte sein Stift meiden *). --

Das Volk, welches in diesem ersten Feldzuge so sehr zuströmte, daß im Februar 1074. große Haufen zurückgewiesen wurden, weil sie sich nicht mit Proviant versorgt, mochte allerdings meist aus dem südlichen Niedersachsen kommen, wo die Besatzungen der Castelle erst gegen die freien Landbauer, dann gegen die Ritterlichen so schändlichen Muthwillen geübt **); aber auch in Westphalen war dasselbe von ähnlichem Geiste ergriffen. Das zeigt Benno's Flucht und ähnliches. -- Die allgemein verbreiteten Reden des Kaisers, die ihm zugeschriebene Absicht, ganz Sachsen zinsbar zu machen, mußte die Wuth des Volks erregen; wiewohl hier, so wie in Niedersachsen , vom Adel erst die feindselige Stimmung ausging ***).

Allein wie die Uebel geringer gewesen, so ward es auch dem Kaiser leichter, hier die Gemüther zu besänftigen. Seine Unterhandlungen im Jahre 1074 waren hier besonders glücklich und in der Schlacht an der Unstrut, wo das Niedersächsische Volk noch mit aller Anstrengung kämpfte, waren keine Westphalen mehr bei dem Heere. Immad von Paderborn hatte am längsten auf Sächsischer Seite
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*) Lamb. Schafnab, p. 356., nach welchem die Anhänger des Kaisers de finibus Saxoniae effugati waren. Die Vita Bennonis von Norbert. (Eccard corpus histor. II.) spricht von der ersten Flucht Benno's dunkel; doch weiset c. 20. deutlich darauf hin. Vgl. Möser, Osn. Gesch. II. p. 34. sq. |
**) Vgl. über die Volksmenge Lamb. Schafn. p. 368.; auch andere Stellen zeigen die Theilnahme aller Stände deutlich. Die Mißhandlungen von den Burgen bestanden vorzüglich in Zinsen (tributa camporum et syIvarum. Lamb. p. 355.) und Diensten (Vgl. Bruno de bello Saxonico). -- So kam es ab agricolis ad militares, a terrae fructibus ad libertatem adimendam.
***) Diese Reden sind berüchtigt; vgl. Lamb. Schafn. p. 355.; über die Stimmung Westphalens insbesondere vita Bennonis c. 19., nach welchem die Ruhe nicht nur die Mächtigen seditionibus dissidere persuasit; sed vulgus ignobile et rusticam conditionem armavit, et novarum rerum suo more fecit cupidum.


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gestanden *). Doch scheint Westphalen für innerlich beruhigt keineswegs gehalten werden zu dürfen. Dies zeigt die Theilnahme Immads, die Entfernung Bennos, und die Verwandtschaften Ottos von Nordheim. --

Ueberhaupt ergriff das Volk nach seiner Art diese Sachen am eifrigsten. Die Edeln handelten nach ihrem Vortheil. So waren vor der Schlacht an der Unstrut selbst die abgefallen, um derentwillen der Krieg hauptsächlich begonnen worden; die andern waren erschreckt, lässig; in der Schlacht wußten sie sich zu retten, und ergaben sich nachher wider den Willen des Volkes, welches beinahe gegen diese seine Häupter selbst die Waffen gewendet hätte **). -- Selbst da Heinrich alle Edeln gefangen hielt, litten diese minder, als das gemißhandelte, aufs Aeußerste gebrachte Volk. -- Otto wußte sich dem Kaiser ganz unentbehrlich zu machen, die andern halfen sich schnell los, und behielten ihre Güter. -- Das Volk wollte in Verzweiflung bereits sich allen 'Lasten unterwerfen , als der Krieg wieder begann ***). --

Dieser neue Ausbruch des Kampfes bewegte auch in Westphalen das Volk sehr heftig. Benno mußte zum zweitenmale flüchten , erschreckt durch die Untreue der Seinigen, und selbst von den Freunden täglich mit Gefängniß und Tod bedroht †). -- Aber wie nach des Königs Rudolf von Schwaben Tode das Ostsächsische Volk sich mehr zu beruhigen scheint : so war auch in Westphalen die Gesinnung durchaus geändert, als Benno 1080. wieder in sein Stift zurückkehrte,
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*) Bruno ad h. a. Im Stifte Osnabrück konnte 1074 der Kaiser einen Grafen einsetzen. Möser II. Urk. 28. in comitatu Walderici Comitis, vice Athalgeri filii Wichingi regia potestate positi. --
**) Vgl. hier vor allem Bruno; über das Mißtrauen des Volks gegen die principes, Lamb. Schafnab. pag. 391. 392.
***) Der Kaiser klagte, daß er keine Güter durch den Krieg gewonnen; um seine Freunde zu belohnen. Also behielten die Sachsen das Ihrige. Ein Hauptgrund des neuen Kriegs war sein Benehmen gegen Ekbert. Bruno, ad 1075 --76. Lamb. Schafn. 402 - 406.
†) Vita Bennonis c. 20. --


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und vom Volke barfuß und mit vielen Thränen empfängen wurde *). -- Otto von Nordheim betrieb die Wahl Hermanns von Luxemburg nur zweideutig, und starb bald auch der ältere Markgraf Udo starb **). -- In Sachsen stieg Ekberts Ansehen; aber es fehlte an jenem gemeinsamen festen Willen. Da der Kaiser nicht mehr drückte und drohte, begann man die Waffen nach innen zu kehren. Udo von Hildesheim und Ekbert zogen gegen Osnabrück, wo das Volk dem Bischofe eifrig anhing; und diesem gelang es, beide zu gewinnen. -- Die apostolische Parthei in Westphalen möchte schwach seyn, da die Niedersachsen zu Bennos Unterdrückung herüberkamen. Ekbert verließ des Kaisers Parthei bald wieder ***); die gemeine Meinung aber kühlte sich immer mehr ab, und seit der Zusammenkunft zu Pertestatt, wo die Sachsen den Bischof Udo mit seinem Bruder Conrad vertrieben, den Grafen Dietrich aber erschlugen, weil sie gestanden, mit dem Kaiser unterhandelt zu haben, änderten sich die Sachsen so sehr †), daß beinahe nur Ekbert noch den Krieg fortsetzte; so daß weder Heinrich noch Hermann zu vollständigem Siege gelangte; er selbst aber die Hoffnung nährte, die Krone für sich zu gewinnen ††). Nachdem er des Bukko von Haverstadt Tod bewirkt, Udo von Hildesheim gefangen hatte, Heinrichs Anhang fortwährend gewachsen, und endlich Hermann von der Krone freiwillig zurückgetreten war, wurde er meuchelmörderisch erschlagen und so gelang es dem Kaiser, ganz Sachsen sich wieder zu unterwerfen, und allen Stiftern Bischöfe seiner Parthei zu geben †††). --
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*) Vita Bennonis c. 23. Sehr bezeichnend ist ein Schreiben, womit der Kaiser wahrscheinlich die Zehntentscheidung von 1079., die Benno mitbrachte, begleitete. Copiar. Cath. Capituli, saec. XV. D. fol. 64.
**) Bruno, ad a. 1081. Ann. Saxo ad eundem ann.
***) Vgl. Vita Bennonis, c. 25.
†) Val. Chronogr. Saxo ad. 1085.
††) Chronogr. Saxo. Ad 1035. Cont. Herm. Contracti ap. Urstis. Ad 1087. 1088. Annal. Saxo. Ad 1088. 1089. Dodechin.
†††) Ann. Saxo. ad 1085. -- Nach Cont. Sigeb. Gemblac. ap. Pistor. ad 1092. beruhigten die Sachsen sich unter sich in diesem Jahre. -- Nach der Cont. Herm Contr. starb 1093 Werner v. Merseburg, der letzte apostolische Bischof.


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An dem Gange des Kriegs, dem Eifer, der Größe und Unregelmäßigkeit der Schlachten, in denen mehrmals das siegende Heer geschlagen zu seyn meinte, erkennt man deutlich, daß bis 1080. das Volk lebendigen Antheil am Kriege nahm. Die Schwäche, mit der er später geführt wurde, die Spaltungen, der innere Kampf nach dieser Zeit aber lassen eben so deutlich erkennen, daß später nicht eine allgemeine Gesinnung des Volks, sondern Partheiwesen und Factionsgeist einzelner Häupter Ursache des Kriegs gewesen sey. Mächtige Herren , wie Ekbert, gewannen überwiegenden Einfluß, und von diesen mochte, was im Volke noch von Eifer und Haß geblieben war , zu eigenem Gewinn genutzt werden. Denn im Allgemeinen war das Volk der Sächsischen oder apostolischen Sache geneigt, und eben diese Gesinnung ihres eigenen Heers hatte 1081. den Freunden des Kaisers unmöglich gemacht, im Captianischen Walde die Sachsen zu beugen *).

In Westphalen mochte etwa nach 1084. ein Zustand leidlicher Ruhe eingetreten seyn. Die Bischöfe Poppo von Paderborn und Friedrich von Münster waren in diesem Jahre gestorben, und an des erstern Stelle zwar von jeder Parthei gewählt; jedoch erhielt Heinrich von Werl, des Kaisers Anhänger, die Oberhand; in Münster war Erpo, wo nicht ebenfalls dem Kaiser gewogen, doch mindestens partheilos **). -- Einzelne Händel fehlten nicht, ohne daß es jedoch bekannt wäre, ob diese Partheiung sie herbegeführt. In Osnabrück gelangte nach Benno's Tode 1088. der Abbt Markward von Corvey zum Bisthum, ein Anhänger der apostolischen Parthei. -- Nach vier Jahren setzte der Kaiser, der damals zum ruhigen Besitze gelangt war, den Domprobst Wido an seine Stelle ***). -- Es mußte damals diese Parthei sehr befestigt seyn, da Erpo von Münster den Kreuzzug, die Grafen Conrad und Hermann von Werl,
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*) Bruno, ad 1081. -- Wo mag diese Silva Captiana ultra Wiseram pertinens ad urbem Capua in unserm Westphalen gelegen seyn? --
**) Vergl. Schaten ad Ann. 1084. 1085. 1090; daß Erpo beim Kaiser viel galt, ergiebt auch Ann. Saxo ad 1092.
***) Vergl. Möser II, p. 46 sqq.


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Verwandte des schismatischen Bischofs von Paderborn, den Zug gegen Friesland unternahmen, auf welchem sie mit vielen edeln Westphalen von den Moormern erschlagen wurden *).

Erst mit dem Anfang des zwölften Jahrhunderts erneuern sich die Bewegungen. 1102 wurde Markward auch von Corvey, wo er seit zehn Jahren als Abbt wieder gelebt, vertrieben. Das Stift Cöln aber lag im Kriege mit dem Grafen Friedrich von Arnsberg, dessen Burg der Erzbischof Friedrich eroberte. Jener war bis 1120 des Kaisers Feind, dieser sein Anhänger. -- Im östlichen Sachsen begannen Kämpfe mit dem jüngern Markgrafen Udo, die sich bald dem Kaiser feindselig erwiesen **). 1105 erhob sich sein eigener Sohn Heinrich wider ihn, und die Sachsen schlossen sich eifrig an. Nachdem die schismatischen Bischöfe mit der Kirche versöhnt worden, zog das Sachsenheer auf Mainz, Würzburg und Nürnberg †); den Krieg für den Kaiser führten nur noch die überrheinischen Herren und die Städte. -- Nach Neuern soll von den Westphalen Burcard von Münster ihm angehangen haben; wahrscheinlicher aber stand auch dieser auf der Seite der Sachsen, und hielt es erst später wider dieselben mit Heinrich V. ††).

Fast gleichzeitig mit Heinrich IV. starb auch der Herzog Magnus von Sachsen, und das Herzogthum erhielt von Heinrich V. der Graf Lothar von Supplinburg, der von den Nordheimischen und Braunschweigschen Gütern durch seine Gemahlinn das meiste vereinigte, und durch dieselbe nahe verwandt mit Friedrich von Arnsberg und Hermann
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*) Annal. Saxo ad 1092. Sigeb. Gemblac. Chron. Hildes. apud Leibniz. ad h. a.
**) Die Gefangennehmung des Grafen Hermann und des Domprobsts Hartwig von Magdeburg, worüber der Kaiser zürnte, scheint hieher zu gehören. Chron. Hildesh. ad ann. 1106. Ann. Saxo ad 1104.
†) Vgl. Chron. reg. Pantaleonis ad 1105. Annal. Saxo ad eundem ann.
††) 1106 hatten ihn die Cölner bei Nuys gefangen, Chron. Pantal.; und im folgenden Jahre wurde er zugleich mit den Insignien an Heinrich V. ausgeliefert. Chron. Hildes. apud Leipniz. Scr. Brunsv.


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von Calvelage dem jüngern *). -- Als nun dieser durch Streitigkeiten im östlichen Sachsen, des neuen Kaisers Gewaltthätigkeit gegen den Pfalzgrafen Sifrit und die Söhne Ludwigs von Thüringen, in neuen Streit mit demselben verfiel, und als Haupt der Sachsen gegen den Kaiser auftrat **), gerieth Westphalen bei weitem mehr als vorhin in den Krieg.

Aber wenn 1073 hauptsächlich der Druck auf das Volk den Krieg erzeugt, und dieser alle einzelnen Beleidigungen der Edlen verschlungen hatte: so waren jetzt die offene Ursache , Händel des Kaisers mit dem Pfalzgrafen Sifrit, Wiebert (v. Groitsch) , dem Grafen von Thüringen; Lothars und des Markgrafen Rudolf mit Graf Heinrich von Staden, die Erbschaft Ulrichs von Weimar und ähnliches †) Also ist es begreiflich, daß bei so vielen persönlichen Interessen und so geringen gemeinsamen die Großen und ihre Verbindungen den Krieg allein leiten, das Volk aber vergessen bleibt.

Im Frühjahre 1113 begann der Krieg in der Nähe von Halberstadt so günstig für den Kaiser, daß im folgenden Jahre auf der Versammlung zu Mainz selbst Lothar tief gedemüthigt sich unterwarf ††). -- Aber eben diese Versammlung stärkte den Muth und die Einigkeit der apostolischen Parthei. -- Da der Kaiser die Friesen angreifen wollte, mußte er die Waffen gegen das jetzt mit den Westphalen gegen ihn verschworene Cöln wenden, wo er nichts gewann; wohl aber die Grafen Friedrich von Arnsberg und Heinrich von Rietbeke Vortheile über ihn erkämpften. --

Zur Rache überzog er im Herbst Friedrichs Land mit Verheerung, baute eine Burg in demselben, und zog dann über
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*) Lothars Gemahlinn war Tochter von Heinrich dem Fetten und der Gertrud, Ekberts Schwester und Erbinn.
**) v. Chron. Hildes. ad 1108. -- Annal. Saxo ad 1109 - 1110. Contin. Lamberti et Chron. Pantal. ad 1112, Chronogr. S. ad ann. 1113.
†) S. obige Note und Chronogr. et Annal. S. ad a. 1113.
††) Chron. Pant. ad 1112-1113. Chronogr. Saxo ad 1113. 1114. Chron. Hildes. Ad 1112. 1113. Annal. Sax. ad 1113. 1114. Ueber die Unterwerfung und Verschwörung Otto Frising. historia etc. Dodechin at 1114.


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die Weser nach Goslar *). -- Von hier aus eröffnete er den Feldzug 1115 mit Eroberung von Braunschweig und Halberstadt; die Sachsen aber zogen außer Heinrich von Limburg auch die Westphalen, Friedrich von Arnsberg, Heinrich von Rietbeke und Hermann von Calvelage an sich und gewannen, wenn gleich mit schwächerer Zahl , den Sieg am Welfesholze, den entscheidendsten in allen diesen Kriegen **).

Während nach dieser Niederlage der Kaiser umsonst zu Mainz sich zu stärken suchte, reinigte der Bischof von Halberstadt und Pfalzgraf Friedrich von Sommerschenburg das - östliche Sachsen, der Erzbischof von Cöln die Rheingegenden. Lothar aber zog mit den gedachten westlichen Heeren nach Westphalen, gewann hier Dortmund, Münster, dessen Bischof Burcard noch an Heinrich V. hielt, zog. dann zurück auf Corvey und zerstörte die Burgen Falkenstein und Walthusen, von denen Räuberei getrieben war, zur Strafe des Grafen Hermann †). -- Im folgenden Jahre wohnte er zu Cöln der Versammlung der Bischöfe bei, die den Kaiser zu excommuniciren dachten, zerstörte die feste Burg Bentheim, und zog auf Worms. Als nach der Zusammenkunft zu Frankfurt die übrigen Sachsen zurückgingen, blieb er wieder mit den Bischöfen von Mainz, Cöln, Utrecht, Paderborn und dem Grafen Hermann am Rheine ††). Er mochte sich hier sicherer fühlen als in Sachsen, wo viele ihn noch als ihres Gleichen gekannt, über denen er jetzt als Herzog stand. Auch entstanden schon 1117 Mißhelligkeiten; Pfalzgraf Friedrich schloß sich an den Kaiser, und mußte 1118 zu
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*) Besonders Chron. Pantal. und Ann. Saxo.
**) Vgl. Annal. Saxo. Chron. Hildes. ad 1115. Daß die Westphalen hier von Bedeutung gewesen, sieht man aus ihrer namentlichen Aufzählung, und dem Gange des Kriegs. Erst dringt der Kaiser vor, jene weichen und lassen die Städte nehmen; dann kommen die Westphalen, und nun wagen sie die Schlacht.
†) Annal. Saxo ad 1115. Wer war der Graf Hermann? -- Der von Calbelage war zu treuer Freund des Kaisers (ich glaube ihn in den folgenden Jahren zu Cöln und bei Oppenheim zu finden), um so etwas ad injuriam, wie der Chronist sagt, zu verdienen.
††) Ann. Saxo ad 1116. Chron. Hildes. ad eund.



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Cufese belagert werden; indeß der Erzbischof von Mainz und Graf Hermann Oppenheim nahmen *). Die Kaiserliche Macht in Norddeutschland war so gut als vernichtet, aber überall ein ordnungsloser Zustand. Desto nothwendiger war, daß Lothar die Herzogsrechte kräftig übte; deshalb zerfiel er mit seinen Freunden **).

Also führte 1120 Friedrich von Arnsberg, einer der Gewaltthätigsten, den Kaiser erst nach Westphalen; dann nach Goslar, wo die weltlichen Herren sich mit ihm halb versöhnten; nicht aber die Bischöfe. -- Die Ruhe wurde vieler Zusammenkünfte ungeachtet nicht hergestellt ***). -- Schon im folgenden Jahre geschah es wider des Kaisers Willen, daß Lothar und Graf Hermann von Winzenburg den vertriebenen Bischof von Münster mit Gewalt wieder einsetzten, Dülmen nahmen und viele Gefangene auf den Desenberg oder mit sich nach Sachsen führten †). -- Friedrich von Arnsberg befehdete indeß Paderborn und den gewählten Bischof von Osnabrück ohne Erfolg, aber zu großem Verderben. Der Kaiser lag vor Mainz ††). Selbst nach dem Frieden mit dem Pabste brach 1123 der Krieg zwischen ihm und Lothar offen aus, da dieser nebst Theoderich von Münster seiner Schwester Gertrud von Holland und dem Bischof von Utrecht zu Hülfe zog †††). In dem selben Jahre zwang Friedrich von Arnsberg das Landvolk, ihm die Wevelsburg zu erbauen; aber da er 1124 plötzlich starb, fiel dieses auf dieselbe und zerstörte, durch den Druck erzürnt, sie im Augenblick. Rietbeke, Sitz seiner Raubgesellen,
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*) Annal. Saxo ad. 1117. 1118.
**) Ueber jene Ordnungslosigkeit klagt der Annal. Saxo mehrmals. Ausübung der Herzogsrechte finde ich z. B. in der Zerstörung von Falkenstein und Walthusen propter Latrocinia; und später in der Niederlegung von Rietbeke.
***) Annal. Saxo ad 1120. Chron. Hildes. -- Daß Friedrich abfiel, mochte mit der freilich erst später vollzogenen Erbauung von Cappenberg zusammenhängen.
†) Vgl. Chron. Corb. bei Wedekind, Noten Heft IV. Chron. Hildes. Annal. Saxo ad h. a.
††) Gobelin. Persona aet. VI. c. 58. Erdmann Chron. Osn. in vita Thetmari.
†††) Chronogr. Saxo et Annal. Saxo ad h. a.


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ließ Lothar schleifen *), dem als Herzog die Erhaltung der Ruhe oblag, und der nicht ungern den abgefallenen Bundesgenossen züchtigen mochte. Im folgenden Jahre endigte Lothars Wahl zum Römischeu König den Sächsischen Krieg.

Ein Krieg, der solchergestalt erregt durch allgemeine Bedrängniß des ganzen Volks am Ende nur noch Sache weniger Großen zu seyn scheint, von denen das Volk nicht minder als Anfangs vom Feinde bedrängt wird, zeigt schon in seiner Geschichte den gewaltigsten Wechsel der innern Verhältnisse des Staats. Leider hindert Mangel der Quellen an völliger Aufklärung; aber manches ist dennoch zu erkennen, wenn die Zustände der Folgezeit als Wirkungen jenes Kriegs angesehen werden dürfen, und wenn man erwägt, daß die Folgen großer Ereignisse nie in wenigen Jahren sich erschöpfen. Hier sollen keineswegs diese Folgen vollständig vorgelegt werden; nur Bemerkungen über den veränderten Zustand der Freien und über das Emporkommen einiger großen Geschlechter durch Vereinigung alter Grafschaften mögen andeuten, was in dieser Zeit für Westphalen zu finden ist.

Es war unverkennbar in ganz Sachsen, so wie in Westphalen, zu jener Zeit eine sehr große Menge freier Eigenthümer neben Hörigen und knechtischen Leuten, und diese Freien standen nur den wirklich Edeln nach, wenn gleich unbezweifelt sie selbst zu den Bauergemeinden gehörten, und als Birgelden in den Gerichten erschienen **). Dienstleute zeigen sich nur selten, und in sehr untergeordneter Bedeutung, meist als Verwalter des Guts ihrer Herren und näher an Stande den Hörigen als den Freien ***). Aber

*) Annal. Saxo ad 1124.
**) Vgl. Möser, Osn. Gesch. II. Urk. 28. 35. 39. 44. 45. 50. -- Schaten ad ann. 1001. Kindlinger, Münst. Beitr. II. 11. 12. 15. -- Die Birgelden erwähnt Möser 39. 44. und eine ungedruckte Urkunde von 1095. S. unt. S. 135. Anm.*.
***) Vgl. Möser 39. Schaten ad 1036. =- Mit der curtis in Risenbeke (unvollständig gedruckt bei Möser II. 27.) wurde Hermannus serviens una cum uxore et filiis nec non aliis novem rusticane conditionis übergeben. Die Kämmerlinge zu Liesborn mochten sich mit Dienstleuten verheirathen. Kindl. G. d. Hör. Urk. 12.; und selbst im 14ten Jahrh. standen die Teklenburgischen Dienstleute im Recht den Kämmerlingen sehr nahe. Tecklenb. Dienstrecht §. 19. Kindlinger, Münst. Beitr. II. 11.


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mit dem Beginn des zwölften Jahrhunderts pflegen die Urkunden unter dem Namen der Freien (liberi) nicht mehr jene Eigenthümer, sondern nur noch wirklich Edle aufzuführen, nach ihnen die Dienstleute; die gemeinen Freien verschwinden ganz, oder man verbirgt sie unter dem Namen der Schöffen *), bis endlich nach der Mitte des Jahrhunderts sie entschieden wieder nach den Ministerialen, als eine geringe Classe zum Vorschein kommen **). Eine solche Veränderung im Range ist nicht zu denken, ohne eine wirkliche Veränderung des bürgerlichen Verhältnisses, durch welche die Dienstleute zu mehrerem Gewicht gelangten, die Freien aber an öffentlicher Bedeutung verloren. Daß eine solche Veränderung aber durch jenen Krieg herbeigeführt worden, ist höchst wahrscheinlich.

Heinrich IV. begann seine Eingriffe mit dem Erbauen von Burgen. Zu diesen zwang er die Gemeinen zu dienen, zu ihrem oder der Besatzungen Unterhalt zu zinsen. Daß dies im Uebermaße geschah, mit roher Gewalt.und zu verhaßten Zwecken, war eigentlich, was das Volk aufbrachte †). Aehnliche Dienstleistungen waren wohl zu gemeinsamen Zwecken überall hergebracht ††). Jetzt im Kriege war nichts nöthiger und dem Volke einleuchtender, als die Erbauung der Burgen und deren Besitz. Selbst Edle hatten bislang
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*) Wie bei Möser l. c. 56. -- Sonst zeigt jene Rangordnung sich bei Schaten ad 1130. Kindlinger M. B. II. 29. III. 11. 12. 15. 17. 24.
**) Möser 54. 68. 84. Kindlinger II. 32.
†) Interea hi qui in castellis erant, graviter nimis imminebant populo -- Omnia, quae in villis et agris erant, indies -- diripiebant, tributa et vectigalia silvarum et camporum importabilia exigebant, et sub praetextu decimarum totos simul greges abigebant: ipsos provinciales et plerosque honesto loco natos, et re familiari florentissimos vilium mancipiorum ritu servire sibi cogebant. -- Lamb. Schafn. l. c. p. 355. Wer erkennt hier nicht die Amtsgefälle und Dienste, nur übertrieben.
††) Also hatte Benno auch mit Härte den Wegbau durch das Weiße Feld erzwungen. Vita Bennonis c. 10. 15.


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noch wohl auf bloßen Höfen gewohnt *). Wer jetzt eine Burg besaß, dem gab sie Gewicht, deshalb nannten die Grafen sich nach ihnen. Es ist sehr characteristisch, daß um diese Zeit besonders die Benennung der Geschlechter nach den Burgen beginnt; bisher war der Gerichtsplatz der Grund ihrer Macht gewesen, jetzt wurde es die Burg. Jener hatte dem Bezirke keine Last gebracht; diese zu erbauen und zu erhalten war kostbar; also wurde das Volk, dem sie erst zum Vortheil gereichen sollte, abhängiger dadurch. -- Für Westphalen liefert das aus den Jahren 1113, 1114, 1115, und besonders 1123 und 1124 Erzählte den Beweis dieser Entwickelung. Durch das Landvolk hatte Graf Friedrich von Arnsberg Wevelsburg erbauen lassen, durch dasselbe, weil es den Druck empfand, wurde es zerstört.

Je länger aber der Krieg währte , desto mehr zog das Volk sich von demselben zurück, überließ also Gefahr und Gewinn nur den Edeln. So geschah es, daß dasselbe wehrlos wurde; die Wehrlosigkeit aber führt zur Knechtschaft. Da die Freien nur dienten und zinseten, so mußten die Großen anderen die Waffen vertrauen, und diese earen in Westphalen vor allem die Dienstleute, denen von Alters her die Waffenpflicht oblag. -- Also stiegen diese rasch an Zahl und Bedeutung. Während in früherer Zeit nur die der größern Herren, denen die Kriegslast näher lag, auch Kriegsehre gehabt, die geringern den Lassen beinahe gleich gestanden, erstrebten jetzt alle gleiche Ehre. Vor dem Kriege waren nur des Bischofs zu Münster Dienstleute beehrt worden; unter Friedrich (1063 - 1084) erhielten die der Probstei gleiche Rechte. Erpo sah schon 1086 sich genöthigt, denen von Freckenhorst dieselbe Würde und Freiheit zu verleihen **). -- Es ist nothwendig, daß die Ehre im Staate der ersten und rühmlichsten Pfliht, der Vertheidigung, folge; also drängten die Freien, denen nur
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*) Singulari Episcopi Bennonis gaudio accidebat quod Wolchardus -- bona et curtem Helueren liberam multis privilegiis et venatione insignem, ab aliquo tempore in nobilium sedem erectam una cum diversis aliis bonis offerret. Ibid. c. 17.
**) S. die höchst bedeutende Urkunde bei Kindlinger M. B. II. 11.


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die Last und Unehre des Kriegs zufiel, sich zu den Dienstleuten, die Ehre und Vortheil genossen. -- Je höher Gefahr und Druck stiegen, desto lieber schloß der freie Mann auf irgend eine Weise sich an den Mächtigen, zumal den Besitzer der Burgen, um Hülfe und Vertheidigung zu erlangen *): Wie kann es auffallen, daß der Stand der Freien an Ehre verlor, nachdem die Ehrliebenden, an Freiheit, nachdem die, welche solche zu beschützen den Muth hatten, von ihm geschieden waren? -- In diesen Verhältnissen liegt der Grund zur Vereinbarung der Freien, zur Vermehrung ihrer Abhängigkeit und zur Erhöhung der Dienstleute.

Denn es ist nicht zu verkennen, daß der alte freie Stand, der in Westphalen sich überall neben den Freistühlen vereinzelt oder in Gemeinden vereint hielt, in tiefe Abhängigkeit versunken sey, und wohl in tiefern als anderswo **). -- Denn während jene Dienstleute durch ihre persönliche Abhängigkeit echten Eigenthums unfähig waren, die Freien (Stuhlfreien) dagegen eben das echte Eigen der alten Zeit besaßen, bildeten die Verhältnisse sich also aus, daß jenes abhängige Eigenthum der Dienstleute zum wirklich Freien, Durchschlächtigen wurde, das der Freien aber so tief unter die Gewalt des Stuhlherrn versank, daß nicht nur seine Veräußerung ohne Einwilligung unmöglich, sondern sogar eine Entlassung, wie aus der Hörigkeit, erforderlich wurde, um ihm die Natur des wahrhaft, durchschlächtig
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*) S. daselbst 16. de 1114. Eine Urkunde , in der jeder Ausdruck von Bedeutung ist. Jene Freien, ein angesehener Stamm, parentela ingenua et a liberis parentibus geniti ergeben sich dem Kloster zu Arnsberg zu Dienst, serviendos, in der Absicht, daß sie Hülfe und Schutz, auxilium ac defensionem, vom erlauchten Grafen Friedrich dem Vorsteher, provisor, jener Burg (nicht Herrn) erhalten mögen. Nur ihm dienen sie und dem Capellan; und nur der Familienälteste zahlt einen Zins freiwillig, voluntarie, auf den Altar. Man kann kein sprechenderes Zeugniß fordern. Daß das Verhältniß hier vermischt erscheint, kann nicht stören, wenn man die Unbestimmtheit älterer Urkunden, z. B. der precaria Werinberti Möser II. 21. 22. erwägt.
**) So hat z. B. die Cometia liberorum im Nortwalde unweit Hannover viel größere Freiheit bis auf unsre Zeit erhalten.


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freien Guts zu geben *). Nicht minder häuften sich die Lasten des freien Guts und Dienste forderte man von ihm nicht gelinder als vom Hörigen **). Mag immerhin alles was uns ein oder wenige Jahrhunderte später vorliegt, nicht allein in diesem Kriege oder durch denselben hervorgebracht seyn; so viel bleibt immer gewiß, daß eben die Zeit, wo der freie Sachse hinter den Dienstmann zurücktrat, für den Fall des erstern eine entscheidende gewesen seyn müsse. Für die Geschichte aber scheint es ein hinreichender Gewinn, wenn es gelänge, den Veränderungen der alten Verfassung, welche seit Möser in ganz unbestimmter, manchmal wohl gar in vorhistorischer Zeit angenommen sind, hier, wenn auch nur zum Theil, einen sichern geschichtlichen Boden anzuweisen. Jede Hypothese bleibt ungewiß und im Einzelnen unrichtig; nur dadurch, daß man dem Wirklichen nachspürt, gewinnt sie Haltung, und ihr Hauptverdienst ist, der Forschung zum Hülfsmittel zu dienen.

Nicht minder bedeutend als für das Volk aber zeigen die Kriege jener Zeit sich für die Edeln, deren Schicksal
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*) Nos Hermannus de Cappelen liber Comes -- protestamur, quod -- presumentes, nos et liberos nostros in – pratis -- Monasterii de Monte S. Gertrudis -- jus habere predictum Conventum -- impetivimus et nos intromisimus -- Verum lectis -- privilegils -- -- -- cedimus omni impetitione -- super ipsis, quos contra. W. et B. -- et non erga liberos nostros emerunt. 1299. -- Ego G. -- dinggreue -- Bernhardi de Ravensberge -- protestor -- quod D. -- mansum suum liberum -- Dno B. comiti in Ravensberge -- resignavit. Quibus -- per sententias -- conclusis -- Dnus B. Comes in R. condicionem liberi mansi in verum proprium quod vulgariter in en dorslacht eghen dicitur liberis suis hominibus -- hoc collaudantibus et resignantibus transmutari fecit -- -- 1340. Daß die Freien Einwilligungsrechte haben, vermindert die Abhängigkeit wenig. Dergleichen hatten auch die Hofgemeinden.
**) Nach Kindlinger, Gesch. von Volmestein Urk. 75. p. 294. -- Ungleich vollständiger ist das Verzeichniß des Osnabr. Tafelguts bei den Freien auf dem Nortlande, die zu dem Gerichte zu Rüssel gehörten. -- Der Dienste geschieht in Urkunden selten Erwähnung; erst das 15te Jahrhundert pflegt Aufschluß zu geben; aber genügend, um für ältere Zeit Schlüsse zu ziehen.


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mit dem der Freien eng verbunden scheint, und die, wenn nicht im Stande, selbst Häupter einer Dienstmannschaft zu werden, eben so viel wie die Freien, durch das Aufkommen dieses neuen Standes litten. Doch hier soll nur noch das Schicksal einiger Grafschaftsbezirke und mit ihm das Aufkommen eines großen Hauses jener Zeit berührt werden. -- Auf Vollständigkeit wird kein Anspruch gemacht; gern überlasse ich Kundigern die Grafschaften des südlichen und westlichen Westphalens zu erläutern, und beschränke mich lediglich auf das, was von der Gegend um Osnabrück bekannt ist.

Wir finden hier in Urkunden von 1075 bis 1085 einen Grafen Adalger, Wikings Sohn, einen Grafen Wolderich, der 1074 aus königlicher Gewalt in dessen Grafschaft gesetzt worden; noch einen Wolderich vor 1088, und 1088 und 1092 einen Adalger; vielleicht dieselbigen mit den obigen. Dann einen Grafen Wezelo von 1086 bis etwa 1090; Amulong 1097, und zu derselben Zeit Folcmar. -- Ein Graf Lippold und Otto werden er erwähnt, ohne daß ihre Gerichtskreise sich nachweisen ließen *).

Von jenen besaß der erstere einen Gerichtsplatz zu Lathara, einen andern zu Barghusun, einen dritten zu Rotanbeki, und in seinem Comitat lag der Hof Triburi **). -- Dieser ist Drebber bei Diepholz; Rotanbeki finden wir in Rodenbeck am linken Hunteufer des Kirchspiels Barnstorf, und nicht fern im Kirchspiel Goldenstätte ein Lahre. Alle diese Orte gehören der spätern Herrschaft Vechte an, sowohl in Rücksicht des Gogerichts, als der Freigrafschaft ***). -- Dunkel dagegen bleibt, wo
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*) Von den erstern wird unten die Nachweise gegeben. Lippold, S. Möser II. 25, war in der Nähe von Goldenstätte mächtig. Vielleicht ist er derselbe, welcher bei Schaten I. p. 452. 455. vorkommt. Otto, nach einer ungedruckten Urkunde von 1095 zu Ostenfelde bei Iburg begütert, mag auf eine Weise Vorfahr derer von Tecklenburg seyn.
**) Vgl. Möser II. 25. (welche jedoch von 1080 und in der Rotenbeck für Notenbeck zu lesen ist) 27. (unvollständig) 28. 33.
***) Kindlinger, M. B. III. 177, Gesch. der Hörigkeit. Urk. 71. b.


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Barghusun zu suchen sey, da in jener ganzen Gegend kein Ort dieses Namens sich findet; und nur dann scheint diese Dunkelheit sich genügend aufzuklären, wenn wir den Grafen Adalger, welcher zwischen 1088 und 1092 noch einmal sich findet *), für einen und denselben mit jenem Wikings Sohne erklären. Berechtigt sind wir dazu, da auch die Urkunde über die Verhandlung zu Rotanbeck den Beisatz wegläßt. -- Dieser letztere Adalger hält sein Gericht zu Remesethe, Remsede im Osnabrückischen Kirchspiel Laer, des Amts Iburg; und ein Berghausen finden wir hier in der Nähe bei Borgholzhausen; beide Orte aber gehören zu der späterhin Ravensbergischen Freigrafschaft zu Bergfeld **).

Dunkler ist der Walderich, welcher mit dem Gerichtsplatz Rubenbike genannt wird ***). -- Hier bietet sich kein anderer Ort, als die Bauerschaft Rumbke, älter Numbeck, im Kirchspiel Schwagsdorf, des Osnabrückischen Amts Fürstenau †). Allein die Fragen: ob dieser Walderich derselbe mit dem erwähnten? ob Rubenbike in Adalgers oder einem andern Comitate belegen sey? werden unbeantwortet bleiben müssen; wenn auch unbedingt zu verneinen seyn möchte, daß derselbe zu demjenigen Comitat gehört habe, in welchem Drebber lag. -- Außerdem gehört späterhin Rumbeck zu der Freigrafschaft, welche auf eine höchst eigenthümliche Weise dem Tafelgute von Osnabrück einverleibt war, und von dem Oberhofe des Nordlandes, Rüssel, verwaltet wurde ††). Hier muß dieser Punkt ganz bei Seite gelegt werden.
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*) Möser II. 41.
**) Worüber einige Nachrichten in der Gesch. der Stadt Osnabrück Th. II. p. 8 sq. -- Zu Borgholzhausen selbst war ein Freistuhl.
***) Ungedruckte Urkunde über Versmond im Kloster - Archiv zu Iburg.
†) Eine Rubbenmühle liegt übrigens noch südlich von Rede, am Fuße der Berge.

††) Vermuthlich der schon im 9ten Jahrhunderte erworbene Comitatus Allonis, Möser I. 10. Ueber dieses merkwürdige Freigericht vgl. Sandhoff hist. Antist. Osn. Dioc. 84. 117. -- Das Verzeichniß der Freiengüter ergiebt den Bezirk. S. Anl.


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Einfacher ist die Bestimmung der Grafschaft des Wezelo, in der wir als Gerichtsplätze zweimal Voccastorp, die Bauerschaft Voxtrup im Stadtkirchspiel St. Johann, Slippedorp und Eppinslot finden *). -- Von den letztern ist jenes unbedenklich die Bauerschaft Schlepptrup im Kirchspiel Engter des Amts Vörden, da kein anderer Ort ähnlichen Namens sich findet, und an die beiden Güter Schleppenburg bei Glane und bei Alfhausen wohl nicht gedacht werden darf. Eppinslot ist zweifelhaft; nirgend findet sich ein Namen ähnlicher Endung. Den Anfang kann man auf Eppendorf bei Borgloh deuten, indem auch hier eine Deutung auf das Gut Ippenburg bedenklich scheint. -- Voxtrup und Borgloh aber liegen beide in der Müddendorfer Freigrafschaft.

Wezelo war übrigens Iburgischer Klostervogt, und in diesem Amte war schon 1095 Gerhard ihm gefolgt **). -- Die Grafschaft scheint dieser nicht erhalten zu haben; vielmehr ist es wahrscheinlich, daß diese dem Amulong , der 1096 und 1097 erscheint, zu Theil geworden. -- Ich wenigstens weiß den Gerichtsplatz Astrepe †) nur in diesem Bezirke entweder im Kirchspiel Bellen oder Schledehausen zu finden; ein andres Astrup bei Vörden müßte zu einem ganz neuen Bezirke gerechnet werden. -- Aber auch bei jener Annahme muß der zweimal vorkommende Gerichtsplatz Skirlo ††) zu einem andern Comitat gezählt werden. Es wird jener Ort mit Sicherheit in der Bauerschaft Schierloh Kirchspiels Glandorf, wo bis zur neuesten Zeit ein Richtplatz des Iburger Gogerichts war, anzunehmen

*) Möser II. 35. 36. (l. Eppinslot) 39. 41. (Voccastorp). Auch Schledehausen lag in diesem Bezirk.
**) Möser II. 41.
†) Ibid. 45. (l. Astrepe); ich will indeß nicht unbemerkt lassen, daß nro. 39. ein Asthorpa hat, mithin Astrepe vielleicht nicht auf Astrup gedeutet werden darf; wenn anders richtig gelesen ist. -- Das Original ist verloren. Noch ein Astrup liegt im Vechtischen Kirchspiel Langförden, welches dann auf Adalgers nördliche Grafschaft hinwiese, und zu der Annahme bewegen würde, daß Schierloh mit zu der Grafschaft gehört habe, worin Remseda und Berghausen liegt; die spätere Zeit begünstigt dies.
††) Möser Il. 46, Kindlinger, M. B. II. 12.


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sein. Auch hier gehörte späterhin das Freigericht an Ravensberg; wenn aber die Grafschaft Adalgers das Kirchspiel Laer nebst den später mit diesem verbundenen Glane, Hilter und Dissen befaßte: so kann dieser Schierloher Gerichtskreis mit demjenigen, worin Voxtrup lag, nicht verbunden gewesen sein.

Es bleibt nur noch die Grafschaft Folcmars übrig mit den Gerichtsstätten zu Holthusen und Sinecla *). Der erste dieser Orte ist schwer zu bestimmen. Borgholzhausen, wo sich später ein Freistuhl findet, lag in Adalgers Grafschaft; Holzhausen im Kirchspiel Line in der spätern Glandorfer, welche mit Amulongs Schierloher Grafschaft eins sein mag. Am bequemsten wird die Bauerschaft Holzhausen südwestlich von Osnabrück im Kirchspiel St. Johann anzunehmen sein; denn da Sinecla die Bauerschaft Senlich, alt Seniglo , bei Westercappeln zu seyn scheint: so stimmt diese Annahme mit den Gränzen der spätern Freigrafschaft derer von Cappeln sehr wohl überein.

Es waren also zu Ende des eilften Jahrhunderts die Grafschaften dergestalt vertheilt, daß ein beträchtlicher Strich östlich von Osnabrück von einem Gebirgszuge bis zum andern unter Wezelo stand, ein anderer westlich unter Folkmar, südlich von den Bergen aber schieden sich die Grafschaften Amulongs und Adalgers etwa, wo später die Gerichte jener Gegend gränzten, am Glaner Mühlenbache, wenn nicht beide für eins zu achten sind, so wie später die Freigerichte zu Glandorf und Bergfeld. Die Verhältnisse im nördlichen Theile des Stifts sind nicht bekannt oder nicht klar. -- Ueber den Bezirk der spätern Goldenstätter Freigrafschaft in der Herrschaft Vechte finden wir den Adalger. -- Daß alle diese nicht etwa Dinggrafen waren, scheint ihr edler Stand zu beweisen, dann die Urkunde, welche des Walderichs, als in Adalgers
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*) Möser II. 44. und eine ungedruckte Urkunde des Domarchivs 1097. Acta sunt ista Sinecla in prenominati Comitis placito -- -- Presentibus testibus ex nobilibus Folker, Gozwin, Adalber, Godescalc, Tildric. Hatherand. Thiemo ex liberis, Formund Waldmar et bergildi ad predictum placitum pertinentes.


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Stelle gesetzt, erwähnt; endlich wird selbst ihr Gerichtsbezirk dominium genannt *).

Was diese Urkunden zur Erläuterung des damaligen Verhältnisses der Frei- und Gogerichte ergeben, so wie die vollständige Vergleichung jener ältern Bezirke mit den neuern, möchte zu weit führen. -- Für die Geschichte des Kriegs, von welcher hier ausgegangen ist, bleibt der Umstand das Merkwürdigste: daß höchst wahrscheinlich alle diese Comitate schon früh im zwölften Jahrhunderte an das Ravensbergische Haus gelangten; eben dasselbige, von welchem es bekannt ist, daß bei naher Verwandtschaft seine Glieder dem Herzog, und später dem Könige Lothar unabwendbar treu blieben, so daß es keine unwahrscheinliche Vermuthung ist, jene Grafschaften seyen der Lohn dieser Dienste gewesen.

Wann die Herrschaft Vechte an Ravensberg gekommen, ist noch nicht hinlänglich bekannt; vielleicht möchte der Namen von Calvelage auf den gleichnamigen Ort nordwärts Vechte richtiger bezogen werden, als auf den Osnabrückischen Hof Kolflage, und dann dort der ursprüngliche Sitz des Hauses seyn. -- Wie dem auch sey, die Grafschaft Adalgers ist hier demselben erworben. -- Amulong lebte noch 1150 als Osnabrückischer Kirchenvogt, vielleicht auch noch im Besitz seiner Gerichte **).. Nach seinem unbeerbten Tode bemächtigte sich seiner Osnabrückischen Lehne zum Theil Heinrich der Löwe ***). Die Gerichte aber besaß 1183 der Graf Hermann von Ravensberg und nicht nur diese Amelungischen, sondern namentlich auch die des Wezelo und des Folkmar; wenn nämlich, wie es scheint, das Freigericht der Dinggrafen von Cappeln Ravensbergisches Lehn
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*) Vita Bennonis c. 17. Barckhusen in Dominio Adalgeri.
**) Möser II. 56. in placito Amulongi -- jure et lege Westfalensi – suscepimus. -- Daß hier nicht das Vogtding gemeint sei, zeigt die Anführung des Westphälischen Rechts und die Gegenwart der Schöffen, Scabiones.
***) Möser II. 81. -- zwischen 1150 und 1184. wird eines Vogts nicht erwähnt; vielleicht hatte Heinrich auch die Vogtei eingezogen, vgl. Möser II. p. 95.


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war *). Es ist hier nun in Rücksicht, der von Amelung besessenen Grafschaften die doppelte Annahme möglich, daß entweder nach seinem Tode oder nach Heinrichs des Löwen Falle die Grafen von Ravensberg in den Besitz jener Grafschaften gekommen sein. Bei den übrigen wird ein früherer Erwerb, oder ebenfalls Besitznahme nach des Löwen Falle anzunehmen seyen. Dazu kommt noch die Sage, daß das Freigericht zu Müddendorf durch den Fall derer von Holte an Ravensberg gekommen sei. -- Diese letztere Ansicht scheint ganz beseitigt werden zu können, da die Nachricht selbst durch nichts verbürgt und mit andern Dingen im Widerspruche ist **). -- Mehr Gewicht möchte die Ansicht haben, daß erst durch Heinrichs des Löwen Fall dem Ravensbergischen Hause diese Grafschaften zugewandt seyen. Allein abgesehen davon, daß von keiner dieser Grafschaften bekannt ist, daß Heinrich der Löwe sie besessen, daß vielmehr, wenn man auch bei den Amelungischen dies annehmen wollte, bei den Übrigen ein solcher unmittelbarer Besitz erst des Kaisers, dann des Herzogs sehr unwahrscheinlich ist: so finden wir bereits in früherer Zeit die Grafen
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*) Vgl. Nieserts Urkundenbuch II. 85. Möser II. 79. und eine ungedruckte Urk. über eine von Simon von Tecklenburg vorgenommene Tradition von 4 Höfen an das Kloster Oesede. in praefectura Hermanni C. de Ravensberg -- in campo ejusdem Osethe secus tiliam, que parva dicitur, in via publica sive regia. Diese führt unter den Zeugen auf: Hij liber- hermannus de Sannesbeke (K. Holte) Gerwich de mudi denthorpe (daselbst) et filius ejus, brunger de eodem et hazeko, Brun de gusen -- De thrup (Oesede) Werenbrecht Wernere et Gerbrecht. Brunart de holtseten (R. Bissendorf) De harn (Hardenberg Ksp. St. Johann) Helmwig, Walter et Marcwart. Helmwig de barghusun (Borgholzhausen) Eilbrecht de barlag (Wahlenhorst) Wiger de loeseten (Versmold) Rathardus de berseten (Bergsten in Hagen , Oesede oder Borgloh) Anno 1182.
**) Erdwin Erdmann ist einzige Quelle; die Namen Ekbert und Engelbert kommen in der Familie niemals vor, das Jahr, das er angiebt, (1144 ist die Burg gebrochen , und sieben Jahre hatte Philipp, der 1141 gewählt war, den Krieg geführt) ist falsch ; die Herren von Holte waren nach wie vor sehr begütert, und 1153 wohnte Wilhelm von Holte auf der Burg nach einer ungedruckten Urkunde.


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von Ravensberg in so großem Ansehen, daß wir notwendig ihnen auch ausgezeichnete Rechte beilegen müssen. Fast überall stehen die Grafen von Calvelage und später von Ravensberg an der Spitze der Grafen *), “selbst die von Arensberg und Tecklenburg weichen ihnen. Ja eine Urkunde von 1160 gibt ihnen sogar den Titel principes **) Ein solches Ansehen wäre unmöglich, wenn jener so sehr bedeutende Theil ihrer Macht erst nach des Löwen Falle erworben wäre. Nehmen wir die besondere Anhänglichkeit hinzu, mit der von diesem Hause die Sache Lothars vertheidigt wurde †): so scheint es keine zu kühne Annahme zu seyn, daß dasjelbe zum Lohn seiner Dienste schon während oder bald nach dem Kriege jene Grafschaften davon getragen habe.

Wie späterhin dieses Uebergewicht des Ravensbergischen Hauses abgenommen, wie erst nach dem Tode des Pfalzgrafen Otto von Rheineck, 1148, durch dessen Lehne, dann durch Heinrichs des Löwen Fall das Tecklenburgische Haus groß geworden; und wie seit 1205 die Macht von Ravensberg an eben dieses Haus verloren gegangen ††) davon soll die Rede nicht weiter seyn. -- Hier genügt es, wahrscheinlich gemacht zu haben, daß durch den Sächsischen Krieg namentlich in Westphalen der Stand der Freien gemindert, herabgedrückt und pflichtig geworden, der der Dienstleute rasch gehoben sey, der alte Adel aber durch Vereinigung der vielfach vertheilten Grafschaften in
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*) Vgl. Lamei, Gesch. von Ravensberg p. 9. sqq. Urk. 6. 8. Kindlinger. M. B. III. 9. 16. Niesert, Urkundensammlung II. 24. B. Möser, II. 58. 60. 61. -- Nach der Mitte des Jahrhunderts scheint diese Auszeichnung abzunehmen.
**) Möser II, 58. Principes Comes Otto et Comes Heinricus.-- Daß diese die Grafen von Ravensberg seyen, scheint nicht zu bezweifeln.
†) S. oben und die Klage Hermanns von Calvelage gegen den Grafen von Geldern. vgl. Lamei, p. 10. Ann. Saxo ad ann. 1129. col. 662.
††) Vgl. Jung. Hist. Benth. III. cap. II. Möser II. 56. 81. Niesert, Urk. Samml. II. 64. (besonders interessant wegen der deutlich ausgesprochenen Größe von Tecklenburg.) Dessen Urkundenbuch II. 85. 2. 86.


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eine Hand nicht nur an Zahl, sondern auch an Bedeutung verloren habe.


Verzeichniß der Freiengüter und ihrer Lasten, welche zum Osnabrückischen Haupthofe im Nordlande Rüssel gehörten, um 1240.


weiter: Aufstellung 5 Seiten Text. (S. 139-143)


Quelle:
Stüve, Bemerk. Über d. Sächs. Krieg (1070-1125) und seine Folgen für Westphalen
in Wigands Archiv Bd. 3 (1828) Heft 2 S. 117-143. Hrsg. Wigand, Paul. Verlagsort: Lemgo 1828 Verlag Meyer.
Das Archiv für Alterthumskunde Westphalens wurde durch das Münchener Digitalisierungszentrum eingescannt und ist online zugänglich.
Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10022111-5
Link: https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10022111.html?pageNo=129





Carl Dewitz 1886: Die Externsteine im Teuteburger Walde

Die Externsteine im Teutoburger Walde,

Eine archäologisch-kritische Untersuchung von C. Dewitz.

Hierzu 15 Tafeln Autographieen. Breslau 1886.

Im Commissionsverlag der Hinrichs'schen Hofbuchhandlung in Detmold.

 

 

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Die Literatur, welche berücksichtigt wird.

 

1. Clostermeier, Ch., Die Externsteine im Fürstenthum Lippe, 1824.

2. Massmann, H. F., Der Externstein in Westphalen, nebst getreuer Abbildung von E. v. Bandel. Weimar 1846.

3. Giefers, W. E., Die Externsteine im Fürstenthum Lippe-Detmold. Paderborn 1867 (2. Auflage).

4. Braun, J., Die Externsteine. Bonn 1858.

5. Schierenberg, G. A. B., Der Externstein zur Zeit des Heidenthums in Westphalen. Detmold 1879.

6. Thorbecke, H., Die Externsteine im Fürstenthum Lippe in Natur, Kunst, Geschichte, Sage und Literatur. Detmold 1882 (Daelbst ein genaues Verzeichniss der gesammten Literatur über die Externsteine).

 

 

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Dort, wo das Hermanns-Denkmal über die Höhen des Teutoburger Waldes blickt, sucht man die Stätte, wo einst die blutigen Würfel über Germaniens Geschick geworfen sind, jener Entscheidungschlacht, welche dem Vordringen der Römer auf deutschem Boden ein Ziel setzte. Nach Jahrhunderten. noch ein Mal war hier der Schauplatz gewaltigen Ringens, als die heidnischen Sachsen im Jahre 783 bei Detmold gegen Karl d. G. für ihre Götter fochten. Seitdem genoss die Gegend die Segnungen des Christenthums und der Kultur, und die Bedeutung, welche sie ferner noch im Laufe der Zeit erlangte, wurde ihr durch Werke des Friedens, durch die christlichen Kapellen und Bilder an den Externsteinen zu Theil. Wie sich in jenen Befreiungskämpfen zum ersten Mal deutsche Kraft und Muth -- es waren Kämpfe gegen das weltherrschende Rom -- offenbart, so in dem berühmten Skulpturwerke an den Externsteinen deutsche Tiefe des Empfindens, denn dieses Bild hat auf deutschem Boden nicht seines Gleichen in so früher Zeit. Darum wendet sich die Forschung immer von neuem diesen Gegenden zu, um das tiefe Dunkel, welches über den Kriegsthaten sowohl auch über den Arbeiten des Friedens lagern zu erhellen, um den Schleier, in den Deutschlands Jugendzeit gehüllt ist, zu lüften.

 

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den letzteren, den Arbeiten an den Externsteinen, jedoch können auch die ersteren nicht ganz unberücksichtigt bleiben, da die Ansicht

 

 

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ausgesprochen worden ist, die Felsgrotten seien von den Römern, von dem nahe gelegenen Aliso oder dem Sommerlager des Varus aus hergestellt. Da nun in neuester Zeit die Fachmänner unter Führung des historisch-wissenschaftlichen und militärisch-praktischen Generalstabes die Untersuchung über die Lage des Teutoburger Schlachtfeldes, der Feste Aliso und des Sommerlagers wieder aufgenommen haben, so wird es vielleicht dieselbe nicht ganz werthlos sein, wenn hier -- was bisher weder Vertheidiger noch Gegner vermocht -- die Frage, ob die Grotten römischen Ursprungs sind, endgiltig entschieden wird.

 

Die Schriften über die Externsteine, im 17. Jahrhundert beginnend, haben sich derartig vermehrt, dass wir heute eine ansehnliche Literatur besitzen (s. Thorbecke, Die Externsteine im Fürstenthum Lippe). In Folge zweier Arbeiten aus neuerer Zeit von Massmann und Professor Giefers erklärt zwar Professor Lübke die Untersuchungen über die Externsteine für „abgeschlossen“, doch lässt sich dieses Urtheil nicht aufrecht erhalten, es wird sich im Laufe der vorliegenden Untersuchung ergeben, dass eine Wiederaufnahme geboten war. In den bisherigen Schriften spielt der Text die Hauptrolle, den Abbildungen, welche meistens zu klein und durchweg ungenau sind, ist nur eine nebensächliche Rolle zugewiesen, in Folge dessen ist der Leser gezwungen, die Lokal-Beschreibung des Vorhandenen als absolut richtig, als feste Basis der folgenden Untersuchung anzunehmen. Eine Beschreibung wird aber nie ganz objectiv, sondern mehr oder weniger durch individuelle Eindrücke beeinflusst sein. Deshalb ist in vorliegender Arbeit auf absolut genaue Lokal-Zeichnung ein grösseres Gewicht als früher gelegt, ausserdem sind sämmtliche wichtigen Punkte in der bildlichen Darstellung berücksichtigt. Hierdurch ist die Objectivität der Untersuchungs-Basis gewahrt, und der Leser erhält nicht nur eine deutlichere Vorstellung von dem Material, sondern ist auch im Stande, jede Behauptung, jeden Schluss des Forschers zu controliren. Ferner wird der Vergleichung mit anderen Skulpturwerken eine grössere Beachtung, namentlich durch bildliche Vorführung

 

 

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derselben geschenkt, und schliesslich ist in der Untersuchung eine Trennung der baulichen Anlagen (Architektur), der Inschriften und Zeichen und der Skulpturwerke vorgenommen worden, wodurch eine bessere Uebersicht erzielt wird.

 

Genaue Beschreibungen der Gegend, sowohl in topographischer als historischer Beziehung finden sich in allen Monographien, zum Theil auch in kunstgeschichtlichen Werken, sodass eine Kenntniss derselben im Wesentlichen vorausgesetzt werden muss, und dürfte demnach eine kurze Uebersicht, soweit dieselbe für das Verständniss der Untersuchung erforderlich ist genügen. Im Fürstenthum Lippe, etwa 2 Stunden von Detmold entfernt, erheben sich aus dem Teutoburger Waldgebirge, plötzlich aufsteigend, die unter dem Namen der Externsteine allgemein bekannten Sandsteinfelsen.

 

An zweien, den westlich gelegenen Felsen jener Sandsteingruppe, befinden sich die vielbesprochenen Arbeiten ( Taf. I, Fig. 1, 2 und 3). Am Fuss des äussersten, nach Westen gelegenen Steines fliesst ein Bach, der jetzt zu einem Teiche aufgestaut wird. Das Vorterrain vor diesen Felsen fällt nach dem Bache zu mehrere Meter steil herab, unten dicht am Bache liegt das sogenannte Grab Christi. Ersteigt man diesen Absatz des Vorterrains, so erblickt man an der Nordseite des Felsens mehrere Oeffnungen (a, B, C, D und E), von denen zwei direct vom Erdboden in die aus dem Steine gemeisselten Grotten führen. Neben dem Eingange B befindet sich das grosse Relief, die Kreuzabnahme, und über dieser Oeffnung die vertieft gearbeitete Gestalt eines Vogels. Die Ostseite dieses Felsens enthält ebenfalls eine Eingangsöffnung A und in der Nähe der letzteren ein roh ausgeführtes Relief, die Gestalt eines Mannes. In der Grotte ist im Fussboden ein Becken ausgemeisselt und an der Nordwand findet sich eine vertieft gearbeitete Inschrift. Diese Arbeiten am unteren Theile des Felsens sind trotz der ungünstigen Umstände, welche obgewaltet haben, im Wesentlichen wohl erhalten. Diese Behauptung steht im Widerspruch mit den Ansichten aller früheren Forscher. Clostermeier und nach ihm Gieſers u. A. glaubten, dass durch die Befestigungsanlagen

 

 

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des Grafen zur Lippe, Hermann Adolph, im 17. Jahrhundert vieles zerstört sei. Diese Vermuthung ist ohne jede Bedeutung, so lange nicht thatsächliche Belege angeführt werden; an den Steinen müsste doch die Spur dieser Zerstörung noch sichtbar sein, denn in jenen Zeiten gab man sich nicht die Mühe, zerstörte Partieen durch Ueberarbeitung weniger auffällig zu gestalten. Es ist schon sonderbar, dass jeder Autor einen anderen Theil für zerstört oder verändert erklärt. Massmann meint, die Gestalt neben der östlichen Oeffnung A sei verwittert, vielleicht verflacht und die rundbogige Oeffnung C sei später nach unten erweitert; Giefers glaubt, dass der Erdboden an der Oeffnung B früher höher gelegen, dass neben Petrus ein Paulus gestanden habe und dass die Inschrift im Innern der Grotte beschädigt sei; Schierenberg behauptet, das jetzt bei Oeffnung D teil abfallende Vorterrain habe sich in früherer Zeit in derselben Höhe wie an den Oeffnungen B und C weiter nach Westen bis zum Bache erstreckt. Es werden noch mancherlei andere Veränderungen angegeben, fasst man aber sämmtliche Behauptungen etwas näher in's Auge, so erkennt man deutlich die Motive: Diese veränderten Zustände dienen als Aushilfsmittel; wenn der betreffende Autor gezwungen ist, eine Thatsache, die sich seiner sonstigen Deutung nicht fügen will, zuzugeben, so muss „Zerstörung“ aus der Noth helfen. Ich habe von allen jenen Veränderungen und Beschädigungen, trotz -- oder vielleicht in Folge -- der genauesten Untersuchung nichts entdecken können. Es sind zwar Zerstörungen vorhanden, jedoch in ganz anderer Weise. Das Innere und Aeussere der Grotte ist in rohester Weise durch eingeschnittene Namen der Besucher verunstaltet. An den baulichen Arbeiten ist nichts zerstört oder verändert und der Erdboden befindet sich in gleicher Lage wie vor Jahrhunderten. Die Skulpturen haben etwas gelitten, ausser den ganz frei gearbeiteten Theilen jedoch nur wenig; die oben erwähnte Figur an der Ostseite hat nur die Nase verloren.

 

Auf der Spitze dieses ersten Felsens ist eine Plattform mit Bänken hergestellt, in Stein gehauene Stufen führen hinauf. Diese Arbeiten sind vom Grafen Hermann Adolph

 

 

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ist im 17. Jahrhundert zugleich mit den jetzt abgebrochenen Befestigungen (Taf. X, Fig. 1) ausgeführt worden. Als letzte Reste derselben liegen hoch oben in einer schwer zugänglichen Felsschlucht mehrere Kapitäle und andere Bauglieder. Um zu constatiren, dass dieselben nicht aus früher Zeit stammen und demnach auch auf diesem Felsen sich weder mittelalterliche noch frühere Anlagen befunden haben, schaffte ich zwei Kapitäle herab. Es sind unzweifelhaft Renaissancearbeiten. Der nebenstehende zweite Felsen trägt auf seiner Spitze die Reste einer Kapelle, welche ebenfalls durch in Stein gehauene Stufen zugänglich ist (Taf. VI, Fig. 1). Diese ist allerdings, abgesehen von den Verwüstungen der Besucher, durch die Einwirkung des Wetters, dessen Unbilden sie bei weitem mehr als die unteren Arbeiten ausgesetzt ist, zerstört.

 

Das historische Material bietet nur geringe Anbaltspunkte zur Bestimmung der Entstehungszeit und Bedeutung der Arbeiten an den Externsteinen. Wenn auch durch Geschichtsquellen nicht positiv erwiesen, verlegte man bisher in diesen Theil des Gebirges, in welchem die Externsteine sich erheben, die Teutoburger Schlacht, die varianische Niederlage. Daher steht hier auf der Grotenburg das deutsche Siegeszeichen, das Hermanns-Denkmal. Man nimmt an, dass Varus durch die Dörenschlucht, welche anderthalb Stunden von Detmold gelelegen ist, das Gebirge überschritt, dass er sein Sommerlager in der Nähe des Gebirges aufschlug und dass der Untergang der Römer in jener Schlucht stattfand. Ausser dieser Schlucht führt ein Pass an den Externsteinen vorbei durch das Gebirge; dort ging im Mittelalter die Hauptstrasse von Paderborn nach der Weser. In letzterer Stadt, welche etwa 5 Stunden südlich von den Externsteinen gelegen ist, verweilte Karl d. G. mehrmals auf seinen Zügen gegen die Sachsen. Er ist auch ganz in der Nähe der Externsteine gewesen, als er im Jahre 783 die Sachsen bei Detmold schlug und als er im folgenden Jahre das Weihnachtsfest in Lügde bei der Sächsichen Skidroburg, dem heutigen Schieder an der Emmer, feierte. Während die anderen Städte in jener Gegend erst viel später entstanden, hatte Paderborn, der Sitz des Bischofs,

 

 

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schon im 10. und 11. Jahrhundert grosse Bedeutung erlangt, welche im Laufe der Zeit stetig wuchs. Durch seine Bauthätigkeit in dieser Stadt ist Bischof Meinwerk bekannt. Derselbe berief im Jahre 1015 13 kunstverständige Benedictiner-Mönche aus der Abtey Clugny nach Paderborn und legte hierdurch den Grund zu der regen Kunstthätigkeit, welche sich seitdem inWestfalen entfaltete. Historische Nachrichten, welche sich direct auf die Externsteine beziehen, sind aus früherer Zeit nicht vorhanden. Die erste Urkunde, welche dieselben erwähnt ist vom Jahre 1093. In dieser bestätigt Bischof Heinrich II. von Paderborn den Ankauf der Steine durch das Kloster Abdinghof von Ida der Mutter des verstorbenen Besitzers Imico. In dieser Urkunde findet sich keine Bemerkung, dass an dem Felsen etwas Besonderes ausgeführt sei. Die älteste bekannte Urkunde, welche der Kapelle Erwähnung thut --. . . Ad capellam reclusorii Egesterensteyn . . . “ -- ist vom Jahre 1366 datirt, irgend welche Andeutungen über die Entstehung derselben enthält sie nicht. Desgleichen geben auch die späteren Urkunden keinen weiteren Aufschluss über den Ursprung der Arbeiten. Nicht mehr, als durch diese amtlichen Nachrichten, erfahren wir durch Privatberichte. Was Hamelmann im 16. Jahrhundert über die Externsteine bemerkt, trägt schon den Charakter des Sagenhaften, denn er vermag keine Quelle für seine Erzählung anzugeben. Er sagt: „Legi aliquando, quod ex rupe illa picarum, idolo gentilitio, fecerit Carolus magnus altare deo sacratum et ornatum effigiebus apostolorum.“ Eine andere Nachricht, welche mit den Kapellen und namentlich den Bildwerken in mittelbaren Zusammenhang gebracht wird, ist diejenige, dass Karl d. G. nach der Schlacht bei Detmold eine Capella sancti adjutorii in der Nähe des Schlachtfeldes erbaut habe. Man hat nämlich jene zum Beweise herangezogen, dass Karl d. Gr. auch die Werke an den Externsteinen während seiner Anwesenheit habe ausführen lassen. Obwohl dieser Bericht, der zuerst in Botho's Sassenchronik (vgl. O. Preuss, Die baulichen Alterthümer des Lippischen Landes) erscheint, um deswillen nicht glaubhaft genannt

 

 

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werden darf, weil der Sieg über die Sachsen kein entscheidender und daher die Anwesenheit der Franken in dieser Gegend nur von geringer Dauer war, so ist doch von mehreren Schriftstellern versucht worden, diese Kapelle zur h. Hilfe aufzusuchen. Schaten nennt die Antoniuskapelle auf dem Tönsberge, Clostermeier die Kirche zu Heiligenkirchen und Schierenberg die Reste zu Wilbasen bei Blomberg. Diese Bauten reichen aber, wie ich in der Lippischen Landeszeitung Jahrgang 1880 und 1881 nachgewiesen habe, nicht soweit zurück. Die Antoniuskapelle, eine Ruine, zeigt noch einige Gesimsprofile, welche der spätromanischen Periode -- schräge Platte mit tiefer Hohlkehle -- angehören. Der älteste Theil der Kirche zu Heiligenkirchen ist der Thurm. Seine Schallöffnungen enthalten romanische Säulen mit Würfelkapitäl, einige derselben zeigen schon Eckblätter an den Basen, was auf das 12. Jahrhundert weiset. Die wenigen Steinreste der dritten Kapelle, der zu Wilbasen, genügen, um diesen Bau für einen spätromanischen zu erklären. Der eine Stein zeigt ein Lamm mit der Siegesfahne. Von diesem Steine findet sich in der Zeitschrift des Paderborner Vereins für vaterländische Geschichte, Bd. 10, die Erklärung: „Der Stein mit dem Lamm scheint darauf hinzudeuten, dass diese Kapelle ursprünglich eine Salvator-Kirche war, gleich jener von Karl d. G. errichteten Kapelle zur h. Hilfe.“ Dieser Schluss auf eine Salvator-Kirche ist nicht berechtigt. Der Stein ist flach, hat die Form eines abgestumpften Kegels und trägt an der Mantelfläche vier Ansätze für die Rippen eines Kreuzgewölbes: es ist der Schlussstein eines, dem Profil nach zu urtheilen, spätromanischen Kreuzgewölbes, einer früheren Zeit kann der Stein nicht angehören, da die Rippen der Kreuzgewölbe vor der genannten Zeit nicht auftreten. Solche Schlusssteine mit dem agnus dei finden sich in den Chorgewölben vieler benachbarten Kirchen, z. B. in der Marienkirche zu Lamgo und in der Kirche zu Heiden bei Detmold. Demnach bestätigen weder die vorhandenen Bauwerke, noch irgend welche Baureste jenen Bericht. Alle anderen Nachrichten, welche bestimmte Personen als die Verfertiger der

 

 

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Arbeiten an den Externsteinen nennen. gehören in das Gebiet der Sage, und die Versuche der späteren Forscher, eine endgiltige richtige Lösung der Frage herbeizuführen, müssen als nicht gelungen bezeichnet werden. Diese Untersuchungen haben folgenden Entwickelungsgang genommen. Zuerst war man der Ansicht, dass die unteren Grotten durch Germanen oder Sachsen zu Kultuszwecken, das Relief durch Karl d. G. hergestellt sei. Dieselbe vertritt unter Anderen noch Schnaase und Kinkel. Göthe schrieb das Skulpturwerk ebenfalls dem Frankenkönige zu. Darauf behauptete Massmann. Dass nur ein Theil von Karl d. G. die Hauptarbeiten aber im 12. Jahrhundert ausgeführt seien. Ohne Einschränkung erklärte dann Giefers alles für Arbeiten der Paderborner Mönche, welche die Steine am Ende des 11. Jahrhunderts erworben haben. Derselbe glaubte, dass die Externsteine vorher keine Bedeutung gehabt hätten. Es muss nun auffallen, dass darauf Professor Braun, dieser Ansicht entgegentretend, zur älteren Auffassung insofern zurückkehrte, als er annahm, die Grotte sei schon lange, bevor die Mönche in den Besitz der Felsen gelangten, zum Mithrasdienste ausgehauen und das Relief habe Karl d. G. herstellen lassen. Diese von Braun nur wenig begründete Hypothese hat dann Schierenberg weiter ausgeführt; er versucht zu begründen, dass die Römer während ihres Aufenthaltes in diesen Gegenden die Grotten gearbeitet hätten und dass das Bild ein Werk Karls d. G. sei.

 

Wenn nun auch Massmann und Giefers durch ihre Untersuchungen, welche als die besten gelten können, aus den älteren Schriften Wahrheit und Dichtung geschieden haben, so sind doch die Gründe, welche sie zum Beweise ihrer neuen Ansichten geltend machen, nicht überzeugend. Beide haben wichtige Theile der Grottenanlagen nicht richtig erkannt und beschrieben und die Erklärungen, welche sie von den Skulpturen geben, sind nicht fehlerfrei. Zur Erforschung des Alters der baulichen Anlagen wie der Bildwerke ist aber eine richtige Erkenntniss und genaue Darstellung unumgänglich nothwendig, weil man doch nicht ohne Weiteres

 

 

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annehmen darf, wie es allerdings geschehen, dass Diejenigen, welche die Grotten im Jahre 1115, wie die Inschrift am Inneren besagt, zur Kapelle einweihten, auch die Verfertiger der Grotten und der Skulpturwerke waren. Eine Erkenntniss dessen, was auf diesen Reliefbildern vorgeführt wird, ist ausserdem zur vollen Würdigung, namentlich des bedeutenden Kunstwerkes, der Kreuzabnahme, unbedingt erforderlich.

 

 

 

I. Die Architektur.

 

Zu den baulichen Anlagen an den Externsteinen haben wir die unteren Grotten, das Grab Christi am Bache, die Kapelle auf der Spitze des Felsens und die Reste der Befestigungsarbeiten aus dem 17. Jahrhundert zu rechnen. Letztere finden, weil sie sicher datirt und nur für die Lippische Localgeschichte von Interesse sind, hier keine eingehende Besprechung.

 

 

1. Die unteren Grotten. (Taf. I-V).

 

Unter Benutzung der von der Natur gebildeten Höhlen sind in dem letzten nach Westen zu gelegenen Felsen, wie oben kurz angedeutet, mehrere Räume ausgemeisselt worden. An der Ostseite des Felsens gelangt man durch die Oeffnung A in den schmalen Raum I. Die Wände und die Decke desselben sind zum Theil unbearbeitet und zeigen an einigen Stellen die natürliche Gesteinsbildung. Von diesem Raume führt eine zweite aber kleinere Oeffnung a in's Freie; sie mündet im unteren Theile des grossen Reliefbildes. Aus dem Raume I gelangt man vermittelst einiger Stufen in den nach Westen zu sich anschliessenden Raum II. Derselbe ist grösser und sauberer bearbeitet als der vorige, sein Fussboden liegt tiefer als derjenige im erstgenannten, und den directen Zugang von Aussen vermitteln die beiden Oeffnungen B und C in der Nordwand. Neben der Oeffnung B befindet sich im Innern die bekannte Inschrift und an der Südwand ist im Fussboden ein Becken ausgemeisselt. An das Westende

 

 

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dieses Raumes legt sich unter rechtem Winkel Raum III. Der Fussboden liegt hier ebenfalls tiefer als im vorigen Raume und auf der Grenze ist eine Stufe angeordnet. Die Nordwand dieser Grotte wird von einer nicht ganz bis zum Boden herabreichenden Oeffnung durchbrochen. Die Ostwand zeigt im Innern zwei Wandnischen. Ohne jede Verbindung mit diesen Räumen liegt weiter nach Westen Raum IV. Er ist kleiner als die anderen und vom Erdboden, da hier das Vorterrain steil nach dem Bache abfällt, nur mit langen Leitern zu erreichen. Die äussere Felsfläche zwischen den genannten Oeffnungen ist nur stellenweise ein wenig bearbeitet. An der Ostwand ist bei Oeffnung A ein grosser Block, der von dem noch jetzt überhangenden Stück einst schräg nach unten reichte, losgesprengt. An dieser jetzt senkrechten Wand findet sich neben der letztgenannten Oeffnung die Gestalt eines Mannes in Relief gearbeitet. Neben der Oeffnung B an der Nordwand erblickt man das bekannte grosse Skulpturwerk, die Kreuzabnahme, ebenfalls als Relief ausgeführt, über dieser Oeffnung die Figur eines Vogels vertieft gearbeitet und zur linken der Thürkante ein Weihwasserbecken mit einer kleinen Vertiefung darüber. Das sind die Werke am unteren Theile des Felsens, welche bisher bekannt und verschiedentlich besprochen sind. Bei eingehender Untersuchung fanden sich noch andere bemerkenswerthe Arbeiten, welche an betreffender Stelle Erwähnung finden werden.

 

Wer hat nun zuerst den Meissel angesetzt, um diese Grotten herzustellen? Diese Frage beschäftigt schon seit langer Zeit die Forscher. Es werden genannt die Römer, die ursprünglich hier wohnenden Germanen, die späteren Sachsen, Franken und Mönche aus Paderborn; aber bisher ist für keine dieser Hypothesen ein positiver Beweis erbracht, und die Frage harrt noch immer der endgiltigen Lösung. Dieselbe wird, weil weder urkundliche Nachrichten über die Arbeiten noch sichere Anhaltspunkte an diesen selbst vorhanden sind, nur dadurch erreicht werden, das zuerst eine allgemein gefasste Vorfrage beantwortet wird: Sind die Grotten eine heidnische oder christliche Arbeit? Wenn diese Frage entschieden

 

 

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ist, so ist eine feste Operationsbasis für die fernere Untersuchung geschaffen, da die Zahl der nun allein in Betracht kommenden Personen bedeutend geringer ist.

 

Von den heidnischen Völkern müssen die älteren Germanen und die Sachsen auf Grund der bei der Grottenausführung angewandten Technik ohne weiteres ausgeschieden werden, denn so roh auch die Arbeiten sind, es ergiebt sich doch zweifellos, dass die verschiedensten Werkzeuge der Steinmetzkunst Anwendung gefunden haben. Wir erkennen kleine, durch den Dorn hervorgebrachte Löcher, ferner grobe Hiebe der Spitzhacke, feine breite Striche des Meissels u. a. Die Technik beweist, dass die Arbeit von Angehöigen einer Nation ausgeführt sind, welche auf einer höheren Kulturstufe als jene Völkerschaften stand. Demnach bliebe zwischen den heidnischen Römern und christlichen Nationen zu entscheiden. Die Hypothese, dass die Römer die Grotten an den Externsteinen als einen Mithrastempel angelegt hätten, ist zuerst von Professor Braun autgestellt, darauf jedoch von Professor Giefers angefochten worden. Letzterer hat darzuthun versucht, dass die Arbeiten theils aus dem 12. Jahrhundert, theils aus noch späterer Zeit stammen. Aber dieser Versuch ist durchaus nicht in überzeugender Weise gelungen, was Jeder zugeben wird, der die geltend gemachten Gründe ohne jede Voreingenommenheit prüft und die Richtigkeit der Beschreibung der vorhandenen Arbeiten an Ort und Stelle controllirt. Nur auf einen Umstand, den dieser Autor namhaft macht, wird man ein grosses Gewicht zu legen haben: die bischöfliche, den Ankauf der Steine durch das Kloster zu Paderborn bestätigende Urkunde vom Jahre 1093 erwähnt keinerlei an denselben schon vorhandenen Arbeiten. Alle übrigen Argumente besitzen keine Beweiskraft. Giefers führt die Formen der Gewölbe an; hier finden sich aber gar keine Gewölbe. Er glaubt, die östliche Oeffnung A sei nachträglich im 17. Jahrhundert entstanden, weil sie einen geraden Schluss zeige und weil die nebenstehende Figur den Apostel Petrus vorstelle; diese Oeffnung ist jedoch nicht geradlinig geschlossen, und dass die Figur Petrus bedeute, hat weder er noch sonst jemand

 

 

 

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bisher vollständig nachgewiesen, denn der Schlüssel in der Hand dieser Gestalt reicht zur richtigen Auslegung des Reliefbildes nicht hin, zeigt doch Schierenberg in einer Abbildung, dass der römische Gott Mithras ebenfalls mit Schlüsseln dargestellt wurde. Giefers hat ferner behauptet, auch Oeffnung B sei später, lange nach Herstellung der Grotte angelegt worden, weil sie eine geradlinige obere Begrenzung aufweise und die im Innern befindliche Inschrift vom Jahre 1115 durch die Anlage dieser Thür zum Theil zerstört sei. Nun ist aber diese Inschrift nie länger gewesen, ist also auch nicht zerstört, und die Oeffnung ist zu gleicher Zeit mit der ganzen Grottenanlage entstanden, das wird hier positiv erwiesen werden.

 

Giefers hat uns also nicht überzeugt, dass diese beiden Oeffnungen christlichen Ursprunges sind; auf den Ursprung derselben kommt es aber hauptsächlich an, denn da der dritte, ausserdem noch vorhandene, Eingang C als sicher romanisch nicht in Frage kommt, so könnte ja Derjenige, welcher in den Anlagen einen Mithrastempel zu erblicken glaubt, diese beiden Oeffnungen für die Eingänge in das Heiligthum erklären, da die Mithrashöhlen einen nördlichen und einen östlichen Eingang besassen und genannte Oeffnungen dieser Lage entsprechen; die anderen Oeffnungen würden später durch die Mönche, welche die Kapelle im 12. Jahrhundert einweihten, angelegt worden sein. Diese Ansicht hat Schierenberg auch wirklich vertreten, nur mit dem Unterschiede, dass er als nördlichen Eingang nicht B, sondern D nannte. Er wusste nicht, dass B mit der Grotte zugleich entstanden sei, sonst hätte er wohl diese für seine Hypothese herangezogen, anstatt zu der gekünstelten Erklärung, die fensterartige Oeffnung D Sei eine unfertige Thür, seine Zuflucht zu nehmen.

 

Bevor man der Frage, ob die heidnischen Römer oder Christen die Arbeiten ausgeführt haben, näher tritt, wird man prüfen müssen, ob die Möglichkeit für erstere Annahme überhaupt vorhanden ist. Diese Möglichkeit kann nicht, wie Giefers erklärte, ohne Weiteres bestritten werden, wenn man die bisherigen Ansichten über die Lokalitäten der Teutoburger Schlacht, des Sommerlagers des Varus und des Castells Aliso

 

 

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als richtig beibehält. Allerdings sind dieselben in neuerer Zeit mehrfach angefochten worden. Fast allgemein hat man die Gegend der Dörenschlucht im Teutoburger Walde bei Detmold für den Ort der Schlacht gehalten, bis einige Forscher versuchten, dieselbe nach Beckum zu verlegen (Siehe die Schriften von Esselen und Böttger) und bis in neuester Zeit die Untersuchungen von M. v. Sondermühlen und das Urtheil des Professor Mommsen die Blicke der Historiker auf die Umgegend von Osnabrück gelenkt haben. Die Frage ist eine offene. Wer aber bei der älteren Ansicht, dass die Varusschlacht in der Nähe von Detmold stattgefunden habe, verbleibt, muss zu dem Schlusse gelangen, dass die Römer in der Nähe der Externsteine geweilt haben, dass ferner die Möglichkeit, ja sogar die Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, es seien daselbst am Felsen Arbeiten von ihnen ausgeführt. Giefers hat zwar in seiner Schrift über die Externsteine, in der er der Hypothese von Braun entgegentritt, einen kurzen Ueberblick über die zu Beginn der christlichen Aera in diesen Gegenden stattgehabten Begebenheiten gegeben, doch ist er auf den sehr wichtigen Umstand, auf die verhältnissmässig lange Anwesenheit der Römer in der Nähe der Externsteine, nicht näher eingegangen, wenn er auch zugegeben hat, dass die Römer mit jener Gegend „wohl vertraut“ waren.

 

In den Schriften des Tacitus, Dio Cassius u. A. über die Kriege in Germanien wird Drusus als der erste Feldherr genannt, welcher mit einem Heere das Teutoburger Waldgebirge überschritt. Da er auf dem Rückmarsche die Engpässe durch die Germanen besetzt fand und nur mit Mühe gänzlicher Vernichtung entging, so legte er dass Castell Aliso im Jahre 11 v. Chr. an der unteren Lippe als Stützpunkt und Rückendeckung für spätere Uebergänge über das Gebirge an. Dieses Castell verlegt Schierenberg nach Ringboke, wo er römische Wallreste nachgewiesen hat; die Richtigkeit ist durch Hölzermann (Localuntersuchungen die Kriege der Römer, Franken u. s. w. betr.) bestätigt worden. Die Entfernung zwischen diesem Orte und den Externsteinen beträgt etwa 4 Meilen.

 

 

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Clostermeier und Giefers versetzen Aliso nach dem heutigen Dorfe Elsen unweit Paderborn, in diesem Falle war die Entfernung nach den Steinen noch weit geringer. Nach

 

dem Tode des Drusus schickte Kaiser Augustus den Tiberius als Feldherrn nach Deutschland. Dieser verstand es, die Cherusker freundlich zu stimmen, so dass er das Land derselben ohne Gefahr betreten konnte. Er verweilte dort im Jahre 5 n. Chr. im Sommerlager und somit wohl in der Nähe der Externsteine. Dasselbe wird von Varus, dem Nachfolger des Tiberius, berichtet. Dieser bezog im Frühjahre 9 n. Chr. das Sommerlager, von welchem aus er den verhängnissvollen Zug nach der Weser zu antrat. Die Stelle dieses Lagers ist bisher nicht aufgefunden, man wird aber annehmen müssen, dass Varus aus strategischen Gründen -- um Sich den Rückzug für den Fall eines Unglücks zu sichern -- dasselbe so gewählt hat, dass er von ihm aus den Engpass, welcher durch das Gebirge nach der nächsten Festung, Aliso, führte, beherrschte. Nun ist der Pass an den Externsteinen vorbei schon im frühen Mittelalter Hauptstrasse von Paderborn nach der Weser gewesen und dürfte auch in alter Zeit benutzt worden sein, aber wenn Varus auch durch die Dörenschlucht zog, wie Clostermeier, Giefers und andere Forscher glauben, so war das Lager nur wenige Stunden von den Externsteinen entfernt. Es ergiebt sich dies ferner aus der Dauer des Rückmarsches nach erfolgtem Angriff der Germanen.

 

Varus liess sich aus dem Sommerlager zur Unterdrückung des fingirten Aufstandes nach der Weser zu, also nordwärts, locken, der Angriff der Germanen und die Umkehr der Römer geschah somit erst, nachdem die letztern schon eine Strecke vom Lager fortmarschirt waren. Trotz dieser vergrösserten Entfernung und obwohl die Feinde, ungünstige Witterung und Kämpfe den Marsch des Heeres verzögerten, erreichte Varus am zweiten Schlachttage das Gebirge, denn am zweiten Tage nach dem Ausrücken aus dem Lager kam der Rest des Heeres im „saltus Teutoburgiensis“ um. Tacitus, Ann. II. 46, und Dio Cassius berichten nun, dass die Legionen

 

 

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des Varus im Lager müssig waren und die Gegenden zu mancherlei Zwecken durchstreiften. Wir wissen ferner, dass die Legionen überall dort, wo sie längere Zeit verweilten, Grotten und Bildwerke für den Mithraskultus an Felsen ausführten. In Deutschland finden sie sich am Rhein, am Neckar, an der Nahe, zu Heddernheim bei Wiesbaden (die Mithrasdarstellungen von Heddernheim bewahrt das Museum zu Wiesbaden) und an anderen Orten. Es steht demnach ausser allem Zweifel, dass an den Externsteinen, ebenso wie in den südlichen Gegenden Deutschlands von den Römern irgend welche Arbeiten, unter anderem auch zum Zwecke des Mithraskultus ausgeführt sein können, und eine objective Untersuchung kann sich nicht damit einverstanden erklären, dass Giefers das Verweilen der Römer in der Nähe der Externsteine nur flüchtig berührt und den Mithrascult in das Gebiet der Phantasie verweist, indem er sagt, „was ist Mithras? werden viele, ja die meisten Leser fragen. Mithras ist so unbekannt, dass Braun für nöthig gehalten hat, seine Leser in ausführlicher Darstellung mit diesem seltsamen (sic) Gotte erst bekannt zu machen.“ Andererseits bedarf es keiner Betonung, dass die blosse Möglichkeit durchaus nicht als Argument zu verwerthen ist, sondern nur die Veranlassung bietet, dass alle vorhandenen Arbeiten auf römischen Ursprung hin geprüft werden. Nur das Resultat dieser Prüfung und eine richtige Erklärung des Vorhandenen darf entscheiden.

 

Die Untersuchung über die Entstehungszeit der Anlagen wird dadurch erschwert, dass die Bauleute sich fast jeder decorativen Ausbildung enthalten haben, vor allem aber dadurch, dass dieselben den gewachsenen Felsen benutzten. Wären die Arbeiten durch Zusammenfügen des einzelnen Baumaterials auf freiem Platze entstanden, so würde die Raumdisposition, der Grundriss und die Construction der Wände und Decken, selbst bei jedem Mangel decorativer Ausbildung, die Zeit der Ausführung erkennen lassen; ein römischer Bau würde sich unter diesen Umständen von einem solchen des 12. Jahrhunderts bedeutend unterscheiden. Aber hier wurde die Grundrissbildung durch die vorhandenen natürlichen

 

 

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Hohlräume, welchen man, um die Arbeit des Aushöhlens zu verringern, folgte, beeinflusst, hier standen die Wände von Natur fest und die Decken trugen sich frei, es waren also keine Constructionsprobleme zu lösen, und wir sehen deshalb nicht charakteristisch gebildete, sondern einfache, prismatische Räume. Darin liegt der Grund, dass es schwer ist, die Entstehungszeit der Arbeit festzustellen. Trotzdem ist von verschiedener Seite versucht, aus der Art der Anlage Schlüsse auf die einstige Bedeutung und mithin auf das Alter der Grotte zu ziehen. Braun erklärt, dass man einer christlichen Kapelle eine andere Gestalt gegeben haben würde, so dass die Grotten nicht von Mönchen herstammen könnten.

 

Nun erkennen wir jedoch daraus, dass sich in jedem der Räume unberührte Felsstellen in Muschelform finden, dass hier einst von Natur gebildete Hohlräume vorhanden waren, welche bei der Anlage benutzt wurden. Sie finden sich in jedem der drei zusammenhängenden Räume, folglich gaben sie den Arbeitern die Richtung an, welche sie beim Ausmeisseln zu nehmen hatten, wenn sie Arbeit ersparen wollten. Solche Reste von Naturhöhlen zeigt jetzt noch Raum I (Taf. I, Fig. 2) an den Wänden und dem kuppelförmigen Theil der Decke, ferner Raum II an der senkrechten Nische des Beckens (Taf. I, Fig. 2 und 3, und Taf. IV, Fig. 5), an der Innenseite der Oeffnung C (Taf. IV, Fig. 1, 2, 3 und 4 bei x und y) und am unteren Theil der westlichen Wand (Taf. I, Fig. 1 und 2 bei α), schliesslich Raum III an der Westwand am Boden in der Nähe des Fensters (Taf. I, Fig. 3 bei β, und Taf. VIII, Fig. 3). Hieraus ist also ersichtlich, dass die Werkleute nicht nach einem vorher entworfenen Plane, sondern nur da ausmeisselten, wo sie Naturbildungen vorfanden, denn die Reste derselben sind noch am Anfange, in der Mitte und am Ende der ganzen Anlage zu erkennen.

 

Die Behauptung von Braun, dass eine christliche Kapelle eine andere Gestalt erhalten hätte, wäre nur dann richtig, wenn dieselbe unbeeinflusst von der Natur ausgeführt worden wäre, aber wie man sich der Mühe, Decorationen anzubringen, fast gänzlich überhob, so wurde auch die Arbeit des Aushöhlens

 

 

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durch Benutzung des Vorhandenen auf das geringste Maass beschränkt. Dass unter solchen Umständen der Bau nicht die sonst übliche Form einer christlichen Kapelle annehmen konnte, wenn auch Mönche die Verfertiger waren, ist einleuchtend.

 

Ferner hat Schierenberg die Stufenanlage zwischen Raum I und II (Taf. I, Fig. 2 und 3 bei γ, und Taf. IV, Fig. 6) durch die Ceremonieen beim Mithraskult erklärt. „Es stiegen die Eingeweihten auf 7 Stufen, welche den 7 Graden der Weihe entsprachen, zu den Göttern empor“. Aus den vorhandenen 3 Stufen sollten nach Ansicht dieses Autors später 7 gemacht werden. Dass diese Deutung aus rein technischen Gründen unmöglich ist, bedarf nicht des Nachweises, denn aus 3 unregelmässigen (durchaus nicht unfertigen) Stufen können nur dadurch 7 gemacht werden, dass entweder Anfangs- oder Endpunkt der ganzen Stiegenanlage verschoben wird; wer das wollte, machte sofort die 7 Stufen, da jene Aenderung bedeutend mehr Arbeit erfordert. Es lässt sich jedoch leicht zeigen, dass diese kleine Treppe, gleich wie die Grundrissform der Grotte, in Folge Benutzung der Naturhöhlen entstand. Letztere beeinflussten die Gestalt des Baues sowohl in horizontaler Richtung, im Grundrisse, als auch in vertikaler, im Profil. Es liegen nämlich jetzt die Fussböden in den drei Räumen verschieden hoch, in Raum I am höchsten, in Raum III am tiefsten, und in jedem derselben reichen die noch erkennbaren Reste der früheren Höhlen, welche sich jetzt als muschelförmige Wandnischen (z. B. an der Westwand im Raume III in der Nähe des Fensters, Taf. VIII, Fig. 3) präsentiren, genau bis auf den betreffenden Fussboden herab. Hieraus geht hervor, dass auch die Sohlen der Naturräume einst verschieden hoch lagen und dass dieselben für die anzunehmende Höhenlage des Grottenfussbodens in den verschiedenen Räumen massgebend wurden, weil die Bauleute aus Arbeitsersparniss in jedem einzelnen Raum nicht tiefer ausmeisselten, als durch die Natur vorgebildet war. Auf diese Weise entstanden drei verschieden hohe Fussböden. Zum Ausgleichen solcher Niveaudifferenzen pflegt man Treppen

 

 

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anzulegen, deshalb finden wir zwischen Raum I und II jene Stufen. Da auch zwischen Raum II und III eine Bodenverschiedenheit existiert, so musste auch hier ein Ausgleich stattfinden, und in der That ist eine Stufe vorhanden (Taf. I, Fig. 2 bei 3). Schierenberg hat sie in seiner Grundrisszeichnung allerdings nicht vermerkt, in der Zeichnung bei Massmann aber kann man sich von der Richtigkeit überzeugen.

 

Ebensowenig wie aus dem Grundrisse und dem Profil der ganzen Anlage ein sicherer Schluss auf den Ursprung derselben zu ziehen ist, können wir die spärlichen Kunstformen hierzu benutzen. Giefers und Massmann haben auf die dekorative Ausbildung, welche sich an einzelnen Stellen findet, ein zu grosses Gewicht gelegt. Giefers führte die Form der Gewölbe, sowie die Rundbogen der Oeffnungen und Nischen an. Ein Gewölbe ist aber, wie schon bemerkt, nicht vorhanden, denn da die Decke, der Fels, sich von Natur freiträgt, war eine Gewölbekonstruktion nicht erforderlich, und eine blosse Nachahmung der Gewölbeform wäre eine Ausschmückung des Raumes gewesen, solcher Luxusarbeiten haben sich die Bauleute enthalten. Die Decke ist in Wirklichkeit horizontal, nur die Ecken sind aus Arbeitsersparniss kurz abgerundet, nicht scharf rechtwinkelig hergestellt. Dieser Umstand hat Giefers irregeführt. Einige Oeffnungen zeigen allerdings die Bogenform, wenn auch in der einfachsten Ausführung. Dieselbe wurde aus ästhetischen Rücksichten gewählt, nicht aus konstruktiven, denn der darüberliegende Fels brauchte nicht gestützt zu werden. Aber diese Form kommt nicht ausschliesslich in der romanischen Periode vor, wie Giefers annimmt, wenn er dieselbe zum Beweise heranzieht. Die Römer haben den Rundbogen, und namentlich dekorativ zwischen den wirklich tragenden Säulen, sehr häufig angeordnet. Diese Form findet dann Anwendung in der romanischen Bauperiode, in der Gothik und Renaissance. Ebenso gewagt ist es, den geradlinigen Schluss der Oeffnung B als charakteristiscches Merkmal einer bestimmten Zeit anzusehen. Giefers ist der Ansicht, dass diese Form nur auf

 

 

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die der Gothik folgenden Periode, die Renaissance, weise. Wer die Römer für die Verfertiger hält, müsste dagegen fragen, welch eine Form sollten denn diese wählen, den Rundbogen nicht, die gerade Linie auch nicht, welche Form bliebe für sie noch übrig? Im Gegentheil, der horizontale Schluss der Oeffnungen und Räume ist, obwohl er auch in sämmtlichen späteren Perioden Anwendung gefunden, doch insofern charakteristisch für den antiken Stil, als auf horizontaler Deckenbildung, dem oberen Abschluss der Räume und Oeffnungen, das Konstruktionsprincip desselben beruht. Man wird mithin zugeben, dass diese Formen, weil ihnen jede weitere Durchbildung mangelt, keinen Aufschluss über die Entstehungszeit geben. Schierenberg hat sogar bestritten, dass Stilformen überhaupt erkennbar wären, er wundert sich, dass Giefers von Rund- und Spitzbogenstil spreche, während die Oeffnungen nothdürftig und roh, nur für den Bedarf angelegt seien. Er geht aber zu weit, denn da es ich hier nicht um Kunstkritik, sondern um eine archäologische Untersuchung handelt, kommt es nicht darauf an, ob das zum Ausdruck Gelangte deutlich und schön ist, sondern nur darauf, was die Werkleute ausdrücken wollten, und das ist erkennbar. Wer sich durch den Augenschein nicht zu überzeugen vermag, wird aus einer genauen Messung ersehen, dass der Bogen in der Oeffnung C (Taf. IV, Fig. 2) und am Grabe Christi (Taf. VI, Fig. 2) ein Halbkreis ist. Der senkrechte Radius in ersterer Oeffnung beträgt 0,93, der horizontale 1,00, der andere Bogen hat die Maasse 1,16/1,215. Diese Zahlen beweisen, dass die Bogen so exact hergestellt sind, wie an den alten Kirchen der Umgegend.

 

Die vorstehenden Betrachtungen führen zu dem Resultat, dass alle Argumente der verschiedenen Forscher, welche aus der konstruktiven oder formalen Behandlung des Baues für die eine oder andere Hypothese hergeleitet werden, nicht die geringste Beweiskraft besitzen. Fast scheint es demnach unmöglich, mit Sicherheit die Frage zu beantworten, ob die heidnischen Römer oder später christliche Arbeiter die Grotten hergestellt haben, aber aus der Complication der Skulpturwerke

 

 

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und Oeffnungen und aus der Beschaffenheit der Oeffnungen lässt sich nachweisen, dass sämmtliche Eingänge sowohl gleichzeitig mit der Grotte entstanden, als auch von christlichen Werkleuten angelegt sind; daraus ergiebt sich dann zweifellos, dass die Römer nicht das Innere ausführen konnten.

 

Oeffnung A (Taf. II und Taf. IX).

 

Schierenberg erklärt diese Oeffnung für eine römische Arbeit, für den östlichen Eingang in den Mithrastempel. Giefers glaubt, dieselbe sei nicht zugleich mit der Grotte, sondern im 16. Jahrhundert entstanden. Eine richtige Datirung ist nur möglich, wenn die Bedeutung der nebenbefindlichen Figur sicher feststeht. Eine in allen Theilen richtige Erklärung ist aber weder durch Clostermeier, noch durch Massmann, Giefers, Schierenberg u. A. gegeben worden. Diese Gestalt bedeutet nun, wie in Cap. III, 3 nachgewiesen wird, Petrus mit Schlüssel und Spruchband. Daraufhin könnte man die Untersuchung nach dem Ursprung der Oeffnung dadurch vereinfachen, dass man die Zusammengehörigkeit der Figur und Oeffnung annimmt und auch letztere für christlich erklärt. Einen Zusammenhang beider hat auch Schierenberg, der den Eingang für eine Arbeit der Römer hält, angenommen und die Figur als Gott Mithras mit Schlüssel und Fackel zu deuten versucht. Während aber eine solche Erklärung der Gestalt nicht angänglich ist, bleibt noch die Möglichkeit, dass die beiden Arbeiten zu verschiedenen Zeiten entstanden sind (nimmt doch Giefers an, dass der Eingang im 16. Jahrhundert, also später, hergestellt sei); in diesem Falle könnte die Oeffnung wohl vorchristlich, auch römisch sein. Aber die genaue Untersuchung der Localität ergiebt, dass die Oeffnung nicht schon vor der anderen Arbeit vorhanden gewesen sein kann. An der Ostwand ist ein Felsblock losgesprengt worden, um eine Senkrechte Fläche zu erhalten, denn der hoch überhängende Stein ist an seiner Unterfläche bearbeitet. Der losgesprengte Fels reichte von oben schräg herab nach den noch jetzt unbearbeiteten Stellen

 

 

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der Wand am Erdboden, z. B. dem Saum des Petrusgewandes. Die senkrechte Wand wurde dann geebnet. Nehmen wir nun an, dass Römer die Oeffnung herstellten, die Wand also auch ebneten, so müssten wir andererzeits auch glauben, sie hätten diejenige Stelle, welche jetzt die Petrusfigur einnimmt, unbearbeitet und weit vortretend stehen gelassen, denn die Figur tritt zu 2/3 Mannesstärke aus der ebenen Felsfläche hervor; zu einer späteren, weil christlichen, Ausarbeitung durfte der Stein nicht an dieser Stelle fortgemeisselt werden. Da diese Annahme keine Berücksichtigung verdient, bleibt nur diejenige übrig, dass Eingang und Figur gleichzeitig oder ersterer später entstanden sei, in beiden Fällen ist der Eingang aus christlicher Zeit. Die letztere Annahme, dass die Oeffnung jünger sei als die anderen Arbeiten, vertrat Giefers, indem er glaubte, dass sie zur Zeit der Befestigungsarbeiten durch den Grafen zur Lippe angelegt sei. Als Grund führt er die viereckige Form derselben an, welche im 16. Jahrhundert gebräuchlich gewesen sei, es hätte nichts im Wege gestanden, die Form der anderen Oeffnungen, den Rundbogen, zu wählen, wenn diese mit jenen zugleich hergestellt worden wäre. Diese Ansicht ist jedoch nicht richtig. Erstens ist die Oeffnung nicht vollständig geradlinig geschlossen, sondern zeigt an der äusseren Hälfte einen Segmentbogen (kleinen Kreistheil), ferner ist, wie oben erwähnt, die nackte Form, die Begrenzungslinie, sei es ein Kreistheil oder eine gerade Linie, kein sicheres Zeichen, wenn die Schlussfläche nicht durch Profilirung, Ornamente oder auf andere Weise weiter ausgebildet ist; schliesslich haben die Römer die „viereckige“ Form in der Baukunst vorwiegend angewandt, und Schierenberg hätte diesen Umstand sogar für seine Hypothese ausnutzen können. Giefers glaubte, dass die ganz unsymmetrische Anordnung der Petrusfigur, welche an der äussersten Grenze des bearbeiteten Theiles der Wand zur linken steht, während der andere Theil, obwohl sauber geebnet, keinerlei Darstellungen aufweist, irgendwie begründet werden müsse, daher vermuthet er, dass durch die spätere Anlage des Einganges eine Paulustigur zerstört sei; er glaubt es aus dem Kupferstiche

 

 

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aus dem 17. Jahrhundert, welcher die Externsteine mit den Befestigungsarbeiten zeigt (Taf. X, Fig. 1), schliessen zu dürfen und beruft sich auf Clostermeier. Letzterer war der Ansicht, dass auf dem Stiche die Petrusfigur, ferner in einer Nische eine weibliche und in den beiden Eingängen an der Nordseite männliche Statuen erkennbar wären. Auf dem betreffenden Kupferstich ist aber Petrus nicht sichtbar und die Gestalten, von denen die weibliche nicht in einer Nische, sondern in dem freien Raume zwischen dem achteckigen Thurme und dem Felsen steht, scheinen nur Staffage-Figuren zu sein, denn diejenige, welche in der Rundbogen-Oeffnung steht, trägt Kniestrümpfe oder hohe Stiefeln. Ein Irrthum betreffs des Stiches kann nicht obwalten, da nur zwei Abbildungen von den Externsteinen aus so früher Zeit existiren: der Kupferstich, welcher in nur einem Exemplar in der Bibliothek zu Detmold vorhanden ist, und die Zeichnung in Fürstenberg's Monumenta Paderbornensia. Grosses Gewicht dürfen wir auf die Treue des erstgenannten Bildes nicht legen, denn die Felsen zur linken Hand sind ganz verzeichnet, die Rundbogen-Oeffnung ist in die Höhe gerückt, um über den Mauern noch sichtbar zu werden, die Vogelgestalt über Oeffnung B erscheint als Kreuz, der unterste Theil des grossen Reliefs ist ganz weiss gelassen (vergessen?) u. s. f. Die andere Zeichnung ist kleiner und perspektivisch richtiger, daher decken die Befestigungen die Arbeiten am Felsen zum grössten Theil und über letztern erhalten wir fast gar keine Auskunft. Wenn wir aber die östliche Felswand betrachten, so erkennen wir, dass eine Paulusfigur, wie Giefers glaubte, nicht an Stelle der jetzigen Oeffnung gestanden haben kann. Die Oeffnung stösst mit ihrer Kante beinahe an den ausgestreckten Arm des Petrusbildes, die beiden Statuen hätten demnach einander fast berührt, während bis zur Ecke des Felsens sehr viel unbenutzter Platz vorhanden ist. Ferner hätte dieses Paulusbild ca. ½ Meter höher gestanden als das Pendant, denn der jetzige Eingang, also die Stelle, wo einst ein Paulusbild gestanden haben soll, beginnt erst über den vor ihm liegenden platten Steinen, welche als Trittstufen benutzt werden,

 

 

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während Petrus unmittelbar bis zum Erdboden herabreicht, da jene Steine sich nicht bis hierher erstrecken: für ein derartiges unsymmetrisches Arrangement lag kein zwingender Grund vor. Es ergiebt sich nun positiv aus der gleichen Höhenlage des Grottenfussbodens und jener Trittstufen, welche mit dem Felsen zusammenhängen, dass die Oeffnung zugleich mit der Grotte gearbeitet wurde. Der Boden der Grotte setzt sich ohne Absatz durch den Eingang bis in's Aeussere fort. Wäre nun die Oeffnung aus späterer Zeit, so müsste man annehmen, die ersten Arbeiter hätten den Fussboden der Grotte so hoch angelegt, dass, als später die abschliessende Wand durchbrochen wurde, dieser Boden mit der vorliegenden Stufenoberfläche durch die Oeffnung hindurch genau übereinstimmte. Der aussen vorliegende platte Trittstein kann nicht später nachgearbeitet sein, da sich in ihm ein kleines viereckiges Loch findet, welches den Fusspunkt für einen Holzstiel des zum Bearbeiten der Wand hier aufgestellten Gerüstes bildete. Auch der Boden der Grotte ist nicht nachgearbeitet, das würde an der kleinen trichterförmigen Oeffnung a, welche bis auf den Fussboden herabreicht, zu erkennen sein. Wir werden ferner mit Sicherheit annehmen können, dass man diese kleine Oeffnung a, welche ohne Zweifel zugleich mit der ganzen Grotte entstand, nicht an der Nordwand unter dem grossen Bilde, das sie verunziert, sondern an der viel schwächeren Ostwand herausgeführt hätte, im Falle letztere nicht schon für die Thür A bestimmt gewesen wäre. Es ist hiermit erwiesen, dass die Oeffnung A nicht nur in christlicher Zeit, sondern auch gleichzeitig mit der Grotte angelegt ist.

 

 

Oeffnung a (Taf. II, Fig. 3 u. 4, und Taf. II, Fig. 5).

 

Giefers acceptirte die von Clostermeier vorgeschlagene Erklärung des Raumes I als Grab Christi; daher lässt er die Oeffnung A, weil Sie in dieser Erklärung nicht recht zu verwenden ist, später entstanden sein und glaubt Oeffnung a zu dem Zwecke angelegt, dem Raume I Licht und Luft zuzuführen. Schierenberg brachte letztere mit dem Mithrasdienste in Verbindung, indem er die Vermuthung aussprach,

 

 

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es sei während der Ceremonicen durch diese Oeffnung ein Räuchergefäss an einer Stange durchgesteckt worden.

 

Wenn nun, wie oben gezeigt, Oeffnung A schon vorhanden war, so war für Luft und Licht hinreichend gesorgt. Ich halte gerade die Erklärung für richtig, welche Giefers als falsch bezeichnet: die kleine Oeffnung hat zum Abfluss gedient, denn die Spur abgeflossener Flüssigkeit ist in der That an der senkrechten Aussenwand erkennbar, wenn auch bedeutend geringer als bei der später zu erwähnenden Oeffnung D. Es sprechen jedoch noch wichtigere Gründe dafür. Der Boden des Raumes I fällt nach der Oeffnung a zu, Giefers bezeichnet es durch „vorn niedriger als hinten“; wozu nun ein Gefälle in einem Raume, wenn nicht Abfluss geschaffen werden sollte? Selbst wenn die Naturhöhle ein solches zeigte, hätte man den Boden, wie in den beiden anderen Räumen, horizontal hergestellt, im Falle nicht ein besonderer Grund vorhanden gewesen wäre. Ein solcher war nun wirklich vorhanden. Der Raum I zeigt an den Wänden und an dem kuppelförmigen Theil der Decken, es sind dies die vom Meissel unberührten Stellen der Naturhöhle (Taf. I, Fig. 2, Raum I), selbst im Sommer durchsickernde Feuchtigkeit und weisse Schwammbildung, während der ungünstigen Jahreszeit ist die Menge des fliessenden Wassers nicht unbeträchtlich. Dieses Wasser führte das Gefälle des Bodens durch die Oeffnung a in's Freie.

 

Gegen die Erklärung von Schierenberg, der die Oeffnung auf die Römer zurückführt, spricht schon der Umstand, dass der obere Bogen derselben an der Nordwand in die Unterkante des Schwanzes der Schlange, welche sich auf dem unteren Theile des grossen Reliefs befindet, einschneidet, denn hiernach ist die Oeffnung wohl erst nach Herstellung des christlichen Bildes, der Kreuzabnahme, durchgebrochen. Auf den bisher veröffentlichten Abbildungen ist dieser obere Theil der Oeffnung einige Centimeter tiefer als in Wirklichkeit gezeichnet. Das mag eine Verbesserung des Originals sein, eine treue Wiedergabe desselben ist es nicht (vgl. Taf. VIII, Fig. 4, und Taf. X, Fig. 2).

 

 

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Oeffnung B (Tafel III).

 

Nachdem Giefers diese Oeffnung für eine spätere, ebenfalls vom Grafen zur Lippe herrührende Arbeit aus dem 16. Jahrhundert erklärt hat, ist man dieser Ansicht ohne nähere Prüfung beigetreten. Der genannte Autor hat als Grund die obere Begrenzung, die gerade Linie, angeführt. Wie oben bemerkt, bietet die Form in dieser einfachen Behandlung nicht den geringsten Anhalt zu derartigen Schlüssen, da sie sowohl in der heidnischen, wie in der gesammten christlichen Baukunst auftritt. Als zweiten Grund macht Giefers namhaft, dass die Inschrift im Inneren der Grotte, welche im Jahre 1115 eingemeisselt ist, durch die später erfolgte Anlage der Thür zum zerstört sei. Das ist ebenfalls ein Irrthum. Die Inschrift ist, wie im Cap. II erwiesen wird, nie länger gewesen, also hat man durch die Herstellung der Thür die Inschrift in keiner Weise berührt. Zeigt das Vorstehende die Unrichtigkeit der von Giefers geltend gemachten Gründe, so ergiebt Nachstehendes den positiven Beweis dafür, dass die Oeffnung B zugleich mit der Grotte entstanden ist. Sowohl das Aeussere wie das Innere bieten dafür Gründe. Schon der Umstand, dass die in dem Thürgewände befindliche Schwelle um 0,08 Meter ausgetreten ist, spricht für ein hohes Alter der Oeffnung. Aussen an der Felswand sehen wir, diesen Eingang gleichsam umrahmend, drei Gegenstände, welche im Mittelalter geschaffen wurden: über der Thür die Taube (vgl. Cap. III), der Idee nach mit der nebenbefindlichen Kreuzabnahme (Taf. VII) zusammenhängend, an der östlichen Thürkante eine halbkugelförmige Vertiefung, ein Weihwasserbecken -- von Giefers ist dasselbe allerdings übergangen --- und neben der westlichen Thürkante ein Steinmetzzeichen. Es wäre ein wunderbarer Zufall, wenn diese drei Gegenstände in der romanischen Zeit so angeordnet worden wären, dass später im 17. Jahrhundert eine Thür genau in die Fläche zwischen ihnen hineingesetzt werden konnte. Die Taube befindet sich in der senkrechten Axe über der Oeffnung, sollten nun die Bauleute im 17. Jahrhundert, welche doch nur fortifikatorische Zwecke hier verfolgten, diesem Bilde

 

 

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soviel Pietät erwiesen haben, dass sie die Oeffnung genau unter ihm anordneten? Weihwasserbecken ferner finden sich stets am Eingange katholischer Kirchen und Kapellen. Jeden Zweifel über die Entstehungszeit der Thür beseitigt das Aussehen des Innern. Dieser Eingang hat, wie üblich, unten in seiner Gewandung eine Schwelle; da dieselbe so hoch liegt, dass man nicht bequem auf den Fussboden gelangen kann, so wurde eine zweite, in das Innere reichende Schwelle angeordnet (Taf. III, Fig. 2, 3 und 4). Etwas derartiges scheint auch dem Zeichner des Grundrisses in Massmann's Schrift vorgeschwebt zu haben; denn in der Oeffnung B sehen wir mehrere Stufen eingezeichnet, falsch ist jedoch, dass diese Stufen in der Oeffnung eingezeichnet sind, während in Wirklichkeit daselbst sich nur eine findet, eine andere in der Grotte und eine dritte vor der Oeffnung liegt. Die Zeichnung bei Giefers, welche mit der vorgenannten eine auffallende Familien-Verwandtschaft verräth, zeigt dieselben Fehler. Das blosse Vorhandensein einer Schwelle im Innern, welche bei Anlage des Fussbodens entstand, beweist schon, dass eine Thür dazu gehört. Auf die Trittstufen vor der Thür, welche aus dem gewachsenen Felsen gearbeitet sind, wird man kein grosses Gewicht legen, denn diese könnten auch lange nach Fertigstellung der Grotte hergerichtet sein. Die Schwelle im Innern jedoch entstand mit letzterer zugleich, denn sie ist zugleich mit dem Fussboden und zwar durch geringeres Abarbeiten des Gesteins hergestellt. Dieselbe ist aber auch gleichzeitig mit der Thür gefertigt, weil sie sich in die kleine Thürnische, den sogenannten Anschlag an der Westkante, bis an die Schwelle in der Laibung der Thür heran, einschiebt. Da also die innere Stufe gleichzeitig mit der Grotte, dem Fussboden und auch gleichzeitig mit der Thür gearbeitet ist, so gilt dieses auch von der Oeffnung und der Grotte. Die Schwelle im Innern ist nicht aufgelegt, sondern hängt mit dem Fussboden zusammen; dass dieses richtig ist, muss auch Derjenige zugeben, welcher sich durch persönliche Untersuchung nicht überzeugen kann: erstens läge eine bewegliche Schwelle nicht mehr an demselben

 

 

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Platze und zweitens befindet sich in ihr ein viereckiges Loch, mit dem an der Decke correspondirend, für eine senkrechte Holzverriegelung; zu diesem Zwecke musste die Schwelle festliegen.

 

Ueber die christliche Aera hinaus dürfen wir jedoch die Entstehung der Oeffnung nicht setzen. Das Weihwasserbecken und die Taube könnten uns schon davon überzeugen, doch wird man zugeben müssen, dass mitunter heidnischen Werken durch Anbringung christlicher Bilder die christliche Weihe verliehen wurde. Dagegen liefert uns das schon erwähnte Steinmetzzeichen an der westlichen Thürkante den vollgiltigen Beweis hierfür. Dasselbe ist bisher nicht bekannt und publicirt; dass es wirklich ein christliches Steinmetzzeichen ist, wird in Cap. II, 2 gezeigt. Auch die specielle Beziehung desselben zu der Oeffnung B steht ausser allem Zweifel, denn es findet sich ganz in der Nähe der Thürkante eingemeisselt, wie auch anderwärts Steinmetzen stets neben oder in dem Gewände einer Oeffnung ihr Zeichen anbrachten.

 

Das Resultat ist also hier das gleiche wie bei Oeffnung A, die Behauptungen der Forscher, welche sich mit dem Alter dieser Oeffnung beschäftigt haben, sind falsch. Es ist weder eine römische Arbeit, noch eine solche aus dem 17. Jahrhundert, sondern eine mit dem ganzen Bau gleichzeitg entstandene.

 

 

Oeffnung C (Tafel IV).

 

Bisher haben alle Forscher, und hier mit Recht, angenommen, dass diese Oeffnung von den Mönchen im 12. Jahrhundert angelegt sei. Die Beweise, welche angeführt werden, bedürfen jedoch einiger Correctur. Massmann behauptet, dass die beiden Innenkanten der Oeffnung zwei Säulen aufweisen, wie sie die romanische Kunst mit Vorliebe anwandte, auch seine Grundrisszeichnung enthält sie. Diese Säulen oder Rundstäbe sind aber nicht vorhanden, es beweist dieses schon der Umstand, dass die Kanten der Thür nicht bis auf den Boden in gerader Linie herabreichen, sondern unten von Natur aus unterhöhlt sind (Taf. IV, Fig. 2). Diese Stellen und nach aussen zu die Partieen bei x und y zeigen den

 

 

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vom Meissel unberührten Fels, woraus hervorgeht, dass hier eine von der Natur gebildete Oeffnung in's Freie ging, durch welche wohl die Naturhöhlen von aussen wahrgenommen wurden. Die Täuschung ist dadurch hervorgerufen, dass die eine Ecke eine schwache aber unregelmässige Einkerbung zeigt und dass sich in der Kapelle auf der Felsspitze an einer Nische in der That zwei deutliche, die romanische Bauperiode kennzeichnende Wandsäulchen finden. Aber auch ohne diese romanische Bildung bleibt kein Zweifel an der Entstehung der Oeffnung in christlicher und speciell mittelalterlicher Zeit. Der Rundbogen derselben hat keine konstruktive Bedeutung, sondern dient derselben nur zur Zierde; deshalb hat man auch aussen den Felsen vor und über dem Bogen abgeschrägt, damit sich letzterer in seiner vollen Wirkung präsentire. Nun ist der Bogen zwar exakt und sauber hergestellt, aber ohne jede weitere Durchbildung. Wenn nun Römer, die in ihrer Heimath und auch auf fremdem Boden mustergiltige Dekorationen an allen ihren Bauten ausführten, eine Oeffnung verzieren wollten, so hätten sie sich sicher nicht mit einem nackten Halbkreise begnügt, sondern denselben wie anderwärts profilirt und im Gewände ein deutlich ausgeprägtes Kämpferkapitäl angeordnet. Bei den westfälischen Bauten der Mönche des 12. Jahrhunderts ist solche Einfachheit, wie z. B. die Klosterkirche zu Abdinghof in Paderborn, in deren Besitz die Steine waren, bezeugt, häufig anzutreffen. Eine schwache Andeutung eines Kapitäls findet sich in dem Gewände zwar vor, es ist aber so roh, dass der Typus desselben nur bei eingehender Untersuchung erkannt werden kann (vgl. Taf. IV, Fig. 1, 2 und 3). Es ist eine Platte und darunter eine Schräge (Schmiege) beabsichtigt, das sind die Bestandtheile des einfachen romanischen Pfeilerkapitäls.

 

Wenn auch bisher Niemand den christlichen Ursprung dieser Oeffnung bezweifelt hat, so erschien es doch nothwendig, positive Beweise hierfür beizubringen, um die zu Anfang aufgestellte Behauptung, dass sämmtliche Eingänge christliche Arbeiten wären, unabhängig von den Ansichten

 

 

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Anderer zu erweisen, denn wenn die letzteren in diesem Falle auch mit vorliegender Untersuchung übereinstimmten, so war ein Irrthum nicht ausgeschlossen , zumal die von jenen angeführten Gründe nicht correct sind. So ist es auch nicht richtig, diese Oeffnung für ein Fenster des einst hier wohnenden Mönches zu erklären, wie es Massmann und Schierenberg gethan. Die Annahme, welche man für diesen Fall machen musste, dass nämlich der untere Theil der Oeffnung durch Holz- oder Fachwerk geschlossen war, ist zu gezwungen. Ausserdem zeigt der in ganzer Thürbreite sich befindende, etwas hohe Sockel zwei schmale, aber sehr ausgetretene und abgeschliffene Stufen, welche sicher keine spätere Zuthat sind. Was Giefers von diesen Stufen in Verbindung mit dem event. einst höher reichenden Erdboden sagen will, ist aus der betreffenden Stelle nicht verständlich.

 

 

Oeffnung D (Tafel V, Fig. 1, 2, 3 und 4).

 

Diese Oeffnung bildet jetzt zwar keinen Eingang, sondern ein Fenster, da sie innen nicht bis zum Boden herabreicht und aussen vom Vorterrain nicht zugänglich ist, aber Schierenberg hat behauptet, dass sie, wie auch die folgende Oeffnung E, einst zugänglich war und dass sie von den Römern als nördlicher Eingang in den Mithrastempel begonnen, aber nicht fertig gestellt sei, weil letztere von den Germanen in der Varusschlacht von hier vertrieben wurden. Das sind jedoch vage, durch nichts begründete Behauptungen. Erstens ist die Oeffnung mit Absicht nicht bis zum Fussboden geführt worden, denn dieser untere Steinsockel findet sich bei jedem Fenster und wird mit „Brüstung“ bezeichnet, auch zeigt die Laibungsfläche des Bogens kleine Löcher, welche von dem Eisenwerk herrühren, denn hier hat das „glaseuenstere“ gesessen, dessen die Urkunde vom Jahre 1469 erwähnt, nicht in der Oeffnung C, wie Schierenberg glaubt. Zweitens hat die Terrainveränderung, welche dieser Autor annehmen muss, um es erklärlich zu machen, dass man hier einen Eingang anlegen wollte, nicht stattgefunden. Wir sehen jetzt den Erdboden einige Meter östlich der Oeffnung

 

 

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zu fallen beginnen, so dass derselbe an der Oeffnung selbst etwa 2 Meter tiefer liegt als der Fussboden in der Grotte, mithin ein Zutritt zu der letzteren, auch wenn die Oeffnung bis zum inneren Fussboden herabgeführt würde, nicht möglich ist. Daher hat Schierenberg behauptet, der äussere Fussboden habe sich früher in gleicher Höhe wie an den vorgenannten Oeffnungen nach Westen zu fortgesetzt, so dass Oeffnung D und E zur Zeit der römischen Herrschaſt direct zugänglich waren; der Bach, welcher den Fuss des Felsens bespült, habe im Laufe der Zeit das Erdreich fortgerissen und die jetzt vorhandene steile Böschung verursacht. Es sei, so berichtet derselbe, ihm und seinen Altersgenossen wohl erinnerlich, dass sie in die Oeffnung D von der Erde aus direct hineingestiegen wären. Doch hierin täuschen sich Schierenberg und seine Altersgenossen. Sowohl die Zeichnung bei Fürstenberg (Monumenta Paderbornensia) als auch der Stich in der Bibliothek zu Detmold aus dem 17. Jahrhundert zeigen beide übereinstimmend die Localit genau in demselben Zustande, in dem wir sie heute erblicken. Die letztgenannte Abbildung (vgl. Taf. X, Fig. 1) lässt erkennen, dass sowohl Oeffnung D als auch E ohne Leitern nicht zu erreichen waren.

 

Aber auch schon im 12. Jahrhundert ist Oeffnung D ebensoweit vom Terrain entfernt gewesen wie heute, das geht aus einer von den Mönchen stammenden Einrichtung hervor. Im Innern des Raumes III fand ich bei Untersuchung der Grotte am Fussboden in der Nähe des Fensters eine bisher unbekannte, halbkugelförmige Vertiefung; von derselben geht durch die nördliche Felsenwand eine Röhre nach aussen, hier als ein kleines Loch sichtbar -- das Ganze bildete den Küchenausguss des Mönches, der hier sein Logis genommen hatte. An der äusseren Felsenfläche erkennen wir, dass sehr viel Wasser hindurchgeflossen sein muss, denn von diesem Loche abwärts ist der Stein durch herabfliessendes Wasser so glatt geschliffen, dass nicht das kleinste Moospflänzchen Wurzel zu fassen vermocht hat, während der Fels dicht daneben mit einer Moosschicht überzogen ist (vgl. Taf. V, Fig. 1).

 

 

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Diese Partie des Steines ist gewiss vielen Besuchern durch die abweichende Farbe aufgefallen, ohne dass sie die Ursache erkannten. Die Leitung muss lange Zeit functionirt haben, da nur eine grosse Wassermenge den Stein derartig glätten konnte, daher kann sie auch nur von den Mönchen angelegt sein, denn ausser diesen hat hier Niemand längere Zeit gewohnt. Wenn nun Wasser seine abschleifende Kraft äussern soll, so darf ihm nicht Gelegenheit geboten sein, sich nach dem Austritte sogleich in das Erdreich einziehen zu können, sondern es muss ſrei und unbehindert längs dem Gestein herabfliessen. Das konnte es jedoch nicht, wenn der Erdboden dasselbe bis an die Röhre, also bis zur Höhe des inneren Fussbodens deckte, an sie ganz herantrat. Also muss sich das Terrain schon im 12. Jahrhundert im selben Zustande wie heute befunden haben, und es liegt kein Grund vor, anzunehmen, dass derselbe zur Zeit, als die Römer in diesen Gegenden sich aufhielten, ein anderer war, bei dem jetzigen Localitätsverhältnisse aber -- und das hat auch Schierenberg zugeben müssen -- kann man keinen Eingang anbringen.

 

 

Oeffnung E und Raum IV (Taf. V, Fig. 1, 5, 6 und 7).

 

Dasselbe, was von der vorigen Oeffnung gilt, findet auch auf diese Anwendung. Der Boden vor ihr kann früher nicht, wie Schierenberg ebenfalls behauptet hat, so hoch heraufgereicht haben, dass ein directer Zugang möglich war und von den Römern als zweiter Nordeingang angelegt sein. Denn die horizontale Entfernung dieser Oeffnung von dem Vorterrain ist in Folge des abschüssigen Bodens noch grösser als bei der vorerwähnten Oeffnung D; dieselbe beträgt zur Zeit 9 Meter.

 

Somit ist als Resultat zu verzeichnen, dass Sämmtliche jetzt als Eingänge benutzbare Oeffnungen von christlichen Werkleuten herrühren und dass die beiden andern, die sich übrigens in keiner Weise von jenen unterscheiden, niemals als Eingänge gedient haben können. Hieraus ergiebt sich dann die Antwort der zur Lösung gestellten Frage, ob die

 

 

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Grotten von heidnischen Arbeitern, den Römern, oder von christlichen hergestellt sind, dass es entschieden eine christliche Arbeit ist, weil die Eingänge erst in christlicher Zeit entstanden und ohne solche das Innere früher nicht hergestellt werden konnte. Es sei noch zum Schlusse bemerkt, dass bei eingehendster Untersuchung aller Meisselarbeiten nicht das Geringste gefunden wurde, welches im entferntesten das Gepräge römischer Herkunft trüge. Es hat dieses zwar schon Giefers erwähnt, derselbe hat aber manches andere behauptet, was sich nicht als richtig erwiesen hat.

 

Da sich in sämmtlichen bisherigen Abhandlungen über diesen Gegenstand Irrthümer finden, so dürfte vorstehende sehr detaillirte Untersuchung auch den Lesern nicht überflüssig scheinen, welche schon früher die Ueberzeugung hatten, dass die Ansicht der Forscher, welche alle Arbeiten an den Steinen für christliche erklären, die allein richtige ist. Auch das Eingehen auf die mitunter etwas kühnen Ausführungen von Schierenberg waren nothwendig, denn dieselben haben, auf umfangreichen Sprach- und Literaturstudien basirend, selbst bei Forschern Anklang gefunden, welche die Externsteine aus eigener Anschauung kennen, was sich daraus erklärt, dass jene Ausführungen, in denen diese Gegend als Schauplatz und die hier stattgefundenen Kämpfe gegen die Römer als historischer Hintergrund für die Sagen der Edda und des Nibelungenliedes erklärt werden, die patriotischen Gefühle vieler Leser sehr sympathisch berühren. Es liegt aber ausser der Grenze dieser Abhandlung, zu untersuchen, bis zu welchem Grade die Hypothesen Schierenberg's auf dem idealen Gebiet der Sprach- und Sagenforschung zutreffend sind, es genügt hier festzustellen, dass auf dem realen Gebiete, soweit namentlich die in Stein ausgeführten Arbeiten in Betracht kommen, eine Stütze für jene Hypothesen nicht zu finden ist.

 

Auf Grund des obigen Resultates, dass die Grotten christlichen Ursprunges sind, gelangt man zu dem Schlusse, dass sie kirchlichen Zwecken gedient haben. Das bezeugen die Skulpturen, die Kreuzabnahme, das Reliefbild des Apostels

 

 

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Petrus und die Taube, das Symbol des heiligen Geistes. Dagegen ist es schwer, die Bedeutung der verschiedenen Räume zu erkennen, da sich zur Bestimmung keinerlei Anhaltspunkte finden. Bezüglich der ganzen Anlage ist als auffallend zu erwähnen, dass drei Eingänge vorhanden sind, aber dieser Umstand berechtigt noch nicht zu der von Giefers aufgestellten Behauptung, dass deshalb einige derselben erst im 17. Jahrhundert angelegt seien. Raum I wird von Clostermeier und Giefers für die Nachbildung des Grabes Christi gehalten. Wenn nun hiergegen Bedenken geltend gemacht werden können, namentlich das Vorhandensein eines zweiten Grabes am Bache, so spricht dafür der Umstand, dass an der Nordwand dieses Raumes die Kreuzabnahme ausgemeisselt ist. Raum II wurde ohne Zweifel zum Gottesdienst benutzt, das besagt wohl das Weihwasserbecken neben Eingang B. Raum III bildete die Wohnung des Eremiten, wie aus der beschriebenen Röhrenleitung und den Wandnischen hervorgeht. Am schwierigsten ist der von diesen Anlagen getrennte Raum IV zu erklären. Abbildung und Beschreibung desselben sind bisher nicht publicirt, und die ausgesprochenen Vermuthungen über die einstige Bestimmung desselben sind ohne Werth. Giefers glaubte, es habe hier eine Statue gestanden. Jedoch hat der Raum die für diesen Zweck ganz unbrauchbare Tiefe von 1,4 Metern, einer Statue giebt man zum Hintergrund eine halbkreisförmige Nische, dann aber hätte man nicht eine Statue, sondern auch hier wie bei den anderen Darstellungen ein Flachrelief gewählt. Da die Urkunde vom Jahre 1366 berichtet, dass die Kapelle ein reclusorium war, ein Ort, in dem die Bewohner in allerstrengster Zurückgezogenheit, ohne ihn jemals zu verlassen, lebten, so kann der Raum benutzt worden sein, um ein solches Leben, den Blick auf das gerade darunter liegende Grab Christi gerichtet, zu führen.

 

Um nun die Entstehungszeit der Grotten präciser festzustellen, wird man die Skulpturen und die Inschrift berücksichtigen müssen, daher soll der Versuch erst nach Behandlung dieser gemacht werden.

 

 

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2. Das Grab Christi.

(Tafel I, Fig. 1 und 2, Tafel VI, Fig. 2).

 

Unten am Bache, wo der Erdboden vor dem Felsen steil abfällt, ist eine halbkreisförmige Nische, auf einem Sockel stehend, und in letzterem die Form des menschlichen Körpers vertieft ausgemeisselt. Die Erklärung von Giefers, dass sich hier hinein die Gläubigen zum Zeichen der Verehrung Christi, namentlich als Ersatz einer Pilgerfahrt, legten, dürfte die einzig richtige sein. Die drei Löcher an der hinteren Wand dienten der Hand beim Niederlegen und Erheben als Stützpunkt. Aus welchem Grunde Schierenberg diese Erklärung bezweifelt, ist nicht recht ersichtlich. Seine Bemerkung, er habe in Aegypten ähnliche Grabeshöhlen gesehen und das Grab an den Externsteinen gleiche einem Mumienkasten, kann, wenn dadurch ausgedrückt werden soll, dass auch in diesem Grabe einst eine Person bestattet gewesen sein könne, die Richtigkeit der obigen Erklärung nicht beeinträchtigen. Steinsärge – allerdings als bewegliche Gegenstände --, welche genau die menschliche Figur im Innern zeigen, findet man sogar in Deutschland (vgl. Otte, Handbuch der christlichen Kunstarchäologie des deutschen Mittelalters), aber in dem Grabe an den Externsteinen ist nie eine Person bestattet worden, denn die darüber befindliche Rundbogennische, welche nur angelegt ist, um gesehen zu werden, hätte im anderen Falle keinen Zweck gehabt, da sie durch irgend welchen Verschluss dem Auge entzogen worden wäre. Es fehlt ferner jedes Anzeichen, dass eine Verschlussplatte angebracht gewesen sei (Befestigungslöcher), was selbst für den Fall, dass Erdreich das Ganze deckte, nothwendig war. Durch den Erdboden ist das Grab nie vollständig eingehüllt gewesen, da sich das Terrain, wie oben nachgewiesen, seit dem 12. Jahrhundert in keiner Weise geändert hat. Wir wissen aber, dass im Mittelalter in zahlreichen Kirchen Nachbildungen des heiligen Grabes aufbewahrt wurden.

 

 

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3. Die obere Kapelle.

(Tafel VI, Fig. 1).

 

An jenen Felsen, in welchem die eben beschriebenen Grotten sich befinden, schliesst sich nach Osten zu ein zweiter an, welcher auf seiner Spitze eine Kapelle trägt. Diese Kapelle ist mehr als die unteren Arbeiten durch Witterungseinflüsse und rohe Besucher zerstört worden. Eine eingehende Beschreibung, welche nur geringer Verbesserung bedarf, findet sich bei Massmann und Giefers.

 

Die Kapelle wird durch drei, zum Theil sehr starke Felswände gebildet, die vierte, die Ostwand, ist vielleicht früher auch vorhanden gewesen. Die Decke wurde zur Zeit, als man den Raum benutzte, durch Balkenwerk hergestellt, was sich aus den Löchern in den Wänden ergiebt. In der Nordwand steht ein Altar, aus dem gewachsenen Fels gemeisselt, und von einer Halbkreis-Niscche umgeben. Die Westwand hat ein Rundbogenfenster und in der Südwand ist eine Nische von 75 Centimeter Breite angebracht. Dieselbe kann wegen der geringen Dimension nur zum Aufbewahren von kirchlichen Geräthen gedient haben, was auch ein noch vorhandenes Eisenband, welches einer Verschlussthür angehörte, beweist. Daher ist die Ansicht von Giefers, hier sei die Sakristei gewesen, nicht zutreffend. Die Kapelle steht auf der Spitze eines schroff aufsteigenden, isolirten Felsens, der Zugang konnte nur durch eine Brücke von dem Nachbarfelsen vermittelt werden, wie es auch jetzt geschieht. Die Entfernung vom Erdboden beträgt 22 Meter. Jedem Beschauer muss sich die Frage aufdrängen, welchen Beweggrund haben die Mönche gehabt, hoch oben auf zerklüſteter Felsspitze mit Lebensgefahr einen solchen Bau aufzuführen. Giefers sucht es durch den in damaliger Zeit herrschenden Drang nach Abenteuern und Wagnissen zu erklären, jedoch haben zu diesem Bau auf einem Felsen, den der letztere treffend „thurmartig“ nennt, andere Motive Veranlassung gegeben. Wir finden in der Baukunst Ausführungen, deren erstes Auftreten durch die Idee veranlasst wurde, geweihte

 

 

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Stätten und Gräber durch thurmartige Aufbauten auszuzeichnen. Die von Weingärtner (System des christlichen Thurmbaues) über dieses Thema entwickelten Ansichten dürften hier ihre Bestätigung finden. Derselbe weist nach, dass die kuhschellenartigen, geschmiedeten, kleinen Glocken in alter Zeit nicht jener mächtigen Thurmbauten und vor allem nicht der Doppelthürme bedurften, dass der Zweck der letztern also nicht darin allein bestanden haben kann, die ersteren aufzunehmen. Dass die ältesten Bauten in hochaufstrebender Thurmform mit Gräbern in Beziehung stehen, erkennen wir daraus, dass über dem Altar, dem symbolischen Grabe Christi, sich die Chorthürme, die Vierungsthürme und Kuppeln erheben, dass die Sakramentshäuschen, die symbolischen Gräber des Leibes Christi, fast durchweg hochaufstrebend gebildet sind, dass ferner die Gräber auf Diptychen, welche uns über die ältesten Formen unterrichten, in Thurmgestalt dargestellt wurden und dass schliesslich die thurmartigen Doppelkapellen als Begräbnissstätten gedient haben. Letztere sind oft mit den Symbolen der Unsterblichkeit, z. B. dem Pfau, der sich auch auf dem grossen Relief, der Kreuzabnahme am unteren Theile findet, geschmückt. Häufig wurden in den Vorhallen der Kirchthürme hochstehende Personen bestattet und im Zusammenhange hiermit Kapellen in den Stockwerken der Thürme angelegt. Dieser allen derartigen Ausführungen bei ihrem ersten Entstehen zu Grunde liegende Gedanke, der allerdings bei den Thurmbauten in späterer Zeit dem Bewusstsein der Baumeister entschwunden war, leitete noch die Erbauer der auf dem schwindelnden Gipfel der Externsteine thronenden Kapelle. Unten im Thale liegt das Grab Christi, in den Fels gehauen, wie die heilige Schrift es schildert, darüber birgt der Stein dem Gottesdienste geweihte Räume, ein Bild, wie es am Altar sich den Gläubigen zur Verehrung darbietet, predigt auch hier den leiblichen Tod und die Unsterblichkeit des Erlösers wie der sündigen Menschen -- und diese Grabesstätte krönt auf thurmartigem Fels die Kapelle.

 

 

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II. Inschriften und Zeichen.

 

In den bisherigen Untersuchungen findet nur die Weiheinschrift im Innern der Grotte Erwähnung; daraus geht hervor, dass die beiden anderen Zeichen, welche sich am unteren Felsen vorfinden, nicht bekannt sind. Es sind dies ein Steinmetzzeichen an der Aussenwand neben der Oeffnung B und ein anderes einer Ruine ähnliches Zeichen im Raume III.

 

1. Die Weiheinschrift.

(Tafel VIII, Fig. 1, auch Tafel I, Fig. 3 und Tafel III, Fig. 2).

 

Diese Inschrift ist oft abgebildet, beschrieben und erklärt worden, aber niemals genau und richtig. Dieselbe befindet sich an der Nordwand im Innern des Raumes II in einer Höhe von 1,9 Metern, mit ihrem Ende an die Kante der Oeffnung B anstossend. Nachdem Giefers sich dahin geäussert, dass der Schluss der ersten Reihe durch die spätere Anlage der Thür zerstört worden sei und dass die zerstörten Worte in die zweite und dritte Reihe gesetzt wurden, hat man diese Erklärung allgemein als richtig angenommen. In vorigem Kapitel ist nun erwiesen, das diese Thür nicht später, sondern gleichzeitig mit der Grotte entstand; es folgt daraus, dass die Inschrift nicht zerstört sein kann. Es soll jedoch unabhängig hiervon nachgewiesen werden, dass die erste Reihe der letzteren nie länger gewesen ist und dass auch die Worte der zweiten und dritten Reihe nicht später heruntergesetzt wurden, damit wäre die gegenseitige Probe für die Richtigkeit beider Nachweise geliefert. Alle bisherigen Abschriften sind unvollständig. So bilden weder Giefers noch Schierenberg die zum Theil punktirten Linien unter den Buchstaben ab. Massmann hat sich mit den beiden oberen begnügt und ihnen fälschlich eine horizontale Lage gegeben, während am Original unter sämmtlichen drei Reihen Linien vorhanden sind, welche sich gleichförmig an der rechten Seite etwas nach unten zu neigen. Unrichtig ist ferner bei letzterem das „L“ hinter dem K, dort steht ein Kreuz, und schliesslich ist die Stelle der Buchstaben „E.T.H TARP“

 

 

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unrichtig. Dieselben befinden sich nicht in dritter, sondern in zweiter Reihe, wie auch Schierenberg und Giefers (letzterer erst in zweiter Auflage) richtig wiedergeben. Zu Anfang der Reihe steht ein Anfangskreuz und am Schlusse desselben das entsprechende Schlusskreuz. Das erstere bringen alle Abschriften, das letztere keine. Massmann hielt dasselbe für ein L, nur der Zeichner der Inschrift in der Abhandlung von Giefers hat es ganz schüchtern angedeutet, während es der Autor nicht sah. Dieses Schlusskreuz ist bis auf den rechten Arm, welcher in Folge Beschädigung der angrenzenden scharfen Thürkante etwas verwischt ist, unversehrt und deutlich zu erkennen. Wäre es ein Buchstabe, so stände hinter dem K ein Punkt, der zur Trennung der anderen Worte Anwendung gefunden hat. Es ist nun bekannt, dass Inschriften, z. B. auf Glocken, mit einem Kreuz beginnen und einem solchen schliessen. Das Schlusskreuz steht oft schon nach einem Theil der Inschrift, z. B. nach dem Ave Maria Gratia Plena Dominus Tecum †, worauf dann die Namen der Donatoren, Geistlichen, Glockengiesser u. A. folgen. Etwas Aehnliches findet sich auch hier, die erste Reihe wurde von den übrigen durch Kreuze getrennt:

 

† ANNO. AB. INC. DNI. MC. XV. IIII. K

 

Wie man sieht, fehlt der Name des Monats hinter dem K. Dieses Fehlen ist für Giefers ein Grund dafür, dass die erste Reihe zerstört sei und dass früher der Name und noch andere Worte in derselben gestanden hätten! Nun ist es aber doch ganz undenkbar, dass man den Monatsnamen, der mit der übrigen Zeitangabe enge zusammenhängt, durch das Schlusskreuz -- denn er kann nur rechts von demselben gestanden haben – trennte und diesen ersten Theil der Inschrift ohne jeden Grund zerriss. Wenn aber hinter dem Kreuze dieser Name nicht gestanden hat und zerstört worden ist, so ist zu der Annahme, es seien hier mehrere Worte zerstört, nicht der geringste Anlass vorhanden. Die weitere Erklärung von Giefers, dass der zerstörte Theil in die zweite und dritte Reihe nach

 

 

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der Zerstörung gesetzt worden sei, ist ebenso unhaltbar. Die Bauleute des 17. Jahrhunderts, welche Giefers im Auge hat, würden, wenn sie sich der Mühe unterzogen, die zerstörten Worte wiederzugeben, dieselben deutlich eingeschnitten haben, die letzten Buchstaben in der zweiten Reihe sind aber kaum zu entziffern. Dagegen würden sie nicht die vorgezogene Linie der ersten Reihe, am wenigsten aber das allmälige Fallen derselben sowie der Buchstaben nachgeahmt haben.

 

Diese Uebereinstimmung in der Neigung der drei Linien und Worte beweist, dass sämmtliche drei Reihen zugleich eingeschnitten worden sind, und widerlegt auch die von Schierenberg geäusserte Vermuthung, dass die beiden untern Reihen von Besuchern herstammen könnten. Gegen Letzteres spricht ausserdem noch, dass die Entfernung der Inschrift vom Fussboden 1,92 Meter beträgt (vgl. Taf. III, Fig. 2), in welcher Höhe man nicht einmal bei besonderer Körperlänge bequem Worte einschneiden kann, so dass die Besucher zweifellos die darunter befindliche, sehr Sauber geglättete Wandfläche zu diesem Zweck benutzt haben würden. Diese Wand ist ferner, da in ihr die Lichtöffnungen liegen, dunkler als die anderen, Besucher pflegen sich aber nur an hellen Stellen zu verewigen, daher zeigt diese Wand nirgend einen Namen. Schliesslich unterscheiden sich die ganz feinen, zum Theil nur schwach eingeritzten Buchstaben der beiden unteren Reihen wesentlich von breiten und tiefen, die Besucher einschneiden. Diese Buchstaben sind nicht, wie behauptet worden, verwischt oder verwittert, sondern sie sind mit einem sehr scharfen Instrument nur vorgezeichnet, um später vertieft zu werden, gleich den deutlichen der ersten Reihe. Hierdurch lässt sich vielleicht auch das Fehlen des Monatsnamens hinter dem K erklären. Derselbe sollte, da er in erster Reihe nicht mehr Platz fand, denn das Schlusskreuz stiess schon an die Thürkante, später darunter ausgeführt werden, es unterblieb dann die weitere Ausarbeitung der beiden Reihen und somit auch die des Monatsnamens. Ein solches Heruntersetzen eines Wort vor allem, wenn es durch Mangel an Platz erforderlich ist, findet sich häufig bei Inschriften.

 

 

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Von der Inschrift sind nur folgende Worte deutlich zu erkennen:

 

† ANNO . AB. INC. DNI . MC. XV. IIII. K
DEDIc TVM T.H °C ARTARPRV
HEINRICO

 

Alle anderen Buchstaben, welche sich in den verschiedenen Abbildungen finden, sind in Wirklichkeit nicht vorhanden. Der Irrthum ist dadurch entstanden, dass die Striche, welche von dem die Wand glättenden Instrument herrühren, Buchstaben gleichen, sie unterscheiden sich jedoch durch geringere Schärfe. Die eigenthümliche Form . . „ARTARPRV“. . für das üblichere Patarprunensis lässt sich dadurch erklären, dass eine einheitliche Schreibweise für den Namen Paderborn nicht existirte; die Urkunden zeigen Padibornensi, patherbrunnensis, Patherburnensi etc.

 

 

2. Das Steinmetzzeichen.

(Tafel I, Fig. 1 u. 3, Tafel III, Fig. 1, und Tafel VIII, Fig. 2).

 

An der nördlichen Aussenwand in der Nähe der Oeffnung B befindet sich ein Zeichen, das, wie erwähnt worden, bisher nicht bekannt war. Das Zeichen ist nicht in neuerer Zeit angebracht, denn erstens ist es stark verwittert und ferner finden sich an dieser unebnen Wand keine Namen eingeschnitten. Auch von den Werkleuten, welche hier im 17. Jahrundert im Auftrage des Grafen zur Lippe Befestigungen errichteten, kann es nicht herrühren, weil von jenen, wie oben bewiesen, am Felsen selbst keine Arbeit ausgeführt wurde, vor Allem nicht die Thür B, an der sich das Zeichen befindet, mithin für dieselben also auch keine Veranlassung vorlag, ein Steinmetzzeichen anzubringen. Ausserdem weicht das Zeichen an den Externsteinen bedeutend von denjenigen der späteren Zeit ab. Während die Steinmetzzeichen aus dem 16. und 17. Jahrhundert 4 bis 5 Centimeter lang und sehr scharf eingemeisselt sind, hat das erstere eine Länge von 11 Centimetern und eine Breite von 11½ Centimetern und ist in unregelmässigen Vertiefungen breit ausgearbeitet, den übrigen unförmlichen baulichen Arbeiten entsprechend.

 

 

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An der Bedeutung als Steinmetzzeichen kann nicht gezweifelt werden, denn wenn dieselben auch zu so früher Zeit nur vereinzelt auftreten, so finden sie sich doch schon an noch früheren Bauten, z. B. am Kaiserpalast zu Gelnhausen und am Dom zu Mainz. Ferner ist die Form des vorliegenden Zeichens eine so charakteristische und in der folgenden Zeit mit geringen Variationen so häufig wiederkehrende, dass es dieselbe Bedeutung wie die Zeichen der späteren Zeit gehabt haben muss. In den publicirten Sammlungen von Steinmetzzeichen tritt dieser Typus am häufigsten auf (vgl. Taf. XIII, Fig. 8).

 

Es könnte nun versucht werden, gleich wie bei der baugeschichtlichen Forschung anderer Werke, dasselbe Steinmetzzeichen an sicher datirten Bauten der Umgegend zu suchen, um so den Ursprung der Anlagen an den Externsteinen festzustellen, doch finden sich Reste aus so früher Zeit in der Umgegend und namentlich dort, wo ein Suchen wohl allein Erfolg haben könnte, in Paderborn, nicht mehr vor. Die im 11. Jahrhundert entstandene Kirche des Klosters Abdinghof daselbst, in dessen Besitz sich die Steine zu jener Zeit befanden, ist neuerdings einer durchgreifenden Restauration unterzogen worden, und an den ersichtlich aus alter Zeit stammenden Bautheilen ist ein Steinmetzzeichen nicht vorhanden.

 

 

3. Das Runen-Zeichen.

(Taf. VIII, Fig. 3).

 

Dieses Zeichen wird nicht ganz übergangen werden können, weil mehrere Umstände dafür sprechen, dass es so alt wie die Grotte, wenn nicht älter ist. Dasselbe befindet sich in Raum III an der Westwand in der Nähe des Fensters (Taf. I, Fig. 3 bei β). Es ist an einer vom Meissel unberührten Stelle angebracht, welche sich als eine muschelförmige Naturbildung, als der Rest der einstigen Höhle, erweist. Da die Naturhöhlen stets mit dem Aeussern in Verbindung standen, ist es nicht absolut ausgeschlossen, dass dieses Zeichen schon von den heidnischen Germanen angebracht ist. Denn erstens ist es nicht von Besuchern gemacht, weil es die ungewöhnliche

 

 

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Länge von 39 Centimetern hat, weil es aus einzelnen, wohl durch ein dem „Dorn“ ähnliches Instrument hervorgebrachten, kleinen Vertiefungen besteht und weil in diesem Raume keine Namen oder Zeichen von Besuchern eingeschnitten sind; ferner lässt sich nicht annehmen, dass die Mönche im 12. Jahrhundert ein derartiges, in der christlichen Symbolik unbekanntes Zeichen gebraucht hätten, und schlieslich hat dasselbe einige Aehnlichkeit mit dem letzten Buchstaben der Runen-Inschrift auf einem in Jütland gefundenen, früher im Besitze des Prinzen Friedrich Karl von Preussen befindlichen Steine:

 

Bild: Runen-Inschrift

 

 

III. Skulptur.

 

Die Skulpturen finden sich, wie schon im vorigen Abschnitt beschrieben, an den Felswänden, welche die Grotten umgeben. An der Ostseite ist eine männliche Gestalt aus dem Felsen erhaben gemeisselt. Die Nordseite zeigt über der Oeffnung B das Basrelief eines Vogels und das berühmte Hauptrelief, die Abnahme Christi vom Kreuze. Dieses letztere Bild hat den ganzen Anlagen und der Gegend die Bekanntschaft in den weitesten Kreisen verschafft und zum Theil die zahlreichen Schriften der Kunst- und Alterthumsforscher hervorgerufen, da es die bedeutendste Schöpfung der Skulptur ist, welche Deutschland aus so früher Zeit aufzuweisen hat. Trotz jener mannigfachen Monographieen und Abhandlungen in sämmtlichen kunstgeschichtlichen Handbüchern ist dieses Bild jedoch bisher nicht in allen Theilen richtig erkannt, abgebildet und erklärt worden. Daher ist eine abermalige Behandlung desselben durchaus gerechtfertigt. Auch die Darstellungen und Erklärungen der beiden anderen Bildwerke bedürfen einiger Correcturen, welche weniger des Kunstwerthes, als vielmehr des Zusammenhanges wegen mit den übrigen Arbeiten nothwendig erscheinen.

 

 

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1. Das grosse Relief.

(Tafel VI).

 

Beschreibung.

Durch ein hervortretendes Steingesims geschieden, zerfällt dieses grosse Bild in zwei Theile, einen unteren kleineren und einen oberen grösseren.

 

a. Die untere Abtheilung (Taf. VIII, Fig. 4)

Da dieser Theil des Bildwerkes durch Witterung und Menschenhand mehr gelitten hat als der obere, durch den Künstler auch absichtlich roher behandelt ist, so hat er in früherer Zeit zu den wunderlichsten Deutungen Anlass gegeben. Die Erklärungen als ringende oder keulentragende Männer u. s. w. haben keine Bedeutung mehr, sie sind überholt durch die Untersuchungen von Massmann und Giefers. Es ist festgestellt, dass das Bild vor allem ein knieendes Menschenpaar mit erhobenen Armen darstellt. Ich habe früher die Ansicht von Schierenberg acceptirt, dass die beiden Menschen die Arme nicht erheben, da die Frau die betreffende (linke) Hand um den Hals zum Schutze gegen den Druck der Schlange, welche Sie umwindet, lege. Eine genaue Untersuchung aber hat ergeben, dass diese Annahme falsch ist, gleichzeitig auch den Grund der optischen Täuschung klargelegt. Der Künstler hat die erhobenen Hände der Knieenden sehr flach und roh gearbeitet -- einzelne Finger sind nicht angedeutet, die Zeichnung v. Bandel's, welche sich in Massmann's Abhandlung findet (vgl. Taf. X, Fig. 2) verbessert durch die genaue Behandlung der Finger das Original --, ferner wird das richtige Erkennen durch die ungünstige Beleuchtung des Bildwerkes, welches, weil nach Norden gelegen, jeder Schattenwirkung entbehrt, sehr erschwert, wer aber Gelegenheit hat, diese Partie eingehend an Ort und Stelle zu prüfen, wird nicht im Zweifel sein, dass die beiden Menschen die Arme erheben. Um den Hals der Frau legen sich nicht vier Finger, sondern es umschliesst denselben eine Binde. Diese zeigt vier Falten, welche Fingern gleichen, umsomehr als sich in die Vertiefungen derselben am Nacken

 

 

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Moos gesetzt hat, in Folge dessen sie nur bis zum Ohre zu reichen und der Länge menschlicher Finger zu entsprechen scheinen. Durch Entfernung dieses Mooses wird es zweifellos, dass die Falten den ganzen Hals umspannen, was die Finger einer menschlichen Hand nicht vermögen; ausserdem bemerken wir am Halse der Maria im oberen Bilde eine ganz gleiche Binde.

 

Demnach ist die Ansicht von Schierenberg, die Frau lege die linke Hand um den Hals und der Gegenstand, den man für die erhobenen Arme der Menschen halte, bedeute Schwanzfedern eines in der Mitte des Bildes stehenden Vogels, unrichtig. Diese Darstellung knieender Menschen mit erhobenen Händen unter und neben dem Crucifixe ist in der altchristlichen Kunst nichts Ungewöhnliches, und wir können sie nicht, wie Massmann und Giefers glauben, für eine Original-Idee des Verfertigers unseres Reliefs halten. Eine eingehendere Behandlung dieser Figuren unter dem Kreuze, welche sich aus den der Antike entnommenen Personifikationen allmälig entwickeln, möge am Schlusse dieses Kapitels Platz finden, hier genüge festzustellen, dass namentlich auf Diptychen derartige knieende und die Arme erhebende Gestalten unter und neben dem Kreuze fast zur Regel geworden sind. Die Elfenbeintafel im Museum zu Darmstadt zeigt unter dem Kreuze Adam, sich aus dem Grabe erhebend und den Arm emporstreckend (Taf. XIII, Fig. 3), vgl. Pieper ev. Kalender 1881; auf anderen Diptychen knieen Heilige, welche nach der h. Schrift in dem Moment der Kreuzigung erstanden (Taf. XIII, Fig. 2 u. 4), auch weiset das Crucifix zu Wechselburg unter den Füssen von Maria und Johannes zwei knieende Gestalten mit erhobenem Arm auf (Taf. XV, Fig. 1).

 

In den Abhandlungen über die Externsteine von Massmann und Giefers wird auf dem unteren Bilde ausser dem Menschenpaar nur ein Wesen, ein „gewaltiger Schlangendrache*“, erwähnt. Diese Erklärung ist in sämmtliche kunstgeschichtlichen Werke übergegangen. Die Abbildungen, von denen nur diejenige, welche v. Bandel gezeichnet hat und bei Massmann veröffentlicht ist (Taf. X, Fig. 2), in Betracht kommt, weil sie den Urtypus aller späteren Zeichnungen bildet, sind der

 

 

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obigen Auffassung entsprechend gearbeitet. Ich bin der Ansicht, dass diese Auffassung falsch ist, und sehe in dem unteren Bilde ausser den Menschen noch zwei Wesen: eine Schlange und einen Vogel. Diesen Vogel hat wohl zuerst der Zeichner dieses Reliefs in der Kunstgeschichte von Kinkel, wenn auch unbewusst, wiedergegeben. Massmann sagt, in dieser Zeichnung sehe der Drachenleib einer „flügelstreckenden Gans“ ähnlich und die Windungen der Schlange seien auf der Brust der Frau zu einem Flügel gemacht. Ich habe mir diese Abbildung nicht verschaffen können *) ich muss aber erklären, dass dieselbe, nach dieser Beschreibung zu urtheilen, den mittleren Körper treu wiedergegeben hat – nicht als Drachenleib, sondern als Vogelrumpf; ein ausgespannter Flügel des Vogels ist allerdings nicht vorhanden, diese Annahme beruht wieder auf optischer Täuschung. Schierenberg hat in neuerer Zeit klar ausgesprochen, dass der „Schlangendrache“ in eine Schlange und einen Vogel zu zerlegen sei, der eine Flügel des letzteren sei abgebrochen, der andere (rechte) liegt -- nach seiner Zeichnung -- über dem Arme der Frau; bezüglich des Flügels findet hier derselbe Irrthum, wie in Kinkel's Zeichnung, statt. Durch die Zerstörung der Schlangenwindung und des Unterarmes der Frau ist eine ziemlich ebene, einem Flügel täuschend ähnliche Fläche entstanden, diese hat den Irrthum veranlasst. In v. Bandel's Zeichnung ist Schlangenwindung und Arm in richtiger Weise wiederhergestellt. Die Flügel dieses Vogels befinden sich bei x und y (Taf. VIII, Fig. 4), sie werden durch die Frau und den Mann eng an den Vogelleib gedrückt, so dass nur die vorderen schmalen Seiten sichtbar sind. Auf der Zeichnung bei Massmann ist der Vogel und die Schlange zu einem Wesen, einem „Schlangendrachen“, zusammengezogen, von dem starken Leibe in der Mitte des Bildes geht ein Hals nach rechts, ein Schweif nach links, dieser den Mann, jener die Frau umwindend. Dieser Leib ist nicht richtig gezeichnet. Am Original erkennen wir die charakteristischen

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*) Die grosse Königl. Bibliothek zu Berlin konnte das Buch nicht vorlegen.

 

 

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Merkmale eines Vogelrumpfes; die Beine sind auf der Abbildung übertrieben dick dargestellt, es sind in Wirklichkeit dünne Vogelbeine; die „Löwenklauen“ sind auch nicht vorhanden, sondern drei roh gearbeitete, rundliche Zehen ohne Krallen, von Löwenkrallen findet sich nicht die geringste Spur. Am Originale setzt sich nicht ein Schlangenhals an die Brust des mittleren Körpers, sondern ein Vogelhals, denn schon die Wurzel dieses Halses neben der Hand des Mannes bei u hat einen bedeutend geringeren Umfang (14 Centimeter) als der cylinderförmige Schlangenleib. Das Stück u – v (der Hals des Vogels) verjüngt sich dann noch, so dass sein Umfang am Ende bei v nur 7½ Centimeter beträgt, während der Schlangenleib an dieser Stelle, bei o sowohl wie bei p gemessen, 19 Centimeter stark ist. Demnach ist die Annahme absolut falsch, dass dieser 19 Centimeter starke Theil eine Fortsetzung des dünnen Stückes u--v sei, folglich steht auch der erstere, d. h. die naturalistisch geformte Schlange, nicht mit dem Rumpfe in der Mitte des Bildes in Verbindung. Um nun doch den nach rechts zu sich entwickelnden sogenannten „Hals des Drachen“ vom Mittelkötper ausgehen zu lassen und so einen Zusammenhang zwischen beiden herstellen zu können, ist auf der Zeichnung bei Massmann der Theil u--v unrichtig wiedergegeben, er ist dicker als am Original dargestellt (Taf. X, Fig. 2). Auch die zerstörte Partie o--t ist auf dieser Abbildung falsch restaurirt. Man sieht auf derselben den „Hals des Drachen“, bei u ansetzend, erst horizontal, dann im Bogen v--t abwärts steigen, aufwärts über die Hand des Mannes nach der Brust und Schulter desselben gehen und längs dem Rücken wieder herabsteigen nach o. Wäre nun in jener Zeichnung die Restauration des Theiles o--t nicht vorgenommen, sondern nur das Original treu copirt, so würde sich Jeder überzeugen können, dass dieses jetzt zerstörte Stück niemals die Basis des „Drachenhalses“ gewesen sein kann. Auf meiner nur das Vorhandene treu wiedergebenden Zeichnung sieht man, dass das Stück o--t eine unregelmässige Grundrissform hat, während der übrige Theil der Schlangenwindungen cylindrisch verläuft, ausserdem

 

 

 

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beträgt der Umfang des letzteren, wie bemerkt, 19 Centimeter, mit circa 10 Centimeter Durchmesser, die schmalste Stelle von o--t ist jedoch nur 4,8 Centimeter breit. Auf diesem schmalen, unregelmässigen Reste kann also ein den übrigen Windungen gleich geformter Körper niemals geruht haben; denn wenn das Stück auch jetzt zerstört ist, so ist dies doch nur soweit geschehen, als es sich von der Felswand abhob, die Grundrissform ist intact geblieben. Es müsste sich, wäre hier einst der dicke cylindrische „Drachenhals“ gewesen, die Spur der ganzen Breite, der Durchmesser, jetzt noch zeigen. Mithin ist die versuchte Restauration missglückt. Es ist weder u--v noch o--t gleich geformt und gleich stark gewesen wie die anderen Schlangenwindungen, damit ist auch erwiesen, dass ein Zusammenhang zwischen dem mittleren Körper und den Windungen des Schlangenleibes nicht stattgehabt hat. Man ist also genöthigt, zwei Einzelwesen anzunehmen: einen Vogel und eine naturalistisch geformte Schlange. Was das Stück o--t einst vorgestellt hat, konnte ich bisher nicht constatiren, ich glaube aber, dass durch weitere Untersuchungen eine richtige Erklärung gefunden werden wird. Der Vogel neigt den Hals herab, denn er ist todt. Der Künstler hat ihn ohne Kopf dargestellt und zeigt den letzteren im Rachen der Schlange, um anzudeuten, dass diese den Vogel getödtet habe. Die Schlange umwindet den Vogel nicht, sondern nur die Menschen. Sie legt sich um den Hals der Frau (a--b), umwindet den Oberarm derselben (c--d--e), geht unter dem Unterarm nach der Hand (g), dann über dieselbe hinweg nach der Tiefe (h), umschlingt den Leib der Frau nochmals, tritt bei i hervor und verlässt den Leib der Frau (bei k). Die Schlange wendet sich sodann hinter dem Vogelkörper, also nicht sichtbar, zum Manne, tritt (bei l) unter der Handwurzel wieder zum Vorschein, geht über dieselbe hinweg nach der rechten Schulter (n) und steigt längs dem Rücken des Mannes herab (nach o). Das Stück o--p war frei gearbeitet und ist daher abgebrochen. Nach einigen Windungen folgt der Kopf. Massmann hat denselben „übergewichtig“ genannt. Diese Bezeichnung ist

 

 

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richtig, wenn man, wie es bisher allgemein geschah, alles das, was sich an dieser Stelle findet, für den Drachenkopf hält, derselbe erscheint aber als kurzer Schlangenkopf, wenn wir den Gegenstand absondern, den er im Rachen trägt: den Vogelkopf, der an dem Halse des Vogels in der Mitte des Bildes fehlte. Auf der Abbildung bei Massmann sehen wir auf dem Oberkiefer des Drachenkopfes ein „Horn“, ferner eine punktirte (projectirte?) Zunge, aus dem Rachen hervorgestreckt. Diese Darstellung weicht von dem Original bedeutend ab. Von einer ehemaligen Zunge ist nicht die geringste Spur vorhanden, der Fels ist an dieser Stelle absolut eben. Der geöffnete Rachen ist auch unmöglich, denn die seitliche Begrenzungsfläche von q--s zeigt nicht den leisesten Einschnitt, überhaupt keine Unterbrechung. Dagegen findet sich eine Vertiefung bei z, hier liegen die beiden Kiefer des Schlangenkopfes, derselbe reicht also nur bis hierher, was sich rechts davon befindet, liegt mit dem Kopfe nicht in gleicher Ebene, sondern tiefer, muss also einem anderen Gegenstande angehören. Dieser Gegenstand ist als ein Vogelkopf zu erklären. Das bisher allgemein angenommene „Horn“ ist der aufwärts gekehrte Schnabel. Bei r erblicken wir ferner eine Erhabenheit in sorgfältiger Ausführung, in Form und Grösse einem Hühnerei gleichend, wir erkennen darin das Auge des Vogelkopfes. Wer diese beiden Köpfe zu einem Kopfe, dem eines „Schlangendrachen*, zusammenfasst, wird diesen kleinen Wulst nicht zu deuten vermögen. Das nach unten gerichtete Hinterhaupt zeigt bei s einen, jetzt zerstörten, Ansatz, der früher länger gewesen ist. Auf der Zeichnung bei Massmann ist aus diesem Ansatze ein zweiter (Kinn-) Bart des Drachen gemacht, die gewundene Form daselbst ist unrichtig. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Fortsetzung des Hinterhauptes die Kopffedern darstellten, welche wir in der Natur bei vielenVogelarten, z. B. Reiher, Kranich, Pfau u. a. finden. Gegen die Annahme, dass auf dem unteren Relief nur ein Wesen ausser dem Menschenpaare dargestellt sei, sprechen auch ästhetische Gründe. Massmann sagt, es sei ein Schlangendrache mit langem Halse und Schweife. Wenn nun auch

 

 

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im Mittelalter äusserst missgestaltete Drachen der Phantasie bildender Künstler entsprangen, so ist man auf die Idee, Hals und Schwanz lang und schlangenförmig zu bilden, wohl nie verfallen. Ich habe unter den zahlreichen Drachengestalten des Mittelalters keinen gefunden, der in dieser Weise geformt wäre, entweder ist der Hals oder nur der Schweif stark entwickelt (vgl. Taf. XI). Mit Adam und Eva wird stets die in der Hauptsache naturalistisch gebildete Schlange in Verbindung gebracht, niemals ein Schlangendrache, da immer auf den Sündenfall, bei dem eine Schlange, nicht ein Drache, mitwirkte, Bezug genommen wird.

 

Das untere Relief zeigt demnach ein knieendes Menschenpaar mit erhobenen Armen, ferner eine Schlange, welche die Frau mehrmals umwindet, an den Mann sich aber nur anlegt und einen Vogelkopf im Rachen trägt, schliesslich einen Vogel in der Mitte stehend mit gesenktem Halse, ohne Kopf. Da dieser Vogel dünne lange Beine, einen kurzen, leicht gekrümmten Schnabel und am Hinterkopfe (jetzt zerstörte) Federn aufweist, werden wir denselben als einen Pfau zu deuten haben.

 

 

b. Die obere Abtheilung (Taf. VII).

 

Dieser Theil des Bildes enthält die Abnahme Christi vom Kreuze mit den üblichen Nebenfiguren: Maria, Johannes, Nicodemus und Joseph von Arimathia. Ueber dem Kreuzesbalken erscheint Gott Vater mit einer Fahne in der linken Hand und einer Kindesgestalt, deren Kopf zerstört ist, im Arme. In gleicher Höhe mit Gott befinden sich zur Rechten und Linken Sonne und Mond, durch die geometrischen Symbole gekennzeichnet.

 

2. Der Vogel über der Oeffnung B.

(Taf. III, Fig. 1, und Taf. VII).

 

Das Bild dieses Vogels befindet sich zwar ausserhalb des grossen Reliefs, es steht aber mit diesem zweifellos in directem Zusammenhange; deshalb findet es hier in Verbindung mit demselben Erwähnung. Das Bild ist vertieft gearbeitet, und es zeigt eine rohe und flüchtige Behandlung; ein Kopf ist nicht dargestellt, sondern nur der Leib, die Flügel und der Schwanz.

 

 

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Da die Figur vertieft hergestellt ist, so glaubte Massmann, es habe sich einst ein Materialeinsatz, ein Adler Karls d. G., darin befunden. Es ist aber nicht möglich, dass in dieser Vertiefung eine Metallfigur gesessen habe, denn es finden sich keine Spuren von Löchern zur Befestigung, und ohne die letztere wäre der Einsatz bei dem ersten Sturme herausgefallen. Dieses Bild bedarf keines Metalleinsatzes, denn es ist ein „Basrelief“. Die Gestalt hat keine Aehnlichkeit mit einem Adler, wie Massmann glaubte, sondern zeigt uns die Merkmale einer Taube. Wir sehen hier nicht die breiten und stumpfen Flügel des ersteren, sondern die schmalen länglichen Flügel und den langen Schwanz des letzteren Vogels. Diese Stellung der Taube ist typisch geworden, auf Diptychen mit der Taufe Christi finden sich Darstellungen, welche unserem Bilde in den Umrissformen absolut gleichen (Taf. XIII, Fig. 5, 6 und 7). Wie wir darauf erkennen, schwebt die Taube dem Beschauer zugewendet; der Kopf ist fast immer en face gebildet. Da dieses letztere bei einem Basrelief nicht deutlich zum Ausdruck gebracht werden kann, denn der Kopf würde als Kreis erscheinen, Schnabel und Augen könnten überhaupt nicht gezeigt werden, so hat derVerfertiger sich damit begnügt, Flügel, Leib und Schwanz in der typischen Stellung zu zeigen, und verliess sich auf das Verständniss der gläubigen Beschauer, die trotz der unvollkommenen Arbeit dieses Bild im Zusammenhange mit dem grossen Relief richtig deuteten. Dass die Taube, der heilige Geist, nicht nur bei der Taufe Christi abgebildet wurde, sondern auch -- wie in Verbindung mit unserem Bilde -- auf den Darstellungen der Leiden des Herrn, zeigt das Crucifix zu Wechselburg, auf welchem Gott Vater die Taube im Arm hält (Taf. XV, Fig. 1).

 

Braun hat bei seinem Versuche, die Anlagen an den Externsteinen auf den Mithraskultus zurückzuführen, daran erinnert, dass auf Mithrasbildern sich ausser der Schlange auch stets ein Vogel finde. Aber dieser durchaus naturalistisch behandelte Vogel, der einen Raben vorstellt (Taf, XIII, Fig. 11), hat nicht die geringste Aehnlichkeit mit unserer stilisirten Figur.

 

 

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Auslegung.

 

Der Hauptgedanke dieses grossen oberen Kunstwerkes ist klar und sofort verständlich. Dagegen ist die untere Abtheilung bisher nicht richtig erklärt, weil falsch gesehen und dargestellt. Auch die Bedeutung der oberen Figur über dem Kreuzesbalken, welche zu mehrfachen archäologischen Erörterungen Anlass gegeben, bedarf noch einer präciseren Feststellung.

 

Der Künstler hat in dem Hauptplan des Bildes die Abnahme vom Kreuze, den leiblichen Tod -- des schuldlosen Erlösers dargestellt. Ein gleicher Gedanke, gewissermassen eine Parallele bildend, ist im unteren Theile ausgesprochen: der leibliche Tod -- der schuldigen Menschen, der Tod allegorisch durch den todten Vogel, die Schuld durch die Schlange ausgedrückt. Eine innere Verbindung zwischen diesen beiden Einzeldarstellungen wird durch das Flehen der knieenden Menschen, durch das Erheben der Hände zum Erlöser im Mittelbilde hergestellt. Die Handlung in der Abtheilung oberhalb des Kreuzesbalkens, der Himmelsregion, steht in noch engerem Zusammenhange mit dem Hauptbilde, sie geht in demselben Momente vor sich: Gott Vater, die abgeschiedene Seele Christi, in Gestalt eines Kindes, im Arme haltend, bezeugt seine Theilnahme an dem irdischen Vorgange, der Kreuzabnahme.

 

 

a. Die untere Abtheilung.

 

In dem knieenden Menschenpaar hat man bisher die sündige Menschheit im Allgemeinen, oder speciell Adam und Eva, als die Repräsentanten derselben, erkannt. Schierenberg glaubt, es sei „Siegfried und Chrimhilde der sächsischen Heldensage“, wodurch der Sieg des Christenthums über das sächsische Heidenthum ausgedrückt werde, analog dem Diptychon von Rambora aus dem 9. Jahrhundert, auf dem Romulus und Remus mit der Wölfin unter dem Fusse des Kreuzes das besiegte antike Heidenthum repräsentiren. Die Möglichkeit, dass an einem Bildwerke in dieser Gegend, wo einst blutige Religionskriege gewüthet, ein derartiger Gedanke zum Ausdruck kommen können, ist nicht zu bestreiten,

 

 

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dass er aber in Wirklichkeit hier ausgesprochen sei, muss aus dem im Bilde selbst Dargestellten bewiesen werden, umsomehr als diese Idee sich nur vereinzelt in jener Kreuzigungsdarstellung findet. Den Beweis hat Schierenberg jedoch nicht geliefert. Zwar finden wir auf christlichen Bildern sehr häufig Gestalten, welche dem Heidenthum entlehnt sind, es sind antike Reminiscenzen; dieselben stehen aber nicht in so engem Zusammenhange mit dem Hauptthema, wie die knieenden Menschen auf unserem Relief.

 

Auf altchristlichen Sarkophagen, auf Miniaturen und Diptychen, namentlich auf letzteren bei Darstellung der Taufe Christi, erhalten verschiedene Flüsse in der Art antiker Personifikation eine Stelle, z. B. der Jordan, gehörnt aus einer Urne Wasser giessend. Ausser den Flüssen sind auch die Vorstellungen von Erde und Meer mit in das Christenthum hinübergenommen. Christliche Diptychen mit dem Bilde des Gekreuzigten zeigen unterhalb des Kreuzes ein Menschenpaar, Terra und Oceanus (Taf. XIl, Fig. 2, 3 und 4). Mit dem Hauptbilde in engerem Zusammenhange als diese mehr dekorativen, antiken Figuren stehen die Gestalten Gestorbener (Heilige), welche ebenfalls oft auf diesen Elfenbeintafeln vorkommen, theils unterhalb des Kreuzes, theils in gleicher Höhe neben demselben (Taf. XIII, Fig. 2 und 4). Ferner erscheint Adam als der Vertreter des sündigen Menschengeschlechtes öfters am Fusse des Kreuzes auf Bildwerken: der Sage nach war er auf Golgatha begraben (Taf. Xill, Fig. 3, und Taf. XV, Fig. 1). Jene dem Heidenthum entnommenen Typen sind stets nur statuarisch behandelt, sie nehmen nur geringen Antheil an den Vorgängen; diese Gestalten christlicher Anschauung, die Heiligen oder Adam, dagegen erscheinen in dramatischer Auffassung: knieend, die Hände dem Erlöser emporstreckend, das Blut desselben aufsammelnd etc. Da wir nun auf dem unteren Bilde an den Externsteinen ein Menschenpaar in dieser letzteren, dramatischen Haltung, ebenfalls knieend und die Arme erhebend, erkennen, so kann betreffs ihrer Deutung nur darüber ein Zweifel herrschen, ob hier Adam und Eva oder die

 

 

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sündige Menschheit, durch ein beliebiges Paar ausgedrückt, dargestellt sind. Ich erkenne in den Figuren Adam und Eva, nicht allein auf Grund jener Sage, sondern weil die Künstler mit Vorliebe das erste Menschenpaar auf den Bildern der Lebens- und Leidensgeschichte Christi als Repräsentanten des ganzen Menschengeschlechts vorführen, sowohl im Momente des Sündenfalles als auch der Erlösung, der letzteren z. B. auf dem silbernen Buchdeckel zu Siena und einem anderen zu Venedig: Christus hat eben die Thore des Hades zerbrochen und zieht Adam und Eva, ersteren an der Hand haltend, mit sich empor.

 

 

Einfügung: Hadesfahrt Christi. Um 1200. Venedig. Basilica die San Marco

 

Der Sündenfall wird gewöhnlich in der bekannten Weise durch Baum und Schlange gekennzeichnet. Ausser diesen, auf einen Vorgang in ihrem Leben bezugnehmenden Merkmalen finden wir in der altchristlichen Kunst mitunter zur näheren Bezeichnung als erstes Menschenpaar die beiden Attribute Garbe (Adam) und Lamm (Eva). Zuweilen nun fehlen jegliche Merkmale, dann belehrt uns die bei der Darstellung von Adam und Eva zur Regel gewordene symmetrische Anordnung der beiden Figuren über ihre Bedeutung. Hatte der Künstler aber die ganze Menschheit im Sinne, so wählte er mehr als zwei Gestalten und vermied jene typische Gegenüberstellung derselben.

 

Auf dem Relief an den Externsteinen finden wir zwar nicht den Baum des Paradieses, auch nicht die Attribute Garbe und Lamm, letztere kommen im Mittelalter wohl nur noch ausnahmsweise vor; wir sehen aber jene charakteristische Gegenüberstellung der beiden Menschen, ja wir müssen sogar erkennen, dass der Sündenfall angedeutet ist, und die Erklärung von Giefers, es sei nicht der Augenblick gewählt, wo die Menschen der Schlange Gehör geben, muss dahin ergänzt werden, dass uns jedoch der Künstler auf diesen Augenblick hinweiset. Derselbe hat mehr gezeigt als ein von der Schlange umwundenes Paar. Aus dem Kunstwerke weht uns ein Hauch antik-christlicher Einfachheit und Einfalt entgegen, jener Darstellungsweise, welche eine Fülle von Gedanken durch eine ungemein knappe, aber inhaltvolle Kunstsprache zum Ausdruck brachte und so das Nachdenken

 

 

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der Beschauer absichtlich herausforderte. Der Künstler trägt uns drei Momente vor: den Sündenfall, die Folge desselben, den Tod, und die Erlösung.

 

Auf den ersten Moment, den Sündenfall, weiset uns die Anordnung der Gruppe, die Art und Weise, wie die Schlange die Menschen umwindet. Die Frau ist vier Mal umschlungen, der Mann garnicht, denn der Leib der Schlange steigt an der Brust desselben herauf, über die Schulter fort und längs dem Rücken herunter. Massmann sagt zwar, der Rücken des Mannes sei umschlungen; wie aber auf den ersten Blick klar ist, kann nicht ein Rücken -- wohl ein Hals, Leib, Arm etc. -- umschlungen werden. Eva spielte bei dem Sündenfalle eine hervorragende Rolle, daher berücksichtigt die Schlange dieselbe mehr als den Mann. Massmann hat diese Erscheinung dadurch zu erklären versucht, dass er dem Künstler ästhetische Motive unterschob: die mehrfachen Umwindungen der Schlange sollten den nackten Busen der Frau bedecken. Wenn man diese Motive acceptiren soll, müsste erst festgestellt werden, dass der Künstler einen nackten Busen hätte darstellen müssen; er konnte ja denselben bedecken durch ein Obergewand, ausserdem wäre eine derartige Tracht -- faltenreiches Untergewand und nackter Busen -- ein Unicum. Aber wenn auch der Künstler diese Bekleidungsart hätte wählen müssen, so hätte er nicht die geringste Scheu vor dem „Nackten“ gehabt, erscheint nicht Eva fast regelmässig ohne jede Bekleidung, mitunter sogar ohne Feigenblatt! Hätten den Künstler ästhetische Rücksichten geleitet, so hätte er, um Symmetrie herzustellen, den Mann wenigstens ein Mal umwinden lassen; das ist aber ganz absichtlich vermieden. Hieraus geht hervor, dass er die im Uebrigen streng bewahrte Symmetrie an dieser Stelle aufheben wollte, um das Nachdenken des Beschauers anzuregen; er wollte nicht, wie Massmann annahm, etwas der Betrachtung entziehen, sondern die Aufmerksamkeit auf diese Stelle des Bildes, die Frau, lenken. Die strenge Durchführung der Symmetrie und andererseits die absichtliche Aufhebung derselben sind Ausdrucksmittel der Kunstsprache, daher auch

 

 

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Mittel zur Erkenntniss und Auslegung des Kunstwerk Es wurde gesagt, die Schlange umwinde den Mann kein Mal, es muss aber darauf hingewiesen werden, dass uns ganz deutlich gezeigt wird, wie sie auch ihn in ihrer Gewalt habe. Sie legt sich zwar nicht in vollem Ringe um den Leib des Mannes, aber sie umfasst klammerartig die linke Hand, Brust, Schulter und Rücken desselben. Diese Anordnung hat der Künstler mit der Absicht, auch die Unfreiheit des Mannes zu zeigen, gewählt, denn es war kein anderer Grund vorhanden, den Schlangenleib nochmals längs dem Rücken herabsteigen und erst nach einem grossen Bogen in die Horizontale übergehen zu lassen. Die Symmetrie hätte sogar erfordert, dass der Leib von der Mannesschulter ab horizontal verliefe, entsprechend der horizontalen Lage des Schlangenschwanzes an der Schulter der Frau. Der Künstler führt uns also vor, dass der Mann und die Frau sich im Banne der Sünde befinden, dass aber die letztere die Hauptschuldige sei – das kann nur eine Anspielung auf den Sündenfall sein. Die ungleiche Behandlung der beiden Figuren bestätigt die frühere Behauptung, dass Adam und Eva, nicht die Menschheit im Allgemeinen, dargestellt seien, denn ein grösserer Antheil an der Sündhaftigkeit kann doch nur der Eva speciell, nicht den Frauen im Allgemeinen zugesprochen werden. Diese meine Auslegung kann nichts Befremdendes haben, denn man sieht ja auf den meisten Darstellungen des Sündenfalles etwas ganz Analoges. Die beiden Menschen stehen symmetrisch zu beiden Seiten des Baumes mit der Schlange, diese nun hält den Kopf nicht immer in der Mitte, sondern wendet sich, selbst dann, wenn sie keinen Apfel im Maule trägt, der Eva zu, die Symmetrie störend, so auf dem Sarkophag des Junius Bassus. Noch deutlicher wird jener Gedanke zum Ausdrucke gebracht in einem Manuskript im Vatikan aus dem 11. Jahrhundert (vergl. Symbols and emblems of early and mediacval christian art by Louisa Twining). Darauf sehen wir den Sündenfall in der traditionellen Weise gebildet, aber der Schwanz der Schlange umwindet das Bein der Eva.

 

 

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Den zweiten Moment, den Tod des Menschen als Folge der Sünde, schildert der Künstler durch eine Allegori in der Mitte des Bildes steht ein Vogel, den die Schlange getödtet hat und dessen Kopf sie im Rachen trägt. Der Schlüssel zur Lösung dieser Allegorie ist uns dadurch gegeben, dass dasselbe Wesen, welches -- in natürlicher Bedeutung als Schlange -- den Vogel getödtet hat, Adam und Eva in übertragener Bedeutung als Sünde – umschlungen hält. Die antike Laokoonsgruppe, an welche der untere Theil unseres Reliefs, namentlich wegen des übereinstimmenden aggressiven Charakters der Schlange -- die christliche Kunst zeigt sonst die Schlange nicht durch Gewalt, sondern durch List siegend -- erinnert, unterscheidet sich von dem letzteren dadurch, dass der antike Künstler den sicher folgenden Tod der Menschen durch einen Schlangenbiss veranschaulicht. Der christliche Künstler wollte zwar auch einen Hauptaccent auf den leiblichen Tod legen, aber er wählte nicht dasselbe Motiv wie jener, sondern eine Allegorie, was in der christlichen Kunst mit Vorliebe geschieht. Dass der Tod auf dem Bilde noch besonders durch den todten Vogel ausgedrückt ist, könnte überflüssig erscheinen, da um Erlösung flehende Menschen als gestorben gedacht werden müssen, aber eine solche nähere Charakterisirung als Todte finden wir sehr häufig. Den knieenden Königen und Rittern mit ihren Frauen auf Grabsteinen, Epitaphien etc. werden meistens noch besondere Symbole des Todes beigegeben: Todtenschädel, Sanduhr u. a. Auf Diptychen sehen wir die zum Erlöser sich wendenden Gestalten in lange Sterbegewänder gehüllt (auch auf dem Crucifix zu Wechselburg Adam im langen Gewande (Taf. XV, Fig. 1) und in thurmartigen runden Gräbern oder viereckigen Sarkophagen knieen (Taf. XIII, Fig. 2 u. 4), also ebenfalls noch ausdrücklich als Gestorbene bezeichnet. So tritt hier die Allegorie, der durch die Schlange getödtete Vogel, an die Stelle der dortigen Symbole. Es kommt noch hinzu, dass der Künstler auch diesen Moment, den des Todes, für sich bestehend charakterisiren wollte, ebenso wie die beiden anderen, den Sündenfall klar durch

 

 

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die Schlangenumwindung und die Erlösung durch das Erheben der Hände zum Erlöser.

 

Der dritte Moment, die Erlösung, wird nicht nur direct durch das Flehen der Menschen zum Heiland am Kreuze zum Ausdruck gebracht, sondern auch in seiner Consequenz, der Unsterblichkeit, und zwar symbolisch dadurch, dass der Künstler zu obiger Allegorie ein Wesen benutzte, das als Symbol der Unsterblichkeit galt, den Pfau. Man darf die Verwendung dieses Vogels zu jener Zeit durchaus nicht für etwas Aussergewöhnliches halten. Während das spätere Mittelalter den Pfau nur ausnahmsweise in den Kreis seiner bildlichen und schriftlichen Darstellungen, seiner Sagen, Sitten und Gebräuche zieht, begegnen wir demselben in der Antike, im christlichen Alterthum und selbst noch im frühen Mittelalter auf all diesen Gebieten. In heidnischer Zeit war der Pfau das Sinnbild der römischen Kaiserin (dem Adler, dem Emblem des Kaisers entsprechend); in den Wandmalereien zu Pompeji sehen wir ihn in grosser Zahl; oft als Verzierung an Gräbern und Columbarien (Bartholy: Peint. ant. Pl. XX und 21, 22, 23); in der altchristlichen Zeit wird er in den Katakomben und Grabkirchen, in Verbindung mit Ornamenten häufig an Kirchen (Lübke, Geschichte der Architektur, Abbildung Fries der Kirche zu Dana), namentlich in der byzantinischen Kunst dargestellt. Auf Sarkophagen, z. B. auf dem Porphyrsarkophag der hl. Constantia in Rom, wird er mit Vorliebe angebracht. Auch in späterer Zeit noch treffen wir den Pfau an mannigfachen Stellen. Die Doppelkapelle zu Landsberg, wahrscheinlich eine ehemalige Grabkapelle (cfr. Weingärtner, System des christlichen Thurmbaues), zeigt über dem Thürsturze zwei Pfauen. In Miniaturen tritt er namentlich zusammen mit Hirschen, welche aus dem Quell (des Lebens) trinken, auch in Wand- und Deckenmalereien, z. B. an der Decke im Dom zu Hildesheim auf.

 

Auch in den Sitten und Gebräuchen des Mittelalters, spielt dieser Vogel eine grosse Rolle. In dem sogenannten Pfauengelübde verpflichteten sich die Ritter in besonderen Ceremonieen zur Theilnahme an einem Kreuzzuge, auch war

 

 

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zur Zeit der Troubadours der vornehmste Schmuck eine Krone von Pfauenfedern. Die Sage erzählt schliesslich, dass ein Pfau, den Weg weisend, vorausflog, als die Gebeine des Bischofs Liborius von Le Mans nach Paderborn gebracht wurden; an dem Feste dieses Heiligen wird ein Pfauenschweif vorangetragen. Aus dem Angegebenen erkennt man die hohe Bedeutung, welche dieser Vogel in früherer Zeit erlangt hatte. Unser Interesse nimmt hier nun vor Allem seine symbolische Bedeutung in der christlichen Kunst in Anspruch. Der Pfau galt als Symbol der Unvergänglichkeit der Menschen trotz des leiblichen Todes. Alle anderen Bilder der Unsterblichkeit oder Auferstehung, welche wir auf älteren Kunstwerken finden, haben entweder nur speciell auf Christus Bezug, oder es kommt der physische Tod nicht derart zum Ausdruck wie im Bilde des Pfau. Der Phönix verbrennt sich der Sage nach selbst und ersteht aus seiner Asche wieder, er ist also seines freiwilligen Todes wegen ein Bild Christi und wird nie als Symbol der den Tod unfreiwillig erleidenden Menschheit gebraucht. Der Löwe versinnbildlicht die Auferstehung. Hierzu gab die Sage Anlass, dass der alte Löwe das Junge am dritten Tage nach der Geburt durch Anbrüllen zum Leben erwecke; da das tertium comparationis durch den Zeitraum von drei Tagen gebildet wird, so wird dieser Vergleich nur auf Christus bezogen. Der Palmbaum galt als unverweslich, in diesem Bilde der Ewigkeit kommt das leibliche Sterben nicht zum Ausdrucke. Der Pfau dagegen war das Abbild der Menschen, denn das Fleisch des todten Vogels hielt man für unverweslich, es musste also der leibliche Tod stattgefunden haben. Diese Sage hat ihren Ursprung im Judenthum und römischen Heidenthum und ist dann in das Christenthum übergegangen. Die christliche Kunst verwerthete dieselbe, indem sie diesen Vogel zum Sinnbild des Todes und der Unsterblichkeit machte. Daher fanden wir ihn auf den Stätten des Todes: an Katakomben, auf Sarkophagen, Gräbern und an Grabkapellen. Eine Stätte des Todes sind aber auch die Externsteine, die Arbeiten daselbst, ganz besonders das grosse Relief und das Grab am Bache,

 

 

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sind zur Verherrlichung des Leidens und Sterbens Christi angelegt. Doch auch die Menschen im unteren Bilde, Adam und Eva, sollten als Gestorbene bezeichnet werden, welchen Unsterblichkeit zu Theil werden wird, und in Beziehung zu diesen durfte der Künstler nur dieses Symbol, den Pfau, in wählen.

 

Die Darstellung des Vogels auf unserem Bilde als todt weicht von derjenigen der altchristlichen Kunst ab, letztere zeigt ihn lebend. Zu dieser Aenderung wurde der Künstler wohl durch die Bedeutung, welche der Pfau im Mittelalter ausserdem noch erhielt, veranlasst. Nach einer muhamedanischen Sage soll er im Paradiese lieblich gesungen, aber seine Stimme verloren haben, als er mit der Schlange und dem ersten Menschenpaar aus dem Paradiese vertrieben wurde, er bedeutet hier den Hochmuth Adam's und Eva's (W. Menzel, christliche Symbolik). Ferner wird der Vogel in einer Züricher Handschrift des 12. Jahrhunderts geschildert: „Voce satan, pluma seraphim, cervice draconem; Grossu furtivo, designat pavo latronem“ und im Freidank: „Der phâwe diebes sliche hât; Tinwels stimme und engels whât“. Der lebende Pfau war also ein Bild des Menschen auf Erden und nach dieser Anschauungsweise des Mittelalters durfte der Künstler den Tod des Vogels als einen gewaltsamen, d. h. als Strafe erscheinen lassen, um den Vergleich mit den Menschen auf das Leben und den Tod als Folge dieses sündigen Lebens auszudehnen.

 

Die abweichende Darstellung des Pfau, als getödtet, hat dann auch in der Beziehung des unteren Bildes zu den beiden oberen Abtheilungen ihren Grund. Es sollte auch unten der Tod in derselben prägnanten Weise wie im Mittelbilde gezeigt und eine Jedem verständliche Parallele zu dem leiblichen Tode Christi gezogen werden, damit der in beiden Abtheilungen herrschende Contrast deutlich zum Ausdruck komme: der Pfau ist eben gestorben gleich wie Christus, aber das Mittelbild zeigt den freiwilligen Tod, das untere den unfreiwilligen. Auch die äussere Anordnung soll zu Vergleichen anregen; der Leichnam Christi, mit den Füssen noch in der

 

 

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Mitte des Bildes aufstehend, neigt den Oberkörper nach links herab, der Vogelrumpf, ebenfalls die Mitte des unteren Raumes einnehmend, neigt den Hals nach rechts.

 

Schliesslich ist noch die Beziehung zwischen der unteren und oberen Abtheilung zu erwähnen. Der Bedeutung des Pfau unten entspricht diejenige der Kindesgestalt oben. Unten sehen wir das Symbol der Unvergänglichkeit der Menschen, oben das Bild der Unsterblichkeit Christi, seine Seele.

 

b. Die oberen Abtheilungen.

 

Das Hauptbild stellt zwei Räume, die Erde und den Himmel, dar, durch den Querbalken des Kreuzes geschieden. Der Vorgang auf der Erde ist leicht verständlich, es wird die Abnahme Christi vom Kreuze geschildert. Während über die Bedeutung dieses Theiles niemals eine Meinungsverschiedenheit geherrscht hat, gab das in der obersten Region, dem Himmel, Dargestellte Anlass zu eingehenden Erörterungen. Nachdem Massmann und Giefers sich dahin ausgesprochen, dass über dem Kreuzesbalken Gott Vater mit der Seele Christi im Arme erscheine, traten Braun und Michelis mit der Behauptung auf, dass die ältere Figur nicht Gott Vater, sondern den gen Himmel gefahrenen Christus und das Kind die Menschheit bedeute. Giefers hat diese Behauptung widerlegt, es könnten jedoch manche seiner Gründe vervollständigt, zum Theil auch berichtigt werden, daher mag die Untersuchung über die Bedeutung der oberen Figur in Kürze nochmals geführt werden.

 

Von den Gründen, welche Braun für seine Hypothese, die obere Figur bedeute Christus, anführt, dürfen nur die folgenden auf eine eingehendere Besprechung Anspruch machen:

 

I. „Die ältere christliche Kunst hätte Gott Vater nicht in Person, sondern stets symbolisch durch eine Hand dargestellt.“

Giefers hat in seiner Entgegnung drei Beispiele der persönlichen Darstellung des Vaters im Mittelalter namhaft gemacht, ohne grosse Mühe lassen sich dieselben bedeutend vermehren; Gott Vater findet sich abgebildet:

 

 

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1. auf einem Sarkophag im Lateran (beim Grabe des Paulus gefunden, 4. -- 5. Jahrhundert, Roma Sotteranea von Dr. F. X. Kraus, 1873);

2. auf einem Miniaturbilde des 10. Jarhunderts (Didron, Manuel d'Iconographie);

3. auf dem Miniaturbilde der lateinischen Bibel zu Bamberg, 9. Jahrhundert (Pieper, Mythologie und Symbolik der christlichen Kunst);

4. auf den Broncethüren zu Augsburg, 10. Jahrhundert (Otte, Handbuch der christl. Kunstarchitektur, und F. J. v. Allioli);

5. auf den Fresken von St. Savin, 11. Jahrhundert (Pieper, a. a. O.);

6. auf dem Taufbecken zu Lüttich , 11. Jahrhundert;

7. auf den Broncethüren zu Nowgorod, 12. Jahrhundert (Otte, a. a. O.);

8. auf den Broncethüren zu Hildesheim, 12. Jahrhundert;

9. auf den Taufbecken zu Hildesheim;

10. auf einem Elfenbeintäfelchen im Antikenkabinet zu Berlin, 12. Jahrhundert, Schöpfung;

11. im „Hortus deliciarum“, 12. Jahrhundert, Schöpfung;

12. auf dem Crucifix zu Wechselburg, 13. Jahrhundert.

 

II. „Das Haupt Gott Vaters hätte nie den Kreuznimbus erhalten, den die Figur an den Externsteinen zeige“.

 

Den Nimbus finden wir jedoch allen drei Personen, Vater, Sohn und heiligen Geist, beigegeben. Gott Vater ist mit dem Kreuznimbus dargestellt auf den Hildesheimer Thüren, auf dem Taufbecken zu Lüttich und Hildesheim und auf dem Crucifix zu Wechselburg.

 

III. „Die Portraitähnlichkeit der oberen Figur mit Christus im Mittelbilde beweise, dass ein und dieselbe Person gemeint sei.“

 

Diese Portraitähnlichkeit findet sich im Mittelalter nicht nur zwischen Vater und Sohn wie auf dem Crucifix zu Wechselburg, sondern auch der heilige Geist erhält, wenn als Person dargestellt, dieselben Züge; sogar die ganze Gestalt der drei Personen wurde, um die Identität der Dreieinigkeit

 

 

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auszudrücken, so übereinstimmend und ohne jedes Kennzeichen gebildet, dass dieselben nicht zu unterscheiden sind, z. B. im „Hortus deliciarum“ der Herrad von Landsperg.

 

IV. „Die Siegesfahne, welche die Figur in der Hand hält, komme nur Christus zu“.

 

Diese Fahne hatte auf unserem Bilde hauptsächlich den Zweck, den frei bleibenden Raumtheil des Himmels auszufüllen. Dass Gott Vater sie in der Hand hält, kann nicht auffallen, denn Christus erhält dieselbe vom Vater, sie musste sich daher doch einen Moment in der Hand des Letzteren befinden, dieser Moment ist nun dargestellt. Dem Kinde, der Seele Christi, mochte der Künstler diese grosse Fahne nicht in die Hand geben.

 

V. „Es sei unmöglich anzunehmen, dass Gott Vater den Leichnam Christi segne, während er die Seele desselben im Arme hält“.

 

Weshalb Braun dieses als einen Grund anführt, ist nicht verständlich, denn seine Auslegung der oberen Figur als Christus giebt doch noch einen viel schlechteren Sinn, nämlich der gen Himmel gefahrene Christus segnet seinen eigenen Leichnam! Nicht in der Deutung der oberen Person liegt der Grund, dass diese Auslegung unpassend ist, sondern in der Annahme, dass die obere Figur -- gleichviel ob der Vater oder der Sohn -- den Leichnam segne. Dieselbe weiset entweder auf den Letzteren oder auf Maria. Die Deutung als ein Segnen der Mutter des Herrn liesse sich dagegen durch den in jener Zeit herrschenden Marienkultus sehr wohl rechtfertigen, zudem ist die Hand genau auf das (jetzt zerstörte) Haupt der Maria gerichtet.

 

Dieses sind die Hauptgründe, welche Braun für seine Hypothese angeführt hat, sie sind, wie nachgewiesen, durchaus nicht stichhaltig. Dagegen lässt sich der positive Beweis führen, dass die betreffende Figur in der oberen Region Gott Vater dastellt. Braun hat gewissermassen als Probe seiner Beweisführung einige Beispiele dafür namhaft gemacht, dass ein zweimaliges Darstellen ein und derselben Person auf

 

 

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einem Bildwerke vorkomme, dass also auch auf unserem Relief das zweimalige Auftreten Christi nichts Aussergewöhnliches sei. Er nennt ein Bild aus der heidnischen Antike, die Apotheose des Romulus. Im unteren Theile auf dem Siegeswagen fahrend, steigt Romulus im oberen Bilde zu den Göttern auf. Braun erwähnt ferner das Elfenbeintäfelchen der Agiltruda aus dem 9. Jahrhundert, jetzt im Vatikan und dasjenige zu Essen aus dem 11. Jahrhundert. Auf beiden letzteren sei Christus zwei Mal, sowohl am Kreuze wie gen Himmel fahrend, abgebildet. Das Geschilderte ist richtig und es könnten zahlreiche Bildwerke, namentlich Diptychen genannt werden, welche Christus zwei und drei Mal zeigen, es kommt aber darauf an, in welcher Beziehung die verschiedenen Darstellungen dieser einen Person zu einander stehen. Giefers hat dieses schon früher ausgesprochen, nur darf man nicht, wie er es gethan, einen zu grossen Werth darauf legen, dass auf jenen Bildern zwischen zeitlich geschiedenen Scenen eine sichtbare Trennung in Form von „Bodenwellen“, Streifen u. s. w., z. B. auf dem Täfelchen zu Essen, angeordnet sei. Da diese Trennung, so schliesst der Letztere, auf unserem Relief zwischen der Kreuzabnahme und dem oberen Raumtbeil fehle, so muss derselbe Moment beabsichtigt sein. Mit absoluter Gewissheit jedoch darf ein solcher Schluss nicht gezogen werden, denn obwohl die sichtbare Trennung sich in der Regel findet, so existiren Darstellungen derselben Persönlichkeit zu verschiedenen Malen auf einem Bildwerke ohne die geringste Andeutung einer Grenze zwischen den einzelnen Scenen. Auf den Elfenbeintäfelchen in der Bibliothek zu München (Taf. XV, Fig. 3) sehen wir die Kreuzabnahme und unmittelbar daneben die Grablegung Christi, ein Rand oder irgend eine Trennung zwischen beiden Scenen ist nicht angeordnet, es berührt sogar diejenige Figur, welche die Füsse des Leichnams trägt, das Kreuz in der ersten Scene. Ferner ist auf einer Miniaturzeichnung in der Bibel Karls des Kahlen Paulus in mehreren Scenen ohne Trennung abgebildet. (Les peintures etc. de la bible Charles le Chauve, conservée à Paris, publiés par le comte August de Bastard.)

 

 

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In dem Monologium Graecorum Basilii (Ed. Card. Albini, pars prima) sehen wir in einer Nachbildung Maria neben der Krippe mit dem Christkinde und darunter durch nichts geschieden das Kind in der Badeschüssel.

 

Diese Beispiele zeigen andererzeits jedoch, dass die Künstler nur dann die Trennungen fortliessen, wenn sie sicher waren, dass dem Beschauer die Bedeutung eines jeden Momentes klar und ein Missverständniss ausgeschlossen war, wenn der eine Moment unmittelbar auf den anderen folgte, wie die Grablegung auf die Kreuzigung, das Bad des Kindes auf die Geburt. Auch in der äusseren Anordnung zeigt sich das Bemühen, einer Verwirrung der Vorgänge vorzubeugen, die Personen der einen Abtheilung treten nicht mit denen der anderen in Verbindung, sondern kehren, wenn es möglich ist, einander den Rücken zu. Es ist also auch in diesen Ausnahmefällen das Bestreben zu erkennen, den aus Bequemlichkeit gegen die Regeln der Kunst begangenen Fehler möglichst abzuschwächen. Bei dem Bilde an den Externsteinen ist der Sachverhalt ein anderer, gerade entgegengesetzter. Dass hier aus den Vorgängen die obere Figur nicht von Jedem als Christus erkannt worden ist, haben die verschiedenen Abhandlungen bewiesen. Im Falle nun wirklich Christus gemeint wäre, hätte der Künstler nicht nur die Grenzen der Kunst überschritten, wie es in den oben genannten Bildern zwar geschehen, sondern auch sich sehr undeutlich ausgedrückt, welches letztere dagegen in jenen vermieden ist. Da wir nicht annehmen können, dass der Künstler eines so bedeutenden Werkes sich solche Fehler habe zu Schulden kommen lassen, so wird man gewiss nachweisen können, dass er die Darstellung Christi in der oberen (bärtigen) Figur garnicht beabsichtigt habe. Es wurde erwähnt, dass die obere Person entweder segnet oder herabweiset, in jedem Falle also eine Theilnahme an den Vorgängen im Mittelfelde bezeugt. Dass die Gestalt sich mit der Handlung im mittleren Bilde beschäſtigt, beweist die ganze Haltung derselben: der Oberkörper neigt sich herab, das Antlitz blickt nach unten, nach der Stelle, wohin die Hand weiset, der Arm

 

 

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und drei Finger sind nach unten gerichtet und die Hand ruht auf dem Kreuzesbalken, d. h. sie überschreitet die Grenze der Himmelsregion, welche im Uebrigen sowohl durch diese Figur, als durch die Himmelskörper, Sonne und Mond, streng innegehalten ist, da sich die Leiber unter dem Querbalken nicht fortsetzen. Aus dem Gesagten ergiebt sich zweifellos, dass die obere Gestalt an den Vorgängen im Mittelbilde Antheil nimmt. Hieraus folgt, dass dieselbe in dem Momente gedacht ist, in welchem Christus vom Kreuze genommen wurde. Das bestätigen auch die beiden Himmelslichter; sie verhüllen das Antlitz vor Schmerz über den eben stattgefundenen Tod Christi im Mittelbilde. Da sie neben der Person über dem Kreuzesbalken erscheinen und die Himmelsregion bezeichnen, so geht daraus unzweifelhaft hervor, dass der obere und mittlere Theil zwei von einander streng getrennte Räume, in demselben Momente darstellen. In diesem Moment des Todes war jedoch, der christlichen Dogmatik zufolge, Christus noch nicht gen Himmel gefahren, die Kunst durfte ihn also auch nicht in dieser Auffassung darstellen.

 

Um die Bedeutung der oberen Figur absolut richtig festzustellen, wird man die Möglichkeit erwägen müssen, ob dieselbe nicht vielleicht die Seele des eben auf Erden gestorbenen Erlösers bedeute. Durch einen solchen Gedanken hätte der Künstler weder die Gesetze der Logik und Dogmatik, noch die Regeln der Kunst verletzt, denn es ist nicht widersinnig, im selben Moment den Leichnam auf Erden und die Seele im Himmel zu zeigen, da man annimmt, der Eintritt der letzteren geschehe im Augenblick des Todes, ja selbst ein Antheilnehmen der Seele an den Ereignissen auf Erden in diesem Momente dürfte dargestellt werden. Diese erwachsene bärtige Person über dem Kreuzesbalken kann jedoch nicht die Seele bedeuten, da diese, im Falle auf das Wesenlose derselben im Gegensatze zum Körperlichen ein Nachdruck gelegt werden sollte, stets in der bekannten Weise als Kind dargestellt wurde: Christus nimmt die Seele der Maria, ein Kind, in Empfang, David erhebt aut einer mittelalterlichen Darstellung seine

 

 

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Seele zu Gott, er hebt ein Kind, das durch die nebenstehenden Worte „… animam suam ...“ deutlich bezeichnet ist, empor. Sodann stellte die mittelalterliche Kunst Christus erst im Momente seiner Auferstehung mit der Siegesfahne in der Hand dar. Wir sind also genöthigt anzunehmen, dass der Künstler -- im Falle er die Person Christi in der That beabsichtigt hätte -- den gen Himmel Gefahrenen gezeigt hat. Diese Deutung erklärte Braun für die einzig richtige. Es ist schon vorher darauf hingewiesen, dass der christlichen Glaubenslehre zufolge die Himmelfahrt dem Kreuzestode nicht unmittelbar folgte, sondern erst nach der Grablegung, Niederfahrt zur Hölle und Auferstehung von den Todten. Es ist geradezu widersinnig, anzunehmen, ein Künstler des gläubigen Mittelalters habe im Momente der Kreuzabnahme schon den gen Himmel gefahrenen, die Siegesfahne haltenden Christus an dieser Kreuzabnahme Antheil nehmen lassen. Das wäre ein Bilderräthsel! Hier ist die Grenze künstlerischer Licenz. Einer Vereinigung jener beiden Zeitpunkte setzen sich die erwähnten Zwischenereignisse als eine für die bildende Kunst unüberwindliche Schranke entgegen. Es finden sich zwar die Darstellungen mehrerer Momente auf einem Bildwerke, auch ein und dieselbe Person zu mehreren Malen, ja es haben sich, wie ich entgegen der Behauptung von Giefers durch die oben angeführten Beispiele nachwies, sogar manche Künstler erlaubt, die Trennung fortzulassen -- aber eine absichtliche Verschmelzung zweier zeitlich getrennter Momente, durch Verkehr der Personen des einen Einzelbildes mit denen des anderen, hat Niemand gewagt. Man denke, der Künstler hätte in der von Braun citirten Apotheose de Romulus diesen in dem Momente, wo er zu den Göttern auffährt, im oberen Bilde durch Herabbeugen oder Herabstrecken der Hand sich mit den Vorgängen im unteren Bilde, seinem eigenen Triumphzuge, beschäftigen lassen! Der zwingende Grund, die Figur unseres Reliefs als Gott Vater zu deuten, liegt in dem Antheilnehmen an der Kreuzabnahme, dem Herab- reichen der Hand über die Grenze der Himmelsregion, den Kreuzesbalken. Ich glaube sogar, dass der Künstler mit weiser

 

 

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Ueberlegung gerade diese Haltung wählte, um klar erkennen zu lassen, dass nicht der gen Himmel gefahrene Christus, sondern ausnahmsweise Gott Vater dargestellt werde. Auf eine solche Deutung wäre anderen Falles der Beschauer nur zu leicht verfallen, weil auf zahlreichen Bildwerken ausser der Kreuzigung auch die Himmelfahrt in besonderer Abtheilung vorgeführt wird. Hier auf unserem Relief nollte nur ein Moment -- der des Todes -- in sämmtlichen Abtheilungen und keine der sonst üblichen Nebendarstellungen, Grablegung, Auferstehung oder andere zur Anschauung gelangen: unten der Tod der Menschen, in der Mitte der leibliche Tod Christi, oben die Seele, welche sich im Momente des Sterbens in Gottes Arme begeben. Dem Künstler genügte es nicht, den Seelenlosen Leichnam Christi darzustellen, er wollte auch die Seele zeigen, der Platz für dieselbe war die Hand des Vaters. Braun sagt, es stehe nirgend geschrieben, dass Gott Vater die Seele heraufgetragen habe, aber dieses geschieht hier auch nicht, Gott nimmt diese Seele in Empfang, weil er seinen Sohn gesandt hatte; eine Seele braucht überhaupt nicht „heraufgetragen“ zu werden.

 

Da ich sicher nachgewiesen, dass die Vogelgestalt über der Oeffnung B neben dem Relief eine Taube, den heiligen Geist, bedeutet, sich also zwei Personen der Gottheit finden, so würde es geradezu unpassend erscheinen, wenn der Künstler die erste Person der Dreieinigkeit, Gott Vater, fortgelassen hätte.

 

Als Probe für die Richtigkeit meiner Auslegung des grossen Bildwerkes führe ich eine Skulptur an, welche zwar dem 13. Jahrhundert angehört, aber die wesentlichen Bestandtheile unseres Bildes an den Externsteinen in absolut deutlicher Behandlung enthält. Es ist die Kreuzigung zu Wechselburg (Taf. XV, Fig. 1) Den mittleren Theil nimmt Christus am Kreuze, Maria und Johannes, den oberen Gott Vater ein. Die Haltung des letzteren, der Arm und die drei nach unten weisenden Finger gleichen der Darstellung auf unserem Bilde. Die Linke hält nicht die Fahne, weil hier das Opfer noch nicht vollbracht ist, sondern eine Taube, den heiligen Geist.

 

Der Vater hat auch hier die gleichen Züge wie Christus.

 

 

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Die Stellung des ganzen Bildwerkes in der christlichen Kunstentwickelung.

 

Die Ansichten der Forscher über das Alter des Bildes gehen weit auseinander. Früher glaubte man allgemein, dass Karl d. G. dieses Skulpturwerk habe errichten lassen. Massmann und Giefers haben sich ganz entschieden für eine spätere Entstehungszeit ausgesprochen, für die Zeit, welche im Innern der Grotte als Einweihungsdatum eingemeisselt steht (1115 Braun und später Schierenberg sind zu der früheren Auffassung zurückgekehrt. Der Erstere hat eine von Göthe gemachte Bemerkung, dass dieses Bild an die Mithrastafeln erinnere, aufgenommen und insofern weiter ausgeführt, als er erklärte, es sei dieses an Stelle eines Mithrasbildes gesetzt worden, wie man auf heidnischen Kultusstätten häufig Kirchen errichtete. Ganz abgesehen davon, dass an dieser Stelle ein logischer Zusammenhang mit dem Mithrasdienste, zumal der christliche Ursprung der Grotten oben nachgewiesen ist, undenkbar erscheinen muss, findet sich in dem Bilde selbst kein Motiv, welches mit Mithrasdarstellungen in irgend welchem Zusammenhange stände. Alle von Braun angeführten Vergleichungspunkte beruhen entweder auf einem zufälligen Zusammentreffen oder sind aus dem Entwickelungsgange der christlichen Kunst zu erklären. Braun hat als Begründung angeführt, dass einem Mithrasopfer als das passendste Bild doch nur die Kreuzabnahme hätte entgegengesetzt werden können. Es würde nun wohl die Kreuzigung mehr jenem Opfer entsprechen, als die Kreuzabnahme, denn Mithras wird stets während des Opfers dargestellt, er zückt das Messer, um den noch lebenden Stier zu tödten; auf unserem Bilde ist das Opfer schon vollbracht. Derselbe Autor hat ferner erwähnt, dass auf allen Mithrasopfern eine Schlange zu sehen sei, gleichwie auf unserem Relief, welche eine Gestalt umwinde. Auf allen ist es nicht der Fall. Die Tafeln von Heddernheim zeigen eine Schlange, die in eine Urne kriecht. Auch der Vogel über der Oeffnung an den Externsteinen soll an den Vogel auf jenen heidnischen Bildern erinnern. Ich habe früher gezeigt, dass dieser Vogel eine

 

 

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Taube, den heiligen Geist, darstellt, dass er den Taubengestalten auf anderen christlichen Bildern absolut gleicht, von den naturalistischen Vögeln auf Mithrastafeln (z. B. Taf. XIII, Fig. 11) aber abweicht, die letzteren Stellen bekanntermassen einen Raben vor. Es ist doch nur ein zufälliges Zusammentreffen, dass sowohl in der antik heidnischen, als auch in der christlichen Symbolik eine Schlange und ein Vogel auftritt. Die Personifikationen von Sonne und Mond, welche auch das Relief Externsteinen zeigt, sind allerdings dem Heidenthum entlehnt und finden sich sehr häufig auf Mithrasdarstellungen, doch bildet dieses keinen Grund, speciell das Bild an den Externsteinen mit diesen in Verbindung zu bringen, denn Sonne und Mond erscheinen nebst Oceanus und Terra fast auf allen Diptychen, welche die Kreuzigung vorführen (Taf. XIl, Fig. 4), sowie bei der Taufe die Personifikation von Flüssen, gleichfalls dem Heidenthum entstammend. Das Wandgemälde zu Neuenbeken (Taf. XIV, Fig. 2), obwohl aus einer späteren Zeit, zeigt noch die Himmelslichter und ein christliches Diptychon mit der Kreuzigung im Antikenkabinet zu Berlin sogar noch „Sol“ mit der Peitsche und „Luna“ mit der Fackel. Der Künstler, welcher das Relief an den Externsteinen verfertigte, kannte den heidnischen Ursprung jener Personifikationen, nachdem sie den christlichen Läuterungsprocess durchgemacht, nicht mehr. Ebensowenig besteht der von Braun vermuthete ideelle Zusammenhang zwischen den Spitzen, in die der Schwanz der Schlange auf dem unteren Theile des Reliefs und der des Stieres auf Mithrasbildern endet. Die drei Büschel des letzteren (Taf. XIII, Fig. 12) stellen, wie bekannt; durch Querstriche gekennzeichnete Aehren vor, denn der Stier war das Bild der fruchtbringenden Erde. Der Schwanz der Schlange dagegen endet gar nicht in drei Spitzen -- alle publicirten Abbildungen machen hier einen Fehler --, sondern kurz vor der Spitze des Schwanzes strecken sich zwei flossenähnliche Glieder nach oben, gleich wie dicht hinter dem Kopfe der Schlange. Wir dürfen also in dem Bildwerke nicht die geringsten Beziehungen zu den Mithrasdarstellungen erblicken.

 

 

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Die Stelle, welche das Relief in der Entwickelung der christlichen Kunst einnimmt, ist bisher nicht näher untersucht, und es ist auf einen Zusammenhang mit früheren und späteren Bildern nicht hingewiesen worden. Man hat zwar oberflächliche Vergleiche angestellt und von Gegenstücken gesprochen, doch ein gleiches Werk, eine Kreuz-Abnahme aus dem Mittelalter, hat Niemand zum Vergleiche gestellt. Auch ist bisher nicht der Versuch gemacht, diese Arbeit in ihren Einzelheiten auf frühere zurückzuführen, es ist sogar von allen Seiten behauptet worden, dass es ein durchweg selbstständiger Entwurf des ausführenden Künstlers gewesen sei. Giefers z. B. sagt „Wie die Composition und Ausführung jeder Gruppe, für sich betrachtet, im Ganzen meisterhaft zu nennen ist, so ist auch der Gedanke des Künstlers, diese beiden Werke auf solche Weise zu verbinden, ein Beweis seines tiefen schöpferischen Geistes“. Ich bin dagegen der Meinung, dass das Bild sich enge an ältere Vorbilder anlehnt. In altchristlicher Zeit und im Mittelalter bewegten sich die Künstler in streng festgesetzten Grenzen; für gewisse Momente aus der christlichen Glaubenslehre hatten sich in der Kunst Typen ausgebildet, sie wurden, weil jede künstlerische Thätigkeit von dem Clerus ausging, mit den Mönchen, den Sendboten der christlichen Lehre, in die entlegensten Gegenden getragen. So wird erzählt, dass Bischof Meinwerk 13 Mönche von Clugny nach Paderborn kommen liess zur Ausführung künstlerischer Arbeiten. Göthe sagte (in „Kunst und Alterthum“, Bd. 5) in Bezug darauf, dass unser Relief durch einen Künstler aus dem Gefolge Karls d. G. ausgeführt sei, „solche Techniker führten Muster mit sich, wonach sie genau arbeiteten“; es wird nur statt Techniker „Mönche“ zu setzen sein, und in den Mustern sehe ich die Bücherdeckel (Diptychen), Miniaturen und andere Werke der Kleinkunst, welche leicht zu transportiren und zum Gottesdienste unentbehrlich waren. Ich glaube, dass das Relief nach einem altchristlichen Diptychon gebildet ist. Es ist die Idee, drei Momente aus der christlichen Lehre in einem Bilde zusammenzufassen, durchaus nicht einzig dastehend.

 

 

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Auf Diptychen findet sich eine solche Zusammenstellung unendlich oft; auf ihnen sehen wir ferner sämmtliche Bestandtheile unseres Reliefs schon früher angeordnet. Diese Buch-deckel hatten eine längliche Form, wodurch eine Darstellung mehrerer Scenen wünschenswerth wurde, und zwar eine „Aufeinanderfolge in vertikaler Richtung. Der Typus dieser Diptychen ist folgender (Taf. XII, Fig. 1): Die Mitte nimmt Christi Kreuzigung ein; dabei erscheint stets Maria und Johannes zu beiden Seiten des Kreuzes, mitunter die beiden Krieger mit Lanze und Aspergill, oberhalb des Kreuzbalkens die Personifikationen von Sonne und Mond. Ueber diesem Hauptbilde und unterhalb desselben finden sich Nebendarstellungen. Unter dem Kreuze sehen wir Terra: eine Frau mit Kindern, Akanthuszweig oder Schlange, und Oceanus: einen Mann mit Ruder und Fisch, auf einem Seedrachen reitend oder Wasser ausgiessend (Taf. XII, Fig. 2 u. 4). An Stelle der letzteren finden sich auch Heilige in Gräbern, im Anschluss an das Bibelwort „die Gräber der Heiligen thaten sich auf“ (Taf. XIll, Fig. 2 u. 4), mitunter Adam (Taf. XIII, Fig. 3), ein Mal Romulus, Remus und die Wölfin. Ueber dem Haupte des Gekreuzigten erscheint die Hand Gottes. Auf unserem Relief ist, wie auf dem etwas späteren Bildwerk zu Wechselburg, das Brustbild des Vaters gewählt. Als oberer Abschluss dieser Elfenbeintafeln wird meistens Cristus gen Himmel fahrend oder thronend in einer Mandorla abgebildet. Auch an den Externsteinen sehen wir oben Christus, jedoch statt des gen Himmel fahrenden seine Seele, da auf diesem Bilde nicht verschiedene, sondern nur ein Moment zur Anschauung kommt.

 

Auf den Darstellungen der Kreuzigung und der Kreuzabnahme ist die Stellung von Maria, stets zur Rechten, und Johannes, zur Linken des Kreuzes, wie auch die Haltung dieser beiden Figuren typisch geworden. Göthe nannte zwar, ebenfalls in Bezug auf das Relief an den Externsteinen, das Stützen des herabsinkenden Oberkörpers durch die Mutter „ein schönes und würdiges Zusammentretfen, das wir nirgends wieder geſunden haben“, doch ist dieses Motiv, wie die zur Vergleichung beigefügten Abbildungen von Kreuzabnahmen

 

 

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zeigen (Taf. XIV, Fig. 1 u. 2, Taf. XV, Fig. 2 u. 3), nicht allein auf diesem Bilde zur Anwendung gelangt. Göthe wurde zu dieser Annahme wohl dadurch veranlasst, dass ihm nur neuere Darstellungen der Kreuzabnahme, keine mittelalterlichen zu Gebote standen, denn dieselben sind im Vergleiche zu denen der Kreuzigung äusserst selten, und weder Massmann, Giefers, Braun noch Andere haben, obwohl sie Kreuzigungsdarstellungen des Vergleiches halber erwähnt und abgebildet haben, eine Kreuzabnahme vorgeführt. Dass die oben bezeichnete Haltung der Maria in der mittelalterlichen Kunst üblich gewesen sein muss, geht daraus hervor, dass dieselbe sich auf sämmtlichen beigegebenen Abbildungen in übereinstimmender Weise findet, obwohl einige Originale, wie das Relief an den Externsteinen und das zu Breslau (Taf. XIV, Fig. 1), in so grosser Entfernung von einander ausgeführt wurden, dass ein directer Zusammenhang ausgeschlossen ist.

 

Aus der nachgewiesenen Uebereinstimmung der Kreuzabnahme an den Externsteinen mit anderen Darstellungen der beiden Momente des Leidens Christi bis in die Einzelheiten, namentlich auf Diptychen, ersieht man, dass das ganze Relief, wenn auch einzelne originelle Züge der individuellen Schaffenskraft des Künstlers zuzuschreiben sind, sich im Grossen und Ganzen dem Kanon fügt, der sich im Laufe der Zeit hierfür ausgebildet hatte. Auch noch später, im 13. Jahrhundert, wird dieses Schema beibehalten, wenn sich auch schon einzelne Abweichungen bemerkbar machen. So enthält das Crucifix zu Wechselburg (Taf. XV, Fig. 1) die wesentlichen Bestandtheile unseres Reliefs. Uebereinstimmend sehen wir Gott Vater über dem Kreuze gebildet, das Haupt und drei ausgestreckte Finger sind nach unten gesenkt, die Züge gleichen auch hier denen des Sohnes. Dagegen hält der Vater hier statt der Fahne die Taube, den heiligen Geist, in der Linken, da das Opfer noch nicht vollbracht ist. Sonne und Mond, die antiken Reminiscenzen, sind durch Engel ersetzt, welche das Kreuz stützen. Im untersten Theile knieen ebenfalls zwei Menschen, erheben auch die Arme, und in der Mitte

 

3. Die Petrus-Figur neben dem östlichen Eingange.

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erscheint Adam, mit dem Kelche das Blut Christi aufsammelnd. *)

 

Es dürfte vielleicht nicht zu gewagt scin, einen ganz bestimmten Entwickelungsgang der Bilder, welche diese beiden Momente der Leidensgeschichte Christi zum Vorwurfe haben, zu erkennen, und in welchem dasjenige an den Externsteinen eine hervorragende Stellung einnimmt. Aus den antiken, durch heidnische Attribute charakterisirten Figuren Terra und Oceanus unter dem Kreuze, die auf einigen Diptychen schon zum Gekreuzigten emporschauen, entwickeln sich die Bilder der Heiligen mit erhobenem Haupt und Armen, dann weiter Adam, allein oder mit Eva und der Schlange zusammen, bis zu den die Menschheit im Allgemeinen repräsentirenden beiden Figuren auf dem Crucifix zu Wechselburg. An dieselbe Stelle, an welcher die älteren Bilder Sonne und Mond sogar noch mit Peitsche und Fackel zeigen, treten Engel, und schliesslich wird die Scheu, Gott Vater darzustellen, vollständig überwunden. Die Diptychen führen uns über dem Haupte Christi -- pars pro toto -- nur eine nach unten weisende Hand vor, die Bilder an den Externsteinen und zu Wechselburg dagegen schon das Brustbild des Vaters.

 

Diese allmälige Umgestaltung war eine Folge der in jedem Einzelwerke von dem Künstler im Rahmen des üblichen Schemas ausgeführten Original-Ideen. Sie finden sich auch an den Externsteinen. Dahin gehört das strenge Durchführen des Todesmomentes in den drei räumlich getrennten Abtheilungen, durch den todten Vogel, den Leichnam und

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*) Dass es Adam und nicht Joseph von Arimathia ist, wie Puttrich und Förster annehmen, hat Professor Pieper im evangel. Kalender für 1861 nachgewiesen: Der Sage nach war Adam auf Golgatha begraben und eine solche liegende Stellung würde der Künstler nicht Joseph gegeben haben. Noch gründlicher scheint mir die Gewandung zu beweisen, dass wir einen Gestorbenen, dann also nur Adam, vor uns sehen. Während die Gewänder der beiden anderen knieenden Figuren die Füsse frei lassen, deckt das lange Sterbegewand den ganzen Unterkörper der Mittelfigur, so dass die Formen der unteren Extremitäten bis zu den Fussspitzen nur hindurchschimmern. Dieser Contrast soll die Figur als gestorben charakterisiren.

 

 

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die Seele und das enge Verknüpfen des unteren mit dem oberen Bilde durch die Symbole der Unsterblichkeit: Pfau und Kindesgestalt. Von Bedeutung ist ferner das gleichzeitige Hinweisen im unteren Theile auf den Sündenfall, den Tod. und die Unvergänglichkeit, und schliesslich sei noch ein mehr äusserliches Motiv genannt, welches das Bestreben, dieses Werk im Gegensatz zum wirklichen Vorgange in idealer Weise durchzuführen, erkennen lässt. Der Künstler wollte zwei realistische und störende Requisite, die Zange und die Leiter, welche sonst die anderen mittelalterlichen Kreuzabnahmen zeigen (vgl. die vorgeführten Abbildungen), vermeide3. Die Petrus-Figur neben dem östlichen Eingange.n, deshalb wählte er einen Stuhl und stellte auch den linken Arm, der auf anderen Bildern noch von dem Nagel gehalten wird, als schon gelöst dar, so dass er dem Oberkörper Christi eine wagerechte Stellung geben konnte, um zu ermöglichen, dass Maria das Haupt ihres Sohnes, nicht nur den Arm und Oberkörper, wie im anderen Falle, stützte. Auch dieses dem Gedanken nach auf allen mittelalterlichen Kreuzabnahmen verwerthete Motiv hat sich erst allmälig zu dieser schönen Ausdrucksform entwickelt, denn das dem 11. Jahrhundert angehörende Reliquiar im Germanischen Museum zu Nürnberg (Taf. XV, Fig. 2) ist noch von der antik christlichen Anschauungsweise befangen, es zeigt Maria, den Arm ihres Sohnes mit bedeckten Händen empfangend, wie im Alterthum Personen dargestellt wurden, welche beim Empfange von Gaben mit der Gottheit in Berührung kamen.

 

Mit der Abnahme vom Kreuze sehen wir stets auf den Bildwerken zwei Personen beschäftigt, Nicodemus und Joseph von Arimathia, und zwar die eine zur Linken des Herrn, den Nagel lösend oder wie an den Externsteinen den Körper herunterlassend, die andere zur Rechten, denselben umfassend. Da nun auch Maria stets zur Rechten, Johannes zur Linken steht, so lässt sich annehmen, dass man sich auch unter jenen beiden Figuren, je nach der Stellung zu dem Kreuze, eine ganz bestimmte Person vorstellte. Ueber diese conventionelle Vorstellung könnte das Wandgemälde zu Neuenbeken (Taf. XIV, Fig. 2) Aufschluss geben, da es sämmtliche Namen der

 

 

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betheiligten Personen trägt. Die Figur zur Linken ist als Nicodemus, die zur Rechten als Joseph bezeichnet. Giefers hält dagegen auf dem Relief an den Externsteinen die Figur neben Maria für Nicodemus und diejenige an der Seite des Johannes für Joseph, jedoch hatte er wohl keine Gründe hierfür.

 

3. Die Petrus-Figur neben dem östlichen Eingange.

(Tafel II und Tafel IX).

 

Diese Relieffigur erklärten die älteren Forscher für einen heidnischen Priester mit einem Opferbeile in der Hand, Clostermeier deutete dieselbe als Petrus mit einem Schlüssel und einem Stabe, Massmann gab dieselbe Erklärung, den Gegenstand in der rechten Hand hielt er für einen Schlüssel, den in der linken für ein Taufhemd („wester hemde“). Auch Giefers trat dieser Ansicht bei, nur glaubte er, dass der letztere Gegenstand wahrscheinlich ein Schwert sei. Schierenberg versuchte diese Figur mit dem Mithraskult, für welchen seiner Meinung nach die Grotten ausgehauen wurden, in Verbindung zu bringen, er hält es für möglich, dass Gott Mithras mit einem Schlüssel und einer Fackel dargestellt sei, und zeigt zum Vergleiche das Mithrasbild von Vienne mit zwei Schlüsseln. Die Figur an den Externsteinen ist nur flüchtig und roh bearbeitet, es ist nicht richtig, dass sie, wie Massmann glaubte, einst schön gewesen sei; denn die Augen sind nur durch einfache Löcher, Bart und Haupthaar durch unregelmässige Steinklumpen gebildet, die Hände zeigen keine Ausarbeitung der einzelnen Finger. Die Gestalt hat weder durch Zerstörung noch durch Witterung gelitten, nur die Nasenspitze ist abgebrochen. Die Erklärung als Petrus ist die einzig richtige, auch der Gegenstand in der linken Hand findet sich öfter bei Petrusdarstellungen, jedoch ist es weder ein Stab, noch ein Taufhemd, Schwert oder Fackel. Hätte man das Aussehen dieses Gegenstandes genau festgestellt, so würde man nicht nöthig gehabt haben, sich auf das Rathen zu verlegen und die heterogensten Dinge zu nennen. Die Abbildung bei Massmann (nach v. Bandel) ist für eine genaue Untersuchung unbrauchbar, zum Theil falsch. Dass der Gegenstand

 

 

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in der rechten Hand einen Schlüssel bedeutet, ist richtig, nur hat Massmann nicht den Grund angegeben, warum derselbe „als noch deutlich zu erkennender Schlüssel zurückgegeben werden“ muss, nachdem er eine Zeit lang als Opferbeil gegolten. Der Grund liegt darin, dass wir einen Einschnitt im „Barte“, also die beiden Zinken eines Schlüssels erkennen, solchen Einschnitt zeigt kein Beil. Betreffs des Gegenstandes in der linken Hand ist darauf hinzuweisen, dass sich Stab und Taufhemd niemals als Attribute des Apostels Petrus finden und dass weder im wirklichen Leben noch auf bildlichen Darstellungen ein Schwert in der Weise, wie wir es hier sehen, gefasst wird. Der Gegenstand hat ferner weder die charakteristischen Merkmale irgend eines der genannten Dinge, noch lässt sich die geringste Aehnlichkeit mit jenen nachweisen. In der Zeichnung bei Massmann hat derselbe, der Erklärung als Taufhemd entsprechend, Längsfalten. Das Original zeigt dieselben nicht. In Wirklichkeit hebt sich dieser Gegenstand ein wenig vom Hintergrunde ab, Begrenzungsflächen sind nicht gekrümmt wie bei einem Gewande, sondern bilden scharfkantige Ebenen, eine vordere, untere und zwei seitliche, die Gestalt ist ein langes Rechteck. Der Gegenstand zeigt, wie aus meiner Zeichnung und Beschreibung hervorgeht, die charakteristiscchen Merkmale eines Spruchbandes oder einer Schriftrolle. Solche Schriftrollen haben auf bildlichen Darstellungen des Mittelalters sehr oft die Heiligen und Apostel in Händen, entweder herabhängend oder gerollt, es soll an die von ihnen gesprochenen Worte erinnern, das ist in jedem kunstarchäologischen Handbuche zu finden. Es können noch andere Petrusdarstellungen namhaft gemacht werden, welchen die Schriftrolle beigegeben ist, und es ist wunderbar, dass die Autoren aus dem grossen ihnen zu Gebote stehenden Material nicht Analoga fanden, welche sofort die richtige Erklärung geben. Petrus mit der Schriftrolle findet sich auf dem ehernen Taufbecken zu Lüttich, den Cornelius taufend, aus dem 12. Jahrhundert, auf einem Glasgemälde in der Mariakapelle der Kirche Notre Dame zu Semur aus dem 12. Jahrhundert (vgl. deutsche Bauzeitung 1883)

 

 

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und an den Chorschranken der Michaelskirche zu Hildesheim um 1200 (Taf. XIII, Fig. 1), von denen die letztgenannte Darstellung, obwohl sorgfältiger durchgeführt, viel Aehnlichkeit mit unserem Bilde hat. Es scheint, dass Petrus im 12. und 13. Jahrhundert statt des Schwertes eine Schriftrolle erhielt, und dieses ist auch der Grund dafür, dass die Figur an den Externsteinen im 13. Jahrhundert zugleich mit den andern Arbeiten, nicht später, wie Giefers glaubt, entstand.

 

Schierenberg versuchte letztere als Gott Mithras zu erklären, weil Mithras von Vienne zwei Schlüssel hält. Das ist jedoch nur ein zufälliges Zusammentreffen, ebenso wie der von ihm angeführte Umstand, dass die Gestalt an den Externsteinen unten unbearbeitet sei und wie bei Mithrasdarstellungen aus dem Felsen wachsend erscheine (Taf. XIII Fig. 9). Erstens wird aber dieser Gott nie als bärtiger Greis, sondern stets jugendlich als sol invictus dargestellt (Taf. XIII, Fig. 9 u. 10) und dann ist der Grund dafür, dass die untere Partie unseres Bildes den unbearbeiteten Fels zeigt, in der Lokalität und in der flüchtigen Ausführung zu suchen. Die senkrechte Felswand zeigt nämlich dort, wo Petrus steht, unten eine kleine Unterhöhlung, wollte man nun auch die Füsse der Figur zur Erscheinung bringen, so musste man erst eine gleichmässig vertikale Fläche schaffen, d. h. den Stein bis auf die hintere Fläche der Unterhöhlung abarbeiten (Taf. IX, Fig. 2). Solche mühevolle Arbeit scheute man, wie aus der ganzen Behandlung der Figur hervorgeht, und liess den Fels unten in seiner natürlichen Beschaffenheit, daher fehlen die Füsse.

 

 

Schlussbemerkung über Alter und Ursprung der Anlagen.

 

Es ist in dem Abschnitte I unwiderleglich nachgewiesen, dass die Grotten christlichen Ursprungs sind. Hierauf basirend, wird man durch weiteres Ausscheiden aus der Zahl Derer, welche bisher als Verfertiger genannt worden sind, die

 

 

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wirklichen Urheber mit Bestimmtheit feststellen können. Von jenen haben nur die Franken unter Karl d. G. und die Mönche zu Paderborn ein Anrecht, zur Concurrenz zugelassen zu werden. Zu Anfang wurde erwähnt, dass über die Entstehung der Anlagen keine urkundlichen Nachrichten existiren und dass die Berichte späterer Schriftsteller keinen Glauben verdienen, so derjenige von Hamelmann, wonach Karl d. G. der Erbauer gewesen ist. An jener Stelle ist auch gezeigt worden, dass der Bericht von Schaten, Karl d. G. habe auf dem Schlachtfelde bei Detmold, also in der Nähe der Steine, eine Kapelle erbaut, durch nichts, am allerwenigsten aber durch noch vorhandene Bauten oder Baureste bestätigt wird. Das Urtheil der Kunstverständigen, wie Göthe, Kinkel, Schnaase, Braun u. a., welche speciell das grosse Relief dem Frankenkönig zuschrieben, kann nicht als zutreffend gelten, denn erstens haben sie ihre Ansicht nicht durch Gründe bewiesen, welche aus dem Bildwerke selbst entnommen sind, und dann ist in dem Abschnitte, der die Skulptur behandelt, gezeigt, dass dieses Bildwerk in dem Entwickelungsgange der Kreuzigungs-Darstellungen chronologisch nicht eine der ersten Stellen einnimmt, sondern sich in die Reihe derjenigen aus dem 10.--13. Jahrhundert einrangirt. Es kommt noch hinzu, dass die Anwesenheit Karls d. G. im Lande der Sachsen niemals von grosser Dauer gewesen ist, dass daher seine Begleiter unmöglich so umfangreiche Arbeiten, namentlich mit den unzureichenden Mitteln damaliger Zeit, mitten in einer Wildniss haben schaffen können. Es kann ferner darüber kein Zweifel herrschen, dass, wenn die siegreichen Franken an diesem durch nichts geschützten Platze christliche Kapellen und Bildwerke errichtet hätten, die im Grunde ihres Herzens noch dem Heidenthum ergebenen Sachsen keinen Augenblick gezögert haben würden, alles, was sie an ihre Unterdrücker erinnerte, von Grund auf zu zerstören, sobald jene den Rücken gekehrt. An den Grotten aber wie an den Bildwerken finden sich, das ist oben nachgewiesen, nur sehr vereinzelt gewaltsame Beschädigungen, welche, da sie nur die ganz frei bearbeiteten

 

 

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Theile betroffen haben, mehr durch Zufall als durch Absicht herbeigeführt sind. In solchem verhältnissmässig wohlerhaltenen Zustande hätte sich das Relief nicht durch jene halbheidnische Zeitperiode hindurch gerettet. Wir müssen also erkennen, dass die Annahme, Karl d. G. habe diese Arbeiten veranlasst, durch keinen stichhaltigen Grund belegt werden kann und dass die in Betracht kommenden Umstände und die Arbeiten selbst, vor allem das grosse Relief, sogar dagegen sprechen.

 

Gehen wir nun zu dem direkten Beweise über, dass die Arbeiten nur von den Mönchen zu Paderborn ausgeführt sein können, sowohl die baulichen wie die Skulpturen, so muss die Frage vorerst beantwortet werden, ob denn wirklich einzelne Theile, wie bisher angenommen wurde, zu verschiedenen Zeiten entstanden sind. Einige trennen die Grotten von den Bildwerken, andere einzelne Bilder von einander. Dieses verschiedene Datiren hier des einen, dort des anderen Theiles muss dem Unbefangenen verdächtig erscheinen, umsomehr wenn die Absicht hindurchschimmert, da irgend einer Behauptung, die auf schwachen Füssen steht, ein künstlicher Halt gegeben werden soll. Das Relief unterscheidet sich zwar von den übrigen Arbeiten durch seine saubere Ausführung, aber dieser Umstand besagt nicht nur sehr wenig, sondern lässt sich auch dadurch vollständig erklären, dass man das Bild und vor allem den oberen Theil, welcher von der Gottheit handelt, sorgfältiger bearbeitete als die übrigen Gegenstände. Die in den Schriften angeführten Gründe für eine getrennte Entstehung sind durchweg willkürlich und gekünstelt. Massmann setzt die Vogelfigur über der Oeffnung B, die er für einen „Adler“ hält, in die Zeit Karls d. G., weil am Palast zu Aachen sich ein Adler befand! Clostermeier glaubte, dass das Bild des Apostels Petrus von einem anderen Meister als das Relief gefertigt sei, und Giefers nahm an, dass sowohl diese Figur wie die Oeffnung A nebst Oeffnung B einer späteren Zeit als die übrigen Arbeiten angehören. Zu der Annahme, dass die Apostelfigur nicht gleichzeitig entstand, hat die rohe Ausführung derselben Anlass

 

 

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gegeben. Aber dieses Bild ist, die Nasenspitze ausgenommen, weder zerstört noch verflacht oder einst schöner gewesen. Die rohere Ausführung ist sehr wohl dadurch erklärlich, dass ein weniger geübter Steinmetz mit diesem nur untergeordneten Gegenstande beauftragt wurde. Die von Giefers gegebene Begründung seiner Ansicht des späteren Entstehens der Apostelfigur und der nebenbefindlichen Oeffnung macht Eindruck, als sei die Oeffnung A zur Erklärung des Raumes I als Grab Christi unbequem gewesen und hätte in Folge dessen jünger gemacht werden müssen, welches Schicksal der Petrusfigur wegen des lokalen Zusammenhanges nicht erspart werden konnte. Noch schlimmer erging es der Oeffnung B, denn hier haben ich alle Forscher darin geeinigt, dass sie nur aus späteren Jahrhunderten entstammen könne und kein Bestandtheil der ursprünglichen Anlage sei; und doch ist gerade hier mit Leichtigkeit das gleichzeitige Entstehen nachgewiesen worden. In dem Abschnitt über Architektur ist der Beweis geliefert, dass weder die Petrusfigur noch eine der Oeffnungen später als die Gesammtheit der baulichen Arbeiten entstanden sei. Hierauf stützt sich nun auch der Beweis, dass die Ausführung des grossen Reliefs mit derjenigen der Grotten zusammenfällt. Ueber der Oeffnung B sehen wir die Taube, den heiligen Geist. Dass die Taube einen integrirenden Theil der Kreuzigungsdarstellungen bildet, zeigt der Vergleich mit dem Crucifix zu Wechselburg, und dass sie hier getrennt von dem Bilde nicht in der Hand Gottes erscheint, erklärt der Umstand, dass der grosse Raumtheil in der oberen Region der Kreuzabnahme durch eine Fahne gedeckt wurde, welche der Vater in der Hand hält. Demnach gehört hier das Bild des heiligen Geistes, die Taube, inhaltlich, also auch der Entstehungszeit nach, zu der Kreuzabnahme. Dass nun die Taube andererseits auch zugleich mit der Oeffnung B gefertigt sein muss, geht daraus hervor, dass sie zusammen mit den beiden anderen Gegenständen, dem Weihwasserbecken und Steinmetzzeichen, diese Oeffnung umrahmt und über ihr in der senkrechten Achse angeordnet ist, und da wieder die letztere der ursprünglichen

 

 

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Anlage angehört, so sind das Bild der Taube und die Oeffnung, die Mittelglieder in der Schlussfolgerung, dass die Ausführung des grossen Bildwerkes mit der Grotte zusammenfällt.

 

Fassen wir zum Schlusse die Fakta kurz zusammen, so ergiebt sich:

 

1. die Grotten sind unzweifelhaft christlichen Ursprungs;

2. für die Annahme, Karl d. G. habe die Arbeiten ausführen lassen, findet sich nicht der geringste Anhaltspunkt;

3. Die Externsteine waren bis zum Jahre 1093 in Privatbesitz, weshalb die Ausführung der Arbeiten während dieser Zeit ausgeschlossen erscheinen muss;

4. die Steine werden um 1093 von dem Kloster Abdinghof zu Paderborn erworben;

5. die Bestätigungsurkunde vom Jahre 1093 erwähnt keinerlei schon vorhandenener Werke daselbst;

6. die untere Grotte wird laut Inschrift in derselben im Jahre 1115 als Kapelle eingeweiht und

7. Grotten und Bildwerke entstanden gleichzeitig.

 

Hiernach ergiebt sich auf Grund des geführten Nachweises, dass die Grotten von christlichen Arbeitern hergestellt sind, sowie ferner aus dem erwiesenen gleichzeitigen Entstehen der baulichen Anlagen und Bildwerke als Schlussresultat, dass sowohl Grotten wie Skulpturen Werke der Paderborner Mönche sind.

 

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Breslauer Genossenschafts-Buchdruckerei, K. G.

 

 

 

 

 

Quelle:

Drewitz, Carl, Die Externsteine im Teuteburger Wald. Eine archäologisch-kritische Untersuchung. Mit 15 Tafeln Autographien. Detmold, Hinrichs in Comm. 1886. 81 S.

Die Tafeln (Bildband) wurden durch die Lippische Landesbibliothek Detmold eingescannt und sind über folgenden Link online zugänglich:

https://digitale-ammlungen.llb-detmold.de/llb/urn:nbn:de:hbz:51:1-2571?

 

Der eingescannte Textteil dieser archäologischen Untersuchung von Carl Drewitz ist über die digitalen Sammlungen der ULB Münster einsehbar:

https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd/content/structure/3979044

 

 

 

Rezension von F. X. Kraus zu diesem Werk von Carl Drewitz in der Deutschen Litteraturzeitung vom 29. Januar 1887 (5/1887 S. 170.)

 

„C. Drewitz. Die Externsteine im Teutoburger Walde. Eine archäologisch-kritische untersuchung. Mit 15 Taf. Autographien. Detmold, Hinrichs in Comm. 1886. 81 S. gr. 8°. M. 5.

 

Das merkwürdige Felsenrelief, welches einst die Aufmerksamkeit Goethes gefesselt hat, erhält in der vorliegenden Schrift eine neue, überaus sorgfältige und umsichtige Behandlung. Es geht aus ihr hervor, dass die untersuchung über die Externsteine nicht, wie Herr Lübke vermeinte, mit den Arbeiten Massmanns und Giefer's abgeschlossen war.

 

Der Verfasser kommt zu folgenden Resultaten:

1. Die Grotten sind christlichen Ursprungs;

2. für die Annahme, Karl der Grosse habe die Arbeiten ausführen lassen, findet sich gar kein Anhaltspunkt;

3. Die Externsteine, bis 1093 Privatbesitz, werden alsdann von dem Kloster Abdinghof erworben, wobei die Bestätigungsurkunde von vorhandenen Sculpturwerken u. s. w. nichts erwähnt;

4. die untere Grotte wurde laut Inschrift 1115 als Kapelle geweiht;

5. Grotten und Bildwerke sind gleichzeitig (also um 1115) entstanden.

 

Man kann der gewissenhaften Untersuchung nur ungetheiltes Lob spenden.

 

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Freiburg i. B. F. X. Kraus.“